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Der ewige Dude(n)

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Im Knast zwar Zwangsarbeit ebenfalls an der Tagesordnung, aber so verging wenigstens die Zeit ein wenig schneller. In meiner Freizeit, obwohl, Freizeit konnte man das ja eigentlich gar nicht nennen, schließlich war ich ja eingesperrt, also in meiner Unfreizeit, beschäftigte ich mich intensiv mit der deutschen Rechtschreibung und ihren Mißverständnissen. In der Schule hatte man uns das Ganze mit allerlei Eselsbrücken sowie Merksätzen beigebracht gehabt, wie zum Beispiel: "Vor einem t stehen nie zwei s." Oder auch: "Trenne nie st, denn es tut ihm weh." Davon war seit der neuen Rechtschreibung keine Rede mehr und ich verachtete jene Kultstußminister zutiefst, die nichts Besseres zu tun gehabt hatten, als ein ganzes Volk rechtschreibtechnisch betrachtet ins Chaos zu stürzen. "Der Duden ist an allem schuld", redete ich meinen Mithäftlingen ein und untermauerte meine These folgendermaßen: "Schon immer ist es der Duden gewesen, der so getan hat, als wäre er auserwählt und dazu berufen, uns zu erklären wie wir angeblich richtig schreiben sollen. Dabei handelt es sich jedoch um eine Anmaßung sondergleichen, denn das, was der Duden verbreitet, ist auch nichts weiter als die reine Willkür." Staunend betrachteten mich meine Mitgefangenen, bevor sie mich dann ordentlich verprügelten. Eines Tages wurde ich zum Gefängnisdirektor geschickt und der verlangte von mir: "Hören Sie endlich gefälligst damit auf, immer und überall gegen den Duden zu hetzen!" "Sie sind wohl selber einer von dem und stehen auf seiner Gehaltsliste", mutmaßte ich. Volltreffer, denn er lief feuerrot an und verwies mich sogleich seines Büros. Mir war klar, daß mein Kampf gegen den ewigen Duden vermutlich mein ganzes Leben lang dauern würde, von daher versuchte ich, so schnell wie möglich aus der Haft zu kommen, um in Freiheit gegen den großen Sprachverächter und Rechtschreibungsverschlimmbesserer, der mir meine Jugend total versaut hatte, vorgehen zu können.

Im Knast hatten wir unsere Haut selbstverständlich mit Haftcreme gepflegt gehabt, doch draußen in der wilden Zivilisation war es damit natürlich schnell wieder vorbei. Ich war oft und lange in sowie mit Zügen unterwegs, denn ein Auto konnte ich mir nicht leisten, so wie die Meisten. Dabei kam es ziemlich häufig vor, daß ich von Polizisten kontrolliert wurde, die meinen Ausweis sehen wollten und meine Daten zur Überprüfung weitergaben. Das hatte nichts mit meiner Gefängnisvergangenheit zu tun, sondern lag einzig und allein an meinem ausländischen Aussehen. Dabei rannten in Deutschland mittlerweile so viele echte Ausländer herum, die es sich wirklich zu kontrollieren gelohnt hätte, denn Viele von denen verdienten ihr Geld nicht nur auf legalen Wegen. Jedenfalls hatte ich irgendwann mal keinen Bock mehr darauf, in jedem größeren Bahnhof von zwei Polizisten angehalten und kontrolliert zu werden, weshalb ich mich zu einem Schönheitschirurgen begab. "Ich möchte gerne zu einem Deutschen umoperiert werden", ließ ich ihm gegenüber verlauten. "Tut mir leid, für so etwas bin ich nicht zuständig, da müßten sie schon zu einem Häßlichkeitschirurgen gehen. Außerdem sind Sie ja bereits Deutscher", fiel ihm nach einem Blick auf meinen Personalausweis auf. "Das stimmt zwar, hilft mir aber auch nicht weiter. Die Polizisten halten mich immer für einen Ausländer oder Terroristen, das nervt und demütigt mich ungemein." "Das verstehe ich ja, aber wie soll ich Sie zu einem Deutschen operieren, wenn Sie schon einer sind?" "Entfernen Sie einfach alles an mir, das irgendwie ausländisch anmutet!" forderte ich ihn auf. Mißtrauisch betrachtete er mich etwas genauer. "Nein, das macht keinen Sinn und ist viel zuviel Arbeit. An Ihrer Stelle würde ich mich lieber zu einem Ausländer umoperieren lassen, am besten zu einem Syrer, denn die kriegen in diesem Land alles was sie wollen", behauptete er und ich begann zu überlegen. Na ja, warum eigentlich nicht? Was hatte ich denn schon zu verlieren außer meine deutsche Nationalität? Andererseits war das ja irgendwie auch Betrug und ob mein BAMF mich als syrischen Flüchtling anerkennen würde, war noch mal eine ganz andere Frage. "Ich weiß nicht so recht, den Flüchtlingen geht es ja insgesamt betrachtet auch eher schlecht", gab ich zu bedenken. "Ach was! Für die ist das hier das Paradies", widersprach mir der Schönheitschirurg, der so häßlich war, daß ich mich ernsthaft fragte, ob er es sich nicht leisten konnte, sich von einem Kollegen operieren zu lassen, oder ob genau das bereits geschehen war. "Natürlich werde ich die ungemein interessanten Gespräche mit den Polizisten vermissen, aber ich habe wirklich Besseres zu tun, als mich in jeder zweiten Stadt, die ich aufsuche, kontrollieren zu lassen." "Passen Sie auf, die Sache ist ganz einfach: Wenn sich die CSU durchsetzt, dann kommen hier bald viel weniger Flüchtlinge ins Land und wenn nicht, dann bleibt alles so furchtbar wie es ist", erläuterte er und schenkte sich aus einer Flasche reinen Wein ein. "Die CSU wird sich bestimmt nicht durchsetzen. Außer sie koaliert mit der AfD, aber das würde auf Bundesebene auch nicht reichen", machte ich deutlich. "Dann bleibt der Partei nichts Anderes übrig, als Deutschland zu verlassen." Ich starrte ihn an. "Ja genau. Und dann am besten auch gleich noch aus der EU austreten", fügte ich hinzu. "Warum nicht? Bayern kann es zweifellos auch allein, davon bin ich felsenfest überzeugt." "Oder Bayern könnte sich mit Österreich zusammenschließen", schlug ich vor und war plötzlich hellwach. Eben noch hatte ich meine deutsche Nationalität beinahe eintauschen wollen, nun war auf einmal der Lokalpatriotismus in mir entbrannt, weshalb ich mit ihm in eine Kneipe ging, wo wir angeregt weiterdiskutierten. Er hielt nicht viel von einem Anschluß Bayerns an Österreich, aber ich ließ nicht locker. "Das wäre die absolut beste Lösung für alle Beteiligten. Weißt Du, Du häßlicher Vogel, ich war viele Jahre lang im Osten Deutschlands unterwegs gewesen. Klar, die Besserossis sind uns Jammerwessis haushoch überlegen, aber die sind total anders, die wollen nämlich arbeiten. Man stelle sich das mal vor! Und die im Norden sind auch total crazy drauf, diese liberalen Fischköpfe, die nichts gegen Zuwanderung haben, weil die Nordsee sie ja bekanntlich davor schützt. Bayern ist in Deutschland isoliert, ganz besonders seit in Baden-Württemberg die Grünen an der Macht sind. In Österreich dagegen sind die Leute fast genauso drauf wie in Bayern, von daher wäre so eine Wiedervereinigung ein völlig logisches und absolut gigantisches Ereignis!" schwärmte ich und er nickte zustimmend. Damit hatte ich mein Lebensthema gefunden. Endlich, nach so vielen Jahren des Nichtstuns und vor sich hin Gammelns war mir klar geworden, worauf ich in Zukunft all meine Anstrengungen konzentrieren wollte. Aber bevor ich damit beginnen konnte, für den Anschluß Bayerns an das große Österreich zu werben, in dem es selbstverständlich eine Obergrenze für Flüchtlinge gab, dachte ich erst noch einmal über mein bisheriges Leben nach, denn ich hatte einen langen und sehr beschwerlichen Weg zurückzulegen gehabt, bis ich dort angekommen war, wo ich seinerzeit nun endlich stand. Jetzt also ein Ausflug in die fernere Vergangenheit.

Mein BamF (Bedarf an möglichen Freiheiten)

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