Читать книгу Glatt erwischt - Thurid Neumann - Страница 7
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Eislaufen auf dem Gnadensee
„Wahnsinn!“, rief Lara, als sie mit dem Auto über den Damm auf die Insel Reichenau fuhren. „Da kann man ja von der Insel bis hinüber nach Hegne und Allensbach über das Eis laufen!“ Flo presste neugierig ihre Nase an die Autofensterscheibe, sodass diese in wenigen Sekunden völlig beschlagen war.
„Mensch, Flo, nimm mal deine Nase da weg. Man kann ja gar nichts mehr sehen“, ärgerte sich ihre große Schwester. Doch da hüpfte schon Peppi auf Flos Schoß und leckte das Fenster ab.
„Ein Scheibenwischerhund!“, lachte Max.
Dann zeigte Tim auf einen riesigen Schwarm Wasservögel, der eine Runde über dem Eis drehte. „Schaut mal! Sieht das nicht klasse aus?“, meinte er fasziniert.
„Unglaublich schön“, stimmte Lara zu. „Aber wo finden die denn jetzt etwas zu essen?“
„Na, auf der anderen Seite der Insel“, erklärte Tim und nickte mit dem Kopf nach links. „Dort ist das Wasser nicht gefroren, weil es dort viel tiefer ist und der Rhein durchfließt.“ Tatsächlich. Auf der anderen Seite der Insel, wo gegenüber die Schweiz lag, säumten unzählige Wasservögel das Ufer: Fischreiher, Kormorane, Stockenten, Kolbenten, Haubentaucher und viele andere mehr, die Lara gar nicht kannte.
„Wir halten dann dort vorne beim Heiligen Pirmin an und lassen euch da raus“, meinte Markus.
„Wer ist der Heilige Pirmin?“, piepste Flo hinter Peppi hervor.
„Pirmin war der Gründer des Klosters auf der Insel Reichenau“, erklärte Sibylle. „Er ist nun der Schutzpatron der Insel und dort vorne, am Zugangsdamm zur Reichenau, befindet sich eine Steinstatue von ihm. Da ist auch ein kleiner Parkplatz, wo wir anhalten können.“
„Ich gehe dann mit Sibylle für drei Stunden ins Büro, um nach Dieters Post zu sehen“, meinte Markus. Peppi spitzte sofort seine Ohren, als er den Namen seines Herrchens hörte.
„Und wenn es euch kalt wird, dann holt euch einfach am Glühweinstand einen heißen Kinderpunsch, okay?“, fügte Sibylle hinzu. „Meint ihr auch wirklich, dass drei Stunden nicht zu lang sind?“
„Ach was, die werden wie im Flug vergehen“, beruhigte Tim seine Mutter, während Markus mit dem Auto in eine gerade frei gewordene Lücke auf dem übervollen Parkplatz fuhr.
„Glück muss man haben“, freute er sich und stieg aus, um den Kindern die Schlittschuhe zu geben.
„Was wollt ihr denn mit dem Schlitten auf dem Eis?“, wunderte sich Sibylle, nachdem diese ebenfalls zum Kofferraum gegangen war.
„Ach, der ist für Peppi“, meinte Flo schulterzuckend und zog sich ihre warme Pudelmütze über den Kopf.
„Für Peppi? Was will Peppi denn mit einem Schlitten?“, wollte nun auch Markus wissen.
„Ach, wisst ihr, Peppi ist nicht gerade ein begnadeter Eisläufer. Daher dachten wir, dass wir ihn auf einem Schlitten hinter uns herziehen“, erklärte Flo und holte noch ein dickes Fell aus dem Kofferraum. „Damit er es auch gemütlich hat.“ Markus nickte beeindruckt.
„Jetzt fehlt nur noch das offene Kaminfeuer“, lachte er. Flo warf ihm einen schrägen Blick von unten zu. Dann schüttelte sie den Kopf.
„Das geht doch nicht, Markus. Aber schau, dafür haben wir für Peppi noch einen Pullover dabei.“ Und schon zog sie einen rosa Pulli aus dem Kofferraum und stülpte ihn Peppi über den Kopf.
„Wo hast du den denn her?“, fragte Tim entsetzt, als Peppi seine Schnauze aus dem rosa Strickteil steckte.
„Den leiht mein Kuschellämmi Peppi aus“, teilte Flo Tim mit, „schließlich braucht es den Pulli ja jetzt nicht, wenn es zu Hause im Warmen sitzt.“
„Aber Peppi sieht total bescheuert aus damit“, stöhnte Max. Doch in dem Moment sprang Peppi an Maxʾ Beinen hoch und wedelte wie verrückt mit seinem flauschigen Schwänzchen.
„Du willst mir damit doch wohl nicht sagen, dass dir das peinliche rosa Ding gefällt“, seufzte Max.
„Aber natürlich gefällt Peppi der Pullover. Er sieht doch schick aus“, verteidigte Flo den puscheligen weißen Büschel. „Im Gegensatz zu dir versteht er eben etwas von Mode.“
Markus und Sibylle betrachteten Peppi nachdenklich.
„Also dann, solange sich Peppi wohlfühlt“, meinte Sibylle schließlich. Und den Eindruck machte Peppi auch. Mit hoch erhobenem Kopf stand er schwanzwedelnd neben den Kindern und schien es kaum erwarten zu können, den Pullover anderen Hunden vorzuführen.
„Nun gut“, seufzte Markus mit gerunzelter Stirn und fügte noch murmelnd hinzu: „Das erzähle ich Dieter besser nicht.“
„Wir passen auf ihn auf“, versprach Max.
„Und auf uns natürlich auch“, fügte Lara schnell hinzu. Dann fuhren Markus und Sibylle wieder fort und die Kinder liefen durch das Schilf hinunter zum Ufer.
„Wow! Das sieht ja aus wie in einer Märchenlandschaft!“, rief Lara begeistert. „Als würde dort drüben in dem Schloss in Hegne die Schneekönigin wohnen!“
Die gesamte Wasserfläche zwischen der Insel Reichenau und Allensbach und Hegne war gefroren und das Eis glitzerte in der Sonne wie ein riesiger Teppich aus Bergkristall. Sie gingen bis zum Eis vor, um dort ihre Schlittschuhe anzuziehen.
„Peppi, lass das!“, rief Max in dem Moment. „Du ...“ Doch da schlitterte Peppi schon auf seinem Po über die Eisfläche, sodass zwei Kinder ihm ausweichen mussten, um nicht über ihn zu stolpern. Erstaunt sahen die beiden Eisläufer dem rosa-weißen Puschel hinterher, als wären sie sich nicht ganz sicher, ob sie soeben tatsächlich einen Hund gesehen hatten.
„Das wird so nichts, Peppi, glaub mir!“, versuchte Tim Peppi zu erklären, als er ihn von der Eisfläche wieder an Land trug und auf den Schlitten setzte.
„Du wärst ein prima Hofnarr-Hund im Schloss der Eiskönigin“, lachte Lara und zog Flos Schnürsenkel an deren Schlittschuhen fest. Peppi ließ traurig seine Ohren hängen, doch als Flo ihm ein Hundeleckerli gab, hatte der Kleine sein peinliches Missgeschick schon wieder vergessen und wedelte vergnügt.
„So, seid ihr alle so weit?“, wollte Max wissen.
„Klar!“, riefen Lara, Tim und Flo. Dann liefen sie los und Max zog Peppi auf dem Schlitten hinterher. Während die Kinder über das Eis glitten, drehten sich einige Eisläufer immer wieder nach ihnen um, um zu sehen, ob der Hund auf dem Schlitten echt war oder nur eine Kuschel-Plüsch-Version, die es zu Weihnachten gegeben hatte. Peppi hatte es sich inzwischen gemütlich gemacht und sich auf das Fell gelegt, mit der Schnauze in Fahrtrichtung voraus, damit er auch nichts verpasste.
„Das ist wirklich traumhaft schön“, schwärmte Lara, die trotz der Kälte ein wenig ins Schwitzen geraten war.
„Ja, das kann man nicht mit dem Schlittschuhfahren in der Halle vergleichen, wo man nur im Kreis laufen darf und aufpassen muss, nicht mit jemandem zusammenzustoßen“, stimmte Max zu. „Das hier ist die absolute Freiheit!“
Die Kinder liefen bis hinüber nach Allensbach. Dort kauften sie sich an einem Stand heißen Kinderpunsch, bevor sie zurück über das Eis zur Insel Reichenau fuhren.
„War das herrlich!“, freute sich Lara. „Am liebsten würde ich noch eine Runde laufen.“
„Ja, aber jetzt muss sich Peppi ein wenig bewegen, bevor er noch zu einer Eisstatue wird“, meinte Tim und hob das Fellknäuel vom Schlitten. „Uh, er ist schon ganz schön steif.“
Erschrocken rannte Flo zu dem Hund. „Peppi! Ist er schon gefroren?“, rief sie erschrocken. Doch da lachte Tim schon.
„Nein, natürlich nicht, Flo. Ich habe einen Spaß gemacht. Er ist nur ein bisschen faul geworden. Aber schau, jetzt rennt er schon wieder.“ Peppi hatte ein paar Möwen am Rande des Schilfs entdeckt und glaubte nun, sie fangen zu können. Doch kurz bevor der furchterregende Jagdhund meinte, sie schnappen zu können, flatterten sie gelangweilt davon und machten sich nicht einmal die Mühe, ängstlich zu kreischen.
Erleichtert atmete Flo auf.
„Komm, Peppi! Hier ist ein Stock!“, rief sie und wedelte mit einem Stöckchen vor ihrer Nase herum. Da rannte Peppi auch schon auf sie zu und bellte dabei so gefährlich klingend, dass ein paar umherstehende Eisläufer erschrocken zur Seite sprangen.
„Peppi! Hör mit dem Bellen auf! Du machst hier ja allen Angst!“, forderte Max Peppi auf. Doch als die Eisläufer sahen, was für ein kleiner niedlicher Hund mit einem rosa Pulli das Gebell veranstaltete, begannen sie alle herzlich zu lachen.
„Ein Wolf im rosa Pulli“, kicherte Lara.
„Ja, wirklich“, stimmte Max Lara lachend zu und schüttelte den Kopf, als er sah, wie sich Peppi auf Flos Stock stürzte.
„Kommt, lasst uns hier am Ufer spazieren gehen. Dann haben wir den herrlichen Blick auf die Eisfläche die ganze Zeit vor uns“, schlug Lara vor und warf den Stock, den Peppi ihr vor die Füße gelegt hatte, voraus. Sie verstauten schnell die Schlittschuhe auf dem Schlitten und legten das Fell darüber. Anschließend liefen die Kinder gemeinsam mit Peppi Stöckchen werfend am Ufer entlang und knabberten dabei ein paar Weihnachtsplätzchen, die ihnen Sibylle noch eingepackt hatte.
„Schaut mal! Da vorne könnt ihr die Hegauberge sehen“, erklärte Max und zeigte in Richtung Westen, wo sich die Sonne allmählich schon wieder zum Untergehen vorbereitete.
„Cool!“, rief Flo beeindruckt. „Das sind ja Vulkane!“
„Ja, du hast recht“, pflichtete ihr Max bei. „Das ist wirklich eine alte Vulkanlandschaft.“
„Oje. Und was machen wir, wenn jetzt einer der Vulkane ausbricht?“, fragte Flo erschrocken.
Max lachte. „Keine Angst. Die Vulkane sind schon lange erloschen“, beruhigte er sie.
„Und schaut mal, auf dem Berg Hohentwiel dort könnt ihr sogar die alte Festungsruine sehen“, erklärte Tim.
„Wahnsinn. Das ist echt unglaublich, wie weit man von hier aus in die Vergangenheit zurückblicken kann“, staunte Lara.
„Peppi! Komm sofort hierher!“, rief Max, als er sah, wie Peppi an einer alten Hütte, die verlassen am Ufer stand, herumschnüffelte und nun sogar versuchte, ein Loch in das Holz zu buddeln, um hineinzukommen.
„Die Hütte gehört uns nicht“, schimpfte Max und zog Peppi am Halsband zurück. „Du kannst da auch kein Loch hineinbuddeln. Schau doch mal, du zerkratzt ja alles.“
„Wahrscheinlich ist ihm kalt geworden und er denkt, in der Hütte ist es schön warm“, überlegte Lara laut. „Vielleicht sollten wir jetzt auch besser umkehren. Wie viel Uhr ist es überhaupt?“
„Noch eine halbe Stunde haben wir Zeit. Das passt gerade, wenn wir jetzt zurückgehen“, meinte Max. „Komm jetzt, Peppi!“ Doch der Hund riss sich von Max los und begann erneut, an der Hütte zu buddeln.
„Was hat er nur? Da stimmt doch irgendetwas nicht“, sagte Lara. „Ich sehʾ mal nach. Vielleicht ist die Tür ja offen und ... hm, verschlossen.“
„Was soll da denn schon sein?“, murrte Tim. „Das ist doch nur eine alte Fischerhütte. Sonst nichts. Und vielleicht riecht es da eben besonders lecker nach Fisch, nicht wahr, Peppi?“ Der Angesprochene winselte.
„Aber da kannst du nicht rein, Peppi. Egal, wie fein es dort für deine Hundeschnauze auch riechen mag. Komm, du bekommst zu Hause etwas zum Fressen.“
„Schau, ich habe auch noch ein Leckerli für dich“, versuchte nun Flo, Peppi von der Hütte fortzulocken. Schließlich schien dieser einzusehen, dass er nicht in die Hütte hineinkam, und nahm stattdessen den kleinen Hundekuchen, den Flo ihm hinhielt.
„Also los, lasst uns den Rückweg antreten“, bestimmte Max.
„Jetzt wird es auch wieder eisig kalt“, bibberte Lara. „Wie gerne hätte ich jetzt noch einmal einen Kinderpunsch.“
„Ja, die Sonne ist gleich weg. Das merkt man sofort“, stimmte Tim zu und zog sich seine Mütze noch etwas tiefer ins Gesicht.
„Schaut mal, die Wiesen dort drüben zwischen Allensbach und Hegne. Da ist der Galgenacker“, erklärte Max. Flo folgte Maxʾ Finger, der auf die andere Uferseite zeigte und ihr war, als würde sie dort eine schwarze Gestalt mit einer schwarzen Kapuze sehen. Aber ... das konnte doch nicht sein, oder? Es konnte doch nicht sein, dass dort immer noch ein Henker herumspukte. Obwohl ... wenn der Henker so viele Menschen erhängt hatte, dann konnte er jetzt seinen Frieden nicht finden und ...
„Irgendwas stimmt mit der Hütte nicht“, unterbrach Lara Flos Gedanken.
„Was soll denn mit der Hütte nicht stimmen?“, wollte Max wissen und sah Lara mit gerunzelter Stirn an.
„Ich weiß es nicht. Es ... es ist nur so ein Gefühl ...“
„Lust auf neue Abenteuer?“, neckte sie Max.
„Ja, vielleicht auch das“, räumte Lara ein.
„Aber der Henkerschatten“, dachte Flo. War der auch nur so ein Gefühl? Sie fröstelte. Jedenfalls war es ein eiskaltes.