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Vorwort

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Die Corona-Pandemie hat die Weltgesellschaft radikaler als frühere Erschütterungen wie die Finanz- oder Flüchtlingskrise verunsichert. Trotz des als äußerst bedrohlich empfundenen Geschehens wurden übliche und religiös geprägte Deutungen kaum in die öffentliche Diskussion gebracht. Die Rede von einer göttlichen Strafe oder einem Werk des Teufels scheint unangemessen und auch unverständlich geworden zu sein. Die modernen Gesellschaften haben diese Narrative durch sachlich notwendige und wissenschaftlich begründete Handlungskonzepte ersetzt. Doch auch eine säkularisierte und säkulare Gesellschaft muss Beschreibungen finden, die den Bedrohungen, dem Unbekannten oder Unbewussten einen Namen geben und verhindern können, dass unbewältigte Konflikte in Krisen ausagiert werden und weitere Schäden verursachen.

Die staatlicherseits als Reaktion auf das Infektionsgeschehen vorgenommenen Maßnahmen griffen massiv in das Leben der Bürger ein, wurden jedoch vom größten Teil der Bevölkerung mit einer überraschend großen Gelassenheit hingenommen. Die Freiheit des Einzelnen stand in Konkurrenz zum Allgemeinwohl, und die modernen Gesellschaften standen vor der Frage, was sie als Freiheit verstehen und wie sie damit umgehen wollen. Ist es Freiheit, wenn sich die Bürgerinnen und Bürger scheinbar freiwillig in weiten Teilen den staatlichen Zwangsmaßnahmen fügen? Ist eine Sorgekultur entstanden, die eine ständige Unruhe und das reaktive Einrichten von Schutzmaßnahmen etabliert hat? Oder sucht das Subjekt in den Konstrukten der Wirklichkeit und des Sozialen nach den Möglichkeiten, die ihm als Freiheit zu etwas bleiben? Und ist Gelassenheit sowohl gegenüber den Folgen der Erkrankung als auch den Einschränkungen der Freiheit in solchen Krisenzeiten verantwortungslos? Dürfen radikale Maßnahmen ergriffen werden, bevor das Handeln ethisch begründet und die Konsequenzen realistisch abgeschätzt werden können? Und kann es Sonderrechte für einzelne Gruppen der Gesellschaft wie die Kirchen geben?

Es geht um alles, um Leben und Tod. Gelassenheit kann daher nicht passiv als ein Effekt von Entschleunigung verstanden werden. Sie ist nur dann verantwortlich, wenn sie aktiv eingeübt ist und in Krisen als eine wichtige Ressource zur Verfügung steht. Die Existenz betreffenden Fragen können nicht in übergroßer Angst vor dem Sterben oder enger Begrenzung durch Schutzmaßnahmen angegangen werden. Es ist ein Zurücktreten aus der Dramatik der Geschehnisse notwendig. Ein solcher Schritt ist lebensbejahend, weil er eine resignative Routine oder ein scheinbar chaotisches Handeln durchbricht und so nicht nur auf das nackte Leben verweist, sondern auf ein Überleben als Gestaltung des Lebens in besonders bedrohlichen Situationen. Freiheit kann so als „Verfügbarkeit für das Unwahrscheinliche“1 zu einer lebensmotivierenden Kraft werden.

Mit dem vorliegenden Buch soll das Wagstück einer ungesicherten Analyse eingegangen werden. Ausgangspunkt ist das Phänomen der Corona-Krise, das als eine Inszenierung verstanden wird, bei dem das Virus die Idee des Stückes vorgegeben hat und für die Regie unterschiedliche gesellschaftliche Trends und Dynamiken verantwortlich sind. Das Stück spielt vor allem auf der Bühne von Medizin und Pflege. Es scheint dabei ähnlich zuzugehen wie beim Schauspiel „Romeo und Julia“ von William Shakespeare: ein irres Verwirrspiel, Missverständnisse, Falschmeldungen, der Selbstmord der Protagonisten und die zu späte Einsicht der Eltern über ihre Mitschuld. Vielleicht ist die Inszenierung der Corona-Krise so aufschlussreich und anschaulich, dass wir, das Publikum, am Ende der Vorstellung und wenn der Vorhang gefallen ist, ein bisschen mehr verstanden und ein Verständnis von Freiheit gefunden haben, das uns das Leben weitestgehend so gestalten lässt, wie wir uns die Frage „Wie will ich leben?“ beantwortet haben.

Thomas Holtbernd

Verantwortliche Gelassenheit

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