Читать книгу Puzzleteile des Lebens - Thorben Korbitz - Страница 10
Ami
ОглавлениеMeine Uroma wurde 1902 geboren. Als Kleinkind konnte ich das Wort Oma nicht sprechen. Ich sagte immer Ami. Sie blieb meine Ami bis zum Schluss.
Ami war eine strenge aber recht gutmütige Frau. Sie hatte „eiserne“ Regeln und war sehr konservativ. Den ersten Weltkrieg überlebt. Im zweiten Weltkrieg hatte sie ihren Mann verloren und nie wieder einen anderen gehabt. Ihrem Sohn eine gute Ausbildung ermöglicht, ihre Enkelin großgezogen.
Gelernt hat meine Ami Köchin. Sie war auch eine kräftige Frau die sich so schnell nicht die Butter vom Brot nehmen ließ. Als ich klein war hatte ich mächtig Respekt vor ihr.
Ami hat bis zu ihrem 82. Lebensjahr gearbeitet. Teilweise an bis zu drei verschiedenen Arbeitsstellen. Da sie neben der Rente noch weiteres Einkommen hatte, dazu sehr sparsam war, konnte sie viel Geld sparen. Einiges legte sie auf einem Sparbuch an, für mich. Dazu aber später mehr.
Ich erinnere mich, dass ich eines Nachts aufgewacht bin und im Treppenhaus laute Stimmen hörte. Als ich die Tür einen Spalt weit öffnete sah ich Ami mit einem vollen Bierkasten in der rechten Hand vor meinem Stiefvater stehen und sagen: „Wenn Du meine Tochter noch einmal anfasst haue ich Dir den Kasten auf den Kopf!“ Stiefvater wich langsam zurück. Meine Mutter stand in der Schlafzimmertür mit zerrissenem Nachthemd und zerkratztem Dekollete´.
Das Verhalten meiner Uroma muss meinen Stiefvater mächtig beeindruckt haben, es war kurze Zeit später wieder Ruhe im Haus.
Als ich sieben war hat mich Ami mal beim Rauchen erwischt. Rauchen war eins von den Dingen die Ami nicht tolerierte. Also gab es was auf die Hände. Das war das einzige Mal, das ich von Ami eine Strafe bekommen habe.
Meiner Ami hatte ich so manche Geschenke zu verdanken. So bekam ich von ihr an meinem 5. Geburtstag, mein erstes Fahrrad. Damit durfte ich noch fahren.
An meinem 10. Geburtstag schenkte sie mir mein zweites Fahrrad. Ein 26 -er Herrenrad von „Diamant“. Damit konnte ich nur fahren, wenn mein Stiefvater nicht im Haus war. Und so stand mein Fahrrad bei Ami im Zimmer unter einer Decke.
Den richtigen Zeitpunkt für das Radfahren abzupassen war immer das Schwierigste an dem Ganzen. Man konnte sich nie sicher sein, wann mein Stiefvater nach Hause kommt. Es ging daher nur in den Ferien gefahrlos.
Einmal bin ich vor dem Haus mit dem Rad gefahren. Auf und ab. Der Weg war unbefestigt aber trocken. Rechtzeitig vor der geplanten Ankunft meines Stiefvaters schob ich das Rad wieder in das Zimmer meiner Oma und ging auf mein Zimmer. Wir, also meine Oma und ich, taten so als wäre nichts gewesen.
Mein Stiefvater kam mit meiner Mutter nach Hause und kam kurze Zeit später in mein Zimmer. Ich tat als wäre ich in ein Schulbuch vertieft. Er fragte mich: „Ob ich denn vergessen hatte, das ich mit dem Fahrrad nicht fahren dürfe?“ Dabei kam er langsam auf mich zu. „Natürlich nicht!“ „Und warum bist Du trotzdem gefahren?“ Ich überlegte ganz schnell, woher er das wissen konnte.
Hatte mich einer gesehen und verpetzt? Mir fiel so schnell keine Lösung ein. „Ich bin nicht gefahren!“ Und zack hatte ich seine Hand im Gesicht. Stiefvater nahm mich mit zwei Fingern am Ohr und zog mich die Treppe runter in den Flur. Der Flur war mit Terrazzoplatten ausgelegt und ich sah im Licht der Sonne … Reifenspuren von meinem Fahrrad. Mist, daran hatte ich nicht gedacht.
Nachdem die Prügelattacke vorbei war hatte ich Stubenarrest, verschärftes Fahrradverbot und bekam kein Abendbrot.
Um nun aber sicher zu gehen, dass ich auch wirklich nicht mehr Rad fahre hat mein Stiefvater die Ventile ausgebaut und mitgenommen. Also musste meine Oma erst wieder neue Ventile kaufen. Das dauerte eine Weile.
Von jetzt an betrieben wir, meine Oma und ich, noch mehr Aufwand wenn ich Rad fahren wollte. Am Anfang Ventile einsetzen und Luft aufpumpen. Am Ende den Flur wischen und die Ventile wieder entfernen.
Durch diese besonderen Vorsichtsmassnahmen verkürzte sich meine Zeit zum Fahren um eine weitere viertel Stunde. Aber, ich fuhr trotzdem! Ich hatte immer die Vermutung, dass mein Stiefvater Verdacht geschöpft hatte. Er konnte uns aber nichts mehr beweisen.
Im Laufe meiner Kindheit bekam ich von meiner Ami diverse Geschenke die einem Jungen Freunde machen. Das waren zum Beispiel ein elektrisches Polizeiauto mit Blaulicht und Sirene und ein Kettenpanzer, der sogar eine Rakete abfeuern konnte. Selbstverständlich durfte auch damit nur in Abwesenheit meines Stiefvaters gespielt werden.
Durch den gemeinsamen „Feind“ wurden Ami und ich zu Verbündeten. Am Anfang half sie mir und, je größer und älter ich wurde, half ich ihr. Ich bin der festen Überzeugung dass ich meiner Ami so Einiges verdanke. Ich habe es ihr, so gut es mir möglich war, zurückgegeben.