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Kapitel 6

K

aum waren die beiden Männer in der Diele, kam ihnen Kincaids Schwester entgegen. Ihr Gesicht war schneeweiß, und in ihren Augen flackerte das nackte Entsetzen. Mit taumelnden Schritten ging sie auf ihren Bruder zu.

»Kimberly!«, rief Kincaid. »Kimberly! Um Gottes willen! Was ist mit dir?«

»Tante Kathlyn!«, brachte sie mit erstickender Stimme heraus, als sie dicht vor ihm stand. »Oben!«

Dann brach sie zusammen.

Blake konnte die junge Frau gerade noch rechtzeitig mit den Armen auffangen, bevor sie vor ihnen auf den gefliesten Boden fiel. Vorsichtig trugen er und Kincaid die Ohnmächtige zur Sitzgarnitur und legten sie hin. Wie auf ein geheimes Kommando kreuzten sich dabei ihre Blicke, und schon hetzten sie die Treppe hinauf in das Obergeschoss.

Die Tür zum Schlafzimmer der Tante stand leicht offen. Durch den Spalt drang schwaches Licht. Es war totenstill in dem Raum. Blake konnte es nicht erklären, denn obgleich er keine Ahnung hatte, was vorgefallen war, fühlte er, wie ihm ein eisiger Schauer über den Rücken kroch.

Ohne weiter darüber nachzudenken war er mit einigen schnellen Schritten bei der Tür, stieß sie ganz auf und betrat das Zimmer.

Voller Entsetzen starrte er auf das Bett. Alles war mit Blut besudelt. Inmitten der zerwühlten Kissen lag die bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Leiche einer älteren Frau. Jemand hatte ihr die Arme und Beine buchstäblich aus den Gelenken gerissen. In grauenvoller Unordnung lagen sie neben dem Torso. Den Kopf hatte der Täter auf einen der Bettpfosten gesteckt. Die schrecklichen, verzerrten Gesichtszüge unter den blutverschmierten hellbraunen Haaren, hatten nichts Menschliches mehr an sich. Die Augenhöhlen waren leer. Wer auch immer das getan hatte, hatte ihr die Augäpfel herausgedrückt und fein säuberlich auf das weiße Zierdeckchen des Nachtschränkchens drapiert. Es schien Blake, als würden sie ihn in stummer, blickloser Qual ansehen.

Detective Chief Inspector Blake war mit den Jahren so einiges gewohnt, aber das was sich ihm in diesem Zimmer bot, gehörte mit zum Grauenhaftesten, was ihm je zu Gesicht gekommen war.

Ein jäher Schauer durchfuhr ihn bis zu den Fußspitzen. Ein Mensch, und sei er auch noch so abartig veranlagt, ein Mensch konnte dies hier nicht getan haben. Das war ein Werk, welches Blake bedenkenlos satanischem Wahnsinn zuschrieb. Die grässliche Tat musste schneller verrichtet worden sein als man für ein hastiges ›Our Father‹ gebraucht hätte. Blake musste seine ganze Willenskraft aufbieten, um angesichts dieses Bildes die erforderliche Ruhe zu bewahren.

Mit schnellen Schritten ging er zum Fenster. Es stand weit offen. Die frische Kühle nach dem Gewitter drang belebend in das Zimmer. Einer inneren Eingebung folgend besah er sich die Fensterbrüstung genauer.

Ohne Probleme erkannte er dieselben seltsamen Spuren wie im Fall Drummond, und obwohl er damit gerechnet hatte, kam ihm ein leiser Ausruf der Überraschung über die Lippen.

Nachdem er sich etwas gesammelt hatte, wandte er sich um. Jetzt musste er zunächst einmal dafür sorgen, dass die offizielle Untersuchung anlief.

Sein Blick richtete sich auf Anthony Kincaid. In dem wachsbleichen Gesicht des Privatgelehrten bewegte sich kein einziger Muskel. Nur in seinen Augen schien noch Leben zu sein. Tief in ihnen brannte es in verzehrender Glut.

»Was sagen Sie nun?« Er sah den Chief Inspector scharf an. »Ich sehe es Ihnen doch an, dass Sie einen Bezug zum Fall Drummond gezogen haben.«

»Das habe ich tatsächlich«, erwiderte Blake. »Und ja, ich glaube Ihnen, wenn Sie mir jetzt zu verstehen geben, dass dieser teuflische Unhold zugeschlagen hat.«

»Vermutlich soll ich das hier als Warnung verstehen!«, bemerkte Kincaid leise.

Blake warf einen Blick zum Bett mit den grausigen menschlichen Überresten.

»Ich habe auch einmal geglaubt, dass mich als Kriminalisten nur Fakten überzeugen können«, sagte er und schüttelte dabei leicht den Kopf, »aber das hier ist auch eine Tatsache!«

Anthony Kincaid wollte behutsam eine Decke über die verstümmelten Leichenteile auf dem Bett legen, wurde aber von Blake direkt zurückgehalten.

»Hier darf nichts verändert werden«, erklärte er ihm. »Ich werde die ›Fatal Accident Inquiry‹ und Doktor Witherspoon verständigen.« Dann fasste er den erschütterten Mann am Arm und zog ihn aus dem Zimmer. »Kommen Sie bitte mit hinunter! Ich werde alles Nötige veranlassen, damit Sie so schnell wie möglich von diesem Anblick erlöst werden.«

Als die beiden wieder das Wohnzimmer betraten, hatte sich Kimberly Kincaid bereits wieder aufgerichtet. Zitternd und völlig verstört hatte sie sich in die Sofaecke gekauert. Mit hastigen Zügen rauchte sie eine Zigarette. Ihre leeren Augen sahen durch ihren Bruder und den Chief Inspector hindurch. Sie nahm ihre Anwesenheit überhaupt nicht wahr.

Mit dem tief empfundenen Gefühl einer inneren Verbundenheit sah Blake die zarte Gestalt an. Er räusperte sich. Die junge Frau reagierte nicht.

»Miss Kincaid!«, sprach er sie leise an.

Sie schien ihn immer noch nicht wahrzunehmen. Erst als er dicht vor ihr stand und sie sanft an den Händen fasste, schaute sie zu ihm auf. In ihren Augen spiegelte sich noch immer das nackte Entsetzen.

Blake zog sein Apple Smartphone aus der Brusttasche seines Mantels und suchte eine Nummer heraus.

»Ich werde sofort einige Beamte zur Spurensicherung und den Polizeiarzt herbeordern.« Blake sah tröstend in ihr bleiches Gesicht. »Es wird bald vorüber sein.« Dann sah er zu Kincaid hinüber, der in einer finsteren, brütenden Haltung verharrte. »Wir werden uns noch eingehend über die Angelegenheit unterhalten müssen«

»Ich weiß«, kam es tonlos über seine Lippen, »ich weiß, Chief Inspector.«

»Für den Augenblick schlage ich vor, Sie arbeiten für Ihren Bereich einen Plan aus. Den müssen wir dann mit dem abstimmen, was ich von meiner Seite aus zu tun gedenke.« Blake fuhr sich mit einem Finger über seine buschigen Augenbrauen, wie er es immer tat, wenn er über etwas nachdachte. »Wir werden wohl abwarten müssen, bis unser Gegner, so es dann Ihrer Meinung nach Professor Helmsdale ist, einen Fehler macht, der uns auf seine Spur bringt. Ich hoffe sehr, dass wir schnell einen Ansatzpunkt bekommen. So wie es jetzt steht, sehe ich nicht, wie wir an ihn herankommen wollen.« Blakes Stimme wurde plötzlich hart und schneidend. »Aber eines garantiere ich! Wir werden ihm das Handwerk legen! Und mir ist es dabei völlig gleich, ob er über dämonische Fähigkeiten verfügt. Auch Teufel machen Fehler!«


Kreaturen der Nacht

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