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Ein Hauch von Abenteuer

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Wer wollte nicht als Kind schon einmal wie ein Abenteurer durch den Dschungel streifen und auf die Suche nach versunkenen Stätten, geheimnisvollen Völkern, verschollenen Schätzen, exotischen Tieren und faszinierenden Pflanzen gehen? Wer ließ sich nicht gerne durch die Schwarzweißfilme von Tarzan (mit dem unvergleichlichen Jonny Weißmüller) verzaubern und für eineinhalb Stunden in die farbenfrohe Dschungelwelt, auch wenn diese auf der Mattscheibe nur in Schwarzweiß zu sehen war, entführen? Wer wollte nicht so wie Tarzan im Baumhaus wohnen, sich mit Jane von Liane zu Liane schwingen und mit Cheetah, dem intelligenten Schimpansen, die letzte Banane teilen? Und ganz nebenbei bekam man in diesen Filmen atemberaubende Landschaften in einer unberührten exotischen Natur mit. Doch trotz der Schönheit von Mutter Erde war hier im Dschungel größte Vorsicht geboten. Hinter jedem Baum und hinter jedem Felsvorsprung konnte der Tod lauern, sei es in Form eines mannsgroßen Spinnennetzes, hinter dem eine pelzige Riesenspinne auf sein Opfer wartete oder auch nur in der Erscheinung einer bunten, betörenden Pflanze, die vor einem lag und scheinbar unbeteiligt in der Natur stand, aber jeden Augenblick mit ihren Tentakel nach einem greifen und in einem Stück verschlingen konnte. Und dennoch, diese Dschungelwelt war einfach faszinierend. Sie war der Inbegriff von Abenteuer und Exotik und ließ unsere Herzen schneller schlagen.

Und jetzt standen meine beiden Söhne im Dschungel eines deutschen Baumarktes, Auge in Auge einer drohenden Gefahr gegenüber. Die Spannung, die in diesem Moment in der Luft lag, war regelrecht zu spüren. Das war ihre erste leibhaftige Begegnung mit einer „Dionaea muscipula“. Sie standen nur wenige Schritte davon entfernt und wollten sie haben, so wie Indiana Jones damals in „Jäger des verlorenen Schatzes“ die goldene Statuette haben wollte, die vor ihm auf einem Altar in der Höhle lag. Nur trauten sich meine Söhne nicht. Der Respekt, besser gesagt, die Angst davor, ließ sie nicht den letzten Schritt wagen, um danach zu greifen. Daheim waren sie noch Feuer und Flamme gewesen. Sie wollten sie haben und dies um jeden Preis. Ohne viel zu sagen, hatten sich beide, Marco mein siebenjähriger Abenteurer und Benni, mein fünfjähriger Dreikäsehoch im Eiltempo angezogen und fix und fertig vor der Türe auf mich gewartet. Noch nie waren sie so schnell fertig gewesen, denn die mögliche Belohnung, die sie sich versprachen und die ich ehrlich gesagt nicht ohne Hintergedanken in den Raum geworfen hatte, war zu verlockend. Und so standen nun beide da, inmitten des Baumarktes, und besahen sich das, was ich in der Hand hielt mit einer gewissen Vorsicht und Zurückhaltung. Jedes Mal, wenn ich meine Hand zu ihren staunenden Gesichtern näher hinstreckte, damit sie das exotische Etwas besser anschauen konnten, wichen sie instinktiv davor zurück.

„Wollt ihr die?“

Sie sollten endlich ihre Entscheidung treffen.

„Die will ich!“

Benni, der kleinere von meinen Söhnen, hatte seine Wahl zuerst getroffen. Der Große schien sich noch nicht entscheiden zu können. Oder hatte er vor dem Ding so viel Angst, dass er es gar nicht mehr haben wollte.

„Okay. Dann nimm sie mal!“

Mit diesem Worten hob ich ihm mit meiner Hand die versprochene Überraschung hin. Prompt wich er wie von der Tarantel gestochen zurück.

„Nein. Du trägst sie, Papa!“

„Benni, wenn du die haben willst, dann musst du sie schon nehmen. Ansonsten lassen wir sie hier.“

„Ich will sie.“

Jetzt streckte er sein Ärmchen aus, um sie zu greifen. Doch kurz bevor sie in greifbarer Nähe war, zog er sein Arm zurück. Ich schmunzelte. Ohne dass ich erneut etwas sagen konnte, wagte er den nächsten Versuch und streckte etwas zaghaft den Arm mir und dem Ding in meiner Hand entgegen. Gleich hatte er es. Noch ein paar Zentimeter…

Doch dann zog er die Hand erneut zurück. Die Angst war stärker als das Verlangen.

„Es passiert doch nichts.“, versuchte ich ihn zu beruhigen.

„Glaub ich nicht.“, entgegnete er mir.

Ein paar umstehende Personen sahen zu uns herüber und amüsierten sich über die Situation.

„Der Marco soll zuerst.“, wandte Zwergnase nun ein.

Ich sah Marco an, der neben Benni stand und der sofort nach Bennis Bemerkung ein Schritt zurück gewichen war.

„Marco, komm sein kein Angsthase! Du bist der große Bruder. Zeig ihm, wie mutig du bist! Zeig deinem Bruder, dass er keine Angst davor haben braucht!“

Anstatt sich die Blöße zu geben und seine Angst vor dem Ding deutlich zu offenbaren, versuchte er nun auf Zeit zu spielen.

„Die will ich nicht.“, gab er trotzig zurück.

„Welche willst du denn dann?“

„Die da.“, sagte er und zeigte auf eine völlig Andere.

Langsam wurde ich sauer. Ich griff vorsichtig mit meiner freien Hand nach der Anderen, bekam sie unten am Gefäßboden zu packen und wollte sie ihm geben. Er wich daraufhin ein Schritt zurück. War wohl doch keine so gute Idee gewesen, ihnen ein Stück Exotik kaufen zu wollen, bestätigte sich langsam meine anfängliche Vermutung.

„Okay Jungs, kein Problem. Keine Angst mehr. Wir lassen sie da.“

„N E I N!“

Der Aufschrei kam von beiden wie aus der Pistole geschossen. Die umstehenden Kunden, eine ältere Frau mit ihrer circa vierzigjährigen Tochter sahen zu uns herüber. Mir wurde die Sache langsam peinlich.

„Jungs. Wenn ihr sie haben wollt, müsst ihr sie auch in die Hand nehmen. Schließlich kommen sie in eure Zimmer und ihr müsst euch darum kümmern.“

„Aber wenn sie beißt?“, meldete sich Benni zu Wort.

„Die beißt schon nicht. Und außerdem kann dir das kleine Ding gar nichts anhaben.“

„Aber sie lebt doch? Oder?“, fragte jetzt Marco.

„Ja!“

„Sie frisst doch auch Fleisch?“, wollte Benni wissen.

„Ja!“

„Aber nicht eures.“ fügte ich noch nach einer kurzen Atempause sicherheitshalber hinzu.

Benni schluckte. Ich bemerkte dies und schob daher noch nach:

„Jedenfalls kein Menschenfleisch.“

„Woher willst du das wissen?“, fragte nun Marco.

„Weil es so ist.“

Langsam war meine Geduld am Ende.

„Außerdem habe ich sie schon die ganze Zeit in der Hand und sie hat bisher keine Anstalten gemacht nach meinem Finger zu schnappen.“, hörte ich mich sagen.

Benni schaute sich daraufhin meine Finger, die das Gefäß umfassten, ganz genau an.

„Wenn ihr den Topf unten anfasst, kommt sie gar nicht an eure Finger hin.“

„Sicher?“, vergewisserte Marco.

„Sicher.“

Benjamin streckte jetzt wagemutig die Hand entgegen. Damit er den Topf mit seiner kleinen Hand unten am Boden greifen konnte, hielt ich diesen nur noch oben am Rand mit beiden Fingern fest. Geschafft, dachte ich mir und ließ den Topf jetzt endgültig los. Ich kniete mich neben ihm, den tapferen Helden, und sah ihm in seine Augen. Dabei lächelte ich ihn an. Er jedoch verzog keine Miene. Stattdessen starrte er den Topf mit dem fremdartigen Etwas wie eine Kobra an, die jeden Augenblick nach vorne schnellen und zubeißen konnte. Um ihm zu zeigen, wie ungefährlich sie war, strich ich mit dem Zeigefinger der freigewordenen Hand über die Zähne der Fleisch fressenden Pflanze, der so genannten Venusfliegenfalle.

„Achtung! Mach Sie nicht wütend!“, warnte Benni sogleich, „Sonst beißt sie mich noch. Und du bist schuld.“

„Schau, es passiert nichts. Rein gar nichts. Die rührt sich nicht. Siehst du?“

Benni besah sich die Pflanze ganz aufmerksam und vergewisserte sich, dass sich ja nichts regte oder bewegte. Nichts tat sich. Er entspannte sich. Ein zufriedenes Lächeln bildete sich nun in seinem Gesicht. Langsam drehte er den Topf und … entdeckte, dass auf eine ihm zuvor abgewandten Seite der Pflanze ein Blatt mit Zähnen gefährlich nahe an sein Händchen herunter hing.

„Papa! Sie hat sich bewegt.“

Seine Mundwinkel verzogen sich. Marco, kaum die Worte seines Bruders vernommen, ging gleich ein paar Schritte von Benni weg und begab sich in sicherer Entfernung.

„Hab keine Angst. Die tut nichts. Die Pflanze ist zu klein für deinen Finger. Und außerdem ist die Falle geschlossen. Schau!“

Ich strich mit dem Finger über die Borsten der herunterhängenden, geschlossenen Falle. Benni griff den Topf weiter unten und starrte sie an, um sicher zu gehen, dass sie sich dennoch nicht bewegte. Ungefähr eine halbe Minute dauerte es, bis er sich dessen völlig sicher war. Langsam gewann er an Zuversicht.

„Papa. Gehen wir zur Kasse?“ sagte er dann vollen Mutes.

„Ja gleich.“

Jetzt wandte ich mich dem Großen zu.

„Na? Was ist mit dir? Willst du auch eine?“

„Ja. Aber die?“

Er zeigte auf eine andere auf dem Schautisch. Es war eine Kannenpflanze. Diese hatte anstatt wie bei der Venusfliegenfalle, die klebrige Blätter mit Zähnen an der Seite hatte, nur eine Art Beutel herunterhängen, in den Kleinstinsekten hinein flogen. Sie sah sozusagen nicht so gefräßig und so gefährlich aus.

„Okay. Aber du trägst sie!“

„Aber nur dann, wenn du sie mir in die Hand gibst.“

Ich legte die zweite Venusfliegenfalle, die ich in der Hand noch hatte zurück, und nahm dann eine Kannenpflanze vom Tisch und gab sie ihm. Auch er griff sie unten am Topf und vermied tunlichst jeglichen Kontakt mit der Pflanze. Auch diese schien ihm nicht geheuer zu sein.

„Komm. Gehen wir jetzt!“

Während Marco noch kurz stehen blieb und sich seine Kannenpflanze ansah, setzte sich Benjamin in Bewegung und trug seine Fleisch fressende Pflanze mit weit ausgestreckten Armen vor sich her. Dabei sah er wie einer vom Bomben-Entschärfungskommando aus, der eine scharfe Bombe vor sich her trug. Marco folgte ihm ein paar Schritte dahinter mit seiner Pflanze. Und danach kam ich. Wer uns so sah, dem musste das Ganze wie der Anfang einer Fronleichnamsprozession auf dem Weg zur Kasse des Baumarktes vorkommen. Der Erste an der Spitze des Zuges trug die Monstranz, der Zweite den Kelch mit Hostien und der Dritte dahinter, der die beiden vor ihm Gehenden um Köpfe überragte, folgte mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck und mit zusammengefalteten Händen. Dass er noch zu alledem einen langen, schwarzen Mantel trug, verstärkte bei denen, die der komischen Prozession zusahen, den Eindruck, dass dies zweifelsohne der Pfarrer sein müsste.

An der Kasse angekommen zahlte ich, während Benjamin ganz stolz sein Fleisch fressendes Ding, dass in einem Topf, pardon Töpfchen, von sechs auf sechs Zentimeter untergebracht war, jedem entgegen streckte und dabei sagte: „Das ist eine Fleisch fressende Pflanze. Aber keine Angst! Die beißt nicht.“

Als sie beide im Auto saßen und wir mit den exotischen Neuerwerbungen nach Hause fuhren, hielten sie diese während der gesamten Fahrt über weiterhin mit einem gewissen Respekt vorsichtig vor sich, ließen sie keinen Augenblick aus den Augen und waren darauf bedacht jeglichen Kontakt der Pflanzen mit irgendeinem ihrer Körperteile zu vermeiden, ganz nach dem Motto: Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Ich musste Lachen. Während der viertelstündigen Fahrt ertappte ich Zwergnase des Öfteren, wie er sich mit seiner Fleisch fressenden Pflanze unterhielt oder besser gesagt, auf sie einredete.

„ Gell, du frisst mich nicht.

Gell, du bist eine brave Pflanze.“

Kurze Zeit später im Auto waren von Zwergnase folgende Worte zu vernehmen: „Du hast keinen Hunger. Wenn du brav bist, kriegst du daheim etwas zum Essen. Versprochen!“

Marco hingegen war vollkommen ruhig und starrte seine Pflanze die ganze Fahrt über an. Er ließ sie keinen Augenblick aus den Augen.

Mittlerweile hat Benjamin Freundschaft mit seiner Pflanze geschlossen. Gleich daheim angekommen, gab er ihr was zum Fressen. Nein. Nicht seinen Finger, sondern eine Fliege, die er extra für die Pflanze erlegt hatte. Nur seine neu gewonnene Freundin, die Venusfliegenfalle, schien sein Geschenk zunächst zu verschmähen. Denn nach einer Woche lag die Fliege noch immer unberührt zwischen den zwei Blättern. Dann auf einmal, plötzlich über Nacht, war die Fliege weg. Einfach weg.

„Die hat großen Hunger bekommen und hat sie auf einmal verschluckt“, versuchte Marco tags drauf das Mysterium seinem kleineren Bruder zu erklären. Zum Glück hatte keiner von beiden am Abend zuvor die Mama beobachtet, wie sie die fleischige Kost der Venusfliegenfalle stibitzt und heimlich entsorgt hatte.

Wie gesagt, Benni hat Freundschaft mit seiner Pflanze geschlossen. Ab und zu gießt er sie mit destilliertem Wasser. Und wenn er alleine mit ihr ist, hört man ihn auch mal mit ihr reden.

„ Gell, du frisst mich nicht.

Gell, du bist eine brave Pflanze.“

Aber streicheln tut er sie nicht. Denn wer weiß? Vielleicht überkommt ihr nach so langer Zeit der Abstinenz doch noch der Appetit auf Frischfleisch und schnappt ganz plötzlich nach seinem Finger.

BABATI

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