Читать книгу Der Tod und seine Sense - Thomas Seidl - Страница 3

Prolog

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Diese Geschichte beginnt in einer weit, weit entfernten Galaxie. Dort im All schwebt der Planet Turlunken, den drei Monde umkreisen, die synchron zu den drei Sonnen stehen. Auf dem Planeten selbst leben die unterschiedlichsten Gestalten: Menschen, Fabelwesen und viele, viele verschiedene Tierarten. Sie alle aufzuzählen, würde Jahre dauern. Die Bewohner von Eintorglauf, der Hauptstadt, denken, dass sie sehr fortschrittlich seien, denn sie haben das ausgeklügeltste Wassersystem auf ganz Turlunken. Auch der beste Waffenschmied lebt in der Hauptstadt. Er fertigt die besten Schwerter und die stärksten Rüstungen, die es gibt. Vor Kurzem hatten die Bewohner der Stadt eine Rattenplage abwehren können, und darauf waren sie besonders stolz, denn jeder in Eintorglauf erinnerte sich noch an die Hasenplage, die vor vielen Jahren fast das Ende von ganz Turlunken bedeutet hätte.

Allgegenwärtig ist auf Turlunken auch die Magie. Die Hauptstadt beheimatet nämlich die größte Magiergilde. In der Mitte der ringförmigen Stadt mit ihren schmalen Gassen und den aus Stein gebauten Häusern ragt ein hoher Turm zu den Monden und den Sonnen empor. Dort forschen die besten Magier des Landes nach neuen Zauberritualen oder bilden jüngere Magier aus, um diese das magische Handwerk zu lehren. So wird die Magiergilde niemals aussterben. Es herrscht dort eine strikte Hierarchie. Die Obersten der Gilde haben nicht nur das Sagen, sondern lenken das ganze Geschick von Turlunken. Natürlich wollen viele Menschen Magier werden, doch nicht alle sind dazu bestimmt. Darum ist es ein großes Privileg, wenn man dort aufgenommen wird. Aber längst nicht alle schaffen die Prüfungen zum Magier, denn es ist ein langer und steiniger Weg.

Der Tod, der immer eine schwarze Kutte trägt und nur aus Knochen besteht, ist ein ständiger Begleiter der Bewohner von Turlunken, denn jede einzelne Seele, deren Zeit gekommen ist, wird von ihm höchstpersönlich abgeholt. Aber auch der Tod hat seine Freizeit und spaziert oft einfach so durch die Gassen von Turlunken. Viele Leute haben große Angst vor ihm, obwohl er sich selbst als netter Geselle sieht. Aber er kann die Scheu der Menschen auch verstehen – immerhin müssen die von ihm abgeholten Seelen für immer im Jenseits bleiben. Dort ist der Tod auch zuhause und lebt in einem schwarzen Schloss. Aber da er im Jenseits nicht gerade viele Freunde hat, kommt er, so oft es geht, nach Turlunken.

Eines Tages hatte der Tod einen Auftrag im Wald vor der Stadt. Er sollte einen Jäger abholen, der von einem Bären angegriffen worden war. Langsam schritt der Tod zu dem Scheidenden. „Grüße! Ich bin der Tod. Ich bin hier, um dich abzuholen.“

Der Jäger schaute ihn entsetzt an. „Nein! Ich wollte doch nur ein Wildschwein jagen! Ich liebe Wildschweine, seit ich als Kind von meiner Großmutter Wildschweineintopf bekommen habe. Und seit damals bekomme ich jeden Tag aufs Neue Hunger auf Wildschwein. Oft gehe ich raus in den Wald und jage Wildschweine. Ich mag Wildschweinragout, Wildschwein am Spieß, Wildschweinkeule, Wildschwein paniert, Wildschwein tranchiert oder eben Wildschweineintopf. Egal, Hauptsache Wildschwein.“

Der Tod trat einen Schritt zurück und sah sich um. Wer sprach hier mit ihm? Der Jäger lag tot am Boden, aber vor ihm stand die Seele des Jägers, die mit ihm redete. Von einem Bären war weit und breit nichts zu sehen. Dann lehnte er seine Sense, die er immer bei sich trug, an einen Baum und zog aus seiner Kutte einen Topf.

„Wildschwein, Wildschwein!“, rief der Jäger mit Tränen in den Augen. Der Tod hatte doch wirklich ein Gefäß voller Wildschweineintopf bei sich! Äußerst gerührt, fragte er, ob dies für ihn sei.

„Natürlich!“, bejahte der Tod, denn er machte immer seine Hausaufgaben und kannte längst des Jägers Wildschweinvorliebe. Auf diese Weise konnte er dem Toten die Reise ins Jenseits erleichtern.

Sie hockten sich nebeneinander auf einen großen Stein, und der Tod gab dem Jäger seinen zweiten Löffel, damit sie gemeinsam den Wildschweineintopf essen konnten. Der Tod musste eigentlich gar nichts essen, aber immer wenn er auf Turlunken war, aß und trank er, denn, man mag es kaum glauben, er schmeckte, was er aß und trank, und das, obwohl er nur aus Knochen bestand. Er dachte immer, dies sei ein Phänomen von Turlunken, denn im Jenseits schmeckte er nichts. Darum freute er sich genauso wie der Jäger auf den Eintopf.

Als sie ihn fertig ausgelöffelt hatten, meinte der Tod: „Jäger, es ist Zeit zu gehen.“

Der Jäger war jetzt gar nicht mehr so traurig oder verängstigt und bereit für seine Reise.

Als sich der Tod umsah und gerade seine Sense nehmen wollte, erschrak er. „Wo ist meine Sense? Ich habe sie doch dort an den Baum gelehnt?“ Eifrig sah er sich um, aber er konnte sie nirgends finden. Als er sich wieder dem Jäger zuwandte, war dieser auf einmal auch verschwunden. Was geht hier denn vor?, dachte der Tod. Dann sah er gerade noch, wie der Leichnam des Jägers zwischen den Bäumen verschwand. „Wie ist das möglich!“, schrie der Tod laut.

Der Jäger war selbst verwirrt, freute sich aber über sein neu gewonnenes Leben. „Ich lebe, ich lebe!“, rief er immer und immer wieder und lief immer tiefer in den Wald hinein.

Der Tod konnte nur ungläubig hinterher sehen. Er war fassungslos. Was war hier nur geschehen? Dann sah er sich weiter um und versuchte erneut, seine Sense wiederzufinden. Stundenlang lief er durch den Wald, suchte hinter jedem Stein und bog alle Grashalme um, aber seine Sense blieb verschwunden. Er wusste, wenn er sie nicht finden würde, könnte das ein großes Durcheinander in Turlunken auslösen, denn nur er konnte die Toten holen, und wenn er dazu nicht mehr fähig war, dann könnte auch niemand mehr sterben, und dies würde ein Chaos verursachen.

Der gute Tod hatte aber ein noch größeres Problem: Er konnte nicht mehr ins Jenseits zurück, denn nur seine Sense verlieh ihm die Kraft, dies zu tun. Hm. Nachdenklich klapperte der Tod mit seinem Knochengerüst und überlegte. Je länger er dies aber tat, desto weniger Ideen kamen ihm, genau gesagt ? er hatte überhaupt noch keine!

Nach einer halben Stunde kam er zu dem Schluss, dass ihm irgendjemand seine Sense gestohlen haben musste. Also spazierte er mit langsamen, kleinen Schritten und gesenktem Haupt in Richtung Eintorglauf. Vielleicht hatte ja jemand dort die Sense gefunden und würde sie ihm einfach wiedergeben. Doch wirklich daran glauben konnte er nicht. Er wusste, wenn jemand einmal die Kraft der Sense kannte, würde er sie ihm niemals mehr übergeben.

Er schlich durch die engen Gassen von Eintorglauf und kam zur Kneipe „Der Zechpreller“. Da er nicht wusste, was er tun sollte, schlenderte er hinein und setzte sich dort an den Tresen. Es war eine heruntergekommene Spelunke, die schon bessere Tage gesehen hatte. Das Eichenholz, aus dem der Tresen, die Tische und die Stühle gezimmert waren, war spröde und benötigte dringend eine Sanierung. In der Ecke des Raumes saßen an einem Tisch mehrere Menschen, die einen Grog nach dem anderen kippten und ängstlich zu ihm herüberblickten.

Wahrscheinlich dachte jeder, dass vielleicht gerade seine Zeit gekommen war, aber niemand wusste ja, dass er, der Tod, im Moment niemanden holen konnte. Er sah den Wirt mit starrem Blick an. „Einen Grog, bitte!“

„Gern, Sir!“ Der Wirt schnaufte erleichtert durch. „Ich dachte schon, Sie wollten mich holen kommen!“

Kurz danach kippte sich der Tod den Grog in die Knochen. „Vorzüglich! Sie haben nicht zufällig jemanden mit einer Sense gesehen?“

„Außer Euch, Sir? Ach, Ihr habt ja Eure Sense gar nicht dabei!“, bemerkte der Wirt.

„Heute nicht, mein Freund! Aber ich bin auf der Suche danach. Ich habe sie verloren und ohne sie kann ich nicht mehr ins Jenseits zurückkehren“, erklärte der Tod mit leiser Stimme.

„Das tut mir aber leid! Ich hoffe, Ihr findet sie bald!“

Dann wandte sich der Tod vom Tresen ab, und seine Blicke schweiften durch die Kneipe. Im hinteren Eck sah er jemanden winken, so als wollte dieser, dass er zu ihm komme. Der Tod kam der Geste nach und bewegte sich zu dem Fremden.

„Setzt Euch“, forderte der Fremde den Tod auf. „Ich habe zufällig das Gespräch mit dem Wirt mitbekommen. Ihr findet also Eure Sense nicht mehr. Das könnte großes Unheil anrichten! Ich bin schon alt und darum habe ich auch keine Angst, von hier zu gehen. Die Sense soll Euch doch die Kraft verleihen, die Toten zu holen, aber so, wie ich es sehe, wird bald niemand mehr sterben können. Doch ich will von hier gehen, also hör zu, Tod! Es gibt eine Legende über einen Drachen, der durch Raum und Zeit reisen kann und jenseits von allem lebt, was wir kennen. Dorthin zu gelangen scheint unmöglich, aber das stimmt nicht. Ich habe ihn schon einmal gesehen. Ich war noch ein junger Mann und reiste durch ganz Turlunken. Ich wollte alles sehen von diesem Planeten, und mein Weg führte mich in die entlegensten Winkel. Aber dort war das Nichts. Es schien, als wäre dieses Land nicht auf Turlunken. Wie ich dort hingelangt bin, weiß ich nicht mehr, denn ich leide unter Vergesslichkeit. Ich vergesse Dinge, Orte und Namen. Doch ich weiß, dass es diesen einen Drachen gibt, und ich denke, er könnte der Schlüssel sein, um ins Jenseits zu reisen.“

Der Tod hörte die Worte und machte sich seine eigenen Gedanken darüber. Wenn es diesen Drachen wirklich gab, dann könnte er im Jenseits eine neue Sense schmieden, die Registriernummer ändern und so die alte Sense unbrauchbar machen. Dann könnte er seine Arbeit wieder aufnehmen. „Fremder, hast du irgendeine Ahnung, wer mehr über diesen Drachen wissen könnte?“, fragte der Tod nach.

Aber der Fremde starrte ihn ungläubig an. „Welcher Drache? Ich bin ein alter Mann und wer seid Ihr überhaupt?“

Der Tod blickte langsam nach unten. Dieser Fremde war wohl nicht mehr ganz bei Sinnen. Wahrscheinlich wäre er einer der Nächsten gewesen, die er holen hätte sollen. Dann stand er auf und verließ die Kneipe.

Vor der Tür lehnte er sich an einen Baum und dachte nach. Was tun? Diesem alten Mann, der unter Vergesslichkeit litt, glauben? Er schnaufte tief durch, als ihm jemand auf die Schulter klopfte.

Dieser Jemand trug einen spitzen großen Hut und hatte ein Kleid an, das komplett rot war. Kein helles Rot, eher so ein dunkleres Kirschrot. „Hal, Hal, Hallo, Herr Tod. Mei, mein Name ist Turf. Es, es tut mir leid, ich bin ein wenig nervös, denn jeden Tag spricht man ja nicht mit dem Tod, oder? Ich habe in der Kneipe das mit dem Drachen mitbekommen. Also, ich glaube, ich könnte Euch helfen, denn mein Meister, der schon gestorben ist, Gott möge ihn schützen, hat mir ein Buch mit einem einzigen Eintrag hinterlassen. Er suchte sein ganzes Leben nach diesem Drachen, und am Sterbebett übergab er mir dieses Buch und merkte an, dass es umso mehr preisgeben würde, je näher ich dem Drachen käme. Es ist ein verzaubertes Buch und, wie gesagt, es hat nur einen Eintrag, aber dieser ist ein Hinweis, wo der Drachen zu finden ist.“

„Gut, Turf. Dann gib mir das Buch, damit ich nach dem Drachen suchen kann.“

„Nein, nein! Das Buch ist an mich gebunden, also, nur wenn ich dem Drachen näherkomme, gibt es mehr preis. Euch würde das nichts helfen. Aber ich habe eine Idee. Wenn Ihr mir helft, meinen Obermagier über den Jordan zu schicken, dann werde ich mit Euch gehen und Euch bei der Suche helfen.“

„Aber, Junge!“, antwortete der Tod. „Ich kann doch nicht einfach Menschen sterben lassen, deren Zeit noch nicht gekommen ist.“

„Aber ... aber er will mich durch die Prüfung fallen lassen, die in zwei Wochen stattfindet, denn er hasst mich. Ich weiß nicht so genau, aber seit mein Meister gegangen ist, will er mich loswerden, denn er meint, ich hätte kein Talent und sollte niemals Magier werden. Aber seit ich ein kleines Kind war, will ich nichts anderes werden außer Magier. Ich bekam von meiner Mutter zu meinem sechsten Geburtstag einen Magierkoffer, damit konnte man Spielzeug zum Leben erwecken oder auch ein bisschen das Wetter ändern, wenn auch nur im eigenen Zuhause. Ja, genau, man konnte eine Wetterwolke herbeizaubern. Seit diesem Geschenk wollte ich nichts anderes mehr werden. Also bitte, Herr Tod, helft mir, denn wenn ich diese Prüfung nicht bestehe, werde ich aus der Magiergilde ausgeschlossen.“

Der Tod nahm ein riesiges Buch aus seiner Kutte hervor. „Wie lautet der Name?“

„Denodir Holsen. Er führt den Vorsitz bei der Prüfung und bestimmt mit zwei weiteren Magiern, wer Magier wird und wer nicht. Ich finde das allerdings nicht besonders fair, aber jeder muss sich seinem Urteil fügen.“

Der Tod blätterte durch das Buch und tippte mit dem Finger immer wieder auf verschiedene Zeilen im Buch. „Aha! Ich werde dir helfen, Junge, denn Denodir Holsen sollte in drei Wochen von mir geholt werden, aber das kann ich unter ein paar Berücksichtigungen eine Woche vorverlegen, sodass er einen Tag vor deiner Prüfung das Zeitliche segnen wird. Also, mein junger Magier, machen wir uns auf den Weg, den Drachen zu finden.“


Der Tod und seine Sense

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