Читать книгу Mörder mit besonderen Privilegien Berlin 1968 Kriminalroman Band 61 - Tomos Forrest - Страница 5

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Natürlich kannte er sich bestens in der Gegend rund um den Grunewald bestens aus. Seine Auftraggeber kamen erstaunlicherweise relativ häufig aus dieser Gegend. Oder auch aus Charlottenburg, keine Frage.

In jedem Fall war Daniel Kraemer in gewissen Kreisen sehr gefragt.

Aber als er jetzt in den schmalen Hohlweg einbog, musste er sich gestehen, dass alles bislang ein wenig Unwirklich war. Daniel wollte sich eigentlich keine Rechenschaft geben, aber trotzdem hielt er das Ganze noch immer für einen Scherz. Er blieb stehen, atmete tief durch und schirmte seine Augen gegen die helle Morgensonne mit der Hand ab. Er spürte, wie sich dabei der Revolver im Hosenbund unangenehm drückte.

Doch dieses Gefühl ignorierte er schließlich.

Daniel Kraemer war es gewohnt, im entscheidenden Augenblick alles Störende auszublenden. Dann wurde er eiskalt, reagierte mit der Präzision eines Uhrwerks und war sich in jeder Sekunde sicher, wie sein nächster Schritt aussehen musste.

Der Zeitplan stimmte auf die Minute genau.

Kunststück, er war ein Profi. Wer ihn engagierte, konnte sich darauf verlassen, erstklassig bedient zu werden. Das bedeutete, dass es am Ende eines solchen Jobs eine Leiche gab, manchmal auch zwei.

Daniel Kraemer war ein Mörder.

Er hielt sich viel darauf zugute, nicht zur rüden Sorte irgendwelcher Auftragsmörder zu gehören, wie sie nur zu häufig von der Berliner Unterwelt beauftragt wurden. Manche der ganz großen Bosse im Hintergrund ließen solche Männer sogar einfliegen.

Kraemer war ein gebildeter, kultiviert auftretender Mann, dessen Umgebung nichts von seiner wahren Tätigkeit ahnen ließ. Er kannte sich in nahezu allen gesellschaftlichen Themen aus, war, wenn er auftrat, rasch der angenehme Mittelpunkt einer gesellschaftlichen Runde und konnte dabei charmant plaudern. Frauen mochten ihn, und Daniel Kraemer mochte die Frauen. Jetzt holte er den Plan aus der Tasche und musterte die Zeichnung mit verkniffenen Augen. Der Weg machte vor ihm eine Biegung. Gleich dahinter befand sich ein Holzgatter, das den Zugang zu einem unbebauten Grundstück sicherte. Alles stimmte mit dem überein, was man ihm mitgeteilt hatte, und dennoch war Kraemer zumute, als müsste in der nächsten Minute jemand auftauchen und ihm zurufen: Daniel, Daniel!

Hier, mitten im Grünen, in einer sanften, abseits des hektischen Treibens gelegenen Landschaft rund um den See sollte es einen Zugang geben, der in der Luxusherberge eines prominenten Mannes endete? Kraemer ging weiter.

Er stoppte erneut, als er das Häuschen am Wege stehen sah, einen alten, schon halb verfallenen Schuppen.

Kraemer befeuchtete sich die Lippen mit der Zungenspitze. Er registrierte eine zunehmende, kribbelnde Spannung in sich, sie wurde so stark, dass er plötzlich anfing, sich zu kratzen. Er kannte dieses Symptom.

Es ging jedem Mord voraus und verschwand erst, wenn er die Tat hinter sich gebracht hatte.

Kraemer schritt auf den Schuppen zu, erreichte dessen offenen Eingang, schaute sich kurz um und trat ein. Durch die schadhaften, offenen Wände fiel Licht ins Innere des abbruchreifen Baus. Kraemer schob das Stroh, das den Boden bedeckte, mit der Fußspitze zur Seite. Seine Augen weiteten sich. Tatsächlich, da war sie, die geheimnisvolle Tür, eigentlich handelte es sich nur um eine schwarzlackierte, stählerne Bodenklappe, aber sie bestätigte, was in seinem Auftrag stand.

Kraemer bückte sich. In die Platte war ein umlegbarer Handgriff eingelassen. Er hob die Platte an. Sie war an Scharnieren befestigt und ließ sich leicht und mühelos bewegen. Der Einstieg gähnte Kraemer dunkel entgegen. Seine Augen gewöhnten sich rasch an das diffuse Licht. Er entdeckte am oberen Ende der quadratischen Öffnung einen Lichtschalter und betätigte ihn.

Eine Lampe flammte auf und erhellte einen etwa drei Meter tiefen Schacht, in dessen Betonwände stählerne Tretsprossen eingelassen waren. Kraemer kletterte in die Öffnung und zog den Deckel hinter sich in den präzise abdichtenden Stahlrahmen. Am unteren Ende des Schachtes erreichte er einen nicht einmal mannshohen, beleuchteten Korridor. Er hatte einen Zementboden und war weiß getüncht. Die in regelmäßigen Abständen angebrachten Wandlampen machten den Eindruck, als verlören sie sich in der Unendlichkeit. Kraemer konnte nur leicht gebückt stehen. Der Korridor, der vor ihm lag, erinnerte ihn sehr stark an Bilder aus Science-Fiction- Filmen.

Kraemer schüttelte den Kopf. Dinge gab’s, die gab's gar nicht.

Er schritt den Korridor entlang. Seine Kreppsohlenschuhe verursachten kein Geräusch. Es war totenstill. Kraemer hatte noch niemals zuvor eine Stille so eindringlich empfunden wie die, die hier unten herrschte.

Der Abstand zwischen den Wandlampen betrug schätzungsweise je zwanzig Meter. Kraemer fing an zu zählen. Er machte Schluss damit, als ihm einfiel, dass die exakte Länge des Korridors ja im Plan stand, genau wie alles andere. Der unterirdische Gang war siebenhundert Meter lang. Ein Tunnel im Grünen. Einfach phantastisch.

Irgendwann einmal musste er unter großem Aufwand von vielen Menschen gebaut worden sein. Leute aus der Umgebung mussten das eigenartige Projekt bestaunt und neugierig verfolgt haben. Daran beteiligte Arbeiter hatten vermutlich darüber gesprochen und sogar die Presse informiert, aber das lag nun schon Jahre zurück. Allerdings machte der Gang nicht den Eindruck, aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zu stammen. Irgendwann angelegt, war er für viele in Vergessenheit geraten. Jetzt war dieser unterirdische Gang genau das, was er von Anbeginn hatte sein sollen: ein Geheimnis seines Besitzers.

Kraemer verzog das gut geschnittene Gesicht. Er fand es komisch, dass ein Tunnel, der vermutlich einmal als Fluchtweg konzipiert gewesen war, ihm als Zugang zum Ort eines Verbrechens dienen sollte.

Zu einem Mord, um genau zu sein.

Kraemer ging weiter. Er hielt seinen Kopf mit den markanten, eindrucksvollen Zügen leicht gesenkt. Er sah nicht aus wie ein Mörder. Eher wie ein Dressman. Das war sein großes Plus im Leben. Er hatte Persönlichkeit und verfügte über ein beträchtliches Maß an Ausstrahlung.

Die Leute im Klub mochten ihn. Besonders die Frauen. Und auch sonst hatte er keine Kontaktschwierigkeiten.

Natürlich verband sich sein blendendes Aussehen auch mit berufsbedingten Nachteilen. Er durfte sich beim Töten keine Zeugen leisten. Niemand durfte in die Lage versetzt werden, ein Phantombild von ihm anzufertigen. Das hätte sein sicheres Ende bedeutet.

Er schaute auf die Uhr.

Neun Uhr fünfzig.

In zehn Minuten war es soweit.

Daniel Kraemer biss sich auf die Lippen. Er wusste von seinem Opfer nur den Vornamen, aber er hatte immerhin ein Foto des Mädchens gezeigt bekommen.

„Ich komme, Katharina“, flüsterte er. „Du schwimmst deinem Tod entgegen.“

Mörder mit besonderen Privilegien Berlin 1968 Kriminalroman Band 61

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