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Kampf auf der Straße

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Das Freizeitvergnügen der Reichen stieß allerdings auf Widerstände, vor allem in ländlichen Gegenden. Die ersten Automobile verbreiteten Angst und Schrecken auf den Landstraßen. In seinen Erinnerungen berichtet Benz, wie „fremdartig“ das neue Gefährt auf Tiere und Menschen gewirkt haben muss:

„Die Pferde, die ihren neuen Konkurrenten wenig Liebe und Verständnis entgegenbrachten, scheuten und wollten auf und davon. Die Kinder sprangen, wenn der Wagen fremde Dörfer passierte, unter Schreien und Rufen: ‚Der Hexenkarren, der Hexenkarren!‘ in die Häuser, schlugen so rasch wie sie konnten die Haustüren hinter sich zu und verriegelten sie, wohl aus Angst vor bösen Geistern.“11

Manche versteckten sich sogar im Wald, bis der „Teufelsspuk“ vorüber war.

Auf den Straßen bewegten sich damals vor allem Fußgänger und Pferdefuhrwerke. Viele reagierten gereizt auf die rasenden Städter, die mit ihren knatternden Gefährten durch kleine Ortschaften preschten und dabei stinkende Staubwolken hinter sich herzogen. Die frühen Automobilisten hatten offenbar auch ihren Spaß daran, die Landbevölkerung zu schockieren. So notierte Eugen Diesel, der Sohn von Rudolf, in seinem Reisetagebuch mit spürbarem Vergnügen:

„Nein, was machten wir bei unserem Abschied aus Italien für einen Staub! … Das ganze Tal der Piave war dick eingenebelt, bis hoch zur Bergflanke lag eine weiße Wolke über dem Tale. Wir entsetzten die Fußgänger wie mit einem Gasangriff, ihre Gesichter verzerrten sich, und wir ließen sie zurück in einer formlos gewordenen Welt, in der weithin Feld und Baum unter einer trockenen Puderschicht alle Farbe verloren hatte.“12

Der Hass aufs Automobil mündete nicht selten in Handgreiflichkeiten, gegen die heutige Autodebatten geradezu harmlos wirken. Schon Carl Benz berichtete von fliegenden Schottersteinen, von Menschen am Straßenrand, die wütend die Fäuste ballten. Frühe Ratgeber empfahlen Autofahrern ganz ernsthaft, Peitschen mitzuführen, um damit auf das Auto zulaufende Kinder abzuwehren.13 Auch zwischen Dorfpolizisten und Autofahrern gab es immer wieder Auseinandersetzungen, vor allem nach Unfällen. Auch der Schriftsteller und Autoenthusiast Bierbaum machte auf seinen Fahrten nicht nur angenehme Erfahrungen:

„Nie in meinem Leben bin ich so viel verflucht worden, wie während meiner Automobilreise im Jahre 1902. Alle deutschen Dialekte von Berlin an über Dresden, Wien, München bis Bozen waren daran beteiligt und alle Mundarten des Italienischen von Trient bis nach Sorrent – gar nicht zu rechnen die stummen Flüche, als da sind: Fäuste schütteln, Zunge herausstrecken, die Hinterfront zeigen und anderes mehr.“14

Das Auto war der Eindringling auf den Straßen, und bald beherrschte es die anderen Verkehrsteilnehmer. Mit seiner überlegenen Geschwindigkeit drängte es sie an den Rand, wenn nicht sogar in den Straßengraben. Bevor das Auto die Herrschaft übernahm, waren die Straßen nicht nur Transportwege, sondern vor allem auch Lebensräume der Bevölkerung, wo Menschen flanierten und Kinder spielten. Schon das Fahrrad hatte zu ersten Konflikten um die Straßennutzung geführt. Doch mit der Verbreitung des Autos verschärfte sich der Kampf um die Frage, wem die Straße eigentlich gehört – den Anwohnern oder den Autofahrern. Zwar kochte immer wieder der Volkszorn hoch. Aber nur wenige stellten sich grundsätzlich gegen die Verbreitung des Automobils. Zu den Fortschrittskritikern zählte ein gewisser Michael Freiherr von Pidoll in Wien, der 1912 einen Protest und Weckruf veröffentlichte, in dem er das Recht der Allgemeinheit auf die Straßennutzung verteidigte:

„Woher nimmt der Automobilist das Recht, die Straße, wie er sich rühmt, zu ‚beherrschen‘, die doch keineswegs ihm, sondern der gesamten Bevölkerung gehört, diese auf Schritt und Tritt zu behindern und ihr ein Verhalten zu diktieren, das er nur auf den eigenen, privaten Wegen fordern dürfte? Die öffentliche Straße ist nun einmal nicht für den Expressverkehr bestimmt, sie gehört zum Milieu der Stadt. Sollen etwa die öffentlichen Straßen ‚menschenrein‘ gehalten werden?“15

Die Bevölkerung litt nicht nur unter Lärm und Staub, sondern auch unter der rücksichtslosen Raserei der Sportfahrer. Die Verkehrssicherheit beschäftigte schon in der Frühzeit des Autos die Politik, denn die frühen Autofahrer fuhren mehr oder weniger, wie sie wollten. So berichtete eine Automobil-Interpellation im preußischen Landtag 1908 von 2920 Unfällen innerhalb von sechs Monaten, ein Abgeordneter sprach von der „beispiellosen Rohheit“ der rasenden Automobilisten, die mit ihren „Sport- und Vergnügungswagen“ die Straßen unsicher machten:

„Die Herren schätzen den Wert ihrer Zeit denn zu hoch ein. Gerade die Landwege sind besonders gefährdet, und die Landbevölkerung ist über die Autler in höchstem Maße verbittert, zumal da diese sich, wenn sie etwas angerichtet haben, durch die Flucht der Verantwortung zu entziehen belieben.“16

Zwar beendeten die ersten Autogesetze, darunter Verkehrsvorschriften und Haftpflichtregeln, die gesetzlose Pionierzeit, um die Bevölkerung besser vor den „Tyrannen der Landstraße“ zu schützen. Doch der Siegeszug des Autos war nicht zu bremsen. Die Autobegeisterung beschränkte sich nicht mehr auf ein paar neureiche Abenteurer. Auch konservativere Schichten erkannten den Nutzen des Autos, darunter etwa viele Ärzte, die ihre Patienten besuchen wollten. Das Image des Autos wandelte sich. Um 1910 galt es nicht mehr nur als Sportgerät und Luxusvergnügen neureicher Abenteurer, sondern als durchaus vernünftiges Fortbewegungsmittel, zumindest für jene, die es sich leisten konnten; zugleich wurden die Autos selbst immer zuverlässiger und bequemer. Das Auto erschien immer mehr als das „eigentlich moderne, dem Leben im 20. Jahrhundert gemäße Verkehrsmittel“17.

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