Читать книгу Patricia Peacock und der verschwundene General - Tiffany Crockham - Страница 4

1. Schlag ein Rad

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Patricia betrachtete ratlos den durchsichtigen blauen Stoff. Er war mit glitzernden Pailletten bestickt und von silbernen Fäden durchwirkt. Was immer diese Geschmacklosigkeit auch darstellte – es war nicht das Kostüm, das sie in Auftrag gegeben hatte. „Was hältst du davon, Miss Kitty?“, fragte sie die rotgetigerte Katze, die es sich auf ihrem Bett gemütlich gemacht hatte und sie aus halb geschlossenen Augen beobachtete. Miss Kitty schien allerdings nicht sonderlich interessiert an ihren Kostümproblemen. Patricia hatte die Straßenkatze kurz vor Weihnachten aus Mitleid ins Haus geholt. Obwohl Miss Kitty sich ganz nach Katzenart aus Menschenproblemen herauszuhalten schien, weckte der glitzernde Hauch von Nichts, mit dem Patricia vor dem großen Spiegel stand, ihr Interesse. Miss Kittys Katzenaugen folgten jedem Aufblitzen der Pailletten in erwartungsvoller Anspannung.

Patricia bedachte die Katze mit einem mahnenden Blick. „Denk nicht einmal dran. Du hast diese Woche schon den Gürtel meines Kleides ruiniert. Ich werde diese Peinlichkeit zurückgeben. Offenbar hat mir der Schneider das falsche Kostüm gebracht.“

Während Patricia mit dem Kostüm das Schlafzimmer verließ, folgte ihr Miss Kittys enttäuschter Blick.

„Abdul?“

„Ja, Memsahib?“

Der indische Hausdiener erschien mit seiner Räucherschale. Offenbar war Abdul mal wieder hinter ein paar rachsüchtigen Geistern her, die, wie er glaubte, das Haus regelmäßig heimsuchten. Patricia hatte es mittlerweile aufgegeben, ihn davon zu überzeugen, dass es Geister oder Flüche nicht gab. Abdul, mir ist hier noch nie ein Geist begegnet, hatte Patricia erst letzte Woche versucht, seine Aktivitäten des Ausräucherns wenigstens auf ein Minimum zu beschränken. Natürlich nicht, Memsahib. Das liegt daran, dass ich das Haus regelmäßig mit Räucherungen gegen böse Geister schütze.

Nun – im Augenblick hatte Patricia andere Sorgen. Sie brauchte ein tragbares Kostüm für den Silvesterball heute Abend.

„Abdul, bitte holen Sie den Kostümschneider zurück. Er hat mir das falsche Kostüm gebracht.“ Wie zum Beweis hielt sie ihm den hauchdünnen Stoff entgegen.

„Das ist ein sehr hübsches Kostüm, Memsahib.“

Patricia hob eine Braue. „Ich könnte genauso gut unbekleidet zum Silvesterball im Mena Hotel gehen. Also bitte holen Sie den Schneider zurück.“

Abdul seufzte und sah sich misstrauisch um, als wolle er sichergehen, dass alle Geister vertrieben waren. „Ja, Memsahib, er ist noch nicht lange fort.“

Nervös tappte Patricia mit der Spitze ihres Fußes, während sie wartete. Da hatte sie schon einmal eine Einladung ins Mena Hotel, und alles lief schief. Was hatte sie dem Himmel nur getan, dass er sie derart bestrafte? Immerhin – keine fünf Minuten später betrat der Kostümschneider den Salon.

Vorwurfsvoll hielt Patricia ihm den blauen Stoff entgegen. „Es liegt eine Verwechslung vor. Das ist nicht das Kostüm Gouvernante.“

Der ägyptische Schneider sah sie verständnislos an. „Nein, Miss, das ist das Kostüm Salome.“

„Aber ich habe das Kostüm Gouvernante bei Ihnen bestellt.“

Er zuckte mit den Schultern. „Aber Ihr Gatte kam zu mir und änderte die Bestellung in das Kostüm Salome.“

„Mein Gatte?“

„Ja, Miss … so ein großer Amerikaner namens Maddock.“

Patricia zwang sich, tief durchzuatmen, während sich in ihr ein ungutes Gefühl regte, das immer dann auftrat, wenn John Maddock involviert war. Wie gut, dass sie ihr Korsett nicht mehr trug, denn sonst wäre sie das erste Mal in ihrem Leben vielleicht wirklich in Ohnmacht gefallen.

„Guter Mann … da mein Name Peacock ist und Sie mich mit Miss anreden, kann Mr. Maddock nicht mein Ehemann sein und damit auch nicht von mir beauftragt worden, die Bestellung meines Kostüms zu ändern.“

Hinter der Stirn des Schneiders arbeitete es. Offenbar erkannte er die Logik in ihren Worten. Er kratzte sich das Kinn, richtete den Ärmel seiner Dschallabija, obwohl sie makellos und ohne eine Falte war, und verschränkte dann die Arme vor der Brust. „Wollen Sie das Kostüm nicht?“

„Nein, ich möchte das Kostüm, das ich bestellt habe.“

„Aber ich habe es nicht angefertigt, da ich dachte, dass die Bestellung von Ihrem Ehemann geändert wurde.“

„Ich kann heute Abend unmöglich in so einem … Negligé zum Silvesterball erscheinen.“

„Dann gehen Sie eben nicht hin“, schlug der Schneider vor. „Ich muss noch weitere Kostüme ausliefern. Soll ich das Kostüm wieder mitnehmen?“

In einem Anflug von Trotz presste Patricia den Hauch von Stoff an ihre Brust. Um keinen Preis der Welt würde sie den Silvesterball verpassen, und ohne Kostüm gab es keinen Einlass. „Nein, ich behalte es“, stellte Patricia verärgert klar, während sie im Kopf ihre Garderobe durchging und überlegte, wie sie dem Kostüm ein wenig von seiner Skandalösität nehmen konnte.

„Dann gehe ich jetzt.“ Dem Schneider war klar, dass Patricia keine andere Möglichkeit blieb, als das Kostüm zu behalten, wenn sie auf den Silvesterball wollte.

Patricia sah ihm hinterher und richtete ihren Ärger auf den wahren Verursacher dieser Katastrophe. Sie würde das nicht so hinnehmen – dieses Mal nicht!

„Abdul … wenn Mr. Maddock zurückkommt ...“

Der Hausdiener steckte seinen Kopf in die Tür. „Ja, Memsahib?“

Natürlich hatte er gelauscht. Gute Hausdiener taten das, um immer informiert zu sein, das wusste Patricia von ihrer Anstellung bei Lady Blanford als Gesellschafterin.

„Es würde ja doch nichts bringen“, gestand Patricia sich selbst ein. John trieb sie in den Wahnsinn. Sie hätte ihn längst aus dem Haus werfen sollen, wie Fatima nicht müde wurde, anzumerken. Immerhin hatte er seine Detektei neu eröffnet, und genau wie auch Fatima argwöhnte Patricia, dass John sich gar nicht ernsthaft darum bemühte, eine Wohnung in Kairo zu finden.

Sie betrachtete das schreckliche Kostüm. Hiermit war allerdings der Höhepunkt dessen erreicht, was John sich herausnehmen durfte! Nach dem Silvesterball würde sie ihn auffordern, sich eine Wohnung zu suchen, und daran änderten auch die Momente der Schwäche nichts, die sie sich in der Gartenlaube mit ihm erlaubt hatte.

Bevor Patricia sich auf den Weg zurück in ihr Schlafzimmer machte, um die blau-silberne Peinlichkeit irgendwie in ein tragbares Kostüm zu verwandeln, gewann endgültig die Rachegöttin in ihr die Oberhand.

„Abdul, lassen Sie doch Miss Kitty in Mr. Maddocks Zimmer.“

„Aber Mr. Maddock mag doch keine Katzen.“

„Dann ist es an der Zeit, dass die beiden sich besser kennenlernen. Vertrauen Sie mir.“

Abdul zuckte die Schultern. „Wie Sie meinen, Memsahib. Außerdem kann ich bei der Gelegenheit auch gleich Mr. Maddocks Zimmer ausräuchern.“

Eine hervorragende Idee, wie Patricia fand. Gegen ihre innere Überzeugung verspürte sie tiefe Befriedigung bei der Vorstellung, dass John in sein Zimmer käme, und Miss Kitty dort vorfände. Sie hoffte außerdem inständig, dass irgendetwas von Johns persönlichen Dingen Miss Kittys Krallen zum Opfer fallen würde – vorzugsweise sein Kostüm. Das hatte sie noch gar nicht gesehen. Patricia war jedoch ziemlich sicher, dass es nicht durchsichtig war wie ihres.


John hätte nichts dagegen gehabt, sich unter dem Sofa zu verkriechen und erst wieder herauszukommen, wenn die Schlechtwetterfront vorbeigezogen war. Patricias Laune schien sich einfach nicht bessern zu wollen. Schon als er und Sir Tiny die Tür hereingekommen waren, hatte sie wie ein güldener oder besser blau-silberner Racheengel im Salon auf ihn gewartet. Patricia war ein atemberaubender Anblick in dem Kostüm, das er ausgesucht hatte. Wobei es schade war, dass sie eines ihrer seidenen Nachthemden unter dem Stoff trug. Soweit John wusste, trugen Wüstenprinzessinnen oder Fata Morganen keinen Stoff unter ihren Schleiern.

Entgegen seiner Erwartung hatte sich das Gewitter allerdings nicht sofort über ihm entladen – das wäre John weitaus lieber gewesen, als diese schwärende Gefahr eines Ausbruchs, der sich da zusammenbraute. Im Gegenteil hatte Patricia so getan, als wäre alles in bester Ordnung. Kein Wort darüber, dass er diese Scheußlichkeit, die sie sich als Kostüm ausgesucht hatte, heimlich ausgetauscht hatte. Allerdings wusste John, dass Blicke bei Patricia weitaus gefährlicher waren als Worte … und ihre Blicke schossen Blitze in seine Richtung.

„Ich bin gespannt auf Ihr Kostüm, John“, hatte sie gesagt und sich von Fatima einen Mokka servieren lassen, während sie darauf wartete, dass er sich für den Silvesterball umzog. Sir Tiny, der ein gutes Gespür für Stimmungen hatte, war lieber John hinterhergetrabt, anstatt bei Patricia im Salon zu bleiben.

Das wahre Ausmaß ihres Unmutes hatte sich John allerdings erst erschlossen, als er sein Zimmer betreten hatte, in dem der Geruch von Abduls Räucherung in der Luft lag. Als wäre das nicht schlimm genug gewesen, lag mitten auf seinem Bett das hinterhältige rote Katzenvieh, zwischen den Krallen seinen neuen Panamahut, den er sich von dem Verdienst aus seinem letzten Fall – einem entlaufenen Pekinesen – gegönnt hatte.

„Du hinterhältiges Vieh“, hatte John Miss Kitty angefahren, was die Katze mit einem Fauchen in seine Richtung quittierte. Dann war sie vom Bett gesprungen und aus seinem Zimmer geflohen. Sir Tiny war ihr gefolgt. John fand, dass die Katze einen schlechten Einfluss auf Sir Tiny ausübte, aber Patricia wollte davon nichts hören, geschweige denn davon, Miss Kitty wieder auf die Straße zu setzen. Dafür hätte sie aber ohnehin erst an Fatima vorbeigemusst. Seit Miss Kitty das verlorene Medaillon mit dem Bild ihrer Tochter im Garten gefunden hatte, waren Fatima und die Katze ein Herz und eine Seele. Und das, obwohl Fatima Katzen nicht ausstehen konnte. Wobei, je öfter John darüber nachdachte, ihm Fatimas Sinneswandel nicht mehr unlogisch erschien. Hatten Hexen und Katzen nicht schon immer eine unwiderstehliche Anziehung aufeinander ausgeübt? Vielleicht hätte Abdul seine Räucherungen lieber auf Fatimas Zimmer konzentrieren sollen.

Bedauernd hatte John seinen neuen und jetzt ruinierten Hut entsorgt. Die Krempe war von Miss Kittys Krallen zerfetzt. Außerdem hatte sie den Hut als Katzenklo benutzt.

Eines musste man Patricia lassen – mittlerweile wusste sie, wie sie ihm seine doch wirklich gut gemeinten Hilfestellungen heimzahlte.

Nur leider besserte sich Patricias Laune nicht. Selbst jetzt im Maybach, auf dem Weg zum Mena Hotel, herrschte eisiges Schweigen zwischen ihnen. Noch nicht einmal Abdul wagte es, seine seltsamen Lieder anzustimmen, die er sang, wenn er sie mit dem Maybach durch Kairo chauffierte. So konnte es nicht weitergehen. John hatte sich auf einen unterhaltsamen Abend an der Seite von Patricia eingestellt.

„Darling ...“

Sie funkelte ihn an. „Falls Sie daran denken – ich bin für keinerlei Entschuldigung zugänglich!“

Er sah Patricia an, als hätte sie einen schlechten Scherz gemacht. „Darling, warum sollte ich mich dafür entschuldigen, dass ich Sie davor bewahrt habe, sich als verstaubte alte Schachtel zu verkleiden?“

„Stattdessen sehe ich aus wie eine der Damen im Lotusgarten!“

John widersprach vehement. „Nein, dafür müssten Sie Ihr Korsett anlegen und das Nachthemd ausziehen.“

Anstatt einer Antwort zog Patricia einen Fächer aus ihrem Handbeutel, klappte ihn auf und begann, hektisch damit zu fächeln. John überlegte, wie er seine aufgebrachte Salome besänftigen konnte, während Abdul eine Kurve nahm und dabei fast einen auf der Straße vergessenen Karren streifte. Immerhin war das hier ihr erster offizieller gemeinsamer Abend, und John hoffe nach dessen Beendigung endlich auf mehr als ein paar Küsse in der Gartenlaube.

„Sie wissen doch, Darling, die Kostüme von Paaren sollten eine Einheit bilden – so stand es in der Einladung.“

„Von verheirateten Paaren, John! Und außerdem hätten Sie ja das Model Butler nehmen können, das ich Ihnen vorgeschlagen habe. Dann hätten wir zusammengepasst.“

„Aber Darling“, er wies nicht ohne Stolz an seinem Lawrence-von-Arabien-Kostüm herunter und strich zufrieden über den aufwendig gearbeiteten Prachtgürtel samt Krummdolch. „Sehe ich etwa aus wie ein Butler?“

„Und sehe ich etwa aus wie Salome?“, konterte Patricia empört.

„Also, wenn Sie das Nachthemd weglassen und einen Schleiertanz aufführen ...“

„Fatima hat recht. Sie sind und bleiben ein Mann mit unanständigen Gedanken, John!“

Vielleicht hätten John ihre Worte früher ein wenig verunsichert, aber seit ihrer mehr oder weniger heimlichen Treffen in der Gartenlaube, in denen Patricia regelmäßig die Beherrschung verlor und sich seinen Küssen hingab, war er guter Hoffnung, sein Ziel – Patricias Schlafzimmer – bald zu erreichen. Und obwohl es vielleicht nicht angebracht war, sie in diesem Augenblick daran zu erinnern, konnte er nicht anders. „Darling, bedeuten Ihnen unsere Abende in der Laube denn gar nichts?“

„Wir sind da“, stellte sie fest, und entzog sich damit einer Antwort.

John beschloss, die Sache erst mal auf sich beruhen zu lassen. Immerhin hatte er Patricia dazu überreden können, mit ihm den Silvesterball zu besuchen. Eine dankbare Kundin, deren Corgi er im Hafen von Kairo in einer Verladekiste auf dem Weg nach England aufgespürt hatte, war so freundlich gewesen, ihm Einladungen für den beliebten Silvesterball zu besorgen. Zuerst hatte Patricia nicht gewollt – zumindest hatte sie so getan – dann aber nachgegeben. Und hier standen sie nun … Salome von den tausend Schleiern und der verwegene Spion Lawrence von Arabien. Wenn das nicht vielversprechend klang.


Patricias Aufregung über ihr ungebührliches Kostüm legte sich ein wenig, als sie feststellte, dass die Kostüme der anderen Damen viel skandalöser waren als ihres. Während sie eine Champagnerschale von einem Tablett nahm, das ihr ein Page im Rokoko-Kostüm mit gepuderter Perücke reichte, ließ Patricia ihre Blicke durch den hell erleuchteten Tanzsaal des Mena Hotels streifen. Da gab es Damen in Pluderhosen und einem Hauch von Nichts über einem Oberteil, das so knapp ausfiel, dass man es kaum als solches bezeichnen konnte. Es gab Paare, die als Engel und Teufel verkleidet gingen oder Nixe und Wassermann mit Dreizack. Dazu spielte ein achtköpfiges Ensemble beschwingte Musik und überall waren Pappzahlen aufgestellt, die in Glitzerschrift ein Frohes neues Jahr 1924 wünschten. In Anbetracht der vielen schillernden Kostüme stellte Patricia fest, dass sie und John gar nicht so sehr auffielen.

„Miss Peacock“, rief eine vertraute Stimme. Im nächsten Augenblick stand Salima vor ihr – in einem hautengen Kleid mit goldener Schuppenoptik, das mehr offenbarte, als es verbarg. Auf ihrem Kopf ringelte sich eine Schlange mit aufgestelltem Nackenschild, die so täuschend echt aussah, dass John einen Schritt zurücktrat.

„Dieses Blau steht Ihnen ausgezeichnet, Miss Peacock.“ In Salimas Stimme lag Bewunderung. „Ich hatte schon befürchtet, Sie würden etwas Unspektakuläres tragen.“

Auf dieses Stichwort hin wagte John sich zurück an ihre Seite und zeigte sein typisch überlegenes Grinsen, das in Patricia jedes Mal unfeine Gedanken aufkommen ließ, für die sie sich später schämte. „Ist sie nicht eine wundervolle Salome?“

„Werden Sie am Kostümwettbewerb für das beste Paarkostüm teilnehmen?“, wollte Salima aufgeregt wissen.

„Nein!“, stellte Patricia klar, doch John rief: „Aber natürlich!“, und übertönte damit ihr Nein.

„Das alles ist so aufregend … mein erster Silvesterball.“ Salima ließ die Hüften kreisen und ähnelte damit einmal mehr einer Schlange – allerdings einer, die auf ganz andere Beute aus war, als Futter. Wenn Fatima sie so gesehen hätte, hätte sie ihre Tochter an den Haaren nach Hause gezerrt und für den Rest ihres Lebens eingesperrt.

„Wo ist denn die alte Nebelkrähe Blanford?“, wollte John zwischen einem Glas Champagner und einem Horsd’œuvre wissen.

„John …“, ermahnte Patricia ihn, denn obwohl sie keine Sympathie für ihre alte Arbeitgeberin hegte, verbot der Anstand es doch, sie mit derartigen Namen zu belegen.

Salima, die mittlerweile für Lady Blanford als Gesellschafterin arbeitete, schien ihr Gewissen jedoch ebenso wenig zu plagen wie John. „Lady Blanford kommt später.“

Patricia verwunderte das nicht. Aus Erfahrung wusste sie, dass Lady Blanford immer gerne als Letzte erschien, damit man ihr genügend Beachtung schenkte. Wahrscheinlich trug sie ein teures, aber lächerliches Kostüm und hatte ihren Königspudel Princess passend ausstaffiert. Patricia konnte gut darauf verzichten, ihrer alten Arbeitgeberin zu begegnen, und hoffte, dass es sich unter den vielen Menschen, die hier zusammen Silvester feierten, vermeiden ließ.

„Oh, dort drüben sind Gräfin Walburga und ihr Gatte General Huddelston. Ich muss Sie einander unbedingt vorstellen, Miss Peacock.“ Salima zwinkerte ihr zu, als erwarte sie einen großen Spaß und bedeutete Patricia und John, ihr zu folgen.

Patricia warf John einen fragenden Blick zu, der nur die Schultern zuckte. Wunderbar … sie hoffte inständig, dass John sie nicht beide in Verlegenheit brachte. Wenigstens ein Abend musste doch ohne größere Katastrophen zu bewältigen sein. Letztendlich beschloss Patricia, Salimas Einladung zu folgen. Da sie kaum jemanden hier kannte, mochte es vielleicht angenehm sein, wenn Salima sie der Gräfin und dem General vorstellte.

Gräfin Walburga von der Oberpfalz zu Mohnheim stellte sich als kräftige Frau heraus, die neben ihrem Mann recht resolut wirkte und ihn um einen halben Kopf überragte. Patricia schätzte die beiden auf Ende sechzig, wobei sowohl der General als auch die Gräfin sehr rüstig waren. Gräfin Walburga trug das Kostüm einer indischen Göttin, von dem Patricia annahm, dass es Abdul ein breites Strahlen ins Gesicht gezaubert hätte. Das Kostüm war aufwendig und detailreich gearbeitet. Es leuchtete in Blau und Grün, besaß durchsichtige Schleier und eine Menge goldenen Schmuck. Dazu passend trug die Gräfin einen Stirnschmuck aus filigranen Ketten, von der eine in einem angesteckten Nasenring endete. Außerdem waren die Augen der Gräfin dunkel geschminkt. Offenbar fühlte sie sich in ihrem Kostüm sehr wohl, im Gegensatz zu ihrem Gatten, der sich bei Patricias und Johns Eintreffen hinter einer Säule versteckte.

„Gräfin Walburga, darf ich Sie miteinander bekannt machen?“, fragte Salima frei heraus. „Das hier sind Miss Peacock und Mr. Maddock. Ich habe in Miss Peacocks Haushalt gearbeitet, bevor ich die Stelle bei Lady Blanford angenommen habe.“

Die Gräfin klatschte begeistert in die Hände und strahlte. „Meine Liebe, Ihr Name ist wirklich Peacock?“

Bevor Patricia dies bestätigen, konnte, gab die Gräfin dem General hinter der Säule ein Zeichen. „Mach schon, Huddi. Zeig Miss Peacock dein Kostüm.“

„Muss das denn sein? Schlimm genug, dass ich damit herumlaufen muss. Wenn mich meine alten Militärfreunde so sehen.“

„Papperlapapp“, wischte die Gräfin die Einwände des Generals fort. „Deine Militärfreunde kommen erst in zwei Wochen zu unserer Goldenen Hochzeit in Kairo an. Du bist also vollkommen frei, zu tun und zu lassen, was immer du willst!“

„Dann möchte ich dieses Kostüm ausziehen. Warum durfte ich nicht so etwas tragen?“ Der Finger des Generals lugte hinter der Säule hervor und wies auf John. „Lawrence von Arabien! Das war ein richtiger Teufelskerl!“ Noch immer wollte er nicht hinter der Säule hervorkommen.

„Ach, dieser Spion. Nun sei nicht so ein grantiges Mufflon und zeig dich endlich.“ Gräfin Walburga setzte der Weigerung ihres Gatten ein Ende, indem sie ihn am Arm packte und hinter der Säule hervorzog.

Im nächsten Augenblick erkannte Patricia, was den General so unglücklich machte. Er trug ein Pfauenkostüm, das farblich zum Kostüm seiner Frau abgestimmt war. Auf seinem Kopf saß ein lächerlicher Hut, der in einen langen Pfauenhals mit Kopf endete. Als wäre das nicht schlimm genug gewesen, steckte der gesamte Körper des Generals in einem einteiligen Anzug, der mit blau und grün gefärbten Federn bedeckt war. Patricia empfand augenblicklich Mitleid mit dem General, der sich offenbar nicht gegen seine Frau hatte durchsetzen können.

„Los, Huddi … zeig Miss Peacock und Mr. Maddock das besondere Extra deines Kostüms.“

„Ich würde lieber nicht“, gestand der General, gab aber nach einem strengen Blick seiner Gattin nach.

„Also gut …“, seufzte er. „Meine Damen, meine Herren. Bitte treten sie ein paar Schritte zurück, ich benötige Platz.“

Sowohl John als auch Salima und die Gräfin traten zwei Schritte zurück. Patricia tat es ihnen nach. Ihr Blick fiel auf die goldene Schnur mit der Troddel, die in Achselhöhe des Generals hing und dort nicht hinzugehören schien. Ehe sie allerdings fragen konnte, was es damit auf sich hatte, zog der General an der Troddel und hinter ihm öffnete sich ein Pfauenrad, das einen Durchmesser von fast zwei Metern hatte.

Die Gräfin jauchzte, John verschlug es die Sprache, und Patricia bekam noch mehr Mitleid mit dem General.

„Verstehen Sie jetzt?“, rief die Gräfin begeistert. „Sie und mein Mann teilen heute einiges, meine Liebe.“

„Ja, das sehe ich“, war alles, was Patricia entgegnen konnte.

„Warum konnte ich nicht wenigstens das Kostüm eines indischen Gottes tragen?“, beschwerte sich der General. „Das wäre weniger peinlich gewesen.“

Die Gräfin stemmte die Hände in die Hüften. „Wärest du lieber als Elefantengott Ganescha gegangen? Mit einem Rüssel?“ Bei dem entsetzten Blick ihres Gatten nickte die Gräfin zufrieden und sprach weiter. „Außerdem will ich diesen Kostümwettbewerb gewinnen! Und das geht nur, wenn wir diese Schrapnelle mit ihrem Pudel ausstechen!“

„Lady Blanford nimmt am Kostümwettbewerb teil?“ Patricia hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. Ohne darüber nachzudenken, war sie davon ausgegangen, dass die Gräfin von Lady Blanford sprach.

Gräfin Walburga bedachte sie mit einem verstimmten Blick. „Sie kennen diese scheußliche Person?“

Salima kicherte. „Miss Peacock hat für sie als Gesellschafterin gearbeitet, bevor ich an ihre Stelle getreten bin.“

Der Blick der Gräfin wechselte von verstimmt zu mitfühlend. „Wie haben Sie das nur ausgehalten, meine Liebe? Diese Frau ist schrecklich.“ An Salima gewandt fuhr sie fort: „Und Sie erst, Kind … Sie sind so ein nettes junges Ding.“

„Walli“, jammerte der General, und alle sahen in seine Richtung, was ihm sichtlich unangenehm war.

„Was ist denn, Huddi?“

„Das Rad … es klemmt und lässt sich nicht mehr schließen.“ Er zog an der Troddel, aber nichts geschah.

Gräfin Walburga war sichtlich schockiert. „Das darf nicht sein. Nicht vor unserem Auftritt auf der Bühne!“

Spontan bot John seine Hilfe an. „Ich bin recht geschickt in mechanischen Dingen. Vielleicht kann ich behilflich sein.“

„Eine hervorragende Idee.“ Die Gräfin war erleichtert. „Am besten, Sie gehen in Huddis Suite.“

„Aber Walli, wie soll ich denn mit dem aufgeschlagenen Rad durch die Türen kommen?“

„Du musst eben seitlich durchlaufen.“

Der General brummte etwas von Schrecklicher Peinlichkeit, er als altgedienter, hoch ausgezeichneter Militär.

Patricia sah John hinterher, wie er dem General einen Weg durch die Menge der bereits anwesenden Gäste bahnte, damit das Pfauenrad nicht beschädigt wurde.

Die Gräfin entspannte sich erst, als der General samt Pfauenrad unbeschädigt den Tanzsaal verlassen hatten.

„Ein Glück, dass Ihr Gatte zur Stelle war, Miss Peacock.“

„Oh, Mr. Maddock und ich sind nicht verheiratet“, beeilte sich Patricia klarzustellen, und warf Salima einen strengen Blick zu, bevor sie etwas sagen konnte, was sie in Verlegenheit brachte. Überrascht zog die Gräfin die Brauen hoch. „Meine Liebe, Sie haben sich dieses Bild von einem Mann noch nicht geschnappt? Sie sollten es tun, Sie passen so wunderbar zusammen, genau wie Ihre Kostüme.“ Fragend hob sie eine Braue. „Ist das ein Nachthemd, das Sie da unter dem Kostüm tragen?“

Ehe Patricia antworten konnte, ging ein lautes Ahhh und Ohhh durch die Reihen der Anwesenden. Sie wandten sich gleichzeitig um, und Salima verabschiedete sich mit einem Seufzen. „Entschuldigen Sie mich bitte. Lady Blanford hat ihren Auftritt.“

Die Gräfin gab sich kämpferisch. „Soll sie ruhig. Den Kostümwettbewerb gewinnen Huddi und ich.“

Patricia war nicht daran gelegen, Lady Blanford über den Weg zu laufen, aber leider steuerten sie und Princess genau auf sie und die Gräfin zu. Wie erwartet, trug Lady Blanford ein schrecklich unpassendes Kostüm mit schwarzer Zöpfchenperücke und einem weißen in Plisseefalten gelegten Kleid mit jeder Menge Schmuck. Es schien, als hätte Lady Blanford sich die Wandmalereien von ägyptischen Königinnen zum Vorbild genommen. Ihre Augen waren dunkel umrandet, was ihren giftigen Blick noch furchteinflößender wirken ließ. Beinahe vergaß Patricia, Princess zu bedauern, die neben einem pharaonischen Kopftuch eine Art Körperpanzer trug, der sie vollständig bedeckte. Nur die Pfoten schauten heraus, damit Princess laufen konnte, was ihr allerdings schwerfiel, weil der Panzer wenig Beinfreiheit ließ. Er stellte einen liegenden Katzenkörper dar, und es war offensichtlich, dass Lady Blanford ihren Pudel als Sphinx von Gizeh verkleidet hatte.

„Gutes Kostüm, aber nicht gut genug, um mich und Huddi zu schlagen“, flüsterte die Gräfin.

„Guten Abend, Patricia, ich wusste nicht, dass Sie auch hier sind“, ließ sich Lady Blanford zu einer Begrüßung herab. „In der Regel besitzen die geladenen Gäste des Silvesterballs eine gewisse Noblesse.“ Sie rümpfte die Nase über Patricias Kostüm und wandte sich dann an die Gräfin.

„Werden Sie auch am Kostümwettbewerb teilnehmen?“ Sie schenkte Gräfin Walburga ein Lächeln, das so falsch war, wie ihre schwarzen Perückenhaare.

„Das würde ich mir doch nie im Leben entgehen lassen“, antwortete die Gräfin mit ebenso falschem Lächeln, während sich ihre Blicke ineinander bohrten.

„Nun denn, möge das beste Kostüm gewinnen.“ Es war nicht zu übersehen, dass Lady Blanford erwartete, als Siegerin aus dem Wettstreit hervorzugehen. „Ihr Kostüm ist recht annehmbar, muss ich zugeben. Anders als das von Patricia.“ Sie begutachtete Patricia von oben bis unten wie ein Pferd, das zum Verkauf stand. „Ist Ihr schrecklicher Hausgast eigentlich auch anwesend? Dieser mittellose Amerikaner?“

Während Patricia nach einer unverfänglichen Antwort suchte, kam die Gräfin ihr zuvor. „Mr. Maddock war so freundlich, dem General mit seinem Kostüm zu helfen.“

„Hm … so, so.“ Lady Blanford hatte bereits das Interesse an der Unterhaltung verloren und stolzierte mit Princess weiter, um die Huldigungen der Gäste für ihr Kostüm entgegenzunehmen.

„Die alte Tarantel scheint etwas gegen Sie zu haben.“ Patricia fühlte sich genötigt, eine Erklärung abzugeben. „Es gab einen Eklat im Mena Hotel, bei dem mein Hund und Princess eine Rolle spielten. Außerdem verzeiht sie mir nicht, dass ich meine Anstellung als ihre Gesellschafterin gekündigt habe.“

„Ach, machen Sie sich keine Gedanken über ihre giftigen Worte. Der alte Kaktus erzählt jedem, wie sehr mein Huddi zu bedauern wäre, weil er unter meinem Pantoffel steht und sich nicht wehren kann.“ Kopfschüttelnd fügte die Gräfin hinzu: „Können Sie sich das vorstellen? Und mich nennt sie hinter meinem Rücken den deutschen Germknödel und Walküre. Dass ich nicht lache! Lady Blanford weiß ja nicht einmal, was Walküren sind. Mag sein, dass ich mich zu wehren weiß, aber jungfräulich bin ich seit über fünfzig Jahren nicht mehr.“ Sie teilte dieses pikante Detail mit, ohne rot zu werden. „Noblesse, dass ich nicht lache. Ich stamme aus älterem Adel, als dieser alte Gänsegeier. Natürlich musste ich meinen Titel offiziell ablegen, nachdem ich Huddi geheiratet habe.“ Sie zuckte die Schultern. „Aber ich habe das nie bereut! Und man bringt mir trotzdem Respekt entgegen und nennt mich Gräfin. Noblesse bekommt man eben nicht durch die Geburt, sondern dadurch, wie man sich anderen gegenüber verhält.“ Sie lächelte so offen und freundlich, dass Patricia über die Schimpfnamen und die Offenbarung von Wallis nicht vorhandener Jungfräulichkeit hinwegsah. „Und ich finde Ihr Kostüm übrigens reizend, meine Liebe.“

Ihr Kompliment trieb Patricia die Röte ins Gesicht. „Vielen Dank, Gräfin.“

Ohne Vorwarnung schlug Gräfin Walburga ihr auf die Schulter, sodass Patricia einen Satz nach vorn machte. „Außerdem sind Lady Blanfords Feinde meine Freunde. Nennen Sie mich Walli!“

„Dann müssen Sie mich Patricia nennen“, bat Patricia, während sie bemüht war, ihr Gleichgewicht wiederzufinden.

Der Abend verlief überraschend angenehm und ohne weitere Peinlichkeiten. Walli war eine geradlinige Frau mit einem offenen Wesen, obwohl sie dazu neigte, Personen, die sie nicht mochte, mit unfreundlichen Namen zu versehen. Sie sagte, was sie dachte und hatte nichts Verschlagenes an sich. Dass sie ein wenig burschikos war, störte dabei nicht. Immerhin lebte Patricia seit fast drei Monaten mit John unter einem Dach und war nicht mehr so leicht aus der Fassung zu bringen wie bei ihrer Ankunft in Kairo. Wer hätte das gedacht … sie und John. In England wäre das nicht möglich gewesen, die Leute hätten geredet, aber hier in Ägypten interessierte es niemanden, außer Fatima, die John lieber heute als morgen aus dem Haus gejagt hätte.

Im Grunde war auch Patricia klar, dass Johns Behauptung, nicht die richtige Wohnung in Kairo zu finden, eine Ausrede war. Ein neues Büro für seine Detektei hatte er sehr schnell gefunden. John fühlte sich offenbar wohl in ihrem Haus, und obwohl Patricia es sich nicht gern eingestand, verspürte auch sie keine große Eile, ihn aus dem Haus zu befördern. Zudem gab es ihre schwachen Stunden in der Gartenlaube. Insgeheim ärgerte Patricia ihre Schwäche für John, und sie schwor sich jedes Mal, dass es das Letzte mal wäre; und doch ließ sie sich immer wieder von diesem John-Maddock-Lächeln verführen. Ihr Herz begann schneller zu schlagen, wenn John sie mit diesem Patricia Darling Blick ansah und wenige Stunden später fand sie sich mit ihm in der Gartenlaube wieder. Sie konnte einfach nicht genug von seinen Küssen bekommen – das war die beschämende Wahrheit.

Wenn sie morgens in ihrem Schlafzimmer aufwachte, hatte Patricia das traurige Gesicht ihrer Mutter vor Augen. Dann schwor sie sich, John so schnell wie möglich aus dem Haus zu schaffen – ehe noch Schlimmeres zwischen ihnen geschah. Bisher waren jedoch alle ihre guten Vorsätze vergebens geblieben.

„Oh, da kommen Mr. Maddock und Huddi. Gleich geht der Kostümwettbewerb los. Sie stimmen doch für uns?“ Walli wirkte entschlossen, zu gewinnen.

Patricia versprach es ihr und meinte es auch so. Lady Blanford gegen Walli und den General verlieren zu sehen – allein das war es wert, heute Abend hierhergekommen zu sein.

„Ich dachte schon, du willst dich drücken“, wandte sich Walli mit vorwurfsvoll hochgezogener Braue an ihren Gatten.

„Wäre das denn eine Option gewesen?“, fragte er hoffnungsvoll.

„Natürlich nicht. Und jetzt komm, wir müssen diesen Kostümwettbewerb gewinnen.“

„Der arme Huddi“, sagte John, als sie den beiden nachsahen, wie sie in Richtung Bühne gingen. „Die Gräfin scheint ihn recht gut unter ihrem Pantoffel zu haben.“ Er warf Patricia einen flammenden Blick zu, der ihr ein Kribbeln im Bauch verursachte. „Soll ich uns nicht doch zum Kostümwettbewerb anmelden? Die verführerische Salome und der verwegene Lawrence von Arabien?“

Es gelang ihr, trotz seiner glühenden Blicke Haltung zu bewahren. „Auf keinen Fall! Außerdem trage ich ein Nachthemd unter dem Kostüm.“

Während John sich vom Tablett eines vorbeigehenden Pagen im Affenkostüm eine Champagnerschale nahm, grinste er. „Es ist noch immer Zeit, es auszuziehen.“

„Das hätten Sie wohl gerne.“

„Sie wissen, was ich gerne hätte, Darling.“

Wie so oft, ignorierte Patricia seine Anzüglichkeiten – mittlerweile schockierten sie diese auch nicht mehr so sehr wie am Anfang ihrer Bekanntschaft. „Es ist viel wichtiger, dass wir für die Gräfin und den General unsere Stimmen abgeben“, lenkte sie das Thema in eine unverfängliche Richtung. „Sie treten gegen Lady Blanford und Princess an. Ich möchte, dass Walli gewinnt. Ich mag sie.“

„Ich finde Huddi auch ganz in Ordnung.“ Sie tauschten einen verschwörerischen Blick. „Lassen Sie uns dem grässlichen alten Nebelhorn eine Lektion erteilen.“

„John, also wirklich ...“ Allerdings musste Patricia zugeben, dass der Vergleich nicht ganz abwegig war.

Sie warteten in seltener Eintracht auf den Auftritt von Walli und dem General, während die anderen Paare auf der Bühne ihre Kostüme vorführten. Es gab ein paar wirklich hübsche darunter, Löwen und exotische Vögel, aber keines besaß so ein spektakuläres Extra wie das Pfauenrad des Generals. Alle Paare ernteten wohlwollenden Applaus und wurden mit einem freundlichen Tusch des Ensembles von der Bühne verabschiedet. Schließlich trat Lady Blanford mit Princess auf und erntete tosenden Applaus für ihr Kostüm.

„Princess wirkt recht träge, finden Sie nicht?“, fragte John zwischen dem Biss in ein Kanapee und einem Zug an seinem Zigarillo.

„Der Panzer ist sicherlich schwer.“ Patricia empfand ein gewisses Maß Mitleid mit der Pudeldame. Zwar konnte sie Princess ebenso wenig leiden wie Lady Blanford, aber im Grunde genommen war der Pudel nur ein Opfer in den Fängen seiner Besitzerin. Und Princess hatte im Gegensatz zu ihr nicht die Hoffnung auf ein Erbe, das sie von Lady Blanford befreite.

Nach einem honorierenden Tusch für Lady Blanford und Princess waren Walli und der General an der Reihe. Mit siegessicherem Lächeln betrat Walli als indische Göttin die Bühne und erntete begeisterten Beifall der Gäste für ihr Kostüm. Doch erst das Pfauenrad des Generals weckte wahre Begeisterungsstürme, und tatsächlich versöhnte der Beifall der Gäste auch den General ein wenig. Das Ensemble honorierte sein Kostüm mit gleich drei Tuschs.

Nachdem alle Kostüme gesichtet wurden, ging ein Champagnerkübel herum, in den die Gäste Zettel mit den Namen des gewünschten Gewinnerkostüms werfen konnten. John und Patricia stimmten für Walli und den General. Salima schlenderte an ihnen vorbei, eine Zigarette mit langer Spitze elegant zwischen den Fingern haltend, und teilte augenzwinkernd mit, dass Lady Blanford sie umgebracht hätte, wenn sie wüsste, dass Salima für den General und die Gräfin gestimmt hatte. Dann verschwand sie wieder an die Seite von Lady Blanford, um ihr zu versichern, wie herausragend ihr Kostüm im Vergleich zu allen anderen gewesen wäre.

In Johns Worten lag eine gewisse Bewunderung. „Dieses Mädchen lässt sogar mich weit hinter sich in Sachen Verschlagenheit.“

Patricia musste ihm recht geben. „Wahrscheinlich ist das ein Charakterzug, den man braucht, um an der Seite von Lady Blanford zu überleben.“ Manchmal wünschte sie sich, zumindest ein wenig mehr wie Salima zu sein … kokett und modern.

Als kurze Zeit später die Gewinner verkündet wurden, und Walli mitsamt ihrem Pfauengatten wieder auf die Bühne gerufen wurden, um den Pokal für das beste Kostüm entgegenzunehmen, wich Lady Blanford alle Farbe aus dem Gesicht. Offenbar war sie fest davon überzeugt gewesen, zu gewinnen.

Sie bedachte Patricia mit einem vernichtenden Blick – ganz so, als wäre es ihre alleinige Schuld, dass sie verloren hatte, und verließ den Silvesterball mit Princess noch vor Mitternacht, ohne Walli und Huddi zu ihrem Sieg zu gratulieren.

Walli und der General kehrten mit stolzgeschwellter Brust von der Bühne zurück.

„Haben Sie gesehen, wie das alte Kamel aus dem Saal gestampft ist?“ Walli klatschte in die Hände. „Jetzt kann das neue Jahr mit guten Vorzeichen beginnen!“

Salima stieß zu ihnen mit einem Glas Champagner. Sie dachte gar nicht daran, Lady Blanford ins selbst gewählte Exil zu folgen. „Das ist ein gelungener Abend, nicht wahr?“ Alle stimmten ihr zu.

Als das Orchester um Mitternacht das neue Jahr mit einem lauten Tusch begrüßte, Champagnerkorken knallten und glitzernder Flitterkram durch den Tanzsaal flog, musste

Patricia zugeben, dass dieser Abend mit John, Salima, der lebenslustigen Walli und dem freundlichen General einer der schönsten war, den sie in der letzten Zeit erlebt hatte – wenn sie vom Weihnachtsfest und den ungebührlichen Treffen mit John in der Gartenlaube absah. Ihr Blick wanderte zu John, und sie ertappte sich bei der Frage, ob es nicht vielleicht immer so sein könnte.

„Meine Liebe“, holte sie Walli, die mittlerweile einen Champagnerschwips hatte, aus ihren Gedanken und hakte sich bei ihr unter. „Ich freue mich wirklich, dass Salima uns einander vorgestellt hat.“

Der General fügte an John gewandt hinzu: „Wir sollten unser Gespräch unbedingt fortsetzen, John.“ An seine Frau gewandt erklärte er: „Es hat sich herausgestellt, dass Mr. Maddock ebenfalls ein glühender Verehrer von Lawrence von Arabien ist!“

Walli verdrehte die Augen. „Ach, du mit deiner Heldenverehrung für diesen Spion, Huddi.“ Sie zwinkerte Patricia zu. „Sie müssen wissen, dass unsere Ehe den Krieg überstanden hat, obwohl Huddi und ich als Deutsche und Engländer an verschiedenen Fronten standen. Ist doch so, oder Huddi?“ Die beiden sahen sich an wie ein jung verliebtes Paar. Der General nahm die Hand seiner Frau und drückte sie.

„Da hat meine Walli recht. Uns bringt nichts auseinander. Deshalb feiern wir in zwei Wochen auch Goldene Hochzeit im Mena Hotel. Sie beide werden doch auch kommen, oder? Wir möchten Sie hiermit offiziell einladen.“

„Oh, natürlich, wie konnte ich vergessen zu fragen?“, stimmte Walli dem General zu.

„Sehr gerne.“ Patricia hätte nicht gedacht, dass sie so bald wieder eine Einladung ins Mena Hotel erhalten würde, und John sah sich sogleich bemüßigt, näher an Patricia heranzurücken. Offenbar hatte er beschlossen, im Sturm auf ihr Schlafzimmer seine Bemühungen zu intensivieren.

„Sie sollten ihn sich schnappen“, raunte Walli in einem Augenblick, als John abgelenkt war.

Wenn das nur so einfach wäre …, dachte Patricia, der die Warnung ihrer Mutter vor Männern wie John Maddock immer dann deutlich vor Augen stand, wenn sie ihren Gefühlen nachgeben wollte.


John warf Patricia verstohlene Blicke zu, während sie aus der Motordroschke stiegen und nebeneinander zum Haus gingen. Es war schon fast Morgen, aber ihm war nicht nach Schlafen zumute. Im Gegenteil – Patricias Anblick im schillernden Salome Kostüm wirkte auf ihn wie ein Muntermacher und ein Aphrodisiakum zugleich. Zudem war der Silvesterball rauschend gewesen. Sogar Patricias schlechte Laune war nach und nach verflogen. Sicherlich hatten auch Gräfin Walburga und der General ihren Teil dazu beigetragen. John hatte sich auf Anhieb gut mit Huddi verstanden. Sie teilten eine Leidenschaft für Abenteuer und Abenteurer. Wie schade, dass es nur eine flüchtige Bekanntschaft bleiben würde, entsprungen aus einer Champagnerlaune.

„Das war ein schöner Abend, nicht wahr?“

„Das war er wirklich“, gab Patricia lächelnd zu.

Sie war so unglaublich hübsch, wenn sie lächelte. John nahm all seinen Mut zusammen. Wann, wenn nicht jetzt war der richtige Zeitpunkt, einen Versuch zu wagen?

Das Haus war dunkel – alle schliefen noch. Sogar Sir Tiny war nirgendwo zu sehen.

„Darling ...“, setzte John in angemessen schmachtendem Tonfall an, sobald sie vor ihrer Schlafzimmertür standen. „Sollen wir diesen Abend wirklich schon beenden?“

Sie wandte ihren Kopf und hob eine Braue. „John … ich hoffe nicht, Sie glauben allen Ernstes, ich hätte Ihren Boykott meines Gouvernanten-Kostüms bereits vergessen oder gar vergeben.“

„Aber Darling, alle waren doch begeistert von Ihrem Kostüm.“

„Darum geht es nicht, John.“ Sie bedachte ihn mit einem Blick, der ihm unmissverständlich klarmachte, dass sich seine Hoffnungen nicht erfüllen würden. „Sie können nicht einfach hinter meinem Rücken über mein Kostüm oder mein Leben bestimmen.“

John öffnete den Mund, um zu einer Verteidigungsrede anzusetzen, aber Patricia sprach bereits weiter. „Sie müssen endlich erwachsen werden.“

Ihre Worte schmerzten ihn. „Aber Darling … warum halten Sie so wenig von mir?“ Natürlich hätte er sich die Frage selbst beantworten können. Sie hatte ja recht – er hatte nicht gerade viel getan, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Und die Sache mit dem Kostüm, war vielleicht auch nicht sein bester Einfall gewesen. Andererseits – Lawrence von Arabien und Salome. John hatte es wirklich für eine gute Idee gehalten. Aber wie immer, wenn er glaubte, etwas richtig zu machen, kam etwas Falsches dabei heraus.

„Gute Nacht, John“, verabschiedete sich Patricia von ihm. Einen Augenblick hielt sie inne und schien zu überlegen, sodass er Hoffnung schöpfte. Dann öffnete sie die Tür zu ihrem Schlafzimmer und verschwand darin – ohne ihn.

Johns gute Laune war verflogen, während er zu seinem eigenen Schlafzimmer schlich. Es würde ihm wohl nie gelingen, Patricia zu beweisen, dass er es ernst meinte – so ernst, wie er es nie in seinem Leben mit irgendetwas gemeint hatte. Für sie war er einfach Bruder Leichtfuß und Casanova in einer Person. Dabei hatte John keine andere Frau angesehen, seit er Patricia getroffen hatte – zumindest nicht länger als zwei Sekunden. Warum sah sie das einfach nicht?

Zu allem Überfluss lag Miss Kitty auf der Kommode in der Diele. Ihre Blicke schienen ihn zu verhöhnen und ihm zu sagen, dass sie jedes Wort verstanden hatte, welches Patricia an ihn gerichtet hatte. Bestimmt machte die Katze sich über ihn lustig, weil er mal wieder einen Korb kassiert hatte. Natürlich wusste er, dass es absurd war, das zu glauben. Als ob Miss Kitty derart komplexe Gedankengänge hinter ihrer rot getigerten Stirn verfolgte. Trotzdem fühlte John sich von ihren Blicken provoziert.

„Kusch … geh zu deiner garstigen Herrin, die es genauso wenig wie du erwarten kann, mich loszuwerden.“

Miss Kitty antwortete mit einem Fauchen. Wie um ihn zu verhöhnen, sprang sie von der Kommode, stolzierte hoch erhobenen Schwanzes zu Patricias Schlafzimmertür und begann, daran zu kratzen. Es dauerte keine Minute, bis die Tür geöffnet wurde und die Katze ins Schlafzimmer schlich – nicht, ohne John vorher einen triumphierenden Blick zuzuwerfen.

John sandte der Fellschleuder noch ein paar unfreundliche Worte hinterher. Er hätte darauf geschworen, dass Miss Kitty absichtlich an Patricias Tür gekratzt hatte, um ihm zu zeigen, dass sie im Gegensatz zu ihm willkommen war.

Patricia Peacock und der verschwundene General

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