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Vorwort

Mit der Veröffentlichung von »Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm« im Jahr 2004, lebte während vieler Veranstaltungen auch mein Mittelname wieder auf. Zwischen dem Tim und dem Renner steckt nämlich ein Konstantin, den zu erwähnen ich bislang nicht für wichtig gehalten hatte. Konstantin war eher ein trauriger Held. Niemand auf den man stolz sein konnte, oder mit dem man sich gar identifizieren wollte, eher jemand an den man sich mit einem Schmunzeln erinnerte.

Konstantin war das schwarze Schaf in der Familie der Mutter meines Vaters. Einmal kam er eine ganze Nacht nicht nach Hause, weil ihm auf dem Heimweg von einem fröhlichen Abend mit Freunden, das Gebiss aus dem Mund und in den Gulli gefallen war. Beim Versuch es selbst herauszufischen, blieb sein Arm zwischen den Stäben der Gulliabdeckung klemmen. Wie das technisch gehen soll, ist mir ein Rätsel, aber alle noch lebenden Angehörigen schwören, dass es stimmt. Es ist sowieso nur eine von unzähligen Geschichten über Onkel Konstantin ...

Er war scheinbar ein Freak und oft genug betrunken, um immer wieder Anlass für Getuschel in der Familie zu sein. Im Alkohol suchte er Vergessen. Als Einziger aus einer Sippschaft von Ärzten, Apothekern und Anwälten hatte er kein Abitur und somit auch keinen respektierten Job. Aus pädagogischen Gründen wurde sein Problem auf Familienfeiern nicht kaschiert, sondern forciert. Konstantin bekam Hochprozentiges und die anwesenden Kinder ihr abschreckendes Beispiel, was aus einem wird, der seine Hausaufgaben nicht macht ...

Unsere Hausaufgaben heißen heutzutage Digitalisierung und Globalisierung. Zumindest die erste von beiden hat die Branche, aus der ich komme, nicht gemacht. Betrachtet man die Zahlen der Musikwirtschaft realistisch, kommt alleine hierzulande ein Umsatzeinbruch von 50% innerhalb von einem Jahrzehnt zutage. Das ist gewaltig und auch für andere Industrien nicht zu übersehen. Ein klarer Fall von Managementversagen.

Ähnlich wie Konstantin über die Familienfeste taumelte, trat ich nach der Veröffentlichung dieses Buches meinen Weg durch die Medienbranche und andere Industrien an. Egal ob Börsenverein Deutscher Buchhändler, Schulbuchverlegerverband, private TV Stationen, Großverlage, Touristikunternehmen, Telekommunikationsanbieter oder Tütensuppenhersteller – alle wünschten sich, dass ich ihnen den Großonkel Konstantin mache. Mit wohligem Schauer goutierten sie die Geschichte vom Untergang der Musikindustrie.

Nicht immer gelang es mir dabei, die eigentliche Botschaft zu vermitteln: Die Musikindustrie scheiterte nicht an ihrer Unfähigkeit, sondern ob ihres Erfolgs. Dem Konsumenten 10 bis 12 Songs auf CD zum doppelten Preis einer Vinylschallplatte zu verkaufen, obwohl dieser vielleicht nur 3 bis 4 Lieder haben will, ist ein gutes Geschäftsmodel. In den Neunziger Jahren gab es kaum ein Musiklabel, was nicht Gewinnmargen von mindestens 20% vorweisen konnte. Die Vorstellung der Konsumentendemokratie durch einen Download per Internet war da wenig verlockend. Wieso sollte man das eigene Geschäftsmodel mit Angeboten im Internet angreifen, wo es doch gerade so gut lief?

Die Geschwindigkeit der Digitalisierung ist eine Frage der Datenmenge des Produkts, der zur Verfügung stehenden Kompressionstechnologie und der Leistungsfähigkeit der jeweiligen Netzwerke. Früher oder später werden die mit ihr einhergehenden Effekte daher jede Software oder auf Informationsaustausch beruhende Dienstleistungen betreffen. Das bedeutet alle medialen Güter und Kanäle, so wie der gesamte Handel müssen sich der Digitalisierung und der mit ihr einhergehenden Effekte stellen. Wem es, wie einst den Plattenfirmen zu gut geht, der ist besonders gefährdet.

Gut gerüstet ist kaum jemand. Man freut sich etwa in der TV-Branche, dass digitale Programmführer wie TiVo noch nicht wirklich den Sprung über den Teich geschafft haben. Parallel prangt unübersehbar T-Home und somit Werbung für Fernsehen aus dem Internet auf der Brust der Spieler des FC Bayern München. Egal ob die Deutsche Telekom nun mit 50mbit das Internet zum TV bringt, oder das TV mit Spielkonsolen wie PS3 und XBox zum Internet kommt, dass beides zusammenwächst, ist ein Prozess, den keiner mehr umkehren wird.

Dennoch schaut man in erstaunte Gesichter, wenn man im Workshop-Gespräch mit dem Management eines privaten TV-Senders fragt, wieso sie nicht die eigenen Telenovelas, an denen sie alle Rechte halten, zur zeitsouveränen Nutzung für ihre Konsumenten ins Internet stellen würden. »Streamingkosten«, die erste Antwort, ist eine Ausflucht: Übertragungskosten im Internet werden immer günstiger und gerade die nachweisbare Nutzung des Programms durch einen Zuschauer kann man mit Werbung gut kapitalisieren. Aber diese Werbung wird nicht zusätzlich zur TV-Werbung geschaltet, sondern womöglich bei dieser eingespart, erfährt man auf Nachfrage. Keine 12 Monate ist es her, dass sich dieser Dialog ergeben hat. Vorher habe ich noch vom Ende derjenigen erzählt, die sich nicht selbst anzugreifen trauen ...

Auf Radiosymposien, zu denen besorgte Bundestagsfraktionen einladen, dominiert die Schadenfreude der privaten Anbieter darüber, dass die Digitalisierung des Rundfunks über DAB fehlgeschlagen zu sein scheint. Auch andere digitale Formate wie DVB-H, DMB oder das in der ersten Ausgabe dieses Buches noch gefeierte DRM (Digital Radio Mondial) tun sich schwer. Die für 2012 in den Staatsverträgen festgeschriebene Digitalisierung der terrestrischen Radiosignale droht technisch zu scheitern. Politisch, so feixen manche Radiomacher, wäre der Technologiesprung eh nicht so einfach machbar, wie zuvor beim Fernsehen. Ein bundesdeutscher Haushalt hat durchschnittlich 6,4 Radioempfänger und einer davon ist auch noch fest im Auto eingebaut. All diese Geräte müssten aufgerüstet werden. Wer will sich durch Abschaltung des analogen Sendesignals mit den Herstellern und – noch schlimmer – dem Konsumenten anlegen?

Digitalisierung ist jedoch wie Wasser. Sie bahnt sich ihren Weg. Gibt es Widerstände, geht es anderswo lang. In den USA kommt die neue Radiowelt von oben - die Satellitenradioanbieter Sirius und XM vereinen dort bereits 17 Millionen Abonnenten und 207 Kanäle auf sich. Hierzulande geschieht es von unten: unsere eigene Radiostation Motor FM hat zu Bürozeiten bereits eine höhere Reichweite durch ausgelieferte Internetstreams, als durch die altertümliche Telefonumfrage (MA) der Radiowirtschaft nachgewiesen werden können. Geräte wie das iPhone sorgen dafür, dass diese Art der Internetradionutzung nicht auf den Arbeitsplatz beschränkt bleiben wird.

Den vehementesten Widerspruch aller Vorträge erntete ich bei der Printbranche. Nirgendwo sonst scheint man so verbunden mit dem physischen Gut. Das wäre ja auch nachvollziehbar, würde die Qualität stimmen. Beeindruckt hat mich ein Drucker, der auf einer Tagung des weltgrößten Druckmaschinenherstellers seinen Kollegen Werbeprospekte ins Gesicht warf. »Das ist kein Gold,« rief er empört, während er auf einen glänzenden Gelbton einer Luxusgüteranzeige zeigte: »So macht ihr unsere Branche kaputt!« Danach hagelte es Twix-Schokoriegel auf seine Kollegen im Publikum. »Ein 50 Cent Snack - aber echtes Gold!«

Man sollte wissen, dass den altehrwürdigen Brockhaus weder Prägedruck noch Goldintarsien retten konnten. Das herausragende Nachschlagewerk Deutschlands gibt es seit diesem Jahr nur noch Online, genauso wie die Hochglanzzeitschrift Max aus den Achtziger Jahren. Schulbuchverleger leiden darunter, dass engagierte Lehrer die Schüler mit viel aktuelleren Unterlagen aus dem Internet versorgen, die Herausgeber von Buchklassikern zittern vor den Digitalisierungsoffensiven von Google und Co. Konsequent schreitet weiterhin der Spiegel voran. Mit seinem Angebot Spiegel Online war er als erstes deutsches Nachrichtenmagazin im Netz und ist dort bis heute Marktführer. Längst haben einflussreiche Spindoktoren erkannt, dass die Meinung online und eben nicht mehr vorrangig von der Printausgabe gesetzt wird und lassen diesen Spiegel Online-Redakteuren Hintergrundinformationen aus Politik und Wirtschaft zuerst zukommen. Die Zeitschrift als Verdichtung des Onlineangebots wird beim Spiegel bereits gelebt und Matthias Müller von Blumencron, Chefredakteur von »SPON«, ist konsequenterweise bereits einer der Nachfolger von Stefan Aust als Vordenker des Heftes.

Ein ehemaliger Universal Kollege hatte früh genug den Absprung von der Musik zum Film geschafft. »Du wirst auch noch Holzklasse fliegen …«, knurrte der Promotionchef der Universal Music, als er gemeinsam mit mir an dem fröhlich aus dem Business-Sitz grüßenden Ex-Mitarbeiter die Sitzplätze ganz hinten im Flieger suchte. Die Prophezeiung dürfte sich erfüllt haben: Mittlerweile musste die verwöhnte Filmwirtschaft im ersten Halbjahr 2007 erstmals einen Umsatzrückgang bei DVDs vermelden. Die Stückzahlen steigen, aber die Preise erodieren. DVDs geraten unter Druck, die Konkurrenz kommt aus dem Netz und Filme taugen gerade noch als sogenannte »Loss-Leader«, als Verkaufsbeschleuniger der Elektro- und Drogeriemärkte. Ein legales Angebot, das wie die Piraten zum Filmstart im Netz verfügbar ist, sucht man vergebens. Dafür sucht der ehemalige Kollege aus der Business Class bereits einen neuen Job.

Die Umrüstung der Kinos zu digitalen Abspielstätten kommt hierzulande nur langsam voran. In Amerika hingegen hat sie die Mainstreamkinos erreicht und wird dort für die neue, alte Hoffnung des Films genutzt: 3D. Als Real D kommt ein von den Disney Studios entwickeltes digitales 3D in die Kinos (»Chicken Little« war der erste Test im Jahre 2005, in 2009 kommt mit »Horrorween«, »Final Destination 4« und dem Remake »Stewardesses« eine ganze Reihe neuer Produktionen auf die digitale Leinwand) – was den Mitschnitt für das Internet erschweren soll. Dieses Upgrade von Filmen erinnert an den von wenig Erfolg gekrönten Versuch der Musikindustrie, durch Surroundmixes auf Super Audio CDs (SACD) die Kopierleidenschaft ihres Publikums einzudämmen.

Unerlässlich im digitalen Wandel ist es, den möglichen Angreifer zu kennen, um ihn entweder einzubinden oder seinen Angriff umzudrehen und selbst auszuführen. Ich war deshalb überrascht, dass keiner den kleinen, weißen Fon Router erkannte, den ich während eines Vortags vor dem Management des deutschen Marktführers für Hot Spots in die Luft hielt. Das Gerät war zu diesem Zeitpunkt hierzulande bereits 75.000 mal verkauft worden. Wer es anschließt, ist entweder ein »Linus« und lässt andere Foneros per W-LAN umsonst mit ins Netz und kann dafür auch kostenfrei über ihre Fon Hot Spots surfen, oder man verlangt als »Bill« eine Gebühr, die man dann genauso bei anderen Fon Nutzern zu entrichten hat. Am besten bindet man diese »Telephone-Company by the people« (Fon Eigenwerbung) wie die British Telecom oder die französische Cegetel zum Ausbau des eigenen Netzwerkes ein. Wer nicht den Mut hat, das eigene Geschäftsmodell neu zu denken, muss eben später bezahlen: geradeso wie die Mobilfunkunternehmen, die Millionen ausgeben, um Prepaid-Card Unternehmen aufzukaufen (jüngstes Beispiel: die Übernahme von blue durch e-plus), die zuvor auf ihren Netzen ihre Preise unterboten haben.

Man muss Jamba nicht mögen, aber die Zeichen der Zeit wurden dort immer rechtzeitig erkannt. Die meisten Kids generieren mittlerweile ihre Ringtones selbständig und die Klingeltonfirmen haben darauf frühzeitig mit eigenen Copyrights reagiert: ob mit dem Crazy Frog, dem Kuschelsong oder anderen musikalischen Verbrechen wurden sie zu digitalen Schallplattenfirmen für Trash, den sie nun als mobilen Download vertreiben. Ein deutlich kleinerer Markt, aber eine Chance in einem Geschäft zu überleben, welches technisch eigentlich obsolet geworden ist.

Vieles ist so eingetreten, wie man es sich vor vier Jahren schon denken konnte. Deshalb reichen zumeist auch die hier vorgetragenen Änderungen und Ergänzungen, um die späteren Texte zu verstehen. Es gibt nur ein Kapitel, welches von Grund auf überarbeitet werden musste. Peinlicherweise war es ausgerechnet jenes über das World Wide Web ...

Tim Berner’s Lee, der Begründer des Internet, träumte im Jahr 2004 noch von dem »Semantic Web«. Zusammen mit der »Netzregierung« vom W3C suchte er nach einer Sprache, die es den Maschinen ermöglichen sollte, Zusammenhänge zu erkennen und auf komplexe Fragen Antworten geben zu können. Getrieben wurde er dabei von einer Einstellung, mit der er dem Netz bereits im Jahr 1989 eine Oberfläche gegeben hatte: ein von Wissenschaftlern entwickeltes System braucht Modifizierungen aus der Wissenschaft, damit es für Jedermann nutzbar wird. Genau das hatte er aber bereits im ersten Schritt so gründlich erledigt, dass die Jedermanns da draußen in der ganzen Welt sich mit seinem Netz so gut verlinken konnten, dass ihre kollektive Intelligenz jeder singulären Überlegung überlegen war. Während Tim und seine Freunde also noch an der Syntax des Resource Description Frameworks (RDF) und der Web Ontology Language (OWL) arbeiteten, tagten und bloggten die Nutzer des Internets längst drauf los und schufen so fast spielerisch die Netzintelligenz, nach der die Wissenschaft verzweifelt suchte. Nun ja ...

All unsere Vermutungen in Sachen Musik sind in der ersten Ausgabe dieses Buchs noch vom Gedanken geprägt, dass das Schlimmste für die Labels vielleicht schon überstanden sei. Deutlich zu optimistisch: die Erosion der Industrie schritt schneller voran als gedacht. Das betraf insbesondere die beiden Majors Warner und EMI. Wenn die Regeln der Börse für Musik schon schwierig sind, da Kreativität sich nicht in Quartalen abbilden und steuern lässt, ist das absolut kurzfristige Gewinnstreben von Venture Capital, also den sogenannten Heuschrecken, nicht mit ihr vereinbar. Genau solche Unternehmen sind mittlerweile aber die Mehrheitseigentümer der beiden Traditionshäuser. In dem jetzigen Marktumfeld riecht das nach ihrer Zerschlagung und dem Verkauf in Einzelteilen; an wen auch immer. Auf Dauer wird es wohl deshalb nur noch zwei Majors geben – Universal und SonyBMG.

Der Eintritt von Finanzinvestoren in die Musikwirtschaft hatte aber auch seine guten Seiten: Realismus bis zur Selbstverachtung. Die EMI, damals noch mit einem ehemaligen Keksproduzenten an der Spitze, hat als erste das für Branchenfremde schwer nachvollziehbare Dogma des DRM (Kopierschutz auf Downloads) in Frage gestellt und für ihren Katalog gänzlich abgeschafft. Universal Music zog zunächst in den USA und Warner gleich weltweit nach. Dort kam mit Jim Griffith zudem ein Mann in führende Position, die er bei Universal verloren hatte, als er für deren Label Geffen die Suche nach einem Geschäftsmodel mit Tauschbörsen propagierte. Als Verantwortlicher für das digitale Geschäft der Warner Gruppe setzt er diesen Gedanken jetzt um. Auf Dauer führen alle Wege Richtung Flatrates: der Konsument zahlt eine Grundgebühr, hat dafür aber die Möglichkeit, herunterzuladen was und wieviel er will. Flatrates sind von allen Labels mit dem japanischen Mobilanbieter DoCoMo vereinbart worden. In Europa bietet sie das skandinavische Telekommunikationsunternehmen TKS für alle Firmen bis auf Universal an, alles von Universal ist wiederum mit Geräten von Nokia für eine Pauschale zu beziehen. Der Haken im Vergleich zum Piraten: Der Besitz ist nur temporär. Erlischt das Abo, verschwindet auch die Datei. Und ein globaler Flatrate-Standard bleibt weiterhin ein Traum ...

Springt die Musikindustrie über diese letzte Hürde, die sie sich da selbst aufgebaut hat, bietet sie für 5 bis 10 Euro pro Monat (soviel zahlt ein Filesharer auch für ein gutes Administrationssystem) den dauerhaften Download, dann ist sie schnell dort, wo man sie vor vier Jahren bereits gewähnt hat. Sie ist dann nicht mehr dieselbe, aber eine in ihrer Wiedergeburt rundum erneuerte Branche.

Wenn es hilft, die unterschiedlichen Industrien zu gewagten aber konsequenten Schritten wie diesen zu ermutigen, tingele ich gerne noch eine Weile als Onkel Konstantin über die Bühnen der Konzernzentralen und Unternehmensverbände und erfreue mich am digitalen Leben nach dem analogen Tod.

Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm!

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