Читать книгу Margarethe oder Die Schönheit der Farbe Weiß - Tobias Haarburger - Страница 5

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Kapitel 2

Margarethe und Serge trafen sich wie verabredet an einem Eingang der Kunstmesse. Sie grüßte Serge trocken, der sie eigentlich nach französischer Art zur Begrüßung hatte küssen wollen, den Gedanken aber verwarf, als er Margarethes abwehrende Miene wahrnahm.

Während sie auf den Eingang zugingen, musterte Margarethe sein Äußeres. Serge trug eine Jeans und seine Lederjacke. Er hatte eine Umhängetasche aus Stoff dabei, die nach unten hing und beim Gehen störte, was er aber nicht weiter zu beachten schien. Außerdem trug er dieselben abgewetzten Schuhe, die er auch schon vor zwei Tagen getragen hatte. – Margarethe trug eine weiße Bluse und einen blauen Blazer. Beides gehörte zu ihrer immer gleichen Kollektion Arbeitskleidung. Dazu hatte sie eine etwas ältlich aussehende Jeanshose angezogen, die aus einer Kommode aufgetaucht war. Sie trug schwarze Schuhe mit etwas höheren Absätzen. Eine Handtasche oder einen Rucksack hatte sie nie dabei. Sie steckte ihr Portemonnaie in eine Hosentasche und den Schlüsselbund in die andere.

Ohne ein weiteres Wort an Serge zu richten, ging Margarethe in das Gebäude hinein und kaufte eine Eintrittskarte für sich. Serge folgt ihr mit etwas Abstand nach. Da Margarethe beharrlich schwieg, wurde Serge beklommen zumute.

Sie betraten die erste Halle. Serge bekam Zweifel, dass Margarethes Grund, die Messe besuchen, der war, mit ihm zusammen sein zu wollen. Dass er überhaupt daran gedacht hatte, dass Margarethe ein Interesse an ihm haben könnten, war wohl tatsächlich ziemlich töricht.

Die einzelnen Ausstellungsstände waren in verschiedenen Größen zugeschnitten. Die meisten Stände waren eher klein und boten Platz für drei oder vier Exponate an den Wänden. Die Aufbauten der Stände bestanden aus einfach verbundenen weißen Wänden. Insgesamt war alles weit und offen und man hatte nicht das Gefühl, überhaupt einen bestimmten Stand zu betreten, so verwoben schienen sie miteinander zu sein.

Moderne Kunst kannte keine eigenen Merkmale. Bunt mit glatten glänzenden Oberflächen ließ sich eine Zeit lang gut verkaufen, im Übrigen bestand die Kunst nicht in den Werken selbst, sondern darin, sie mit gelenkigen Worten einem höheren Etwas zuzuführen, einem höheren ideellen Zweck oder Appell. Das konnte Protest oder Lob sein, Übersinnliches oder etwas die Psyche des Menschen Ansprechendes. Diese Worte sich auszudenken war eine hohe, war die wahre Kunst, denn praktisch alles, was gezeigt wurde, hatte keinen Sinn aus sich heraus. Es war meistens naiv, was gut in die Zeit passte, oder hatte irgendwelche Formen, bei deren Betrachtung man das Gefühl bekam, sie irgendwo schon einmal gesehen zu haben.

Der Umsatz im weltweiten Kunsthandel betrug in den letzten Jahren fast siebzig Milliarden Dollar. Auf dieser Messe ging es sowohl um kleine bedeutungslose Beträge als auch um viele Millionen für ein einziges Exponat, das auch von einem zeitgenössischen Künstler sein konnte. Es gab wohl im Wirtschaftsleben kein anderes Gebiet, bei dem Angebot und Nachfrage so freischwebend und ohne Fundament waren beziehungsweise irgendeine Substanz zu erkennen war. Der Kunsthandel hatte eine Art von Ehrlichkeit, wie man sie woanders kaum finden würde. Die Preise richteten sich genau nach dem, was man vor sich hatte. Natürlich gab es Fälschungen und Nachahmer, was bisweilen ärgerlich sein konnte, doch focht das die meisten nicht an. Eine Fälschung musste man stillschweigend weiterverkaufen, was man mit der Hilfe eines wohlgesinnten Gutachters auch hinbekam, und die Nachahmer sah man auf den ersten Blick, jedenfalls wenn man Sachverstand hatte, was die meisten Besucher für sich in Anspruch nahmen.

Die Größe der Exponate spielte insofern eine Rolle, dass sehr groß automatisch für teurer stand. Es gab Exponate, die hatten einen hohen Materialwert. So hatte sich ein Künstler, der sich Dmitri Wolkow nannte, darauf spezialisiert, aus Holz Tiere zu fertigen beziehungsweise diese mit Sägen und allerlei Schnitzwerkzeug zu formen, um sie dann mit Blattgold zu überziehen. Da die Tiere sehr groß waren – eines maß mindestens zwei Meter in der Länge oder Höhe, gleich welcher Gattung es war –, kamen schnell einige Gramm Blattgold zusammen. Man hatte Dmitri Wolkow eine Legende gegeben, nämlich dass er aus einem kleinen russischen Dorf nahe der finnischen Grenze stamme, dort das erste Gold selbst gefunden habe und ihm dabei die Idee gekommen sei, es nicht zu verkaufen, sondern künstlerisch zu verarbeiten. Für eine Messe und schon gar nicht für eine so noble, wie die in Frankfurt, war das Werk nicht bestimmt. Der Künstler wollte es bescheiden im Kreishaus seiner Gemeinde ausstellen und so seine Verbundenheit mit seiner Heimat zeigen. Der Zufall wollte es, dass ein westlicher Holzaufkäufer gerade an dem Tag in dem Kraushaus zu tun hatte, als es dort unter viel Beifall installiert wurde. Er bot einen Preis, dem weder der Kreissekretär noch der Künstler selbst widerstehen konnten. Der Holzaufkäufer verbrachte es zu einem sehr vornehmen Kunsthändler nach Frankfurt. – Diese Geschichte ließ nicht mehr als ein müdes Lächeln auf den Gesichtern der Zuhörer erscheinen, aber immerhin enthielt die Anekdote eine altruistische Komponente und maß so dem Werk einen gewissen ideellen Wert bei. Dmitri Wolkow wohnte allerdings nicht an der finnischen Grenze, sondern in Frankfurt-Niederrad und hieß Kurt-Georg Krause. Herr Krause hatte immerhin Kunst studiert und beherrschte leidlich die notwendige geschnörkelte Sprache, die in der Branche gesprochen werden musste. Der Erfolg initiierte eine größere Produktion recht ähnlicher Exponate, die allesamt für viel Geld verkauft wurden. Man produzierte vor allem für den Export nach Asien, da man in Europa bedauerlicherweise mit einer häufigen Vervielfältigung gleichgesetzt wurde. – Das war nicht ganz falsch. Man hatte die Herstellung mit einer CNC-Fräsmaschine automatisiert, um Produktionskosten einzusparen und mindestens fünf Exponate an einem Tag herstellen zu können.

Margarethe fiel der Stand sofort auf und sie ging zielgerichtet auf ihn zu. Serge folgte ihr etwas mürrisch werdend mit einigem Abstand. Eigentlich hätte er sich lieber mit Margarethe in eine stille Ecke gesetzt, um nach ihrer Hand zu greifen. Er wusste nicht, was Margarethe vorhatte oder was sie interessieren könnte. Tatsächlich jedoch weckten Luxus und teure Dingen bei ihr sofort Assoziationen mit Steuerfragen.

An dem Stand befanden sich zwei Personen zur Betreuung der Kunden: eine Dame mittleren Alters, die einen schwarzen Pullover mit einer Kette aus dicken hölzernen Kugeln und einen irgendwie nicht zu dem Anlass passenden ökologisch anmutenden wollenen Rock trug, sowie einen Herrn, etwa Mitte fünfzig, dessen Haar sorgsam nach hinten gegelt war. Er trug eine dunkelrote Cordhose, ein braunes Sakko und eine hellgelbe Krawatte. Seine rechte Hand zierte ein dunkler Siegelring und an der linken trug er einen zweiten, auf dem ein heller Stein funkelte, der in eine besonders große goldene Fassung eingearbeitet war.

Margarethe, die es nicht gewohnt war, auf verbindliche Art ein Gespräch zu beginnen, ging auf den Herrn zu und fragte ihn von der Seite kommend, was der vergoldete Luchs – dieses Tier hatte man für den Tag ausgewählt – kosten solle.

Der Herr wandte sich verdutzt zu ihr um. Er musterte sie kurz, hielt sie offensichtlich für eine gänzlich unbedarfte Person, die er nicht als Kundin gewinnen könnte, und antwortete von oben herab kurz, dass das Exponat unbezahlbar wäre.

»Warum stellen Sie es dann aus?«, fragte Margarethe, die herablassende Ironie des Mannes ignorierend.

Der Verkäufer besann sich eines Besseren und sagte, das Exponat koste einhundertfünfzehntausend Euro. »Ist das zu viel für Sie?«, verfiel er wieder in seine Überheblichkeit.

»Das ist zu viel für Sie«, erwiderte Margarethe und wandte sich ab.

»Bitte warten Sie«, sagte der Verkäufer. »Ich habe mir einen Scherz erlaubt.« Als er das sagte, rieb er sich die Hände.

»Einen Scherz, so?« Margarethe ging an dem Verkäufer vorbei und trat, um ihr Interesse zu bekunden, an das Exponat heran. »Wie kommen Sie auf den Preis?« Sie besah sich das Werk noch genauer. »Wie hoch ist der Materialwert?«

Serge blieb abseits stehen, beobachtete Margarethe und vergrub seine Hände in den Hosentaschen.

»Gut, ich will offen sein«, sagte der Verkäufer, was wohl als Wiedergutmachung gedacht war, und sagte, der Materialwert läge bei der Hälfte, also etwa fünfundsiebzigtausend Euro. Dann verschränkte er die Arme vor der Brust und trat auf die andere Seite des Luchses.

»Für den Materialwert plus zwanzig Prozent hätte ich Interesse«, sagte Margarethe und nahm dafür kurz ihren Blick von dem Tier.

Der Verkäufer sah sie verdutzt an. »Einen solchen Preisnachlass können wir leider nicht geben«, antwortete er indigniert und sprach die letzten Worte mit einem nasal werdenden dünkelhaften Ton.

Margarethe untersuchte das Exponat genau. Es schien eine saubere Arbeit zu sein. Die Güte des Blattgoldes konnte sie gleichwohl nicht beurteilen. »Führen Sie auch Schwäne und Enten?«, fragte sie. »Ein Schwan würde gut in mein Badezimmer passen. Dort ist noch reichlich Platz.«

Der Verkäufer war es gewohnt, mit verschrobenen Kunden zu reden. Er blieb ernst und antwortete: »Im Moment führen wir weder Schwäne noch Enten. Ich kann aber nachfragen, ob sich das machen lässt.«

»Ja, fragen Sie bitte nach. Ansonsten würde ich mich für den Luchs interessieren.« Obwohl sie nicht den geringsten Humor besaß, fand Margarethe einen Gefallen an der grotesk werdenden Unterhaltung.

»Wir können an dem Preis wie gesagt leider nicht viel machen«, wiederholte der Verkäufer.

»Ich verstehe«, sagte Margarethe, »ich gehe jetzt eine Runde und komme dann zurück. Sie können es sich ja noch überlegen.« Damit ließ sie den Mann stehen und sah sich nach Serge um. »Mal sehen, was für Bedingungen er noch anbietet, wenn wir zurückkommen «, flüsterte sie ihm zu.

»Bedingungen? Was meinst du?«

»Du wirst es sehen. Schwäne und Enten führen sie übrigens derzeit nicht.«

Sie gingen auf ein Café zu, das sich an einem der Ausgänge der Halle befand. Serge fragte Margarethe, was sie haben wolle, und kümmerte sich um Kaffee und Kuchen.

Als sie nach einer Weile beides verzehrt hatten, sagte Serge: »Weißt du, ich finde dich sehr nett.« Er griff nach Margarethes Hand.

Margarethe zog sie grob zurück.

»Bist du nicht Single?«, fragte Serge.

Margrethe, die eben noch so gut gelaunt war, verfiel in eine kühle Pose. Eine derart persönliche Frage und diese Annäherung erbosten sie. »Ich habe kein Interesse an so etwas. Ich mag vor allem nicht, dass man mich anfasst.« Sie blickte Serge mit finsterer Miene an. »Lass uns aufstehen. Ich möchte noch einmal zu dem Stand gehen, bei dem wir vorhin waren.« Erst während sie sich erhob, wurde ihr klar, dass sie auf den plumpen Übergang zum Du hereingefallen war. Wenn die unverschämte Provokation des Berührens der Ablenkung diente, war das ein recht beachtliches Manöver, wie sie Serge zugestehen musste.

Serge war nicht in der Lage, die Endgültigkeit in Margarethes Zurückweisung zu verstehen, auch ohne das Entgegenkommen in der Du-Sache. Er dachte noch immer, weil sie ihn angerufen und zum Besuch der Messe eingeladen hatte, müsste sie ein ausreichendes Interesse an ihm haben. Wie es manchmal bei ihm vorkam, entwickelte er eine Begierde nach einer, nach dieser Frau, die seinen Verstand deutlich einschränkte. »Romantik ist wohl nicht deine Sache«, sagte er und fügte hinzu: »Ich finde dich sehr anziehend.« Er sah sie mit einem Blick an, der sein Begehren fordernd ausdrückte.

»Du weißt nicht, wovon du redest. Wenn du nicht weißt, was du mit deinem Leben anfangen sollst, bin ich ganz sicher die Falsche, die dir helfen könnte.«

Serge erschrak. Konnte sie seine Gedanken lesen?

»Du suchst eine Mutter, das bin ich mit Sicherheit nicht.« Sie ging, ohne sich weiter um Serge zu kümmern, in die Richtung des Standes. Dass sie überhaupt ein so persönliches, ja, intimes Gespräch führen musste, erboste sie nun doch so sehr, sodass sie fast bezüglich des Dus einen Rückzieher gemacht hätte, aber dafür war es nun zu spät, ohne sich weiterer Peinlichkeit auszusetzen. Ach, sie hätte alleine kommen sollen!

Serge war unentschlossen, ob er ihr folgen sollte, tat es aber dann doch.

Kurze Zeit später standen sie gemeinsam vor dem Herrn mit dem gegelten Haar.

»Also nehmen wir an, ich bezahle, sagen wir mal hunderttausend Euro«, nahm Margarethe das Gespräch ohne Umschweife wieder auf, »wie könnten Sie mir entgegenkommen? Wie ist das mit den Steuern zum Beispiel, ich muss doch bestimmt Mehrwertsteuer bezahlen – kann ich das Exponat mit Gewinn verkaufen oder wird dann Einkommensteuer fällig?«

»Ähem«, räusperte sich der Verkäufer, denn es standen andere Besucher neben ihnen. »Am besten wir besprechen das da drüben.« Er wies auf eine kleine Sitzgruppe.

Die Dame mit der Perlenkette kam herüber und fragte Margarethe und Serge, ob sie etwas trinken wollten.

»Nein, nichts«, antwortet Margrethe knapp für sie beide.

»Künstler, die an Privatleute verkaufen, müssen sieben Prozent Umsatzsteuer abführen«, begann der Verkäufer auszuführen. »Sie als Privatperson natürlich nicht, wenn sie das Exponat wieder verkaufen. Der Künstler wird aber die sieben Prozent auf seinen Verkaufspreis aufschlagen. Es gibt da einige Möglichkeiten …«, der Mann senkte seine Stimme und beugte sich Margarethe und Serge entgegen. »Verkauft man ein Kunstobjekt aus dem Privatbesitz, muss man dann Steuern zahlen, wenn es sich um ein sogenanntes Veräußerungsgeschäft handelt. Es gibt eine Freigrenze bis sechshundert Euro. Verkauft man das Exponat innerhalb eines Jahres und liegt der Gewinn über diesen sechshundert Euro, dann fällt die Einkommenssteuer an.«

Margarethe und Serge hörten aufmerksam zu.

»Es gibt aber eine Lösung, wie für alles. Wer kauft schon Kunst, um sie nicht mit Gewinn zu verkaufen?«, raunte der Mann. »Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen ist, aber viele Kunden haben Bargeld, das sie in den Kreislauf zurückbringen wollen. Ähem, Sie verstehen. Hierfür bieten wir eine Dienstleistung an. Wir verkaufen ein Exponat, sagen wir, den goldenen Luchs«, dabei zwinkerte er Margarethe vertraulich zu, »und nach einem Jahr nehmen wir das Objekt zurück. Sie bekommen Ihr Geld und es ist, sagen wir, gesäubert. Der erste Kaufvertrag wird um zehn Jahre zurückdatiert. Der zweite Vertrag wird mit Handschlag vereinbart. Dafür fällt eine Provision von zehn Prozent an. Wäre das was für sie?« Er sah Margarethe an, die den Blick unbewegt erwiderte. »Eine andere Möglichkeit wäre, dass der Verkäufer anbietet, die Skulptur zu einem sehr hohen Preis auf dem Papier zu verkaufen. Sie können das als Betriebsausgaben geltend machen. Als Künstler muss ein nicht anerkannter Künstler eingesetzt werden. Das spielt eine Rolle bei der Frage, ob die Einkommensteuer fällig wird, und ist wichtig. Wie gesagt, die Preise sind bei Kunstgegenständen ja fließend. Ein Objekt kann mit zehntausend oder hunderttausend Euro veranschlagt werden – in die eine oder in die andere Richtung. So lässt sich im Übrigen auch das Problem mit der Umsatzsteuer lösen. Dazu kommt: Für importierte Kunst kann ein reduzierter Mehrwertsteuersatz berechnet werden. In dem Falle wäre das Exponat natürlich importiert. Das sind die Möglichkeiten, die wir haben«, schloss er seine Erläuterungen und lehnte sich, Margarethes Reaktion taxierend, in seinem Sessel zurück.

Margarethe war etwas erstaunt, wie routiniert und selbstverständlich dieses heikle Thema besprochen wurde. Aber das musste wohl so sein, sagte sie sich. Die hohe Nachfrage im Kunsthandel ging mit Sicherheit auf diese Möglichkeiten der Geldwäsche zurück. Die Methoden waren wahrscheinlich so selbstverständlich, dass man mehr oder weniger offen darüber sprach.

»Ich nehme diesen Flyer mit«, sagte Margarethe, »ich will es mir überlegen. Vor allem die Sache mit der Rückführung in den legalen Geldkreislauf gefällt mir.«

Man verabschiedete sich freundlich und Margarethe überlegte, ob sie es bei einem anderen Kunsthändler ebenfalls versuchen sollte.

Serge hatte die Ausführungen mit großem Interesse zur Kenntnis genommen und tauschte vor dem Gehen mit dem Verkäufer die Visitenkarten aus.

Sie gingen in eine andere Halle und sprachen dort bei einer Galerie vor, die einen sehr großen Stand hatte und sehr bekannt war. Die Verkäuferin bat sie in einen kleinen geschlossenen Raum und nannte die Bedingungen für alle Lösungen. Es müsse sich allerdings um einen Betrag von mindestens einer Million Euro handeln. Serge ließ sich auch von dieser Frau die Karte geben.

Sie schlenderten durch zwei weitere Hallen.

»Dort drüben sind Auktionen, lass uns dort hingehen «, sagte Margarethe.

Der Raum war durch eine Glaswand abgeteilt. Margarethe öffnete vorsichtig die Tür und sie setzten sich in eine der vorderen Reihen. Es wurden Gemälde von zeitgenössischen Künstlern angeboten. Man begann mit zehntausend Euro als Basispreis und das Publikum bot engagiert mit, sodass nicht selten über einhunderttausend Euro erzielt wurden.

»Das müsste mir einmal passieren«, flüsterte Serge Margarethe zu.

Sie hatte sich in den Katalog vertieft und nickte zustimmend, ohne aufzusehen. Welchen Sinn hat so eine enorme Preissteigerung?, fragte sie sich. Es konnte nur mit der Methode zu tun haben, die der Verkäufer vorhin beschrieben hatte. Demnach mussten aber der Käufer und der Kunsthändler zusammenarbeiten. Ging das auf einer Auktion so einfach? Natürlich war es ein guter Weg, die ganze Sache zu verschleiern.

Als Nächstes wurde ein Gemälde aufgerufen, das sechs bunte Kreise auf blauem Untergrund zeigte. Margarethe musste lächeln, als sie hörte, wie der Auktionator zwölftausend Euro als Anfangsgebot ausrief. Es boten nur drei Interessenten, die aber steigerten den Preis auf neunzigtausend Euro, was für Margarethe nicht den geringsten Sinn ergab.

Sie sah in den Katalog, wer der Kunsthändler war. Er hatte einen Stand auf der Messe. Margarethe gab Serge zu verstehen, dass sie dort hinwolle, und stand ohne weitere Erklärungen auf.

In der Halle, in der jener Kunsthändler ausstellte, nahm sie das Gespräch auf, indem sie direkt sagte, dass sie gerne Bargeld anlegen würde und was man ihr da raten könne. Margarethe hörte den Erklärungen genau zu. Nach einer Weile kam sie auf die Methode des Rückkaufes, also des Waschens investierten Kapitals zu sprechen, ob man so etwas machen würde. »Sicher«, bestätigte man mit größter Selbstverständlichkeit.

So war das also. Der Kunsthandel diente der Geldwäsche des Bürgertums.

Sie wandte sich an Serge und sagte, sie würde sich wirklich freuen, dass sie zusammen hergekommen waren. »Hast du eigentlich hin und wieder eine Steuerprüfung«, fragte sie ihn.

»Sicher«, antwortete er, »die Prüfung war schon«, was aber gelogen war. Serge hatte seine Webseite erst seit zwei Jahren aktiviert. Er ging außerdem davon aus, dass die Steuerprüfer einen so kleinen Fisch wie ihn in Ruhe lassen würde, und hatte das Thema bisher verdrängt.

Sie schlenderten weiter und Margarethe kaufte schließlich an einem kleinen Stand ein Poster, das sehr schön in ihr Wohnzimmer passen würde.

Sie fragte sich, welche speziellen Bedingungen wohl Serge anbieten würde. Es floss so viel Geld in den internationalen Kunsthandel. Seine Idee, eine Onlinegalerie zu betreiben, fand sie angesichts des Kapitals, das diesen Markt ausmachte, sehr gut. Er stand am Anfang und konnte das Geschäft entwickeln. Vielleicht hatte er doch eine clevere Seite und sie unterschätzte ihn.

Als sie sich verabschiedeten, fragte sie Serge, ob er als Experte für Datensicherheit für sie arbeiten wolle. Sie könne noch nicht genau sagen, was er tun solle, aber ihr Arbeitgeber würde ihn gut bezahlen.

Er fragte sich, wer ihr Arbeitgeber war, wollte sich aber nicht schon wieder eine Abfuhr holen. Sie würde es ihm schon sagen, dachte er resigniert. Man würde sich jedenfalls wiedersehen und vielleicht konnte er das Eis bei ihr doch noch brechen.

Margrethe hatte an diesem Tag viel gelernt. Mit der Ehrlichkeit der Menschen war es nicht weit her. Sie nahmen, was sie kriegen konnten. Hatten sie keine moralischen Bedenken? – Das Bürgertum, das den Staat auf seinen Schultern trug? Regeln galten wohl nur für andere. Bei den Immobilienfonds war es vermutlich ebenso und sie dienten vor allem der Geldwäsche. Wie konnte eine Gesellschaft überhaupt funktionieren, wenn sich so wenige Menschen an die Gesetze hielten?

Es funktionierte deshalb, sagte sie sich, weil der Staat das Fehlverhalten sanktionierte und als korrektiv fungierte, befand sie. Manche würden aus Angst vor der Strafe von solchen Geschäften Abstand nehmen, andere es trotzdem machen, auch weil sie sich damit brüsten könnten, ihr Geld steuerfrei vermehrt zu haben. Wie viele Freiberufler, Hoteliers, Gastronomen, Künstler und andere hatten Bargeldeinnahmen?

Sie hatte den richtigen Beruf gewählt, sagte sie sich. Zu Ästhetik, Farben und Formen hatte sie keinen Zugang. In ihrer Wohnung gab es keine Blumen oder Grünpflanzen. An den Wänden hingen Drucke, nur damit dort etwas zu sehen war, sie hätten auch kahl bleiben können. Margarethe führte im Grunde ein einfaches Leben. Sie hatte keine Freunde und als einziges Interesse pflegte sie die Rechtsgeschichte, die ihr allerdings viel bedeutete.

Und Serge? Er war nett und sah gut aus und ohne ihn wäre sie nicht zu der Messe gekommen. Es konnte wohl doch nützlich sein, sich mit anderen Menschen auszutauschen. Sie würde mit ihm in Kontakt bleiben.

Nach Ostern würde sie nach Cambridge reisen. Ihr blieben noch einige Tage, um neue Möbel zu suchen und weitere Einkäufe zu machen.

Sie wollte auch jeden Tag laufen gehen. Es war immer dieselbe Strecke. Sie mochte es nicht, von Gewohnheiten abzuweichen, wobei das eine harmlose Beschreibung war. Es war durchaus so, dass sie einem Zwang unterlag, von einmal festgelegten Abläufen nicht mehr abzuweichen. Diesen Zwang spürte sie, hatte aber auch das Gefühl, diese Neigung im Griff behalten zu können. Sie machte sich keine Sorgen um ihre psychische Konstitution, obwohl ihr klar war, dass sie daran leiden könnte, sollten Ausprägungen in eine bestimmte Richtung kippen. Ihre Selbstkontrolle musste sie davor bewahren.

Margarethe oder Die Schönheit der Farbe Weiß

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