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Psalm 2 Kleine Geschäfte erhalten die Freundschaft
ОглавлениеExotischer Duft durchzieht die Wohnung, er kommt aus der kleinen Küche, durchdringt den Vorhang zum Verkaufsraum um sich dort, im Geschäft, mit der urigen, guten bayerischen Voralpenluft zu vermischen. Lange schon vor der brennenden Flüchtlingsfrage eine gelungene, ja perfekte Integration zweier höchst unterschiedlicher Gewürz-und Geruchskulturen.
Yüksel und sein Sohn bereiten Platten mit türkischen Spezialitäten vor.
Beide sind erregt, weshalb der Vater in seiner Muttersprache redet, was an dieser Stelle, wie auch schon vorher, gleich ins Deutsche übertragen wird.
„So viel Geld?!“, schreit Yüksel auf Türkisch. „ Das ist verdächtig für die Sparkasse, Sohn! Ausländer sind immer verdächtig bei Banken, Behörden, Krankenkassen, Jobcentern, der Polizei…“
„Rede deutsch, Papa. Sonst bleibst’ immer ein verdächtiger Ausländer. Beim Erdogan ein verdächtiger Deutscher, und hier ein verdächtiger Türke.“
Mit zunehmender Beruhigung fällt dem Vater nun auch die deutsche Sprache wieder ein. In der Sache aber bleibt Yüksel hart.
„Wir müssen das Geld zurückgeben, sofort. Der Staat kontrolliert alles … man darf nicht auffallen!“
Er garniert flink die klein geschnittenen Weißbrotscheiben mit schwarzen und grünen Oliven. Mehmet ballt die Faust in der Tasche, traut sich aber nicht dem Vater zu widersprechen, ein Rest türkischer Tradition ist ihm erhalten geblieben. Deshalb bleibt er ruhig und gibt sich versöhnlich.
„Auffallen, wieso? Damit können wir Schulden bezahlen, Papa, bei deinem Beschützer aus der Tenne.“
„Wo hast’ unseren neuen Freund verloren?“ Um des Friedens willen versucht Yüksel einen Themenwechsel. Es gelingt nicht.
„Keine Ahnung. - Vor wem sollen diese verfickten ´Underdogs` uns beschützen, he?! Vor wem? Warum hast du Angst?!“
„Sind wir multikulti, bitten wir deinen neuen Freund zu ein´ Festmahl. Traditionell türkisch. Wie heißt er?“
„Fidelitas“.
„Fidelitas? Da siehst du, ein Ausländer. Ein Flüchtling, von woher? Ist egal, geben wir ihm ein Job. Wer weiß, wofür es gut ist. Allahs Wege sind unergründlich.“
„Ich brauch´ keine Hilfe, Papa. Kostet nur Geld! Für Migranten muss eine Genehmigung her, ein Vertrag, dann zahlen wir Sozialabgaben. Und außerdem geht´s sowieso nicht. Er hat keine Papiere, kein Führerschein, kein gar nix!“
„Hab ich kein Problem, Sohn. Wenn gebraucht wird, Kozak besorgt immer Papiere...“
„Wie viel gibst du denen, Papa?! Du hast Angst, oder?“
„Hab ich Angst?“
„Hast keine Angst, ach ja! Seit ich denken kann, wollen die Geld. Warum?
Wofür?“
„Besorgen wir erst mal ein´ Personalausweis für Fidelitas. Ist ein guter Junge. Fleißig. Hat ein Auge auf dich bei der Arbeit. Kontrolle ist gut ...“
Aber so ganz will sich Mehmet nicht abwimmeln lassen. Er holt tief Luft, will widersprechen. Das ist aus des Vaters Sicht respektlos, weshalb Yüksel erneut der Kamm schwillt wie es so schön auf Deutsch heißt. Er sagt ruhig, aber betont in seiner Heimatsprache, denn da klingt auch ein leise formulierter Satz schnell bedrohlich:
„Öffne deine Lippen nicht, Sohn! Geh zur Sparkasse, das Geld zurückgeben“.
*
Jeder Bayern Fan lernt noch vor Beginn seiner Liebe zum Alpenland, dass es neben dem Münchner Fußball Club noch andere Sehenswürdigkeiten zu bestaunen gibt. Dass zum Beispiel eine Tenne bei den modernen, den heutigen Bajuwaren nicht unbedingt etwas mit der guten alten Tenne zu tun haben muss, in der getrocknetes Gras von alten Holzbalken herunter hängt, in der es heimelig nach Heu duftet über dem Kuhstall, in dem wiederum glückliche Kühe darauf warten von ihrem Bauern mit natürlicher Nahrung versorgt zu werden, die nicht mit Kraftfutter von der in der Landwirtschaft allgegenwärtigen chemischen Industrie verseucht ist.
Fidelitas muss den Unterschied zwischen einer Tenne und d i e s e r Tenne erst noch herausfinden. Dazu ist sie hier, macht sich Notizen und beobachtet mit erstaunten Kinderaugen das gesellige Treiben zu lauter Disco Musik und hektischem, computergesteuertem Lichtgewitter.
Mehmet amüsiert sich über die Naivität des jungen Mannes. Wo auch immer der Fidelitas herkommt, er muss von sehr weit herkommen, scheint es so etwas nicht zu geben. So was wie Lilo zum Beispiel, ein gelangweiltes halbnacktes, nicht mehr ganz junges Mädchen, das sich mit schlangenartigen Bewegungen um eine eiserne Stange windet, wobei sie sich ordentlich zu verrenken scheint, anders ist ihr gequälter Gesichtsausdruck nicht zu deuten, der gelegentlich durch ein Zähnefletschendes Grinsen unterbrochen wird.
Vom seinem Stammplatz am Tresen löst sich Kozak und verschwindet im Gang zum Hinterzimmer. Lilo an der Stange, nutzt die Gelegenheit um den neuen Gast ins Visier zu nehmen. Der junge Mann gefällt ihr offensichtlich, Hüfte schwingend schlängelt sie sich an Fidelitas heran. Mehmet begleitet den professionell eindeutigen Annäherungsversuch mit amüsiertem Grinsen.
„Hast du gute Chancen, bei Lilo. Aber no money, kein Geld für Liebe, okay! Bin gleich wieder da.“
Er verdrückt sich rasch durch den Hintereingang. Lilo schmachtet Fidelitas an.
„Haben wir uns nicht schon mal irgendwo gesehen, Süßer?“ *
Selbst durch die geschlossene massive Tür aus bestem Holz der deutschen Eiche kann jeder der zur Toilette geht hören, dass im Hinterzimmer der ´Tenne` eine hitzige Debatte im Gange ist, wobei hitzig vielleicht nicht der richtige Ausdruck ist für diesen lautstark geführten Streit. Hier geht es um mehr, auf jeden Fall für den Filialleiter Reuss. Für ihn geht es um seine Zukunft, um seine Existenz, möglicherweise sogar um sein Leben.
Da hat ein kleiner Sparkassen Angestellter einen anderen Kampf zur führen als ein weltweit agierender Banker, der sich gelegentlich für Korruption und fatale Misswirtschaft zu verantworten hat, meist aber nicht angeklagt wird, weil er sich mit einer geringen Abfindung in Millionenhöhe außergerichtlich vergleicht mit der Folge, dass skandalöse Bankgeheimnisse nur selten öffentlich werden. Davon kann ein bis zum Stehkragen verschuldeter Reuss nur träumen. Obwohl sich gerade jetzt die Dinge zum Besseren wenden könnten, für ihn persönlich und für die Jungs vom ´Underdog` Chapter. Die sollen natürlich auch profitieren von der Idee mit Hilfe dieses Hackers, dem neuen Freund vom Mehmet, reich zu werden. Warum sollte der Hacker Trick, der bei Yüksel, dem türkischen Lebensmittelhändler, einwandfrei funktioniert hat, nicht auch beim eigenen Konto laufen. Die Endlos Diskussion nervt. Lautstark versucht Reuss sich durchzusetzen.
„Und ich sag es noch mal: der hat unseren Zentral Computer gehackt, mit einem Software-Bug oder so. Vielleicht ein Zero-Day-Fehler, das nutzen Hacker als Einfallstor aus.“
„Damit kannst´ andere verarschen, Reuss!“ Blumenauer hat kein besseres Gegenargument anzubieten.
„Du schuldest uns Zwanzigtausend! Und die holen wir uns. Bei dir, Mann,
weil, d u bist die Bank, Alter! Alles klar?!“ Fehrmann mit dem Versuch die Situation zu beruhigen, was nicht so recht gelingt. Blumenauer giftet weiter.
„Ausg’macht is’, Herr Direktor! Basta!“
Aber Reuss gibt nicht auf, noch nicht.
„Leute, hört doch mal zu: ich kenn’ den Umsatz vom Türken. Die sind seit eh und je hart an der Pleite, schreiben oft rote Zahlen. Und plötzlich, hallo, sind’s schwarze! Wenn der Typ clever ist, dann hat er Bugs bei uns installiert, die sich sogar vor Fehlersuchsystemen verstecken können.“
„Software-Bugs, hääh?“
„Werden im Internet als Zero-Day-Exploits gehandelt. Die tun ganz unschuldig, hauen sich für den Zeitraum einer Prüfung sozusagen auf´ s Ohr, genau wie solche Schläfer-Terroristen, die machen auch nix solang nach ihnen gefahndet wird.“
„Zero-Day-Exploits, heißen die Dinger?“
„Genau. Glaub mir, Kozak, mit dem Neuen haben wir einen Goldesel! Wir brauchen den Bruch in der Sparkasse nicht. Is’ n Scheiß Risiko.“
„Für dich! Sind d e i n e Schulden! Weißt du, mein Freund, mir ist der Spatz in
der Sparkasse lieber, als dein Goldesel auf dem Dach! Aber bitte, wir sind keine Unmenschen - du überredest den Typ ein Konto zu eröffnen, und dann, okay, zwei Eisen im Feuer können nicht schaden. Überleg ’s dir, ist d e i n Leben, oder?!
„Für ein Konto braucht es Namen und Papiere, Kozak.“
„Er heißt Breibeck!“
Grinsend zieht Kozak einen der neuen Flüchtlingsausweise aus der Tasche und gibt ihn Reuss. Der betrachtet das Dokument kopfschüttelnd, schweigt aber ängstlich.
„Vorname Horst. Gut, he?!“
„Wie hast du das hingekriegt, Mann? Beziehungen zum Ausländeramt?“
Reuss ist echt beeindruckt. Kozak aber schnippt nur mit den Fingern, das ist Antwort genug, außerdem klopft es gerade an der Tür im bekannten Rhythmus. Mehmet steckt den Kopf herein.
„Was geht ab? Spielchen?“
„Hast du Knete?“ Kozak geht an ihm vorbei, nicht ohne eine abfällige Bemerkung. “Weiß der Papa, dass du hier bist, Kleiner?“
„Fuck you!“ koffert Mehmet zurück; wieder mal ärgert er sich, weil Kozak ihn nicht für voll nimmt.
*
Die Go-Go-Girls in der Garderobe der ´Tenne` sehen ungeschminkt eher wie normale Hausfrauen aus. Olga bemalt sich gerade, Monika zieht sich um für ihren nächsten Auftritt. Freya strickt an einem Pullover. Gemeinsam ist allen ein ständiges Kichern und Wispern über den schüchternen jungen Mann, der von Lilo als neue Eroberung vorgestellt wird.
„Ist er nicht süß, mein Fidelitas?“ Lilo gibt sich übertrieben stolz, was wiederum Neidgefühle bei den anderen Mädchen weckt.
„Süß i s t er!“, giftet Monika und tut Jungmädchenhaft verschämt. „Oder hab ich Tomaten auf den Augen?“ Die anderen wollen sich ausschütten vor Lachen.
„In dem Alter kannst Du ihn nicht mehr umpolen, Lilo!“ Die macht gute Miene zum bösen Spiel und lacht ebenfalls herzlich.
„Wenn schon, Hauptsache, er hat sei Mutterl lieb, gell, Fidelitas?“
Sie umarmt Fidelitas, knuddelt sie ordentlich und zwingt sie, sich auf einem Stuhl nieder zu lassen. Freya wirft ihr übermütig ein Wollknäuel zu. Fidelitas öffnet die Beine (als ob sie einen Rock trüge) und fängt das Knäuel auf. Auch die anderen Mädchen umarmen sie jetzt herzlich. Offenbar bemerkt niemand, was nur Fidelitas auffällt: In den großen Garderobespiegeln ist k e i n Spiegelbild von ihr zu sehen.
„Willkommen in unserer Go-Go-Familie!”
“Ihr seid eine Familie?“
Fidelitas springt auf und stellt sich in eine Ecke, von der aus kein Spiegel zu sehen ist; eilig tippt sie die Info in ihr elektronisches Notizbuch.
„So was ähnliches, wie eine Familie.“ Freya bleibt zurückhaltend cool. Das macht Fidelitas neugierig.
„Und der Papa?“
„Dafür haben wir den Arsch Kozak“, gibt Monika sich mutig. Die anderen lachen.
„Unser Held und Beschützer. Ist Mutter und Vater in einem“, wagt sich Olga ebenfalls aus der Deckung. Freya stimmt ihr Kopfnickend zu und flüstert
„Mein Gott, ich wünschte …“
Sie unterbricht sich, denn ohne Anklopfen wird die Tür aufgerissen, Kozak stürmt herein. Trotz Zigarillo im Mund kann er ungemütlich laut werden.
„Seid ihr noch ganz dicht, oder was?! Wofür zahl’ ich euch?! Draußen sitzen die Freier und kein Schwein auf der Bühne …Monika, mach’ n Satz, sonst tret’ ich dir in dein fettes Teil, dass du drei Tage lang Stiefelspitzen scheißt!“
Monika greift hektisch nach einer Federboa und stolpert hinaus. Erst jetzt sieht Kozak, dass Fidelitas mit in der Garderobe ist.
„Vögeln umsonst in der Familie is’ nich‘, klar?!“
Lilo fühlt sich angesprochen und übernimmt die Verteidigung.
„Kozak, er hat mir leid getan, so allein, da hab’ ich ihn halt mit rein genommen zu uns, erstmal …“
„Deine ´Barmherzigkeit` kenn’ ich, Mädchen.“ Er packt Fidelitas am Arm und zieht sie mit sich. Fidelitas ist zwar erstaunt über die rüde Gewaltanwendung, wehrt sich aber nicht.
„Ich suche Mehmet, er wollte zu Herrn Reuss von der Sparkasse.“
„Jetzt kapier ich, du bist der Neue vom Yüksel, richtig?“ Routiniert wechselt er in die charmante Tonart des Zuhälters, der ein Geschäft wittert.
„Herr Reuss wollte Sie sowieso sprechen. Er möchte Ihnen einen sehr guten Vorschlag machen, mein Lieber“. Mit eleganter Verbeugung komplimentiert er Fidelitas nach draußen.
Lilo, Olga und Freya bleiben zurück. Alle drei sehen nicht so aus, als wären sie Mitglieder einer glücklichen Familie. Olga wendet sich einem der Spiegel zu, um ihr Make-up zu vollenden.
„Was fällt euch auf, wenn ich in den Spiegel reinschaue?“
„Dass dein Mondgesicht rausschaut“, lästert Freya. Olga nimmt es gelassen, bleibt ruhig.
„Genau. Und was fällt auf wenn dieser Fidelitas reinguckt?“
„Was?“ Freya ist eher gelangweilt. Im Gegensatz zu Lilo, die sich zu erinnern scheint.
„Da war nix im Spiegel!“
„Nicht mal’ n Mondgesicht!“ Alle drei sehen sich erstaunt an. Freya, ganz plötzlich elektrisiert.
„Der Typ ist ein Mädchen!“
Sie nimmt ihr Wollknäuel und wirft es Lilo zu, die es, wie alle Rockträgerinnen, mit weit gespreizten Beinen auffängt.
„ Ooooh, Scheiße! Da verarscht uns jemand!“
*
Geld regiert die Welt. Im Spielsalon und anderswo. In der Tat, in dem Moment wo Mehmet nachweisen kann, dass er über genügend Bargeld verfügt um an einem Pokerspiel mit hohen Einsätzen teilnehmen zu können, in diesem Augenblick sind Moral und Ängste vergessen, hinweggefegt von einer nicht beherrschbaren Geldgier und Spielsucht. Das gilt nicht nur für die kleine geheime Runde im Hinterzimmer der Bad Tölzer ´Tenne`. Das gilt weltweit und hat schon Fjodor Dostojewski ermutigt in seinem Weltbestseller ´Der Spieler` eine sehr genaue Beschreibung der Spielsucht festzuhalten, die zum Ruin führen kann. Heute, im Fall von Mehmet, würde man allerdings eher von einer Pleite sprechen.
Noch aber ist es nicht so weit. Er hat zwar schon eine ganze Menge von dem Überraschungsgeld aus der Sparkasse verloren, greift trotzdem in die Tasche und fördert ein weiteres Bündel nagelneuer Euro Scheine hervor. Lässig, nein, cool, häuft er das Geld in James Bond Profimanier vor sich auf.
„Reicht das?“
Reuss fühlt sich bestätigt. Vor lauter Eifer verhaspelt er sich, kommt regelrecht ins Stottern.
„Hahaha - hab ich’s euch nicht gesagt. Die schreiben jetzt sch-sch-schwarze Zahlen, unsere türkischen Freunde. Mehmet nickt dazu souverän, äfft zugleich den Intimfeind von der Sparkasse nach.
„Jep-p-p-p! Neuer Einsatz. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, sagt der deutsche Spießer. Wer gibt?“
Angesichts des Geldes und der guten Chance hier Gewinn zu machen halten
sich die Mitspieler zurück. Fehrmann gibt den eiskalten Profi, den auf Sieg zockenden Pokerspieler.
„Fünfzig!“
Geldscheine werden auf den Tisch geworfen. Fehrmann teilt neue Karten aus. Leider stört jetzt Kozak, der bei halb geöffneter Tür den Sparkassen Mann zu sich ruft.
„Reuss, Kundschaft!“ Der wird richtig sauer, traut sich aber nicht Kozak zu widersprechen.
„Hol ’s der Teufel. Wenn ich schon mal ’n Blatt auf der Hand hab‘! Scheiße, verdammt!“
Er wirft seine Karten weg und geht. Die anderen erhöhen den Einsatz. Mehmet schiebt noch ein paar Banknoten über den Tisch.
„Des g’ langt mia ned!“ Blumenauer wirft ein paar Scheine mehr in den Topf.
„Mehmet?“
Fehrmann starrt Newcomer Mehmet mit Pokerface an - also ohne eine Miene zu verziehen. Mehmet ist unschlüssig, holt dann einen Kfz-Schein aus der Tasche, den von seinem gerade erworbenen Motorrad, und legt ihn in den Topf. Die Mitspieler protestieren lautstark, Bargeld lacht, was soll der Scheiß, Mann!
Gefälschte Kraftahrzeug Scheine hat Kozak zu Hauf in der Schublade. Aber Mehmet spielt weiter den großen Zampano.
„Ey, mal langsam, Freunde. Das ist mein neues Moped. Voll bezahlt!“
„Dreitausend, mehr is´ nicht!“ Fehrmann, ganz die Ruhe selbst, nimmt den
Kfz-Schein aus dem Topf und legt dafür dreitausend Euro ein. Das regt Mehmet auf.
„Dreitausend! Für die Hammer-Maschine hab‘ ich grade siebentausend Eier abgedrückt...“
„Junge, du kennst doch die Spielregeln, oder?“ Fehrmann, unbeeindruckt. Blumenauer, geldgierig, quakt dazwischen.
„I wui eahm sehn, nacha schleichsd di!“
Mehmet will sein Gesicht nicht verlieren, sein deutsch-türkisches Blut gerät in Wallung: denn die Ehre, welcher Nationalität auch immer, die geht über alles! Mit Schweißtropfen auf der Stirn zeigt er Zähneknirschend sein Blatt – und hat wieder verloren.
„Ich nehm‘ fünftausend – auf Kredit!“ Blumenauer will sich ausschütten vor Lachen. „Und wann zoisd es z’ruck nacha?“
„Morgen. Spätestens, Ehrensache!“ Wieder die Ehre, der hat echt einen an der Waffel, denkt Fehrmann, zählt fünftausend Euro ab und schiebt Mehmet das Bündel Banknoten rüber. „Morgen! Sonst...“ Er macht die Geste des Halsabschneidens.
Mehmet nickt düster, er weiß was auf ihn zukommt, falls er nicht zahlt. Egal, was bleibt ist ein Rest von Ehre, der letzte Rest; er verkündet ihn mit heiserer Stimme.
„Spielschulden – sind Ehrenschulden!“
Wäre Fidelitas hier, sie hätte sich garantiert eine Notiz gemacht über dieses zwar allseits bekannte aber zugleich äußerst fragwürdige Zitat.
Die Tür der Herrentoilette wird ungestüm von innen geöffnet. Fidelitas kommt verschreckt heraus, gefolgt von Reuss. Durch die offene Tür sieht man einige Männer beim pinkeln.
„Das ist kein Ort für kleine Geschäfte!“
„Aber die erhalten die Freundschaft, Herr Breibeck!“
„Herr Breibeck?“
Fidelitas ist verwirrt. Was sie nicht weiß, gar nicht wissen kann, ist die Tatsache, dass auf Erden, weltweit, alle geheimen und wichtigen oder gar verbotenen Geschäftsabschlüsse auf Toiletten verabredet werden, insbesondere auf Herrentoiletten, das ist eindeutig durch jeden besseren Kinofilm oder in spannenden TV-Serien belegt und auch nicht ansatzweise verwunderlich, denn Toiletten sind tabu für Videokameras oder andere Abhörgeräte, bestenfalls der Lauscher an der Wand ist manchmal dort anzutreffen, aber der erfährt ja bekanntermaßen nur etwas von der eigenen Schand‘.
Oben, bei den Himmlischen Heerscharen, gibt es vermutlich keine Pissoires oder Toilettenschüsseln. Da bleibt natürlich die Frage offen, was zum Beispiel abgeht bei zu reichlichem Verzehr von Manna , hinter dem der Engel Aloisius und einige seiner Kollegen permanent her sind, wenn sie sich durch ständiges ´Frohlocken` oder andere ´Halleluja Gesänge` eine Portion erworben haben.
Aber darüber macht sich ein Sparkassenfilialleiter natürlich keine Gedanken. Ihm geht´s nur ums Überleben, deshalb insistiert er auch außerhalb der Toilettenräume ohne Rücksicht auf heute gängige Abhörpraktiken in Bild und Ton.
„Nur mit Namen und Ausweis kriegen Sie Arbeit. Ohne Identitätsnachweis können Sie kein Bankkonto einrichten, mit einem Wort: Sie sind kein Mensch, Herr Breibeck.“
Er reicht Fidelitas das Ausländer Personalausweiskärtchen von Kozak, das sie aufmerksam betrachtet.
„Lustig, Herr Breibeck.“ Reuss verdreht genervt die Augen, dann korrigiert sanft.
„S i e sind jetzt der Herr Breibeck, Herr Breibeck.“
„Ich bin der Herr Breibeck!“ Mit spitzem Finger tippt Fidelitas auf den Ausweis.
„Das Foto sieht gut aus, ist es mir ähnlich?“ Schnell macht sie sich eine Notiz.
Ganz so naiv wie es aussieht, ist Fidelitas natürlich nicht. Insbesondere weil sie weiß, dass sie kein Spiegelbild hat, dieses Foto also ein Fake ist, denn fotografieren funktioniert nicht bei Engeln, bei Erzengeln nicht und schon gar nicht beim Fußvolk, den weiblichen Engeln. Und das hat auch nichts mit der Emanzipation zu tun. Mitarbeiter der Himmlischen Heerscharen können nicht mir nichts dir nichts einfach so abgelichtet werden, sie genießen nämlich eine Art Immunität. Bestenfalls Gemälde kann man von ihnen anfertigen, wie das schon vor langer Zeit berühmte Künstler wie Raffael oder Michelangelo getan haben. Ob ihnen die Engel als Model zur Verfügung standen, in tagelangen Sitzungen um möglichst original und originell porträtiert zu werden, das weiß bis zum heutigen Tag niemand. Man kann es nur vermuten. Nicht zuletzt deshalb, weil bisher von keiner Seite Beschwerden vorliegen. Nicht mal von Allah oder dem Budda. Oder vom Herrn aller Dinge. Im Gegenteil, der Allmächtige ist ja offensichtlich sehr angetan von seiner Darstellung durch Leonardo da Vinci. Jedenfalls steht das im Prolog hier geschrieben, schwarz auf weiß. Und was geschrieben steht, ist nun mal geschrieben.
„Jetzt feiern wir den Deal erst mal mit Schampus! Einverstanden?!“
Reuss wittert Morgenluft und der clevere Kozak hat an der Bar bereits drei Gläser mit Champagner gefüllt. Das Magenknurren ist leise, aber dennoch nicht zu überhören. Fidelitas kann das Geräusch nicht einordnen, weil Kozak ihr bereits lautstark zuprostet.
„Ein Gläschen Champus für die Herren! Zum Wohl allerseits!“
„Champus ist wichtig!“ Fidelitas sieht in ihrem Notizbuch nach und zitiert dann Mehmet: „Geld ist wichtig! Für schöne Frauen, ein Motorrad, Urlaub auf Mallorca, geile Klamotten...“
„Jetzt hat er’s geschnallt!“ Reuss zwinkert Kozak zu, ist überglücklich, wähnt sich auf der sicheren Seite, zumal Kozak seinem Plan offenbar zustimmt.
„Sie sind eingeladen, Herr Breibeck. Nicht zuletzt, weil ich der Sparkasse gerade einen neuen Kunden gewonnen habe, richtig?!“ Übertrieben deutlich blinzelt er Kozak zu. Das Knurren aus dem Magen von Fidelitas meldet sich mit größerer Lautstärke zurück.
„Sie haben Hunger, Herr Breibeck! Was kann ich für Sie tun?“ Reuss will das Eisen schmieden, solange es heiß ist, zwinkert erneut Kozak zu. Fidelitas zwinkert jetzt ebenfalls, zwinkert auch Reuss zu. Ein Ritual scheint das zu sein, was bei Erdenmenschen wohl üblich ist.
„Prost! Auf die große Kozak Familie!“ Das tut gut, Kozak schwillt die Brust, im Gegensatz zu Clint Eastwood ist er für Komplimente immer zu haben.
„Wo er Recht hat, hat er Recht, der Breibeck. Meine Mädels vermehren sich – und ganz ohne Trauschein, hahaha!“
Beide Herren wollen sich ausschütten vor Lachen. Reuss leert sein Glas, knallt es auf den Tresen und schmettert übermütig ein angetrunkenes „Lass die Luft raus, Karl-Heinz!“ hinterher.
„Lass die Luft raus! Jep!“ Fidelitas zückt erneut ihr Notebook und versucht den Spruch aufzuschreiben, was einigermaßen misslingt, weil der Magen erneut knurrend anmahnt, dass er gern etwas Festes genießen möchte.
„Hat immer noch Hunger, der gute Breibeck“, kichert Reuss, was Kozak veranlasst zum Haustelefon zu greifen. Unfein brüllt er hinein. „Wo bleibt Mehmet mit dem kalten Buffet? Unser junger Gast hier hat Kohldampf!“
Er will Fidelitas freundschaftlich auf die Schulter schlagen – aber die ist verschwunden. Ein leichter Wind kommt auf, woher auch immer, ihr leeres Sektglas fällt plötzlich um und zerbricht.
In der Dunkelheit vor der ´Tenne` ist Bewegung. Fidelitas kauert in einer Ecke, versucht im Schein der matten Beleuchtung in ihrem Notizbuch zu lesen. Auch für einen hungrigen angetrunkenen Engel, das soll an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt werden, braucht’s dafür eine große Disziplin.
„Falls Ihr mit mir seid, Chef, alles bisher Gesehene und Gehörte hat wenig bis gar nichts mit meinem Auftrag zu tun. Eine deutliche Emanzipation von Frauen und Mädchen ist für mich jedenfalls nicht spür- oder sichtbar. Neu scheint zu sein, dass es neben dem im Himmel bisher bekannten Christentum noch sehr viele andere Religionen gibt. Zu denen gehören dann Hindus, Buddhisten, Atheisten oder Baptisten und dann ist noch von griechischen Orthodoxen und russischen Orthodoxen und noch ein paar anderen die Rede, hallo, da kann unsereiner nur staunen. Eine Religion davon ist der Islam. Seine Anhänger heißen Muslimin oder Muslime. Den Christen ist es erlaubt Alkohol zu trinken, vermutlich weil Jesus irgendwann einmal Wasser in Wein verwandelt hat. Die Muslime dürfen das nicht, weil ein Muslim kein Christ ist und ein Christ kein Buddist und ein...“
Der Champagner im leeren Magen macht ihr zunehmend zu schaffen. Da haben alkoholisierte Engel offensichtlich die gleichen Probleme wie besoffene Menschen: die Konzentration lässt nach, Sprechen fällt schwer, unkontrollierte Bewegungen, Gleichgewichtsstörungen, Müdigkeit. Das Notizbuch endgleitet ihren Fingern, der Kopf sinkt zur Seite, schwer geht der Atem, Schnarchen kündigt sich an. Was für ein Glück, dass Engel Wesen ohne die Fähigkeiten des Allmächtigen sind. Ein zerstörendes Erdbeben, eine gewaltige Sturmflut, ein Klimawandel gar wären mit Sicherheit die Folgen eines solchen Besäufnisses. Fidelitas aber schläft bestenfalls den Schlaf der Gerechten. Der mündet meist in ein Erwachen mit Kopfschmerzen. Wieder eine Erfahrung, die nichts, aber auch gar nichts mit dem göttlichen Auftrag zu tun hat.
*
Im Hinterzimmer der ´Tenne` hören Blumenauer, Fehrmann und Reuss angestrengt zu, was Kozak zu sagen hat. Angestrengt deshalb, weil der wütende Chapter Boss nach Clint Eastwood Manier wiedermal auf einem Zigarillo herumkaut, was seine Artikulationsfähigkeiten, im Gegensatz zu seinem filmheldischen Vorbild, erheblich beeinflusst.
Mehmet, obwohl zentraler Mittelpunkt von Kozaks Standpauke, tut unbeeindruckt, gibt sich auch als Poker Loser lässig und cool.
„Wie hast du dir das gedacht, Junge - fünftausend bis morgen?! Wie konntet ihr Idioten den Scheiß zulassen, hä?!“ Mehmet rafft sich auf zu einer Gegenrede. Nur ein einziger Satz kommt ihm über die Lippen.
„Ich …äh … rede mit meinem Vater.“ Kozak klatscht in die Hände. Seine Stimme, triefend vor Ironie.
„Sicher. Der wird dir die Kohle schon geben. Hat ja genug davon.“
„ Ey, ich weiß Bescheid. Du kriegst noch was, vom letzten Monat.“
„Gut, dass du was weißt, Kleiner. Könnte nämlich sein, dass mir eben einfällt, wie du die Schulden schnell abzahlen kannst.“
„Okay, okay, lass hören. Ich bin dabei, auf jeden Fall.“
„Guter Job, ehrlich. Könntest gleich anfangen.“
„Heute Nacht?“
„Heute Nacht, morgen früh, je nachdem...“
„Was liegt an?“
Kozak macht es spannend, zündet den erkalteten Zigarillo wieder an, lässt sich alle Zeit der Welt, genau wie sein Vorbild auf der CinemaScope Leinwand. Deshalb kommt Reuss ihm zuvor, quatscht dazwischen.
„Dein neuer Freund...“
Das würde sich Clint Eastwood niemals gefallen lassen. Aber Kozak auch nicht.
„Maul halten, Reuss! Das ist Psychologie verstanden?! Davon habt ihr Banker keine Ahnung.“
„Krass, Mann, ehrlich“. Mehmet freut sich über jede Unterbrechung, die ihm Zeit verschafft um nachzudenken.
„Dein Kumpel, Mehmet, der Breibeck, der hat aber Ahnung. Auf jeden Fall versteht er was vom Bankgeschäft, von Computern, vom Hacken, oder?“
„Der Fidelitas heißt Breibeck?“ Jetzt ist es an Mehmet zu staunen. „Woher weißt du das?“ Kozak bläst ihm eine Rauchwolke ins Gesicht.
„Heißt er einfach, okay?! Das ist so sicher, wie du und dein Alter Schulden bei mir habt, die ihr zurückzahlen wollt. Dringend!“
„Okay“.
„Und wie geht das am schnellsten und ganz ohne Ärger, Junge?“
„Keine Ahnung.“
„Durch deinen Freund...“, mischt sich Reuss wieder ein, worauf Kozak ihn anschreit.
„Zum letzten Mal: Halt die Schnauze, Reuss!“ Mehmet widerspricht Kozak, wenn auch einigermaßen zaghaft.
„Aber der hat nix, der Fidelitas. Null Kohle...“
„Im Gegensatz zu dir hat er aber was in der Birne, du Arsch. Er weiß, wie man mit Bankcomputern umgeht!“
„N‘ Hacker is‘ er? Kann sein.“
„N‘ guter Hacker. N‘ Spitzenhacker. Kannst den Reuss fragen. Kurze Antwort, Reuss.“
Der Herr Sparkassen Filialeiter sieht endlich die Möglichkeit, sich ins rechte Licht zu rücken. Er holt tief Luft und beginnt umständlich.
„Leute, als der Kleine hier vor kurzem mit seinem Kumpel in meiner Sparkasse aufgetaucht ist, da hab‘ ich gleich gewusst, jetzt geht die Post ab, der Typ hat was auf dem Kasten in Sachen...“ Er heult laut auf, denn Kozak hat ihm mit seinem schweren, metallbeschlagenen Motorrad Stiefel ans Schienbein getreten.
„Was hab ich dir eben gesagt, Reuss?! Kurz fassen! Pass auf Mehmet, der Breibeck braucht nur das zu tun, was er schon mal für dich gemacht hat: Bisschen Moos überweisen. Nur diesmal nicht auf euer Konto...“
„Das ist ´ne Straftat. Unmoralisch!“
Blumenauer und Fehrmann brechen in Gelächter aus. Auch Reuss, trotz seiner Schmerzen am Bein, versucht ein vorsichtiges Grinsen, das im Gebrüll der anderen aber nicht wahrgenommen wird.
„Unmoralisch!“ Fehrmann kann sich vor Lachen kaum halten und Blumenauer verschluckt sich fast, ihm bricht vor Vergnügen der Schweiß aus. Mühsam quakt es aus ihm heraus.
“Unmoralisch!“
Kozak dagegen bleibt ernst, fast bestätigt er Mehmet.
„Unmoralisch. Wer ist schon moralisch? Du vielleicht? Oder dein edler Vater? Was er mit deiner Mutter gemacht hat, war das vielleicht – moralisch?“
Mehmet ist alarmiert, die bisher gezeigte Coolness dahin. Ein Trauma, seit Jahren vertuscht, nicht aufgearbeitet, darunter leidet er immer wieder. Auf seine vielen Fragen gibt es keine Antworten. Jetzt aber, das fühlt er, hat sich Kozak zu weit aus dem Fenster gelehnt. Cool sein, Mehmet, bloß nicht provozieren.
„Was hat er mit meiner Mutter gemacht?“
„Eine Scheiße, hat er gemacht!“
Kozak ist wütend, ärgert sich über sich selbst. Warum hat er sich bloß hinreißen lassen, sich leichtsinnig eine Blöße gegeben. Seinem Kino Vorbild wäre das nie passiert, jedenfalls nicht auf der Leinwand, und ja, es könnte sich verdammt negativ auf seine bisherige Tätigkeit auswirken.
Sein Geschäftsmodell ´Schutzgeld`, auch Erpressung genannt, bevorzugt und praktiziert von der italienischen Mafia, hat er zielstrebig und möglichst unauffällig als ´Underdog` Chapter für den hiesigen Landkreis entwickelt, und nun so was, so ein Mist, so eine Kacke, so ein Fehler, nur weil er sich einmal nicht von Clint Eastwood hat leiten lassen. Wütend bricht es aus ihm heraus.
„Einen Blödsinn hat er gemacht, dein Alter. Das könnte euch heute noch Kopf und Kragen kosten, gerade jetzt, wo wegen der vielen Flüchtlinge der ganze Integrationsscheiß wieder neu auf den Tisch kommt. Und jetzt hör mir gut zu, mein Junge. Scheiß auf die ganze Psychologie. Dein Freund hat morgen ein Konto bei Reuss, und das wird in aller Kürze prall gefüllt sein, verstanden?“
„Ihr seid ja krass bescheuert. Aber sowas von krass bescheuert...“
„Überleg´ dir, Kleiner, wie du´s ihm beibringst. Du hast ja keine Ahnung wie es im türkischen Knast zugeht – wenn ihr erst mal abgeschoben seid in eure schöne andalusische Heimat.“
*