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Psalm 1 Vom Himmel hoch, da komm ich her
ОглавлениеIn Bad Tölz, einer kleinen Stadt im oberbayerischen Voralpenland, malerisch an der glasklaren von Schlick und Umweltsünden befreiten Isar gelegen, hat Herr Yüksel, knapp über vierzig und nach eigener Einschätzung ein echter Bayer wenn auch mit türkischen Wurzeln, einen Obststand fachmännisch vor seinem Lebensmittelladen aufgebaut, erstklassige Ware in der Auslage. Er akzeptiert die strengen deutschen Gesetze, hält seinen Laden penibel sauber und in Ordnung, seit vielen Jahren. Seine Tölzer Kunden wissen das zu schätzen, gehen gerne zum Türken einkaufen, da weiß man wenigstens was man hat.
Die drei Männer mit ausländischem Aussehen, die sich jetzt vor dem Obststand aufbauen und die ausgelegte Ware mit bloßen Fingern betasten, sehen das möglicherweise anders. Oder wollen sie den Türken nur mal so richtig provozieren? Das Aussehen, Vollbart, Sonnenbrillen Blick, täuscht übrigens. Die drei sind deutschstämmig, sogenannte Biodeutsche.
Kozak, ein äußerlich brutaler Typ, ledergewandet und mit Tattoos bestückt, scheint der Anführer des Trios zu sein. Fehrmann, der zweite im Bunde, wirkt eitel, ist geradezu geckenhaft gekleidet, trotzdem nicht schwul, was angebliche Kenner der Homo-Szene gerne vorschnell behaupten. Der Nummer drei heißt Blumenauer, ist das genaue Gegenteil seiner Kollegen. Rundlich, schlampig, ewig hungrig und insofern nicht immer Herr der jeweiligen Geistes-Lage. Gemeinsam eint die Mini-Gang ein T-Shirt mit einem Zähne fletschenden Pitbull, darunter ein in krassem Silber gehaltener Schriftzug: ´Underdogs`.
Immer wieder greifen die Männer ungeniert bei Äpfeln und Pfirsichen zu, beißen hinein und werfen das angebissene Stück wieder zurück. Yüksel hat das böse Treiben eine Zeitlang aus dem Laden beobachtet, jetzt kommt er heraus, man sieht ihm an, er hat Angst. Ängstlich ist auch Frau Schlatholt, eine treue Stammkundin, die mit äußerst kritischen Blicken von der anderen Straßenseite herüberstarrt. Was auch immer passieren wird, sie kann nicht eingreifen, denn erstens geht die alte Frau am Stock und zweitens, wer, wenn nicht sie, könnte den Menschen in und um Tölz berichten, was in und um den Feinkostladen vom Türken passiert, dafür, und allein dafür fühlt sie sich zuständig, genau daran hat sie unermüdlich gearbeitet, sich über Jahre hin einen Namen gemacht: als zweibeinige Tageszeitung. Für Nachrichten, auch wenn sie noch so aktuell sind und mündlich überbracht werden, interessiert sich Yüksel im Augenblick nicht, auch wenn die Überbringerin einen Teil ihrer monatlichen Rente bei ihm im Geschäft lässt. Sein Zorn gilt diesen Typen mit ihrem unverantwortlichen, geradezu saumäßigen Benehmen.
„Was soll das, Sie können sich gerne bedienen, Herrschaften, aber bitte nicht wieder zurücklegen!“
Wortlos nimmt Kozak Yüksel am Arm und zieht den widerstrebenden Mann in den Laden hinein. Fehrmann und Blumenauer bleiben vor der Tür stehen und sehen sich aufmerksam um. In der Sprache von gestern nennt man das schlicht und einfach ´Schmiere stehen`.
Im Laden wartet bereits ein Älterer Herr. Ihm geht es wie der Frau Schlatholt, auch er empfindet die Situation eher als ungewöhnlich, versteckt sich vorsichtshalber hinter einem Regal mit feinen, orientalisch fantasievollen Gewürzen. Von dort lauscht er dem in hohen bayerischen Tönen vor sich hin jammernden Yüksel.
„Sie san vui z´früh, Herr Kozak. Mehmet noch bei Bank Euro holen...“
Der Mann mit den Tattoos antwortet nicht. Lässig, so wie Clint Eastwood im Film ´Für eine Handvoll Dollar`, geht er um die Ladentheke herum und öffnet die Kasse. Der Ältere Herr sieht aus seinem Versteck ängstlich und zugleich neugierig zu.
„Nichts drin“, jammert Yüksel, „gar nixn, keine Wechselgeld...“
Clint Eastwood alias Kozak bückt sich, holt unter dem Ladentisch eine alte Plastiktüte hervor. Inhalt: eine Menge kleinerer Geldscheine, die er trotz des Gejammers von Yüksel ungerührt an sich nimmt. Clint Kozak spricht leise, überaus freundlich und zündet sich dabei einen Zigarillo an. Obwohl das Rauchen in Deutschland so ziemlich überall verboten ist, besonders und ohne Ausnahmeregelung in einem Lebensmittelladen wie dem von Yüksel.
„Morgen, spätestens morgen zahlst du!“, quetscht Clint zwischen Zähnen und Zigarillo heraus. „Alles klar? Sonst muss ich deinem Sohn eine kleine Story, eine nette Geschichte von seiner lieben Mutter erzählen“.
Und ohne sich noch einmal umzudrehen, aber mit ansprechendem Hüftknick, verlässt er den Laden. Yüksel schaut ihm nach, innerlich zitternd vor Wut. Durch die Schaufensterscheibe muss er zusehen, wie Fehrmann und Blumenauer sich dem Hüfte schwingenden Kozak anschließen um kurz darauf mit ihren schweren Motorrädern weg zu ´reiten`, wie Motorrad fahren in der Harley-Davidson Fachsprache heißt.
Der Ältere Herr im Lebensmittelgeschäft dreht sich erschrocken um. Denn jetzt wird ein den Laden von der dahinter liegenden Wohnung trennender Vorhang zur Seite geschoben. Mehmet betritt den Raum. Yüksels Sohn ist ein junger sympathischer Mann, für jeden Spaß zu haben, manchmal geradezu leichtsinnig in seinem jugendlichen Übermut und deshalb eher das Sorgenkind seines seriösen, stets auf äußerste Korrektheit bedachten Vaters. Irgendwas von dem unerwünschten Besuch hat Memet mitbekommen und wie es seine Art ist, kommt er umgehend zur Sache.
„Was ist mit Mama?“
„Nix, gar nichts! Imma wuin die a Spende für ihren Club. Geld, regiert die Welt!“ Und dann schimpft er in türkischer Sprache (was hier der Einfachheit halber gleich übersetzt ist) „Allah möge ihn strafen, den ungläubigen Hund!“
Müde schlurft er hinaus um die Auslagen neu zu ordnen. Der Ältere Herr folgt ihm, offenbar unschlüssig was er hier eigentlich will. Yüksel ignoriert ihn, lässt Ärger und Frust an seinem Sohn aus.
„An die Arbeit, Mehmet. Hat die Sparkasse net scho wieder an bösen Brief geschriebn...?“
Wie viele junge Menschen mit ausländischen Wurzeln die im schönen Bayernland und anderswo geboren werden und aufwachsen, hat auch Mehmet ein ganz persönliches Problem: er findet keine zu ihm passende Frau.
Oder wenigstens eine nette Freundin. In der türkischen Community geht es selbst nach jahrzehntelangen Integrationsversuchen immer noch streng konservativ zu.
Man heiratet traditionell untereinander, die Cousine, die Nichte, manchmal auch, wenn die Not groß ist und der innere Druck steigt, die eigene Tante.
Mehmet leidet unter dieser konservativen Einstellung seiner Landsleute.
Er würde gerne einiges verändern, wenn er nur wüsste wie es anfangen.
Selbst bei der Auslieferung der türkischen Spezialitäten, die sein Vater in aller Herrgottsfrühe mit Allahs Hilfe herrichtet und verkaufsfertig zusammenstellt, denkt er immer wieder darüber nach. Er gibt sich Mühe, will tolerant sein nach allen Seiten, ist dem entsprechend überall beliebt, redet ohne Ende, flirtet ohne Ende, lässig, cool, oberflächlich, manchmal auch etwas großspurig, ein klassischer deutscher Halbstarker – wenn auch mit den sprichwörtlich türkischen Wurzeln.
„Achtung, der Loser kommt!“ schreit er zum offenen Fenster seines Lieferwagens hinaus, um es gleich wieder hochzukurbeln, denn sonst zieht der Fahrtwind herein und das könnte der Ware, den auszuliefernden türkisch / arabischen Spezialitäten und Leckereien, am Ende schaden.
Heute gilt es einen neu eröffneten Supermarkt zu beliefern. Der Laden gehört zu keiner der großen Lebensmittelketten, will trotzdem im stark umkämpften Markt bestehen und bietet deshalb spezielle Ware an: Homemade, wie das in gängigem neudeutsch genannt wird. Altdeutsch und wortreich diskutiert Mehmet mit dem Geschäftsführer, einem Landsmann und Erdogan Verehrer aus dem fernen Anatolien. Wer das Geld für die Neueröffnung gegeben hat, kann er nicht sagen, Betriebsgeheimnis. Mehmet will sich die Ausreden und Sprüche des Kollegen nicht länger anhören. Eine neue Geldwaschanlage, denkt er, wie in den EU Ländern immer häufiger zu finden, zumeist allerdings in Großstadtlagen und dort bevorzugt in Friseur Geschäften oder Spielhallen etabliert. Er muss weiter, sein Business, ruft Mehmet und tauscht geballte ´Five` mit dem Geschäftsführer. Gleich hat er einen treuen Privatkundenhaushalt zu versorgen. Die ´Grüne Witwe` aus Tölz, ein politisch seltenes Exemplar im katholischen Bayern, bestellt immer wieder neu, und viel, aber ansonsten läuft gar nichts. Dabei hat er die Frau immer wieder getröstet, wenn die in Bayern dominierende CSU bei Kommunalwahlen wieder die absolute Mehrheit geschafft hat, ohne Hintergedanken natürlich, unpolitisch, rein platonisch, einfach nur väterlich, sozusagen. An der Tankstelle, der nächsten Lieferstation, gibt es Ärger. Mehmet nennt es ´gamen`, er kennt das, seit er den Außendienst in Yüksels Firma übernommen hat spielt er das Spiel gerne mit.
„Pack das Zeug wieder ein, Mehmet!“ sagt der Tankwart. „ Ist doch alles schon an gegammelt. Dass ihr Türken immer bescheißen müsst …!“
Mehmet gibt sich cool, das gehört zum Spiel, gähnt ostentativ.
„Ey, da ist gar nix vergammelt. Hat mein Vater heute früh erst zubereitet. Super
frische Ware, ehrlich…“
Der Tankwart schnüffelt an den Häppchen und belegten Brötchen – das gehört zum Spiel - und verzieht angewidert sein Gesicht. „Mann, du hast’ auch schon mal besser gelogen. Das riecht doch’ n Blinder mit Krückstock, dass die Ware stinkt! Wer soll’ n das fressen, hä …?“ Mehmet weiß, dass es wie immer nur um den Preis geht, aber er will den Kunden nicht verlieren und was er jetzt an Rabatt geben wird, hat er vorher schon draufgeschlagen. „Okay, zwanzig Prozent Abschlag, okay?!“ Der Tankwart schlägt grinsend ein, im Gegensatz zu dem Ziegenficker bin i c h jedenfalls kein Loser, denkt er, und legt das gut gefüllte Tablett in die gekühlte Truhe. Mehmet zählt mit tieftrauriger Miene das Geld nach, verlässt enttäuscht tuend die Tankstelle um sich grinsend in seinen Lieferwagen zu setzen. Ein ärmlicher arabischer Haushalt ist als nächstes auf der Liste. Seit Jahr und Tag Auflage und eine Art Spende vom Vater, das Essen ist zwar von gestern, aber unverdorben, immer noch gut genießbar. Mehmet juxt mit den zahlreichen Kindern der Familie herum und verspricht das Blaue vom Himmel, nämlich dass er bald wieder kommt und dann vielmehr Zeit mitbringt um mit den Kleinen zu spielen. Ruck zuck ist abgeladen bei einem etwas abseits gelegenen Kiosk, trotz gestenreicher Debatte mit dem türkischen Inhaber Mümin, alles ohne Problem. Im Altenheim dauert es etwas länger. Mehmet macht die Pflegerinnen an, flirtet, scherzt mit mürrischen, weil unterbezahlten Pflegern. Sie mögen ihn. Und man kann ja nie wissen. Draußen hat die Bewölkung stark zugenommen. Sieht fast nach Regen aus. Schnell vergangen, der langweilige Arbeitstag. ´Feierabend` ist ein Wort, das Mehmet beherrscht wie kein anderes. Der kleine Lieferwagen mit deutsch/türkischer Aufschrift „Feinkost Yüksel“ rast über die Landstraße. Aus dem Himmel über den Wolken löst sich eine Sternschnuppe und schlägt mit extrem lautem Knall in einer Baumgruppe ein. Die Wirkung der Explosion ist gewaltig. In der Stadt, in Bad Tölz etwa, wäre jetzt Panik ausgebrochen. Kein Wunder, die Menschen sind verängstigt, genervt, jede Detonation in dieser Größenordnung kann von einem Attentat kommen. London, Berlin, Brüssel, Paris - der ganze Orient, Nordafrika, alles gefährdet, trotz intensivster Bemühungen der internationalen Politik, der freiwilligen Helfer, der vielen Sicherheitskräfte vor Ort. Die Druckwelle lässt den Transporter schwanken, er gerät ins Schleudern, fängt sich. Mehmet hält auf dem Seitenstreifen, springt heraus, öffnet die Seitentür des Wagens und sieht nach der Ladung. Die Fress-Platten für die noch anstehende letzte Lieferung sind zu seinem Ärger durcheinander geraten.
„Mann, Scheiße …“
Eigentlich flucht Mehmet nie, naja, oder selten. Sein Vater darf es nicht hören, man tut es nicht, jedenfalls nicht in deutscher Sprache, das schadet dem Ansehen der Migranten, der Integration insgesamt. Yüksel ist einfach gestrickt, Mehmet hat immer wieder den Eindruck, dass sein Vater die Welt mit zwei gänzlich verschiedenen Augen sieht, einem türkischen und einem deutschen, und deshalb niemals objektiv sein kann. Im diesem Leben jedenfalls nicht.
Eilig ordnet er die Platten neu.
Am Straßenrand steht ein Anhalter in merkwürdiger Kleidung: dunkle Hose und hochgeschlossene Jacke (indisch), eine Turban ähnliche Strickmütze verdeckt langes Haar: Fidelitas ist gut gelandet, wenn auch mit spektakulärem Knall. Ihr winkendes Handzeichen ist für einen Anhalter eher untypisch.
„Keine Zeit, nächstes Mal“, ruft Mehmet dem Typen zu, steigt in seinen Transporter und rast davon.
Nach ein paar hundert Metern, im spärlichen Licht einer auch tagsüber brennenden Bogenlampe, steht schon wieder ein Anhalter. Sieht genauso aus, wie der von gerade eben. Gleiche Mütze, dieselbe Kleidung. Und macht wieder die Handbewegung, die für einen Anhalter untypisch ist. Könnte ein Gruß sein, oder eine Art Segen, ähnlich dem, wie ihn der Papst an Ostern im Fernsehen vorführt.
Aber Mehmet schüttelt nur bedauernd den Kopf. Der Typ kann ja nicht wissen was so ein Feinkost-Spezialitäten-Lieferant für Stress hat, wenn die Zeit drängt. Memet gibt Gas, der alte Motor heult gequält auf, die Karre schleudert um eine Kurve, biegt trotz Rot an der Verkehrsampel ab – und touchiert beinahe den jetzt auf einmal dort stehenden Anhalter. So ein Idiot! Im Rückspiegel sieht Mehmet, wie sich die Person unter einer Straßenlaterne niederlässt, die extrem flackert, nicht richtig ein oder ausgeschaltet ist.
*
Wo junge Leute anderen Orts gern in einen Club gehen, bezeichnet man im bayerischen Voralpenland diesen Platz der ungehemmten Vergnügungen gerne mit dem traditionsreichen Namen ´Tenne`. In der Tat sind bayerische Discos oft umgebaute alte Bauernhäuser oder ehemalige Wirtschaften mit großzügig angelegtem Biergarten, schattenspendenden roten oder auch weißen Kastanienbäumen, der Boden, wenn möglich mit knirschendem Kies bestreut.
Die offiziellen, lautstarken musikalischen Vergnügungen finden meist ebenerdig im großen Saal des Gebäudes statt. Aber selbstverständlich verfügt jede ´Tenne` auch über ein Hinterzimmer in dem unter anderem auch verbotene Glücksspiele gespielt werden und eine besondere Art von weiblicher Bedienung die meist gern gesehene, finanziell gutgestellte Stammspielerkundschaft betreut.
In eben diesem Hinterzimmer, wer hätte das gedacht, befinden sich die Herren vom ´Underdog` Chapter, die Harley-Davidson-Motorrad Jungs Kozak, Fehrmann und Blumenauer in einem Meeting, wie man heute sagt, auch wenn
es nur um große Sprüche und Black Jack, Siebzehn und 4 oder Seven Card Stud Poker geht.
Der Spielergemeinschaft angeschlossen hat sich seit einiger Zeit Werner Reuss, eine seit Jahren geachtete Persönlichkeit im Landkreis, seines Zeichens Bankdirektor, in Wahrheit aber nur Filialleiter der hiesigen Sparkasse.
Reuss teilt gerade das Blatt aus, verzählt sich, einige Karten fallen auf den Boden.
Ein Glück, dass es gerade an der Tür klopft, in einem bestimmten Rhythmus, weil dann die Anwesenden wissen, dass kein ungebetener Fremdling Einlass begeht. Poker ist schließlich ein Glücksspiel das einer Genehmigung, einer Lizenz bedarf. Denn der Staat will am Spiel, egal wer gewinnt oder verliert,
durch steuerliche Abschöpfung beteiligt sein.
Blumenauer öffnet die Tür, der rhythmische Klopfer ist Mehmet, er trägt den Rest seiner täglichen Lieferung herein, diverse Platten mit leckeren türkischen Spezialitäten. „Keine Tricks, Reuss!“ sagt Fehrmann gerade, denn der starrt seit ewiger Zeit auf die Karten in seiner Hand, schüttelt ungläubig den Kopf, schwitzt stark. „So ein Scheiß Blatt gibt’s doch gar nicht!“
„Des sagst‘ jedes Mal, wenn du verloren hast“, stellt Blumenauer nicht ohne
Häme fest.
„Irgendwas ist faul hier!“ quengelt Reuss und erhält einen Klatscher mit der flachen Hand ins Genick. Es ist Kozak, der gerne und überraschend mit schlagkräftigen Argumenten hantiert. Gleichzeitig wendet er sich an Mehmet, quetscht zwischen Zähnen und Zigarillo ein „Was dauert da so lange?“ hervor.
„Sorry, aber mich hat beinahe ein Blitz erwischt, direkt vor mir bäääännnng-
baaaaffff-wummm!“ übertreibt Mehmet das Naturereignis.
„Selber schuld“, knurrt Kozak und legt dem Sparkassenfilialleiter einen Schuldschein vor.
„Du hängst jetzt mit zwanzig Mille, Reuss.“
Nacha unterschreibst jetzat´!“, kann Blumenauer zur Sache beizutragen.
„Spielschulden sind Ehrenschulden, jep!“, mischt sich Mehmet ungefragt ein, Fehrmann fühlt sich zu einer freundlichen Reaktion veranlasst.
„Verpiss dich, Junge. Aber plötzlich.“ Davon lässt Mehmet sich aber nicht beeindrucken, er würde nämlich gerne dazu gehören, zur Gang, zum Chapter,
zu den ´Underdogs`. Nur fehlen ihm leider die Mittel für so ein Moped, wie Harley Fachleute ihre 20.000 Euro Krafträder gerne bezeichnen. Mehmet muss deshalb unbedingt Kohle machen, egal wie und woher der Kies kommt. Im Pokerspiel sieht er Chancen.
„Lasst mich ´ne Runde mithalten, okay?“
„Wie vui Göid hosd nacha?“ Blumenauer meint es nicht böse, sollte eher ein Witz sein.
„Gehör’ ich zu euch oder nicht?“ Diese Frage stellt Mehmet den Jungs vom Chapter öfter. Die Antworten sind immer gleich, weshalb Kozak, und er tut es fast liebevoll wenn auch mit leicht gereiztem Unterton, vor sich hin nuschelt
„Grüß den Papa, Kleiner. Wir kommen wieder vorbei.“
„ D e r wird sich freuen!“ Mehmet ist frustriert, aber weil Kozak immer schnell ungeduldig wird und sich jetzt bedrohlich aufrichtet, verdrückt er sich schnell. * An der Verkehrsampel hält der Lieferwagen diesmal ordnungsgemäß bei ROT. Mehmet hat nun alle Zeit der Welt, er kurbelt das Fenster herunter, steigt gemächlich aus und sieht sich um. Aber der Anhalter ist verschwunden.
*
Im Hinterzimmer der ´Tenne` ist das Pokerspiel zu Ende gegangen. Die Stimmung gereizt. Fehrmann hält Reuss erneut den Schuldschein unter die Nase, wedelt damit hin und her, vertreibt dadurch auch den fiesen Geruch, der immer noch aus Kozaks inzwischen erkalteten Zigarillo Stumpen aufsteigt.
„Zwanzigtausend sind doch kein Weltuntergang, Mann, noch dazu wenn man an der Quelle sitzt.“ Und Kozak assistiert liebevoll, ohne seine extrem geweißten Zähne auseinanderzukriegen.
„Und du sitzt doch direkt an der Quelle, mein Freund.“
„Er kannt’ natürlich auch an ´Hartz` beantragen un hinterher in Raten abzoin, des wärn nachher wie vui Jahr, hähähähä…?“ Nur Blumenauer selber kann über seinen humoristischen Einfall lachen.
Reuss schon gar nicht. Er übt sich in Schweigen. Um die Angelegenheit etwas voranzubringen, zieht Kozak jetzt einen Revolver aus der Tasche. Mit der vorgetäuschten Freundlichkeit eines Marlon Brando, dem berühmten Paten aus Francis Ford Coppolas gleichnamigem Film Epos, lässt er die Trommel rotieren und legt die Waffe vor Reuss auf den Tisch. Das wäre Marlon Brando allerdings nie eingefallen. Dafür hatte er seine Leute.
Kozak muss darüber nicht groß nachdenken. Er bleibt lieber Clint Eastwood und quetscht ein cooles „Noch ´ne Lösung“ zwischen den zusammengepressten Zähnen hervor.
Die Schweißperlen auf Reuss´ Stirn vermehren sich. Wie hypnotisiert starrt er auf den Revolver. Schließlich gibt er sich einen Ruck und unterschreibt.
Die anderen lachen bösartig, oder nur erleichtert? Man weiß es nicht zu dieser Zeit. Aber Zeiten ändern sich.
*
Mehmet fährt mit geöffneten Fenstern und lauter Musik durch Bad Tölz. Hin und wieder sieht er Menschen auf dem Weg zur nächsten Wirtschaft, oder zur Arbeit. Das gibt es auch noch, denkt er. Hinter zwei Mädchen pfeift er her. Die eine zeigt ihm den Stinkefinger. Mehmet grinst, wirft ihr einen Handkuss zu.
Den Lieferwagen parkt er direkt vor dem Friedhof, greift nach einem kleinen Blumenstrauß auf dem Beifahrersitz, der aus Wassernot schon ziemlich verwelkt aussieht, öffnet eine kleine, laut quietschende Seitentür in der Friedhofsmauer. Besuche der letzten Ruhestätte von Hinterbliebenen laufen in einzelnen Ländern sehr unterschiedlich ab. In Japan etwa, aber auch anderswo, sind gemeinsame Treffen der Verwandtschaft in Form eines Picknicks, mit Musik aus einem tragbaren Radiogerät, durchaus üblich. Man zeigt auf diese fröhliche Art und Weise, die immer und ewig währende tiefe Verbundenheit der Lebenden mit den Dahingeschiedenen. Im ägyptischen Kairo wohnen einige sogar auf Friedhöfen. Das ist kostengünstig, keine Miete, und zugleich fühlt sich der Rest der Familie den Verstorbenen rund um die Uhr nahe. So jedenfalls erzählt es der deutsch sprechende Fremdenführer im vorbei fahrenden Reisebus und erfreut sich dabei an den schaudernden Touristen. In Deutschland nimmt man den Totenkult anders wahr. In einer Spannweite von ernst bis dramatisch. Das teure, dafür aber äußerst stattliche Familiengrab wird von früh bis spät gehegt und gepflegt. Manch trauernde Witwe verwandelt die letzte Ruhestätte in eine Art Schrebergarten. Blattgold gerahmte Fotos des verstorbenen Gatten verzieren ein hochglanzpoliertes Granitgestein, dicht umstellt von Zierbüschen, rustikalen Sträuchern und größeren Bäumen, belegt mit je nach Jahreszeit wechselnden, üppigen Blumenarrangements, umschlungen von Girlanden und Trauerflor mit eindrucksvollen Zitaten deutscher Dichter und Denker oder sehr persönlichen Erinnerungen an gemeinsame Stunden, Tage, Jahre in meist gefühlvollen Reimen, die den Betrachter zu Tränen rühren. Zugleich aber sind Deutschlands letzte Ruhestätten oft eindrucksvolle Parklandschaften, es gibt sie in Hamburg oder in Leipzig, aber auch die schlichteren Friedhöfe in München und Berlin sind sehenswert, verfügen mit ihren uralten Baumbeständen, den Buchen, Birken und Tannen über einen stillen geheimnisvollen Zauber, der manchen Trauernden tief durchatmen lässt, in oft sogar fröhlich stimmt. Vor einer schlichten Grabstätte mit der Aufschrift JASMIN bleibt Mehmet stehen. Ein „Servus, Mama“ bringt er leise heraus, was ihn in seiner plötzlichen Schüchternheit liebenswert macht. Er legt den leicht verwelkten Blumenstrauß ab und bleibt dann unschlüssig stehen. Hinter einem großen, weißen Marmor Gedenkstein mit Engelsfigur gibt es Bewegung: Fidelitas beobachtet Mehmet, der jetzt auf sie aufmerksam wird.
„Ey, hast du ´n Problem, oder was?“ Er will auf Fidelitas zugehen, da klingelt sein Handy. Yüksel, wie immer in Sorge um den einzigen Sohn, wenn er sich nicht gleich meldet nach getaner Arbeit. Mehmet nerven diese Kontrollanrufe seit langem, weshalb er kurz angebunden ist.
„Papa, was gibt’s? Ja, klar hab’ ich pünktlich geliefert. Tag und Nacht. Bin jetzt grade in der Garage wegen dem Rest Obst. Nein, Papa, hab ich dir doch mein Wort gegeben: Erst die Arbeit – dann das Vergnügen, okay?! … Mach ich Papa, bin gleich fertig mit dem aufladen…“
Er klappt das Handy zu und sieht sich suchend um: Fidelitas ist verschwunden.
*
Der fachmännisch vor Yüksels Lebensmittelladen aufgebaute Obststand wird von einem Typen sowas von gründlich betrachtet und untersucht, dass ein Beobachter denken könnte, der Kerl mit der Strickmütze ist einer von diesen emsigen Lebensmittelkontrolleuren, oder noch schlimmer, ein bekannter Fernsehkoch, der im Geist bereits ein Gutachten formuliert, um die ausgestellte Ware in höchst professionellem Sinne, aber je nach Laune, positiv oder negativ zu bewerten.
Die Ware bestens, Integration gelungen, Gesetze befolgt, keine Beanstandungen müsste es in einem Bericht über Feinkost Yüksel heißen, obwohl der Inhaber einen Migrationshintergrund hat, weshalb immer Vorsicht angesagt ist und man gegenteiliges nie mit Sicherheit ausschließen kann.
Fidelitas kennt das Problem dieser gefürchteten, geschäftsschädigenden oder auch geschäftsfördernden Experten-Beurteilungen nicht, denn sie ist weder Fernsehköchin noch eine strenge, staatlich geprüfte Überwachungskraft für Lebensmittel – sie hat eine Mission zu erfüllen und ist deshalb an allem und jedem interessiert was sie nicht kennt und schon deshalb neugierig macht.
Äpfel allerdings sind ihr nicht unbekannt, jeder Engel in den Himmlischen Heerscharen kennt schließlich die Story von Adam und Eva im Paradies und der bösen Schlange mit dem süßen rotbackigen Äpfelchen. Aber probiert, also gegessen, hat sie so ein verführerisches Stück Obst natürlich noch nie, wie denn auch, bei dieser teuflischen Vorgeschichte.
In einem hellen Feinkost-Yüksel Arbeitsmantel, mit Eimer und Leiter, kommt Yüksel aus seinem Geschäft, um ein paar kaum sichtbare Flecken an der Schaufensterscheibe wegzuwischen.
Höflich, Engel sind traditionell zuvorkommend, hilfsbereit und höflich, das weiß man und Fidelitas macht da keine Ausnahme, denn sie gehört nun mal zu den Guten. Der einzige bekannte bösartige Engel ist übrigens Luzifer. Der Name bedeutet wörtlich übersetzt ´Lichtträger`; ein strahlend schöner Engel soll er, gewesen sein, ein Liebling Gottes, der durch eigenes Verschulden zum völligen Außenseiter und schließlich zum Fürsten der Finsternis wurde. Schlichtere, also nicht Wikipedia gebildete Gemüter, kennen den bösen Luzifer nur unter dem Spitznamen ´Teufel` - und dass er ein schlimmer Finger ist haben die meisten von ihnen schon in der Kita gelernt.
Die Engelin Fidelitas wird später von ihm zu berichten haben, jetzt aber tritt sie, wie oben schon gesagt, höflich etwas zurück und stößt dabei mit dem Fuß gegen das Gestell mit dem Obst. Ein halbes Dutzend Äpfel fallen herunter. Der heute schon mehrfach geplagte Yüksel stöhnt genervt auf.
„Bitte…“
Sofort bückt sich Fidelitas und beginnt das Obst aufzuheben.
„Niemand will kaufen das!“
„Ich nehme es“, sagt Fidelitas und fühlt sich sowas von schuldig. Yüksel aber ist es zufrieden, wiegt das Obst ab und packt es in eine umweltfreundliche braune Papiertüte mit der gut lesbaren Aufschrift ´Feinkost-Yüksel`.
„Vier achtzig.“ Fidelitas sieht ihn fragend an.
„Ist vier Euro achtzig, Sonderpreis, alles zusammen…“ Fidelitas blickt weiter ratlos, dies macht dem gutmütigen Yüksel sofort ein schlechtes Gewissen. Zum Glück hält jetzt Mehmet mit seinem Lieferwagen vor dem Geschäft.
„Auslieferung fertig, Papa!“ Yüksel auf Türkisch (hier gleich in der Übersetzung)„So was hast’ noch nicht erlebt. Kauft groß ein und kann nicht bezahlen.“
„Wer?“ fragt Mehmet überflüssiger Weise, denn außer dem Typen mit der Strickmütze ist niemand zu sehen. Der allerdings kommt ihm bekannt vor.
Yüksel zeigt auf Fidelitas. Mehmet stutzt, steigt dann aus dem Transporter.
Um den Vater nicht zu enttäuschen, trägt er jetzt ebenfalls den hellen reinlichen Arbeitsmantel von ´Feinkost Yüksel`.
„He, du! Hast’ kein Geld? Einkaufen und kein Euro!“ Er kommt näher, mustert Fidelitas von oben bis unten.
„Kenn‘ ich dich, he?! Hab dich doch schon gesehen – am…ääh, bei unserer Garage, ja?!“ Und da Fidelitas ihn nur stumm ansieht, weil um eine Antwort verlegen, macht er den bemützten Typ weiter an.
„Aha, bist du stumm! Kannst nix reden, was?!“
Fidelitas, nun doch einigermaßen überrascht von Mehmets aggressivem Auftritt, mustert ihn eindringlich, schweigt aber weiter.
„Hast’ was gegen uns? Wir sind dumme Ausländer, ja? Sind wir nicht, kleines Arschloch. Gute Steuerzahler sind wir, deutsche!“
„Lass ihn, Mehmet. Er ist ja friedlich.“ Dem Gutmenschen Yüksel ist die Sache unangenehm. Genau das macht Mehmet immer so wütend.
„Friedlich! Echt? Kaufen und nicht zahlen und friedlich! Haben wir nicht schon oft mit Zitronen gehandelt, was Papa?!“
Yüksel will den Ärger ausgleichen und zeigt auf mehrere Kisten und Kartons im Laden.
„Soll er dir helfen einladen dafür, Mehmet.“
„Guck seine Hände an! Ist kein Typ der arbeitet! - Ey, hast du gehört was Papa gesagt hat?“
Fidelitas starrt auf die Kisten und Kartons, schließlich nimmt sie eine Kiste hoch und trägt sie zum Lieferwagen.
„Wir müssen ein Sonderangebot machen, Mehmet.“
„Warum? Schlechte Ware – gut verkaufen! Ist Marktwirtschaft, Papa.“
„Sind wir Gauner, oder was?“
Fidelitas hat sich auf einer leeren Obstkiste niedergelassen und wartet geduldig. Mehmet dagegen ist ungeduldig, zunehmend gereizt.
„Ey, was ist?“
Er sieht in den Lieferwagen und kann es nicht glauben: alle Kisten und Kartons sind bereits eingeladen. Auch Yüksel staunt einigermaßen.
„Bravo, bravo! Gute Arbeit, schnelle Arbeit! Soll er dir helfen bei der nächsten Auslieferung.“ Er klatscht erfreut in die Hände und lächelt Fidelitas an.
„Darf ich… einen Apfel …?“
„Was fragst du, sind ja deine.“ Im Gegensatz zu seinem Vater versucht Mehmet immer wieder den großen Zampano zu machen, obwohl ihm Angeber Typen eigentlich zuwider sind. Yüksel kommt mit einem frischgewaschenen weißen Arbeitsmantel aus dem Laden und hält ihn Fidelitas hin.
„Feiner Anzug wird nicht schmutzig. Leichte Arbeit – zehn Euro. Prima gut?!“
Fidelitas schlüpft umständlich in die ihr hingehaltene etwas zu enge Kutte, und Yüksel steckt ihr 10 Euro in die Brusttasche.
Während Mehmet schon zum Transporter geht und die Türen schließt, schiebt der Vater Fidelitas vor die blank geputzte Schaufensterscheibe, damit der neue Mitarbeiter sein Outfit bewundern kann.
„Papa!“ Mehmet ist genervt, den Lieferwagen hat er bereits gestartet.
„Was ist jetzt mit dem?“
Yüksel sieht zu Mehmet hinüber. Deshalb kriegt er auf die Entfernung nicht so recht mit, dass Fidelitas k e i n Spiegelbild hat. Egal, der Typ dreht sich schon wieder um und fummelt an den Knöpfen der Kutte.
„Ich bin zu dick für die schöne Jacke, Herr Feinkost...?“
„Yüksel“, sagt Yüksel, und lacht. Und dann steckt er Fidelitas noch ein nagelneues Digital Notizbuch mit Punktpapier und einem Kamerastift zu.
„Is‘ ein Geschenk von meinem Sohn. Aber so a Digitalisierung, brauch ich nicht. Schön aufschreibn, was gut ist für‘ s G´schäft, nacha is‘ gut für dich a.
Ihr Ausländer müsst zuerst amoi Deutsch richtig lesn un schreibn lerna, gei?!
*
In der Fahrgastzelle des Lieferwagens hat Mehmet die Rolle des Deutschlehrers bereits übernommen.
„Will immer was Gutes tun, der Papa. Integriert sein, angepasst. Jeder Penner kriegt gleich ein’ Job von ihm. Als ob ich den Scheiß nicht allein rocke.“
Er schaltet das Radio ein, steuert den Transporter lässig mit einer Hand die Hauptstraße entlang. Fidelitas kaut am ungewohnten Apfel.
„Eine Frau Jasmin liegt auf dem Friedhof...“
„Ey, muss der Papa nicht wissen, dass ich da manchmal vorbei fahr, okay?“
Mehmet ist verunsichert. Fast ein wenig ängstlich. Immer hat er dem Vater versprechen müssen: Niemals lügen! Lügen haben kurze Beine! Lügen erschwert die Integration. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn
er auch die Wahrheit spricht!
Aber Deutsche lügen auch, Papa, hat er seinem Vater geantwortet und dann
zu hören bekommen: Das ist etwas anderes!
Wieso?
Wir sind hier Gäste, Mehmet.
Nein, Papa, wir sind hier zu Hause.
Manchmal, hatte Yüksel nach langer Pause gemurmelt, manchmal ja.
„Seit wann liegt sie da, die Frau?“ Fidelitas ist neugierig, auftragsbedingt sozusagen.
„Spionierst´ mir nach?!“
„Woran ist sie gestorben?“
„Keine Ahnung. Hab’ sie nicht gekannt. Vielleicht bei meiner Geburt, was weiß ich.“
„Sie ist deine Mutter, die Frau?“
„Mann, Mann, du bist vielleicht ein komischer Heiliger. Ey, wir haben andere Sorgen, okay. Wie man Kohle macht, zum Beispiel. Für geile Klamotten, Urlaub auf Mallorca, ein Motorrad, schöne Frauen, ein guter Drink, ein Cocktail! Für
O b s t einkaufen, Jep!“
„Jep?“
„Jep heißt auf Deutsch okay! Okay?“
„Okay“, sagt Fidelitas und tippt das Wort in ihr Digital Notizbuch.
„Geld - ist sehr wichtig?“
„Wenn man keins hat schon“, grinst Mehmet und pfeift hinter einer Frau her,
die gerade die Sparkasse verlässt vor der sie eben ankommen. Er parkt den Lieferwagen ordnungsgemäß auf der vorgeschriebenen Parkfläche.
Im weitläufigen Raum für den Kundenservice sieht Reuss von seinem Schreibtisch hoch. Mehmet, Fidelitas im Schlepptau, betritt die Sparkasse.
Sein Bayerisch ist nicht vom urigsten und auch nicht der Tölzer Region zuzuordnen. Könnte eher München-Solln sein oder vielleicht doch vom Hasenbergl.
Der Nichtbayer muss dazu wissen, was viele original echte Bayern meist nicht wissen: Bairisch ist nicht gleich Bayerisch. Ein g´scherter Augsburger tut
sich möglicherweise hart im oberfränkischen Bamberg, ein Regensburger in Rosenheim. Und selbst in München ist die dialektische Vielfalt zwischen den Ortsteilen Obermenzing und Giesing derart unterschiedlich, dass nur wenige Eingeweihte in diesem Sprachgewirr rausfinden, wo der Betreffende herkommt, ob er ein Hiesiger oder ein Doiger ist.
„Grüß’ Eahna Gott, Herr Reuss. Schon wieder frisch und munter bei der Arbeit nach langer Nacht?! Brav. Die Kontoauszüge und noch zweihundert Euro
Wechselgeld. Bitt´schön.“
Reuss ist peinlich berührt, um es bayerisch zu sagen: zefix saumäßig wütig, ist er, weil, die werden immer frecher, die Zuwanderer. Der Feinkost Yüksel ist zwar lange schon ein guter Kunde und sein Laden hat der Sparkasse einiges an Gewinn eingebracht in den letzten Jahren, nicht zuletzt weil die Zinsen von Yüksels Überziehungskredit nach wie vor hoch sind, viel zu hoch, nämlich im zweistelligen Bereich, und dennoch werden sie ohne Widerspruch vom Geschäftskonto abgebucht. Ein bisschen Häme kann sich der Filialleiter deshalb nicht verkneifen.
„Ist schon wieder eng auf eurem Konto. Was macht der Umsatz, Mehmet?“
„Umsätze sind nicht wichtig, Herr Direktor“, antwortet Mehmet frech. „Auf den Gewinn kommt’s an, gei! Is´ genau wie beim Poker, Herr Reuss, vastengans?!“
Schon hat Reuss wieder Sodbrennen, er schiebt Mehmet die Bankauszüge rüber, der zeigt sie lächelnd Fidelitas.
„So schaut´s aus, wenn man k e i n Geld hat, Kollege.“
„Siebzehntausend“, liest Fidelitas ab.
„Ja, aber im Soll“ grinst Mehmet.
„Im Soll?“ Fidelitas scheint nicht zu verstehen.
„S c h u l d e n, sagt der Herr Reuss. Nix wie Schulden habt ihr!“ Und dann äfft er einen Satz des Filialleiters nach, den Reuss offenbar immer wieder gebraucht hat. „Mein Gott, einmal möchte ich erleben, dass die Beträge in eurem Auszug hinter einem Pluszeichen stehen!“
Fidelitas studiert konzentriert den Auszug, biegt ihn hin und her, sieht auch auf die Rückseite und sagt dann, sich verlegen unter der Wollmütze kratzend.
„Aber die stehen hinter dem Pluszeichen.“ Mehmet lacht laut auf.
„Nachher san S´ jetzat z´friedn, Herr Direktor!“
Er nimmt Fidelitas den Kontoauszug weg und sieht nach. Das Lachen vergeht ihm.
„Ein Buchungsfehler. Krass. Ist gar nicht möglich.“ Rasch gibt er den Auszug an Reuss weiter. Der stutzt, bedient dann seinen Computer. Fidelitas macht sich an ihrem Digital Notizbuch zu schaffen.
„Moment noch, bitte“, sagt Reuss und hackt weiter intensiv auf die schuldlosen Computer Tasten. Mehmet kann sich nicht beruhigen, schüttelt immer wieder den Kopf, kratzt sich nervös in den Haaren.
„Verarschen kann ich mich selber. Irre witzig!“
Reuss hat jetzt auf Umwegen erneut Yüksels Geschäftskonto aufgerufen. Ein Irrtum ist nicht möglich, die Zahlen sind im Plus, und in so einem Fall gilt wie immer das uralte Gesetz aller Geldhäuser: die Bank irrt sich n i e!
„ Die Buchung ist korrekt, Herr Mehmet. Würde mich auch wundern. Unser Haus irrt sich nie.“ Fidelitas tippt zur Erinnerung eine Notiz in ihr Gerät und Mehmet denkt: Scheiße, wie ist das möglich. Unabhängig davon aber beschließt er zu handeln.
„Vielleicht hat Allah ein Wunder gemacht und eingezahlt für meinen Papa,
wer weiß?“
„Der Posten ist jedenfalls durchlaufend, Herr Mehmet.“ Wider Willen muss Reuss die Richtigkeit des Kontoauszugs noch einmal bestätigen.
„Ja, dann“, und jetzt gibt sich Mehmet noch lässiger und siegessicher. „Dann …äh … möcht’ ich gern zehntausend cash mitnehmen, Herr Reuss. Geht doch, oder?“
„Selbstverständlich, Herr Mehmet“. Reuss leidet und muss nun auch noch, während er den Auszahlungsschein schreibt, weitere Provokationen von Mehmet hinnehmen.
„Wann sieht man sich mal wieder, Herr Direktor?!“
„Jeder Zeit. Dann weiß ich wenigstens, wo die Kohle geblieben ist, hahaha.“
„Jep!“ sagt Mehmet und verstaut das Geld in einer Ledertasche. „Jedenfalls nicht in den Sparkassen Taschen!“
Gut gelaunt haut er Fidelitas auf die Schulter.
„Kommst’ mit, Kleiner. Gehen wir heut’ Abend in die Tenne, kannst Du was lernen, okay?“
„Jep!“ sagt Fidelitas im Weggehen und es klingt schon ganz selbstverständlich, denn um was zu lernen, dazu ist sie ja hier auf Erden. Ob es allerdings für die Emanzipation gut ist, weiß sie nicht, das wird man sehen. Vielleicht läuft was in der ´Tenne`.
Reuss sieht den beiden nach, drückt dann eine Nummer auf seinem Handy. Er spricht vorsichtig und sehr leise.
„ Ich bin´s. Ist Kozak da?“
*
Was Reuss seinem Kumpan aus der Poker Runde zu berichten hat, darüber kann man nur Vermutungen anstellen. Reine Spekulation, allerdings mit hohem Wahrscheinlichkeitsgehalt: Er wird vermutlich, um sich selbst ins rechte Licht zu rücken und damit von seinen beim Kartenspiel gemachten Schulden abzulenken von einem gerissenen Betrüger berichten, dem es irgendwie gelungen ist, mit welch raffiniertem Trick auch immer, das Konto vom Feinkost Yüksel so zu manipulieren, dass es plötzlich ein Plus aufweist, statt den ewigen Soll Zahlen. Wie der Typ die seltsame Geldvermehrung hingekriegt hat wäre herauszufinden, denn eines ist klar: Die Kohle ist auf dem Konto. Ganz real.
Mehmet und Fidelitas kurven durch Bad Tölz, auf der Suche nach einem der seltenen Parkplätze. Mehmet hat den Schock über den unverhofften Geldsegen noch nicht überwunden. Die Sache gibt ihm, genau wie dem Herrn Reuss von der Sparkasse, ziemliche Rätsel auf.
„Fragen wir meinen Vater, wo die Mäuse herkommen.“
„Die Mäuse?“
„Sagt man so, anstatt Kohle.“
„Kohle?“
„Ey, dich haben die Zigeuner im Trab verloren, was? Sagt man so. Kohle ist Geld, okay?“
„Okay.“
„Und der Papa wird sagen: Ist Allahs Wille, lass uns nachschauen, was sagt der Koran dazu.“
„Der Koran?“
„Mann, bist du blöd, oder was?“
Vielleicht ja, vielleicht nein. Mehmets Beifahrerin ist die Ruhe selbst, kaut genüsslich an ihrem Apfel. Von einem Koran aber hat sie offenbar auch noch nie gehört. Deshalb die Nachfrage, verbunden mit einer Notiz.
„Der Koran?“
„Das heilige Buch des Islam. Es ist sowas wie die Bibel, nur für Muslime.“
„Viele Muslime lesen den Koran?“ Fidelitas´ Frage klingt naiv, aber genau besehen könnte was dran sein. Mehmet wird darüber nicht nachdenken. Noch nicht.
„Alle Muslime lesen ihn. Die Strenggläubigen und die Liberalen.“
„Du bist strenggläubig?“
„Liberal.“
„Was macht es für einen Unterschied?“
„Es gibt liberale Muslime, aber keinen liberalen Islam“, sagt Hamed Abdel-Samad. „Aber der verbreitet schlechte Ansichten.“
„Sagt wer?“
„Sagen die Strenggläubigen. Vieles steht drin, weißt du, und vieles steht nicht drin. Genau wie in der Bibel.“
„Was steht in der Bibel?“
Mehmet findet das komisch. Er kichert vor sich hin.
„D e i n e r Bibel!“
„Meiner Bibel. Jep.“
„Dann kennst’ auch die Story mit dem Apfel. Adam und Eva?“
Fidelitas überlegt ein wenig, dann sagt sie, weiter am Apfel kauend.
„Der Baum der Erkenntnis. Das steht in der Bibel. Jep. Aber nicht, wie er genau schmeckt, der Apfel. Nur süß. Süß schmeckt er.“
„Bist du gläubig, ein guter Christ, ja?!“
„Alle Menschen sind gute Christen.“
„Oder gute Juden, Buddhisten, Hindus, Atheisten, Bahai, Agnostiker, Baptisten, griechisch Orthodoxe, russisch Orthodoxe, Muslim und weiß der Himmel was noch alles, sagt der Papa. Er hat immer Antworten auf alles. Und wenn nicht, fragen wir …“
„Den Koran?“, fragt Fidelitas vor dem nächsten Apfelbiss.
„Allah!“
„Allah?“
„Wir beten zu Allah. Und du? Zu wem betest du …?“
Der Transporter hält vor einer Döner Bude. Mümin, der Inhaber, winkt Mehmet und ruft ihm zu „Kannst’ es anschauen, Mehmet.“
Mehmet strotzt geradezu vor Selbstbewusstsein, zugleich mimt er vor Mümin den Fürsorglichen, den generösen Spender. Was Wunder, zum ersten Mal hat er eine große Summe Bargeld in der Tasche. Scheißegal wo die Kohle herkommt, Geld beruhigt, motiviert mächtig, macht großzügig und stolz.
„Hunger, Kleiner?“
Ohne die Antwort von Fidelitas abzuwarten, bestellt er Döner.
„Gib mir zwei, Mümin. Der Kleine hat Kohldampf.“
Mümin geht das Großkotzige der heutigen Jugend schon lange auf den Sack. Und außerdem frozzelt er gerne, in holprigem bayerisch. Hier bietet sich mal wieder eine Gelegenheit.
„Ja da schau her, Mehmet, hast´ an neuen Freund. Bist’ a Schwuli-Schwuli jetzt, was?!“
„Und du wieder mal neidisch, weil dir alle Kerle davon laufen!“
„Gehn wir in die warme Sauna, Mehmet. Bringst eahm mit?“
„Der wird an dir Saubär Freude haben. Wo hast’ es?“
„Hinten“.
Womit klar ist, dass neben dem Dönerverkauf im Kiosk ´hinten` noch andere Geschäfte laufen. Fidelitas ist damit beschäftigt sich Notizen zu machen,
„Okay!“ sagt Mehmet, winkt ihr mitzukommen und gibt ihr einen Döner.
In einem Verschlag hinter der Bude steht zwischen Kisten und Kästen ein betont sportliches Motorrad in grellen Farben.
„Geil, he?!“ Mehmet knufft aufgeregt Fidelitas in die Rippen. Mümin streichelt mit der flachen Hand über den elegant gestylten Sattel des Ungetüms.
„Kannst’ gleich mitnehmen. Aber vorher …“ Er macht die typisch deutsche Daumen/Zeigefinger Bewegung des Geldzählens.
„Die Anzahlung! Zwanzig Prozent! Tausendsechshundert Euro.“
„Oder: Zwanzig Prozent Nachlass – bei cash, okay?!
Mehmet, ganz cooler Gewinner; Mümin, ahnungslos, will sich kaputt lachen.
„Woher hast’ achttausend Euro, mein Freund? Vom Lotto?“
„Heute hat Allah meine Augen geküsst!“
In solchen Fällen, das weiß Mehmet genau, sind türkische Weisheiten immer gut angebracht. Lässig, sogar superlässig holt er den Packen Geld aus seiner Ledertasche und zählt langsam aber mit großer Geste 7.000 Euro ab, gibt Mümin dann die Hälfte und steckt den Rest wieder ein.
„Ohne Probefahrt geht nix.“
Mümin ist beeindruckt, ist sogar sehr beeindruckt, zählt die Scheine nach, hält sie gegen das Licht, prüft sie nochmal, zerknittert einen und ist jetzt noch mehr als außerordentlich beeindruckt, das spürt auch Fidelitas. Richtig einordnen aber kann sie dieses Prozedere nicht, macht sich dennoch Notizen.
Mehmet startet die Maschine, lässt den Motor mehrfach aufheulen, winkt Fidelitas aufzusteigen und braust mit künstlich erzeugten Fehlzündungen vom Platz. Mümin bleibt zurück, sprachlos, immer wieder hält er die Geldscheine gegen das Licht um zu prüfen ob sie tatsächlich echt sind.
In ziemlich hohem Tempo fahren Mehmet und Fidelitas durch die Innenstadt von Bad Tölz, an einem Biergarten vorbei, mitten durch den Kurpark, an der Isar entlang. Immer wieder lässt der neue Besitzer den Motor seiner Maschine im Leerlauf aufheulen. Das hat nicht überall freundliche Gesichter der Kurgäste und Spaziergänger zur Folge. Trotz des Fahrtwindes versucht Fidelitas sich bemerkbar zu machen, indem sie Mehmet ins Ohr schreit.
„Das war ein Fehler!“
„Jeder macht Fehler“, schreit Mehmet zurück, „ist doch normal!“
„Das Motorrad kaufen!“
„Was?“
„Nicht gut!“
Ein ganz reines Gewissen hat Mehmet natürlich nicht. Er hat ja echt keine Ahnung, wo das Geld auf dem Geschäftskonto so plötzlich herkommt. Und an Zufälle, oder Gottes Hilfe, glaubt er auch nicht. Er will einfach nur Spaß haben. Bedenkenträger machen ihn aggressiv. Das bekommt Fidelitas gleich zu spüren.
„Nicht gut, nicht gut! Was meinst du, wofür ich arbeite Tag und Nacht. Für nix! Der Papa zahlt mir nix, bezahlt nur Miete und Steuer und Strom und was noch alles für Scheiß, keine Ahnung. Und zahlt den ...“ Der Fahrtwind reißt weitere Schimpfworte weg, verständlich für Fidelitas bleibt am Schluss der Tirade nur „Arschkozak!“
„Arschkozak?“
„Vergiss es!“
„Pass auauauauffffff!!!
Die Warnung von Fidelitas hat eine außerordentliche, fast könnte man sagen eine überirdische Qualität. Natürlich nicht von der Stärke einer Gravitationswelle wie sie der Herr aller Dinge auslösen kann, aber für einen Second Hand Engel doch von großer Kraft und Lautstärke. Das muss sogar der Bauer auf seinem Traktor gespürt haben, der mit einem Heu beladenen Anhänger unverhofft aus einer Seitenstraße herausfährt.
Vielmehr heraus fahren wollte. Vor Schreck bremst der Mann sein Gefährt so stark ab, dass die gesamte Heuladung ins Rutschen kommt und auf dem altehrwürdigen Tölzer Kopfsteinpflaster landet. Mehmet scheint den knapp verhinderten Unfall anders zu sehen. Er ist sich seiner erstklassigen Fahrkünste absolut sicher, klar, dass immer die anderen schuld sind. Dennoch bedankt er sich bei Fidelitas auf seine nicht immer charmante Weise.
„Ey, der hat Glück gehabt, der Sausack. Beinahe hätt´ ich ihn auf die Hörner genommen. Gut, dass du geblökt hast.
„Okay, danken wir für die Hilfe. Tun wir was, für einen guten Zweck! “
„Hä?“
„Machen wir ein gutes Werk, okay?!“
„Bist du von der Wohlfahrt, oder was?! Spenden für´ n guten Zweck?! Rotes Kreuz, Flüchtlingshilfe, Gewerkschaft, Bauernverband oder was für ein Verein?“
„Ein ... gemeinnütziger Verein … für die Emanzipation …ein gutes Werk, jep!“
„Gegen Sexismus und Übergriffe auf Frauen, ja? Ey, Partner, mit dem Geld von der Sparkasse machen wir sowieso schon eine Emanzipation, der Papa und ich, verstehst du? Wir sind jetzt automatisch selbstständiger.“
Er gibt wieder Gas und fährt – diesmal aber bedeutend langsamer – weiter den
Berg hinauf wo ein Marterl steht. Mehmet schreit gegen den Fahrtwind.
„Ich bin emanzipiert vom Papa – und der ist emanzipiert von der Sparkasse! Voll cool, was?“
„Die Sparkasse - ist eine Frau?“
„Der Chef von der Sparkasse ist eine Frau.“
„Eine Chefin?! – Ich muss fragen. Anhalten, bitte!“
Mehmet hält an, lässt übermütig den Motor aufheulen während Fidelitas von der Maschine klettert und sofort eine Notiz ins digitale Notizbuch tickert.
„Man sieht sich – in der Tenne auf d´ Nacht, okay?!“
Er gibt Gas und fährt in übermütig in riskanten Schlangenlinien davon, während Fidelitas den Fußweg hinaufgeht, zu dem am Wiesenrand stehenden Marterl. Sie betrachtet es nachdenklich. Schließlich beginnt sie langsam, dann immer schneller wie ein Jogger, um das Kreuz herumzulaufen, versucht dabei mit der am Kreuz angenagelten Gipsfigur ins Gespräch zu kommen.
„Chef, tut mir echt leid, aber ich hab’s Euch gleich gesagt: Lasst den Kelch an mir vorübergehen. Das ist kein Job für mich. Michael muss da ran oder Raphael. Ich bin doch kein Elementarengel, nur Second Hand, und noch dazu weiblich...“
Auf der Bank, nicht weit entfernt, ruht sich der Ältere Herr aus, der schon, unentschlossen und irgendwie hilflos in Yüksels Feinkost Geschäft stand.
Er sieht dem sportlichen Treiben von Fidelitas zu.
„Das Problem ist: meine Zielperson ist ein Muslim!“ keucht Fidelitas und dreht weitere Runden. „Ganz schön daneben, Eure Auswahl nach dem Zufallsprinzip. Ist echt krass, ich meine, es wird zefix schwierig werden von so einem Typen was über die Emanzipation zu erfahren! Aber wem sag’ ich das, Chef, ist Euch ja sowieso schon bekannt, oder?“
Von den Umrundungen des Marterls ist ihr ganz schwindlig geworden. Erschöpft lässt sie sich ins Gras fallen.
„Wenn ja, dann wisst Ihr sicher auch, dass man einen Muslim nicht einfach verbessern… ich meine umprogrammieren kann, der glaubt doch gar nicht an Euch …ääääh…an …an Gott! Richtig? Wenn ja, dann gebt mir ein Zeichen! Kein Blitz und Donner, was Schriftliches wär‘ mir lieber, okay? Ich meine jep!“
Der Ältere Herr hat sich von der Bank erhoben und sieht auf sie herab. Mit sehr spitzem Finger zeigt er auf den Jesus am Kreuz.
„Der Herrgott sieht alles!“
„Hoffentlich“, antwortet Fidelitas und macht sich eine Gesprächsnotiz.
*