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2.



Bolthars Schiff war allein unterwegs, ein sehr gut zu manövrierendes halfþritugt skip mit fünfundzwanzig Ruderplätzen auf jeder Seite. Er hatte natürlich die Einladung zum Thing längst erhalten, schon als vor Wochen die ersten Boten ausgeschickt wurden, um alle Fürsten zu erreichen. Zunächst einmal war es keine Frage für ihn, dieser Einladung zu folgen, denn Harald hatte ein gewaltiges Heer versammelt und würde sicher noch einige Zeit für ausreichend Gesprächsstoff im Lande sorgen, denn nach den ersten Eroberungen im eigenen Land, der Unterwerfung einiger Fürsten, die sich ihm nicht anschließen wollten und lieber zu seinem Vater, Gorm den Gamle, die Treue hielten, kannte Harald keine Gnade mehr. Wer nicht bereit war, sich ihm anzuschließen und auf ihn einen Eid zu schwören, wurde gnadenlos verfolgt und getötet. Das alles war Bolthar wohl bekannt, der Jarle aus Skagen galt als mächtiger Fürst, Eroberer und von den zahlreichen viking-Zügen bis hinauf nach Norwegen als sehr reich.

Bolthar selbst wusste nicht, wie er sich verhalten sollte, als er nach und nach all diese Gerüchte und Erzählungen der Skalden (Minnesänger und Erzähler) erfuhr und sich nun in die Lage gedrängt sah, sich gegenüber Harald, der sich selbst nur noch als König bezeichnen ließ, zu erklären. Zunächst einmal hatte er überhaupt nichts gegen den mächtigen Jarle, ja, sie hatten sogar vor langer Zeit einmal gemeinsam in einem Schildwall gestanden, Schulter an Schulter, den Rundschild fest in der Linken, den Speer wurf- oder stechbereit in der Rechten, die Augen in höchster Gespanntheit auf den gleich auftauchenden Feind gerichtet. Harald war ein Mann, dem man vertrauen konnte – wären da nicht die ständigen Gerüchte, die sich nicht zu beruhigen schienen.

Diese Gerüchte verkündeten im gesamten Land, dass Harald beabsichtigte, zum Christentum überzutreten. Das wäre ein unglaublicher Vorgang, denn die alten Götter würden sich niemals ungestraft verjagen lassen. Als Bolthar die ersten Nachrichten dieser Art erhielt, reagierte er deshalb mit Zorn und zahlreichen Wutausbrüchen.

Der zukünftige König Harald, genannt ‚Schwarzes Schwert‘, ein Christ!

Ausgerechnet Harald, der den Göttern zahlreiche Opfer gebracht hatte, und erst vor wenigen Monden eine große Anzahl von Trall (Sklaven) den Göttern Odin und Thor geopfert hatte! Nein, das konnte Bolthar kategorisch für sich ausschließen. Harald mochte ein harter Mann sein und den eigenen Vater hintergangen haben – doch die Götter würde der mächtigste Mann im Lande niemals verraten!

Dennoch kamen in Bolthar Zweifel auf, ob es nicht klüger wäre, der Versammlung fernzubleiben, denn er rechnete fest damit, dass Harald dieses Treffen dazu nutzen wollte, dass alle anwesenden Jarle ihm als König die uneingeschränkte Treue schworen. Doch das brachte ihn selbst in Zwiespalt, denn für ihn war immer noch Gorm den Gamle der rechtmäßige König. Wenn die Zeit gekommen war, konnte er sich eine passende Ausrede überlegen, dem Thing ferngeblieben zu sein. Und damit stand für ihn die Entscheidung fest.

Als der Mann am Mast das Segel herunterbrachte, sah Bolthar auf. Einen kurzen Moment lang musste er seine Gedanken ordnen, denn hier war seine ganze Aufmerksamkeit gefordert. Galdur mit seinen Kriegern kam ihnen entgegen, sein Langboot war voller tatendurstiger Männer, die nach dem Überfall auf das Anwesen der Hengriffs (vgl. Bolthar, der Wikingerfürst Band 1: Blutspur der Nordmänner) auf eine Entschädigung warteten. Auf der Suche nach seiner verschwundenen Tochter Fringa hatte Bolthar seinen blutigen Rachezug blindwütig und ohne seine Männer zu schonen, verfolgt. Doch entgegen anders lautenden Nachrichten war Fringa mit dem Mann, der sie zur Flucht aus Skagen überredet hatte, nicht in dem befestigten Palast gewesen, und der Jarle wusste, was seine Männer von ihm erwarteten. Jetzt sammelten sich seine Unterführer bei dem Langboot am Strand. Es war eines vom Typ þritugsessa, also mit jeweils dreißig Ruderplätzen auf jeder Seite. Die Mannschaften wurden von eigenen Unterführern kommandiert, alle kannten sich seit langer Zeit und hatten gemeinsam in manchem Schildwall gekämpft.

„Das wird ein leichtes Spiel!“, lachte Galdur, und Bolthar nickte ihm lächelnd zu. „Die paar Nonnen werden ohnmächtig vor Glück, wenn wir nur an die Pforte klopfen!“

Doch der Jarle deutete hinüber zu den Mauern und dem dicken Tor.

„Da wäre ich mir noch gar nicht so sicher, Galdur! Das Tor wird nicht gleich aufspringen, wenn du anklopfst. Snorre und Ingvar, ihr geht mit mir, Galdur sage den anderen Bescheid, dass sie einen Baumstamm zum Rammen mitnehmen sollen. Jetzt vorwärts, Männer, ich möchte noch heute weiterfahren, es gibt für uns noch einiges bis zum großen Thing zu tun!“

Alles machte sich für den Sturm bereit, als auf der Landseite eine kleine Kriegerschar gerade das Birkenwäldchen verlassen wollte. Ihr Ziel war das Kloster am Meer, wo sie die Nacht verbringen wollten, um am anderen Morgen gestärkt zu dem letzten Dorf aufzubrechen, das zu ihrer Route gehörte. Erst danach sollte die Rückkehr nach Aalborg erfolgen, aber Sven Einohr riss plötzlich eine Hand hoch und blieb auf der kleinen Anhöhe unmittelbar bei den letzten Birken stehen und starrte auf das Kloster hinunter, das mitten im Sonnenlicht lag und einen friedlichen, aber auch verlassenen Eindruck machte.

„Warum gehen wir nicht weiter, Sven?“

„Kannst du die beiden Boote nicht sehen? Sind deine Augen schon so schlecht geworden, dass du nur noch deine eigenen Füße erkennst?“, antwortete der Unterführer und beschattete jetzt seine Augen, um das Geschehen vor ihnen besser überblicken zu können. Kein Zweifel – das Kloster wurde angegriffen, und genau in diesem Moment kam das Geschrei aus vielen Stimmen bis zu ihnen herauf, wenn auch nur noch schwach.

„Das Kloster wird angegriffen!“, stellte einer der Männer neben Sven fest. „Sollen wir den Frauen nicht helfen?“

Sven Einohr drehte sich zu dem Sprecher um und tippte sich an den Kopf.

„Zähl mal die Ruderplätze und dann frage noch einmal, ob wir da nicht helfen sollen! Wir sind zehn Mann, was können wir da ausrichten? Und außerdem geht uns das überhaupt nichts an. Nur weil Harald beabsichtigt, Christ zu werden, müssen wir uns nicht für ein Kloster hinmetzeln lassen!“

„Sie sprengen das Tor auf!“, ergänzte einer der Männer, die jetzt alle ihre Schilde abgelegt hatten und interessiert dem Geschehen am Meer folgten.

„Fast sah es für mich so aus, als würde es von allein auffliegen – seht euch das an!“, unterbrach sich Sven selbst. „Die Angreifer ziehen sich zurück! Da sind Bogenschützen im Kloster!“

„Odins Arsch!“, schrie einer der anderen Krieger. „Wie ist das möglich? Haben die Nonnen das Schießen erlernt?“

„Ich denke eher, da hat der Jarle von Brønderslev seine Finger im Spiel. Ihm gehört das Kloster, und wenn dort Bogenschützen sind, stimmt es, was man so über das Kloster erfahren konnte!“

Sven Einohr sah den Sprecher nachdenklich an.

„Und was konnte man so erfahren?“

„Ich habe vor mehreren Monden einen Skalden getroffen, der dort einmal übernachtet hat. Er erzählte von einem riesigen Kreuz aus Silber und vielen anderen Gegenständen, die der reiche Jarle dem Kloster geschenkt hat. Kein Wunder, dass es nun die Beute dieser Männer wird, ich hätte da auch gern zugegriffen!“

„Das lass mal nicht Harald hören, wir sind doch alle Christen!“

Die Krieger lachten höhnisch, und einer von ihnen antwortete:

„Noch wurde keiner von uns getauft. Und das sage ich dir, Sven – wenn ich als Christ eine gute Beute sehe, nehme ich sie an mich. Odin oder Jahwe, das ist mir vollkommen egal. Wenn es einem dieser Götter nicht gefällt, was ich mache, wird er es mich schon wissen lassen!“

Erneut lachten die Männer, dann entschlossen sie sich, das Geschehen von hier oben weiter zu verfolgen, denn selbst wenn man sie vom Kampfplatz aus bemerken würde, war nicht zu befürchten, dass man sich weiter mit ihnen befassen würde. Was bedeutete ihre geringe Menge schon gegen eine so starke Kriegergruppe?

„Das sieht nicht gut für die Angreifer aus! Sie werden so stark beschossen, dass sie sich zurückgezogen haben!“, kommentierte einer der Männer das weitere Geschehen. „Geben sie jetzt auf?“

„Kann ich mir nicht denken. Wenn ich mich nicht täusche, ist das dieser Bolthar aus Skagen mit seinen Männern, jedenfalls meine ich, dass ihm das halfþritugt skip dort drüben gehört, das neben den anderen auf dem Strand liegt. Der hat noch nie vor einem wehrhaften Gegner einen Rückzug angetreten, und – seht doch, was da passiert!“ Sven Einohr sprang mit den letzten Worten elastisch hoch und deutete auf die Klosteranlage, von der jetzt dicker, schwarzer Rauch aufstieg und keinen Zweifel daran ließ, dass man mit Feuer und Qualm versuchte, die in der Kirche verschanzten Bogenschützen ins Freie zu treiben.

Doch das Kriegsglück für die Schar um Bolthar schien sich zu wenden, denn plötzlich tauchten weitere Bewaffnete auf, und jetzt staunten die Männer um Sven Einohr, was sich dort unten abspielte. Im Nu standen auch die beiden Schiffe in Flammen, und in dem dichten Rauch war nicht mehr auszumachen, wer dort gegen wen kämpfte.

„Jetzt werden wir sehen, was die alten Götter noch ausrichten können!“, rief Sven und deutete auf den Himmel, der sich plötzlich bewölkt hatte und die Sonne bereits hinter schwarzen Wolken verdeckt wurde. Es dauerte auch nicht mehr lange, bis der Himmel seine Schleusen öffnete und wahre Sturzbäche auf das Land ergoss.

Auch die zehn Krieger um Sven Einohr mussten ihren Standort aufgeben, denn schon bald lief den Männern das Wasser an den Helmen in den Kragen herunter. Durchnässt waren sie rasch, aber in dem Birkenwäldchen fanden sie unter den belaubten Kronen noch etwas Schutz.

„Thor hat sich wohl noch rechtzeitig eingemischt!“, meinte einer der Männer aus der Schar, als sie sich dicht um einen Baumstamm hockten und darauf hofften, dass der noch immer heftig hernieder rauschende Regen endlich wieder aufhören würde.

„Thor? Warum sollte er das tun?“, brummte Sven unwillig zurück. Es war ihm unangenehm, dass die Männer immer wieder die alten Götter erwähnten, denn das konnte auch einmal zu Schwierigkeiten führen, wenn es der selbst ernannte König erfuhr.

„Na, hör mal!“, gab der Mann zurück. „Thor hat immer schon Gefallen an solchen Kämpfen gefunden. Als die Männer von der neu eingetroffenen Kriegerschar bedrängt wurden und ihre Boote in Flammen standen, hat er eingegriffen. Es kann doch nicht sein, dass ein paar aufrechte Nordmänner beim Kampf um eine Kirche oder ein Kloster sterben müssen!“

Sven starrte durch den dichten Regen zu dem Mann und murmelte etwas vor sich hin, was der nicht verstand. Als dann endlich der Regen fast ganz aufhörte, brachen die Krieger auf und bewegten sich in Richtung der Stadt Brønderslev, die zu dieser Zeit noch am Meer lag. Von hier aus war es vereinbart, dass die mit einem Boot nach Aalborg zurückfuhren, auch wenn sie vielleicht einen der kleinen Fürsten nicht aufgesucht hatten. Aber der vereinbarte Zeitpunkt für das große Thing rückte näher, und sie mussten sich sputen.


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