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Fort Benton

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Fort Benton war ein alter Posten der Nord Western Fur Company. Man hatte den Ort wie ein Rechteck angelegt. Es gab zwei Türme und alles in allem neun Gebäude aus Adobe-Ziegeln. Alle Gebäude hatten Fenster und Türen, diese aber nur auf den nach innen zum Platz gelegenen Seiten, um einem Angreifer keine Chance zu geben in das Fort zu gelangen. Wir erstanden vier Ochsenkarren, jeder gezogen von vier Ochsen, und ein halbes Dutzend Maultiere sowie zwei Pferde. Dazu natürlich noch all die kleineren Dinge, die benötigt wurden. Rede ich von uns, so meine ich damit, dass die Bodenhausens sich längst in allen Entscheidungen, die ich traf, uns anschlossen. Sogar über einen winzigen Teil ihres Kapitals konnte ich zum Kauf für die notwendigsten Anschaffungen verfügen.

»Ernst hätte es so gewollt«, jammerte Annemarie, die sich nur allzu bewusst war, dass ihr Mann in absoluter Schmach und Demut, aber dennoch als Held gestorben war. Ein tragischer Held.

An einem verschneiten, winterlichen Morgen brachen wir in Richtung Helena auf, eine Handvoll armseliger Artisten, eine führerlose, in sich gespaltene deutsche Familie und an ihrer Spitze ein großer Franzose mit einem Cape aus Biberfell Marke Astor des berühmten, mit dem Pelzhandel reich gewordenen Deutschen Johann Jacob Astor. Kaum hatte Lebœuf einen Sattel unter seinem Hintern, war er wie verändert. Er machte erst gar nicht mehr den Versuch, uns zu verheimlichen, dass wir ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert waren. Wie einst Napoleon saß er auf einem prächtigen Rappen und ritt, eine schwarze Zigarillo im Mundwinkel, ständig die kleine Kolonne auf und ab. Quer über den Sattelknauf hing eine Büchse und in seinen Holstern steckten locker zwei Colts, einer links der andere auf der rechten Seite. Dazu trug er Munition in einem Gurt, den er sich über die Brust gespannt hatte. Nur allzu oft hob er seinen Blick und sah hinüber zu der sich nähernden Bergkette, so als wartete er auf irgendetwas.

Merkwürdigerweise wurde der Tross im Laufe der ersten Stunden bereits durch zwei weitere Reiter verstärkt. Sie waren plötzlich einfach da, ritten Seite an Seite mit uns, als ob es das Natürlichste von der Welt sei. Einer von ihnen war ein hagerer Mann mit einem schwarzen Backenbart. Er wirkte ungepflegt. Das Einzige, was er ständig sauber zu halten schien, waren seine Waffen; selbst ein Amateur, wie ich es war, konnte das erkennen. Der andere war ein Schwarzer, der sich selbst als Brunswick vorstellte. Er hatte kein Kopfhaar, dafür aber war sein Schädel eine einzige violett schimmernde Narbe.

»Das waren Shoshone«, sagte er, als er meinen entsetzten Blick sah. »Haben mich lebendig skalpiert, und dann laufen lassen. Das hätten sie aber nicht tun sollen, denn ich hab sie alle erwischt. Bis auf den letzten Mann.«

Lebœuf, der etwas vorausgeritten war und erst jetzt zurückkehrte, schien völlig überrascht. Er nickte den beiden zwar freundlich zu, doch ich kannte seine Körpersprache inzwischen gut genug und was diese ausdrückte, war mit zwei Worten erklärt: Widerwille und Angst! Es war klar, dass er sie kannte. Als Brunswick Lebœuf herantraben sah, schob sich seine Rechte demonstrativ und für jedermann sichtbar in die Nähe seines Coltgriffes. Er grinste dreckig. Ohne anzuhalten sagte er:

»Du bist mir noch was schuldig, schon vergessen?«

Lebœuf bekam einen roten Kopf.

»Und ich hatte dir gesagt, du sollst darauf achten, mir nie wieder über den Weg zu laufen, auch schon vergessen?«

Die Luft wurde plötzlich dick.

Der mit dem schwarzen Backenbart ritt neben mir. Er spielte die ganze Zeit mit einem Abhäute-Messer, was Lebœuf mächtigen Respekt einzuflößen schien. »Wenn du nichts dagegen hast, begleiten wir euch ein Stück«, sagte er, schien aber nicht auf eine Antwort zu warten.

Ich betrachtete den Tross, der sich in die Länge zog. Keiner unserer Leute schien zu wissen, was hier geschah. Keiner außer Kenneth. Er lenkte sein Pferd an meine Seite.

»Was sind das denn für schräge Typen?«, flüsterte er.

»Weiß ich nicht«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Ich denke aber, es wäre klug, dass wir uns auf Ärger vorbereiten. Sag du den anderen Bescheid. Die Männer sollen ihre Waffen nicht aus der Hand legen, Frauen und Kinder die Planen der Wagen geschlossen halten. Sei diskret. Ich behalte derweil die Neuankömmlinge im Auge.«

Er nickte, trabte langsam davon.

Es geschah bei der ersten Rast in der Nähe einer Gruppe vom Wind geduckter uralter Douglasfichten. Wir saßen ab und kochten Kaffee, wobei wir sorgsam darauf achteten, die uns fremden Männer immer im Auge zu behalten. Unseren Frauen konnten wir es nicht verbieten, die Karren zu verlassen, ohne größeres Aufsehen zu erregen, außerdem mussten auch sie ihre Notdurft verrichten. Dasselbe galt für die Kinder. Lebœuf selber war plötzlich verschwunden. Brunswick und der mit dem schwarzen Backenbart warfen ständig Blicke in unsere Richtung. Sie tuschelten miteinander, erhoben sich und kamen schon bald darauf langsam auf uns zu. Brunswick hatte immer noch dasselbe miese Grinsen im Gesicht wie vorher.

»’n bisschen Gesellschaft gefällig?«

Ich wollte mich erheben, sah aber sofort in die Mündung einer abgesägten Flinte. »Beweg dich noch ’nen Zentimeter und ich verpass dir ein zweites Arschloch!«

Ich setzte mich wieder und sah mich um. Die Situation war ungünstig, denn Julius, Paul, Kenneth und Phillip saßen alle dicht beieinander. Ihre Waffen hatten sie zwar in Griffweite, doch Brunswicks Freund hielt sie in Schach. »Was wollen Sie?«

Ich war wütend. Wütend auf mich und wütend auf Lebœuf, der uns einfach im Stich gelassen hatte.

Brunswick leckte über seine trockenen Lippen und starrte Carmen mit unverhohlener Gier an.

»Etwas Spaß, denke ich, oder was meinst du, Jackson?«

»Ich denke«, antwortete Jackson und deutete auf Carmen, »dass die Kleine ein ganz heißes Teil ist und dass es ihr sicher Spaß machen würde, wenn du ihr zeigst ...«

Weiter kam er nicht. Der erste Schuss zerfetzte ihm die Halsschlagader, ein zweiter riss ihm die Schädeldecke weg. Er drehte sich einmal langsam um die Achse und sank lautlos zu Boden. Die Kinder begannen zu schreien und Brunswick sah sich mit weit aufgerissenen Augen um. Sein Gesicht verzerrte sich zur Fratze. Wut und Angst lagen darin.

»Lebœuf?«

Er bekam keine Antwort.

»Wir wollten niemandem wehtun, nur etwas Spaß haben! Wirklich!«

Sein irrer Blick glitt zwischen uns und einer nahen Buschreihe hin und her. Es war ihm deutlich anzusehen, wie er seine Chancen abwägte.

»Hör zu, Lebœuf. Ich lass jetzt meine Waffe fallen, und du kommst aus deinem Versteck. Lass uns miteinander reden.«

Die dritte Kugel, die Lebœuf abfeuerte, fuhr in Brunswicks rechtes Knie, riss ihn zu Boden. Erst jetzt zeigte sich Lebœuf. Hinter einem Baum hervortretend, kam er langsam mit angelegter Waffe auf Bruswick zu und feuerte dabei Kugel um Kugel in dessen Leib, bis dieser sich nicht mehr rührte.

»Wir reiten in einer Stunde weiter«, sagte er, als sei nichts geschehen, trat ans Feuer und schenkte sich Kaffee ein.

Gegen Mittag an diesem ersten Tag machten wir eine weitere Rast an einem klaren, halb zugefrorenen Bach. Hatten wir bis jetzt auch nur einige Stunden hinter uns gebracht, so war für die meisten von uns die Anstrengung dennoch groß gewesen, denn es war nicht jedermanns Sache, stundenlang auf dem Rücken eines Maultiers oder auf der harten Holzbank der Karren zu verweilen. Die frische Luft tat das ihre dazu. Steif ließen wir uns dort fallen, wo wir gerade von den Tieren oder den Fuhrwerken sprangen. Andere wieder, wie Margaret oder Phillip, fielen gierig über die Essensrationen her.

Das Echo eines Schusses ließ uns erstarren.

Es war Lebœuf, der seine Büchse abgefeuert hatte. Vom Rücken seines Pferdes aus sah er missbilligend auf uns herab, sah uns einen nach dem anderen an, als sähe er stinkenden Hundekot. Sein Blick war eine Mischung aus Verachtung und herrischer Dominanz.

»Die Tiere!«, sagte er bestimmt. »Zuallererst kommen die Tiere dran. Lockert die Sattelriemen am Bauch. Und es wäre gut, die Ochsen mit trockenem Stroh abzureiben und allen zu saufen zu geben. Lasst sie grasen. Unter dem Schnee finden sie genug Gras. Und dann, wenn Zeit bleibt, esst selber. Ausruhen könnt ihr euch später, wenn wir unser Nachtbiwak eingerichtet haben.«

Mit seinem energischen Kinn deutete er auf eine Ansammlung von angeschwemmten Hölzern in der nahen Biegung des Baches.

»Das Holz nehmen wir mit für heute Nacht. Kann nämlich gut sein, dass wir dort, wo wir nächtigen, keins finden oder es bereits zu dunkel ist, überhaupt erst danach zu suchen.«

Paul und Kenneth sprangen sofort auf die Beine, überprüften das Schirrzeug der Gespanne und lockerten hier und da die Gurte, um die Tiere zu erleichtern. Margaret und Phillip suchten, wenn auch widerwillig, nach den Säcken mit Stroh, während sich die anderen, vor allem die Deutschen, daranmachten, das Holz vom Bach herbeizuschleppen und in Stücke zu brechen, um es dann im letzten Karren zu verstauen.

»Wonach orientieren Sie sich?«, fragte ich Lebœuf. Mein Hintern brannte wie die Hölle. »Sieht doch alles gleich aus in dieser Gegend.«

»Das ist einfach«, antwortete er selbstgefällig. Er hatte sogar ein Lächeln für mich übrig. Es tat ihm sichtlich gut, dass sich jemand nach seiner Arbeit erkundigte, und ich fühlte mich nicht ganz so hilflos, wenn ich wusste, was er vorhatte. Der Vorfall von heute morgen schien ihm nicht das Geringste ausgemacht zu haben, zumindest sprach er nicht darüber.

»Wir folgen immer dem Fluss auf Sichtweite bis zu den Great Falls, den Großen Fällen. Das ist unser Ziel. Bis Grizzly Gulch ist es von dort nur noch ein Katzensprung.« Sein Blick verfinsterte sich etwas, bevor er weitersprach.

»Aber vorher müssen wir nach Helena, der Weg nach Helena jedoch führt durch den Prickly Pear Canyon. Die Indianer nennen ihn auch den Wolf Creek Canyon. Sie benutzen ihn häufig. Eine verdammt üble Ecke.« Er zuckte mit der Schulter. »Fast unmöglich, dass wir nicht mit ihnen Bekanntschaft machen.«

Paul, der zugehört hatte, hörte auf das Schirrzeug zu überprüfen und sah mich an. Auch die Söhne Bodenhausens hielten irritiert inne.

»Sind die Indianer unsere Feinde?«

Die Stimme gehörte Carmen, die ihren Kopf aus einem der Wagen streckte.

Lebœuf grüßte sie, indem er mit den Fingerspitzen seiner rechten Hand seine Fellmütze leicht berührte, was Carmen mit einem kaum merklichen Nicken quittierte. Ich glaube, sie mochte ihn nicht sonderlich.

»Und ob sie das sind«, antwortete Lebœuf. »Wir haben alles, wovon die Schwarzfüße nachts träumen. Allein für eines von den Maultieren würden sie uns allen die Bäuche aufschlitzen; uns Männern, meine ich.«

Nun wurde auch Annemarie auf das Gespräch aufmerksam. Eine Handvoll Bruchholz auf den Armen und ihre beiden jüngsten Töchter im Schlepptau, trat sie näher.

»Und uns? Was tun sie den Frauen an? Etwa …?«

»Was wollen Sie hören?«, unterbrach sie Lebœuf schroff. »Eine Lüge oder die Wahrheit?«

Annemarie sah ihn einige Sekunden lang an und starrte dann resigniert und mit blassem Gesicht zu Boden.

»Das also.«

Mehr als ein Flüstern brachte sie kaum zustande. Vielleicht wollte sie auch nur nicht, dass ihre Töchter zu viel vom Gespräch mitbekamen. Beide waren erst zwölf.

Lebœuf nickte.

»Da können Sie Gift drauf nehmen. Wenn Sie Glück haben, schneiden sie euch danach die Kehlen durch, aber meistens eben nicht. Es wird wieder geschehen und wieder und nochmal, und dann seid ihr nur noch zum Arbeiten gut. Ihre alten Weiber werden euch schlagen, dabei zusehen, wie die Männer euch schänden und wie ihr euch Schwielen und Blasen an die Hände arbeitet, und dabei klatschen sie in ihre eigenen Hände und spucken auf euch. Und wenn ihr dann denkt, es könne schlimmer nicht mehr kommen, werden sie euch ...«

Das metallische Klicken eines Abzugshahnes in seinem Rücken ließ ihn innehalten.

»Hören Sie auf damit, und zwar sofort!«

Es war Kenneth. Er hatte eines der Gewehre, welches er nie benutzt hatte, auf den Rücken des Franzosen gerichtet. Von dort, wo ich stand, sah ich, dass seine Hände stark zitterten.

Lebœuf blinzelte ungläubig und versteifte sich dann plötzlich. Über seine Schulter hinweg sagte er gedehnt: »Sie haben gar nicht den Mut, einem Mann in den Rücken zu schießen. Aber auch wenn Sie dies wirklich vorhätten, würde ich Ihnen nicht die Zeit dazu lassen.«

Und dann geschah etwas, das sich bis heute meinem Vorstellungsvermögen entzieht. Lebœuf wirbelte blitzschnell im Sattel herum und zog im Bruchteil einer Sekunde beide Revolver. Bevor Kenneth auch nur mit der Wimper zucken konnte, blickte er in zwei schwarze Läufe.

Das Pferd – der Rappe, auf dem Lebœuf saß – hatte sich die ganze Zeit über nicht vom Fleck gerührt. Nun wackelte es mit den Ohren und schüttelte den Kopf. Obwohl es unsinnig klingt, war diese simple Bewegung für mich wie ein Weckruf. Ohne zu überlegen legte auch ich mein Gewehr auf Lebœuf an.

»Zwei gegen einen«, sagte ich und sah, wie er unmerklich im Sattel zusammenzuckte. »Wenn Sie abdrücken, Lebœuf, landen Sie mit der Nase voraus im Dreck, das schwöre ich.«

Mir war es todernst damit. Die Entfernung war viel zu gering, als dass ich vorbeischießen konnte, und das wusste auch Lebœuf. Seiner Mimik entnahm ich, dass er genau abwägte, wie dieses Spiel ausgehen könnte und wie seine Chancen standen, doch dann plötzlich lachte er. Ebenso schnell, wie er die Waffen gezogen hatte, verschwanden sie wieder in den Holstern. Er warf Kenneth und mir einen leicht amüsierten Blick zu, seine Augen hingegen blieben eisig. Mit einem Schulterzucken in Annemaries Richtung meinte er schließlich:

»Wenn man die Wahrheit nicht wissen will, sollte man nicht danach fragen.«

Es waren die letzten Worte, die wir an diesem Tag bis zum Nachtlager von ihm zu hören bekamen, denn er spornte seinen Rappen an und ritt einfach davon.

Erst zwei Stunden später erschien er wieder und gab das Zeichen zum Aufbruch. Er schien die Entscheidung getroffen zu haben, uns bis zum Erreichen des ersten Biwaks völlig zu ignorieren, was uns nur recht sein konnte. Nichtsdestotrotz teilte er die Nachtwache ein, machte Feuer und suchte die Umgebung des Biwaks nach Spuren ab, wobei er seine eigenen sorgsam wieder beseitigte, bevor er zum Lager zurückkam.

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