Читать книгу Mörder mit besonderen Privilegien Berlin 1968 Kriminalroman Band 61 - Tomos Forrest - Страница 7

2

Оглавление

Daniel Kraemer stoppte.

Vor ihm lag die stählerne Tür am Ende des Korridors.

Er zog seinen Revolver aus der Halterung, ließ dessen Trommel einmal rotieren und überzeugte sich davon, dass die Waffe funktionsfähig war.

Er kratzte sich mit den Nägeln seiner Linken die Oberfläche der rechten Hand. Das Spannen und Kribbeln seiner rechten Hand war nahezu unerträglich geworden.

Daniel Kraemer war ein Freund präziser Arbeit, des exakten Timings. Er öffnete die Stahltür genau um zehn Uhr.

Sie schwang völlig lautlos zurück. Die Mühelosigkeit, mit der sie sich öffnen ließ, machte klar, mit welcher Perfektion ihre Erbauer sie in den Angeln gelagert hatten.

Daniel Kraemer blickte in eine riesige, elegante Schwimmhalle. Sie war lichtdurchflutet. Die Morgensonne drang durch deckenhohe Glaswände in den Raum. Das Licht war so intensiv, dass Kraemer für eine Sekunde wie geblendet seine Augen schließen musste.

Als er sie wieder öffnete, sah er sein Opfer.

Katharina.

Sie durchschwamm mit kräftigen, eleganten Zügen den großen Swimmingpool. Es irritierte Kraemer, dass er ihr blondes Haar nicht sehen konnte, denn sie trug eine Schwimmkappe, aber es lag auf der Hand, dass es sich nur um sie, um Katharina, handeln konnte.

Ihm war versichert worden, dass ihr morgendliches Schwimmen zu dieser Stunde, genau um zehn, gleichsam ein Ritual war, das sie nur dann versäumte, wenn sie durch Krankheit oder andere zwingende Gründe daran gehindert wurde.

Auf den zweiten Blick gewahrte Kraemer etwas, wovon im Plan nichts erwähnt war.

Dieses Etwas war ein Mann, ein ziemlich hochgewachsener Bursche in eierschalenfarbigen, scharf gebügelten Hosen von untadeligem Sitz. Darüber trug er einen saloppen, hellblauen Nicky, der lebhaft mit seinem öligschwarzen, bis tief in den kräftigen Nacken reichenden Haar kontrastierte. Kraemer sah den Mann nur von hinten. Er stand am Beckenrand und hielt eine Stoppuhr in der Rechten.

Es war merkwürdig, dass weder der Mann noch die Schwimmende Kraemer gewahrten. Das Loch, das die Wandtür unvermittelt geschaffen hatte, war ein Blickfang und nicht zu übersehen.

Aber das Mädchen war auf das Schwimmen konzentriert und der Mann verfolgte ihre Bemühungen mit der kritischen Anteilnahme eines Trainers oder Lehrers.

„Lockerer“, rief er. „Locker und gleichzeitig kraftvoll! Mit der Atemtechnik hapert's noch, aber das kriegen wir mühelos...“

Er unterbrach sich, riss den Kopf herum und blickte über seine Schulter, Daniel Kraemer geradewegs in die Augen.

Kraemer machte einen Schritt nach vorn. Er betrat die Schwimmhalle erst jetzt mit schussbereit erhobener Waffe. Der Schwarzhaarige sah gut aus, aber wiederum nicht gut oder bedeutend genug, um für den Besitzer des luxuriösen Anwesens gehalten zu werden. Er stand nur eine Sekunde lang wie erstarrt. Dann wurde ihm klar, dass er gegen den Revolver in der Hand des Eindringlings keine Chance hatte, er hechtete ins Wasser und tauchte ab.

Jetzt stoppte auch die Schwimmerin mitten in der Bahn. Sie hob prustend den Kopf und sah den Fremden am Rande des Schwimmbeckens. Kraemers Mund trocknete aus. Dies war nicht Katharina. Nein, das war nicht das Mädchen, das man ihm auf dem Foto gezeigt hatte.

Das Mädchen im Becken war nicht älter als 19, sie hatte ein aufregend geschnittenes Gesichtsoval mit leicht schrägen, dunklen Augen.

Kraemer schluckte.

Verdammt, der Plan hatte gestimmt. Er hatte sich zwar ausgenommen wie eine Story von H.G. Wells, aber dann war alles so gewesen, wie man es ihm beschrieben hatte, wirklich haargenau, nur jetzt, am Ziel des Ganzen, geriet plötzlich alles durcheinander.

Er konnte kehrtmachen und türmen. Das war gewiss das einfachste, aber was sollte er seinen Auftraggebern mitteilen? Schließlich war da noch sein Gesicht, an das sich zwei Menschen erinnern konnten und von dem sie eine genaue Beschreibung zu liefern vermochten.

Na und? Er konnte behaupten, bei einem Landspaziergang durch Zufall auf den unterirdischen Gang gestoßen zu sein. Er konnte erklären, dass es ihn interessiert habe, wo der Gang endete und welchem Zweck er diente.

Schön und gut, aber wie sollte er eventuellen Fragern klarmachen, dass er diesen Spaziergang mit einem Revolver in der Rechten durchgeführt hatte?

Kraemer ließ die Waffe sinken. Seine Überlegungen hatten nur Bruchteile von Sekunden in Anspruch genommen, sie waren praktisch nur Gedankenblitze gewesen.

„Wo bin ich hier?“, fragte er laut. Seine Stimme hallte in dem hohen Raum ungeheuer.

Auf der anderen Seite des Schwimmbeckens stieß der Schwarzhaarige seinen Kopf aus dem Wasser. Er hatte das Bassin mit wenigen Zügen durchquert. Er atmete mit weit offenem Mund und entspannte sich erst, als er sah, wie der Eindringling seinen Revolver zurück ins Holster schob.

„Wer sind Sie?“, fragte der Schwarzhaarige. „Wie kommen Sie in diese Halle?“

„Ja, und was ist das für eine Tür?“, hängte sich das Mädchen an. Sie trat mitten im Becken auf der Stelle. „Ich wusste nicht, dass es sie gibt.“

Kraemer zuckte mit der Schulter. „Sie können kaum überraschter sein, als ich selbst es bin“, sagte er. „Ich gehe nichtsahnend übers Land, sehe mich in einer Feldscheune um und was entdecke ich dort? Einen Einstieg mit Lichtschalter! Na, ich werde natürlich neugierig, klettere den Schacht hinab und gelange am Ende eines endlos erscheinenden Korridors an diese Tür. Ich öffne sie und stehe in einer Schwimmhalle. Ein unterirdischer Gang. Wie in einem Krimi! Es ist klar, dass ich mich dabei an meinen Revolver erinnerte und ihn für alle Fälle zog...“

Der Mann mit dem schwarzen Haar kletterte aus dem Bassin. Die Art, wie er sich über den Beckenrand schwang und auf die Beine kam, verriet den durchtrainierten Sportler. „Wer, zum Teufel, sind Sie?“, fragte er mürrisch und streifte sich den klatschnassen Nicky über den Kopf. Die Brust, die er entblößte, war braungebrannt und von imponierender Breite.

Das Mädchen schwamm zur Leiter. Sie stieg aus dem Becken und bewegte sich auf Kraemer zu. Kraemer registrierte, dass sie enorm lange, gut geformte Beine und eine recht üppige Oberweite hatte. Ihre olivbraun getönte Haut begeisterte ihn, aber dies war nicht der Augenblick, sich an ästhetischen Reizen zu berauschen.

Im Gehen zerrte sich das Mädchen die weiße Badekappe von ihrem Kopf. Das fast schulterlange Haar löste sich, es fiel weich, seidig und tief schwarz herab.

„Sie haben uns mit Ihrer Waffe in der Hand einen schönen Schrecken eingejagt“, meinte sie, schritt an Kraemer vorbei und blickte interessiert in den langen, von Wandlampen beleuchteten Korridor. „Du lieber Himmel“, meinte sie staunend. „Wie lang ist der eigentlich?“

„Mindestens fünfhundert Meter“, antwortete Kraemer.

Der Schwarzhaarige kam barfuß und mit klatschnasser Hose um das Becken herum. Er stellte sich hinter das Mädchen und blickte über ihre Schulter. „Phantastisch“, murmelte er und bekam große, runde Augen. „Haben Sie gewusst, dass so etwas hier unten existiert?“

Kraemer entnahm seinen Worten, dass das Haus, zu dem die Schwimmhalle gehörte, oberhalb der Terrasse lag, auf die die verglasten Wände wiesen.

„Nein“, erwiderte das Mädchen. Sie schaute Kraemer an und lächelte plötzlich. Es war offenkundig, dass das Äußere des Eindringlings ihr gefiel. „Sie haben sich noch nicht vorgestellt“, sagte sie.

Kraemer grinste. „Sie auch nicht.“

„Ich bin Jessica Schild“, sagte sie. „Und das ist Erich Sorge.“

„Hi“, sagte Kraemer. „Ich bin Daniel.“

Sein Vorname war unverbindlich. Mehr würden sie aus ihm nicht herausquetschen.

Er hasste es, improvisieren zu müssen.

Zwar konnte er sich damit beweisen, wie groß seine geistige Beweglichkeit war, aber ihn irritierten die vielen Risiken, die eine solche Aktion barg.

Trotzdem musste er die angenommene Rolle weiterspielen. Er musste herausfinden, weshalb die Dinge nicht so liefen, wie der Plan sie vorgesehen hatte.

Der Plan!

Der Mordauftrag ließ einfach zu viele Fragen offen. Zum Beispiel - nähere Hinweise auf das Opfer.

Ein Vorname, ein Foto. Viel war das nicht.

Warum sollte Katharina sterben?

Daniel Kraemer wusste, dass es auf seine Fragen zwar schlüssige Antworten gab, aber er bezweifelte, ob er sie jemals erhalten würde.

Er war ein Mann, der dafür bezahlt wurde, dass er tötete. Ein Profi seines Kalibers handelte, er stellte keine Fragen.

Was man einem Mörder mitteilte, pflegte sich im Allgemeinen auf das Notwendigste zu beschränken, auf Fakten, deren Kenntnis zur Tatausführung unumgänglich waren.

Mehr war nicht drin.

Bislang hatte dieses System funktioniert. Jedenfalls hatte es sich in Daniel Kraemers krimineller Existenz durchaus bewährt.

Jetzt, wo es zum ersten Mal in die Brüche ging, musste er demonstrieren, dass er mehr konnte, als im richtigen Moment abzudrücken. Jetzt musste er auf seine Weise mit der verfahrenen Situation fertig werden.

Hatte man ihm eine Falle gestellt? War das Ganze nur ein großangelegtes Manöver, das dem Zwecke diente, ihn in Schwierigkeiten zu bringen?

‚Ich komme dahinter‘, schwor sich Kraemer, ohne auch nur mit einem Wimpernzucken erkennen zu lassen, was ihn bewegte. ‚Ich finde es heraus und lege denjenigen um, der meint, mir etwas ans Zeuge flicken zu können! Beruhige dich, alter Junge‘, dämpfte er im nächsten Moment seine Erregung. ‚Noch steht keineswegs fest, dass man dich in die Pfanne hauen will‘.

Irgendetwas war schiefgelaufen, das sein Auftraggeber nicht hatte vorhersehen können.

Er musste Katharina finden.

Sein Auftrag galt noch immer.

Er musste Katharina umbringen.

„Sie stammen nicht aus dieser Gegend, nicht wahr?“, fragte ihn das schwarzhaarige Mädchen. Es hatte wundervolle Zähne, die sie bereitwillig beim Sprechen und Lächeln zeigte. „Jedenfalls habe ich Sie noch niemals hier draußen gesehen“, fügte sie hinzu, streckte lässig einen schlanken Arm aus und forderte: „Den Mantel, Erich.“

Der Schwarzhaarige eilte zu einem Klappstuhl am Beckenrand, über dessen Lehne ein weißer Bademantel hing. Der Mann kehrte damit zurück und legte ihn behutsam, beinahe zärtlich um die nassen Schultern des Mädchens. Sie tat den Dienst mit einem flüchtigen Kopfnicken ab und fuhr fort, Kraemer in die Augen zu blicken.

„Ich muss Katharina fragen, was es mit diesem komischen Gang für eine Bewandtnis hat“, sagte sie.

„Wer ist Katharina?“, gab Kraemer sich scheinheilig.

„Katharina Schreiber“, erwiderte Jessica und ordnete mit ihren schlanken Fingern ihr Haar. „Ihr gehört das Haus.“

„Was ist das für ein Kasten?“, fragte Kraemer und schaute sich um. „Ich habe ihn nicht gesehen, als ich die Feldscheune am Wegesrand betrat.“

„Sie konnten ihn auch nicht sehen“, mischte Sorge sich ein. „Es liegt direkt an einem Hügel und wird von ihm nach Osten hin abgeschirmt. Die Terrasse der Schwimmhalle“, fügte er mit einer erklärenden Handbewegung hinzu, „weist nach Südwesten, genau wie die des darüber liegenden Bungalows. Ein Klassehaus!“

„Einfach hinreißend“, bestätigte Jessica.

Kraemer fühlte, dass Sorge ihn nicht aus den Augen ließ. Sorges bereitwillige Worte täuschten nicht darüber hinweg, dass er dem Eindringling zutiefst misstraute. Das bewies die Frage, die seiner Erklärung folgte. „Laufen Sie immer mit ’ner Waffe herum, besonders auf Landspaziergängen?“, wollte er wissen.

Kraemer grinste. Er fing an, die Situation zu genießen. Jessica war wunderschön, einfach hinreißend, und es war zu spüren, dass auch er ihr gefiel. Das aber weckte Sorges Eifersucht.

„Ja, immer“, erwiderte Kraemer. „Ich stamme aus Frankfurt, wissen Sie. Ich bin allein in den letzten sechs Monaten zweimal von überfallen worden. Sie haben mich niedergeschlagen und beraubt. Einmal beging ich den Fehler, mich zu wehren. Das hätte mich beinahe das Leben gekostet. Seitdem gehe ich nicht mehr ohne Waffe aus. Natürlich ist alles in Ordnung, ich habe einen Waffenschein dafür.“

Sorge schnippte mit den Fingern. „Jetzt weiß ich, wo ich Sie schon einmal gesehen habe“, sagte er. „Sie sind Mitglied im hiesigen Golf-Klub.“

Das Juckgefühl ließ Kraemer schlagartig los, aber an seine Stelle trat ein Empfinden innerer Vereisung. „Sie irren sich“, sagte er. „Ich gehöre dem Klub nicht an, aber es ist richtig, dass ich schon einmal dort gewesen bin, als Gast.“ Seine Worte trafen nur zum Teil zu. Er war tatsächlich kein Klubmitglied, aber er ging mindestens einmal wöchentlich in das Klubhaus, man kannte ihn dort. Er fand, dass man im Klub die richtigen Leute traf, auch die richtigen Mädchen, und außerdem boten sich stets ein paar Möglichkeiten, Material für neue Aufträge zu sammeln.

Ein Mörder kann es sich nicht leisten, seine Dienste durch Inserate anzubieten.

Weil er nicht im Dienste einer Organisation steht, ist er gezwungen, sich anzubieten. Das geht nur nach gründlichsten Recherchen und nach einer genauen Kenntnis der besonderen Umstände.

Trotzdem: er war erkannt worden, zwar nicht als Mörder, aber als ein Mann, der sich in einem bestimmten Kreis bewegte und offenkundig Kontakte zur High Society in Charlottenburg oder Steglitz-Zehlendorf pflegte. Früher oder später war ein dummer Zufall dieser Art zu erwarten gewesen. Es tat gut, zu wissen, dass er, Daniel Kraemer, rechtzeitig die Notbremse gezogen und den beiden einen Bären aufgebunden hatte.

„Dann kennen Sie gewiss auch Traute Richter“, sagte Jessica eifrig, die Wert darauf zu legen schien, mit Kraemer ein paar Bekannte zu teilen.

„Bedaure, nein“, sagte Kraemer.

Ein Telefon klingelte. „Pardon“, murmelte Sorge und begann zu laufen. Der Apparat stand auf einem kleinen Tischchen an den zur Terrasse weisenden Glaswänden. Kraemer entdeckte erst jetzt, dass es sich um Schiebetüren handelte. Eine davon war offen.

Sorge griff nach dem Hörer und fragte: „Ja, bitte?“

Er nickte kurz, ließ den Hörer sinken und schaute Jessica an. „Katharina erwartet dich“, informierte er das Mädchen. „Bernd Schuster ist gekommen.“

„Wer ist Bernd Schuster?“, fragte Jessica erstaunt.

„Den kennst du nicht?“, murmelte Sorge und warf den Hörer zurück auf die Gabel. „Es ist der Super-Schnüffler von Berlin, vielleicht sogar einer der Besten in der ganzen Bundesrepublik. Erinnerst du dich nicht, dass Katharina ihn hergebeten hat?“

„Nein. Was habe ich damit zu tun?“

„Das fragst du am besten Katharina“, meinte Sorge.

„Ich hoffe, wir sehen uns noch“, sagte Jessica lächelnd zu Kraemer.

Er erwiderte das Lächeln. „Ganz sicher“, nickte er. „Ich freue mich darauf.“

Er blickte dem davongehenden Mädchen hinterher. Die Art, wie sie sich zu bewegen verstand, ging ihm unter die Haut. Ich werde sie besitzen, dachte er.

Oder töten.

Sorge schlenderte auf Kraemer zu. „Sie gefällt Ihnen, was?“, fragte er.

„Spielt das eine Rolle?“, fragte Kraemer spröde.

„Wie man’s nimmt. Ich rate Ihnen jedenfalls, die Finger von ihr zu lassen.“

„Soll das ein guter Rat sein? Oder eine Warnung?“, fragte Kraemer. Er spürte schon wieder das altbekannte Jucken auf der Haut.

„Das können Sie auffassen, wie’s Ihnen passt“, meinte Sorge und streckte die Hand aus. „So, und jetzt geben Sie mir die Waffe.“

Daniel Kraemer lachte kurz. „Sie ticken wohl nicht richtig, was?“, fragte er.

Jetzt gab es Ärger. Erich Sorge suchte ihn, das stand außer Frage.

Sorge brannte offenbar darauf, einen lästigen Mitbewerber um Jessicas Gunst loszuwerden. Kraemers Revolver diente ihm dabei als willkommener Aufhänger.

„Her damit!“, sagte Sorge.

Kraemer grinste friedfertig, obwohl er nicht vorhatte, sich mit Sorge zu arrangieren. „Warum sollte ich Ihnen die Waffe aushändigen?“, fragte er. „Sind Sie 'n Polyp oder so was Ähnliches?“

„Ich werde dafür bezahlt, dieses Haus von kriminellen Elementen freizuhalten“, sagte Sorge. „Und von Waffen, die im falschen Moment losgehen könnten.“

„Jetzt fällt bei mir der Groschen. Sie sind ein Bodyguard, ein Leibwächter. Sie stehen auf Katharina Schreibers Lohnliste. Habe ich recht?“

„Ich zähle bis drei“, sagte Sorge.

„Okay, ich gebe mich geschlagen“, seufzte Kraemer und tat so, als wollte er die Waffe aus dem Holster ziehen, aber plötzlich rutschte seine Rechte aus, sie flog als Faust geballt auf Sorge zu. Der versuchte im letzten Moment wegzutauchen, aber Kraemer hatte diesen Reflex einkalkuliert. Er traf hart und genau.

Das Geräusch, das Kraemers Faust auf dem Kinn seines Gegners erzeugte, erinnerte an brechendes Holz. Der Treffer landete exakt auf dem Punkt.

Sorge stolperte zurück. Er versuchte auf den Beinen zu bleiben, aber Kraemer setzte sofort nach, er gab ihm nicht die geringste Chance. Kraemers nächster, knallharter Schwinger fegte Sorge ins Wasser.

Das kühlende Nass bewahrte Sorge davor, in die Bewusstlosigkeit abzudriften. Er schwamm mühsam zum Beckenrand, hielt sich daran fest und rang nach Luft. Er hatte diesmal nicht die Kraft, sich am Rande hochzuziehen. Nach kurzer Verschnaufpause schwamm er zur Leiter und kletterte aus dem Becken. Mit weichen Knien ging er zu dem Klappstuhl, auf dem Jessicas Bademantel gehangen hatte, und setzte sich.

„Wir sind noch nicht miteinander fertig“, murmelte er benommen. Er konnte nicht verstehen, dass es ihn so hart erwischt hatte. Normalerweise pflegte er Auseinandersetzungen dieser Art als Sieger zu beenden.

„Eines verstehe ich nicht“, sagte Kraemer, der sich großartig fühlte. „Sie arbeiten in diesem Haus als Bodyguard und wissen nichts von der Existenz des unterirdischen Ganges. Wie erklärt sich das?“

Sorge runzelte die Augenbrauen. Ihm ging auf, wie berechtigt die Frage seines Gegners war. „Vielleicht wissen nicht mal die Schreibers davon“, meinte er.

„Ah, es gibt auch einen Herrn Schreiber?“, fragte Daniel Kraemer interessiert.

„Was geht Sie das an?“, knurrte Sorge.

„Wissen Sie, ich komme mir vor wie im Märchen“, spottete Kraemer. „Ich spaziere ganz unbefangen übers Land, gerate in eine Scheune, entdecke eine versteckte Bodenklappe, klettere in einen geheimen, unterirdischen Gang und gerate in ein Schloss. Ich lerne dabei eine Prinzessin kennen, aber auch ihren Aufpasser, eine hässliche Kröte namens Sorge. Sie werden verstehen, dass mich das Ganze im hohen Maße verblüfft.“

„Vor der hässlichen Kröte muss ich Sie warnen“, drohte Sorge. „Sie wird Sie verschlingen. Was nun die Verblüffung angeht, von der Sie sprechen, ist sie nichts im Vergleich zu derjenigen, die ich fühlte, als Sie plötzlich hinter mir standen, mit der Kanone in der Hand. Sie tischen mir ein Märchen auf, mein Freund. Sie sind einfach nicht der Typ eines Mannes, der übers Land spaziert. Sie sind mit einem Auftrag hergekommen.“

„Sie müssen’s ja wissen“, höhnte Kraemer.

Er zögerte. Es war gefährlich, die Unterhaltung fortzusetzen.

Wenn es stimmte, was er gehört hatte, befand sich ein Privatdetektiv im Haus. Er war von Katharina gerufen worden. Hatte sie Wind davon bekommen, dass man ihr nach dem Leben trachtete?

„Wer ist Jessica?“, fragte Kraemer, der rasch noch ein paar Punkte zu klären wünschte, ehe er den Rückzug antrat.

„Sie hat sich Ihnen doch vorgestellt!“

„Was tut sie in diesem Haus?“

„Verdammt noch mal, was geht Sie das an?“

„Vielleicht möchte ich sie wiedersehen?“

„Sie werden Ärger bekommen.“

„Darauf bin ich spezialisiert. Mit Ärger werde ich fertig. Mir fehlt etwas, wenn ich diesem Hobby nicht frönen kann“, sagte der Mörder.

„Hauen Sie endlich ab!“

Kraemer zögerte. Dann ging er auf die Wandtür zu. Er drehte sich nochmals um. „Wir sehen uns wieder“, versprach er.

Mörder mit besonderen Privilegien Berlin 1968 Kriminalroman Band 61

Подняться наверх