Читать книгу Glatt erwischt - Thurid Neumann - Страница 6
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Silvester in Freiburg
„Peppi! Hierher!“, rief Max dem kleinen Fellberg hinterher, der gerade losgeprescht war, um ein paar Enten nachzujagen, die auf der gefrorenen Dreisam in Freiburg nach Essbarem suchten. Doch als Peppi kurz vor dem Federvieh abbremsen wollte, schlitterte er einfach weiter und die Enten schauten ihm verdutzt hinterher. Aus lauter Panik begann Peppi in die entgegengesetzte Richtung zu laufen, doch dadurch geriet er ins Schleudern und drehte sich mehrmals um sich selbst.
„Peppi! Toll! Du kannst ja Pirouetten!“, jubelte Flo begeistert, während sich Max, Tim und Lara vor Lachen die Bäuche hielten.
„Ich glaube, du musst den Eisprinzen retten und an Land holen“, gluckste Tim schließlich, als Peppis Rutschpartie nicht enden wollte und er dabei alles andere als glücklich aussah.
„Komm, Peppi, du bist dafür ein Weltklasseschwimmer“, tröstete Max den kleinen Hund, nachdem er über das Eis zu ihm gegangen war und ihn auf den Arm genommen hatte. „Man muss ja nicht alles können.“ Peppi leckte Max einmal kurz zustimmend über das Gesicht, dann sprang er erleichtert von dessen Arm an Land.
„Wer hätte schon gedacht, dass dieser Winter so frostig wird, dass sogar die Dreisam gefriert“, meinte Lara zähneklappernd und schlang ihre Arme um sich. „Es ist eiskalt. Ich spürʾ meine Zehen kaum noch.“
„Wenn wir nicht jeden Tag mit Peppi rausgehen müssten, würde ich auch nicht freiwillig in der Eiseskälte spazieren gehen“, gestand Tim.
„Was ist Peppi eigentlich für ein Hund?“, wollte Flo wissen und schaute nachdenklich Peppi zu, der gerade seine Schnauze in eine Brottüte gesteckt hatte und nun versuchte, sie wieder herauszubekommen.
Max, Tim und ihre Eltern Markus und Sibylle waren von Laras und Flos Eltern nach den Weihnachtsfeiertagen nach Freiburg eingeladen worden, um dort gemeinsam Silvester zu feiern. Einen Tag vor ihrer Anreise hatte Maxʾ und Tims Vater bei ihnen angerufen und gefragt, ob er den Hund eines Kollegen mitbringen dürfe. Dieser war am Zweiten Weihnachtsfeiertag mit seinem Hund Peppi spazieren gegangen und auf einer Eisfläche so unglücklich ausgerutscht, dass er nun mit gebrochenen Rippen und einem gebrochenen Bein im Krankenhaus lag. Da er sonst niemanden hatte, der sich um den Hund kümmern konnte, hatten sich Maxʾ und Tims Eltern angeboten, Peppi solange zu sich zu nehmen.
„Also, ein Husky ist er auf jeden Fall nicht“, meinte Max und zog die Tüte von Peppis Schnauze.
„Und auch keine Eisprinzessin“, urteilte Tim.
„Und auch wenn er gerne Enten jagt, er macht auf mich auch nicht den Eindruck eines Jagdhundes“, sagte Lara. „Dazu ist er irgendwie zu tollpatschig.“
„Peppi, merkst du nicht, dass der Ast dort zu groß für dich ist? Komm, nimm den Stock hier!“, schlug Max Peppi vor und hielt ihm einen immer noch recht großen Stock vor die Schnauze. Doch Peppi würdigte ihn keines Blickes. Dafür nagte er nun noch intensiver an dem Ast, den er für sich selbst ausgesucht hatte, der aber leider so groß war, dass er ihn keinen Millimeter von der Stelle bewegen konnte.
„Eigentlich sieht er aus wie selbst gestrickt“, stellte Flo fest.
„Oder wie ein Wischmopp“, schlug Tim vor. In dem Moment bellte Peppi los.
„Ist ja schon gut. Es war ja nicht so gemeint“, entschuldigte sich Tim sofort.
„Man sollte nicht meinen, dass so ein kleiner Hund wie Peppi bellt wie ein gefährlicher Kampfhund“, lachte Lara. „Wenn ich Peppi nur bellen hören und ihn dabei nicht sehen würde, hätte ich richtig Angst vor ihm.“
„Vor diesem kleinen weißen Fellknäuel?“, fragte Flo ungläubig und ging in die Hocke, um Peppi auf den Arm zu nehmen. Peppi hüpfte auch gleich hoch und vergaß dabei sogar seinen Ast. Lara lachte.
„Nein, natürlich nicht vor diesem Wattebausch, sondern vor seinem Bellen!“
„Ein kleiner Wolf im Schafspelz, genau. Das ist er!“, bestimmte Max und wuschelte einmal durch Peppis Fell. „Nicht wahr, Peppi?“
„Also, wenn ihr mich fragt, ich würde jetzt gerne wieder nach Hause gehen. Ich bin total durchgefroren“, bibberte Tim.
„Ja, ich auch“, stimmte Lara zu und Max nicke.
„Ich kann auch zu Hause mit Peppi kuscheln“, stellte Flo fest.
„Flo, jetzt lass Peppi doch mal wieder runter. Er soll selber laufen. Schließlich gehen wir seinetwegen spazieren“, forderte Lara ihre kleine Schwester auf. Flo zog einen Schmollmund.
„Ja, ja, ist ja schon gut“, murrte sie und Peppi sprang so überschwänglich von ihrem Arm, dass er sich zweimal auf dem Boden überschlug.
„Ein Wunder, dass sich nur sein Herrchen etwas gebrochen hat“, grinste Max. Die Sonne neigte sich allmählich dem Horizont zu und die klirrende Kälte kroch durch jede noch so kleine Ritze in den Kleidern der Kinder.
„Ist der Bodensee denn auch zugefroren?“, wollte Flo wissen, die neben den anderen und Peppi herhopste.
„Na ja, nicht der ganze Bodensee“, erklärte Max, „nur ein Teil davon.“
„Dazu ist der Bodensee viel zu groß“, fügte Lara hinzu. „Überleg doch mal, das ganze Wasser, das würde viel zu lange dauern. Da wäre es ja schon wieder Frühling.“
„Och, dann friert der Bodensee nie ganz zu?“, hakte Flo nach.
„Ich denke nicht“, meinte Lara, „oder?“ Sie sah Max fragend an.
„Das passiert nur ganz selten. Zuletzt ist der Bodensee im Winter 1962/63 ganz zugefroren. Im Alemannischen sagt man dazu „Seegfrörne“, erläuterte Max. Lara sah ihn mit großen Augen an.
„Du veräppelst mich jetzt nicht, oder? War da wirklich der ganze Bodensee zugefroren? Komm, Peppi, die Katze dort tut dir nichts. Sie frisst keine Hunde, nur Mäuse.“ Peppi wagte sich aus seinem Versteck hinter einem Baumstumpf hervor und sauste schließlich in einem großen Bogen an der gefährlichen Katze vorbei. Als er es geschafft hatte, bellte er kurz zweimal so fürchterlich, dass die Katze doch noch davonlief.
„Nein, Max veräppelt dich nicht. Wir haben das sogar in der Schule durchgenommen“, stimmte Tim seinem großen Bruder zu. „Dazu braucht man einen extrem kalten Sommer, lang anhaltende Ostwinde und sehr kaltes Wetter im Herbst und Winter“, fuhr er fort.
„Also wird es dieses Jahr trotz dieser Eiseskälte keine Seegfrörne geben“, urteilte Lara fachmännisch. „Wir hatten einen tollen, heißen Piratensommer und einen sehr nebligen, aber nicht extrem kalten Herbst, und damit fehlen schon einmal zwei wichtige Voraussetzungen. Wozu dann eigentlich die ganze Kälte jetzt im Winter?“ Lara nahm den Stein, den Peppi ihr vor die Füße gelegt hatte, und warf ihn nach vorne. „Wieso nimmt er eigentlich einen Stein und keinen Stock?“, wollte sie wissen.
„Er taucht im Sommer gerne nach Steinen“, erklärte Tim.
Lara nickte. Sie mochte den Sommer auch sehr gerne. Vor allem die Sommerferien am Bodensee. Was hatten sie dort in den letzten zwei Jahren für tolle Abenteuer erlebt! Einmal hatten sie den wahren Erben von Schloss Krähenstein ausfindig gemacht und sogar ein bisschen herumgespukt, ein anderes Mal hatte sie eine Flaschenpost zu einem richtigen Schatz geführt. Ja, es machte Spaß, vom Sommer zu träumen, vor allem bei solch einer klirrenden Kälte. Da war es ja in den Herbstferien, als sie alle zusammen auf Vampirjagd gegangen waren, noch regelrecht warm gewesen.
„Also, wegen der ganzen Kälte ist jetzt wenigstens der Gnadensee zugefroren“, nahm Max das Gespräch wieder auf.
„Der Gnadensee?“, wiederholte Flo und zupfte ein paar welke Blätter aus Peppis Fell. „Was ist das denn?“
„Das ist ein Teil vom Bodensee. Genau genommen, ein Teil vom Untersee“, erklärte Max. „Es gibt eine Legende dazu, weshalb dieser Teil des Bodensees Gnadensee heißt.“
„Und was ist das für eine Legende?“, fragte Lara interessiert.
Sie verließen nun das Ufer der Dreisam und bogen in Richtung Innenstadt ab. Die Straßenlaternen leuchteten schon und die Kinder konnten in der Dämmerung ihren Atem vor sich sehen.
„Nun, die Insel Reichenau war im Mittelalter eine Klosterinsel und galt als heilige Insel“, fuhr Max fort. „Das heißt, dass dort zwar Todesurteile gefällt werden konnten, sie durften jedoch nicht auf der Insel vollstreckt werden.“
„Was ist vollstrecken?“, wollte nun Flo wissen.
„Nun, vollstrecken bedeutet, dass das Todesurteil ausgeführt wird“, erklärte ihr Tim.
„Und wie?“, hakte Flo nach und sah dabei ihrem eigenen Schatten zu, wie er immer größer und größer wurde und dann auf einmal bei der nächsten Straßenlaterne hinter ihr verschwand, um aufʾs Neue zu wachsen.
„Nun, die meisten von ihnen wurden an einem Galgen erhängt“, stellte Max fest.
„Erhängt?“, piepste Flo und ihr lief ein Schauer über den Rücken. Sie hatte schon einmal ein Bild von einem Henker gesehen. Der hatte eine schwarze Kapuze auf und sah so aus wie ihr Schatten. Ein Henkerschatten! Flo machte einen Satz zu Lara und umfasste ihre Hand. Zum Glück war Peppi so weiß. Ihn konnte kein Schatten fressen.
„Ja, so war es auch mit den Todesurteilen, die auf der Insel Reichenau gefällt wurden. Der Verurteilte wurde dann nach der Urteilsverkündung mit einem Schiff aufʾs Festland nach Allensbach gebracht. Dort stand im Mittelalter der Galgen des Klosters. Der Acker dort zwischen den Orten Allensbach und Hegne heißt daher übrigens heute noch Galgenacker.“ Galgenacker. Wie gruselig. Flo beobachtete Maxʾ Schatten, während sie weiter seinen Erklärungen lauschte. „Und wenn dann während der Überfahrt des Verurteilten ein Glöcklein läutete, wurde dieser begnadigt, also auf dem Festland freigelassen. Daher heißt der Teil des Bodensees zwischen der Insel Reichenau und Allensbach und Hegne heute noch Gnadensee.“
„Peppi! Nicht in den Stadtbach!“, rief Lara in dem Moment. Doch da war es schon zu spät. Peppi schlitterte den zugefrorenen Stadtbach entlang, bis er am Ende gegen die Kante beim Abfluss knallte.
„Autsch! Peppi ist ja echt gnadenlos!“, lachte Max, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass Peppi sich nicht verletzt hatte. „Komm, du Gauner, lass uns jetzt nach Hause gehen und auf weitere Rutschpartien für heute verzichten.“
„Das ist jedenfalls eine ganz schön schaurige Geschichte“, stellte Lara fest. Flo nickte stumm.
„Ja, aber daran denkt heutzutage kaum noch jemand. Im Sommer freuen wir uns, dass der Gnadensee so warm ist, weil er nicht sehr tief ist, und im Winter kann man dort klasse eislaufen“, meinte Tim.
„Eislaufen? Man kann dort eislaufen?“, fragte Lara.
„Ja, wenn die Eisfläche dick genug ist, wird sie zum Eislaufen freigegeben.“
„Und ist sie jetzt auch zum Eislaufen freigegeben?“, wollte Lara wissen.
„Was denkst du denn, bei dieser Eiseskälte! Klar ist sie freigegeben!“ Max knuffte Lara in die Seite. „Denkst du auch gerade das, was ich denke?“
„Ich denke schon“, zwinkerte Lara Max zu.
„Ihr wollt nach Silvester noch ein paar Tage an den Bodensee?“, fragte Kerstin, Laras und Flos Mutter. „Nun, wenn ihr nichts dagegen habt“, wandte sie sich an Maxʾ und Tims Eltern.
„Aber natürlich haben wir nichts dagegen. Ich werde in der nächsten Zeit Markus viel im Büro helfen müssen, bis sein Kollege wieder aus dem Krankenhaus draußen ist und sich selbst um seine Akten kümmern kann“, sagte Sibylle.
„Juchuuuhhhh!!!“, jubelten da auch schon die vier Kinder los und Peppi hüpfte freudig an ihnen hoch, als wüsste er, worum es ging. Doch zum Glück wusste Peppi nicht, dass die Kinder vorhatten, auf dem Gnadensee eiszulaufen. Denn eine Eisprinzessin war er wirklich nicht.