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Die Gegner schlafen auch mal
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Dietmar Dath wurde 1970 in der Nähe von Freiburg im Breisgau geboren. Der Science-Fiction-, Horror- und Heavy-Metal-Fan hat nie einen Hehl aus seinen marxistischen Überzeugungen und seiner Bewunderung für das politische Denken Lenins gemacht. Er war Chefredakteur der Musikzeitschrift Spex (1998 – 2000) und Redakteur der FAZ (2001 – 2007). Sein Roman »Die Abschaffung der Arten« stand 2008 auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis.
Ein Gespräch über Klassenkampf, Planwirtschaft, Lenin und Rosa Luxemburg.
Vielleicht sind Sie zurzeit der einzige Marxist unter den deutschen Schriftstellern. Welche Texte von Marx haben für Sie eine besondere Bedeutung?
Unverzichtbar finde ich die Feuerbachthesen, also dass es auf die Praxis ankommt. Am zweitwichtigsten ist die Klassengeschichte, also dass es eine Rolle spielt, wo ich im gesellschaftlichen Produktionsprozess stehe. Ich muss eine Praxis haben, und die spielt sich zwischen Gruppen ab, die in einem antagonistischen Widerspruch zueinander stehen, also Klassen. Im Vergleich dazu halte ich die Krisentheorie für verzichtbar. Die kann ich auch von einem bürgerlichen oder keynesianischen Standpunkt aus haben. Ich habe gerade ein Gespräch zwischen dem Schriftsteller H. G. Wells und Stalin über den New Deal gelesen. Wells hat im Juni 1934 eine ausgedehnte Welttournee hinter sich und erzählt, dass die Amerikaner sich ja jetzt auch langsam in Richtung Sozialismus bewegen. Stalin sagt: Alles gut und schön, aber sie werden niemals die Eigentumsverhältnisse ändern. Sie werden niemals etwas machen, was die Situation ändert, die das heraufbeschworen hat, was sie jetzt pflastern wollen. Insofern ist das so sinnlos wie Dem-eigenen-Schwanz-Hinterherrennen. Wells meint, dass doch alle etwas davon haben, wenn das marode System geflickt wird. An dieser Stelle bringt Stalin den Klassenstandpunkt rein und sagt: Einige hätten eben nichts davon, wenn das Ding grundlegend geändert wird, und das sind die, die am Steuer sitzen. Deshalb wird nichts passieren. Das hat damals gestimmt. Wäre ich noch bei der FAZ, hätte ich sicherlich eine schöne Glosse daraus machen können, wie H. G. Wells und Stalin sich über Obama unterhalten.
Keynes führt nicht weit genug. Aber ist zurzeit nicht eher zu wünschen, dass Obama überhaupt so weit kommt?
Keynes funktioniert am besten mit nacktem Imperialismus, mit Kriegswirtschaft. Deshalb wird mir jedes Mal mulmig, wenn Leute sagen, das sei die Lösung. Krankenhäuser-Bauen ist nur ein Teil dieses Ansatzes. Der viel effektivere Teil ist: Wir bauen Mordmaschinen. Die werden abgeschossen, und man baut mehr.
Was hat der Staat für Aufgaben im Kapitalismus? Im Grunde Polizeiaufgaben, und: die Märkte nach außen sichern. Er tritt als ideeller Gesamtknüppel auf. Wenn man diesem Staat sagt: Jetzt kannst du mal richtig in deine Rechte treten und eine gesamtgesellschaftliche Lösung anbieten, gibt es wahrscheinlich nicht mehr Schulen, sondern mehr Kloppe.
Sie treten für eine sozialistische Gesellschaft ein, in der die Wirtschaft demokratisch kontrolliert wird. Was sind die besten Argumente für die Planwirtschaft?
Das erste ist: Es wird schon geplant. Nur eben von ein paar Leuten, die aus Geld mehr Geld machen wollen. Die Vorstellung, dass einfach so drauflosproduziert wird, ist doch totaler Quatsch. Es gibt für alles, was man will, wenn man Planwirtschaft will, bereits Stummelformen. Die sind entlang von so etwas wie Marktforschung organisiert. Sie nennen das: die Märkte vorbereiten.
Wenn so ein Plan im Kapitalismus dann nicht funktioniert, wird sichergestellt, dass die Gearschten die Zeche zahlen. Nehmen wir die Privatisierung des öffentlichen Verkehrs. Ein Unternehmen plant die Schließung bestimmter Strecken oder Haltestellen, die sich nicht rentieren, weil da zu wenig Leute stehen. Diese Leute wollen aber irgendwohin. Jemand muss den Transport bezahlen. In diesem Fall: die Leute selber. Es wird für den Bahnbesitzer profitabler, aber gesamtgesellschaftlich gesehen kostet es nicht weniger.
Das zweite Argument ist die Entwicklung der Produktivkräfte. Ein Argument gegen die Planwirtschaft war lange ihre Schwerfälligkeit. Heute sind die Intervalle, in denen sich die Produktion umstellen lässt, sehr kurz. Selbst Autos werden on demand bestellt. Die schwersten Schwerprodukte können kurzfristig umgebaut und geliefert werden.
Hat die Planwirtschaft nicht gerade erst die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten ruiniert?
Es wird gerne gesagt: Im Ostblock gab es keine Südfrüchte, keine Glühbirnen – das war eine Misswirtschaft, in der alles schiefging. Da ist zu fragen: Unter welchen Bedingungen – Produktivkräfte, Verkehrswesen und so weiter – wurde diese Wirtschaft entwickelt? Wenn man sich die Jahre 1920 bis 1935 anschaut, ist diese Leistung enorm. Man kann sagen: Das ist mit der Knute erreicht worden. Aber wenn ich den Kapitalismus mit seiner ursprünglichen Akkumulation auf dem Kreuz hätte, die wirklich mit einer harten Knute durchgezogen wurde, wäre ich ganz vorsichtig mit der Einschätzung, was Modernisierung kostet. Das ist alles nicht schön. Mitdem-Finger-Zeigen ist verboten.
Der zweite Punkt ist: Unter den Bedingungen eines Weltmarktes mussten eine Planwirtschaft und eine chaotische Profitwirtschaft miteinander in Verkehr treten, weil es nicht alles überall gibt. Da frage ich: Wem geht schneller die Puste aus, dem Chaoten oder dem, der mit dem Chaoten zu handeln versucht? Außerdem kann der Chaot den von ihm Abhängigen jederzeit sagen: Wenn ihr nicht macht, was ich Chaotisches von euch will, verliert ihr eure Wohnung und so weiter. Das kann der verlässliche Aktenkoffermensch, der mit ihm verhandelt, nicht. Da gucken wir mal, wer wen fertigmacht.
Weil die DDR-Wirtschaft zu unproduktiv war, wollte Walter Ulbricht sie in den Sechzigern etwas kapitalistischer einrichten. Moskau hat sich das verbeten.
Ich glaube in der Tat, dass jede Sternstunde und jede Blamage der DDR damit zusammenhängt, wie viel Spielraum ihr von den Russen gelassen wurde. Unabhängig von der Qualität der einzelnen Initiativen Ulbrichts nötigt es mir Respekt ab, dass er völlig klar gesehen hat, dass sein Spielraum über Nacht zusammenschnurren kann. Ob das Honecker noch klar war, weiß ich nicht.
Wenn Stalin ein gutes Angebot bekommen hätte, den DDR-Kram zu verkaufen, hätte er es gemacht. Er hat kein gutes Angebot bekommen. Gorbatschow hat dann irgendwann das bekommen, was er für ein gutes Angebot hielt. Ob es das war, wird er wahrscheinlich heute noch nicht wissen. Aber seinen Kopf sollten wir uns auch nicht zerbrechen.
Ulbricht hat einfach gesagt: Wir haben jetzt die DDR; ich weiß nicht, ob wir sie behalten können, aber wir versuchen, es so gut wie möglich zu machen.
Der Wettstreit zwischen Plan- und Privatwirtschaft war mit Ulbrichts Absetzung entschieden.
Ich finde es idealistisch zu sagen: Das war ein Wettstreit zwischen Plan- und Marktwirtschaft. Es war ein Wettstreit zwischen vielen Dingen, zum Beispiel einem halbfeudalen Land, das plötzlich Industriestaat geworden war, und einem riesigen Inselkontinent, der niemals einen Weltkrieg auf eigenem Boden erlebt hatte. Wenn wir früher das Würfelspiel »Axis & Allies« gespielt haben, das den Zweiten Weltkrieg simuliert, wurde jedes Mal klar: Die Amerikaner brauchen wahnsinnig lange, bis sie überhaupt in den Krieg reinkommen. Sie müssen erst das ganze Material produzieren und über den Ozean schaffen. Das hat den Nachteil, dass sie sich erst spät einmischen können. Und den Vorteil, dass sie jetzt nur noch zu gewinnen brauchen, während alles andere schon komplett in Scherben liegt.
Ein Systemkrieg zwischen zwei real existierenden historischen Entitäten ist etwas ganz anderes, als zwei Ideen gegeneinander auszutesten. Historische Fragen sind historisch, programmatische sind programmatisch.
Wo sollte politische Agitation heute ansetzen?
Jetzt können sich noch ein paar Leute an die Bonbons aus den Tagen der Systemkonfrontation erinnern: die Schaufenster des Westens, das Sozialsystem. Das soll nicht mehr praktikabel sein. Man soll sich das nicht mehr leisten können. Einige verstehen das einfach nicht. Obwohl auf Vollgas gebrüllt wird, damit sie es verstehen. Solange sie es nicht tun, sind sie schlauer als die, die es ihnen erklären wollen. Wenn sie verstanden haben, haben wir Byzanz. Gläubige Menschen.
Dauernd schlagen einem heute Naturargumente entgegen. Für alle Annehmlichkeiten, die man noch aus dem alten Sozialstaat-Ding kennt, wird einem gesagt: Es sind jetzt aber nicht genug Höhlen da. Darauf ist zu sagen: Die Höhlen kann man graben. Das ist im Grunde der Wettkampf gegen die Thatcher-Idee »Es gibt keine Gesellschaft«. Wenn es aber doch eine gibt, kann sie überlegen, was sie für eine sein will.
Man muss die Leute daran erinnern: Was habt ihr alles nicht, und was steht dem im Weg, dass ihr es bekommt? Dann muss man Namen nennen; muss sagen, wer die Leute sind, die öffentliches Eigentum verscherbeln; wer die Leute sind, die es kaufen, und was das für Folgen hat.
Wenn ich mich mit jemandem unterhalte, der sagt: Ich bin digitale Bohème, ich bin frei – das wäre ja mal so ein ganz zäher Widerstand gegen diesen langweiligen Sozialismus. Dann würde ich sagen: Was machst du, wenn du krank bist? Er würde erwidern: Dann bin ich ja selber schuld. Dem würde ich entgegnen: Das glaube ich nicht, weil … und ihm davon erzählen, wann man die Idee der Krankenkasse hatte. Ich würde ihm erklären: Deine Freiheit, von der du glaubst, sie sei neu und kommt vom Laptop, die gab es immer. Früher hieß das halt Tagelöhner.
Es wird soundso viele geben, die das nicht überzeugt. Das sind mit ziemlicher Sicherheit diejenigen, deren Auftragslage gerade noch ganz okay ist. Aber es kann nicht die Auftragslage aller okay sein. Die alte Massenloyalität gegenüber dem Kapitalismus kommt doch von dem Gedanken: Wenn ich mich mit dem System hier nicht anlege, bin ich immer noch gut dabei. Der Übermut derer, die sich für die Gewinner halten, hat dazu geführt, dass dieses Argument ein bisschen schlechter sticht als vor zwanzig, dreißig Jahren.
Seitdem ist die Ausdifferenzierung oder Atomisierung der Gesellschaft weit vorangeschritten.
Ich sehe als Fluchtpunkt auch so eine Mittelaltersituation: Jeder feudal abhängige Bauer ist unzufrieden, aber daraus folgt halt nichts. Ich merke, dass ich wie ein Optimist klinge, wenn ich sage: Man muss, man sollte und ich finde, dass man … Aber die Alternative ist zu sagen: Das hat eh keinen Wert. Darüber lohnt es sich nicht zu reden. Dann haben wir ein Interview, das einen Satz lang ist.
Die Wahrscheinlichkeit der Revolution ist nicht sehr hoch, aber wenn sie klappt, ist alles gut oder jedenfalls interessant. Ich tue also so, als wären die Dinge sehr viel besser, als sie sind, weil es nichts Blöderes gibt, als hinterher festzustellen: Es sah viel besser aus, ist jetzt aber verschenkt. Ungerechtfertigter Pessimismus führt zu echter Reue. Da geht es einem wie vielleicht ein paar Überlebenden aus der KPdSU im Jahr 1994.
Ich finde, das wichtigste Argument für eine Systemänderung ist das bestehende System selbst. Im Grunde gibt es immer zwei Fragen: Ist es schlecht und ist etwas anderes überhaupt vorstellbar? Wenn sich das mit Ja beantworten lässt, ist der Rest kein Fahrplan, sondern ein Prozess. Dann fangen wir heute an, und alles andere wird sich im Verlauf des Kampfes herausstellen.
Ein schönes Beispiel ist diese Existenzgeldgeschichte. Es wird eine Debatte ausgelöst und dann geben sich die Leute zu erkennen, die so dermaßen dagegen sind, dass du dich irgendwann fragst: Wieso eigentlich? Der Kampf, der von jeder neuen Forderung ausgelöst wird, ist wichtig. Dabei lernen die Leute etwas. Das politisiert Menschen.
Wenn du mit Leuten etwas zusammen machen willst, zum Beispiel eine Zeitschrift, gibt es selbstverständlich immer gleich 500 Argumente, warum es schiefgehen kann. Jeder Weg ist eine potenzielle Sackgasse. Die Leute machen es trotzdem ständig wieder. Erstens, weil sie es wollen und sagen: Wir werfen die Flinte nicht ins Korn, wenn wir auf Widerstände stoßen. Zweitens, weil sie es optimieren, während sie daran arbeiten. Im Arbeitsprozess stellt sich sehr schnell heraus, was geht und was nicht. Dann fragt man: Wenn es so nicht geht, wie geht es anders?
Dieselbe Sorte Argumente, die heute gegen die Realisierbarkeit des Sozialismus vorgetragen wird, ist vor Jahrhunderten gegen die Behauptung vorgebracht worden, dass so etwas wie der Kapitalismus je klappen könnte. Die klügsten reaktionären Zeitgenossen der Französischen Revolution begründen dir absolut stringent, warum das Leben ohne Adel nicht klappen kann.
Der wichtigste Unterschied zwischen Marx und Hegel ist der, dass Hegel sagt: Wenn wir uns lange genug anschauen, was wir wissen, werden wir wissen, wie es weitergehen wird. Marx bringt da den sogenannten subjektiven Faktor rein. Das heißt, für diesen Prozess spielt es eine Rolle, was die Leute wollen, was sie tun und was sie, während sie es tun, lernen.
Sie gelten als glühender Anhänger Lenins. Warum schreiben Sie kein Buch über Lenin, sondern ein Suhrkamp-Taschenbuch über seine Kritikerin Rosa Luxemburg?
Ich halte von niemandem so viel für richtig wie von Lenin. Von dem, was sich, bereinigt um historische Spezifika, in Thesenform bringen und heute verwenden lässt, sind das so 65 Prozent. Wenn man sagen würde: Lenin hat zehn Gebote hinterlassen, würde ich sagen: Davon sind sechseinhalb richtig. Sachen wie: Nehmt euch vor den Gewerkschaften in Acht, weil … Oder: Ein bisschen Zentralismus hat noch keinem geschadet.
An Rosa Luxemburg beeindruckt mich, wie sie Lenin mal ein bisschen von rechts und mal ein bisschen von links angreift. Sie synthetisiert aus dem Engels- oder Plechanow-Marxismus, dem Volkstümlertum ihres Geliebten und politischen Erziehers Leo Jogiches und aus der konkreten Situation mit ihrer unglaublichen Flexibilität eine eigene Position. Die ist dann anders als die von Lenin.
Am Ende der deutschen Revolution, in der konkreten Situation, zeigt Luxemburg zwei Dinge auf: a) Lenin ist in den Grundsätzen der Organisation bestätigt. Und b) Nichts ist so gefährlich wie eine intelligente SPD-Leitung als Instrument der Konterrevolution innerhalb der Linken. Das haben die frühen deutschen Leninisten damals unterschätzt.
Wann ist das Buch fertig?
Seit Februar rechnen wir mit dem Erscheinen im übernächsten Monat. Ich habe für kein Buch bei Suhrkamp so lange gebraucht wie für diese 120 Seiten. Leben- und Werkteil sind fertig. Bis auf die Zitatkästen. Die banal serviceorientierte Reihe BasisBiographien hat dieses Erfordernis. Und leider sind die Sätze von Frau Luxemburg immer dann sehr lang, wenn sie richtig gut wird. In dem Buch Akkumulation des Kapitals oder in der Junius-Broschüre ist die gesamte Dialektik in einem Absatz enthalten, und dieser Absatz ist ein Satz. Das ist die Gesamtdarstellung der Position. Mir fällt es schwer zu entscheiden, was da verzichtbar ist.
Das zweite Problem ist der Wirkungsteil. Seit er fertig ist, erscheint jeden Monat ein neues Buch oder ein Text in Zeitschriften wie International Socialism, Historical Materialism, Argument oder auf irgendeiner Website, und ich denke: Ah, alles noch mal anders. Im Wirkungsteil sage ich, was wir von Rosa Luxemburg jetzt brauchen. Das ändert sich jeden verdammten Monat. Das heißt: Jemand muss uns stoppen, sonst erscheint das Buch einen Monat nach der Revolution, weil man erst dann weiß, was man von Rosa Luxemburg wirklich gebraucht hat.
Für eine ernsthafte Diskussion des Gesellschaftssystems ist in den großen Medien wenig Platz. Unbeirrt nutzen Sie jede Gelegenheit, diese Diskussion dort anzustoßen. Ist dabei nicht die Rolle eines Exoten für Sie vorgesehen, der alles sagen darf, weil man ihn im Grunde nicht ernst nehmen muss?
Es gibt dieses Kasperl- oder Lendenschurz-Problem, Sie sagen Exot. Dazu fällt mir Ulrike Meinhof ein. In ihren letzten Kolumnen schreibt sie mit großer Unzufriedenheit über sich als Figur, die das System, das sie zum Einsturz bringen will, auspolstert oder abfedert. Man lässt sie schreiben, und die Repräsentanten des Systems können sich zugute halten, wie liberal es doch sei. Die Meinhof hat dann den Schritt in die Jugendarbeit gemacht, um wenigstens ein paar Jugendlichen zu helfen, die in Heimen schikaniert wurden. Sie hat sie dazu gebracht, ein bisschen Rabatz zu machen, und gab ihnen den Schutz, den sie ihnen als Medienfigur geben konnte. Ich nenne das den Franz-von-Assisi-Weg. Die Meinhof hat das offenbar auch nicht zufriedengestellt. Sie ist in den Untergrund gegangen. Und eine exotische Randerscheinung geblieben, die sich dafür aufopfert, dass letztlich alles so bleibt, wie es ist. Dass sie stellvertretend verbrannt wurde, hat die Situation vielleicht sogar verschlimmert. Die Alternativen Waffe-in-die-Hand-Nehmen und Sozialarbeit-Machen sind beide nicht zufriedenstellend.
Es gibt also Lücken im System, in denen Sie daran arbeiten, dass es überwunden wird?
Kein System präsentiert sich als völlig verrückter Vampir. Jedes stellt seine Vorteile heraus. Der autoritärste Herrscher sagt: Ich beschütze euch vor einem X, vor der Kälte, dem Hungertod oder den bösen anderen, die hinter den sieben Bergen die Zähne fletschen. Nur weil ich so ein Hund bin, haben die Feinde uns noch nicht angegriffen.
Das System, in dem wir leben, behauptet von sich, pluralistisch zu sein. Es beim Wort zu nehmen ist meiner Erfahrung nach oft der einzige Weg. Ähnlich wie bei der Religionskritik, die im Mittelalter zunächst von Leuten kommt, die den religiösen Kram ernst nehmen und Textkritik machen. Sehr verkürzt ausgedrückt, ist Erasmus von Rotterdam schon der halbe Luther, Luther schon eine Art Diderot und so weiter. Insofern haben Sie recht, wenn Sie nach der Lücke im System fragen. Bei Shakespeare gibt es den Hofnarren. Der klingelt, wenn er vorbeikommt. Dafür darf er die Wahrheit sagen. Ich bin dafür, das etwas ernster zu nehmen. Sie reden sich ein, dass dieser Pluralismus existiert. Also habe ich im Moment nicht das Problem, dass ich nichts sagen darf.
Anders wäre es, wenn sich gesellschaftlich etwas bewegen würde. Gäbe es eine Sowjetunion, hätte ich die Hälfte der Sachen, die ich in der FAZ geschrieben habe, niemals schreiben dürfen. Ich darf das, weil es keine gesellschaftliche Kraft gibt, der ich damit den Rücken stärke. Die denken: Der macht sich komische Gedanken, aber befürchten nicht, dass sie einen von denen, die da unten krakeelen und mit Steinen schmeißen, bei sich im vierten Stock haben. Der liebe Frank Schirrmacher sagt über Peter Hacks Sachen wie: fabelhafter Dichter, aber halt verrückt.
Wenn du nun mit der Schelle auf dem Kopf zum Produzieren von Ideen abkommandiert wirst, kannst du immerhin ausprobieren, ob du auch richtige Ideen produzieren kannst. Das sind nur Ideen. Auf dieses »nur« lege ich großen Wert. Sie müssen immer noch zünden. Jemand muss es tatsächlich machen.
Wenn Sie also fragen, wo ich die Chancen für eine Kritik sehe, in diesem System praktisch zu werden, antworte ich dialektisch, zweifaltig: a) nirgends, weil das System so aufgebaut ist, dass es sich nicht absichtlich selber abschafft, und b) überall.
Nirgends heißt, niemand wird sagen: Hier, bitte schön, ist die Planstelle für den Umsturz. Von hier aus kannst du uns vernichten. Auf der anderen Seite gibt es viele Gelegenheiten, etwas Richtiges zu sagen. Zum Beispiel für den braven Gewerkschaftsfunktionär, der dafür da ist, die Sozialpartnerschaft aufrechtzuerhalten, und es in einer günstigen Situation einfach mal nicht macht. Unter Umständen erfordert es mehr Mut, in einer Talkshow eine sogenannte dumme Frage zu stellen, als ein 800 Seiten langes marxistisches Buch zu schreiben. Wenn man zum richtigen Zeitpunkt einen Hartmut Mehdorn oder wen auch immer fragt, ganz ernsthaft: An diesem Ostblock war die ganze Überwacherei doch so schlimm – wie ist das denn jetzt bei euch? Da verliert jemand seinen Job, weil er zwei Euro Flaschenpfand unterschlagen hat, und das findet ihr heraus, weil das System so lückenlos ist, dass ihr noch diese zwei Euro findet – warum habt ihr uns immer erzählt, dass die Überwachung in der DDR so schlimm war?
Wenn man mit so einer Frage reingrätschen kann und viele Leute erreicht, lohnt sich das. Immer mit dem kompletten Programm im Hinterkopf. Das Powerplay fängt mit dem ersten Doppelfehler des Gegners an. Je mehr Analysen man kennt, je mehr historische Beispiele man weiß, wie sie das und das gekauft und absorbiert haben, desto mehr ist man im Vorteil, wenn die anderen straucheln. Ich sehe die Bruchstellen überall dort, wo Marxisten sitzen.
Den schönsten Selbstmord von links begehen Leute, die sagen: Das sieht marxistisch aus, aber das kann es ja nicht sein, sonst wäre es nicht in der FAZ. Wenn man so weit ist, sollte man aufhören, weil man damit im Grunde die Position vertritt: Wir können nicht gewinnen, wollen nicht gewinnen. Es kann auch keinen Zufall geben, der uns in die Hände spielt, sondern unsere Analyse vom Reich des Bösen, in dem wir leben, ist so vollständig, so detailliert und so richtig, dass wir mit nichts anderem rechnen als damit, lebenslang in den Hintern getreten zu werden. Fakt ist, die Gegner schlafen auch mal.
Wurden Texte von Ihnen in der FAZ nicht gedruckt?
Ein einziger von ungefähr 600 Artikeln ist aus inhaltlichen Gründen nicht erschienen. Das liegt daran, dass diese Zeitung konservativ ist. Das Angenehme an Leuten mit konservativen Hintergründen ist, dass sie sich an Regeln halten, die sie aufgestellt haben – im Unterschied zu Sozialdemokraten und Grünen. Ein Sozialdemokrat stellt Regeln auf, weil sie nützlich sind für die Funktion, die er im Moment hat. Nächste Woche sind sie wieder weg. Die noch schlimmere Variante, die man in den letzten dreißig Jahren kennengelernt hat, ist: ökologisch, basisdemokratisch und gewaltfrei. Diese Kombination kommt an die Regierung und die Deutschen führen den ersten Krieg nach 1945, dann wird Hartz IV eingeführt. Das nennen die sozial. Basisdemokratisch? Ich lach mich tot. Was hatten wir noch? Ökologisch. Na ja, da wird in Dosenpfand investiert.
Der Konservative dagegen ist verbindlich, pünktlich und was es sonst noch alles für einen Scheiß gibt. Der hat diese komischen Regeln, und wenn du ihn dabei erwischst, dass er sie bricht, gibt es einen Skandal. Die Kirche kriegt Skandale für Dinge, über die eine SPD nur lachen würde. Wenn man nachweisen könnte, dass der SPD-Vorsitzende säuft, hurt und überhaupt keine Prinzipien hat, würde es heißen: Ja, aber er ist charismatisch, und die Leute verbinden den Aufbruch mit ihm. Ein Papst kann sich so etwas nicht erlauben.
Die von der FAZ sagen: Wir sind kosmopolitisch und liberal – man kann hier eigentlich alles schreiben, vorausgesetzt, man erfüllt die und die Standards. Fakt ist: Viele linke Autoren, mit denen ich zu tun hatte, erfüllen diese Standards nicht. Sie müssen unter Existenzbedingungen vor sich hin krebsen, in denen man bestimmte Professionalitäten nicht entwickeln kann. Wann denn? Wie denn?
Als ich zur FAZ kam, war es von Vorteil, dass ich einigermaßen manisch bin. Also, wenn es hieß: Bis 15 Uhr müssen die und die Formalitäten erledigt sein, waren sie es. Ich kann schnell sein und gründlich im Sinne von relativ fehlerfrei. Solche formalen Requirements kann ich ganz gut erfüllen.
Ihre Texte sind in den Jahren bei der FAZ verständlicher geworden, die Sätze kürzer, die Argumente klarer.
In formalen Geschichten verbirgt sich auch inhaltliche Zensur. Wenn gesagt wird: Schreibe klar, kann das heißen: Äußere keinen neuen Gedanken. Klar ist immer, was alle schon kennen. Die Herausforderung ist dann: Wie klar kann ich den neuen Gedanken machen?
Es gibt den klassischen Vorwurf, dass die Linken unverständlich sind. Das kommt aus der Natur ihrer Position. Was sich total verständlich sagen lässt, ist: Alles in Ordnung, weitergehen, es gibt nichts zu sehen. Aber es klingt kompliziert, wenn man sagen muss: Das Vokabular ist noch nicht entwickelt, aber hier … – Kritisiere mal ein System mit der Sprache, die dieses System erfunden hat! Eine andere ist nicht da. Du wirst komisch klingen, stammeln und das Bedürfnis haben, durchs Zitieren akademischer Autoritäten überzukompensieren. Linke Sprache hat diese Laster, weil sie nach etwas tastet, das kein gebrüllter Befehl ist.
So ist das zumindest bei mir. Ich möchte nicht mein ganzes Leben damit verbringen, für Dinge zu agitieren, die ich von meiner Herkunft her selbstverständlich finde. Ständig nur: Kommunismus viel gutt mit zwei t – davon würde ich gaga werden.
Sie haben in der Öffentlichkeit sehr an Bedeutung gewonnen. Bei der FAZ waren Sie noch ein Geheimtipp aus der Subkultur. Heute gelten Sie als engagierter Intellektueller, dessen Stimme Gewicht hat. Wie reflektieren Sie diese Rolle?
Diese Planstelle hat sich sehr verändert. Das schmutzige kleine Geheimnis aller kritischen Intellektuellen, die ich aus den Achtzigern kenne, ist: Sie machten alle möglichen Unterschriftenlisten, waren aber auf jeden Fall gegen den Ostblock. Dieses Kontingent von nachdenklichen Menschen war damals wichtig. Sie mussten irgendwie links sein, also das Gute im Menschen wollen, etwas gegen Franz Josef Strauß und bestimmte Unternehmer sagen, aber auf jeden Fall nicht für die bösen Russen sein. Dafür gab es eine Menge Geld, Aufmerksamkeit und Mikrofone, die man nicht den ganzen Tag vollbrüllen konnte mit: Fresst! Kauft! Arbeitet! Die Streitigkeiten, die heute noch übrig sind, sind weniger große Ideenstreitigkeiten. Es ist nicht mehr so, dass der militärische Gegner des Westens gleichzeitig sein Ideengegner ist. Die Auseinandersetzung mit dem Islam ist ein erkennbar dürftiger Ersatz für all die Debatten um einen Dritten Weg. Niemand sagt heute, es müsse zwischen westlichem Hedonismus und mittelalterlichem Islam einen Dritten Weg geben. Aber von nichts anderem wurde damals geredet als von einem Dritten Weg zwischen dem bösen Ostblock und dem liberalen, aber kalten und unmenschlichen Westen. Diese kritischen Intellektuellen, das war die Abteilung Dritter Weg.
Hedonismus oder Islam – so wird ja gerne auch der Nahostkonflikt diskutiert. Haben Sie zu dem eine Position?
Das musste ja kommen. Palästina, hurra! ist natürlich das große Erbe des Ostblocks. Nirgendwo sitze ich gelangweilter als zwischen allen Stühlen, aber ich sage: Es muss einen Staat geben, der dem Argument entgegensteht, die Juden seien ein staatenloses Volk von Nationenzersetzern. Ich bin also etwas radikaler als Leute, die sagen: Jetzt gibt es das, lasst sie doch leben. In den sogenannten Nullerjahren war ich mehrfach in Israel, habe dort relativ wenige Palästinenser kennengelernt, aber linke Zionisten, linke Postzionisten, whatever. Gelernt habe ich: Gerade, wenn man meint, dass der Staat wichtige Errungenschaften in die Region gebracht hat, sollte man die aufeinanderfolgenden israelischen Regierungen nicht bedingungslos unterstützen. Diese extreme Position ist ein Erbe der Blockkonkurrenz. Da war egal, was ein Deutscher sagte, Ost oder West. Das war nur ein Annex. Heute geht es schnell darum, ob UN-Truppen geschickt werden, mit Bundeswehrkontingent. Positionen wie: Israel bedingungslos unterstützen versus was immer es auf der anderen Seite für einen Wahnsinn gibt, sind da extrem unangemessen.
Das Hinfahren hat die Sache kompliziert gemacht.
Da erzählt eine Frau, die man sehr mag und die bei ihrem Militärdienst in der israelischen Armee ein Peace-Zeichen um den Hals hatte, was sie da so erlebt hat. Und man sagt sich: Okay, die ganzen Debatten, die in Deutschland so stattfinden, bilden nicht ab, was die da gerade erzählt. Es klingt quietistisch, aber die Schnelligkeit, mit der Antideutsche und andere Deutsche zu einer Position kommen, die sie dann relativ faktendicht halten können, ist mir verdächtig.
Geht es am Ende nicht darum, dass Juden überall auf der Welt so wenig was Besonderes sind wie heute in New York?
Die pragmatische Frage ist damit nicht geklärt. Ich spreche mal in einem Gleichnis: Eine schnelle Kritik an der DDR ist die Kritik an der Stasi. Die teile ich. Warum? Die einzige Rechtfertigung für die Stasi ist: Die brauchen wir, sonst bricht das Ding zusammen. Es ist trotzdem zusammengebrochen, also entfällt leider die Rechtfertigung. Wenn mir jemand dartun kann: Die Leute müssen beschnüffelt werden, sonst bricht der Sozialismus zusammen, leuchtet mir das in gewissen Grenzen ein. Warum sollen immer nur die anderen eine Werkspolizei haben? Ich habe kein Problem mit Repression, die ihren Zweck erfüllt. Wenn sie den nicht erfüllt, müssen wir anders nachdenken. Für Maßnahmen der DDR gilt ähnlich wie für Maßnahmen einer israelischen Regierung: Wenn sie das Land schützen, bin ich dafür; wenn nicht, dagegen. Daraus folgt auch: nicht um jeden Preis. Wenn jemand sagt: Einer geht jetzt im Auftrag von Ulbricht nach Washington und zündet dort eine Atombombe, damit die DDR erst mal eine Atempause hat, bin ich nicht dafür. Es geht eben auch um angemessene Mittel. Ich meine: Stasi-Kritik bitte politisch und nicht moralisch und genauso Israel-Kritik bitte politisch und nicht moralisch. Politisch heißt immer: konkrete Situation, Alternativen. Und nicht: Weltanschauung, Foto und dann Scharping, also Bombardierungen.
Noch einmal zurück zu Ihrem erweiterten Wirkungskreis. Sie sind seit kurzem nicht mehr nur in popkulturellen und politischen Kreisen bekannt, sondern auch beim gewöhnlichen Gymnasiallehrer mit Zeit-Abo. Welche Konsequenzen hat das für Sie?
Ich frage mich natürlich schon ein bisschen, ob es mein Job oder Fluch ist, als ein extrem billiger, extrem trashiger, extrem unzulänglicher Gesamt-West-Hacks ab und zu mal auf Umfragen antworten zu dürfen wie: War die DDR vielleicht doch ganz gut? Solche Umfragen erreichen mich schon. Das Schöne ist: »Du bist ja hier der Trash-Hacks!«, das kommt immer nur vom Trash-Heiner-Müller. Ich bekomme diesen Vorwurf nur aus einer sich selbst als links verstehenden Ecke. Die heute Rechten oder die in der Nähe der Zeitung Die Zeit sagen eher so Sachen wie: Ich hab mal kurz auch Marx gelesen … und dann hab ich die Bände alle verkauft, und das war, glaub ich, ein Fehler, die verkauft zu haben und so weiter.
Ich besetze momentan die Stelle von dem Menschen, den man zu den und den Themen anruft. Wenn meine liebe FAZ eine Serie zum Krisenkram macht, werde ich angerufen, wenn das Wort Verstaatlichung vorkommt. So wie ich angerufen werde, weil ein englischer Science-Fiction-Autor gestorben ist. Diese ganze Pressescheiße funktioniert über Zuständigkeiten, die in irgendwelchen Köpfen imaginiert werden. Da bleibt hängen: Der redet in dem Alexander-Kluge-Film Nachrichten aus der ideologischen Antike eine Stunde lang über Marx. Wenn dann eine Glosse zu einem neu aufgetauchten Marx-Foto gebraucht wird, rufen die eher mich an als einen anderen.
Die interessante Frage wäre: Wird man zuständig für das skurrile Wissen des Sozialismus oder darüber hinaus zu so etwas wie Sachfragen vernommen? Der kritische Intellektuelle hat keinen Wert mehr, der über den Exotenwert des scientologischen Schauspielers oder vegetarischen Handballstars hinausgeht. Aber die Rolle des Experten der Rote-Mützen-Sekte im ökumenischen Konzert der komischen Sekten ist okay. Denn selbst da könnte einmal jemand sagen: Dieser Zeuge Jehovas da ist eigentlich ganz vernünftig – das hätte ich gar nicht gedacht von den Zeugen Jehovas.
Haben Sie den Eindruck, dass Ihre politische Resonanz mit dem Bekanntheitsgrad gestiegen ist?
Auf ein Spiegel-Interview hin haben sich Leute bei mir gemeldet, die reale politische Arbeit machen. Das war eine Sternstunde für mich. Wir standen erst einmal relativ hilflos voreinander, weil ich nur sagen konnte: Wenn euch was einfällt, gerne. Sie sagten Sachen wie: Wir haben die Intellektuellen und die Kulturleute nicht auf unserer Seite. Da habe ich geantwortet: Fragt halt.
Es war unglaublich schön, mit diesen Leuten aus politischen Organisationen, die tatsächlich existieren, eine Stunde aneinander vorbeireden zu können und plötzlich zu merken: Die interessiert das. Ich könnte es absolut verstehen, wenn es nicht so wäre. Wenn du zwanzig Jahre lang in der Gewerkschaft bist, bei Lafontaine, irgendwelchen Trotzkisten, der DKP oder in irgendeinem Wahlbündnis gegen eine lokale Schweinerei, dann hast du gewisse Erfahrungen mit den Intellektuellen: Wenn die Fernsehkamera da ist, steht der Intellektuelle dabei, rufst du ihn zwei Wochen später an und die Kamera ist weg, wird es schwierig.
Umgekehrt machen wir Intellektuellen auch so unsere Erfahrungen. Du kommst mit guten Ideen, die zum Teil naiv sein mögen, zu einer Organisation und hörst: Moment, auf unserer Rednerliste stehst du auf Platz 17, aber vorher müssen wir klären, ob hier geraucht werden darf – dann rennst du schreiend davon, weil du denkst: Mein Gott, sind das phantasielose Figuren.
Momentan ist alles sehr zersprengt. Gewerkschaftliche Arbeit, politische Publizistik – das müssen wir alles neu lernen, unter nicht mehr sozialpartnerschaftlichen Bedingungen, sondern wieder antagonistischen. Lange gab es für alles Kanäle, Dialog mit der Jugend und so. Jetzt ist nicht mehr Dialog mit der Jugend, sondern Banlieue. Das muss man alles erst wieder lernen. Ich glaube, der Weg ist relativ weit.
Bücher von Dietmar Dath
Deutschland macht dicht. Roman, 2010
Rosa Luxemburg. Biographie, 2010 (BasisBiographie)
Sämmtliche Gedichte. Roman, 2009
Die Abschaffung der Arten. Roman, 2008
Maschinenwinter. Wissen, Technik, Sozialismus. Eine Streitschrift, 2008
Das versteckte Sternbild. Roman, 2007 (unter dem Pseudonym David Dalek)
Waffenwetter. Roman, 2007
Heute keine Konferenz. Texte für die Zeitung, 2007
Dirac. Roman, 2006
Die salzweißen Augen. Vierzehn Briefe über Drastik und Deutlichkeit. Essays, 2005
Für immer in Honig. Roman, 2005 (Neuauflage 2008)
Höhenrausch. Die Mathematik des XX. Jahrhunderts in zwanzig Gehirnen. Sachbuch, 2003