Читать книгу Die Fake-Jäger - Tom Wannenmacher - Страница 8
ОглавлениеKAPITEL 1
UND DER KLICK
ERSCHUF DEN HOAX:
BULLSHIT-BILDER
Hoax, was ist das eigentlich? Ein Hoax ist eine Falschmeldung, ein Schwindel. Genauer: eine bewusste Falschmeldung in Richtung eines Schwindels. Der Erschaffer eines Hoax hat vor, seine Leserschaft zu täuschen. Im Gegensatz zum oftmals betrügerischen Fake ist ein Hoax aber scherzhaft gemeint und von seiner Intention her weniger bösartig.
Hoaxes sind schon richtig alt. In einem großen Weblexikon kann man lesen, dass das Wort Hoax zum ersten Mal im Jahre 1796 schriftlich erwähnt worden sei. Und es wird dort die These aufgestellt, dass das Wort Hoax dem Wort »Hokuspokus« abgeleitet sei. Das macht es jetzt doppelt interessant, denn da die Entstehung des Wortes Hokuspokus auf einem Fake beruht, wäre ein Hoax bereits in sich selbst ein Fake.
Wie? Hokuspokus? Fake? Ja, tatsächlich besagt eine der Theorien zur Entstehung des Wortes, dass es sich dabei einfach um die missverstandene Aussprache des lateinischen Satzes »Hoc est enim corpus meum«, zu Deutsch »Denn dies ist mein Leib« handelt, der zur Feier des Heiligen Abendmahls gesagt wird. Stellen wir uns einfach mal eine kleine Dorfkapelle vor, in irgendeinem münsterländischen Dorf. Wir befinden uns mitten im Mittelalter. Vorn steht ein Mönch, Abendmahl ist angesagt. Die Gemeinde sitzt, schweigt und horcht. Der Mönch spricht, wie üblich zu jener Zeit, auf Latein. Ganz interessant, gerade wenn man bedenkt, dass das Volk kein Latein verstand. Und hier kommt der Hokuspokus ins Spiel: Der Mönch spricht die Einsetzungsworte, mit welchen ja gemäß katholischem Verständnis aus dem Brot tatsächlich der Leib Christi wird. Für die Besucher der Messe quasi Zauberei – und dabei hören sie mit ihren ungeübten Ohren ein leicht genuscheltes »Hoc est enim corpus …«. Und schon wird aus den Einsetzungsworten der Hokuspokus.
So können also Fakes entstehen: Durch Unwissenheit, Missverständnisse, falsch wiedergegebenes Gehörtes. Und um auf die Etymologie des Hoax zurückzukommen: Er unterliegt wohl einem Fake. Einem nahezu biblischen Fake.
SWIFFER-HOAX
Hoaxes von nahezu biblischem Ausmaß gibt es auch im Internet immer wieder, manche scheinen nahezu unausrottbar und kehren immer wieder! Ein Paradebeispiel dafür ist der Hoax um die Swiffer-Tücher. Um mal kurz reinzuschnuppern und zu verstehen, was so ein Hoax ist und wie er gestaltet ist, ist der Swiffer-Hoax echt ein klasse Beispiel. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich seit dem Jahre 2011 auf Facebook eine Falschmeldung, welche besagt, dass »Swiffers feuchte Tücher« gefährlich für Hunde und Katzen seien. Diese Nachricht ist schon seit Jahren in Umlauf. Swiffer selbst hatte längst eine Richtigstellung auf der eigenen Webseite abgegeben, denn natürlich entbehrt die folgende Meldung jeglicher realen Grundlage.
ACHTUNG! GIFTIG! DRINGEND LESEN UND TEILEN
Wie wir vor knapp einer Woche bei einem Besuch in der Tierarztpraxis am schwarzen Brett erfahren haben, musste ein 5-jähriger Schäferhund wegen eines schmerzhaften Leberleidens eingeschläfert werden. Die Besitzerin hat eine Autopsie veranlasst, da sie keinerlei Erklärung für dieses Leiden hatte. Zur Vorgeschichte muss man wissen, dass der Hund immer im Haus lebte, nur unter Aufsicht ins Freie geführt wurde und auch da immer unter Beaufsichtigung war. Die Autopsie ergab, dass die Leber in einem fürchterlichen Zustand war, was nur auf regelmäßige Gifteinnahme zurückzuführen war. Danach wurden alle Haushaltsprodukte auf Giftanteile überprüft. Bei genauerer Inspektion der Verpackungen von »SWIFFERS – feuchte Tücher« stieß man auf das Kleingedruckte, wo darauf hingewiesen wird, dass das Produkt für Kinder und Tiere giftig ist. Die Kontaktaufnahme mit dem Fabrikanten des Produktes brachte die große Überraschung, dass einer der Bestandteile Enteiser, bzw. sehr nah dem Molekül Enteiser entspricht. Der Boden der Besitzerin des Schäferhundes wurde regelmäßig mit den oben erwähnten Tüchern gereinigt. Der Hund leckte sich immer die Fußballen, und das führte zur Vergiftung. Nicht lange nach dem Tod des Hundes mussten auch 2 Katzen mit den gleichen Symptomen eingeschläfert werden. Auch in diesem Fall wurden dort über längere Zeit »SWIFFER – feuchte Tücher« benutzt. Tierhalter werden ausdrücklich gewarnt, diese für Tiere giftigen Tücher zu benutzen. Bitte an alle Freunde, Bekannte, etc. mit Kindern & Haustieren weiterleiten.
Nein, verdammt, nein! Auch mit dem eintausendeinhundertsten Teilen auf Facebook wird diese Meldung nicht wahrer. Dennoch wird sie weiter geteilt und geteilt, und auch heute noch sieht man hier oder da auf Facebook jemanden warnend mit einem virtuellen Swiffer-Tuch wedeln. Einsam. Allein. Irgendwo in irgendwelchen Facebook-Statusmeldungen.
HIV-HOAX
Auf der Suche nach wirklich alten Falschmeldungen stolpert man ohne Zweifel auch über einen anderen Dinosaurier der Falschmeldungen: die mit HIV infizierte Nadel im Kinosessel.
Wir haben den Hoax bis in das Jahr 2000 zurückverfolgen können, in dem er bereits via E-Mail verbreitet wurde. Mit dem Aufkommen von Messengern und sozialen Netzwerken hat natürlich eine Art Dammbruch stattgefunden, denn Falschmeldungen wie diese konnten ungehemmt in Massen verbreitet werden.
HALLO LEUTE!
Seit einigen Wochen laufen in München Verrückte herum, die andere Leute absichtlich mit HIV infizieren. Sie gehen vor allem in Münchner Discotheken und Clubs (bisher Nachtgallerie, Nachtwerk, Opera, Kunstpark Ost, Alabama/Götter der Nacht-Gelände, etc.) und injizieren die Viren mit kleinen dünnen Spritzen, die die Betroffenen kaum oder gar nicht spüren. Die Betroffenen hatten dann einen Zettel auf dem Rücken/auf der Schulter wo »Willkommen im Club!« drauf stand. Es sind schon 9 Fälle bekannt, wo eine Infektion mit HIV nach einer solchen Attacke nachgewiesen werden konnte.
Auf Anfragen bei der Polizei, wurde bestätigt, daß es sich in diesen Fällen um kein Gerücht handelt. Die Polizei hängt diese Fälle jedoch nicht an die große Glocke, da Sie eine Massenhysterie fürchtet. Allerdings hat schon TV-München über Videotext informiert sowie die Süddeutsche Zeitung darüber geschrieben. Also am besten Ihr meidet solche Massen beim Weggehen und verfolgt die Medien, ob sich nicht doch was hinsichtlich den Ermittlungen ergibt. Man weiß auch nicht, ob das nur in München passiert ist, oder auch in anderen Städten solche Irren so nen Scheiß abziehen. Seid auf der Hut und informiert Eure Freunde.
Die Ortsangabe »München« aus diesem Schreiben ist natürlich in der Masse der vielfältigen Warnungen lediglich eine Variable: Ob Berlin, Köln oder auch Braunschweig, all diese Stadtnamen hat man bereits in dieser Warnung gesichtet. Und nicht nur Deutschland ist betroffen. So gab es diesen Hoax auch in einer Lausanne- und Wien-Variante.
Gerade in Österreich hielt sich diese Warnung hartnäckig, da sie zwischenzeitlich durch einen – wohlgemerkt gefälschten – Brief der O.Ö. Gebietskrankenkasse bestätigt wurde. Der Brief hat einen offiziellen Charakter und wird seit dem Jahr 2007 über E-Mail und Facebook verteilt.
Diese Warnung ist letztendlich auch bei der O.Ö. Gebietskrankenkasse angekommen, die darauf reagierte und eine Richtigstellung veröffentlichte. Das Problem dabei, wie bei jeder Art von Richtigstellung: Sie erreicht die Massen nicht:
ACHTUNG! GEFÄLSCHTE E-MAIL IN UMLAUF
Derzeit kursiert ein sogenannter E-Mail Hoax (eine bewusste Falschmeldung, ein schlechter Scherz), der vor infizierten Injektionsnadeln in öffentlich zugänglichen Räumen warnt. Im E-Mail sind Kontaktinformationen der OÖGKK und der Bundespolizeidirektion Wien angegeben.
Dieses E-Mail ist eine Fälschung! Der Inhalt ist frei erfunden und stammt keinesfalls aus der OÖGKK. Leider ist es uns nicht möglich, dieses E-Mail dauerhaft aus dem Verkehr zu ziehen. Wenn Sie dieses E-Mail erhalten, löschen Sie es bitte umgehend und senden Sie es keinesfalls weiter. Herzlichen Dank!
In diesem Falle müssen wir einfach davon ausgehen, dass dieser Hoax immer wieder auftauchen wird. Die Frage ist nur: Wie kann eine Falschmeldung nur so erfolgreich sein, dass sie auch nach über 16 Jahren nicht zu ersticken ist?
Das liegt in diesem Fall an dem erfolgreichen Thema sowie an der gefühlten Plausibilität und auch dem Drang einiger Menschen, bewusst verängstigen zu wollen. Natürlich bedient dieser Hoax eine ganz besondere Angst: Man könne unschuldig an einem halbwegs öffentlichen Ort mit HIV infiziert werden. Das möchte man für sich selbst nicht, das wünscht man sich auch nicht für andere Personen. Also bedient dieser Fake zum einen Grundängste, zum anderen liefert er aber auch die Möglichkeit, sich leicht in die Kette der »Guten« einzufädeln, indem man die Warnung selbst teilt und somit andere schützt.
Fatal wirkt sich zudem in dieser Falschmeldung aus, dass die Ortsangaben variieren. So kann die Warnung regional immer wieder von Neuem initiiert werden, ein Einzelner braucht dabei nur aus dem Spaß an der Angst anderer den Ortsnamen auswechseln und schon geht das Spiel von vorn los. Dabei spielen soziale Netzwerke, die die Warnung ja transportieren, eine wichtige Rolle. Diese Warnung empfängt man hier ja von »Freunden«, denen man im Grunde vertraut. Zentrales Element hier: Facebook als Keimzelle für Falschmeldungen.
Ja, es ist Facebook. Der Motor, der Antrieb, das Öl im Feuer, der Schwarm in der Intelligenz (oftmals ohne Letzteres). Facebook ist sowohl Inkubationsstätte als auch Trägermedium vieler Hoaxes. Seit Facebook hat auch die Quantität der Falschmeldungen zugenommen – wir schreiben an dieser Stelle bewusst: Quantität –, denn vor Facebook war die Qualität wichtiger, um das Überleben eines Hoaxes zu sichern. Dank Facebook kann man jedoch jeden Mist in den Äther spucken, irgendwo kommt immer was an.
Dabei wird Facebook oft auch selbst zum Opfer von Hoaxmeldungen. Der folgende Hoax schlich sich bis in Politikerreihen, so widersprachen unter anderem die Politiker Dirk Niebel und Patrick Döring von der FDP im November 2014 mit den mittlerweile berühmt-berüchtigten Bullshit-Bildern den »neuen« Facebook-AGBs.
Auslöser der AGB-Falschmeldungen waren die angekündigten neuen »Grundlagen zum Datenschutz und die aktualisierten Bedingungen und Richtlinien«, die ab 1.1.2015 in Kraft treten sollten. Facebook informierte seine Nutzer über die Infoleiste, dass zu eben diesem Datum die Bedingungen und Richtlinien aktualisiert würden. Das versetzte viele Menschen in unkontrollierte Panik, man hörte sie förmlich, die stummen Schreie: Da muss man doch was machen!
Und das machten sie – wie die Lemminge. An allen Ecken und Enden von Facebook kramte man die Bullshit-Bilder wieder heraus, die man schon 2013 und 2012 vergeblich nutzte:
Aufgrund der neuen AGB’s in Facebook widerspreche ich hiermit der kommerziellen Nutzung meiner persönlichen Daten (Texte, Fotos, persönliche Bilder, persönliche Daten) gemäß BDSG. Das Copyright meiner Profilbilder liegt ausschließlich bei mir. Die kommerzielle Nutzung bedarf meiner schriftlichen Zustimmung.
Because of the new terms of Use on Facebook I disagree with this, the commercial use of my personal information (text, photos, personal images, personal data) according to BDSG. The copyright of my profile belongs exclusiv.
Inklusive aller völlig unsinnig gesetzten Apostrophe schützten sich Facebooknutzer prophylaktisch mit nutzlosen Widerspruchserklärungen. Mal abgesehen von dem völlig falschen Verständnis des Urheberrechts (Copyright), das diesem Widerspruch zugrunde liegt. Aber dazu kommen wir später im Buch noch.
FunFact: Diese Statusmeldungen sind immer noch da! Hier kommt jetzt der Nachteil von Printmedien zu tragen: In einem Buch kann man keine Links einfügen. Aber versprochen: Zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Zeilen war an dem Profil von Patrick Döring unter dem Datum 27.11.2014 noch der Widerspruch zu lesen.
NOCH MEHR FACEBOOK-UNSINN?
Bitte, gerne! Im Frühjahr 2015 tauchte eine weitere Meldung auf, die einfach nicht kaputtzukriegen war: Facebook erhebt ab dem 1.5.2014 eine Nutzergebühr. Oder wahlweise ab dem 1.6. oder dem 1.12. oder zum Jahresanfang 2016. Abgesehen von dem ständig veränderten Datum konnte man immer dasselbe lesen:
WICHTIGE INFO!
Facebook erhebt ab dem 01.05.2014 eine Nutzergebühr von 4,99 € für jedes Mitglied! Jeder wird in den nächsten Tagen angeschrieben. Wenn Du damit nicht einverstanden bist, teile diesen Text um dich dagegen zu wehren!
Der Ausdruck »wichtige Info« ist ja eigentlich immer schon verräterisch und bedeutet im Grunde nichts anderes, als »das hier ist Bullshit«. Von wem die Grafik, die alle wie wild verteilt haben, stammte, weiß man nicht. Gerade weil sie so oft geteilt und wieder hochgeladen wurde, wird uns leider der grafische Vater dieses Machwerks nie offenbart werden. Fakt ist jedoch, dass die Meldung NICHT stimmt. Sie ist ein Aprilscherz gewesen, tauchte in ihrer ursprünglichen Version zum ersten Mal am 1.4.2015 auf und wurde in den Folgemonaten immer im Datum ein wenig … sagen wir mal … modifiziert. Und ganz ehrlich: Wieder haben unzählige Menschen diesen Quatsch geteilt und freundlich gemeinte Hinweise ignoriert.
Doch was treibt Menschen dazu, einfach mal irgendwelche Bullshit-Bildchen zu teilen? Oft scheint die Überzeugung »Wenn alle es machen, dann muss es ja richtig sein« schuld daran zu sein. Das werden wir auf den Seiten dieses Buches noch öfter erleben: Auch wenn es viele sagen und immer wieder wiederholen – es wird dadurch nicht richtiger!
Nun ja, richtig gefährlich sind diese kleinen Bullshit-Bildchen nicht. Wenn sich jedoch zum Beispiel eine Falschmeldung international verbreitet und durch massenhaftes blindes Übernehmen stetig wiederholt wird, dann kann so etwas schon Spuren hinterlassen. Aber keine Angst, an dieser Stelle des Buches gehen wir noch nicht so tief in die Materie (man kann sich jedoch schon auf das Kapitel mit der Paracetamol-Challenge freuen). Stattdessen bleiben wir bei den kleinen, lustigen Bullshit-Bildern, wie sie gerne auf Facebook ge- und verteilt werden.
470 × 470 PIXEL
Das ist die oftmals bevorzugte Größe dieser Bullshit-Bilder, und so manchmal wundert man sich, wie viel Mist auf 470 × 470 Pixel passt. Zumindest werden diese kleinen Bildchen, deren Botschaft schon so manchem Leser das virtuelle Brett vor den Kopf geschlagen hat, im Newsstream in dieser Größe dargestellt. Bullshit-Bilder haben neben ihrer Größe noch weitere, ganz bestimmte Erkennungsmerkmale: Auf ihrem beschränkten Darstellungsplatz findet man keine Erklärungen, keine differenzierten Inhalte. Im Gegenteil: Die Botschaft ist einfach, in fast allen Fällen zu einfach. Sie haben zum Ziel, aufgrund ihrer knackigen Aussage geteilt zu werden. Das macht sie so beliebt, denn sie bringen mit wenigen Worten komplizierte Inhalte auf den Punkt. Dass dieser Punkt oftmals nicht so ganz richtig ist, scheint dabei nicht zu interessieren, wichtig für die Verteiler ist dabei lediglich, dass ihre plakative Botschaft in die Welt getragen wird.
Interessantes Nebenwissen zu Bullshit-Bildern ist: Facebook verschafft Bildern eine größere Reichweite. Effektiv bedeutet das: Ein Foto, ein Bild oder eine Grafik, die man bei Facebook hochlädt, wird bei wesentlich mehr Personen im Newsstream angezeigt, als zum Beispiel ein Link zu einem interessanten Artikel oder einer Webseite. Und genau das bringt Leben in die Hütte!
Manchmal sind diese Bullshit-Bilder einfach nur ein harmloser Hoax. Ein gutes Beispiel dafür ist die Betriebspause von Facebook. Wie? Du weißt nichts davon?
Dieses Bullshit-Bild wurde wie irre von vielen Facebooknutzer geteilt. Die »Glaubwürdigkeit« der Information wurde direkt implementiert: Das original Facebook-Logo wurde verwendet, und auch die Farben waren stimmig. Die Opfer dieses Bildes werden sich denken: »Jaja, muss ja passen, Facebook verhält sich wieder mal nicht korrekt, indem es schon wieder etwas still und heimlich macht, ohne seine Nutzer darüber zu informieren«. Viele andere denken sich: »Ja! Genau mit dieser Grafik bin ich ein echt lustiger Typ und verarsche einfach mal meine Freunde!«
Leider gibt es aber auch Bullshit-Bilder, die nicht auf Humor basieren. Sie werden auch nicht verteilt, um jemand anderen zum Narren zu halten, sondern verfolgen wirklich eine Botschaft. Eine Bullshit-Botschaft. Und leider sind eben diese Bilder immer ein wenig langlebiger, als ihre Richtigstellungen. Wie bereits erwähnt liegt das auch an der Natur von Facebook: Facebook bevorzugt Grafiken und somit auch kurze und in diesem Fall fehlleitende Inhalte. Wer Erklärungen, tiefergehende Analysen oder Recherchen anbietet, ist meist im Nachteil.
DAS BULLSHIT-TRIPEL
Steigen wir bei einem Bullshit-Bild ein, das den Bereich Hoax, also Spaß, schon in Richtung krasser Unsinn überschritten hat. Wieder zog die Aussage dieses Bildes weite Kreise und bestärkte viele Menschen in ihrer Überzeugung, sie seien Zeuge eines schleichenden Prozesses, der ihnen die abendländische Kultur rauben will. Doch wenn man genauer hinsieht und vielleicht sogar recherchiert, dann erkennt man bald: Nicht unsere Kultur ist in Gefahr, vielmehr ist gerade dieser Namenskonflikt aus unserer Kultur und Geschichte entstanden.
Das Bullshit-Tripel besteht, wie der Name bereits aussagt, aus drei Komponenten:
1 Das Sankt-Martin/Laternenfest-Dilemma
2 Die Weihnachtsmarkt/Wintermarkt-Differenz
3 Das Christkind/Zipfelmann-Paradoxon
Das Sankt-Martin/Laternenfest-Dilemma
Beginnen wir mit dem Sankt-Martin/Laternenfest-Dilemma. Sankt Martin wird in »Lichterfest« oder »Laternenfest« umbenannt. Diese Aussage erschütterte vor allem jene Menschen, die Angst vor jeglicher Art von Islamisierung haben. Doch man kann an dieser Stelle beruhigen: Es war definitiv kein Moslem, der hier die Finger im Spiel hatte. Eigentlich war einer der Verantwortlichen eher ein katholischer Mönch … ein Mönch namens Martin Luther.
Denn aus Sankt Martin wurde Laternenfest. Ja, das stimmt. Und wer sich mit deutscher Geschichte auskennt, sollte wissen, dass dies nicht erst in diesem Jahr geschehen ist. Es handelt sich hier übrigens um ein typisch deutsches Phänomen.
Beginnen wir dabei mit einem Blick in die junge Vergangenheit. Ich kann mich da an einen kleinen Jungen erinnern, der im November 1982 im Kindergarten in Peckeloh am Tisch saß und eine Laterne gebastelt hat. Gefreut hat er sich, wirklich! Er übte mit seinen Freunden auch kräftig Lieder, »Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne« stand dabei ganz vorn auf der Liste. Dieser Junge freute sich auf einen ganz bestimmten Tag. Er freute sich auf den Tag, an dem traditionsgemäß alle Kinder aus dem Kindergarten mit ihren Eltern und dem Musikzug Wiltmann durch den kleinen Ort gehen und dabei die Laterne halten und Lieder singen. Er freute sich genau auf diesen Abend, er freute sich auf das – Laternenfest.
Ja. Das Laternenfest im Jahre 1982. Und auch 1983 und 1984. Und auch schon vorher, aber auch danach: In diesem kleinen westfälischen Örtchen hieß das immer schon Laternenfest. Sankt Martin? Kannte dort niemand, auch heute noch ist der Sankt-Martins-Brauch im Grunde recht unbekannt in dieser Stadt. Man kennt und feiert dort ein klassisches Laternenfest.
Das liegt jedoch nicht daran, dass dieser Ort vielleicht einen hohen Anteil an Moslems oder Juden hat – nein, das liegt eher daran, dass dieser Ort stark protestantisch geprägt ist. Und auch immer schon war. Die Ausrichter des Laternenfestes waren immer die (evangelischen) Kindergärten.
Das Laternenfest ist eine rein deutsche Erfindung. Schauen wir kulturgeschichtlich ein wenig weiter in die Vergangenheit: Ob Sankt Martin oder Laternenfest, auf beiden wird das Gleiche gefeiert. Lediglich der Name ist unterschiedlich, und auf Martinsumzügen steht der heilige Martin von Tours im Mittelpunkt, der, als römischer Soldat gekleidet, symbolisch seinen Mantel einem Bettler schenkt. Dieser Ritter ist auf Laternenfesten eher nicht zu finden, wobei es auch regional zu Unterschieden oder Mischformen kommen kann.
Aus Sankt Martin wurde also im Laufe der Zeit in verschiedenen Regionen das Laternenfest. Das ist eine Wandlung, die geschichtliche Gründe hat. Dass der heilige Martin in weiten Regionen Deutschlands keine Rolle auf Umzügen spielt, wurzelt in der Reformation. Denn faktisch sind heute knapp 50 Prozent aller Christen in Deutschland einer Gemeinde der evangelischen Kirche zugehörig.
Man muss es auf den Punkt bringen: Im protestantischen Glauben gibt es schlichtweg keine Heiligenverehrung. Das trifft in diesem Fall auch auf Sankt Martin zu (nach dem interessanterweise Martin Luther ja benannt ist). Insofern veranstaltet ein protestantischer Träger (Kindergarten, Kirchengruppe, etc.) eher keinen Sankt-Martinsumzug.
Jedoch wurde auch der katholische Sankt Martin in einigen Regionen evangelisch adaptiert, indem man sich die Namensgleichheit zunutze machte und kurzerhand aus dem Sankt Martin den Martin Luther machte. Die Evangelische Kirche in Deutschland schreibt dazu auf ihrer Homepage:
»So feiert man heute entweder den katholischen Heiligen mit Laternenumzügen und Martinsfeuern oder den Reformator.«
Also ganz deutlich: Seit jeher ist in protestantisch geprägten Gegenden tendenziell eher ein Laternenfest anstatt eines Martinsumzuges anzutreffen. Nicht erst seit diesem oder letzten Jahr.
Der Martinsumzug mit Ritter und Pferd ist jedoch, speziell für Kinder, ein freudiges Ereignis. Zumal die Legende des Sankt Martin ja ein Handeln aus christlicher Nächstenliebe beschreibt, das der protestantischen Ethik in keiner Weise widerspricht. Also gibt es für Protestanten keinen Grund, nicht an einem Martinsumzug teilzunehmen, und im Gegenzug ist es auch für Katholiken kein Problem, an einem Laternenfest teilzunehmen.
Kommen wir nun zurück zu unserem Bullshit-Bild, das plakativ sagt: »Es heißt Sankt Martin und nicht Laternenfest.« Den Namen bestimmt der Ausrichter. Ein katholischer Träger wählt eher den Namen »Martinsumzug«, ein protestantischer wird in Richtung »Laternenfest« tendieren.
Also, wenn man schon einen Schuldigen sucht, der für die Umbenennung des Martinszuges verantwortlich ist, so findet man ihn, wie wir jetzt wissen, nicht bei den Muslimen, den Atheisten oder den Kommunisten. Dann sollte man schon bitteschön die Protestanten an den Pranger stellen. Nennt sie beim Namen, es waren Luther, Zwingli, Calvin, Melanchthon oder Bugenhagen, die katholische Feste umbenannt haben, damit auch Protestanten diese feiern konnten. Das ist deutsche Geschichte – das ist deutsche Kultur. Und daran kann auch ein Bullshit-Bild nichts ändern.
Die Weihnachtsmarkt/Wintermarkt-Differenz
Aber damit ist der Bullshit-Tripel erst eröffnet, denn nun folgt die Weihnachtsmarkt/Wintermarkt-Differenz. Oh mein Gott, war das ein Gejammer und Gezeter im November 2015: Der Weihnachtsmarkt am Münchner Flughafen heißt Wintermarkt! Millionen von Facebooknutzern echauffierten sich und beschworen den Untergang des Abendlandes. Selbst Politiker oder Administratoren großer Facebook-Seiten jammerten wie Chewbacca, nachdem er angeschossen wurde.
Wenn auch nur einer dieser Burschen bei der Leitung des Flughafens München angefragt hätte, dann wären der Welt viele böse Worte erspart geblieben. Lieber böses Blut schaffen und Gift spucken, anstatt in Dialog zu treten. Und damit auch kurz mal Zusammenhänge erschaffen, die so nicht existieren. Der Wintermarkt am Münchner Flughafen ist ein super Beispiel dafür.
Bereits am 17. Dezember 2014 war auf der Fanpage von Dr. Bernd Fabritius (MdB CDU/CSU, Vors. UA Ausw. Kultur- und Bildungspolitik, Ausw. Ausschuss, MRHH-Ausschuss, BdV-Präsident) über diesen Wintermarkt zu lesen.
Aus seinen Vorwürfen (bereits vom Dezember 2014) erlauben wir uns an dieser Stelle zu zitieren:
»GIPFEL DER INTOLERANZ UND DER BELIEBIGKEIT!
Eigentlich mag man es gar nicht glauben! Es meint wohl auch der Flughafen der Landeshauptstadt München aus dem traditionellen Christkindlmarkt oder dem Weihnachtsmarkt einen »Wintermarkt« machen zu müssen … Völlig daneben!
Toleranz gegenüber Traditionen und Religionen bedeutet NICHT, gerade diese preiszugeben, sondern sie anzunehmen! Viele ausländischen (sic) Gäste kommen gerade deshalb gerne nach Bayern, weil es hier eben noch Traditionen zu erleben gibt.
Da steht zwar noch ein Weihnachtsbaum (oder ist das jetzt eine »Beleuchtungstanne«?) und ein Pralinenverkäufer versteckt verstohlen die Silhouette (sic) eines Nikolaus hinter einigen Tannenzweigen. Aber mit Toleranz, einer »Weltstadt mit Herz« und abendländischer Kultur hat das nichts mehr zu tun! Die begründende Pressemitteilung des Flughafenbetreibers (der Markt dauere einige Tage länger als Weihnachten) überzeugt nicht: Die Weihnachtszeit dauert bis Maria Lichtmess und damit länger als der Markt. Vorgeschobene Gründe also.
Schade!«
Diese Vorwürfe sind weiterhin auf seiner offiziellen Fanpage zu sehen, man muss nur weit genug in der Historie suchen. In den Dialog mit dem Münchner Flughafen scheint er nie getreten zu sein, denn eine Auflösung seiner emotionalen Worte ist nicht zu finden. Wo er doch schon Facebook nutzt, wäre eine kleine PN an den Flughafen München sicher hilfreich gewesen.
Knapp ein Jahr später greift stattdessen eine große deutschsprachige Facebook-Seite mit dem Namen »Anonymous.Kollektiv« und weit über einer Million Lesern diese Zeilen des Politikers auf, um zu »beweisen«, wie sehr Deutsche im eigenen Land kritisiert werden. Dialog mit dem Münchner Flughafen? Wiederum nicht. Weder im Jahr 2014 noch im Jahr 2015 hat sich irgendjemand die Mühe gemacht, bei der Flughafenleitung zu fragen, warum ihr Weihnachtsmarkt denn »neuerdings« Wintermarkt hieße.
Und dabei hätte man gar nicht mehr wirklich fragen (und sich damit blamieren) müssen, denn der Flughafen München hatte bereits eine Pressemitteilung herausgegeben, warum und vor allem, seit wann ein Wintermarkt an ihrem Flughafen stattfindet.
*** OFFIZIELLE STELLUNGNAHME ***
Die Flughafen München GmbH verwahrt sich gegen die zum Teil offen fremdenfeindlichen und hetzerischen Beiträge, die uns zum Thema Wintermarkt erreichen. Wir sind hier offenbar zum ziel einer bösartigen Kampagne geworden, die über die vermutliche gefakte Anonymus-Seite ausgelöst wurde. zu dem Begriff Wintermarkt stellen wir fest: Der alljährliche Markt im München Airport Center wird bereits seit dem Jahr 2006 unter dem Namen Wintermarkt veranstaltet. Der Grund für diese Benennung war seinerzeit, dass die Öffnungszeiten des Marktes im MAC verlängert wurden. So blieben die Stände im MAC in der Saison 2006/2007 erstmals bis zum 7. Januar offen – und damit zwei Wochen länger als die klassischen Weihnachtsmärkte. Mit der neuen Bezeichnung sollte sichergestellt werden, dass der Wintermarkt am Flughafen mit seiner längeren Öffnungsdauer von den Weihnachtsmärkten unterschieden wird. Auch im laufenden Jahr ist der Markt im MAC eben kein Weihnachts- oder Christkindlmarkt, die ja bekanntlich am ersten Adventswochenende starten. Demgegenüber beginnt der Wintermarkt am Flughafen bereits morgen und damit eine Woche früher. Anders als die Weihnachtsmärkte endet der Wintermarkt am Flughafen auch nicht an Heiligabend, sondern erst am 27. Dezember. Insofern wäre es schlicht irreführend, den Markt mit der gleichen Bezeichnung zu versehen, wie die auf die Adventszeit beschränkten Weihnachtsmärkte.
//Die Flughafen München GmbH
Machen wir also einen Haken dahinter. So ein Wintermarkt heißt einfach Wintermarkt, weil er die Weihnachtszeit überdauert.
Das Christkind/Zipfelmann-Paradoxon
Wer nun denkt »Schlimmer geht nimmer«, der hat vergessen, dass aus unserem Bullshit-Tripel noch eine These fehlt: das Christkind/Zipfelmann-Paradoxon. Kennst Du den Zipfelmann? Der Zipfelmann ist ein echt armes Kerlchen und Teil des winterlichen Schokoladensortiments bei Penny. Und hat Penny mehr als nur einen Shitstorm beschert. Was hat der arme Zipfelmann nun den Menschen nur getan, dass sie ihn so sehr hassen? Er ist doch eigentlich ganz niedlich, wie er da so zur Weihnachtszeit im Regal steht.
Also versuchen wir, die Geschichte zu entwirren: Ja, den Zipfelmann kann man bei Penny kaufen. Jedoch hat es sich anscheinend noch nicht bis in die letzte Ecke herumgesprochen, dass dieser Zipfelmann kein Ersatz oder gar Konkurrent des Schoko-Weihnachtsmannes ist. Da kann man noch so viel schreien und behaupten. Folgender Text ist keine Erfindung von uns, wir schwören! Diese Meldung war auf Facebook zu lesen und wurde im November 2015 viele Tausend Male verteilt:
Hier auf Facebook geht ein Bild von einen schoko Weihnachtsmann von der Firma Doicor rum der in zipfelmann unbenannt wurde. Penny Verkauft Decoir zipelmänner statt Weihnachtsmänner???? Wenn dem so ist werde ich bei Penny in zukunft nie mehr kunde sein !!! !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! ES HEIßT WEIHNACHTSMANN und NICHT zipfelmann !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! Morgen werde ich zu Penny gehen und wenn ich da so ein schoko als zipfelmann endecke dann seid ihr mich los!!!!!!!!!!! Und nicht nur mich!!!!!!!!!!!!! Wir sind DEUTSCHLAND – CHRISTLICH und nicht ISLAM!!!!!!!!!!!!!!
Für den gesunden Gebrauch von Satzzeichen sowie dudengerechter Nutzung von Groß- und Kleinschreibung sind wir weniger zuständig, das übernehmen die Kollegen von Hooligans Gegen Satzbau. Aber was man kurz und bündig auf diese Bullshit-These antworten kann: Das Zipfelmännchen bei Penny ist kein Ersatz für den Weihnachtsmann. Der Weihnachtsmann bleibt unangetastet.
Selbst bei Penny kann man nur noch den Kopf schütteln, und so las man auf der Firmen-Facebook-Seite immer wieder geduldige Antworten:
Screenshot der Penny-Facebookseite
Vorwürfe, Vorwürfe, Vorwürfe! Unser Rat an all die Menschen, die überall Islamisierung wittern und offenbar zu viel Zeit haben: Zur Weihnachtszeit soll Kekse backen ein tolles Hobby sein!
Exakt diese drei Beispiele
Es waren diese drei aufgeführten Beispiele, die wir zum Bullshit-Tripel zusammenfassten. Bildchen, die zur Vorweihnachtszeit so manchen Newsstream auf Facebook bevölkerten. Dieses Tripel verursachte eine Menge Schmerzen: Vor Wut bei jenen, die ernsthaft glaubten, ihre Kultur sei in Gefahr, und bei allen anderen schmerzte der Kopf vor lauter Aufden-Tisch-Gekloppe.
Und um Euch nun vor Letzterem zu schützen, verlassen wir nun den Bereich der Bullshit-Bilder, zumindest den Bereich jener, die ernsthaft Beulen an der Stirn hinterlassen können.
Keine Ortsangabe, keine Zeitangabe, klingt jedoch irre wichtig: Hier ist immer Skepsis angebracht. Fehlende Quellenangaben lassen immer Zweifel an einer Aussage aufkommen.
Ebenso sollte man kleinen Grafiken, die keine Quellen nennen oder wie eine gefühlte Wahrheit erscheinen, skeptisch gegenüberstehen. Lass Dich nicht von ein paar Quadratpixeln zu einer Meinung hinreißen, sondern prüfe, ob die Aussage stimmt.
Urbane Legenden können manchmal allein aufgrund ihrer stetigen Wiederholungen wahr wirken, dennoch sind es Legenden! Wenn offizielle Stellen wie Polizei oder städtische Behörden einer Information widersprechen, dann kann man davon ausgehen, dass diese Information eine Falschmeldung ist, die man besser nicht selber verbreiten sollte.