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ОглавлениеUrs Kiener
Wer sind die Studierenden an Fachhochschulen? Hinweise auf eine zunehmende Vielfalt
Einführung von Vera Luginbühl
Die Frage nach der Bildungsherkunft und -laufbahn der eigenen Studierenden ist für alle Dozierenden zentral. Die Vorkenntnisse, die Lernkultur, das Interesse und die Motivation der Studierenden ergeben praktische Konsequenzen für den eigenen Unterricht. Urs Kiener fasst im nachfolgenden Artikel in kompakter Art und Weise die wichtigsten statistischen Kennzahlen und Fakten in Bezug auf die Fachhochschulstudierenden zusammen und gibt spannende Einblicke und Interpretationen, was die Zahlen bedeuten könnten.
Im naturwissenschaftlich geprägten Studiengang Biotechnologie, in dem ich selbst unterrichte, zeigt sich eine ähnliche Tendenz, wie von Urs Kiener beschrieben: So nimmt die Zahl der Studierenden mit einer klassischen Laborausbildung eher ab, dafür haben wir mehr Studierende aus technischen Berufen, aus Gesundheitsberufen oder mit gymnasialer Matur. Was aber sagen die Durchschnittswerte über die eigenen Studierenden aus? Wie kann ich dieser zunehmenden Vielfalt im Unterricht begegnen und gerecht werden? Neue Lehr- und Lernformen sind gefragt, die in verschiedenen Lernarrangements multidisziplinäres und individuelles Lernen ermöglichen. Erstaunt haben mich die Daten zu den hohen Erwerbstätigkeitsquoten. Studium und gleichzeitige Erwerbstätigkeit können eine wertvolle Bereicherung sein. Übersteigt aber das zeitliche und emotionale Engagement für berufliche Tätigkeiten gewisse Grenzen, können sich die Studierenden nicht mehr auf ihr Studium fokussieren, und das Leistungspotenzial wird nicht ausgeschöpft. Wenn immer möglich, versuchen wir deshalb, Studierende für anfallende Arbeiten in unsere institutionellen Arbeitsbereiche einzubinden. Nicht nur die Arbeitswelt ist vernetzter und komplexer geworden, sondern auch die Bildungswelt. Als Lehrpersonen müssen wir uns diesen Herausforderungen stellen, aber auch die Chancen nutzen, die sich ergeben.
Vera Luginbühl, Prof. Dr. sc. nat., dipl. pharm. ETH, arbeitet an der ZHAW als Dozentin und Forschungsleiterin im Institut für Biotechnologie in Wädenswil. Arbeitsschwerpunkte: Formulierung von innovativen Arzneiformen, Mikroverkapselung und nanopartikuläre Drug-Delivery-Systeme, wirkstoffbeladene Implantate zur Knochenregeneration, zellbasierte fotodynamische Therapie bei Hirntumoren.
Einleitung
«Der Eintritt in die Fachhochschule führt über die Berufsmatur.» Das ist verbreiteter common sense (und war politisches Programm) – entspricht es auch der Wirklichkeit? Und: Spielt es eine Rolle, ob die Aussage zutrifft oder nicht? Spielt es eine Rolle, ob es Personen wie Dragana sind, die mit fünf Jahren in die Schweiz immigriert ist und unmittelbar nach Berufslehre und Berufsmatur den Studiengang X belegt, um eine ins Auge gefasste berufliche Position zu erreichen? Oder ob es Personen wie Florian sind, der nach einer gymnasialen Matur, einem Jahr Zwischenlösungen, einem Semester an einer Universität und dann nach einer obligatorischen einjährigen beruflichen Praxis in den Studiengang X eintritt?
Traditionell ging das Bildungssystem davon aus, dass die gemeinsamen (oder als «äquivalent» eingeschätzten) Erfahrungen im Bildungssystem für die Bildungslaufbahn relevanter sind als alle Unterschiede zwischen den Lernenden/Studierenden. Dabei war es hilfreich, sich auf stille bzw. implizite Annahmen über Lernende und Studierende zu verlassen (und verlassen zu können). In den letzten Jahrzehnten aber haben zwei Entwicklungen diese Sichtweise zunehmend infrage gestellt:
1. Eine wachsende Diversität der Studierenden: Die Expansion des Bildungssystems und die gestiegene Durchlässigkeit, die Modularisierung und damit die Lockerung fixer zeitlicher Abfolgen von Bildungsbausteinen haben dazu geführt, dass die Individuen immer weniger vorgegebene Programme durchlaufen können und wollen, sondern sich individuelle Laufbahnen und Biografien schaffen müssen und dürfen.
2. Eine Sichtweise auf das Lernen, welche informellen Prozessen eine grosse Bedeutung zumisst: Gemäss dieser Sichtweise ist es für die Steuerung des Lernens wichtig, in den Studierenden mehr zu sehen als bloss aktuell studierende Personen, weil nämlich ihre Lebensgeschichte sowie parallele Tätigkeiten und Rollen ihr Lernen beeinflussen.
Dieser Beitrag thematisiert weder die Diskussion um das informelle Lernen noch die Entwicklung der Studierendendiversität. Er versucht stattdessen, einige ausgewählte Antworten auf die Frage zu geben, wer bzw. wie die Studierenden an Fachhochschulen heute sind.1 Und er versucht am Schluss, einige Aspekte der zukünftigen Entwicklung zu skizzieren und zu diskutieren.
Die Fachbereiche
Bevor man über die Studierenden der Fachhochschulen spricht, muss man die Heterogenität der Fachhochschulen beachten. Die angebotenen Fachbereiche unterscheiden sich in zentralen Punkten.
Die Gruppe der sogenannten «alten» Fachbereiche Technik, Wirtschaft, Design (TWD) ist stark mit der dualen Berufsbildung verbunden: Diese Fachbereiche bauen traditionellerweise auf Berufslehren auf und werden durch die Instanzen der Berufsbildung (BBT) gesteuert. Die sogenannten «neuen» Fachbereiche Gesundheit, Soziales, Kunst (GSK) hingegen gehören zu einem traditionell alternativ strukturierten berufsvorbereitenden Bildungsbereich: einem Bereich von allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe II (Diplom- bzw. Fachmittelschulen, Gymnasien) und höheren Fachschulen, der von den Instanzen der Allgemeinbildung (Kantone, EDK) gesteuert wurde. In diesen Bereichen gibt es keine Tradition der Berufslehren – diese wurden erst in den 1990er-Jahren eingeführt. Ein weiterer Unterschied betrifft die Beziehung zwischen Ausbildung und Person der Studierenden. In den TWD-Bereichen genügt meist der formelle Zulassungsausweis, um in Studiengänge aufgenommen zu werden, in den GSK-Bereichen spielen zusätzlich Eignungs- und Motivationsaspekte, die oft in elaborierten Aufnahmeverfahren überprüft werden, eine grosse Rolle. Hier genügt der formelle Zulassungsausweis nicht. Die Fachhochschulstudiengänge, die professionsspezifische Aspekte aufweisen, enthalten alle auch inhaltliche Elemente (Reflexionsphasen, Supervision usw.), welche die Beziehung zwischen Person der Studierenden und späterer Tätigkeit thematisieren. Sehr oft besteht hier zudem ein klar beschränktes Studienplatzangebot.
Die Lehrkräfteausbildung (Pädagogische Hochschulen PH) – in einigen Klassifikationen den Fachhochschulen zugeschlagen, in anderen als selbstständiger Hochschultyp geführt – bilden einen dritten Bereich, der kaum etwas mit der Berufsbildung zu tun hat.
Die folgende Abbildung zeigt die Grössenverhältnisse der Fachbereiche und die jeweiligen Anteile von weiblichen und ausländischen Studierenden (im Anhang auf S. 28 findet sich die Tabelle mit den Werten zur Grafik).
Abbildung 1 Studierende im Diplom-, Bachelor- und Masterstudium an Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen nach Fachbereich (Anzahl absolut), Frauen- und Ausländer/innen-Anteil, 2010/11. Quelle: BFS 2011b, S.16
Deutlich ist die unterschiedliche geschlechterspezifische Prägung der Fachbereiche: Der TWD-Bereich wird überwiegend von Männern belegt, der GSK-Bereich und die Lehrkräfteausbildung überwiegend von Frauen.
Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit sind stark im Fachbereich Musik, Theater und andere Künste vertreten.
Das Durchschnittsalter beim Eintritt in die Bachelorstufe liegt bei 23,2 Jahren. Mit Ausnahme zweier Fachbereiche streut das Durchschnittsalter nach Fachbereich wenig (22,1 Jahre in der Lehrkräfteausbildung bis 23,8 Jahre im Fachbereich Sport), in den beiden Ausnahmen jedoch beträgt es 30,9 (Angewandte Psychologie) respektive 25,3 Jahre (Soziale Arbeit) (BFS 2010a, S. 16 f.).
Exkurs: Zu den Studierenden auf Weiterbildungsstufe
In den Bildungsstatistiken über die Studierenden an den FH/PH (BFS 2011b) meint «Weiterbildungsstufe» Master of Advanced Studies MAS und Executive Master of Business Administration EMBA, also Studiengänge mit mindestens 60 ECTS-Punkten. Studierende aller anderen Weiterbildungsformen sind nicht erfasst. 98 % der Studierenden in MAS- und EMBA-Studiengängen besuchen einen berufsbegleitenden Studiengang. Der Frauenanteil beträgt 34 % und ist damit wesentlich geringer als auf der Bachelorstufe (52 %). 16 % sind ausländische Staatsangehörige.
Es ist problematisch, die Weiterbildungs- mit den Bachelor- und Masterstudierenden zu vergleichen, weil die MAS- und EMBA-Angebote nicht gleichmässig auf die Fachbereiche verteilt sind. Wegen der grossen Heterogenität der Lebenssituation dieser Studierenden werden sie in der Sozialerhebung (BFS 2010a) nicht berücksichtigt.
Vor dem Studium
Bildungslaufbahnen vor Studienbeginn
Abbildung 2 auf Seite 19 zeigt die sehr unterschiedliche Bedeutung der Zulassungsausweise je Fachbereichsgruppe.
Den jeweils grössten Anteil haben im TWD-Bereich die Berufsmatur mit 58 %, im GSK-Bereich und in den PH die gymnasiale Matur mit 30 % respektive 62 %. Die Fachmatur spielt für den GSK- und den PH-Bereich mit je ca. 10 % eine gewisse Rolle. Die ausländischen Ausweise (vgl. dazu unten mehr) liegen für alle drei Fachbereichsgruppen in einer ähnlichen Grössenordnung (9 bis 13 %). Interessant sind die Anteile der sogenannten «anderen schweizerischen Ausweise», zu denen Diplome wie eidgenössische Berufsprüfungen und höhere Fachprüfungen und Diplome höherer Fachschulen u. a. gehören, aber auch die Zulassung durch die FH auf der Basis eines Dossiers und die vollständige Aufnahmeprüfung durch die FH. Diese Restkategorie der «anderen schweizerischen Ausweise» beträgt je nach Fachbereich immerhin 11 % bis 25 %.
Abbildung 2 Eintritte in die Fachhochschulen nach Typ der Fachhochschule und Zulassungsausweis, 2010/11. Quelle: BFS 2011a, S. 33
Man kann diese Daten aus unterschiedlicher Perspektive unterschiedlich interpretieren: zum Beispiel als Beleg dafür, dass die Berufsmatur tatsächlich den Normalzugang zu den quantitativ bedeutsamsten Fachbereichen bildet, oder umgekehrt als Beleg dafür, dass sogar im TWD-Bereich nur drei von fünf Studierenden eine Berufsmatur mitbringen.
Bei diesen gesamtschweizerischen Daten ist übrigens die unterschiedliche Verteilung der Lernenden auf der Sekundarstufe II nach Sprachregion zu berücksichtigen. Im Tessin und in der Westschweiz ist der Anteil der gymnasialen Matur an einem Altersjahrgang seit Langem wesentlich höher als in der Deutschschweiz.
Von bildungspolitischem Interesse ist vor allem das Verhältnis von Berufsmatur zu gymnasialer Matur. Offensichtlich handelt es sich dabei um weit mehr als um den Unterschied zweier Maturtypen. Die Berufsmatur als Studierbefähigung erwirbt man parallel zum Erwerb der Berufsbefähigung in einer Berufslehre. Mit anderen Worten: Seit dem Alter von 16 Jahren bewegt man sich in einem eingegrenzten Tätigkeitsgebiet (Beruf/Berufsfeld) und übt die entsprechende Denkweise ein, seit diesem Alter arbeitet man unter Erwachsenen in einem Betrieb in einer ganz anderen Rolle als der Rolle «Schülerin/ Schüler» – und besucht daneben die allgemeinbildende Berufsmittelschule. Allerdings: Dieses Modell des gleichzeitigen Erwerbs von Berufs- und Studierfähigkeit ist durchaus nicht das einzige. Beinahe die Hälfte der Berufsmaturitäten (43 % im Jahr 2009; BFS 2010c, S. 35) wird als «Berufsmatur 2» erworben, d. h. nach der Lehrabschlussprüfung, meist in einem Vollzeitjahr für die entsprechende Allgemeinbildung.
Der Erwerb der gymnasialen Matur hingegen ist ausschliesslich mit der Rolle «Schülerin/Schüler» verbunden und geht mit dem Anspruch einher, bis zum Alter von 19 Jahren eine breite Allgemeinbildung vermittelt zu bekommen. An der ZHAW war ca. ein Drittel der Studienbeginnenden des Jahres 2008 mit einer gymnasialen Matur vor ihrem FH-Eintritt an einer universitären Hochschule eingeschrieben. Wieweit Umorientierung und Misserfolg dabei eine Rolle spielten, ist nicht bekannt (Kiener 2010, S.13 f.).
Herkunft der Studierenden
In- und Ausland
17 % aller FH/PH-Studierenden (alle Stufen) sind ausländische Staatsangehörige (Bachelorstufe: 15 %, Masterstufe 31 %; BFS 2011b, S. 7).
Diese 17 % teilen sich auf in 6 % sogenannte «Bildungsinländer» und 11 % sogenannte «Bildungsausländer». Mit «Bildungsinländern» werden Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, aber schweizerischem Bildungsabschluss bezeichnet. «Bildungsausländer» hingegen sind Personen ausländischer Staatsangehörigkeit, die mit einem ausländischen Berechtigungsausweis in die FH/PH eintreten.
Die Unterscheidung «Inland vs. Ausland» kann nicht nur an der Staatsangehörigkeit und am Bildungsabschluss festgemacht werden, sondern zusätzlich auch noch am Wohnort vor Studienbeginn: 12 % der Studierenden (Diplom-, Bachelor- und Masterstudium) hatten vor Studienbeginn ihren Wohnsitz im Ausland (BFS 2011b, S. 19).
Die berühmte (und unpräzise) Frage nach dem «Migrationshintergrund» der Studierenden lässt sich mit diesen Variablen nicht beantworten. Denn Einbürgerungen machen Bildungsinländer zu Schweizern – und nicht alle Bildungsinländer wollen in der Schweiz Wohnsitz nehmen. Auch die folgenden Daten klären die Frage nicht, geben aber einige zusätzliche Hinweise (Kiener 2010, S. 6 f.): An der ZHAW geben 13 % der Neustudierenden an, Doppelbürgerinnen oder -bürger zu sein, also sowohl schweizerischer als auch anderer Nationalität. Und 86 % bezeichnen als ihre Muttersprache Schweizerdeutsch, 4 % Hochdeutsch oder deutsche Dialekte, 10 % eine andere Sprache.
Soziale Herkunft
In der Sozialerhebung des Bundesamtes für Statistik wird die soziale Herkunft in erster Linie durch den höchsten Bildungsabschluss der Eltern bestimmt (BFS 2010a, S. 22 ff.). 30 % der FH/PH-Studierenden (Bachelor-, Master- oder Diplomstudium) haben mindestens einen Elternteil mit einem (Fach-)Hochschulabschluss (Vollzeitstudierende: 32 %, Teilzeitstudierende: 22 %), während dieser Anteil bei den Studierenden der universitären Hochschulen 46 % beträgt. Man kann somit deutliche Unterschiede der Hochschultypen nach der sozialen Herkunft ihrer Studierenden feststellen. Interessant sind auch die Unterschiede der sozialen Herkunft nach der Bildungsherkunft der Studierenden: Mindestens einen Elternteil mit einem (Fach-)Hochschulabschluss haben 28 % der Schweizer/innen, 30 % der Bildungsinländer, 45 % der Bildungsausländer.
Abbildung 3 Höchster Bildungsabschluss der Eltern: Hochschule, Fachhochschule. Quelle: BFS 2010a, S. 22
Auch bei den Fachbereichen der FH/PH sind teilweise starke Unterschiede in der Zusammensetzung ihrer Studierenden festzustellen: Im Fachbereich Musik, Theater und andere Künste haben 50 % der Studierenden einen Elternteil mit Hochschulabschluss (hier studieren auch überdurchschnittlich viele Ausländer, vgl. Tabelle 1), im Fachbereich Design sind es 45 %, während die Anteile sich in den anderen Fachbereichen zwischen 29 % und 23 % bewegen (BFS 2010a, S. 25).
Andere Tätigkeiten vor Studienbeginn
Nach dem Erwerb der Maturität tritt nur eine Minderheit sofort in die (universitären Hochschulen und Fach-)Hochschulen ein (BFS 2011a). Wie erwähnt, beträgt das Durchschnittsalter bei Eintritt in das Bachelorstudium von FH und PH 23,2 Jahre (in der Untergruppe der Teilzeitstudierenden 26,0 Jahre), d. h., es ist einige Jahre höher als das durchschnittliche Alter beim Erwerb des Zulassungsausweises. Entsprechend sind Erwerbstätigkeit vor Studienbeginn, Praktika und Auslandaufenthalte vor Studienbeginn weit verbreitet (Kiener 2010, S. 9, 14):
Drei Viertel der Neustudierenden der ZHAW 2008 waren vorher erwerbstätig, die Hälfte gemäss ihren eigenen Angaben mit einem inhaltlichen Zusammenhang zur folgenden FH-Ausbildung.
Zwei Fünftel der ZHAW-Studierenden haben ein Praktikum absolviert.
Ein Viertel war seit dem 15. Geburtstag ein oder mehrere Male sechs Monate oder länger ausserhalb der Schweiz.
Mit diesen und anderen Tätigkeiten werden Erfahrungen gemacht, welche berufs- und ausbildungsbezogene Wünsche, aber auch beruflich relevantes Wissen und allgemein die Arbeitsmarktfähigkeit beeinflussen können. Die Verbreitung dieser Tätigkeiten differiert nach Alter der Studierenden und dem Fachbereich.
Zusammenfassung
Herkunft der Studierenden, Bildungslaufbahnen und andere Tätigkeiten vor Studienbeginn können als Ressourcen für das Studium aufgefasst werden. Denn die genannten Unterschiede wirken sich z. B. materiell aus als unterschiedliches Ausmass der Elternfinanzierung des Studiums oder als unterschiedliche Höhe eigener Ersparnis. Immateriell können sie sich in unterschiedlichen Fähigkeiten ausdrücken, mittels qualifizierter Arbeit Einkommen zu verdienen, aber auch in unterschiedlichen Kompetenzen, Erwartungen, Wünschen, die informell mitgebracht bzw. an das Studium gerichtet werden.
Während des Studiums 2
Wohnformen
Knapp die Hälfte der FH/PH-Studierenden (46 %) wohnt bei den Eltern, knapp ein Viertel (23 %) in einer Wohngemeinschaft. Weitere 16 % leben mit Partnerin oder Partner und/oder mit Kindern (9 % sind verheiratet), 10 % allein in einer Wohnung. Das Wohnen bei den Eltern nimmt mit steigendem Alter kontinuierlich ab: 58 % bei den Studierenden bis zum Alter 21, 6 % ab Alter 31 (BFS 2010a, S. 108 ff.).
Leben mit Kindern
7,4 % der FH/PH-Studierenden haben Kinder, wobei es bei den FH/PH-Teilzeitstudierenden 17,4 % sind, was auch mit deren höherem Lebensalter zusammenhängt (BFS 2010a, S. 29 ff.). 55 % der Eltern sind Frauen, 45 % Männer. Während der Zeit, die für das Studium verwendet wird, übernimmt bei 40 % der Befragten die Partnerin oder der Partner die Kinderbetreuung.
Erwerbstätigkeit
2009 waren bei der schweizweiten Befragung 74 % der FH/PH-Studierenden während der letzten zwölf Monate vor der Befragung erwerbstätig, davon 77 % auch während des Semesters. Mit steigendem Alter nimmt nicht nur die Erwerbstätigkeit, sondern vor allem auch ihr Umfang zu. Auf der Bachelorstufe geben 45 % an, ihre Erwerbstätigkeit benötige keine «spezielle Ausbildung».
Die Erwerbstätigenquote und der Umfang der Erwerbstätigkeit variieren nach Fachbereich: Die Quote bewegt sich zwischen 64 % im Fachbereich Technik und IT und 84 % im Fachbereich Soziale Arbeit. Im Ersteren arbeiten 4 % zu mehr als 50 %, im Letzteren aber 27 %.
Im berufsbegleitenden Studium hat Erwerbstätigkeit selbstverständlich einen ganz anderen Stellenwert, meist findet sie im vorher erlernten Beruf statt.
Bei den Motiven für die Erwerbstätigkeit wird zwischen ökonomischen, beruflichen (um Erfahrungen zu sammeln, um die Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen u. a.) und sozialen (bessere soziale Integration u. a.) unterschieden. Im Vordergrund stehen die ökonomischen Motive (BFS 2010a, S. 93). Die Hälfte der Erwerbstätigen bezeichnet Erwerbstätigkeit als «zur Bestreitung meines Lebensunterhaltes unbedingt nötig».
Antworten von Position 4 und 5 (Skala von 1 = trifft überhaupt nicht zu bis 5 = trifft völlig zu) in % | |
Damit ich mir etwas mehr leisten kann | 65 % |
Weil dies zur Bestreitung meines Lebensunterhaltes unbedingt nötig ist | 49 % |
Um unabhängig von den Eltern zu sein | 52 % |
Weil ich kein/zu wenig Stipendium/Darlehen erhalte | 50 % |
Weil ich andere mitfinanziere (Partner, Kinder) | 6 % |
Tabelle 1 Motive für die Erwerbstätigkeit: ökonomische Motive. Quelle: BFS 2010a, S. 93
Zeitbudget
Auf der Bachelorstufe FH/PH verteilen sich die aufgewendeten Stunden in einer typischen Semesterwoche wie folgt (BFS 2010a, S. 99):
• Studium | 41 h |
• Erwerbstätigkeit | 6 h |
• Haus- und Familienarbeit | 5 h |
• Ehrenamtliche Tätigkeit | 2 h |
Die 41 Stunden für das Studium teilen sich auf in 27 Stunden für den Besuch von Lehrveranstaltungen und 14 Stunden für sonstigen Studienaufwand. Es ist zu betonen: Das ist das Zeitbudget einer «typischen Semesterwoche»; davon unterscheidet sich das Zeitbudget in den Semesterferien bestimmt erheblich, wurde aber nicht erhoben.
Nach diesen Angaben tangiert die Erwerbstätigkeit das Vollzeitstudium nicht erheblich. Es handelt sich jedoch wie andernorts auch um Durchschnittswerte. Wird aber der Zusammenhang zwischen Studium und Erwerbstätigkeit bei unterschiedlichem Grad von Erwerbstätigkeit betrachtet, dann zeigt sich: Je grösser die Erwerbstätigkeit, desto geringer der Aufwand für das Studium, desto grösser aber auch das Gesamtarbeitsvolumen. Mit anderen Worten: Erwerbsarbeit während des Studiums geht sowohl zulasten des Studiums als auch der frei verfügbaren Zeit (BFS 2010a, S. 106).
Schlussbemerkung: Diese kurzen Angaben zu den Studierenden können nicht mehr sein als einige wenige Streiflichter. In der Publikation des Bundesamtes für Statistik werden Beziehungen zwischen den genannten Aspekten diskutiert, ebenso Beziehungen zu Herkunftsvariablen, persönlichen Variablen wie Geschlecht und Alter und Variablen des Studiums (Fachbereich, Studienstufe). Aus der Kombination dieser Variablen liessen sich Profile von unterschiedlichsten Studierendenteilgruppen bilden und einander gegenüberstellen. Mehr noch als bei der Herkunft und den Tätigkeiten vor Studienbeginn machen sie unterschiedliche Bedeutungen und Gewichtungen des Studiums deutlich.
Diskussion und Ausblick
In den letzten zehn Jahren ist die Studierendenzahl in den FH/PH stark gestiegen, nicht zuletzt auch wegen des Aufbaus neuer Fachbereiche wie Gesundheit. Der Frauenanteil nahm zu, nicht nur in diesen neuen (GSK-) Fachbereichen, sondern auch in den TWD-Bereichen. In den Szenarien des Bundesamtes für Statistik (BFS 2010b) wird eine weitere Zunahme des Frauenanteils sowie auch der ausländischen Zulassungsausweise prognostiziert.
Wichtiger scheinen allerdings Veränderungen zu sein, die mit den eingangs dieses Beitrages skizzierten zwei Entwicklungen zusammenhängen. Ihre Auswirkungen auf totalisierende Indikatoren wie z. B. die Berufsmaturquote oder das durchschnittliche Eintrittsalter sind nur schwer abschätzbar. Umgekehrt lassen sich diese Entwicklungen dementsprechend oft nur schwer aus den allgemeinen Indikatoren ablesen.
Die Politik der Bildungsexpansion und der erhöhten Durchlässigkeit ist gewiss eine Antwort auf gestiegene Bildungsnachfragen, genauso aber auch deren Ursache. Sie formuliert die Erwartung an die Individuen, einen möglichst hohen Bildungsstatus zu erwerben bzw. das eigene Potenzial auszuschöpfen, und sie ermuntert sie dazu, dies nach individuellem Zeitplan zu tun («es ist nie zu spät …»; «ein Umweg und ein zweiter Versuch lohnen sich …»). Bildung bzw. der Erwerb von Bildungszertifikaten ist nicht mehr auf eine bestimmte Lebenslaufphase beschränkt, sondern zunehmend Teil des ganzen Lebenslaufs – mit dem Ziel, sich auf einem spezifisch-einzigartigen Weg eine individuelle Kombination von Kompetenzen anzueignen. Weiter ist offensichtlich, dass formale Bildung immer mehr zu einer zwar notwendigen, aber nicht hinreichenden Bedingung für die Erlangung beruflicher Positionen geworden ist. Neben der formalen Bildung spielen non-formale und in-formale Bildungsprozesse eine wachsende Rolle. Darauf reagieren die Studierenden unter anderem mit ihren dem Studium vorgelagerten und parallelen Tätigkeiten und Laufbahnen. Einen wichtigen Aspekt dieser Entwicklung bildet die aktuelle Diskussion des Modells für den Hochschulübertritt. Das bisherige Berechtigungsmodell, nach dem ein Bildungsabschluss ohne Einschränkung zu diesem oder jenem Eintritt in die nächsthöhere Stufe berechtigt, wird zunehmend abgelöst durch ein Modell der freien Aufnahmeberechtigung (Selektionsfreiheit) der nächsthöheren Stufe: Die Hochschulen wollen als Studierende nicht aufnehmen müssen, wer sich bei ihnen mit einem Zulassungsausweis anmeldet, sondern sie nach eigenen Kriterien selektionieren können.3 Denn sie stehen unter starkem Wettbewerbsdruck und versuchen, sich durch Differenzierungen spezifische Profile zu schaffen. Eine Möglichkeit dazu bilden Studienangebote, die sich an ganz bestimmte Studierende richten, welche dann auch gezielt angeworben und selektioniert werden sollen. Dazu kann die Adressierung einer – gesamtschweizerisch gesehen – Minderheit gehören – für einen technischen Studiengang z. B. von Absolvierenden einer gymnasialen Matur (und allenfalls eines abgebrochenen ETH-Studiums) oder im Gegenteil z. B. von Personen mit einer ausgeprägten praktischen Ausbildung und Laufbahn. Schon jetzt differiert die Zusammensetzung der Studierenden im gleichen Fachbereich, aber in unterschiedlichen Fachhochschulen erheblich – auch was den Zulassungsausweis betrifft. So ist es durchaus denkbar und sogar wahrscheinlich, dass diese Zusammensetzungen sich weiter auseinanderentwickeln. Am Durchschnitt braucht sich deshalb nicht viel zu ändern.
Aus diesen Überlegungen lassen sich zwei Folgerungen ziehen: Die relevanten Veränderungen bei der Diversität der Studierenden in den nächsten Jahren werden wahrscheinlich auf einer Ebene stattfinden, welche durch aggregierte Bildungsindikatoren (nationale Durchschnittswerte) nur schwer erfassbar ist. Zudem entsteht zunehmend ein neues Verhältnis zwischen Diversität der Studierenden und Selektion. Als Folge des Profilierungsdrucks benutzt und fördert die Selektionspolitik immer mehr die Diversität der Studierenden – was durchaus nicht ausschliesst, dass diese Diversität in der politischen Diskussion als unerwünschte Aufweichung von vorgesehenen Ordnungsmustern qualifiziert wird.
Literatur
Bundesamt für Statistik (2010a). Studieren unter Bologna. Hauptbericht der Erhebung zur sozialen und wirtschaftlichen Lage der Studierenden an den Schweizer Hochschulen 2009. Neuenburg: BFS.
Bundesamt für Statistik (2010b). Bildungsperspektiven. Szenarien 2010–2019 für die Hochschulen. Neuenburg: BFS.
Bundesamt für Statistik (2010c). Bildungsabschlüsse 2009. Sekundarstufe II und Tertiärstufe. Neuenburg: BFS.
Bundesamt für Statistik (2011a). Maturitäten und Übertritte an Hochschulen 2010. Neuenburg: BFS.
Bundesamt für Statistik (2011b). Studierende an den Fachhochschulen 2010/11. Neuenburg: BFS.
Kiener U., in Zusammenarbeit mit F. Wittmann und R. Bürgin (2010). Bachelor-Studierende an der ZHAW. Laufbahnen, Selbsteinschätzungen und Pläne von Neu-Studierenden 2008. Winterthur: ZHAW. Online: www.zhaw.ch/fileadmin/php_includes/popup/hop-detail.php?hop_id=1110669191 [1.7.2012].
Urs Kiener, lic.oec.publ., arbeitet an der ZHAW (Fachstelle Hochschulforschung, Dozent) und als freiberuflicher Sozialwissenschaftler. Arbeitsschwerpunkte: Hochschulen, Bildungslaufbahnen, Bildungspolitik, Forschung.
Anhang
Tabelle (zu Abbildung 1) Studierende im Diplom-, Bachelor- und Masterstudium an Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen nach Fachbereich (Anzahl absolut), Frauen- und Ausländer/innen-Anteil, 2010/11
Quelle: BFS 2011b, S.16
Porträt: Patrizia Rohner
Alter | 19 |
Vorbildung | Sekundarschule, Matura, Schwerpunkt Musik |
Hochschule | ZHdK |
Studiengang | Musik: Klarinette |
Semester | 2. Semester Bachelor |
Verfasst von Isabelle Rüedi
Wir alle kennen die ständig wechselnden und sich selten erfüllenden Berufswünsche von Kindern. So wie viele andere wollte Patrizia Rohner schon als kleines Mädchen Musikerin werden. Nur hat sich bei ihr dieser Berufswunsch nie verändert, und sie befindet sich dank ihrem Musikstudium nun auf dem besten Weg, sich ihren Traum zu verwirklichen und professionelle Klarinettistin zu werden. «Ich wollte echt nie etwas anderes machen», sagt sie.
Das Einzige, was nicht nach diesem lang gehegten Plan lief, ist, dass die junge Frau jetzt schon im Bachelor studiert. «Eigentlich wollte ich nach der Kanti zuerst das Vorstudium machen.» Trotzdem ging sie an die Aufnahmeprüfung zum Studium, um sich schon ein Bild zu machen, was sie im kommenden Jahr erwarten würde. Dementsprechend war Patrizia auch nicht optimal vorbereitet. «Das Klarinettenvorspiel war kein Problem, aber in der Theorie war ich grauenhaft.» Und doch: Das Prüfungsresultat reichte, um fürs Studium zugelassen zu werden. Die Studentin erinnert sich: «Ich war überrascht. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet.» Natürlich freute sie sich trotzdem, vor allem, weil sie es an ihre präferierte Hochschule geschafft hatte. Obwohl der 19-Jährigen Luzern eigentlich besser gefällt, wollte sie unbedingt nach Zürich – wegen eines Dozenten. «Nachdem ich von ihm Musikaufnahmen gehört hatte, wollte ich unbedingt bei ihm studieren.»
Täglich übt die junge Musikerin vier bis fünf Stunden auf ihrer Klarinette. Während dies für andere oftmals eine Schwierigkeit darstellt, gibt es ihr einen enormen Antrieb für ihr Studium. «Es ist toll, die Fortschritte zu sehen, welche ich regelmässig mache.» Plötzlich klingt ein Stück, das Patrizia vor zwei Wochen von ihrem Lehrer erhalten hatte und das ihr nur schon durch den Anblick der Noten den Schweiss auf die Stirn trieb, ganz leicht und schön. Das Üben bietet ihr auch einen guten Ausgleich zu den Theoriestunden. «Ich könnte niemals so viel lernen wie die Studierenden an der ETH, viel lieber übe ich.»
Auch Patrizia wird oft vom typischen Studienstress geplagt. «Wir haben etwa alle vier Wochen ein Vorspiel, das ist echt hart.» Kurz gesagt, heisse das für sie, dass sie häufig innerhalb von drei Wochen ein Stück konzerttauglich beherrschen müsse. Da ist es nicht immer einfach, alles unter einen Hut zu bringen – vor allem, wenn auch noch Theorieprüfungen anstehen. «Seit dem Studium habe ich schon weniger Zeit für mein Privatleben», gibt die 19-Jährige zu.
Trotzdem hält sie weiterhin an ihrem Ziel fest, Musikerin zu werden. Dabei ist sich die junge Frau allerdings bewusst, dass sie sicher auch als Instrumentallehrerin wird arbeiten müssen, obwohl ihre Zukunftsvision eigentlich eine andere ist. «Mein absoluter Traum ist es, später einmal berufsmässig in einem Sinfonieorchester zu spielen.» Patrizia weiss, dass dies ein schwieriges Unterfangen ist, an welchem viele scheitern. Aber sie lässt sich davon nicht verunsichern. «Ich werde einfach mein Bestes geben», lächelt die Klarinettistin.
Isabelle Rüedi studiert an der Universität Zürich Germanistik und Anglistik im Bachelor. Seit 2011 ist sie zudem als studentische Mitarbeiterin am ZHE – Zentrum für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der PH Zürich tätig.
1 Quellen für diesen Beitrag sind die Daten des Schweizerischen Hochschulinformationssystems SHIS des Bundesamtes für Statistik BFS, die in verschiedenen Publikationen aufbereitet werden, die Sozialerhebung des BFS bei den Studierenden der Schweiz, die periodisch durchgeführt wird, sowie eine Befragung der Neustudierenden der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW, einer Mehrsparten-Fachhochschule, die zusammen mit der Zürcher Hochschule der Künste und der Pädagogischen Hochschule Zürich die Zürcher Fachhochschule bildet.
2 Die folgenden Angaben stammen alle aus der Sozialerhebung des Bundesamtes für Statistik (BFS 2010a). Sie beziehen sich auf das Jahr 2009 und auf Studierende in Bachelor-, Master- und Diplomstudiengängen.
3 Zu erinnern ist hier an die erhebliche Quote von «anderen schweizerischen Ausweisen» unter den Zulassungsausweisen (vgl. Abbildung 2) und an die geplante Reform des Bundesgesetzes über die Förderung der Hochschulen und die Koordination im schweizerischen Hochschulbereich (HFKG), die für den Zugang an die FH nicht mehr zwingend eine Maturität verlangt.