Читать книгу Valegazien: Der Brief des Onkels - Tim Steiger - Страница 7
Kapitel 2
ОглавлениеDas Angebot des Schneiders lässt sich sehen. Von Stoffen wie Leinen, Baumwolle, Seide, Nessel über flauschige Felle, hat er alles zu bieten. Hach, wie es Masume liebt, durch das Stadtzentrum von Berundam zu flanieren. Gemeinsam mit ihrer älteren Schwester Sabriye hält sie gerne Ausschau nach neuen Kleidungsstücken.
„Röcke aus Viskose, elegante Roben aus Chiffon oder doch lieber einen Mantel aus Jacquard?“, prahlt der Schneider über seine Waren. Sabriye’s Blick fällt auf eine mintgrüne Tunika. „Ah, wie ich sehe hast du einen sehr guten Geschmack“, schmeichelt ihr der Schneider. „Diese Tunika ist aus feinstem Georgette. Für ein sehr angenehm leichtes Gefühl, als ob man damit fliegen könnte“, beschreibt der Schneider voller Stolz. „Man kann also nicht damit fliegen?“, meint Sabriye’s Gemahl höhnisch und bereits etwas genervt, dass ihn seine Frau zum Schneider mitgeschleppt hat. „Dessigero! Jetzt sei mal nicht so!“, mahnt ihn seine Gemahlin scharf. „Mir gefällt’s“, meldet sich Masume dazwischen, „denke aber, es ist etwas zu luftig.“ „Ja, da stimme ich dir zu“, sagt Sabriye, „die Farbe gefällt mir jedoch.“
„Was darf es denn für dich sein?“, meldet sich der Schneider wieder zu Wort und sieht dabei Masume an. „Das Kleid dort drüben gefällt mir!“, sagt Masume wie vom Blitz getroffen. „Ah, sehr schön“, meint der Schneider. „Dies ist ein Ballkleid aus echtem Organza. Genau richtig für einen besonderen Festtag und mit einem Hauch von Eleganz“, erklärt der Schneider. Während Masume das Kleid anprobiert, wendet sich der Schneider erneut zu Sabriye. „Bereits etwas Ansprechendes gefunden?“, erkundigt er sich. „Die beige Hose hier gefällt mir gut“, bestätigt Sabriye. „Sehr gut, diese passt auch perfekt zu deinen Augen“, schwärmt der Schneider. Ein unüberhörbares, sichtlich genervtes „Hach“, lässt Dessigero von sich geben. Sabriye ignoriert ihn und sagt zum Schneider. „Ja, die nehm ich. Könntest du bitte meine Masse abnehmen. Ich will sie massgeschneidert haben.“ „Mit Vergnügen“, freut sich der Schneider und beginnt gleich, seine Vermessungen vorzunehmen.
Masume kehrt zurück von der Garderobe. „Das Kleid ist ja sowas von perfekt“, strahlt sie über beide Ohren. Der Schneider sieht sich zwei glücklichen Kundinnen und einem gelangweilten Gatten gegenüber. Ein gelungener Start in den Tag! Masume nimmt ihr Kleid gleich mit, während Sabriye die Hose später abholen kommt bei dessen Fertigstellung.
„Wir wollen noch weiter zur Galerie“, erklärt Sabriye ihrem Gatten. „Kommst du mit?“ „Ehm, nein. Kann leider nicht. Ich muss noch meinen Pflichten nachgehen. Du weisst schon, der König erwartet Pünktlichkeit“, redet sich Dessigero raus. „Nun gut“, meint Sabriye. Als Neffe des Königs sollte man da wohl lieber auf der sicheren Seite sein. Besonders, wenn man ein so hohes Amt bekleidet, wie dies Dessigero tut. General der königlichen Garde . Masume weiss, dass ihre ältere Schwester schon immer stolz darauf war, die Gemahlin eines so hochrangigen Generals zu sein.
Masume hat nicht sonderlich viel für Kunstgemälde und alte Statuen übrig. Dennoch hat sie ihrer Schwester versprochen, mit ihr die Galerie zu besuchen. Wieder einmal. Sie ist ja gerne mit Sabriye unterwegs, aber mit leblosen Köpfen und ein Haufen Farbklekse, weiss sie nichts anzufangen. Zum Glück ist ja bald Mittag und für ihre Schwester gibt sie sich gerne einen Ruck.
Der Besuch in der Galerie läuft wie erwartet ab. Ein paar Fresken hier, ein paar Landschaftsgemälde da, haufenweise Porträts von diversen Persönlichkeiten der Geschichte Valegazien’s und natürlich nicht zu vergessen, die obligate Visite bei der Statue des Königspaares, König Lortis und Königin Eligiane von Valegazien, sowie die Statue zu Ehren von Daeira. Nach diesem Rundgang geht es zurück in die wohlverdiente Mittagspause im königlichen Palast.
Masume und Sabriye speisen gemeinsam mit ihren Eltern. Arif, ihr Vater, ist der Schatzmeister des Königs . Ein sehr ehrenvolles Amt mit grosser Verantwortung. Er vergisst auch nie, dies seiner Familie in Erinnerung zu rufen. Jeden Mittag. „Wie war euer Tag bislang?“, beginnt die Mutter das Tischgespräch. Masume präsentiert ihren neusten Fang und Sabriye schwärmt von ihrer auf massgeschneiderte Anschaffung und hält anschliessend einen zu langen Bericht zum Handwerk unzähliger Künstler.
Nach einem ordentlich gefüllten Magen, begibt sich Masume in ihr Schlafgemach zurück, um sich für das weitere Tagesprogamm zu rüsten. Diesem Tag hatte sie schon eine Weile mit zunehmender Vorfreude entgegengesehen. Das grosse Orchester im Konzertsaal. Und so wie es Daeira will, hat sie heute Morgen auch noch das perfekte Kleid dazu gefunden. Masume blickt in den grossen Spiegel neben ihrem Kleiderschrank. Sie spielt mit ihren Fingern mit den gelockten Spitzen ihrer langen braunen Haare, bevor sie diese zurechtlegt und ihr Amulett, welches sie um den Hals trägt, richtet. Ihr Amulett ist mit Schmucksteinen verziert. Mit roten, blauen, violetten und rosafarbenen Opalen. In der Mitte befindet sich ein türkisfarbener Diamant. Dies alles eingebettet in einen runden und zierlich verarbeiteten, goldenen Rahmen.
Masume bricht erneut ins Stadtzentrum von Berundam auf. Ihre Schwester sucht währenddessen ihren Gemahl auf. Beim Seiteneingang des Palastes steht wie üblich Fidamico auf seinem Posten. Einer der königlichen Palastwachen . Nicht nur einer, sondern ein ganz Bestimmter. Fidamico ist zuständig für die Sicherheit der Familie von Masume. Ein Amt von besonders nobler Bedeutung , schmunzelt Masume zu sich selbst. Sie amüsiert sich immer wieder, ihn aus der Reserve zu locken. Sie weiss um ihre Schönheit und um ihren Charme. „Na, wie findest du mich?“, posiert Masume mit ihrem neuen Kleid. „Du, eh, siehst fantastisch aus“, antwortet Fidamico etwas verlegen. „Oh, da schmeichelt mir aber jemand“, sagt Masume verführerisch. Fidamico gibt sich bemüht, ruhig auf seinen Posten zu bleiben, auch wenn sein Kopf unter dem eisernen Helm ganz schön am Erhitzen ist. Er lächelt ihr zu. Mehr als ein „Viel Spass heute“, bringt er nicht zu Stande. Ja, Masume hatte ihm vom heutigen Orchester erzählt. Hatte ihn sogar eingeladen, aber die königlichen Pflichten ketten ihn an diesen Seiteneingang. Hauptsächlich ist er ja auch ihrem Vater unterstellt, dem Schatzmeister des Königs , wie er heute Mittag wieder verlauten liess. Masume haucht Fidamico einen Kuss zu und begibt sich in Richtung Konzertsaal.
Der Saal ist vollends gefüllt. In der Hinsicht ist es durchaus von Vorteil, dass die Familie sehr angesehene Ämter im Königshaus inne hat. Als Tochter eines Abgeordneten des Königs, hat man eine beneidenswerte Aussicht auf das spielende Orchester. Wobei die Aussicht nur nebensächlich ist, der Klang ist von Bedeutung. Hach, dieser herrlich hallender Klang! Dieses harmonische Zusammenspiel von Violinen, Bratschen, Flöten, Klarinetten, Pauken und Harfen. Und obendrauf zur perfekten Abrundung singt der Chor.
Der Gesang, dieser wundervoll gewaltige Gesang. Masume schliesst ihre Augen und verspürt jeden Takt, jeden Laut in ihrem ganzen Körper. Eine erfrischende Kälte überkommt ihr, die Haare auf ihren Armen richten sich zu Berge, aus ihren Augen strömen kleine Bäche und um ihr Herz wird es feurig warm. Die Musik lässt Masume träumen. Die Musik ist ein emotionaler Blumenstrauss. Die Musik ist Magie.