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2. Licht und Schatten in den Anfangsjahren des National Geographic Magazines

„Das Wort ‚Erde‘ […] erweckt in unserem Verstand die Idee eines riesigen

Globus, aufgehängt in einem leeren Raum – die eine Seite im Schatten, die andere gebadet in den Strahlen der Sonne.“23

Um das geografische Wissen vielen Menschen zugänglich zu machen, entschieden sich die Verantwortlichen für die schriftliche Veröffentlichung der Erkenntnisse ihrer Treffen und Debatten. Im Oktober von 1888, neun Monate nach Gründung der National Geographic Society, erschien erstmals die Zeitschrift, schlicht und einfach National Geographic Magazine benannt.24

Auch 125 Jahre später ist sie immer noch das Sprachrohr der Gesellschaft.

Die Erwähnung eines geplanten Journals erfolgte in der ursprünglichen Satzung nicht.25 Die erste Ausgabe war eine dünne, wissenschaftlich gehaltene Broschüre von 16 Seiten. Optisch und sprachlich hinkte das Blatt noch meilenweit dem heute weltbekannten Format aus Hochglanzfotos und mitreißender Berichterstattung hinterher. Nicht einmal der berühmte gelbe Rahmen zierte sein Cover.

Nur ein unspektakulärer, rotbrauner Umschlag schützte das Oktavformat mit seinen Abbildungen, Karten und wissenschaftlichen Texten.

Streng genommen erhielt der Leser in Artikel umgewandelte Lehrvorträge von Hubbard und Kollegen sowie eine Liste der 209 Mitglieder der Gesellschaft. Eine Bekanntmachung umriss die Ziele der Gesellschaft:

„Das Magazin wird Beiträge wie Erinnerungen, Essays, Notizen, Briefe oder Rezensionen mit Bezug zur Geografie enthalten. Da nicht beabsichtigt ist, die Zeitschrift einfach nur als ein Organ der Gesellschaft zu sehen, richtet sie sich an alle Personen, die an dem Fach Geografie Interesse besitzen. So hoffen wir, dass sie zu einem Forum des Austausches wird, geografische Forschungen anregt und beweist, dass sie ein nützliches Medium für die Veröffentlichung von Ergebnissen ist.“26

Schon die Erstausgabe ließ das Interesse der National Geographic Society erkennen, die Menschen über das Wetter, Naturkatastrophen und klimatische Veränderungen informieren zu wollen. Außerdem hatten die Mitglieder eine besondere Vorliebe für Autoren aus Regierungskreisen.

Der Kommandant des Naval Marine Meteorology Department Edward Everett Hayden, verfasste z. B. einen Bericht über den verheerenden „Großen Sturm“, der vom 11. bis 14. März 1888 die Ostküste der USA und Teile Kanadas heimsuchte.27 Mit meteorologischen Karten und Windpfeilen beschrieb er das Unwetter, das von der Chesapeake Bay bis nach Maine die telegrafische Infrastruktur und ganze Eisenbahnlinien lahm gelegt hatte.28

Ein eisiger Blizzard brachte gewaltige Schneemengen mit sich und schnitt Teile der Bevölkerung bis zu eine Woche von der Außenwelt ab.

Viele der etwa 400 verzeichneten Toten kostete die Kälte oder der Hunger das Leben. Mindestens 100 Menschen starben auf den mehr als 200 gestrandeten oder schiffbrüchigen Wasserfahrzeugen. In einem weniger nüchternen Abschnitt seines Artikels widmete sich Hayden den Strapazen, mit denen das New Yorker Lotsenboot Charles H. Marshall den todbringenden Sturm überstand. Diese Ausführung gab einen Vorgeschmack auf den später viel beachteten Stil des National Geographic Magazines bei dem nicht nur bloße Fakten dem Leser präsentiert werden. Vielmehr stand eine Berichterstattung mit erzählerischer Qualität im Vordergrund:

„Es war zwölf Seemeilen südöstlich vor dem Leuchtfeuer auf Sandy Hook, als der Sturm mit einer solchen Kraft auf das Boot prallte, dass es sich auf die Seite legte, aber sich unsicher wieder aufrichtete. [] Gegen acht Uhr war der Sturm zu einem Hurrikan angewachsen und das Schiff wurde auf einer entsetzlich tobenden See hin und her geworfen. [] Schwere Wellen brandeten über die Männer hinweg, und die Gefahr, in der sie sich befanden, können nur die begreifen, die es erlebten. Schnee und Regen fielen mit einer derartigen Wucht, dass man nicht in Windrichtungen blicken konnte.“29

Mittels der neutralen Erzählperspektive versetzte Hayden den Leser unmittelbar an Bord des Schiffes. Durch seine detailreichen Beschreibungen des Überlebenskampfes der Besatzung konnte der Leser sich in die dramatische Situation hineinversetzen. Aufgabe eines Autoren war es, Bilder in den Köpfen der Leser zu erzeugen. Immerhin lebten sie in einer Zeit, in der es noch fünf Jahre dauern sollte, bis Thomas Alva Edison sein Kinetoskop vorstellen würde30 – eine Art Schaukasten, in dem kurze Filme liefen. Auch das bildgebende Verfahren der Fotografie steckte noch in den Kinderschuhen. Erst 1826 hatte Joseph Nicéphore Nièpce mittels der Heliografie das mutmaßlich früheste Foto der Weltgeschichte angefertigt: ein Blick aus seinem Arbeitszimmer.31 Viele der Leser besaßen daher nur eine vage Vorstellung von den Abläufen auf See:

„Aus Segeltuch wurden drei große Säcke, die halb mit ölgetränktem Werg gefüllt und am Bug mittschiffs und auf der Wetterseite über Bord gehängt wurden. Wahrscheinlich wurde auf diese Weise das Boot und das Leben aller an Bord gerettet, denn die Ölsäcke verhinderten das Brechen der Wellen, die jetzt als gewaltige Dünung vorbeiwogten. [] Auf Händen und Knien, nur mit einem Seil gegen die Wassermassen gesichert, krochen die Männer alle halbe Stunde zum Auswechseln der Ölsäcke. Kurz vor Mitternacht traf eine schwere See das Lotsenschiff und warf es auf die Seite. Alle beweglichen Dinge rutschten nach Lee, durch die vordere Luke brach Wasser ein. Doch da richtete sich das Schiff wieder auf und der Kampf ums Überleben ging weiter.“

Den Startschuss für erzählerisch-journalistische Beiträge, die mit wissenschaftlichen Fakten unterfüttert waren, setzte bereits die Eröffnungsausgabe. Das zweite Heft erschien sieben Monate später, im April von 1889, und machte einen zweiten Grundsatz der Beiträge deutlich: Der Leser sollte an faszinierende, weit entfernte Orte mitgenommen werden und zu einem besseren Verständnis seiner Umwelt und anderer Kulturen gelangen. Der von Hubbard geschriebene Hauptartikel befasste sich mit der Zukunft und Vergangenheit Afrikas und thematisierte neben der Geografie des Kontinents auch in bemerkenswerter Weise den Sklavenhandel als „großen Fluch Afrikas“.32 Das Magazin war nicht nur Vorreiter für Reportagen, die den Leser in weit entfernte Regionen des Planeten entführten und ihn am Leben anderer Menschen teilhaben ließen, es bediente sich mitunter auch rassistischer Äußerungen. Im selben Beitrag relativierte Hubbard seine Erkenntnis durch die Aussage, dass eines Negers Gemüt ihn zu einem sehr effektiven Sklaven mache. Er könne lange und hart arbeiten, von wenig leben, habe eine fröhliche Natur und wende sich selten gegen seinen Herrn.33 Hubbards Überzeugungen waren für einen weißen Bewohner der oberen Bevölkerungsschicht der Vereinigten Staaten von Amerika in damaliger Zeit nicht ungewöhnlich. Durch die konstitutionell verankerte Abschaffung der Sklaverei verzeichneten die Bürgerkriegsbemühungen zwar einen humanitären Erfolg, doch die ehemaligen Sklaven waren von einer tatsächlichen Gleichstellung weit entfernt. Elf Jahre nach dem militärischen Konflikt wurden 1876 in mehreren US-amerikanischen Bundesstaaten die sogenannten Jim-Crow-Gesetze verabschiedet, die die Rechte der befreiten Sklaven drastisch beschnitten.34 Die Gesetze bewirkten bis 1964 eine Rassentrennung vor allem zwischen Afroamerikanern und Menschen weißer Hautfarbe. Vor diesem Hintergrund sind Hubbards Aussagen mit Bedacht zu bewerten – auch wenn sie aus moderner Perspektive höchst befremdlich wirken. Dies zeigt in gleicher Weise sein Aufsatz aus dem Jahre 1894 zum Thema „Geographic Process in Civilization“. Darin behauptete er, die Menschen der gemäßigten Zone der Nordhalbkugel seien Völkern anderer Herkunft kulturell weit überlegen:

„Wenn man Vergleiche der Breitengrade rund um die Welt zieht, ungefähr 15 Grad nördlich und 15 Grad südlich von Washington, würden diese Breitengrade alle Länder der Erde beinhalten, die hoch zivilisiert sind und sich durch Kunst und Wissenschaft hervorheben. Keine großen Männer lebten jemals, keine großen Gedichte wurden jemals geschrieben, keine literarische oder wissenschaftliche Arbeit produzierte man jemals in anderen Teilen der Erde.“35

Die Gründe suchte er im Falle Afrikas beim tropischen Klima, da die Erde dort Nahrung auf natürliche Weise zur Verfügung stelle und die Menschen nur eine spärliche Bekleidung benötigten, blieben „alle Anreize entweder mentaler oder handwerklicher Anstrengung mangelhaft.“36 Hubbards Bemerkungen reihten sich nahtlos in die Riege fragwürdiger Aussagen anderer Autoren des National Geographic Magazines ein und scheinen keineswegs seiner als „großherzig“ bezeichneten Person geschuldet.37 Die Zeit war noch nicht reif für einen durchweg sensiblen Umgang mit verschiedenen ethnischen Bevölkerungsgruppen der Welt.

In der Ausgabe vom April 1891 griff die Gesellschaft ein für die nächsten Jahre bestimmendes Thema auf: In Zeiten, in denen einzig die Pole als weiße Flecken auf der Landkarte verblieben, berichtete das National Geographic Magazine über die Arbeit eines zehnköpfigen Expeditionsteams am Mount St. Elias und rückte die Erforschung der Polargebiete in den Fokus.38 Auf dieser ersten von der Gesellschaft finanziell unterstützten Forschungsreise kartierte das Team unter der Direktion des Geologen Israel C. Russel von 1890 bis 1891 das Gebiet rund um den zweithöchsten Berg Kanadas und der Vereinigten Staaten. Nebenbei entdeckten sie den höchsten Punkt Kanadas, den Mount St. Logan, und gaben einem gigantischen Gletscher den Namen Hubbards.39 Russels Artikel war für spätere Forschungsreportagen des Magazins wegweisend, da er erstmalig die Ich-Erzählperspektive wählte – wie seine Schilderung eines Unwetters zeigt, das ihn und sein Gefolge während der Expedition überraschte:

„Als ich hinausschaute, sah ich menschenkopfgroße Felsbrocken ein paar Meter von unserem Zelt entfernt herabstürzen. Einer traf die Zeltstange, an der die Firstleine befestigt war. Unsere Zeltbahn wurde hochgeschlagen und es regnete herein. [] Wir zogen uns dann an das Ende des Gletschers zurück und bauten unser Zelt nochmals auf. Durchnässt und frierend sehnten wir das Ende der Nacht herbei. Zu schlafen war unmöglich.“40

Das Festhalten persönlicher Erfahrungen im Unterschied zur Verwendung bloßer Fakten sollte den besonderen Stil des Journals in späteren Zeiten bestimmen. Der Leser konnte durch die Augen solch herausragender Globetrotter wie Russel auf der ganzen Welt Abenteuer erleben – auch wenn er selbst keine Möglichkeiten hatte einen Gletscher zu besteigen:

„Der einsame Förster, der Büroangestellte an seinem Schreibtisch, der Klempner, der Lehrer, der achtjährige Junge oder der Achtzigjährige kann nicht wie ein Carnegie, Rockefeller, Ford oder Guggenheim seine eigenen Expeditionen aussenden. Aber als Mitglied der National Geographic Society kann er es genießen, einen Anteil an der Unterstützung von Erforschungen durch seine eigene Organisation zu haben und die Berichte aus erster Hand in seinem eigenen Magazin zu lesen.“41

In den Folgejahren wurde das National Geographic Magazine unbeständig oft herausgegeben. Eine neue Ausgabe wurde nur veröffentlicht, wenn genügend Material das Drucken lohnte.

Erst ab 1896 wurde es in monatlicher Regelmäßigkeit publiziert. Der Umschlag war nun beigefarben und das Heft für 25 Cents an den Kiosken der USA erhältlich.42

Abb 5: Das National Geographic Magazine wurde ab 1896 als „Illustrated Monthly“ für 25 Cents in den USA verkauft.

Die Gesellschaft hoffte, die bislang schleppenden Verkaufszahlen so in die Höhe treiben zu können. Als erster Hersausgeber und Schriftleiter wurde John Hyde, Chef-Statistiker des Landwirtschaftsministeriums der Vereinigten Staaten, eingesetzt.43 Bezahlt wurde er für seine Dienste ebenso wenig wie die Autoren. Unter seiner Herausgeberschaft behandelte das Magazin viele faszinierende Themen wie weltweit auftretende Naturphänomene, aber an einer professionellen Umsetzung, die eine breite Leserschaft mitreißt, mangelte es noch weitgehend.

Dennoch erschienen vereinzelt bemerkenswerte Artikel im Antrittsjahr von Hyde. Einer von ihnen widmete sich einer großen Naturkatastrophe dieser Zeit: dem Tsunami, der 1896 vor der japanischen Küste nordöstlich von Honshu wütete. Fast 27.000 Menschen wurden damals dahingerafft. Reporterin war die Geografin Eliza Ruhamah Scidmore. Sie war das einzige aktive weibliche Mitglied der Gesellschaft, Mitherausgeberin des Magazins und späteres Vorstandsmitglied. Im Verlauf ihrer 17-jährigen Verbindung44 zur National Geographic Society verfasste sie noch viele weitere dieser sprachlich und stilistisch innovativen Reports:

„Der Regen hatte sie wieder nach drinnen in die Dunkelheit getrieben, und beinahe alle waren um acht Uhr in ihren Häusern, als mit () Getöse und unter Krachen und Knacken von Balken plötzlich alle von wirbelnden Wassermassen verschlungen wurden. Nur wenige Überlebende entlang der ganzen Küste hatten die Flutwelle herannahen sehen.“45

Der Autorin gelang mit wenigen Worten, ihrer Leserschaft die zerstörerische Wucht eines Tsunamis vor Augen zu führen, auch wenn sie eine neutrale Erzählperspektive wählte. Dabei vergaß sie die grausamen Fakten nicht, die einen seriösen Anspruch wahrten und den Augenblick erneut zum Leben erweckten:

„[Ein Überlebender] erzählte, dass das Wasser zuerst 500 Meter zurücklief und über der gespenstisch weißen Sandfläche wie eine schwarze Wand rund 25 Meter hoch stand. Auf ihrer Krone huschten phosphoreszierende Lichter. Andere sahen, als sie ein entferntes Tosen wahrnahmen, einen schwarzen Schatten auf der See und rannten auf höher gelegene Gebiete, laut „Tsunami, Tsunami!“ schreiend. Diejenigen, die sich in die oberen Stockwerke geflüchtet hatten, ertranken, wurden erschlagen oder dort eingeschlossen. Nur wenige konnten das Dach durchbrechen oder fliehen, als die Welle wieder abliefSchiffe und Gerümpel wurden bis zu drei Kilometer in das Landesinnere getragen und zerschmettert auf Hügeln, Baumspitzen oder im Schlamm der Felder abgesetzt. Der Rest wurde verschlungen oder aufs Meer getrieben46

Die für einen journalistischen Beitrag dieser Tage ungewöhnliche erzählerische Dichte und verwendeten Sprachbilder gehören zu den wenigen frühen Glanzleistungen des Magazins. Dennoch konnte eine Anfangskrise der Organisation nicht abgewendet werden. Die Mitgliederzahl stieg zwar nach einem Jahrzehnt ihres Bestehens von 209 auf nahezu 1.400 Mitglieder an, trotzdem konnte sich die Gesellschaft nicht weit genug über ihr lokales Umfeld hinaus entwickeln. Drei Viertel aller Mitglieder stammten aus Washington, D. C., und Umgebung47. Während der Abschlussbericht des Schatzmeisters am Ende des Gründungsjahres der National Geographic Society noch ein Vermögen von 626,70 US-Dollar bescheinigte,48 kam die Organisation nun zunehmend in ernsthafte finanzielle Bedrängnis.

Die Herausgabe eines anspruchsvollen Magazins, das in Art und Weise ein breites Publikum ansprach und sich finanziell trug, bedurfte neuer Ideen und mutiger Menschen, die sie umsetzen konnten. Der Tod Gardiner Greene Hubbards am 11. Dezember 1897 besiegelte die Krise der Gesellschaft endgültig. Sie bot aber zugleich die Chance eines Neuanfangs. Neuer Schwung, neue Mitglieder und neues Personal mussten her. Die beiden Männer, die das drohende frühe Ende abwenden sollten, waren so unerfahren wie ungewöhnlich. Der Eine sorgte eher durch den Streit um die Erfindung des Telefons für Schlagzeilen als sich durch seine geografischen Interessen hervorzutun. Der Andere gelangte nur auf Empfehlung seines einflussreichen Vaters an den ersten bezahlten Arbeitsplatz bei der National Geographic Society. Die Männer hießen Alexander Graham Bell und Gilbert Hovey Grosvenor.

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