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Westberlin

In derselben Zeit saß jenseits der Mauer in Westberlin der junge Marius in seinem Zimmer und wartete auf irgendein Zeichen. Der Fernseher lief, doch weil der Student ganz in Gedanken versunken war, sah und hörte er von dem Programm nichts, während seines Versuchs herauszufinden, was ihm in seinem Leben fehlte. Er glaubte, eine Freundin könne es nicht sein, dafür fehlte ihm die Zeit. Im Interesse seines Studiums der Theaterwissenschaften war er vielmehr ständig auf der Suche nach einem besonderen Thema, etwas Außergewöhnlichem.

Nicht zum ersten Mal suchte Marius Abwechslung und kannte seine wiederkehrende Rastlosigkeit, die ihn nun die unnützerweise laufende Glotze abschalten ließ, um kurz darauf seine Schritte unruhig zum Fenster zu lenken. Mit erwartungsvollen Augen blickte da ein gutaussehender Lockenkopf aus dem dreizehnten Stockwerk eines Hochhauses. Zu sehen gab es nicht nur einen Großteil Westberlins, sondern auch den Osten, die DDR. Und obwohl ihn das noch nie besonders interessiert hatte, fragte er sich in diesem Moment, wie man wohl dort drüben so lebte. Er war selten dort gewesen, hatte aber von seinen Eltern ein paar Geschichten darüber gehört, wie es war, vor dem Mauerbau. Doch seit der Teilung Berlins war der Kontakt in den Osten abgebrochen und es galt auch nicht gerade als schick, den Osten zu besuchen, weil man mit dem Arbeiter- und Bauernstaat und dem Sozialismus dort nichts zu tun haben wollte.

Außerdem hasste der Student die schrecklich lästigen Kontrollen, die er an den Grenzen über sich ergehen lassen musste. Jedes Mal checkten die Grenzkontrollen der DDR sein Auto und ihn, wenn er über die sogenannte Transitstrecke durch die DDR nach Westdeutschland fuhr, um dort seine Verwandten zu besuchen. Es nervte einfach sehr, wenn die Kontrolleure wissen wollten, ob er „Druckerzeugnisse“ in den Osten ausführen würde!

Wen wunderte es da, wenn die Menschen in Westberlin blieben und es vermieden in die DDR oder dort durch zu fahren. Aber bis auf diese kleinen Nervereien für den Fall des Grenzübertritts lebte es sich seiner Meinung nach recht komfortabel in Westberlin, in dieser Enklave derjenigen, die nicht zum Bund eingezogen werden konnten. Fünfzehn Monate Wehrpflicht, wie das für die Bundesbürger in Westdeutschland galt, das sparten sich die Bewohner hier, denn für den Westberliner gab es keinen Kriegsdienst. In seinem Fall brauchte er sich auch nicht dafür zu rechtfertigen, dass der Dienst an der Waffe für ihn nicht in Frage kommt. Was kann denn einer dafür, ob er östlich oder westlich der Grenze geboren ist? Nein, auf jemanden zu schießen, das war ausgeschlossen.

Aber es gab noch jede Menge anderer Gründe für den Kriegsdienstverweigerer Marius hier zu leben, zum Beispiel die Mischung der Menschen in seiner der Stadt. Weil es hier eine Menge Künstler gab, auch Schwule und Lesben, nannte er sie gelegentlich sein: „buntes Volk“, auch eine türkische Szene fehlte nicht. Westberlin war einfach die toleranteste unter alle Städten und dass es keine Sperrstunde gab, war wirklich phänomenal.

Er fühlte sich hier als „Insulaner“ sehr zu Hause und auch das Dasein als Single fand er nach der letzten Pleite mit der Exfreundin vielmehr erholsam als anstrengend. Doch inmitten all dieser Superlative der City wurde er das Gefühl nicht los, etwas unternehmen zu müssen, um wieder Schwung in sein Leben zu bringen. Vom Fenster zurücktretend zog er den Vorhang zu, der ihm den schönen Blick in die Welt wieder nahm, jedoch eine zündende Idee hervorbrachte.

Volkseigentum trifft Marktwirtschaft, aus Liebe?

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