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Eine Vision durchwandert die Zeiten

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Der Seher Johannes schreibt das Buch der Offenbarung gegen Ende des 1. Jahrhunderts nach Christus auf der Insel Patmos nieder. Er selbst ist dorthin verbannt worden.

Nun wendet er sich an die verfolgten Christen in Kleinasien. Kaiser Diokletian droht sie zu töten, wenn sie sich weigern, ihn als Gott zu verehren.

Johannes verschlüsselt seine Worte mit Bildern der jüdischen Apokalyptik. Diese beschreiben einen Kampf zwischen Gott und satanischen Kräften, den Gott am Ende gewinnen wird.

Durch alle Zeiten bis heute wurden die ausgemalten Szenen dazu benutzt, die jeweilige Gegenwart endzeitlich zu deuten; oft wurden die Aussagen und Bilder der Offenbarung von Menschen oder auch Gruppen instrumentalisiert, um anderen zu drohen oder eigene Machtinteressen durchzusetzen.

Johannes ging es damals zuerst darum, die Christen in Kleinasien zu ermutigen, am Glauben festzuhalten:

Gott wird die Standhaften sogar durch den Tod hindurch retten und sie aufnehmen in eine andere, heile Welt. In den beiden Schlusskapiteln der Offenbarung wird eine Vision dieser anderen Welt beschrieben. Besonders Offenbarung 21,1-7 zeichnet sie mit dem Bild eines neuen Jerusalems anschaulich vor Augen.

In dieser neuen, künftigen Stadt scheint Gott sich geradezu abzugrenzen gegen Gewalt.

Leid und Geschrei lässt er verstummen, statt es hervorzubringen.

Er selbst wischt den Menschen die Tränen ab, statt ihnen Schmerzen zuzufügen oder sie gar zu quälen.

Er gibt den Durstigen aus der Quelle zu trinken, die das Dasein selbst hervorsprudeln lässt.

So erschafft er das Leben, statt es zu zerstören.

Johannes nimmt für sein Buch Bilder der jüdischen Tradition auf (Jesaja 65,17 ff., Jesaja 55,1 ff.) und verwandelt sie in etwas Eigenes.

Eingefügt in den biblischen Kanon wird die Offenbarung des Johannes zum christlichen Traditionsgut und wandert nun selbst durch die Zeit.

Wie viele Menschen mag die Vision des neuen Jerusalem gestärkt und getröstet haben, durch die Jahrhunderte hindurch, an allen Ecken und Enden der Erde?

Zuerst die vom Tode bedrohten Christen in Kleinasien, später andere Menschen, die geschunden und gequält wurden. Die Perspektive eines neuen, heilen Lebens in Gottes Nähe: Sie gilt ja zuallererst denen, die auf der Erde zu kurz kommen.

Ich selbst habe diese Vision auf vielen Trauerfeiern gehört. Ich habe sie anderen vorgelesen und die innere Kraft ihrer Bilder gespürt. Am Ewigkeitssonntag, wenn wir an die Verstorbenen eines Jahres erinnern, erklingt sie im Gottesdienst.

Ihre Bilder wischen den Verlust nicht weg und übergehen die Trauer nicht. Sie weiten aber die Perspektive und wecken die Hoffnung: Einmal wird der Tod nicht mehr sein. Gott wischt den Menschen die Tränen ab und stillt ihren Durst mit Leben.

Mein Atem wird ruhiger, wenn ich solche Bilder vor mir sehe. Ich vertraue mich einem Größeren an. Meine Ängste lege ich in seine Hoffnungsvision. Meine Sehnsucht gebe ich in seine Hände. Und berge mein Leben in sein Versprechen: Siehe, ich mache alles neu!

Wo das Leben entspringt

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