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|20|II. Forschungsgeschichte

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Der Kriminalroman ist eine relativ junge Gattung, die – auch wenn man ihre Frühformen miteinbezieht – erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beginnt (vgl. Kap. IV.2). Konzentriert man sich auf den Kriminalroman als Teil der Massenkultur, dann existiert er erst seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts und zwar zunächst nur in seiner Untergattung Detektivroman. Während man im englischsprachigen Bereich eine seit Jahrzehnten aktive Forschung zur Kriminalliteratur auf höchsten Niveau betreibt, beginnt die ernstzunehmende literaturwissenschaftliche Erforschung des Kriminalromans in Deutschland, von einigen Ausnahmen abgesehen, auf die weiter unten eingegangen wird, erst in den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts und auch diese Anfänge sind sporadisch und werden von einzelnen Forschern, Kritikern und Autoren zumeist in Form von essayistischen Arbeiten bestritten. Eine Ausnahme hierzu bildet die schon seit Langem etablierte Forschung zu den „Criminalnovellen“ des 19. Jahrhunderts (Schiller: „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“, E. T. A. Hoffmann: „Das Fräulein von Scuderi“, Droste-Hülshoff: „Die Judenbuche“, Fontane: „Unterm Birnbaum“), die als Teil der hohen Literatur tradiert, in Schule und Universität gelesen werden und von der Germanistik als Teil des literarischen Kanons behandelt wurden (Freund 1980).

Umfänglichere Forschung zum Detektivroman

Insgesamt besteht bis heute ein eindeutiges Ungleichgewicht hinsichtlich der beiden Untergattungen des Kriminalromans: Es gibt so viele wissenschaftliche Arbeiten zur Detektiverzählung und zum Detektivroman, dass der irrtümliche Eindruck entstehen könnte, diese Untergattungen der Kriminalliteratur seien bis heute in der Gunst der Leserschaft dominant (Horsley 2010, 29;Pyrhönen 2010, 44). Erst mit der steigenden Popularität des Thrillers und seiner Mischformen (vgl. Kap. I.5) beginnt sich diese Situation zu ändern.

Phasen der Forschung

Überblicke zur Forschung im Bereich Kriminalliteratur teilen die Geschichte dieser Forschung in mehrere Phasen ein: Einer frühen Periode, die etwa von 1900 bis 1920 reicht, folgt die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der das kritische Interesse an dieser Art von Literatur stark nachlässt. In den sechziger Jahren erfolgt die Öffnung des Literaturbegriffs und ermutigt literaturwissenschaftliches Arbeiten zum Detektivroman und zu anderen vormals als minderwertig abqualifizierten Gattungen. Der Strukturalismus entdeckt die Detektivgeschichte als Forschungsgegenstand und macht sie für die Literaturwissenschaft salonfähig. In der dritten Phase während der siebziger und achtziger Jahre wendet man sich sozialhistorischen und ideologiekritischen Interpretationen des Kriminalromans zu, die oft die Gattung verurteilenden ideologiekritischen Untersuchungen werden aber auch schon selber wieder als einseitig und tendentiös kritisiert. Während der vierten Phase in den achtziger und neunziger Jahren erscheinen vermehrt feministische Kriminalromane |21|und solche, deren Handlung in einer multikulturellen und postkolonialen Welt angesiedelt sind. Die Forschung zum Kriminalroman wird zur gleichen Zeit diverser. Die herkömmlichen Arbeiten zur Gattungstheorie und -geschichte und zur Literatursoziologie werden ergänzt durch theoretische und methodische Ansätze, die aus den Bereichen Feminismus, gender studies, ethnic studies und Postkolonialismus kommen.

Die Frühphase

Die Arbeiten der frühen Periode, die etwa von 1900 bis 1920 reicht, sind zum einen apologetische Einlassungen, die das Lesen von Detektivgeschichten und -romanen rechtfertigen wollen. Man versucht, die Vorwürfe des fehlenden Realismus, der Priviligierung der Handlung vor der Charakterzeichnung, des Immoralismus und der Verderbnis vor allem jugendlicher und ungebildeter Leser und des weiblichen Lesepublikums zu entkräften. Paradigmatisch dafür stehen eine Reihe von Essays von Gilbert Keith Chesterton, in denen er u.a. Detektivgeschichten als „die früheste und einzige Form volkstümlicher Literatur […], in der sich ein gewisser Sinn für die Poesie des modernen Lebens [in der Großstadt] geltend macht“ charakterisiert (1971 [1902], 95–96). Außerdem werden seit den zwanziger Jahren auch erste Überlegungen zu den Konventionen der Detektivgeschichte von Literaturkritikern und vor allem von Autoren und Autorinnen von Detektivgeschichten und -romanen wie S.S. Van Dine und Dorothy Sayers geschrieben. Diese Arbeiten sind noch keine wissenschaftlichen Studien, es handelt sich um Essays für ein weiteres Publikum. Handlungsstrukturen und erzählerische Techniken stehen im Vordergrund und die Detektivgeschichte wird als Puzzle oder als literarisches Spiel begriffen (vgl. Kap. IV.3). Einige dieser Texte sind in Haycraft 1983 [1946] und in deutscher Übersetzung in Vogt 1971 abgedruckt. Im deutschen Sprachraum sind für diese Zeit besonders hervorzuheben die kurzen Aufsätze von Bertolt Brecht und Walter Benjamin, sowie der längere Essay Der Detektiv-Roman (1925) von Siegfried Kracauer. Brechts Aufsätze und Anmerkungen zum Kriminalroman sind von sehr unterschiedlicher Qualität und Aussagekraft (Vogt 2011). Am wichtigsten ist der bereits in Kapitel I.5 zitierte Aufsatz „Über die Popularität des Kriminalromans“ aus den Jahren 1938/1940 (in: Vogt 1998, 33–37), in dem Brecht noch heute aufschlussreiche Aussagen zur Poetik und Ästhetik, vor allem zum Wechselspiel von „Schema“ und „Variation“ im Detektivroman macht. Walter Benjamins knappe und verstreue Notizen über den Kriminalroman sind Teil seines Projektes einer theoretischen Durchdringung der Moderne und einer Analyse ihrer Ästhetik. Sein kurzer Aufsatz „Kriminalromane, auf Reisen“ von 1930 (in Vogt 1998, 23–24) charakterisiert das Lesen von Kriminalromanen während einer Eisenbahnfahrt als Mittel, die unheimlichen Ängste, die sich mit der Benutzung des modernen Transportmittels einstellen, zu neutralisieren. Siegfried Kracauers Studie Der Detektiv-Roman. Ein philosophischer Traktat (1979 [1925]) ist eine Abrechnung mit dem Detektivroman als „Zerrspiegel“ (10) der bürgerlichen Gesellschaft am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Der Detektivroman verkörpere in der Verherrlichung des Detektivs „die Idee der durchrationalisierten zivilisierten Gesellschaft, die sie mit radikaler Einseitigkeit erfassen und in der ästhetischen Brechung stilisiert verkörpern“ (9). Damit werde die Realität der modernen Gesellschaft vereinseitigend verfälscht, denn nach Kracauer ist es keineswegs zutreffend, dass sich die moderne Welt nur mit den Mitteln einer entfesselten |22|Rationalität erklären lässt. Der Detektivroman verbreitet in Kracauers Einschätzung also lediglich die Illusion einer Durchdringung der Welt mit rationalen Ordnungsmustern.

Die sechziger Jahre: Befreiung vom Stigma des Trivialen

In den sechziger Jahren kommt zum ersten Mal auch der Kriminalroman in den literaturwissenschaftlichen Blick, was dazu beiträgt, die Gattung in Ansätzen von Stigma des Trivialen zu befreien und differenziertere Beurteilungen zu ermöglichen, vor allem auf literatursoziologischem und wertungsästhetischem Gebiet (Schmidt-Henkel 1962). Die Essays und Arbeiten von Ernst Bloch (1960/1965, in: Vogt 1998, 38–51) Helmut Heißenbüttel (1963/1966, in: Vogt 1998. 111–120) und Richard Alewyn (1968/1971, in Vogt 1998, 52–72) widmen sich gattungsgeschichtlichen, poetischen und ästhetischen Fragen und initiieren Forschungsdiskussionen, die bis heute fortwirken. Durch diese Ansätze wird der Kriminalroman zwar nicht über Nacht zu einem anerkannten literaturwissenschaftlichen Forschungsgebiet (das wird er erst etwa dreißig Jahre später), aber die Anfänge sind gemacht. Der seit den fünfziger Jahren vor allem in Frankreich entwickelte Strukturalismus trägt dann weiter dazu bei, Detektivromane als Untersuchungsgegenstand wissenschaftlicher Literaturbetrachtung zu etablieren.

Die siebziger und achtziger Jahre: Sozialhistorische und ideologiekritische Interpretationen

Die literaturwissenschaftliche Methodendiskussion im Westdeutschland der siebziger Jahre resultiert in einer Zuwendung zu sozialhistorischen Ansätzen, die auch die Forschung zur Kriminalliteratur umfasst. Sozialgeschichtliche Studien wenden sich den Bereichen Literatur, Kriminalität, Kriminalistik, Publizistik und Rechtsgeschichte im 18. und 19. Jahrhundert in Deutschland zu und versuchen, durch interdisziplinär angelegte Arbeiten die Interaktion von Gesellschaftsgeschichte und Literatur zu erforschen (Schönert 1983, Schönert 1991). Dabei werden neben methodologischen und historischen Fragen auch die Traditionen literarischer und nichtliterarischer Genres wie der „Kriminalgeschichte“, der „Kriminalnovelle“, der Fallgeschichte oder der Gerichtsberichterstattung erforscht. In einem weiteren Band, dessen Beiträge wie die der Vorgängerbände im Rahmen des Forschungsprojekts „Sozialgeschichte der Literatur 1770–1900“ entstanden, wurde der Betrachtungszeitraum bis zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts erweitert (Linder/Ort 1999). In den siebziger und achtziger Jahren erscheinen neben sozialgeschichtlichen Studien zur Kriminalliteratur auch Untersuchungen, die die ideologischen Dimensionen dieser Texte kritisch hinterfragen. In diesen Arbeiten wird der Kriminalroman als diskursive Formation analysiert, die dazu beiträgt, die bestehenden Machtverhältnisse in den westlichen Staaten zu stabilisieren und abzulenken von den komplexen historischen Entstehungsbedingungen von Konzepten wie Kriminalität und Strafverfolgung (Knight 1980, Porter 1981, Miller 1988). Der frühe Versuch von Schulz-Buschhaus (1975), vor allem die Tradition des französischen Kriminalromans vor dem Hintergrund der Interaktion von Gattungsgeschichte und Ideologiekritik zu untersuchen, zeichnet sich durch eine differenzierende und im Rahmen der methodischen und theoretischen Vorgaben der Zeit ausgewogene Betrachtungsweise aus.

Die achtziger und neunziger Jahre

In den achtziger und neunziger Jahren werden neue Variationen des Kriminalromans geschrieben und popularisiert und auch die Forschungslandschaft verändert sich stark. Autorinnen wie Sue Grafton und Sara Paretsky entwickeln den aus weiblicher Sicht geschriebenen hard-boiled Roman, der |23|Frauenkrimi entsteht als Untergattung des Kriminalromans (vgl. Kap. IV.9) und Kriminalromane, die in einem multikulturellen Umfeld angesiedelt sind, erfahren eine starke Verbreitung. In der jetzt stark kulturwissenschaftlich orientierten Literaturwissenschaft, die auch in Deutschland stärker auf Impulse aus dem angloamerikanischen Sprachbereich eingeht, werden ethnische und klassenspezifische Probleme und Fragen der gender studies, außerdem postkolonialistische Fragestellungen immer wichtiger. Die parallel sich entwickelnden Interessen von Autoren und Autorinnen, Leserschaft und Forschungsansätzen führen dazu, dass die Forschung zum Kriminalroman in einer Fülle von Spezialuntersuchungen auf die neu aufgeworfenen Fragen reagiert. Dabei rücken der Thriller und seine Variationen gemäß ihrer inzwischen stark gestiegenen Popularität immer mehr in den Mittelpunkt des Interesses.

Später Beginn der literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Kriminalliteratur in Deutschland

Die Forschung zum Kriminalroman in Deutschland

In einem kurzen Überblick über die „Forschung zur Kriminalliteratur“ von 1978 monierte Gerd Eggloff, dass „Aufsätze von Außenseitern, oft addicts“, also Süchtigen (!), die Diskussion über die Gattung „dominieren“ (58). Eggloff ist zuzustimmen, wenn er darauf hinweist, dass der Kriminalroman von „der etablierten Literaturwissenschaft […] lange tabuiert [blieb]“ (59). Umso mehr muss man die Arbeit von nichtprofessionellen Lesern, von Sammlern und Fans der Kriminalliteratur schätzen, auch wenn diese Arbeiten nicht (immer) wissenschaftlichen Standards genügen mögen. Bibliographien zur Primärliteratur (gedruckt und online), Fan-Magazine und Informationen zu Neuerscheinungen (beide meist online, siehe Literaturverzeichnis) von kenntnisreichen außerakademischen Autoren sind wertvolle Hilfsmittel auch für die literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema.

Stand der Forschung in den siebziger Jahren und erste Gesamtdarstellungen

Nach einer vereinzelt bleibenden ersten Gesamtdarstellung zur englischen und amerikanischen Detektivliteratur, die allerdings als ein früher Meilenstein in der deutschen Forschung zur Detektivgeschichte und zum Detektivroman gelten muss (Wölcken 1953), wird die breitere literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Kriminalroman in Westdeutschland durch zwei Sammelbände initiiert, in denen Aufsätze zur Gattungstheorie und -geschichte der sechziger Jahre, ergänzt durch einige frühere essayistische Arbeiten zusammengestellt wurden (Vogt 1971, Neuausgabe 1998; Žmegač 1971). Die erste umfassende Einführung in die Gattung „Kriminalerzählung“ erschien 1972 (Marsch, 2. erw. Aufl. 1983). Edgar Marsch bietet einen umfassenden und informativen Überblick zur Theorie und Geschichte der Gattung und stellt heute noch lesenwerte typologische Überlegungen zum detektivischen Erzählschema an.

Aktualisierungen der Forschung zum Kriminalroman in den achtziger Jahren

Den neuen Entwicklungen auf dem Gebiet des Kriminalromans, nicht zuletzt auch im deutschsprachigen Bereich, tragen einige wichtige Publikationen der achtziger Jahre Rechnung. Schon 1978 allerdings hatte Hans-Otto Hügel seine bahnbrechende Studie zur Geschichte der deutschen Kriminalliteratur im 19. Jahrhundert vorgelegt, in der er zeigen konnte, dass die lange unkritisch wiederholte Redeweise von der fehlenden deutschen Tradition des detektivischen Erzählens auf mangelnder Kenntnis des breiten Textkorpus von deutschsprachigen Detektiverzählungen beruhte. Im gleichen Jahr erschien ein weiterer Sammelband, in dem nicht nur Aufsätze zum Neuen |24|deutschen Kriminalroman und zum Kriminalroman in der DDR abgedruckt wurden, sondern im dem auch Arbeiten über die internationale Krimiproduktion (Raymond Chandler, Patricia Highsmith, Georges Simenon, Leonardo Sciascia, Sjöwall/Wahlöö) vorgelegt wurden (Schütz 1978). Mit Ulrich Suerbaum hat 1984 ein ausgewiesener Kenner eine weitere Einführung und Überblicksdarstellung in den „Krimi“ vorgelegt. Mit Kapiteln zum Polizeikrimi, zum Thriller („Crime Novel“), zum neuen deutschen Kriminalroman und zum postmodernen Krimi (Der Name der Rose) hat Suerbaum auch solche Texte diskutiert, die zu dieser Zeit im deutschen Sprachraum noch wenig erforscht waren. Wiederum ein Sammelband, die Beiträge eines Kolloqiums der Evangelischen Akademie Loccum vereinigend, war es dann, der sich auschließlich dem neuen deutschen Kriminalroman widmete und eine kritische Bestandsaufnahme versuchte (Ermert/Gast 1985). Mit Beiträgen von Literaturwissenschaftlern, Autoren und Autorinnen, Kritikern und Vertretern aus dem Verlagswesen und mit Aufsätzen zum deutschen Krimi in den Massenmedien wurde ein breites Spektrum abgedeckt.

Überblicksdarstellungen und neue Ansätze der Forschung

Die Berührungspunkte des Kriminalromans mit Texten der deutschen „ernsten“ Literatur des 20. Jahrhunderts beleuchtet eine Anthologie aus dem Jahr 1993 (Düsing). Hier werden Romane von Jakob Wassermann, Ernst Jünger, Heimito von Doderer, Bertolt Brecht, Adolf Muschg, Peter Handke u.a. daraufhin untersucht, wie Erzählmuster des Kriminalromans in ihnen verwendet und variiert werden, nicht zuletzt mit dem Ziel, die narrativen und ideologischen Voraussetzungen des Kriminalromans kritisch zu reflektieren. Im Jahr 2004 erschienen zwei weitere Sammelbände, die zum Teil bereits Bekanntes aufbereiteten, zum Teil aber auch forschungsgeschichtliches Neuland betraten (Aspetsberger/Strigl 2004, Franceschini/Würmann 2004). Besonders der von Franceschini und Würmann herausgebene Band enthält Studien zu bis dahin wenig oder gar nicht erforschten Teilgebieten der Krimiforschung. Das eigentliche Thema der „Detektivliteratur“ ist nach Osterwalder die Auseinandersetzung mit dem Tod. Das gedankliche Zentrum ihres Ansatzes bilden „die Ähnlichkeiten zwischen psychoanalytischer Theorie und kriminalistischen Szenarien (223) und die Kulturtheorie Sigmund Freuds. Ihr sehr bedenkenswertes Ergebnis lautet, dass „das geheime Versprechen, mit dem die Detektivgeschichte die Leserschaft lockt, […] eine Darstellung des Todes, von der alle Trauer abgezogen ist“ sei (224). Der Grauzone zwischen Kriminalroman und Verbrechensliteratur wendet sich ein neuer Sammelband zu, in dessen Beiträgen die narrativen Strukturen der Gattung in der Weltliteratur von Sophokles über Dostojewskij und Camus bis Dürrenmatt, David Peace, Orhan Pamuk und Ian McEwan nachgewiesen werden (Thielking/Vogt 2014). Diese „Beinahekrimis“ werden somit zu „Hybridformen“ (7), in denen auf verschiedene Weisen die Gattungsmerkmale der Kriminalgeschichte mit denen anderer Gattungen kombiniert werden.

Zur Didaktik des Kriminalromans

Kriminalgeschichten und -romane sind fester Bestandteil der Lehrpläne für die Sekundarstufen I und II. Didaktische Handreichungen (Mayr 2013), Textsammlungen (Lange 1990, Lange 1998, Mittelberg 1999, Lange 2004) und Leseausgaben werden in reichem Umfang von den Schulbuchverlagen angeboten. Für das breite Angebot von Kinder- und Jugendkrimis in verschiedenen Medien wie Buch, Hörspiel, Bilderbuch, Film, Comic, Fernsehen und Computerspiel wurde eine kritische Übersicht erstellt (Josting/Stenzel |25|2002). Ein Themenheft der Zeitschrift Der Deutschunterricht nahm sich des „Krimi – international“ an und brachte Beiträge zum Krimi als globaler Gattung (Vogt/Richter 2007). Neuere Entwürfe der Trivialliteraturforschung, der Wertungsästhetik und der Literaturdidaktik fanden Berücksichtigung in einer Studie, die dem Kriminalroman im Deutschunterricht gewidmet ist (Wilczek 2007).

Die gegenwärtige Situation in der Forschung

Inzwischen ist der Kriminalroman Thema für Lehrveranstaltungen an Schulen und Universitäten und ein legitimer Forschungsgegenstand der Literaturwissenschaft geworden. Vor allem in neueren narratologischen und kulturwissenschaftlichen Forschungsansätzen zeigt sich eine Vielfalt von kritischen Perspektiven, von unterschiedlichen Forschungsinteressen und von methodischen Ansätzen (Vera Nünning 2008, Krajenbrink/Quinn 2009, Effron 2011, Nele Hoffmann 2012, Josef Hoffmann 2013). Im englischsprachigen Bereich liegt eine Fülle von neueren Einführungen und Überblicksdarstellungen vor (Knight 2004, Horsley 2005, Rzepka 2005, Scaggs 2005, Ascari 2007, Messent 2013). Dem zeitgenössischen deutschsprachigen Kriminalroman werden sogar englischsprachige Studien gewidmet (Kutch/Herzog 2014; Campbell/Guenther-Pal/Rützou Petersen 2014, 91–179), ein deutliches Zeichen dafür, dass Kriminalromane aus deutschsprachigen Ländern in der internationalen Szene mithalten können. In neueren Arbeiten zur Kriminalliteratur wendet man sich auch einer systematischen Erforschung der Anfänge des kriminalliterarischen Schreibens im weiten Sinne zu (Gladfelder 2001, Worthington 2005). Die wichtigsten neueren theoretischen Ansätze zur Analyse und Interpretation von Kriminalromanen werden im nächsten Kapitel vorgestellt.

Bibliographien

Hilfsmittel für das Studium von Kriminalromanen

Will man sich darüber informieren, welche Kriminalromane im deutschen Sprachraum erschienen sind, sei es als Originalausgaben oder in Übersetzung, dann kann man zu den Bibliographien von Walkhoff-Jordan (1985 und 1991), Kästner (2001) und Schädel (2006) greifen. Neuerscheinungen auf dem Gebiet der Kriminalliteratur und neue Sekundärliteratur werden vom Bonner Kriminal Archiv Sekundärliteratur (BoKAS) erfasst. Eine Auswahlbibliographie der deutschsprachigen Forschung zum Kriminalroman findet sich bei Przybilka 1998. Diese von engagierten Sammlern verfassten Bücherverzeichnisse genügen zwar nicht wissenschaftlichen Ansprüchen, bieten aber eine Fülle von Angaben zum Angebot des literarischen Marktes auf dem Gebiet des Kriminalromans. Neuere wissenschaftliche Bibliographien zur Sekundärliteratur mit deutlich geringerer Auswahl sind bei Hubin 1994;Vogt 1998, 553–565;Nusser 2009, 191–216 und bei Rzepka/Horsley 2010, 574–598 abgedruckt.

Fachzeitschriften

Wissenschaftliche Arbeiten zum Kriminalroman und zur Kriminalliteratur allgemein findet man heute in fast allen literatur- und kulturwissenschaftlichen Fachzeitschriften. Die „Zeitschrift für Literatur, Kunst und Kritik“ die horen veröffentlicht in unregelmäßigen Abständen Arbeiten zum Schwerpunkt Kriminalliteratur. Die einzige Fachzeitschrift, die ausschließlich dem Forschungsgebiet des Krimis in allen Medien gewidmet ist, ist das vierteljährlich |26|als Internetpublikation erscheinende Clues: A Journal of Detection. Hier findet man Beiträge zu allen Aspekten des internationalen Krimis und außerdem Rezensionen zu Neuerscheinungen auf dem Gebiet der crime fiction studies.

Rezensionen

Rezensionen zu wissenschaftlichen Arbeiten über den Kriminalroman finden sich in den einschlägigen Publikationen wie Arbitrium. Zeitschrift für Rezensionen zur germanistischen Literaturwissenschaft, Germanistik oder literaturkritik.de und vereinzelt auf den Internetseiten zum Krimi (siehe Literaturverzeichnis). Wer sich zu Neuerscheinungen auf den Gebieten Kriminalliteratur, Kriminalität, Kriminalistik, Kriminalgeschichte, Gewalt und Medien informieren will, sollte unbedingt regelmäßig den Fachteil „Kriminalität und Medien“ des IASL online konsultieren. Hier werden ausführliche Besprechungen zu neuen wissenschaftlichen Studien in den genannten Fachgebieten publiziert.

Handbücher und Autorenlexika

Der von Arnold und Schmidt herausgegebene Reclams Kriminalromanführer ist bereits älteren Datums (1978) und damit in Vielem überholt, bietet aber bis zum Jahr seines Erscheinens nützliche Informationen. Die Neuausgabe unter dem Titel Reclams Krimi-Lexikon von 2002 ist aufgrund vieler Mängel und fragwürdiger Entscheidungen des Herausgebers nicht zu empfehlen. Es gibt eine ganze Reihe von englischsprachigen Handbüchern zum Thema Kriminalliteratur. Zu den besten mit wissenschaftlichem Anspruch verfassten solchen „companions“ gehören The Oxford Companion to Crime and Mystery Writing (Herbert 1999) und A Companion to Crime Fiction (Rzepka/Horsley 2010). Eine umfassende, wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Geschichte des Kriminalromans gibt es zurzeit nicht. Erste Informationen zu deutschsprachige Autoren von Kriminalliteratur kann man bei Jockers/Jahn 2005 oder auf den Internetseiten von www.krimilexikon.de, www.kaliber38.de oder www.krimi-couch.de nachlesen. Über internationale Krimiautoren und -autorinnen kann man sich bei Flückinger 2005 informieren.

Bestenlisten

Regelmäßig erscheinende Bestenlisten von Kriminalromanen erleichtern es, bei der Fülle von Neuerscheinungen die Spreu vom Weizen zu trennen und die notwendige Auswahl für die eigenen Lektüre zu treffen. Solche Bestenlisten werden von überregionalen Tageszeitung (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Die Welt) und Wochenzeitungen (Die Zeit, der Freitag) angeboten. Zusätzlich werden in diesen Zeitungen und Zeitschriften Kritik-Kolumnen zum Kriminalroman, Extraseiten oder Beilagen veröffentlicht, die ebenfalls wichtige Neuerscheinungen vorstellen.

Krimi-Preise

Seit 1985 wird jährlich vom „Bochumer Krimi Archiv“ der „Deutsche Krimi Preis“ vergeben. Die Jury besteht aus Literaturwissenschaftlern, Kritikern und Buchhändlern. Ausgezeichnet werden jeweils drei Erstausgaben von deutschsprachigen Autoren und Autorinnen und drei Neuerscheinungen von Texten internationaler AutorInnen, die in deutscher Übersetzung veröffentlich wurden. Der Friedrich-Glauser-Preis wird seit 1987 jedes Jahr in mehreren Kategorien von der Autorenvereinigung deutschsprachiger Kriminalliteratur verliehen. Neben diesen beiden wichtigsten Preisen für Kriminalliteratur gibt es noch eine ganze Reihe weiterer, die jedoch nicht im gleichen Maße das Leseinteresse lenken und Autoren und Autorinnen auf dem literarischen Markt platzieren.

Einführung in den Kriminalroman

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