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Die Cantrells warteten immer noch im Salon. Es handelte sich um einen hohen Raum mit einem dunklen Marmorkamin an einem Ende. Düstere, dunkle Familienportraits starrten von den Wänden herab. Der Rest des Zimmers war ein Widerspruch in sich. Die Sitzgruppe war mit hellem Chintz bezogen und es wirkte, als sei jemand großzügig durch den Salon gegangen, um Duncan Cantrells strengen Vorfahren den Vorteil einer modernen Einrichtung aufzuzeigen. Vor dem Kamin stand ein niedriger Couchtisch mit Einlegearbeiten, in der Ecke fand sich eine Messing-Bar auf Rädern – hinzu kamen farbige Lampenschirme, silberne und kristallene Aschenbecher. Links neben dem Kamin stand ein Ausziehtischchen mit aktuellen Journalen.

In einem alten Herrenhaus wie diesem hätte man eher Dinge aus Fisch- und Elfenbein und langsam vergilbender Spitze erwartet – etwas Staubiges, etwas Formales. Aber hier gab es nichts von alledem. Dafür gab es eine scharfe, adstringierende, trockene Sprödigkeit, die über den sechs wartenden Familienmitgliedern hing.

Selbst Hazel Cantrell, die Witwe des Toten, hatte es nicht geschafft die Stimmung der Tragödie einzufangen, die man von ihr erwartet hätte. Sie trug ein dunkelrotes Kleid mit hohem Spitzenkragen – ein Kleid, welches Sie oft trug, wenn im Salon eine Party stattfand. Auf eine eigentümliche Weise passte es zu den Lampenschirmen.

»Ich hätte wohl besser etwas Schwarzes tragen sollen«, stellte sie fest. Sie saß in einem Ohrensessel nahe dem Feuer. Ihre Hände flatterten in ihrem Schoß, wie sie immer flatterten. Es waren Hände, die nie einem anderen Zweck gedient hatten, als betrachtet und bewundert zu werden.

»Das ist doch Unsinn, meine Liebe«, bemerkte Elizabeth Evans, Hazels Schwester. »Du weißt sehr gut, dass Duncan es immer gehasst hat, wenn du etwas Schwarzes angezogen hast.« Elizabeth selbst trug schwarz, aber es war ein schwarz von modischer und auffallend erlesener Eleganz. Ihr weißes Haar war wie immer perfekt frisiert. Kleine Perlenohrstecker und eine dazu passende Kette vervollständigten das Bild einer äußerst vornehmen Dame von fünfundfünfzig Jahren, deren einzige Lebensaufgabe seit dreißig Jahren darin bestand den Haushalt der Familie Cantrell zu führen.

Hazel hatte keinen Kopf für die Listen der Lebensmittelhändler, Gehaltsverhandlungen mit Bediensteten oder das am Laufen halten eines Betriebes, das glatt und ohne einen ›Mechaniker‹ lief.

Abgesehen davon, dass Elizabeth all diese Aufgaben mit Leichtigkeit bewältigte, vermittelte sie zudem den Eindruck, mit all dem gar nichts zu tun zu haben.

Hazels drei Kinder schienen nicht sehr darauf bedacht zu sein, sie zu trösten. Ihr ältester Sohn Cedric stand mit dem Rücken zum Feuer. Er war dreißig Jahre alt, hatte schwarze Haare und einen kleinen schwarzen Schnurrbart, den er gekonnt an den Enden aufzwirbelte. Seine braunen Augen standen ein wenig auseinander und verbreiteten den Anschein fadenscheiniger Unschuld. Ein Ausdruck, der zu sagen schien: ›Trotz meiner Art und Weise, wie ich meine Kleidung trage und ein Kerl bin, der immer an den richtigen Orten mit den richtigen Leuten zu sehen ist, bin ich ein schüchterner, freundlicher und unerfahrener junger Mann.

»Ich wette, der alte Dr. Finch erzählt dem Inspector erstmal alles über uns, was er weiß«, behauptete Cedric Cantrell. Er nahm ein Etui aus der Tasche seines Anzuges, nahm eine filterlose Zigarette heraus und klopfte deren Ende gegen die Rückseite der Silberhülle, nachdem er sie geschlossen hatte. »Was würde ich wohl antworten, wenn man mich um ein Dossier über meine Familie bitten würde?«

»Was kann Dr. Finch schon über uns erzählen, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass er das macht?«, fragte Hazel.

»Der liebe Doktor«, spöttelte Cedric, »ist doch eine kleine, graue Maus … und nicht mehr! Völlig unbedeutend!«

»Wenn er mit dem Inspector spricht, dann tut er, was er für seine Pflicht hält, nicht mehr und nicht weniger«, ermahnte ihn Hazel. »Natürlich muss er sich irren, wenn er glaubt, dass …« Sie sprach den Rest nicht aus. Auch so wusste jeder, was sie meinte, während sie von einem zum anderen sah. Wieder flatterten ihre Hände.

»Wir sollten der Sache ins Gesicht sehen, Mutter«, mahnte Dorothy Cantrell. »Ich denke nicht, dass er falsch liegt.«

»Aber Dorothy, wie kannst du das nur sagen, meine Liebe? Ich meine …« Hilfesuchend sah sich Hazel um.

Dorothy saß wenig damenhaft auf der Couchlehne und ließ ein Bein baumeln, in ihrem grauen Kleid. Sie hatte hohe Wangenknochen, einen breiten Mund und dunkelbraunes, lockiges Haar, dass sie lehrerinnenhaft zu einem Dutt hochgesteckt hatte. Sie spielte mit einem Finger an ihrem Highball-Glas. »Jemand hat absichtlich dafür gesorgt, dass Vater bei seinem nächsten Anfall stirbt. Es hat funktioniert und damit ist es Mord! Warum also so tun, als ob? Wir alle leben hier und müssen uns der Tatsache stellen.«

»Also wirklich, Dorothy! Ich denke, zumindest für Mutter solltest du …«

»Um Gottes willen, Spencer!«, widersetzte sich Dorothy.

Spencer Cantrell saß neben seiner Frau Lucille auf der Couch und hielt ihre Hand sehr fest in der seinen. Spencer hatte nicht Cedrics Schick, was die Kleidung anbelangte. Er sah immer ein wenig ungepflegt aus. Seine Hornbrille gab ihm einen eulenhaften Ausdruck, der die Symmetrie seines Gesichts verwischte. Seine Augen waren blau wie die von Hazel. Seine Nase war gerade, perfekt geformt und genau richtig. Seine Stimme hatte nichts Besonderes an sich – sie war sanft und beruhigend.

»Dorothy hat recht, Liebling«, sagte Lucille zu ihrem Mann.

Hazel ließ Lucille nicht aus den Augen, während sie mit Spencer sprach.

»Es hat keinen Sinn, sich den Tatsachen zu entziehen«, beharrte Lucille weiter. »Wir lassen uns schon nicht unterkriegen!« Lucille war attraktiv, schlicht und einfach. Sie war nicht hübsch genug, um stundenlang an ihrer Schönheit zu arbeiten, aber auf ihre Art sehr weiblich. Die Männer mochten sie – sogar Cedric Cantrell.

Jeder im Salon wusste, dass Lucille recht hat. Sie mussten sich der Tatsache stellen.

***

Charles Finch: Die Karte des Todes

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