Читать книгу Das Erbe des Baumwollkönigs: Das Haus Leupolth, Anno 1865: - Tomos Forrest - Страница 7
Оглавление2.
Verbrannte Erde – Versuch eines Neustarts, Ende Mai 1865
Gemeinsam mit dem hünenhaften Ben brach Matt am nächsten Morgen auf, um sich einen Überblick zu verschaffen. Sally wollte sie dabei nicht begleiten, sondern lieber aus einem frisch gezogenen Salatkopf, ein paar Maiskolben und dem noch vorhandenen Mehlrest eine Mahlzeit für sie zubereiten. Matt war skeptisch, ob diese Bewegung für den misshandelten Rücken Bens geeignet war, aber Ben machte nur eine abweisende Handbewegung, als ihn Matt darauf ansprach.
„Sally hat gute Arbeit geleistet. Heute sind die Striemen noch einmal mit der Salbe unserer guten, alten Mummy Rosita eingerieben, und wie du sehen kannst, hat mich Sally vollkommen eingewickelt, und die Heilung wird schnell gehen. Also, Massa ... Matt – lass uns aufbrechen!“
Matthew Leupolth hatte seine Uniform – oder besser, die Reste, die bei seinem entbehrungsreichen Ritt übriggeblieben waren – in die Ecke geschleudert und zu seiner Freude in seinem Zimmer noch ein paar Hosen und Hemden gefunden, von denen er heute etwas trug. Auch die unbequemen Militärstiefel tauschte er gegen ein paar knöchelhohe Stiefeletten. Aber die Sharps hing über seiner Schulter, ein paar fertige Patronen hatte er in der Hosentasche. Auch der Revolver kam mit, er steckte ihn sich einfach hinten in den Hosenbund. So hoffte er, vor weiteren, unliebsamen Überraschungen einigermaßen geschützt zu sein. Denn natürlich mussten die drei Menschen auf Leupolth Plantation ständig mit neuen, ungebetenen Besuchern rechnen. Versprengte Truppenteile bildeten Banden und raubten, was sie in die Hände bekamen. Sie wurden allgemein als Bushwhacker bezeichnet. Auch Soldaten der Union-Truppen, ehemalige Guerilla-Verbände, streiften durch das Land und wurden Jayhawker genannt. Allerdings versuchten sie, sich noch einen offiziellen Anstrich zu verleihen und gaben vor, gegen versprengte Einheiten der Konföderierten zu kämpfen. In Wahrheit unterschied sich das unter dieser Behauptung versteckte Gesindel kaum von den Bushwhackern.
Welche Armee hier auch durchgezogen war – sie hatte eine breite Spur der Verwüstung hinterlassen. Matt hatte nichts darüber gehört, dass es die Blauröcke bis nach Baton Rouge oder Pointe Coupée in Louisiana geschafft haben sollten, den nächsten Städten von der Plantage aus. Allerdings befand sich New Orleans bereits seit zwei Jahren durch einen geschickten Streich vom Wasser aus in den Händen der Union.
Andererseits konnte sich Matthew nicht erklären, weshalb eine Abteilung der Konföderierten Armee ein Baumwollfeld ansteckte und zerstörte. Denn dieser Anblick bot sich ihm jetzt, soweit das Auge reichte.
Nur im Dunst des fernen Horizontes zeichneten sich die nächsten Bäume ab, die das unermesslich große Feld auf einer Seite begrenzten. Mutlos sank Matt in die Knie und strich mit der Hand über den vom Feuer geschwärzten Boden. Gerade wollte er Ben sagen, dass es keinen Zweck mehr hätte, hier neu zu beginnen, als sein Blick auf zarte, grüne Pflänzchen zwischen den verbrannten Stängeln fiel.
Baumwollpflanzen sind einjährig und ihr Samen muss spätestens im Februar in der Erde sein, jetzt wäre es für eine Neuaussaat viel zu spät. In den Monaten Juni, Juli und August entwickelten sich die Pflanzen in der Hitze, setzen die Blüten an und gut acht Wochen nach der Blütezeit begann die Kapselernte, die dann mehrere Wochen dauert.
„Ben, siehst du das? Hier, hier und hier ... siehst du das, Mann?“
Der große Ben folgte ihm über das verbrannte Feld und verstand jetzt den fröhlichen Stimmungswechsel bei Matthew.
„Du ... du meinst ... da ist noch Leben im Boden? Aber die Pflanzen sind zu klein, um noch rechtzeitig heranwachsen zu können. Und wir benötigen Wasser, der Boden ist viel zu trocken geworden!“, gab der ehemalige Sklave zu bedenken.
„Ja, natürlich, aber – verstehst du nicht, Ben? Das ist unsere Chance! Nicht für das gesamte Feld, das können wir auch gar nicht schaffen. Aber sagen wir – ein, zwei Acre (1 Acre entspricht 4046,9 m²).“
„Mas... Matt – bei allem Respekt, wir drei wollen ... dieses Feld bestellen? Es ist Ende Mai, und das Wachstum ...?“
„Weiß ich doch alles, Ben, weiß ich doch alles! Aber es ist eine Chance! Wir haben bestimmt noch im Keller unsere eiserne Saatreserve, oder? Ich glaube nicht, dass sie jemand gefunden und gegessen hat! Und zusammen mit Sally können wir es riskieren, Ben! Wir teilen zwei Acre für die Idee, die ich gerade beim Anblick der ersten Pflanzen habe. Das Feuer hat zwar die erste Saat vernichtet, aber ich pflüge sie unter. Dann säen wir neu aus und ich habe zum Beschleunigen des Wachstums noch eine Idee, lass dich einfach überraschen!“
Ben betrachtete sehr nachdenklich den jungen Matthew, aber schließlich wurde er von dessen Begeisterung angesteckt.
„Gut, dann schlage ich vor, dass wir als erste Maßnahme den Wassergraben mitsamt den Schleusen wieder instand setzen. Wenn wir das Wasser vom Mississippi erneut hier durchleiten können, haben wir vielleicht Erfolg. Und was ... was ist das für eine Idee, Matt?“
„Abwarten!“, lachte der junge Pflanzer fröhlich, und wandte sich wieder zum Herrenhaus. „Ich bin schließlich der Sohn des Baumwollkönigs, schon vergessen?“
Der hünenhafte Ben nickte und schmunzelte dabei.
Er dachte an seinen Herrn, unter dem er aufgewachsen war. Schon aufgrund seiner körperlichen Eigenschaften half Ben sehr früh seinen Eltern auf den Feldern der ausgedehnten Plantage.
Ja, Charles Leupolth war der ungekrönte Baumwollkönig Louisianas. Niemand sprach ihn mit diesem Ehrentitel direkt an, aber natürlich kannte Charles längst diese Bezeichnung und fühlte sich damit überaus geehrt. Aber er blieb ein bescheidener, stets freundlicher und liebenswerter Mensch. Seine Frau Ava liebte ihn abgöttisch, und seinen Kindern gegenüber war er stets ein fürsorglicher Vater. Als sein Entschluss feststand, sich zur Armee der Konföderierten zu melden, machte auch sein alter Vater, der in einem eigenen Flügel des Herrenhauses wohnte, keinerlei Einwände. Er bat seinen Sohn beim Abschied nur, stets sein persönliches Wohl vor das der Armee zu stellen. Niemals sollte er nur aufgrund der Ehre den Kampf suchen, sondern mithelfen, die Konföderierten Staaten zu erhalten und dem Norden zu zeigen, dass die Aristokraten des Südens die Herren waren. Was wussten denn die Fabrikarbeiter im Norden von ihren Problemen! Jetzt drängten sie sich zu den Blauröcken und jubelten, wenn es gegen die Sklavenhalter ging. Was für ein Unsinn! Welcher Weiße war denn in der Lage, bei den herrschenden Temperaturen und der ungesunden Sumpfluft im Süden auf den Feldern zu arbeiten?
Und seit dem Bestehen der Plantage hatten es die Sklaven den Umständen entsprechend gut. Die Leupolths wussten, dass nur ein gesunder Arbeiter in der Lage war, ausdauernd auf den Feldern zu arbeiten. Dass ein Zweig der Familie einst selbst dafür gesorgt hatte, zahlreiche Menschen von der afrikanischen Küste zu fangen und zwangsweise nach Nordamerika zu schaffen, war den Leupolths in Louisiana zwar bekannt, aber auch nicht mehr zu ändern (vgl. dazu: Das Haus Leupolth – Anno 1530, Das Schwarze Gold). Seitdem waren mehr als dreihundert Jahre vergangen, und in dem weißen Herrenhaus auf der Plantage gab es nur vage Erzählungen aus der Familienchronik. Noch während seiner Zeit in der Armee war Großvater Frank gestorben. Ganz friedlich schlief er in seinem Bett ein, während man im Salon mit dem Frühstück auf ihn wartete. In aller Stille und unter der Anteilnahme nur weniger Bekannter aus der Nachbarschaft wurde er in dem Wäldchen hinter dem Herrenhaus auf dem Familienfriedhof beigesetzt. Man beneidete den alten Herrn fast ein wenig um seinen sanften Tod, während ständig Nachrichten bei den Plantagen der Umgebung eintrafen, die von toten, verwundeten oder vermissten Familienmitgliedern berichteten. Trotzdem hatte es für den Baumwollkönig kein Halten gegeben. Als sich die ersten Staaten aus der Union lösten und man schließlich in einem Bruderkrieg stand, war es für Charles Leupolth, der als junger Mann auf Wunsch seines Vaters eine Ausbildung in West Point genossen hatte, selbstverständlich, seine Dienste zur Verfügung zu stellen.
Vieles davon schwirrte Matt auf dem Rückweg zum Herrenhaus durch den Kopf, aber dann nahm ihn die Gegenwart wieder in Anspruch. Er hatte dem ersten Impuls nachgegeben und war zu dem kleinen, abseits gelegenen Friedhof der Familie geritten und war erstaunt, wie gepflegt die Gräber waren. Nirgendwo gab es Unkraut, und auf dem Grab seines Großvaters lag ein Blumenstrauß, der noch nicht vertrocknet war. Bei seiner Rückkehr zum Haus erwähnte er das verwundert und erfuhr dann von Sally, dass sie es war, die den Familienfriedhof gepflegt hatte. Einen weiteren Friedhof gab es beim ehemaligen Sklavendorf, aber der wurde von den Bushwhackern, die alles andere verwüstet und niedergebrannt hatten, ebenfalls zerstört. Die einfachen Kreuze oder Steine wurden ebenso wie die Gräber von ihren Pferden zertrampelt.
Matthew nahm sich vor, dass auch später, bei einem möglicherweise wieder aufgebauten Dorf für die Plantagenhelfer, ein eigener Friedhof entstehen sollte.
Die Hitze des noch jungen Morgens machte keinem mehr etwas aus, auch wenn beiden Männern schon jetzt der Schweiß vom Gehen auf der Stirn stand. Mit einem besorgten Blick musterte Matt die Verbände des Ausgepeitschten. Ben bemerkte das und brummte nur gutmütig: „Alles in Ordnung, Massa! Heute Nacht wird die Salbe wieder wirken und morgen können wir so arbeiten, wie du es geplant hast!“
Matt schmunzelte.
Ihm gefiel der bärenstarke Ben schon als kleiner Junge. Er packte zu und schleppte mehr zusammengepresste Baumwollballen zum Verladen herbei als drei andere Männer. Und er war stets gut gelaunt, seine blendendweißen Zähne bildeten einen auffallenden Kontrast zu seinem ebenholzfarbigen Gesicht. Sally empfing sie fröhlich bei ihrer Rückkehr und hatte es fertiggebracht, einen Tisch mit einem blütenweißen Tischtuch unter einer der mächtigen Eichen aufzustellen, die einst Großvater Frank Leupolth oder sogar schon Urgroßvater Johann Friedrich gepflanzt hatten.
Matthews Gedanken schweiften in die Vergangenheit.
Es war der aus Deutschland stammende Johann Friedrich zu Leupolth, der im Jahre 1777 nach Nordamerika gegangen war und in der Armee George Washingtons diente. Verwundet und in Gefangenschaft geraten, wollte er nach dem Krieg zurück in seine deutsche Heimat, aber da lernte er in Boston die Frau kennen und lieben, mit der er dann nach Louisiana ging und die Plantage aufbaute. Elsbeth und Johann hatten zwei Söhne, von denen nur Frank überlebte und der später Mary O’Connor heiratete, deren Familie in unmittelbarer Nachbarschaft ebenfalls eine Baumwollplantage betrieb. Die großen Felder waren ohnehin kaum einen Steinwurf voneinander entfernt und wuchsen nun in den nächsten Jahren buchstäblich zusammen. Nach dem Tod der Eltern Marys erbten die beiden alles, bauten das Herrenhaus auf Leupolth Plantation zu einem wahren Südstaatenpalast aus und vermehrten mit jeder Ernte ihren Reichtum. Es war schließlich sein Vater Charles, der die Idee hatte, weiteres Land urbar zu machen und mit Tabak anzubauen. Die Anregung dazu bekam sein Vater von seinem Schwiegervater, dem Doktor Middleton aus Baton Rouge, einem leidenschaftlichen Raucher und Liebhaber eines guten Whiskys.
Wo seid ihr alle? Ich vermisse euch schmerzlich!, dachte Matt. Wahrscheinlich waren seine Eltern mit seiner Schwester Emily nach New Orleans gegangen, wo entfernte Verwandte seiner Mutter Ava lebten. Er war aber überzeugt, dass es ihnen gut ging, auch wenn er seit seiner Meldung zur Armee ohne jede Nachricht von ihnen war. Zu Sally und Ben hatten sie lediglich gesagt, dass sie wahrscheinlich nach New Orleans wollten, vorausgesetzt, es gab keine Schwierigkeiten auf dem Landweg. Die letzten Dampfer waren vor zwei Monaten hier vorübergekommen, sodass Charles ihre offene Kutsche mit allem belud, was sie mitnehmen konnten, und dann aufbrach.