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Neuer Anstoß

Nach dem verlorenen Krieg lag Deutschland in Trümmern, wichtige Patente waren verloren gegangen und die einstmals führende Fernsehnation war nun hinter Großbritannien, Frankreich – und den Vereinigten Staaten sowieso – zurückgefallen.

Hans Bredow, der sich vor dem Krieg nicht nur mit der Idee einer nationalen Rundfunkabgabe profiliert hatte, legte 1947 einen Vorschlag für ein Rundfunkgesetz vor. Dieser Entwurf bestand aus 13 Paragrafen und bildete das Rückgrat des späteren Gesetzestextes. Bald entstanden die ersten neuen Rundfunkanstalten, wobei die Amerikaner das Prinzip „ein Land, eine Anstalt“ verfolgten, was uns den Hessischen und den Bayerischen Rundfunk neben dem Minisender Radio Bremen bescherte. Briten und Franzosen setzten auf Mehrländeranstalten, wobei aber der Koloss Nordwestdeutscher Rundfunk später in WDR und NDR aufgespalten wurde. Trotz aller öffentlich-rechtlichen Verfasstheit unterstanden die neugegründeten Institutionen in den ersten zehn Jahren den Alliierten. Das Gesetz Nr. 5 v. 21. Sep. 1949 über Presse und Rundfunk schränkte die deutsche Zuständigkeit ein.

Die Westalliierten zogen sich zwar mehr und mehr aus dem Alltagsbetrieb zurück, behielten sich aber das Recht vor, Akzente zu setzen, wenn es ihnen wichtig schien. Erst mit dem Deutschlandvertrag vom 5. Mai 1955 fiel der Rundfunk vollständig unter bundesdeutsche Zuständigkeit.

Die weitere Erforschung der Fernsehtechnik erlaubten die Alliierten aber bereits 1948. Der 22. September desselben Jahres ist somit ein wichtiges Datum für die Geschichte der ländergrenzenüberschreitenden Fußballberichterstattung. Denn hier wurde als Fernsehnorm eine Bildschirmwiedergabe von 625 Zeilen festgelegt. Erst durch diese Standardisierung war es möglich, Berichte auch aus dem Ausland zu übernehmen. (Dass heute selbst einfache Navis eine bessere Bildtechnik haben, tut in diesem Zusammenhang nichts zur Sache.)

Fortschritte in der Röhrentechnik bewirkten, dass die TV-Geräte weniger tief gebaut werden mussten, und allmählich sah es auch nicht mehr so aus, als hätte der stolze Fernsehgerätebesitzer einen gigantischen Safe in seinem Wohnzimmer aufgestellt.

Eine WM als Durchbruch

Ab 1951 gab es Fernsehgeräte zu kaufen, und Weihnachten 1952 war es dann so weit: Die ARD begann mit ihrem Sendebetrieb, und am zweiten Weihnachtsfeiertag waren auch gleich zwei Fußballspiele zu sehen. Im Norden lief ab 14:15 Uhr das Spiel St. Pauli gegen Hamborn 07 und im Westen 1. FC Köln gegen Roter Stern Belgrad. Ende 1952 gab es in der Bundesrepublik etwa tausend „Tischgeräte“, die so um die anderthalb Tausend Mark kosteten.

1953 folgten das erste Oberligaspiel und am 22. März das erste Länderspiel. Deutschland trat gegen Österreich in Köln an.

Der Durchbruch des Fernsehens kam mit der Fußballweltmeisterschaft 1954 in der Schweiz. Diese WM wurde als erste im Rahmen der Eurovision übertragen. Als das Turnier begann, gab es auf dem ganzen Kontinent nicht mehr als vier Millionen Geräte, trotzdem sollen in ganz Europa 90 Millionen Zuschauer die Spiele vor dem Bildschirm verfolgt haben. Dabei war sich die ARD am Anfang nicht einmal sicher, ob sie die Übertragungsrechte wirklich haben wollte. Schließlich wurden für zehn Spiele 160.000 Mark bezahlt, aber auch das erst, nachdem der TV-Gerätehersteller Philips eine Ausfallgarantie übernommen hatte. Am Anfang des Jahres gab es in Westdeutschland etwas mehr als 10.000 TV-Geräte. Beim Anpfiff der WM waren es 27.000 und am Ende des Jahres fast 100.000. Während des Wettbewerbs konnten berühmte Marken wie Telefunken, Saba und Nordmende ihre Lager leerverkaufen.

Der Boom hatte natürlich auch damit zu tun, dass niemand mit einem Weiterkommen der deutschen Mannschaft gerechnet hatte. Es war ein bisschen so wie bei der Schlacht am Lech knapp 1.000 Jahre zuvor. Damals hätte auch jeder, der seine fünf Sinne beisammen hatte, auf die Ungarn gesetzt. Nun waren die letzten 1.000 Jahre der deutschen Geschichte gerade mal sieben Jahre her und wieder galten die Ungarn als die ungekrönten Könige der Fußballwelt.

In weiser Voraussicht hatten die Veranstalter die Spiele des deutschen Teams in die Nähe der deutschen Grenze gelegt. Das lohnte sich auch für die Schweizer, denn während des Wettbewerbs waren nur die Spiele mit deutscher Beteiligung ausverkauft. Aber nach der Klatsche gegen die Ungarn in der Vorrunde dachte jeder, dass das DFB-Team nach drei Spielen wieder nach Hause fahren müsste. So gab es vor dem späteren echten „Wunder von Bern“ noch jede Menge andere Mirakel. Der Sieg gegen die Jugoslawen lebte kurzzeitig unter dem Markenzeichen „Das Wunder von Genf“, bis der Sieg gegen Österreich „Das Wunder von Basel“ getauft wurde. Aber in der Zwischenrunde zeichnete sich ab, dass bei dieser Weltmeisterschaft tatsächlich die ganz große Sensation möglich war.

„Das Wunder von Bern“

Über die identitäts- und sinnstiftende Dimension des dann tatsächlich finalen „Wunders von Bern“ ist an anderen Orten bei anderen Gelegenheiten genug geschrieben worden, aber die ersten Nachwirkungen des Spiels waren für Deutschland eine Herausforderung.

Die geringsten Probleme hatten die Spieler, die als strahlende Helden mit dem Zug in die Heimat zurückkehrten, wo sie bejubelt und mit Motorrollern und Kühlschränken beschenkt wurden.

Aber trotz gegenteiliger Beteuerungen hat Sport auf internationaler Ebene immer mit Politik zu tun. Und weil große Teile des Publikums nach dem Sieg im Wankdorfstadion die erste Strophe des Deutschlandlieds angestimmt hatten, meldeten sich jenseits der Grenzen bald Stimmen, die fürchteten, dass die Deutschen, kaum dass man sie vor knapp zehn Jahren an allen Fronten geschlagen hatte, schon wieder von neuen Blitzsiegen träumten.

Herbergers Taktik – im Vorrundenspiel gegen die Ungarn mit einer B-Elf zu verlieren – schien plötzlich Sinnbild für eine politische Verschlagenheit zu sein, die man dem alten Fuchs Adenauer durchaus zutraute.


Plakat zur WM 1954 in der Schweiz

Und dass der siegestrunkene DFB-Präsident Peco Bauwens am 6. Juli 1954 – ausgerechnet im Münchner Löwenbräukeller – in seiner Rede dem Germanengott Wotan dankte und dem Führerprinzip gewisse positive Aspekte abgewinnen konnte, trug nicht dazu bei, diese Befürchtungen zu zerstreuen. Auch dass der Rheinländer Bauwens (der von „Dopping“ sprach, wenn er Doping meinte) in seiner Rede nicht wie sein Landsmann Goebbels, sondern eher wie ein Karnevalsprinz klang, half nichts.

Am Ende musste Bundespräsident Th eodor Heuss bei der Auszeichnung der Spieler in Berlin mit maßvollen und ausbalancierten Worten die Wogen glätten. Und als in Hannover ein Freundschaft sspiel gegen Frankreich stattfand, welches das DFB-Team verlor, soll Kanzler Adenauer dem Vernehmen nach sogar erleichtert gewesen sein.

Auch die DDR – für Adenauer und viele andere damals nicht viel mehr als die „Zoffj etzone“ – wurde durch den in Westdeutschland errungenen Weltmeistertitel vor Probleme gestellt. Versuchte man anfangs noch, den Sieg der anderen Deutschen madig zu machen – der Spieler Liebrich hätte in der Vorrundenbegegnung durch ein brutales Foul einen wichtigen ungarischen Spieler für das Finale ausgeschaltet –, schwenkte man später um und versuchte den sportlichen Erfolg von dem politischen Gegner zu trennen. Selbst Chefagitator Karl-Eduard von Schnitzler war sich nicht zu schade, dem Thema einen ganzen Kommentar zu widmen. Dabei verwechselte er zwar konsequent den Endspielort Bern mit dem politisch symbolträchtigeren Genf, aber auch er konnte seine Anerkennung nicht versagen. Manche Quellen behaupten sogar, dass der Weltmeistertitel des DFB-Teams die Führung in Ost-Berlin so sehr gewurmt hätte, dass sie bald darauf mit der planmäßigen Förderung des Leistungssports begann.

Ein Münzwurf entscheidet

Der Reporter bei der Fernsehübertragung des Endspiels hieß übrigens Dr. Bernhard Ernst. Er war für den WDR tätig, und obwohl er zu den großen Rundfunkpionieren in der Zeit der Weimarer Republik gehörte, kennt seinen Namen heute so gut wie niemand mehr. In Verbindung mit dem ersten deutschen WM-Titel wird er so gut wie gar nicht mehr erwähnt.

Das liegt natürlich daran, dass die Zahl der Fernsehbesitzer trotz aller Steigerungsraten immer noch sehr gering war. Und daran, dass die Bilder vom „Wunder von Bern“ einem Mythos entstammen, der erst nach dem Turnier zusammengeschnipselt wurde.

Ein Münchner Geschäftsmann, der in den Annalen der Sportberichtsgeschichte genauso zuverlässig „Schrotthändler“ Schubert genannt wird, wie ein späterer Italienlegionär immer „Ausgerechnet“ Schnellinger tituliert wird, wagte hier einen Ausflug in die Welt der Medien.

Schubert hatte der FIFA die Bildrechte des Turniers für ein Butterbrot abgekauft. Unter Joseph Blatter wäre so etwas natürlich nie passiert, aber Blatter war damals noch nicht mehr als ein Halbstarker aus dem Wallis mit einem nördlich des Bodensees unverständlichen Dialekt.

Der Schrotthändler gründete eigens für den Vertrieb des Streifens eine Sportfilm GmbH, die den Film damals mit 100 Kopien ins Kino brachte. Bei dem Streifen führte Fußballfan und Kabarettkoryphäe Sammy Drechsel Regie. Der Mann machte ein Jahr später noch einmal fußballkünstlerisch auf sich aufmerksam, als er ein Jugendbuch mit dem Titel „11 Freunde müsst ihr sein“ auf den Markt brachte.

Da es 1954 noch keine MAZ gab und die Fernsehbilder nicht archiviert wurden, konnten Schubert und Drechsel nur Filmaufnahmen aus den Wochenschauen verwenden, und die gaben äußerst selten die wirkliche Dramatik des Geschehens wieder. Um zu retten, was zu retten war, unterlegten die Filmemacher die Szenen mit dem mittlerweile legendären Radiokommentar von Herbert Zimmermann.

Der Hamburger gehörte damals zu dem kleinen Reporterteam, das von der ARD unter der Leitung Robert E. Lembkes in die Schweiz geschickt wurde. Nun haben Leute, die mit ihrer Tätigkeit in der Öffentlichkeit stehen, selten Probleme mit ihrem Selbstwertgefühl, aber für den Kölner Kurt Brumme war ziemlich klar, dass er so etwas wie der Doyen der deutschen Sportreporter war. Brumme hatte seine Karriere als Sportjournalist nach dem Zweiten Weltkrieg bei den Aachener Nachrichten begonnen, als die Amerikaner auf der Suche nach unbelasteten Kräften waren, und der Aufsteiger konnte überzeugend darlegen, dass er während des Dritten Reichs höchstens mal ein paar Artikel geschrieben hatte. Von der Zeitung ging es zum damals noch ganz Nordwestdeutschland abdeckenden NWDR. Als der sich später in NDR und WDR aufspaltete, blieb Brumme im Rheinland und kommentierte am 8. August 1948 im Müngersdorfer Stadion das erste Nachkriegsfinale der Deutschen Fußballmeisterschaft. Er und viele andere waren dabei, als der 1. FC Nürnberg gegen den 1. FC Kaiserslautern mit 2:1 gewann.

Aufgrund dieser und anderer Meriten wäre Brumme eigentlich für eine Endspielreportage prädestiniert gewesen, aber Delegationsleiter Lembke beschloss, die Reihenfolge der Reportagen durch Münzwurf entscheiden zu lassen. (Ob er diese Münze einem seiner allbekannten „Schweinderl“ entnahm, ist nicht überliefert.) Jedenfalls wählte Brumme beim ersten Wurf Kopf, Zimmermann begnügte sich mit Zahl. Und Brumme, der wie viele andere auch, anfangs glaubte, dass für Deutschland nach drei Vorrundenspielen Schicht im Schacht wäre, hielt sich für den Gewinner. Denn bei einem vorzeitigen Ausscheiden dürfte das erste Spiel die größte Beachtung finden.

Aber es kam wie bereits erwähnt anders, und so kommentierte Brumme das Halbfinale, während Zimmermann im Endspiel dran war.

Die Reportage mit ihren Bausteinen „Rahn müsste schießen, Rahn schießt“ oder „Toni Turek Fußballgott“ ist inzwischen so etwas wie ein Teil des nationalen Erbes. Auch Phrasen wie „Puszta-Söhne“ oder „am seidenen Faden“ und „deutsche Tugenden“ dürften damals schon nicht mehr ganz neu gewesen sein. Und wenn man bei den Aufnahmen ganz genau hinhört, kann man erlauschen, wie im Hintergrund Kurt Brumme versucht, sich in den Hintern zu beißen.

Völlig unterschiedliche Reportagestile

Doch am bemerkenswertesten ist der Ton, in dem die Reportage vorgetragen wird. Auffällig die völlige Abwesenheit von Ironie und Lockerheit. Manni Breuckmann beschreibt sie im Vorwort von Erik Eggers’ Buch „Die Stimme von Bern“ als wagnerianisch. Wer damals vorm Radio saß, erwartete offenbar keine Unterhaltung, sondern da sprach der Chef, da schlug man die Hacken zusammen. Allerdings betrifft diese Beobachtung vor allem den Stil des Vortrags, nicht die Wortwahl. Da erwies sich Zimmermann als fairer Sportsmann, der auch lobende Worte für die unterlegenen Ungarn übrig hatte.

Dass Leute wie Kanzler Adenauer und sein Bankier Pferdmenges an Formulierungen wie „Fußballgott“ Anstoß genommen haben sollen und sie deshalb auf eine Disziplinarmaßnahme für den Reporter drängten, mag man heute kaum noch glauben.

Wenn man sich außerdem noch ins Gedächtnis ruft, dass der Ritterkreuzträger Zimmermann im Zweiten Weltkrieg ein Panzer-Haudegen war, der – wenn man manchen Erzählungen folgte – im Frühjahr 1945 den Kurland-Kessel ganz alleine gehalten hat, dann liegt die Vermutung nahe, der Stil sei im Dritten Reich geprägt worden.

Merkwürdigerweise gab es aber bereits in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland einen weiteren Reportagestil, und auch der kam beim Publikum an. Ironischerweise kam auch der aus Österreich. Der Wiener Heribert Meisel verkörperte all das, was deutsche Reporter nie gelernt hatten. Er war witzig, er war spöttisch und er hatte Schmäh. Und als die ARD das Spiel gegen Österreich vom dortigen Rundfunk übernahm, konnten die Anhänger auch den Reportagekünsten des Wieners lauschen. Der musste zwar mit ansehen, wie sein Nationalteam geradezu geschlachtet wurde, aber es war nicht zuletzt sein Galgenhumor, der ihm viele Sympathien eintrug. Zudem hatte der Volksschauspieler Hans Moser beim damaligen Publikum Vorarbeit geleistet und die Zuschauer an das Wiener Idiom gewöhnt. Und wenn Meisel in seinen „Tor Toor Tooor!“-Ruf ausbrach und die Trikots der Spieler „Leibchen“ nannte, dann hatte das auch was Niedliches.

In der Folge mehrten sich die Stimmen, die wünschten, dass Meisel öfter in nördlichen Regionen zu hören sein würde. Manche Zeitungen titelten schon: „Der Meisel im Haus erspart den Zimmermann“. Spöttische Zeilen wie diese konnten einem ehrgeizigen Reporter wie Herbert Zimmermann nicht gefallen. Schließlich hatte er für sich selbst ebenfalls große Pläne.

Der deutsche Endspielreporter war zwar ein kaltblütiger Kämpfer, aber er war auch nicht blöd und wusste, wann er über Bande spielen musste.

Die Konkurrenz Brummes konnte er noch dank des Losglücks ausschalten, aber bei Meisel durfte er nicht allein auf Fortuna vertrauen. Also sorgte er – kollegial wie er war – dafür, dass Heribert Meisel auch mal ein Spiel von zwei Klubmannschaften in der norddeutschen Tiefebene kommentieren durfte.

Dieser Bitte wurde natürlich gern entsprochen, und die Zuhörer freuten sich wieder auf anderthalb Stunden Wiener Schmäh.

Doch fern der Heimaterde fremdelte Meisel. Weder kannte er die Spieler oder die Historie von Osnabrück oder dem anderen Verein. Und so brach der Wiener am Ende jämmerlich ein und im Norden gab es weiterhin nur einen Chef im Ring: Herbert Zimmermann.

Die WM in Schweden

In den folgenden Jahren sollte sich Zimmermann im Hörfunk weiter verdient machen. Er kümmerte sich um den Aufbau der Bundesligakonferenz, und auch bei der nächsten WM war er wieder mit von der Partie. Erneut kommentierte er Deutschland, allerdings war in Göteborg schon im Viertelfinale Schluss.

Dieses Spiel ist zur Legende geworden. Eine ganze Generation von Reportern berichtet, dass sie mit Herbert Zimmermann gelitten hat, und wenn man den Erzählungen über den nach dem Spiel aufkommenden Schwedenhass glaubt, dann kann es im Dreißigjährigen Krieg auch nicht viel schlimmer gewesen sein. Fast möchte man meinen, die Schweden haben danach Abba und Ikea nur erfunden, um die deutsche Volksseele wieder zu besänftigen.

Tatsache ist jedoch auch, dass nach dem Spiel in deutschen Zeitungen Kommentare erschienen, die in Sachen völkischer Ressentiments nichts zu wünschen übrig ließen. So schrieb zum Beispiel die in Saarlouis erscheinende Saar-Zeitung (gerade frisch in das Territorium der Bundesrepublik aufgenommen, aber das nur nebenbei):

„Der instinktsichere ‚kleine Mann‘ hat aus den fanatischen Heja-Rufen des aufgepeitschten schwedischen Zuschauerplebs den Grundton abgrundtiefer Gehässigkeit herausgehört, wenn nicht den Grundton eines Hasses, der sich nicht gegen die deutschen Fußballspieler richtet, sondern gegen die Deutschen schlechthin. Das offizielle Schweden hat hämisch zugelassen, dass rund 40.000 Repräsentanten dieses mittelmäßigen Volkes, das sich nie über nationale oder völkische Durchschnittsleistungen erhoben hat, den Hass auf uns auskübelte, der nur aus Minderwertigkeitskomplexen kommt. […] Es ist der Hass eines Volkes, dem man das Schnapstrinken verbieten muss, weil es sonst zu einem Volk von maßlosen Säufern würde.“

Erlösung durch „Sportschau“

Trotz der nun alle vier Jahre aufkommenden Euphorie zur Fußballweltmeisterschaft waren Spiele im Fernsehen immer noch Mangelware. Wann, wie und wo was gezeigt werden durfte, wurde zwischen Verbänden und Fernsehsendern sorgfältig ausgehandelt, am Ende kamen regelrechte Zuteilungsregeln heraus; Quotierung statt Quote. Am 1. Oktober 1958 schlossen DFB und ARD einen Vertrag. Pro Monat durften höchstens zwei Spiele gezeigt werden, davon ein Vereinsspiel.

Es ist heute schwer nachzuvollziehen, dass die Fußballvereine damals tatsächlich dachten, die technisch eher frugalen Übertragungen könnten ihnen Zuschauer wegnehmen, aber andererseits waren damals auch die Stadien noch eher rustikal eingerichtet.

Da es noch keine landesweite höchste nationale Spielklasse gab, waren die Partien in der Regel nur von regionalem Interesse und deshalb auch nur in bestimmten Regionen zu sehen.

Sport im Fernsehen blieb Mangelware. Die Sendungen hatten Titel wie „Zwischen Sommer und Winter“ oder „Der Sport in der Karikatur“ und waren bestimmt genauso spannend, wie man aufgrund der Namen vermuten würde.

Erlösung für den Fußballfreund brachte erst die Gründung der „Sportschau“. Die erste Ausgabe lief am 4. Juni 1961 und hatte noch keine Live-Spielberichte. Und auch die Sendung als solche atmete noch den Hauch des Provisorischen und wurde anfangs im zweiten Kanal der ARD ausgestrahlt, der zu Beginn der 1960er Jahre betrieben wurde, weil das ZDF nicht planmäßig in die Puschen kam.

Ursprünglich sonntags gesendet, wechselte die „Sportschau“ erst mit Beginn der Bundesliga 1963 auf den Samstag-Termin.

Die Ausstattung der Sendung war betont dröge, es ging um Dokumentation des Geschehenen, Unterhaltung oder gar Freude sollte nicht aufkommen, erst Jahre später wurden Rubriken wie „Tor des Monats“ eingeführt. Im Nachhinein wurde behauptet, diese Drögigkeit sei als Stilmittel Absicht gewesen, aber man kann wohl getrost davon ausgehen, dass diese Ausdrucksform die einzige war, die von den damaligen TV-Machern beherrscht wurde.

Getreu der These des kanadischen Wissenschaftlers Marshall McLuhan war beim Fernsehen „das Medium die Botschaft“. Das Medium war so neu und es war so sehr ein Zeichen von Wohlstand, ein solches Gerät zu besitzen, dass es absolut zweitrangig war, was auf der Mattscheibe stattfand. Wie immer, wenn es an Charme oder Einfallsreichtum fehlte, um Leute tatsächlich zu unterhalten, wurde behauptet, es ginge vor allem darum, das Publikum zu bilden. Leckerli wie Fußball wurden streng rationiert und nur geboten, wenn sich der Zuschauer ansonsten nichts hatte zuschulden kommen lassen.

Entwicklung der „Sportschau“

Anfangs war in der „Sportschau“ kaum Fußball zu sehen, und wenn Adolf Furler – der verständlicher- und vorzugsweise als „Adi“ oder „Addi“ auftrat – zugange war, konnte man sowieso den Eindruck gewinnen, die Sendung war nur geschaffen worden, um den begeisterten Pferdefreund auch mal ein paar Stunden von der Rennbahn fernzuhalten.

Spielberichte wurden unter abenteuerlichen Umständen, mit Motorradkurieren und Express-Postsendungen nach Köln geschafft. Dort im Studio signalisierte neben der Begegnung eine kleine aufgemalte Kamera, dass von diesem Spiel bewegte Bilder zu sehen sein werden.

Je näher ein Spielort am Studio lag, desto größer war damals die Wahrscheinlichkeit, ins Fernsehen zu kommen, womit der 1. FC Köln zumindest am Anfang einen unbestreitbaren Heimvorteil hatte.

Wenn man all die technischen Widrigkeiten und Unbeholfenheiten der Anfangszeit in Rechnung stellt, könnte man meinen, dass die „Sportschau“ der Anfangszeit heute nur noch als historisches Moment ohne Langzeitwirkung interessant ist, aber das ist beileibe nicht der Fall. Ernst Huberty, der ziemlich bald für die meisten Zuschauer „Mr. Sportschau“ war, hat bis in die Gegenwart alles und jeden geprägt, was auf den Bildschirmen des Landes Fußball kommentiert und reportiert. Viele gingen bei ihm die Lehre, auch und gerade jene, die bei den in späteren Jahren startenden Privat- und Pay-TV-Sendern einen Stil kreieren wollten, der sich von den althergebrachten öffentlich-rechtlichen Traditionen unterschied. 1992 schulte er die angehenden Moderatoren von Premiere, und einige sollen dabei aufgeregter gewesen sein als bei Interviews mit Spielern. Wenn es stimmt, was Huberty später erzählte (er habe unter anderem vermittelt, dass die angehenden Moderatoren nicht so viel nicken und am Anfang weniger Zahlenmaterial präsentieren sollten), dürfte er mit einem Grundlagenstudium angefangen haben.

Huberty, der in seiner Verschmitztheit ein wenig an Theo Lingen erinnerte, brachte auch die ersten wohldosierten Prisen Spott und Humor in seinen Reportagen unter. Allerdings wurde er in diesem Punkt noch von Kurt Brumme in seinen Radioreportagen übertroffen. Der wusste mit Grabesstimme nach einer Schauspieleinlage eines italienischen Verteidigers zu berichten: „Der Spieler Burgnich ist soeben im Strafraum verstorben.“ Aber Huberty hatte bei der Gelegenheit immerhin dem Spieler Schnellinger seinen neuen Vornamen „Ausgerechnet“ verpasst. 1982 trennten sich die Wege von der „Sportschau“ und des Luxemburgers mit dem „Klappscheitel“.

Von Rudi Michel über Heribert Faßbender bis Steffen Simon

Eine weitere prägende Figur war Rudi Michel, der sich immer auch als Missionar des schönen Spiels verstand und schon 1960 die vierteilige Serie „Fußball – richtig gespielt“ auf die Schirme brachte. Von 1954 bis 1982 war er bei allen Weltmeisterschaften dabei. Natürlich auch 1966 beim „Wembley-Tor“ im Finale von London, wo er eine Phrase prägte, die später von Béla Réthy zur Standardformel geadelt wurde: „Kein Tor! Oder doch?“

Fußball war für ihn „die schönste Nebensache der Welt“ und Sachlichkeit ein hohes und schützenswertes Gut. Wenn er sich doch mal zu einem Anflug von Emotion hinreißen ließ, dann entschuldigte er sich umgehend bei seinem Publikum, leicht verschämt wie ein Kind, das beim Griff in die Keksdose erwischt wurde.

Hubertys Nachfolger wurde Heribert Faßbender, der mit seinem „’n Abend allerseits“ die erste sogenannte Catch-Phrase im deutschen Fernsehen prägte, allerdings damit auch die erste Catch-Phrase, die alles andere als cool war. Immer ein wenig beamtisch wirkend, wagte Faßbender ab und an Ausflüge auf das Feld des Populismus („Schickt diesen Mann ganz schnell zurück in die Pampa!“ – Nach der Fehlentscheidung des argentinischen Schiedsrichters im Spiel Deutschland gegen die Niederlande bei der WM 1990), wofür er aber regelmäßig zurückgepfiffen wurde. Da Faßbender mit jeder Pore öffentlich-rechtliches Sendungsbewusstsein auszustrahlen schien, eignete er sich gut als Feindbild und Reizfigur für RTL, als man dort mit „Anpfiff“ eine neue Epoche einleiten wollte. Aber vermutlich hat das „Onkel Heribert“ (Potofski-Spott) wenig gestört.


Zum Glück noch ohne „Goool!“ – die „Sportschau“ mit Steffen Simon

Mit der Rückkehr zur „Sportschau“ im Jahr 2003 übernahm Steffen Simon die Leitung der Sendung. Die von ihm verantwortete Sendung erinnert konzeptionell an „Ran“ bei Sat.1, nur eben ohne klatschende Zuschauer. Simons Sinn für Humor ist nicht unumstritten, aber es ist bemerkenswert, dass er sich bei einer öffentlich-rechtlichen Sportsendung auch mal aus dem Fenster lehnt und was riskiert. Zudem kommentiert er viel selbst, was vor allem im Kontrast zu seinem Vorgänger, dessen fußballerische Kompetenz nicht unumstritten war, auffällt.

Aufgrund des geringen zeitlichen Abstands zwischen Abpfiff der Spiele und dem Sendungsstart hätte die „Sportschau“ so etwas wie ein Motor der Innovation sein können, aber die technischen Neuerungen kamen schleppend. Am Anfang gab es höchstens fünf Kameras und eine Zeitlupe. In den ersten Jahren war der Maz-Redakteur noch nicht vor Ort, die Reporter mussten nach dem Spiel Szenen auswählen, die dann in der Zentrale geschnitten und während der Sendung vom Reporter aus dem Stadion live kommentiert wurden.

Am Ball oder balla-balla?

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