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7 – Der Notar

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Vom Auto aus hatte Zoller das Büro von Dr. Wolfgang Mommsen angerufen und sein Kommen avisiert. „Aber bitte nicht vor dreizehn Uhr!“ hatte die freundliche Stimme der Sekretärin ihn gebeten.

Um dem Verkehr durch Schöneberg, Steglitz und Zehlendorf auf der B1 zu entgehen, hatte Zoller die andere, etwas längere Route über Grunewaldstraße, Hohenzollerndamm auf die Stadtautobahn und Avus gewählt und war früher als gedacht am S-Bahnhof Wannsee angekommen, von wo die Bismarckstrasse an den Kleinen Wannsee führte und sich die Wohn- und Geschäftsadresse des Notars befand. Er parkte seinen Wagen auf der Königstrasse, genau auf der Brücke, die den Kleinen von dem großen Wannsee trennte, ging ein paar Schritte in der Mittagssonne zurück und aß bei Loretta am Wannsee eine Currywurst. Er trank sonst nie Cola, doch zur scharf gewürzten Currywurst war sie das einzig passende Getränk. Danach schlenderte er in die Bismarckstrasse hinein, deren uralte Kastanien riesige Schatten auf das narbige Kopfsteinpflaster warfen. Nach ein paar Schritten, er war nur noch von Stille umgeben, wies ein verwittertes, kaum sichtbares Schild nach rechts in die Bäume. Er erinnerte sich und folgte dem schmalen Weg, bis er von leichter Anhöhe unter den Bäumen das Wasser des Kleinen Wannsees blitzen sah und unter einer Eiche das Grab eines der größten deutschen Dichter fand: Heinrich von Kleist. Zoller setzte sich auf die kleine Holzbank, die so alt wie das verwitterte Schild sein musste und kramte zusammen, was in seinem Gedächtnis hängen geblieben war: Käthchen von Heilbronn, Prinz von Homburg, Amphytrion. Auf dem Grabstein las er:

«Er lebte, sang und litt in trüber, schwerer Zeit, Er suchte hier den Tod und fand Unsterblichkeit»

Hier hatte der lebensüberdrüssige Dichter im November 1811 erst seine todkranke Freundin, dann sich selbst erschossen. Zuvor hatten sie sich noch Kaffee und Rum bringen lassen.

Zoller sah auf die Uhr und entschuldigte sich innerlich für die Kürze seines Verweilens, er habe ja schließlich einen aktuellen Todesfall aufzuklären.

Die Bismarckstrasse war ein hochedles Wohnviertel hinter hohen Kiefern, dazwischen, als Sichtschutz für die Villen, Birken und Büsche. Die meisten Grundstücke hatten Seezugang mit Anlegestellen für Motor- und Segelboote. So auch das Grundstück, auf dem die eierschalfarbene Jugendstilvilla des Notars gelegen war. Ein hölzernes Bootshaus verbarg das zu vermutende Schmuckstück darinnen.

Zoller nahm die vier Stufen zum Eingang. In ein durchsichtiges Acrylschild war goldfarben eingraviert: Dr. W. Mommsen, Rechtsanwalt und Notar.

Er drückte die Messingklingel. Eine Stimme fragte: „Ja bitte?“ Zoller sagte seinen Namen und die breite Massivholztüre summte. Er hatte sie kaum berührt, sprang sie auf und er trat ein. Ein großzügiges Foyer empfing ihn, ausgestattet mit wenigen, ausgesucht edlen Mahagonischränken, auf einer Seite mit einer Jugendstil-Sitzgarnitur in dunkelgrünem Leder, dazwischen ein Tisch aus Mahagoni. Es roch nach Holz. Im hinteren Bereich stand eine Nachbildung der Venus von Milo, dezent durch einen Punktscheinwerfer beleuchtet. Noch bevor er sich zur Türe mit der Aufschrift Kanzlei bemühte, trat aus dieser ein schlanker Mann in silbergrauem Anzug mit burgunderroter Krawatte zum weißen Hemd. Unter silbergrauen Haaren schauten ihm zwei blaue Augen aus einem gebräunten, markanten Gesicht entgegen. Schmale Lippen öffneten sich zum Gruß: „Herr Kommissar Zoller? Mommsen, angenehm. Setzen wir uns dorthin, da sind wir ungestört.“ Er ging auf die grüne Sitzgruppe zu und bot Zoller freie Platzwahl. Zoller setzte sich auf die Zweiercouch, von der er den gesamten Raum überblicken konnte. Dr. Mommsen wählte einen Sessel ihm gegenüber. „Ich lasse uns einen Kaffee kommen, oder mögen Sie lieber Tee?“

„Kaffee ist gut, danke! Sie wissen, warum ich hier bin?“ begann Zoller.

„Ja, Frau Hartmann hat mich gestern Abend noch angerufen und von dem Tod meines Mandanten erzählt.“ Zoller wunderte es, dass ein solch arrivierter Anwalt für einen völlig unbedeutenden, ihm unbekannten Medizinstudenten überhaupt tätig wurde.

„Wie wurde Herrn Mandelstein zu Ihrem Mandanten?“

„Isabel Hartmann hatte mich vor einer Woche angerufen und ihn als potentiellen Klienten erwähnt. Zunächst war ich skeptisch, doch als er hier vorsprach, sagte ich zu.“

„Frau Hartmann war Ihnen also auch schon bekannt?“

„Ich kannte ihre Eltern, die bei meinem Vater bereits Mandanten waren.“

„Sie sprachen von anfänglicher Skepsis“, sagte Zoller und ließ die damit verbundene Frage offen.

Die Türe zur Kanzlei öffnete sich geräuschlos und eine aparte, dunkelhaarige Dame Ende dreißig brachte ein Tablett mit einer Kanne Kaffee, Tassen, Zucker und Milch sowie einer Glasschale mit einer Mischung aus Gebäck, Schokolade und Mozartkugeln. Letztere stachen Zoller geradezu ins Auge. „Frau Demmler, meine rechte und linke Hand im Büro, meine wandelnde Agenda und Schmuckstück meiner Kanzlei.“ Da sie solches Lob tausendfach gehört hatte, lächelte die Sekretärin die Übertreibungen ihres Chefs entschuldigend Zoller zu, sagte „Wir kennen uns vom Telefon“ und füllte mit weichen Bewegungen die Tassen mit Kaffee. So leise sie gekommen war, verschwand sie wieder.

„Nun“ begann Mommsen und trank einen Schluck Kaffee, „eigentlich ist meine Zeit mit den vorhandenen Verpflichtungen als Anwalt und Notar voll ausgefüllt. Andererseits zeigte sich, dass Herr Mandelstein zum einen recht interessante Pläne verwirklichen wollte, zum zweiten andeutete, dass er dabei war, seine Geschäftsbeziehungen zu Polen und darüber hinaus auszuweiten, was mich als Wirtschafts- und Vertragsanwalt im Zuge der Globalisierung schon ansprach.“

„Es war von der Gründung einer Firma die Rede?“

„Ja. Eine GmbH ist bereits in Gründung und eine weitere war geplant.“

„Womit sollten sich diese Firmen beschäftigen?“

Mommsen erklärte den Wunsch seines ehemaligen Mandanten, einen ambulanten physiotherapeutischen Dienst einzurichten, darüber hinaus einen Handel von Blutplasma und Medikamenten und ähnlichen Waren mit den östlichen Ländern aufbauen zu wollen.

„Können Sie mir sagen, was die Begriffe ‚Sensible Mission’ und ‚Kinderkrippe’ in diesem Zusammenhang beinhalten könnten?“

„Nein, außer, dass der Handel mit dem Osten per se schon eine sensible Mission ist. ‚Kinderkrippe’ sagt mir nichts.“

„Gut. Insgesamt bedeutet es aber“ konstatierte Zoller, „Herr Mandelstein besaß Kapital, welches er investieren konnte. Oder wollte er über Banken finanzieren?“

„Nein, er hatte einen ansehnlichen Betrag in bar dabei, von dessen einem Teil er das Stammkapital abdecken, den anderen Teil gewinnbringend anlegen wollte.“

„Ich weiß um Ihre Schweigepflicht, dennoch müsste ich darauf bestehen, die Größenordnung zu erfahren.“ Die schmalen Lippen Mommsens wurden noch schmaler, doch bevor er antworten konnte, öffnete sich die Türe zum anderen Trakt des Hauses und eine groß gewachsene, blonde Frau in locker umgeworfenem Staubmantel, der -offensichtlich aus Fallschirmseide- weich um ihren Körper wehte, kam auf sie zu.

„Entschuldigen Sie bitte“ sagte sie mit Seitenblick auf Zoller, der sich erhoben hatte, „Liebling, gibst Du mir bitte die Wagenschlüssel?“

Dr. Mommsen hatte sich ebenfalls erhoben und holte aus seiner Jackettasche die Schlüssel. „Entschuldige, hatte vergessen, sie Dir hinzulegen. Meine Frau Irina, Kommissar Zoller“ stellte er sie gegenseitig vor. Zoller nahm ihre Hand. „Angenehm!“, sagte Irina lächelnd, „Ganz meinerseits!“ antwortete Zoller und sah zu, wie sie mit der Hand, welche die Schlüssel hielt, ihnen zuwinkte und mit kurzem Gruß wieder durch die Türe verschwand. Sie setzten sich wieder.

„Wo waren wir stehen geblieben?“ fragte Mommsen und fand selbst den Faden wieder „Ja, bei der Finanzierung. Bevor Ihre Leute mir die Kanzlei durcheinander bringen, kann ich Ihnen sagen, Herr Mandelstein hatte insgesamt vierhunderttausend Euro bei sich.“

Zoller pfiff durch die Lippen. „Allerhand. Hat er Ihnen gesagt, woher das Geld stammt?“

„Ja, er sagte, ein kleiner Teil seien seine Ersparnisse, der andere ein Lottogewinn vor einiger Zeit.“

„Haben Sie ihm das abgenommen?“

Mommsen sah ihn verständnislos an. „Warum sollte ich daran zweifeln? Er wollte eine Beratung, wie er das Geld so anlegen könnte, dass er jederzeit Zugriff darauf habe. Ich habe ihm zu verschiedenen Beteiligungen geraten und er hat es gleich eingezahlt.“

„Abzüglich Ihrer Kosten für Gründung und Beratung.“ Mommsen antwortete nicht. „Ich denke, Sie werden uns die Unterlagen über die Gründung zur Prüfung überlassen müssen.“

„Kein Problem.“

„Sagen Sie, Dr. Mommsen, hatten Sie darüber gesprochen, warum Herr Mandelstein nach Berlin ziehen wollte?“

Mommsen grübelte einige Sekunden: „Ich glaube, er sprach von Neuanfang in seiner Heimatstadt und Nähe zu seinen neuen Geschäftspartnern. Übrigens hatte er vor, sein spät angefangenes Medizinstudium zu beenden.“

Zoller machte sich Notizen. Dann fragte er den Notar, ob es ein Testament gäbe, es sei der Ausdruck ‚enterben’ gefallen. Ja, Herr Mandelstein hätte alles genauestens organisieren wollen, auch oder besonders im Hinblick auf die Krankheit, die er habe, über deren Art er aber nichts näher erläutert hatte, es könnte sich um Krebs oder Aids gehandelt haben, jedenfalls sah er seinem Ende in den nächsten Jahren entgegen. Das Wichtigste wäre ihm gewesen, die Firmen gut abzusichern. Zu diesem Zwecke hätte er ein Testament aufsetzen lassen. Uneingeschränkt Begünstigter sei zunächst der sogenannte ‚Benny’ gewesen, Herr Bahadir Cicoglu, so hieße der Benny nämlich in Wirklichkeit. Doch hatte es in letzter Sekunde eine Änderung gegeben dergestalt, dass die Geschäfte nach Mandelsteins möglichem Versterben weitergeführt werden sollten, allerdings –und diese Maßgabe habe ihn selbst erstaunt - explizit unter einem dem Benny überzuordnenden Geschäftsführer, vielmehr einer Geschäftsführerin. Diese könnte die noch in München weilende Carola Soundso sein, mit der sie Praxen in Berlin zu eröffnen gedachten oder jemand, der noch zu benennen sei und der über das Firmenkapital zu bestimmen habe. Vielleicht habe Benny dies als ‚enterben’ ausgelegt. Der Notar sei an dem besagten Tage wegen eben dieser Änderung bei Herrn Mandelstein im Hotel gewesen und habe ihn abends angerufen, ob er zur Unterzeichnung noch vorbeikommen sollte. Ja, das Testament sei in der ursprünglichen Version nun gültig, erfuhr Zoller.

„Etwas ganz anderes: Mögen Sie Mozartkugeln?“, fragte Zoller

„Ich – nein, zu süß! Hätten Sie die Kugeln weggelassen und rein nach Mozart gefragt, ich hätte mit überzeugtem Ja geantwortet.“ Sein Blick fiel auf die Glasschale. „Ach, sie meinen diese hier. Hat meine Frau eingeführt, sie kauft sie ab und zu.“

Zoller hatte keine Fragen mehr, verabschiedete sich und ging den Weg zu seinem Wagen zurück. Unterwegs schaute er auf seine Uhr. Es war zehn Minuten nach zwei. Kurz vor Kleists Grab ging sein Handy. Es spielte das Forellenquintett von Schubert, also war es Katharina. Sie sagte, sie spräche aus höheren Gefilden mit ihm, er entgegnete, er hoffe, sie weile noch unter den Lebenden, lebende Engel seien ihm lieber, worauf sie lachte und sich mit ihm für achtzehn Uhr verabredete.

Berlin Zyankali

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