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ERSTES KAPITEL

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Die Bedeutung der Worte »Seiendes« und »Wesen«. Die verschiedenen Bezeichnungen für das Wesen.

(3) Man muss wissen, dass, wie der Philosoph* im fünften Buch der Metaphysik sagt, »Seiendes« von ihm in doppeltem Sinn gebraucht wird: In einem Sinn ist es das, was durch die zehn Kategorien eingeteilt wird. Im anderen das, was die Wahrheit von Sätzen bezeichnet. Der Unterschied zwischen beiden ist der, dass im zweiten Sinn seiend alles das genannt werden kann, worüber eine affirmative Aussage möglich ist, auch wenn dadurch nichts an sich Bestehendes gesetzt wird: In diesem Sinne werden auch Mängel und Verneinungen seiend genannt; denn wir sagen, die Bejahung ist der Verneinung entgegengesetzt und die Blindheit ist im Auge. Aber im ersten Sinn kann nur etwas seiend genannt werden, womit etwas an sich Bestehendes gesetzt wird. In diesem ersten Sinn also ist Blindheit und dergleichen nichts Seiendes.

(4) Die Bezeichnung Wesen wird demnach nicht von dem Seienden im zweiten Sinn hergenommen; denn in diesem Sinn wird manches seiend genannt, was kein Wesen hat, wie es bei den Privationen offenbar ist; sondern Wesen wird von dem Seienden im ersten Sinn hergenommen. Darum sagt der Kommentator* an derselben Stelle: Seiend im ersten Sinn wird genannt, was das Wesen eines Dinges bezeichnet. Und weil, wie gesagt, das Seiende in diesem Sinn durch die zehn Kategorien eingeteilt wird, muss das Wesen etwas allen Naturen, durch die die Mannigfaltigkeit des Seienden in verschiedenen Gattungen und Arten gesammelt wird, Gemeinsames sein, wie die Menschlichkeit das Wesen des Menschen ist: und so bei anderen.

(5) Und weil das, wodurch ein Ding in seiner eigentümlichen Gattung oder Art konstituiert wird, das ist, was wir durch die Definition bezeichnen, die angibt, was das Ding ist; daher kommt es, dass die Bezeichnung Wesen von dem Philosophen in die Bezeichnung Washeit umgewandelt wird. Und das ist es, was der Philosoph im siebten Buch der Metaphysik** häufig nennt »was es war (zu) sein«, das heißt das, wodurch etwas ein Wassein hat. Es wird auch Form genannt, sofern durch die Form die Vollkommenheit oder die Bestimmtheit einer Sache bezeichnet wird, wie Avicenna im zweiten Buch seiner Metaphysik sagt. Dies wird auch mit einem anderen Namen als Natur bezeichnet, wenn man Natur in der ersten von jenen vier Bedeutungen nimmt, die Boethius (in der Schrift) Über die beiden Naturen aufstellt, in dem Sinn nämlich, wonach Natur genannt wird, was auf irgendeine Weise mit dem Erkenntnisvermögen erfasst werden kann: Denn erkennbar ist ein Ding nur durch seine Definition und sein Wesen. Und so sagt auch der Philosoph im fünften Buch der Metaphysik, dass jede Substanz eine Natur ist. Das Wort Natur aber, in diesem Sinne genommen, scheint das Wesen des Dinges zu bezeichnen, sofern es eine gesetzliche Beziehung und Hinordnung auf das eigentümliche Wirken des Dinges hat, da kein Ding ohne eigentümliches Wirken ist. Das Wort »Quiddität« aber ist von dem hergenommen, was durch die Definition bezeichnet wird: das Wesen jedoch daher, dass durch es und in ihm das Ding ein Sein hat.

Den Substanzen kommt das Wesen im eigentlichen Sinne zu, den Akzidentien nur in gewisser Hinsicht. Die Wesen der einfachen Substanzen sind höheren Ranges als die der zusammengesetzten. Verschiedene Beweisgründe dafür, dass das Wesen der zusammengesetzten Substanz nicht Materie, nicht Form noch irgendeine gedachte Beziehung zwischen ihnen oder ein zu dem Zusammengesetzten Hinzukommendes, sondern das Zusammengesetzte selbst ist.

(6) Weil aber das Sein absolut und in erster Linie von den Substanzen ausgesagt wird und erst in zweiter Linie und in gewisser Hinsicht von den Akzidentien, daher kommt es, dass das Wesen in eigentlichem Sinn und wahrhaft in den Substanzen ist: in den Akzidentien aber in gewisser Weise und in gewisser Hinsicht.

(7) Von den Substanzen aber sind einige einfach und einige zusammengesetzt, und in beiden ist ein Wesen: in den einfachen aber auf wahrere und höhere Weise, darum weil sie ein höheres Sein haben und auch die Ursache des Zusammengesetzten sind, zum Mindesten die erste und einfache Substanz, welche Gott ist. Doch weil die Wesen dieser Substanzen uns verborgener sind, darum wollen wir mit den Wesen der zusammengesetzten Dinge anfangen, damit die Unterweisung, vom Leichteren ausgehend, angemessener werde.

*)Damit meint Thomas immer Aristoteles; B.K.

*)Mit »Kommentator« meint Thomas immer Averroes (Ibn Rushd); B.K.

**)Diese Stellenangabe fügt Edith Stein dem lateinischen Text hinzu, in dem es schlicht »häufig« heißt; B.K.

Über das Seiende und das Wesen

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