Читать книгу Der Bergpfarrer Staffel 9 – Heimatroman - Toni Waidacher - Страница 5

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Die junge, attraktive Dame streckte ihre Hand nach dem Mann aus und kraulte sein Haar.

»Mußt du wirklich schon gehen?« fragte sie schnurrend wie eine Katze. »Bleib doch noch. Wir könnten uns etwas vom Japaner kommen lassen und machen uns einen schönen Abend…«

Stephan Richter schüttelte bedauernd seinen Kopf. So verlockend das Angebot auch war, er konnte es unmöglich annehmen.

»Tut mir leid, Tessi«, erwiderte er. »Aber ich muß los. Meine Mutter wünscht mich zu sehen, und sie wird mir den Kopf abreißen, wenn ich diesem Wunsch net folg’.«

Tessja von Krojan zog ein ärgerliches Gesicht.

»Richterbräu – nur dem bin ich treu«, zitierte sie den Werbespruch der Brauerei. »Gilt das auch für die Treue des Sohnes zur Mutter? Muß er sofort springen, wenn Margot Richter ruft?«

Sie hatte es nicht ohne einen spöttischen Unterton gesagt, der dem jungen attraktiven Mann auch nicht entging.

Stephan Richter schürzte die Lippen. Er war schlank und großgewachsen, die dunklen Haare waren modisch geschnitten, das markante Gesicht leicht gebräunt. Er trug bequeme Jeans, ein Polohemd und Freizeitschuhe. Alles in allem war er ein Mann, dem die Frauen hinterherschauten.

»Baroneß sind wie immer äußerst liebenswürdig«, entgegnete er mit einem mokanten Lächeln auf ihre Spitze. »Indes werd’ ich dem Ruf meiner Mutter Folge leisten, auch wenn’s Euer Hochwohlgeboren net passen sollt’. Ich bin eben nur ein Bierbrauer und kein Freiherr von und zu.«

Die junge Adlige fuhr von ihrem Sofa hoch, auf dem sie lang ausgestreckt gelegen hatte, und umklammerte ihn mit beiden Armen.

»Bitte, entschuldige, Stephan«, bettelte sie. »Ich wollte dich nicht beleidigen. Es tut mir leid. Natürlich mußt du zu deiner Mutter. Das verstehe ich doch. Es ist nur…, ich hab’ mich halt auf einen schönen Abend mit dir gefreut.«

»Schon gut«, nickte er versöhnlich und löste sich aus der Umklammerung.

Dann nahm er ein leichtes Sakko auf, das er über einen Sessel gehängt hatte, und schlüpfte hinein.

»Ich bin dir net bös’«, fuhr er fort. »Es ist nur so, daß meiner Mutter sehr viel an diesem Abend liegt. In der nächsten Woche feiert sie ihren sechzigsten Geburtstag, und danach möchte sie für ein paar Tage verreisen. Es gibt also noch einiges zu besprechen.«

Er gab der Baroneß einen Kuß und verließ das große Luxusapartment, das sich in einem Haus in der Regensburger Innenstand befand, und fuhr in Richtung Straubing, wo die Privatbrauerei Richter ihren Sitz hatte.

Gleich hinter der traditionsreichen Braustätte lag die großzügig gebaute Villa aus der Gründerzeit. Stephan fuhr seinen Sportwagen vor eine der drei Garagen und stieg aus. Er war kaum die Stufen zur Haustür hinaufgesprungen, als auch schon geöffnet wurde.

»Ihre Frau Mutter erwartet Sie schon«, begrüßte Dagmar Wächter, die Hausdame und Gesellschafterin seiner Mutter, den einzigen Sohn und Erben des Unternehmens.

Ein leichter Vorwurf war unüberhörbar.

Hat eigentlich heute jeder was an mir auszusetzen?

Diese Frage stellte sich Stephan Richter und fragte gleich hinterher, ob Dagmar Wächter ihren Namen vielleicht wörtlich nahm.

Mit Argusaugen wachte sie über die Villa, ihre Chefin und, sehr zu seinem Leidwesen, auch über deren Sohn.

»Jetzt bin ich ja da«, antwortete Stephan mit einem honigsüßen Lächeln.»Ist meine Mutter im Salon?«

»Ja. Der Tee wird gleich serviert.«

»Für mich bitte Kaffee«, rief der junge Mann und durchquerte die Halle.

Er klopfte an die Tür zum Salon und trat ein, ohne eine Antwort abzuwarten.

»Grüß dich, Mutter«, sagte er und gab der elegant gekleideten Dame, die in einem Sessel saß und in einem Prospekt blätterte, einen Kuß auf die Wange.

»Du kommst spät«, stellte Margot Richter fest.

Trotz der Tatsache, daß sie in der nächsten Woche ihren sechzigsten Geburtstag feierte, war sie immer noch eine recht attraktive Frau. Voll ins Geschäftsleben eingebunden, legte sie Wert darauf, sich geschmackvoll zu kleiden, und der wöchentliche Besuch beim Friseur und im Schönheitssalon war obligatorisch.

»Mutter, ich bitte dich«, schmunzelte der Sohn. »Sechzehn Uhr war ausgemacht, und jetzt ist es gerade mal zwei Minuten über die Zeit.«

»Schon gut«, winkte die Brauereibesitzerin ab. »Setz’ dich.«

Stephan nahm Platz und deutete auf den Prospekt.

»Was hast’ denn da?«

Seine Mutter wedelte mit dem Papier.

»Das«, antwortete sie, mit einem geheimnisvollen Lächeln, »das ist unser Urlaubsziel.«

Ein Hausmädchen betrat den Salon und servierte Kaffee und Tee. Auf einer Silberplatte lagen Gebäckstücke.

»Zeig’ doch mal«, bat Stephan.

Margot Richter reichte ihm den Prospekt. »Wenn Sie Ruhe und Erholung suchen, dann finden Sie beides bei uns, in St. Johann«, las er stirnrunzelnd vor.

Dann schaute er ungläubig seine Mutter an. »Das ist doch net dein Ernst, oder?« fragte er.

»Doch«, nickte sie unbekümmert und rührte Zucker und Sahne in ihren Tee. »Ich bin’s leid, immer nur nach St. Moritz und Cannes und

Nizza zu fahren. In diesem Jahr möcht’ ich den Urlaub hier in Deutschland verbringen.«

»Und wie kommst’ ausgerechnet auf dieses Dorf?«

Stephan schüttelte innerlich den Kopf. Solch seltsame Anwandlungen hatte seine Mutter doch noch nie gezeigt.

Ob es etwas mit ihrem Alter zu tun hatte?

Nein, das konnte es eigentlich nicht sein. Auch wenn Margot nicht mehr die Jüngste war, so konnte sich doch noch so manche Dreißigjährige von ihrer Agilität eine Scheibe abschneiden. Nein, alt und verstaubt war seine Mutter keines-wegs.

»Der Mann im Reisebüro hat es mir empfohlen«, antwortete sie. »Und ich möchte, daß wir beide dort ein paar schöne Tage verbringen. Nach der Feier zu meinem Sechzigsten geht’s los. Wenn die überstanden sind, bin ich ohnehin urlaubsreif.«

Stephan wußte, was sie meinte. Die Privatbrauerei und ihre Chefin waren so etwas wie eine Institution in Straubing. Margot Richter war in unzähligen Vereinen engagiert, bekleidete in mehreren Organisationen den Posten der Vorsitzenden und spendete aus einem Fonds, den noch ihr verstorbener Mann, Max Richter, gegründet hatte, jedes Jahr mehrere Millionen Euro für gemeinnützige Zwecke. Entsprechend groß war die Liste derer geworden, die alle zu ihrem Ehrentag eingeladen werden mußten. Nach dem Empfang im Rathaus gab es einen weiteren im größten Hotel der Stadt, zu dem an die fünfhundert Gäste erwartet wurden. Ansprachen, Vorführungen von Schulen und Kindergärten, Sportvereinen und Musikgruppen – Essen und Trinken nicht zu vergessen – danach würde Margot Richter einen Urlaub abseits vom Trubel der bekannten Ferienorte gut gebrauchen können. Das sah Stephan ein.

Daß seine Mutter mit dieser gemeinsamen Fahrt in das Alpendorf noch etwas verband, ahnte der Sohn zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht…

*

Angela Pfister schaltete zufrieden den Computer aus und streifte die Abdeckhauben über Bildschirm und Tastatur. Dann lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück und reckte sich ausgiebig.

Puh, das war geschafft! Endlich!

Die gelernte Großhandelskauffrau, die im Konzern ihres Vaters mitarbeitete, nickte zufrieden. Morgen noch ein paar Stunden ihre Vertretung einweisen, und dann stand dem Urlaub nichts mehr im We-

ge.

Nun stand die Fünfundzwanzig-jährige auf, warf einen prüfenden Blick über ihren Schreibtisch und verließ das Büro im Haupthaus auf dem Gelände der Ewald Pfister KG in München. Der Pförtner nickte ihr freundlich zu, als sie durch die breite Glastür ging.

»Sie sind wieder mal die Letzte«, rief Hans Ambler.

Die schöne junge Frau lächelte.

»So muß das auch sein, wenn man die Tochter vom Chef ist«, antwortete sie und winkte dem Pförtner zu. »Einen schönen Abend.«

»Ebenso«, erwiderte er den Gruß und schaute ihr nach, wie sie in ihren Wagen stieg, der direkt neben dem Eingang stand.

Angela fuhr vom Firmengelände und fädelte sich in den Verkehr ein. Während der Fahrt klingelte ihr Handy. Sie drückte den Knopf der Freisprecheinrichtung und vernahm die Stimme ihrer Freundin.

»Hast’ noch ein halbes Stündchen oder bist’ schon im Urlaubsstreß?« fragte Ellen Keller.

»Ich wett’, du rechnest damit, daß ich zu dir komm’, und hast den Pro-secco schon kaltgestellt«, lachte Angela. »Okay, ich bin gleich da.«

Sie bog ab und fuhr nicht, wie sie es beabsichtigt hatte, nach Hause, sondern erst in die Franz-Joseph-Straße in Schwabing. Von Neuhausen aus hatte sie den anderen Stadtteil relativ schnell erreicht und hielt vor dem Haus, in dem Ellen eine gemütliche Dreizimmer-Eigentumswohnung besaß. Die Freundin hatte schon Gläser bereit gestellt und öffnete eine Flasche des italienischen Schaumweins, nachdem sie Angela mit einem Kuß auf die Wange begrüßt hatte.

»Aber bitte nur ein halbes Glas«, sagte die junge Frau. »Ich muß ja noch heimfahren.«

»Spielverderberin«, schimpfte Ellen und schenkte ein.

Angela war bei dem Vorwurf zusammengezuckt. Schon einige Male hatte sie sich ihn gefallen lassen müssen.

Sie und Ellen kannten sich, seit sie gemeinsam das Gymnasium besucht hatten. Seither verband sie eine enge Freundschaft, und mehrmals waren sie zusammen in den Urlaub gefahren. So war es auch in diesem Jahr geplant, doch dann überraschten Angelas Eltern ihre Tochter mit der Ankündigung, sie würden sich freuen, wenn sie diesmal alle zusammen fortfahren würden.

Angela hatte ein herzliches Verhältnis zu ihnen und wollte ihnen diesen Wunsch ungern abschlagen. Auch, als sie hörte, welches Urlaubsziel sich Ewald und Hannelore Pfister ausgesucht hatten. Irgendeinen gottverlassenen Winkel in den Bergen, St. Johann genannt.

Um so enttäuschter war Ellen gewesen, als sie erfuhr, daß sie allein nach Frankreich fahren müsse. Natürlich hatte Angela angeboten, daß sie mit ihnen in die Berge fahren könnte, auch die Eltern hätten keine Einwände gehabt. Doch die junge Frau lehnte ab. Ellen hatte Architektur studiert und wollte den Urlaub dazu nutzen, in Frankreich Kirchen und Klöster zu besichtigen.

»Bestimmt klappt’s im nächsten Jahr«, tröstete Angela sie jetzt und prostet ihr zu.

»Na ja, vielleicht triffst du ja auf einen Naturburschen, dem es endlich gelingt, den Computer, den du in dir trägst, in das zu verwandeln, das eigentlich an der Stelle sitzen sollte – in ein Herz.«

Ellen Keller spielte damit auf die Tatsache an, daß Angela Pfister mehr für ihre Arbeit lebte und gar kein Privatleben zu kennen schien –, abgesehen von der Freundschaft zu ihr.

Nicht, daß es keine Bewerber gegeben hätte, die der attraktiven Erbin des Pfister Konzerns den Hof gemacht hätten. Nur ließ Angela die Beziehungen immer wieder in die Brüche gehen.

Mal hatte sie keine Zeit, weil sie ihren Vater auf Geschäftsreise begleitete, dann wieder nicht, weil sie ihre ganze Kraft und Aufmerksamkeit in irgendein Großprojekt steckte, oder sie hatte ganz einfach keine Lust, sich zu binden.

»Wenn du erst darauf wartest, daß der Richtige kommt, dann stirbst als alte Jungfer«, hatte ihr Vater prophezeit, und Ellen konnte dem nur zustimmen.

»Wenn er denn was vom Einkauf versteht und die Prozentrechnung beherrscht –, warum net?« ulkte Angela und hob ihr Glas. »Dir wünsch’ ich jedenfalls einen wunderschönen Urlaub in Frankreich. Mach ganz viele Fotos und denk dran – die Franzosen haben die Liebe erfunden.«

Ellen lachte und prostete ihr zu.

Angela blieb noch ein Viertel-stündchen länger, als sie es eigentlich vorgehabt hatte, Ellen hatte immer noch etwas zu erzählen. Dann brachte die Freundin sie zu ihrem Auto.

»Also, viel Spaß und vergiß mich net«, winkte Angela Pfister ihr zu und fuhr an.

Bis nach Hause brauchte sie eine ganze Weile. Der Verkehr hatte zugenommen, und sie war erleichtert, als sie endlich die Auffahrt zur elterlichen Villa hinauffuhr.

»Enschuldigt«, bat sie die Eltern. »Ich hab’ natürlich anrufen wollen, daß ich noch zu Ellen fahr’. Aber ich dacht’, so lang’ dauert’s dann auch wieder net – allerdings, ihr kennt sie ja.«

Frau Reimers, die Haushälterin, hatte den Tisch für das Abendessen gedeckt. Bald saß die Familie darum versammelt, und es entwickelte sich eine angeregte Unterhaltung, die sich in erster Linie um den geplanten Urlaub drehte.

»Ihr habt mir immer noch net gesagt, wie ihr ausgerechnet auf dieses Dorf gekommen seid«, sagte Angela. »Hat euch da jemand einen Tip gegeben?«

Ewald und Hannelore Pfister tauschten einen schnellen Blick.

»Der Mann im Reisebüro«, antwortete ihr Vater schulterzuckend.

Allerdings schien es der Tochter, als habe er es eine Spur zu hastig gesagt.

»Es soll dort sehr schön sein«, warf ihre Mutter schnell ein. »Net so überlaufen wie woanders.«

»Ja, und man kann dort sehr gut wandern«, nickte der Kaufmann. »Denk’ also daran, Wanderkleidung einzupacken.«

Angela notierte sich in Gedanken, Schuhe, Hosen und Anorak zum Wandern in den Koffer zu legen. Hoffentlich reichte einer überhaupt aus. Allerdings gab es dort vermutlich kein großes gesellschaftliches Ereignis, so daß sie ohne besondere Abendgarderobe auskommen würde.

»Und ein Ball findet doch auch statt«, sagte ihre Mutter in diesem Moment. »Vielleicht solltest auch etwas Festliches mitnehmen.«

»Ach was«, schüttelte Ewald

Pfister den Kopf. »Das ist ein Trachtenabend oder wie man so da-

zu sagt. Volkstümlich eben, mit

Blasmusik und jeder Menge Gaudi. Da kannst’ dir in Sankt Johann eher ein Dirndl für diesen Anlaß kaufen.«

Angela trank ihren Tee aus.

»Na, ich laß mich überraschen«, meinte sie. »Hauptsache, wir re-

den in diesen Tagen net vom Geschäft.«

»Net ein Sterbenswörtchen«, bestimmte ihre Mutter.

»Abgemacht«, nickte ihr Vater.

In Gedanken wußte er indes, daß dieser ganze Urlaub etwas mit dem Geschäft zu tun hatte…

*

Im Pfarrhaus saß Sebastian Trenker in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch und sah die Post durch, die am Morgen gekommen war. Vieles war darunter, das gleich in den Papierkorb wanderte – Reklamesendungen, in denen großartige Gewinne, Reisen und anderer Luxus versprochen wurde. Indes hatte der Geistliche noch nicht von einem Fall gehört, in dem diese Versprechungen auch eingehalten worden wären. Jetzt ärgerte er sich eigentlich nur über die unnütze Verschwendung von Papier und Druckerfarbe, was in jedem Fall auch ein Verstoß gegen jeglichen Umweltschutzgedanken war.

Nachdem er die kirchenamtliche Korrespondenz gelesen und abgeheftet hatte, schaute er auf die Uhr. Schon wieder Mittagszeit. Der Seel-sorger schüttelte den Kopf. Manchmal hatte er den Eindruck, die Zeit raste nur so dahin.

In diesem Moment hörte er auch schon die Haustür gehen, was ihm signalisierte, daß sein Bruder zum Essen gekommen war – und in diesem Punkt war Max pünktlich wie die Maurer.

Mit diesem Handwerk hatte er allerdings nichts zu tun. Max Trenker sorgte als Polizeibeamter für Recht und Ordnung in St. Johann, und daß sein Erscheinen eben sprichwörtlich pünktlich war, lag allein an der Tatsache, daß er den Kochkünsten der Haushälterin seines Bruders verfallen war.

Das, was Sophie Tappert heute mittag auftischte, entsprach denn auch genau den Vorstellungen des Polizisten – angelfrische Forellen, in Butter gebraten.

Nicht nur, weil es Freitag war, gab es im Pfarrhaus Fisch. Auch unter der Woche wurde er gern gegessen. Er schmeckte gut und war obendrein auch noch gesund, was man längst nicht von allen Lebensmitteln behaupten konnte.

Zu den Forellen gab es gekochte Kartoffeln, die die Haushälterin mit frischgeschnittenem Dill bestreut hatte, und eine große Schüssel mit Salat aus dem Pfarrgarten.

»Gibt’s was Neues?« erkundigte sich Sebastian, während des Essens bei seinem Bruder.

Max schüttelte den Kopf.

»Alles in bester Ordnung«, meinte er. »Katastrophen sind jedenfalls außer Sichtweite.«

»Da soll’n sie auch mal schön bleiben«, sagte der Bergpfarrer. »Davon gab’s in der letzten Zeit genug.«

Der Polizist nickte. Er wußte, daß Sebastian von dem großen Feuer sprach, das vor ein paar Wochen die Scheune eines Bauernhofes in Schutt und Asche gelegt hatte. Zu allem Unglück bestand kein Versicherungsschutz für das Gebäude, weil der Bauer versäumt hatte, pünktlich die Prämien zu bezahlen.

Indes hatte es das Schicksal noch einmal gut gemeint. Ausgerechnet in dem Augenblick, als alles so aussichtslos erschien, da erbte die junge Magd des Hofes ein kleines Vermögen, das sie nur zu gern in die Ehe mit dem Bauernsohn, den sie schon lange liebte, einbrachte.

Allerdings ging das alles nicht ganz ohne Komplikationen ab, und Pfarrer Trenker trug sein Teil dazu bei, daß sich alles wieder zum Guten wendete.

»Wie geht’s denn dem Kreuzingerbauern?« fragte Max seinen Bruder. »Hast’ was gehört?«

Xaver Kreuzinger war bei dem Brand der Scheune verletzt worden und mußte einige Zeit im Krankenhaus verbringen.

Sebastian nickte.

»Er ist gestern entlassen worden«, erzählte er. »Aber mit dem Arbeiten schaut’s natürlich schon schlecht aus. Ich hab’ dem Toni geraten, einen Knecht einzustellen, solang’ sein Vater noch net wieder mit anpacken kann.«

»Na ja, leisten können sie’s sich ja.«

»Wie schaut’s aus, kommt die Claudia übers Wochenende?« brachte der Geistliche das Gespräch auf ein anderes Thema.

Max’ Augen strahlten.

»In fünf Stunden ist sie da«, erwiderte er.

Claudia Bachinger arbeitete als Journalistin bei der Zeitung in Garmisch Partenkirchen. Max hatte sie bei einer Verkehrskontrolle kennengelernt und sich auf der Stelle in sie verliebt.

Sebastian war die Freundin seines Bruders ungemein sympathisch, war es ihr doch gelungen, den wilden Max zu zähmen. Früher war der fesche Polizeibeamte auf jeder Gaudi zu finden, und die Madln liefen ihm scharenweise hinterher. Doch seit er Claudia kannte, hatte sich diese Einstellung geändert.

»Schön«, nickte der Pfarrer und wandte sich an Sophie Tappert. »Dann können S’ sich ja wieder etwas Leckeres für morgen abend überlegen.«

Die Haushälterin lächelte. Ihr war die attraktive Claudia nicht weniger sympathisch, denn auf den früheren Lebenswandel des Polizisten hatte sie schon immer skeptisch geschaut.

Zum Nachtisch gab es einen frischen Obstsalat, der mit einer Spur frischen Ingwers gewürzt war. Max kratzte die Schale bis auf den letzten Rest aus.

»So«, sagte er, während er auf die Uhr schaute, »noch drei Stunden und dann ist Wochenend’.«

Sein Bruder winkte ihm zu.

»Bis heut’ abend dann, Max.«

Während der wieder zum Dienst ging, machte sich der Geistliche auf den Weg in die Kirche. Alois Kam-meier, der Messner von St. Johann, würde schon auf ihn warten. Die Sakristei mußte wieder einmal aufgeräumt werden, außerdem wurden Kerzen, Blumenschmuck und andere wichtige Dinge gebraucht und mußten bestellt werden. Diese Liste war teilweise schon geschrieben, mußte indes noch ergänzt werden.

»Bringen S’ den Herrn Kammeier nachher zum Kaffee trinken mit«, sagte Sophie Tappert. »Ich back’ einen Marmorkuchen, den mag er doch so gern.«

»Mach ich«, versprach Sebastian und verließ das Pfarrhaus.

Als er wenig später die Kirche betrat, ahnte er nicht, daß er schon bald die Bekanntschaft einer der interessantesten Frauen machen würde, die ihm je in seinem Leben begegnet waren.

*

Sepp Reisinger, der Wirt und Inhaber des Hotels ›Zum Löwen‹, schaute zufrieden die Belegungsliste durch. Wenn es nach den Anfragen gegangen wäre, dann hätte er gut und gern noch mindestens hundert Zimmer mehr haben können. Allerdings war sein Haus nicht größer, und für einen An- oder gar Neubau hätte erst der Bebauungsplan der Gemeinde geändert werden müssen. Hierfür standen die Chancen jedoch schlecht. Es gab genug Dörfler, die das zu verhindern gewußt hätten, und zu ihnen gehörte in erster Linie Pfarrer Trenker.

Eine Bettenburg, wie der Geistliche es genannt hatte, würde in St. Johann niemals gebaut werden!

Nun ja, mußte man sich eben bescheiden, auch wenn es einem um jeden Gast, den man wieder fortschicken mußte, leid tat. Aber immerhin hatte Sepp die Zimmerpreise so kalkuliert, daß ein ordentlicher Verdienst dabei herauskam. Und im oberen Stockwerk gab es sogar Zimmer, die der Luxusklasse angehörten und entsprechend teuer waren.

Hinzu kamen die Einnahmen aus dem Restaurant, der etwas einfacher gehaltenen Gastwirtschaft und dem Bier- und Kaffeegarten. Nicht zu vergessen der große Saal, der an die dreihundert Leute faßte und in dem jeden Samstagabend das Tanzvergnügen stattfand, zu dem nicht nur die Leute aus dem Wachnertal strömten, sondern sich auch viele Urlauber einen Platz an einem der großen Tische reservieren ließen.

Die beiden großen Suiten waren belegt, sah der Hotelier zufrieden, ebenso die beiden großen Einzelzimmer, die auf demselben Flur lagen. Familie Richter war schon angereist, Mutter und Sohn. Die andere Suite war von einer Familie Pfister gebucht, die im Laufe des Tages eintreffen sollte.

Natürlich wußte der clevere Gastronom, daß es sich bei Margot Richter um die Besitzerin der gleichnamigen Brauerei handelte, und er hatte bei seinem Großhändler extra drei Fässer Richterbräu geordert.

Man mußte schließlich etwas tun, wenn man so illustre Gäste beherbergte.

Sepp schaute auf, als er jemanden die Treppe herunterkommen hörte.

»Ich hoff’, Sie sind zufrieden?« erkundigte er sich, als die elegant gekleidete Frau vor ihm stand.

Margot Richter nickte.

»Sehr, Herr Reisinger«, antwortete sie. »Es ist alles in bester Ordnung.«

»Wir wollen jetzt draußen im Kaffeegarten eine Kleinigkeit essen«, sagte Stephan, der neben seine Mutter getreten war. »Würden S’ uns für heut’ abend einen Tisch in Ihrem Restaurant reservieren?«

»Aber freilich, Herr Richter. Um wieviel Uhr?«

»Ich denke, so gegen neunzehn Uhr. Ist dir das recht, Mutter?«

Margot nickte.

»Ich werd’ es sofort notieren«, versprach der Wirt. »Einen schönen Tag noch.«

In der Tür drehte sich Stephans Mutter noch einmal zu dem Hotelier um.

»Sagen Sie, Herr Reisinger, mir ist die Kirche aufgefallen, als wir vorhin ankamen. Ist die für Besichtigungen geöffnet?«

»Aber freilich«, nickte der Wirt. »Außerhalb der Heiligen Messe kann sie jederzeit besichtigt werden. Unser Herr Pfarrer freut sich immer, wenn Besucher hereinschauen.«

Margot Richter nickte dankend und ging dann durch die Tür. Ste-phan stand schon draußen und schaute sich neugierig um.

»Also, wenn ich mich so umseh’, dann muß ich sagen, die Empfehlung des Mannes im Reisebüro war net so schlecht, wie ich befürchtet hab’, meinte er. »Das hier ist zwar net Mittenwald oder Berchtesgaden, aber mithalten kann Sankt Johann durchaus.«

Seine Mutter hakte sich lächelnd bei ihm ein.

»Siehst du? Hab’ ich dir doch net zuviel versprochen.«

Sie deutete auf den Eingang zum Kaffeegarten.

»Komm, ich hab’ ein wenig Hunger.«

Gemeinsam betraten sie den gepflegten Garten, in dem bis zum Nachmittag Kleinigkeiten zu essen, Kaffee, Kuchen und Eis angeboten wurden. Am Abend saßen die Leute hier bei Bier und Wein, manchmal bis Mitternacht.

»Schau mal«, schmunzelte Ste-phan und deutete auf die Aufsteller an den Tischen, auf denen Richterbräu angeboten wurde.

»Ja, der Herr Reisinger ist schon ein cleverer Geschäftsmann«, lächelte seine Mutter.

Für ein verspätetes Mittagessen bestellte sie sich einen Salatteller, während Stephan sich mit einer Leberknödelsuppe begnügte. Während sie es sich schmecken ließen, unterhielten sie sich über den Geburtstag, der erst zwei Tage zurücklag, und die damit verbundenen Feiern und Ju-belempfänge. Es war anstrengend gewesen, aber das hatten sie vorausgesehen. Aber auch schön. Margot Richter war mit Ehrungen und Lobeshymnen überhäuft worden, doch das Schönste für sie war, daß alle Gäste ihrer Bitte gefolgt waren und großzügige Beträge auf ein Spendenkonto zugunsten notleidender Kinder überwiesen hatten.

»Man liebt dich eben, Mutter«, sagte Stephan und nahm ihre Hand. Er drückte einen Kuß darauf. »Genau wie ich.«

Die immer noch attraktive Frau seufzte. Der Sohn schaute sie irritiert an.

»Was hast du denn?«

»Ach, du weißt, was mir auf dem Herzen liegt…«

Stephan Richter zog die Augenbraue hoch. Natürlich wußte er es. An dem Sonntag vor dem Geburtstag seiner Mutter hatten sie den ganzen Abend darüber diskutiert. Im Hinblick auf ihr Alter hatte Margot den Sohn aufgefordert, sich endlich nach einer Beziehung umzusehen, die länger dauern sollte als das übliche Vierteljahr…

Indes schien die Diskussion darüber nicht gefruchtet zu haben, und Margot Richter beglückwünschte sich insgeheim zu ihrem Ent-

schluß, von dem Stephan nichts ahnte.

Nichts ahnen durfte, wenn nichts schiefgehen sollte!

*

»Wir haben doch lang und breit darüber gesprochen«, erwiderte der Sohn.

»Schon gut«, winkte seine Mutter ab. »Laß uns von etwas anderem reden.«

Das war Stephan nur recht.

»Sag’ mal, was schaust’ dich eigentlich immer um?« fragte er.

Ihm war aufgefallen, daß seine Mutter zwischendurch immer wieder zum Eingang des Kaffeegartens schaute.

»Erwartest du noch jemanden?«

Margot Richter schüttelte den Kopf.

»Nein. Wie kommst’ denn darauf?«

»Weil du andauernd auf den Eingang schaust.«

»Ach, nur so«, erwiderte sie und schob ihren Teller beiseite. »Jetzt möcht’ ich die Kirche besichti-

gen.«

Stephan nickte und winkte die Bedienung heran. Den Betrag ließ er auf die Zimmerrechnung setzen und gab dem jungen Madl ein Trinkgeld. Seine Mutter war schon aufgestanden und bewunderte einen riesigen Rhododendrenbusch, der an der Seite des Hauses stand.

»Herrlich, was?« meinte sie, als Stephan sie unterhakte.

Er nickte und führte sie auf die Straße hinaus. Bis zur Kirche war es nicht weit. Sie überquerten die Straße und gingen den Kiesweg hinauf. Rechts von der Kirche stand das Pfarrhaus, daneben lag der Friedhof.

Im Innern des Gotteshauses war es angenehm kühl. Die beiden Besucher waren im Vorraum stehengeblieben und sahen sich verwundert an.

»Donnerwetter!« entfuhr es Stephan.

Seine Mutter stieß ihn in die Seite.

»Du sollst net fluchen, und schon gar net in der Kirche!«

»Tut mir leid«, murmelte er. »Aber wenn man diese Pracht sieht, kann einem das ja schon mal rausrutschen.«

Es war wirklich beeindruckend, was sie da sahen. Rot, Blau und Gold waren die vorherrschenden Farben. Die Fenster zeigten wunderschöne Bilder aus dem Alten Testament, geschnitzte Madonnenfiguren und andere sakrale Kostbarkeiten ließen die Besucher staunen.

»Wunderschön«, sagte Margot Richter leise.

Sie waren durch den Mittelgang bis zum Altar gegangen. Rechts unter der Galerie hing ein Bild. Gethsemane, stand darunter. Es zeigte den Erlöser am Abend vor der Kreuzigung, im Gebet versunken. Andächtig standen Mutter und Sohn davor und betrachteten es.

»Schau.« Stephan deutete auf eine Madonnenfigur, die neben dem Bild auf einem Holzsockel stand.

›Unbekannter Holzschnitzer‹, stand auf dem dazugehörigen Schild.

In diesem Moment öffnete sich die Tür, und ein Mann trat ein. Er nickte ihnen lächelnd zu.

»Ah, Besucher. Grüß Gott, ich bin Pfarrer Trenker.«

Mutter und Sohn stutzten.

Dieser Mann sollte Geistlicher sein?

Hätte er nicht den Priesterkragen getragen, würden sie ihn wahrlich nicht als einen solchen erkannt haben, entsprach Sebastian Trenker doch so ganz und gar nicht dem landläufigen Bild, das die Menschen gemeinhin von einem Mann Gottes hatten.

Schlank war er und hochgewachsen. Das sympathische, markante Gesicht war von vielen Aufenthalten an der frischen Luft und Sonne stets leicht gebräunt, und alles in allem erweckte der Geistliche eher den Eindruck, ein erfolgreicher Sportler oder prominenter Schauspieler zu sein.

Sebastian war indes die Verwunderung der Besucher nicht entgangen. Allerdings kannte er solche Reaktionen zur Genüge und ging nicht weiter darauf ein.

»Sie machen Urlaub hier?« fragte er statt dessen.

»Ja«, nickte der junge Mann und deutete eine Verbeugung an. »Ste-phan Richter. Das ist meine Mutter.«

Die ältere Frau lächelte.

»Erfreut, Sie kennenzulernen, Hochwürden«, sagte sie und reichte ihm die Hand.

Der gute Hirte von St. Johann schaute sie fragend an.

»Margot Richter? Von Richterbräu?«

Jetzt war sie zum zweiten Mal verwundert.

»Sie kennen mich?«

Sebastian breitete die Arme aus.

»Wer kennt sie net, die großzügig Mäzenin zahlreicher junger Künstler, die großzügige Spendensammlerin? Sie hatten erst Geburtstag, wie in der Zeitung zu lesen war. Ich gratuliere Ihnen von ganzem Herzen und wünsche Ihnen Gottes Segen und weiterhin viel Kraft für Ihre Arbeit.«

Margot Richter sah ihn verlegen an.

Daß man sie in diesem abgelegenen Alpendorf kannte, fand sie schon bemerkenswert, sah sie doch ihre Rolle als Gönnerin als etwas Selbstverständliches an.

Allerdings war dieser Priester nicht weniger bemerkenswert. Seine Erscheinung, sein ganzes Auftreten waren selbstsicher und hatten etwas Weltmännisches an sich. Sie fragte sich, warum er ausgerechnet hier, in diesem Dorf, sein Amt als einfacher Landpfarrer ausübte. Margot Richter war sicher, daß der Geistliche, wenn er denn gewollt hätte, sich einen Platz ganz oben in der kirchlichen Hierachie hätte sichern können.

»Kommen Sie, ich führ’ Sie ein bissel herum«, bot Sebastian an. »Wie kommt’s eigentlich, daß Sie sich gerad’ Sankt Johann als Urlaubsziel ausgesucht haben?«

»Meine Mutter wollte verhindern, daß ich die paar Tage, die wir zusammen haben, statt mit ihr, mit anderen jüngeren Damen verbring«, erwiderte Stephan augenzwinkernd.

Was ihm einen strafenden Blick von Margot einbrachte.

»Sie denkt, daß mir die Madln hier weniger gefallen werden«, fuhr er ungeachtet dessen fort.

Sebastian lachte hell auf.

»Hoffentlich täuschen S’ sich da net, gnädige Frau«, meinte er. »Uns’ re Madln können den Burschen ganz schön den Kopf verdreh’n.«

»Na, dann bin ich ja beruhigt«, stimmte Stephan in das Lachen ein.

Seine Mutter schüttelte indes den Kopf.

»Glauben S’ ihm kein Wort, Hochwürden«, sagte sie. »Ich wollt’ ganz einfach dem Jungen zeigen, daß es auch in unserer Heimat schöne Flecken gibt.«

»Da haben S’ auch vollkommen recht«, nickte Sebastian und deutete auf die Madonna. »Das hier ist unser wertvollstes Stück. Wer sie geschnitzt hat, weiß man net, wie aus dem Schild ersichtlich ist. Allerdings hat ein Experte sie einmal geschätzt und ihr einen net unerheblichen Wert bestätigt.«

»Und dann steht sie einfach so da herum? Haben S’ keine Angst, daß sie mal gestohlen werden könnt’?« fragte Stephan.

»Jetzt net mehr.« Der Geistliche schüttelte den Kopf und erzählte von dem dreisten Kirchenraub, der sich vor ein paar Jahren ereignet hatte. »Inzwischen ist die Fi-

gur durch eine Alarmanlage gesichert.«

Er führte die beiden Besucher weiter herum, und Margot und Stephan Richter kamen in den Genuß, Dinge zu sehen, die anderen meist verborgen blieben.

»Vielen Dank, Hochwürden«, sagte Margot, als sie wieder draußen standen. »Das war sehr beeindruckend. Ihre Kirche ist wirklich eine der schönsten, die ich kenn’.«

»Und ganz bestimmt waren wir net das letzte Mal hier«, bekräftigte Stephan.

»Sagen S’, haben S’ net Lust, morgen abend zum Essen ins Pfarrhaus zu kommen?« lud Sebastian ein. »Meine Haushälterin kocht sehr gut und sie freut sich immer, wenn sie für viele Gäste auftischen kann.«

»Sehr gern«, nickten Mutter und Sohn. »Herzlichen Dank für die Einladung.«

Sie verabschiedeten sich und gingen den Kiesweg hinunter. Der Bergpfarrer blieb einen Moment stehen und schaute ihnen hinterher.

Er war beeindruckt von Margot Richter. Anläßlich ihres sechzigsten Geburtstages hatte er einen Artikel über sie gelesen, der in einer großen Münchener Zeitung stand.

In den siebziger Jahren hatte sie ihren Mann kennengelernt und geheiratet. Damals war die Brauerei noch nicht das große Unternehmen, das es heute darstellte. Max Richter hatte sie von seinem Vater übernommen und erst nach seinem Tod gelang es der Witwe, sie zu einer der führenden Privatbrauereien Bayerns zu machen.

Von vielen in der Branche belächelt, arbeitete sie mit Verbissenheit und Zielstrebigkeit. Richterbräu war eine der ersten Brauereien, die auf den Begriff ›Bio‹ setzte und nur Hopfen und Gerste aus biologischem Anbau kaufte und verbraute. Der Erfolg gab Margot Richter recht, und heute belächelte niemand sie mehr.

Im Gegenteil, man begegnete ihr mit Respekt und Hochachtung.

Sebastian freute sich auf einen schönen Abend in interessanter Gesellschaft.

*

Langsam spazierten sie zum Hotel zurück. Mutter und Sohn genossen die Ruhe, die in dem Alpendorf herrschte.

»Ich könnt’ mich glatt hinlegen und einen Mittagsschlaf machen«, meinte Stephan.

Seine Mutter sah ihn erstaunt an.

»Das hast du seit deinem vierten Lebensjahr nicht mehr getan«, sagte sie.

»Da kannst du mal seh’n«, schmunzelte er. »Das macht die gute Bergluft. Bist’ net auch ein bissel müd’? Immerhin war es doch eine recht lange Fahrt von Straubig hierher.«

»Mal seh’n«, antwortete Margot Richter und schaute gespannt zum Hotel hinüber.

Dabei hoffte sie inständig, daß Stephan ihre Aufregung nicht bemerkte, denn aufgeregt war sie. Eigentlich müßten sie nämlich schon da sein.

Hoffentlich ging alles gut!

Sie betraten die Hotelhalle, und Stephan ging an die Rezeption, um sich die Schlüssel geben zu lassen. Verwundert bemerkte er, wie eine junge Frau seine Mutter anlachte und auf sie zulief.

»Frau Richter! Na, das ist aber ein Zufall«, hörte er die Unbekannte sagen, die für seine Mutter gar nicht so unbekannt schien.

»Angela? Sind Sie’s wirklich?« rief die Brauereibesitzerin. »Nun sagen Sie bloß, Ihre Eltern sind auch hier?«

»Ja«, nickte die junge Frau. »Eben angekommen.«

»Also, das ist ja net zu glauben«, schüttelte Margot den Kopf. »Wo sind sie? Ich würd’ sie gern’ begrüßen.«

»Sie haben sich hingelegt«, erklärte Angela Pfister. »Die Fahrt hat sie ein bissel angestrengt.«

Stephan hatte sich derweil die Schlüssel geben lassen und war zu ihnen getreten. Stirnrunzelnd schaute er seine Mutter an.

»Wie’s scheint, hast du eine Bekannte getroffen«, sagte er. »Willst du uns net bekannt machen?«

»Ja, natürlich«, erwiderte sie. »Angela, das ist mein Sohn, Ste-phan. Und das hier, Stephan, ist Angela Pfister. Die Tochter von dem Ehepaar, dessen Bekanntschaft ich im letzten Jahr gemacht hab’, als ich zur Kur in Davos gewesen bin.«

Stephan deutete eine knappe Verbeugung an. Er wußte nicht so recht, was er davon halten sollte. War es wirklich nur ein zufälliges Zusammentreffen oder steckte mehr dahinter?

Er wußte nur zu gut, daß seine Mutter ihn unbedingt verheiratet sehen wollte. Und es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß sie über Umwege versucht hätte, dem Schicksal ins Handwerk zu pfuschen.

Allerdings erinnerte er sich an den Namen. Mutter hatte seinerzeit, als sie aus der Schweiz zurückkam, von dem Ehepaar erzählt. Pfister – der Mann hatte irgendwas mit Lebensmitteln zu tun. Auch die Tochter hatte die Mutter erwähnt. Die hatte ihre Eltern über ein verlängertes Wochenende besucht.

Aber bis heute war der Name nie wieder gefallen. Also mußte es doch einer dieser merkwürdigen Zufälle sein, die das Leben immer wieder mit sich brachte.

»Kommst du dann?« fragte er und wandte sich schon zur Treppe um.

»Wo sind denn Ihre Zimmer?« fragte Margot die junge Frau.

»Oben, die Eltern wohnen in der Franz-Joseph-Suite, und ich hab’ das Zimmer daneben.«

»Was? Da sind wir ja Nachbarn«, rief die Brauereibesitzerin begeistert. »Da komm’ ich nachher gleich guten Tag sagen, wenn Ihre Eltern ausgeschlafen haben.«

»Sie werden sich freuen«, nickte Angela und ging mit ihr die Treppe hinauf.

Stephan Richter wußte indes immer noch nicht, was er von der ganzen Angelegenheit halten sollte. Aber wenn die Bekannten seiner Mutter tatsächlich ihren Urlaub ebenfalls in St. Johann verbrachten, dann konnte das ja nur bedeuten, daß man sich die ganzen Tage immer wieder über den Weg laufen wür-

de.

Ach, du lieber Gott, womöglich noch irgendwelche gemeinsamen Unternehmungen?

So hatte er sich den Urlaub allerdings nicht vorgestellt, und schon gar nicht in Gesellschaft einer Frau, die ihn kaum beachtet hatte, während er ihr vorgestellt wurde.

Stephan behauptete zwar von sich, nicht eitel zu sein, dennoch kränkte es ihn, daß Angela Pfister ihn gerade mal mit einem kurzen Blick gemustert hatte, während seine Mutter sie miteinander bekannt machte.

Was bildete die sich eigentlich ein?

So eine Schönheit war sie nun auch wieder nicht!

Sie hatten den Flur erreicht, auf dem die Zimmer und Suiten lagen. Während er seine Tür aufschloß, sah Stephan mit Entsetzen, daß Angela sich von seiner Mutter verabschiedet hatte und nun auf ihn zukam.

Wollte sie ihm etwa auch einen schönen Nachmittag wünschen?

Na, das konnte sie sich ersparen!

Allerdings hatte die junge Frau auch gar nicht die Absicht. Sie ging nur in seine Richtung, weil ihr Zimmer neben dem lag, das er bewohnte.

Margot Richter war bereits in ihrer Suite verschwunden. So sah sie nicht mehr, wie Angela ihr Zimmer aufschloß, Stephan kurz zunickte und eintrat.

Der hatte irgendwelche Schwierigkeiten mit seinem Schlüssel – oder machte die junge Frau ihn nervös? – und ärgerte sich noch mehr über Angela Pfister.

Obwohl er eigentlich gar keinen Grund dazu hatte.

Allerdings, wenn man sich ärgern will, findet man immer einen, und so saß Stephan Richter in seinem großen, gemütlich eingerichteten Hotelzimmer und starrte finster vor sich hin.

Am liebsten hätte er seine Mutter dazu überredet, wieder abzureisen und woanders hinzufahren. Die Vorstellung, die gesamten Tage hier mit den Pfisters verbringen zu müssen, behagte ihm ganz und gar nicht.

Auch wenn er das Ehepaar nicht kannte – die arrogante Tochter kennengelernt zu haben, reichte ihm schon!

*

In ihrer Suite angekommen, griff Margot Richter zum Telefon und wählte die Nummer der Franz-Joseph-Suite. Schon nach dem zweiten Klingeln wurde abgenommen.

»Pfister.«

»Hallo, ich bin’s«, sagte die Brauereibesitzerin.

»Margot! Wie schön, dann seid ihr also schon angekommen.«

»Ja, am späten Vormittag. Angela habe ich eben in der Halle getroffen, und ich habe die beiden einander vorgestellt.«

»Glaubst’ denn, daß das gutgeh’n wird?« fragte der Kaufmann skeptisch. »Ich fürcht’, wenn herauskommt, was wir vorhaben, dann reden uns’re Kinder nie wieder ein Wort mit uns.«

»Oder sie werden uns ewig dankbar sein«, erwiderte Margot. »Es ist ein gewagtes Spiel, ich weiß. Aber wohl auch die einzige Möglichkeit, etwas im Leben uns’rer Kinder zu bewegen.«

»Ja, wahrscheinlich hast’ recht«, stimmte Ewald Pfister zu. »Wart’ eine Sekunde, meine Frau möcht’ dich auch schnell begrüßen.«

Die beiden Mütter sprachen ein paar Sätze miteinander, dann legte Margot auf und schaute zufrieden aus dem Fenster.

Das wird schon, sagte sie in Gedanken zu sich selbst.

Natürlich – ein gewagtes Spiel war es, das sah sie richtig. Es konnte aber auch klappen, so wie sie es sich vorgestellt hatte.

Die Idee für das, was sie jetzt eingefädelt hatte, war ihr bereits im letzten Jahr gekommen, als sie in der Schweiz kurte. Dort hatte sie die Bekanntschaft des Ehepaares Pfister gemacht, das ihr auf Anhieb sympatisch war. Diese Sympathie beruhte wohl auf Gegenseitigkeit, denn es ergab sich, wie von selbst, daß man nach den Kuranwen-

dungen die Tage gemeinsam verbrachte, Ausflüge in die Umge-

bung unternahm, und am Abend zusammensaß und sich lange unterhielt.

Bei diesen Gesprächen trat auch zutage, daß beide Familien ein ähnliches Problem hatten. Ihre Kinder waren aus den unterschiedlichsten Gründen immer noch nicht verheiratet und auch nicht bereit, den künftigen Großeltern, beziehungsweise der künftigen Großmutter, das ersehnte Enkelkind zu schenken.

»Im nächsten Jahr werde ich sechzig«, hatte Margot gesagt. »Und so langsam denk’ ich daran, mich aus dem Geschäft zurückzuziehen. Allerdings ist der Stephan von dem Gedanken, zu heiraten und Familienvater zu werden, weit entfernt. Statt dessen bringt er alle naselang irgendein Mädchen mit nach Hause, das er mir dann als die große Liebe seines Lebens vorstellt. Wenn ich nur wüßte, wie ich diesen lockeren Lebenswandel ändern könnt’. Natürlich, junge Menschen müssen ihre Erfahrungen sammeln, aber deswegen ja net ein halbes Leben in diesem Fach studieren.«

Dieses Problem hatten Ewald und Hannelore Pfister mit ihrer Tochter nicht. Daß Angela zu viele Männerbekanntschaften hatte, konnte man nicht sagen. Ganz im Gegenteil. Ihren Eltern wäre es sehr viel lieber gewesen, wenn sie öfter ausginge und weniger hinter dem Schreibtisch hockte.

Und dann kam das alles entscheidende Wochenende.

Angela war nach Davos gefahren, um die Eltern über das Wochenende zu besuchen. Margot Richter lernte eine aparte, junge Frau kennen, die mit beiden Beinen fest im Leben stand und genau wußte, welchen Weg sie gehen wollte. Dabei schaute Angela auch noch ausnehmend gut aus.

Nur, daß die Männer sich ständig nach ihr umdrehten, schien sie nicht zu bemerken – oder es berührte sie nicht.

Margot Richter seufzte innerlich auf. Das war genau die Frau, die sie sich als Schwiegertochter vorstellte. Zu schade, daß Stephan jetzt nicht hier war, um Angela kennenzulernen.

*

Nach der Kur blieb man in Verbindung. Einige Male wurde miteinander telefoniert, oder man schrieb sich Grüße zu Weihnachten. Und in all der ganzen Zeit ging Margot die Tochter der Pfisters nicht aus dem Sinn. Immer wieder dachte sie daran, wie es wäre, wenn Angela Ste-phans Frau würde.

Als es dann daran ging, die Gästeliste für die Geburtstagsfeier zu schreiben, da stand für Margot fest, daß sie Ewald Pfister und seine Familie ebenfalls einladen würde. Als sie anrief, mußte sie indes erfahren, daß es ihnen unmöglich war zu kommen. Vater und Tochter würden zu dem Zeitpunkt noch auf Geschäftsreise sein. Die Erweiterung der Europäischen Union versprach auch für den Pfisterkonzern die Erschließung neuer Märkte in den hinzukommenden Mitgliedsstaaten.

Margot Richter bedauerte die Absage, wäre es doch eine gute Gelegenheit gewesen, Angela und Ste-phan zusammenzubringen. Sie überlegte, wie man es bewerkstelligen konnte, daß die beiden sich kennenlernten.

Und so kam es zu einem Geheimtreffen, von dem weder Tochter noch Sohn etwas wußten.

An einem Sonntag fuhr Margot Richter von Straubing nach Landshut. Dort hatte sie sich mit den Eheleuten Pfister verabredet. Sie spazierten durch die Altstadt, besichtigten das Rathaus mit seinen Renaissance-Erkern und bestaunten das große Gemälde, welches den Prunksaal schmückte. Es zeigte Szenen aus der berühmten Landshuter Hochzeit, die in eben diesem Saal gefeiert wurde.

In einem Café ruhten sie sich dann aus, und Margot Richter kam auf ihre Anliegen zu sprechen.

»Es ist doch so, daß ihr, genauso wie ich, unzufrieden seid mit dieser Situation.«

Schon während des Kuraufenthaltes in der Schweiz hatte man sich darauf geeinigt, das umständliche ›Sie‹ fallenzulassen und sich zu duzen.

»Schon, Margot«, nickte Ewald Richter. »Aber ich seh’ überhaupt keine Möglichkeit, das bei Angela zu ändern. Sie ist nun einmal mit ihrem Beruf verheiratet.«

»Auch solche Ehen können geschieden werden…«, schmunzelte die Brauereibesitzerin.

»Wie meinst du das?« fragte Hannelore Pfister. »Geschieden werden?«

»Na ja, wenn der Angela der richtige Mann begegnet, dann könnt’ es doch sein, daß sie ihrem Scheibtisch sozusagen untreu wird…«

»Ha, was glaubst’ wohl, wie oft wir uns solch einen Mann schon herbeigesehnt haben!« rief Ewald. »Aber Angela geht ja noch net einmal mit, wenn wir irgendwo eingeladen sind. Außer mit ihrer engsten Freundin geht sie überhaupt net aus, und wenn es tatsächlich passiert, daß sie einen Mann kennenlernt, dann hat sie bestimmt nach spätestens einer Woche etwas an ihm auszusetzen und gibt ihm den Laufpaß.«

Seine Frau nickte bekümmert zu den Worten ihres Mannes.

»Es ist wirklich ein Jammer!«

Margot Richter war allerdings nicht gewillt, so leicht aufzugeben, zumal sie ihr eigentliches Anliegen noch gar nicht so richtig vorgebracht hatte.

»Paßt mal auf«, sagte sie. »Wir haben ja das gleiche Problem. Warum versuchen wir net, eure Angela und meinen Stephan zusammenzubringen? Wenn die beiden sich mögen, soll’s uns doch nur recht sein.«

Ewald und Hannelore Pfister sahen sich an. Der Kaufmann zuckte mit den Schultern.

»Meinst’ denn, daß das funktionieren würd’?«

»Es käme auf einen Versuch an«, erwiderte Margot. »Ich stell’ mir allerdings einen Ort vor, wo die beiden nicht abgelenkt werden können durch irgendwelche Attraktionen. Also kein mondäner Badeort, wo die Schönheiten nur so herumlaufen und Stephan den Kopf verdrehen. Und für Angela darf nicht die Gefahr bestehen, daß sie so gelangweilt ist, daß sie sich an ihren Schreibtisch zurücksehnt. Aber das wird sie ohnehin net, wenn sie Stephan erst einmal kennt.«

»Tja«, überlegte Ewald Pfister, »was könnt’ da sein, das Angela so fesselt, daß sie net an die Arbeit denkt?«

»Also, wenn du mich fragst, dann ist das einzige, was sie noch interessiert, vielleicht das Wandern. Immerhin joggt sie jeden Morgen einige Kilometer.«

»Na wunderbar«, rief Margot Richter und klatschte in die Hände. »Da wird sich doch was finden lassen.«

Diesem Geheimtreffen folgten noch zahlreiche Telefonate zwischen Straubing und München, und endlich schien alles perfekt zusammenzupassen. Zeit, Tag und Ort wurden verabredet, die Zimmer und Suiten gebucht, und nun wartete man darauf, was das Schicksal aus dem machte, was die besorgten Eltern inszeniert hatten.

Margot Richter stand von ihrem Sessel auf und ging unruhig in der geräumigen Suite auf und ab.

Wenn es doch nur klappen wollte!

Als es an der Tür klopfte, zuckte sie erschrocken zusammen. Gerade so, als habe man sie bei etwas Verbotenem ertappt.

Unsinn, schüttelte sie den Kopf, ich benehm’ mich ja fast schon, als litte ich unter Verfolgungswahn!

Sie ging zur Tür und öffnete. Stephan stand draußen und schaute sie fragend an.

»Hast du einen Moment Zeit, Mutter?«

»Freilich. Komm herein. Ich dachte allerdings, du hättest dich wirklich schlafen gelegt.«

Das hatte er in der Tat versucht. Doch schon kurz darauf war er wieder aufgesprungen und hatte eine ganze Weile auf der Bettkante gesessen.

Warum nur wurde er das Gefühl nicht los, daß es kein zufälliges Zusammentreffen mit den Bekannten seiner Mutter war?

Irgend etwas stimmte da nicht. Und dann fiel ihm auch noch das merkwürdige Verhalten seiner Mutter ein, als sie im Kaffeegarten saßen und sie immer wieder zum Eingang schaute, als erwarte sie jemanden.

Und als sie von der Kirche zurückgingen, wirkte sie da nicht irgendwie nervös?

Oder bildete er sich das alles nur ein?

Stephan erhob sich und strich seine Kleidung glatt.

Auf jeden Fall würde er das ganze im Auge behalten!

*

Angela Pfister hatte sich in ihrem Zimmer auf das Bett gelegt und in einer Zeitschrift gelesen. Jedoch nicht in einem dieser bunten Blätter, die es am Kiosk zu kaufen gibt, sondern – wie könnte es anders sein! – in einer Fachzeitung der deutschen Lebensmittelindustrie.

Allerdings gelang es ihr nicht so richtig, sich auf das Gelesene zu konzentrieren. Ihre Gedanken schweiften immer wieder zu dem jungen Mann ab, dessen Bekanntschaft sie vorhin gemacht hatte.

Was für ein arroganter Schnösel!

Glaubte wohl, er brauchte eine Frau nur anzusehen, und sie würde ihm gleich um den Hals fallen. Aber nicht mit ihr! Überhaupt hatte sie ihn nur seiner Mutter zuliebe begrüßt. Margot Richter war ihr schon damals in der Schweiz sympathisch gewesen.

Angela klappte die Zeitschrift zusammen und schaute nachdenklich auf das Muster der Tapete.

Eigentlich ein seltsamer Zufall, daß die Eltern ausgerechnet dort Urlaub machten, wo auch die Brauereibesitzerin hingefahren war.

Merkwürdig, wie das Leben so spielt.

Allerdings brauchten sie sich nicht einbilden, daß man jetzt die ganzen Tage zusammen verbringen würde. Dazu hatte die Tochter nämlich überhaupt keine Lust. Schon gar nicht, nachdem sie den Sohn kennengelernt hatte.

Mißmutig stand sie auf und trat an das Fenster. Vor ihr erhoben sich die Berge in den Himmel. Wahrscheinlich waren sie die einzige Abwechslung, die sich hier bot – ein bißchen Wandern.

Angela hatte letztendlich dem gemeinsamen Urlaub nur zugestimmt, weil sie in den Bergen wandern wollte. Außerdem hatte sie gelesen, daß man im Achsteinsee, der nur ein paar Kilometer entfernt war, herrlich baden konnte. Ansonsten konnte sie der Gegend hier nichts abgewinnen. Und nur weil sie die Eltern nicht zu sehr verärgern wollte, hatte sie darauf verzichtet, ihren tragbaren Computer und ein paar Unterlagen mitzunehmen, die sie hätte bearbeiten können.

Dabei fand sie es ungemein wichtig. Die Osterweiterung der EU barg ungeheure Möglichkeiten zu expandieren, und die Gespräche, die sie und ihr Vater vor ein paar Tagen noch in Polen, Tschechien und der Slowakei geführt hatten, waren diesmal positiv verlaufen. Gerade jetzt aber mußte man am Ball bleiben, wenn man verhindern wollte, daß der Zug abfuhr, ehe man aufgesprungen war.

Allerdings konnte sie den Vater auch ein wenig verstehen. Er war nicht mehr der Jüngste, und das Reisen strengte ihn mehr und mehr an. Das hatte sie erst heute wieder gesehen, obwohl es von München hierher wahrlich keine Weltreise war.

Na ja, der Bruckner wird die Verhandlungen schon in unserem Sinne weiterführen, überlegte sie.

Thomas Bruckner war einer der leitenden Direktoren des Konzerns und die rechte Hand ihres Vaters, der ihm voll vertraute.

Trotzdem wäre Angela zu gern mit dabei gewesen. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Ihre Mutter hatte gesagt, die Tochter solle die Eltern gegen drei Uhr wecken. Jetzt war es kurz vor Vier. Angela ging zur Tür und verließ ihr Zimmer. Als sie die Suite der Eltern betrat, waren die gerade aufgestanden.

»Du solltest uns doch wecken, Kind«, sagte die Mutter mit einem leichten Vorwurf in der Stimme.

»Ach, Mama, wir sind hier im Urlaub«, entgegnete sie. »Da spielt’s keine Rolle, wann wir schlafen geh’n oder aufsteh’n.«

»Richtig«, meinte Ewald Pfister, der gerade aus dem Bad kam. »Aber jetzt hätte ich Hunger auf ein schönes Stück Buttercremetorte.«

Seine Frau schaute mit einem bedeutungsvollen Blick auf seinen Bauch, der ein wenig über den Gürtel aus der Hose herausquoll. Der Kaufmann klatschte sich mit der flachen Hand darauf und schmunzel-te.

»Wir sind im Urlaub.«

»Männer!« wandte sich Hannelore Pfister kopfschüttelnd an ihre Tochter. »Und bist’ mit deinem Zimmer zufrieden?«

»Ja, ist schon okay«, nickte Angela. »Aber jetzt mal was and’res! Ihr glaubt net, wen ich vorhin unten in der Halle getroffen hab’.«

Ewald und Hannelore Pfister warfen sich einen bedeutungsvollen Blick zu, der ihrer Tochter allerdings entging.

»Na, wen denn?« fragte ihr Vater.

»Frau Richter«, sagte Angela.

Ewald runzelte die Stirn.

»Richter? Welche Frau Richter?« gab er sich unwissend.

»Na, die aus der Schweiz.«

Ihr Vater schüttelte den Kopf.

»Ich kenne keine Frau Richter in der Schweiz«, meinte er und sah seine Frau an. »Du etwa, Hannelore?«

»Ach, Papa, ich mein’ doch die, mit der ihr im letzten Jahr in Davos immer zusammen gewesen seid. Die Brauereibesitzerin aus Straubing.«

»Ach, die meinst du, Margot! Sag’ bloß, die ist auch hier?«

»Na, so ein Zufall«, ließ sie die Mutter vernehmen.

»Ja«, nickte Angela. »Genau das hab’ ich auch gedacht.«

»Die ist tatsächlich hier in Sankt Johann?« fragte der Kaufmann noch einmal nach. »Das ist ja’n Ding!«

»Ihr duzt euch?« fragte Angela. »Davon weiß ich ja gar nix.«

»Warum auch.« Ihre Mutter zuckte mit den Schultern. »Du hast sie ja auch nur an dem Wochenende geseh’n. Da waren wir noch net so weit, daß wir uns geduzt hätten.«

»Ist ja auch egal«, wandte ihr Vater ein. »Jetzt ist sie jedenfalls hier. Weißt du ihre Zimmernummer?«

Ewald Pfister band sich eine Krawatte um, die er zum Schlafen abgelegt hatte.

»Na, dann woll’n wir mal guten Tag sagen«, meinte er.

»Ich weiß net«, entgegnete Angela. »Sie ist net allein hier. Der Sohn begleitet sie.«

»Na, um so besser«, sagte der Kaufmann. »Da lernen wir ihn mal persönlich kennen. Margot hat ja schon viel über ihn erzählt. Ich bin ganz gespannt darauf zu sehen, was er für ein Typ ist. Was für einen Eindruck macht er denn auf dich?«

Angela verzog das Gesicht.

»Den eines arroganten Schnösels«, antwortete sie.

Sowohl Ewald als auch Hannelore Pfister zuckten zusammen.

Herrje, das kann ja was werden, dachte Angelas Vater, wenn sie jetzt schon so über ihn redet!

Allerdings ließ er sich seine Gedanken nicht anmerken.

»Na ja, wahrscheinlich täuscht der erste Eindruck«, sagte er und zog sein Sakko über. »So, jetzt aber los. Erstmal begrüßen wir uns’re Freundin aus der Kur, dann stürmen wir alle zusammen das Kuchenbüffet.«

Angela zuckte die Schulter. Bis eben hatte sie noch gehofft, daß die Eltern Margot Richter allein besuchen würden, und auf das gemeinsame Kaffeetrinken hätte sie auch verzichten können. Jetzt allerdings mußte sie wohl mitgehen. So, wie es aussah, freuten sich die Eltern über das unerwartete Zusammentreffen, und Angela wollte ihnen diese Freude nicht nehmen.

Also blieb ihr nichts anderes übrig, als sich diesem Schicksal zu fügen.

Aber unterhalten werd’ ich mich mit ihm net!

Mit diesem Gedanken verließ sie hinter ihren Eltern die Suite.

*

»Was gibt’s denn?« fragte Margot Richter, während sie ins Bad ging und sich mit einer Bürste durch das Haar fuhr.

»Sag’ mal, diese Pfisters«, rief Stephan, der sich in das Wohnzimmer der Suite gesetzt hatte und in einem Prospekt las, »wir müssen uns doch net die ganze Zeit mit denen abgeben, oder?«

Margot zuckte merklich zusammen.

Das hörte sich nicht gerade an, als würde er über diese Aussicht begeistert sein.

»Was heißt die ganze Zeit?« fragte sie zurück. »Natürlich möchte ich etwas mit ihnen unternehmen. Ich fand sie schon in Davos sehr nett und freu’ mich, daß der Zufall dieses Zusammentreffen möglich gemacht hat.«

Sie kehrte aus dem Bad zurück und schlüpfte in ihre Kostümjacke.

»Wie findest’ denn eigentlich die Angela?« wollte sie wissen. »Ist doch ein nettes Madl, oder?«

Stephan sah sie stirnrunzelnd an.

»So, findest du?«

»Du nicht?«

»Na ja, ich weiß ja net. Sie macht auf mich keinen sonderlich sympathischen Eindruck«, erwiderte er. »Und wenn du schon fragst – die Aussicht, jeden Tag mit den Pfisters zusammen zu verbringen, find’ ich alles andere als toll.«

»Ich weiß gar net, was du hast«, sagte seine Mutter kopfschüttelnd. »Ich hab’ sowohl die Eltern als auch Angela in bester Erinnerung. Und mit Ewald und Hannelore stehe ich immer noch im telefonischen Kontakt.«

Sie sah ihn auffordernd an.

»Also, Stephan, jetzt reiß dich ein bissel zusammen«, bat Margot Richter. »Auch wenn dir die Familie nicht sympathisch ist, mußt du es sie ja nicht unbedingt merken lassen.«

Ein Klopfen an der Tür beendete die Diskussion. Margot öffnete und breitete die Arme aus.

»Herzlich willkommen«, rief sie mit einem strahlenden Lächeln. »Ihr glaubt ja gar net, wie ich mich freu’!«

»Na und wir erst«, lachte Ewald Pfister und ließ seiner Frau den Vortritt.

Hannelore und Margot fielen sich in die Arme, dann begrüßte Ewald Stephans Mutter.

»Und das ist der Herr Sohn?« sagte er und reichte dem jungen Mann die Hand. »Pfister. Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Gleichfalls«, quetschte Stephan hervor und deutete eine Verbeugung an.

Angelas Mutter lächelte ihm zu, als er sich über ihre Hand beugte.

»Sehr wohlerzogen.«

Angela war ebenfalls eingetreten und beobachtete die Szene.

Trotzdem arrogant!

»Ja, das war vielleicht eine Überraschung, als da plötzlich die Angela in der Hotelhalle steht«, sagte Margot an die beiden Pfisters gewandt. »Ich dacht’, ich seh’ net recht. Wie lang’ bleibt ihr denn?«

»Vierzehn Tage«, antwortete Hannelore. »Mehr wollt’ Ewald uns net zugesteh’n. Er hat Angst, ums Geschäft.«

»Na, ganz so schlimm ist’s net«, winkte der Kaufmann ab. »Aber in den nächsten Wochen entscheidet’s sich, ob wir in den Osteuropäischen Markt einsteigen, und dann wär’ ich schon gern’ wieder an meinem Schreibtisch.«

Er wandte sich an Stephan.

»Was sagen Sie denn zu der Entwicklung, Herr Richter?« erkundigte er sich. »Die EU-Erweiterung kann doch nur ein Gewinn für uns Kaufleute sein, oder sind S’ da and’rer Meinung?«

Der Juniorchef der Richterbrauerei zuckte die Schultern.

»Ich glaub’ net, daß das für uns von Belang ist«, antwortete er. »Es dürfte, zum Beispiel, für eine deutsche Brauerei sehr schwer sein, den Tschechen Bier verkaufen zu wollen. Das brauen die nämlich selbst in hervorragender Qualität.«

Hannelore hob die Hand.

»Jetzt laßt doch die Geschäfte«, meinte sie. »Wir wollen lieber hinuntergehen und einen schönen Kaffee trinken. Dabei können wir bereden, was wir in den nächsten Tagen unternehmen wollen.«

»Eine gute Idee«, nickte Ewald und strich sich über den Bauch. »Ich bin gespannt, ob es hier Butter-

cremetorte gibt.«

Angela hatte die ganze Zeit über am Fenster gestanden und zu den anderen hinübergeschaut. Sie ärgerte sich immer noch.

Darüber, daß ihre Eltern sie überredet hatten, mitzufahren, darüber, daß sie hier noch auf Margot Richter treffen mußten, und noch mehr darüber, daß dieser eingebildete Kerl sie keines Blickes würdigte.

Als sie wenig später hinter ihm die Treppe hinunterging, sah sie die schlanke, sportliche Gestalt des Brauereierben.

Na ja, zumindest sieht er ganz gut aus, mußte sie zugeben. Daß diese Tatsache ihr Stephan Richter sympathischer machte, stritt sie indes energisch ab.

Beim Kaffeetrinken saßen sie sich gegenüber. Der junge Mann musterte Angela verstohlen.

Ganz hübsches Ding, ging es ihm durch den Kopf. Allerdings würde er sich auf gar keinen Fall näher mit ihr einlassen.

Überhaupt traute er dem Ganzen hier nicht so recht über den Weg. Eine Bemerkung seiner Mutter hatte ihn stutzig gemacht. Sie war gefallen, als die Pfisters noch nicht in der Suite standen…

»Mit Hannelore und Ewald stehe ich immer noch in telefonischem Kontakt.«

Das wußte Stephan, und er wußte auch, daß seine Mutter die Familie zu ihrem Geburtstag einladen wollte.

Warum, fragte er sich jetzt, hatten sie dann nicht über den bevorstehenden Urlaub gesprochen?

Das war doch die natürlichste Sache von der Welt, wenn man sich am Telefon unterhielt!

Die Angelegenheit wurde immer mysteriöser, und Stephan fragte sich erneut, ob hier tatsächlich alles mit rechten Dingen zuging.

*

»Also, das müßt ihr euch unbedingt anschauen!« sagte Margot Richter und öffnete die Kirchentür. »Stephan und ich sind heut’ mittag schon hiergewesen. Einfach wunderschön!«

Dem gemeinsamen Kaffeetrinken hatte sich ein Bummel durch das Dorf angeschlossen, und St. Johann zeigte sich von seiner besten Seite. Dazu strahlte die Sonne vom Himmel, daß sich sogar Stephans Laune zu bessern schien. Jedenfalls richtete er auch ab und zu das Wort an Angela, und die junge Frau lächelte bei mancher Antwort sogar zurück.

»Ich hoff’ sehr, daß ihr auch den Geistlichen kennenlernt«, wandte sich Margot an die Pfisters. »Also, das ist ein Mann!

Da fällt mir ein, wir sind morgen abend bei ihm zum Essen eingeladen. Aber heut’ essen wir doch zusammen, net wahr? Stephan hat einen Tisch reserviert, aber wir können ja sagen, daß wir jetzt fünf Personen sind.«

Sie waren durch den Mittelgang bis zum Altar gegangen. Jetzt deutete die Brauereibesitzerin auf die Figur unter dem Bogengang, über dem die Galerie verlief.

»Ist sie net wunderschön?«

Unmittelbar war ihre Stimme zu einem Flüstern herabgesunken, und auch die anderen schienen von Ehrfurcht gepackt, als sie die Madonna anschauten.

»Herrlich«, nickte Hannelore Pfister.

»Ja«, stimmte ihr Mann zu, »das ist wirklich ein kleines Kunstwerk.«

Auch Angela konnte sich der Faszination, die die Holzfigur ausstrahlte, nicht entziehen. Es war schon beeindruckend, was Künstlerhände schaffen konnten.

Stephan Richter hatte sich zu ihr gestellt.

»Pfarrer Trenker, das ist der hiesige Geistliche, hat uns erzählt, daß die Madonna schon einmal das Opfer eines Kirchenraubes war«, erklärte er.

Angela sah ihn erstaunt an.

»Wirklich?«

»Ja«, nickte er. »Es handelte sich um eine Bande, die sich auf Einbrüche in Kirchen spezialisiert hatte. Die sakralen Kunstgegenstände sollten ins Ausland verschoben werden. Im letzten Moment konnte das jedoch verhindert werden.«

Die junge Frau nickte. Sie war erstaunt über diese Geschichte, aber noch mehr darüber, daß Stephan Richter zum ersten Mal ganz normal mit ihr gesprochen hatte und dabei nicht so arrogant wirkte wie sonst.

Hoppla, dacht Angela, sollte der Herr doch noch andere Seiten an sich haben?

Dann wäre es ja direkt interessant, sie zu entdecken…

Margot Richter führte sie weiter herum. Da Pfarrer Trenker ihnen schon alles gezeigt hatte, konnte sie mit ihrem Wissen glänzen. Aber auch Stephan trug hin und wieder zur Unterhaltung bei und ergänzte dann und wann die Erklärungen seiner Mutter.

Als sie die Kirche wieder verließen, kam der Geistliche gerade vom Pfarrhaus herüber.

»Na, uns’re Kirche scheint Ihnen ja ganz besonders zu gefallen«, schmunzelte er.

»Das tut sie wirklich«, antwortete Margot Richter. »Aber stellen S’ sich vor, Hochwürden, zufällig sind wir alten Bekannten begegnet, die ebenfalls ihren Urlaub hier verbringen. Denen wollten wir dieses Kleinod natürlich gleich zeigen.«

Sebastian nickte.

»Verstehe«, sagte er und schaute die Pfisters an.

Margot übernahm es, die Familie vorzustellen.

»Schön, daß Sie sich dazu entschlossen haben, Ihren Urlaub in uns’rem schönen Sankt Johann zu verbringen«, begrüßte der Geistliche die drei. »Ich hab’ die Frau Richter und ihren Sohn für morgen abend zum Essen eingeladen. Diese Einladung gilt natürlich auch für Sie.«

»Sehr gerne«, bedankte sich Ewald Pfister. »Wenn’s keine Umstände macht…«

»Ach, woher«, winkte Sebastian ab. »Platz ist im Pfarrhaus genug, und meine Frau Tappert freut sich immer, wenn sie für viele kochen kann.«

»Dann nehmen wir die Einladung mit Freuden an, Hochwürden«, sagte der Kaufmann.

»Fein«, freute sich der gute Hirte von St. Johann. »Jetzt müssen S’ mich entschuldigen. Ich hab’ noch einen Termin, bevor die Abendandacht beginnt.«

Er winkte ihnen zu und eilte den Kiesweg hinunter.

»Ein faszinierender Mann«, bemerkte Hannelore Pfister.

»Net wahr?« bestätigte Margot. »Wenn man ihn net kennt, mag man gar net glauben, daß es sich bei ihm um einen Priester handelt.«

Ewald Pfister schaute auf die

Uhr.

»Hm«, meinte er, »eigentlich noch zu früh fürs Abendessen. Aber ich hab’ schon wieder Hunger. Für wann haben Sie denn den Tisch bestellt, Herr Richter?«

»Für neunzehn Uhr«, mischte sich Margot ein, ehe Stephan antworten konnte. »Aber seid doch um Himmels willen net so förmlich.«

Ihr Sohn zuckte die Schultern und lächelte.

»Also, von mir aus sagen S’ ruhig Stephan«, sagte er und drehte sich zu der jungen Frau um. »Wenn’s Ihnen ebenfalls recht ist… Angela…?«

»Freilich«, antwortete sie. »So wie’s ausschaut, werden wir die nächsten Wochen ja mehr oder weniger zusammen verbringen.«

»Darüber müssen wir noch sprechen«, warf Margot ein. »Am besten beim Abendessen. Natürlich müssen wir net die ganze Zeit zusammenglucken. Ich denk’, die jungen Leut’ geh’n auch ab und zu ihre eig’nen Wege. Oder was meint ihr?«

Die letzte Frage war an Angela und Stephan gerichtet. Beide nickten.

Nur, wenn das net heißt, daß ich mich mit ihr abgeben muß, dachte der junge Mann, sprach es aber nicht aus.

Angela ging ein ähnlicher Gedanke durch den Kopf. Allerdings fand sie diese Aussicht nicht ganz so unerträglich, immerhin schien Stephan Richter seine Arroganz abgelegt zu haben. Zumindest unterhielt er sich mit ihr, und das gefiel ihr gar nicht mal so schlecht.

Margot Richter kam noch einmal auf Ewalds Frage nach dem bestellten Tisch zu sprechen.

»Ich merk’ auch, daß ich mehr Appetit hab’ als sonst«, meinte sie. »Das liegt wahrscheinlich an der guten Luft hier. Seid ihr net auch der Meinung, daß es hier viel frischer und würziger riecht als anderswo?«

»Stimmt«, nickte Hannelore. »Das hat was mit den wilden Kräutern zu tun, die hier überall wachsen.«

»Na, dann kommt«, sagte Margot. »Es ist zwar noch net sieben, aber wir werden bestimmt schon etwas zu essen bekommen.«

*

»Heut’ abend sind Gäste da«, erzählte Sebastian, als man am nächsten Morgen im Pfarrhaus gemütlich beim Frühstück saß. »Gestern hab’ ich in der Kirche die Besitzerin der Richterbrauerei kennengelernt.«

Claudia Bachinger riß erstaunt die Augen auf.

»Was, die Margot Richter?« fragte sie ungläubig.

Der Geistliche nickte.

»Ja. Ich hab’ sie nach dem Foto erkannt, das in der Zeitung abgedruckt war.«

»Und die macht hier Urlaub?«

Die Journalistin war beeindruckt.

»Ja, zusammen mit ihrem Sohn.«

»Meinst du, ich könnt’ sie mal wegen eines Interviews fragen?«

Sebastian Trenker zuckte die Schultern.

»Warum net? Sie ist eine patente Frau. Freundlich und zuvorkommend. Bestimmt wird sie nix dagegen haben, wenn du ihr ein paar Fragen stellen möcht’st.«

»Was gibt’s denn Gutes zu essen?« wollte Max wissen und sah Sophie Tappert fragend und erwartungsvoll zugleich an.

Die Haushälterin schmunzelte.

»Das wird natürlich net verraten«, erwiderte sie.

»Auch net den kleinsten Hinweis?« bohrte der Polizist nach. »Schließlich muß doch der dazu passende Wein ausgesucht werden.«

»Ich werd’ Hochwürden rechtzeitig Bescheid geben«, entgegnete Sophie Tappert schulterzuckend.

Claudia lachte.

»Gib’s auf, Max. Auf jeden Fall wird’s ein Gaumenschmaus werden. Da kannst’ sicher sein.«

Sie wandte sich an die Haushälterin.

»Sie sagen’s, wenn Sie Hilfe brauchen.«

Seit die Journalistin mit Max befreundet war und regelmäßig an den Wochenenden von Garmisch Partenkirchen herüberkam, war Claudia die einzige Person, der es gestattet war, Sophie Tappert in der Küche zu helfen. Dies war ein Ausdruck besonderer Wertschätzung der Pfarrköchin gegenüber der jungen Frau.

»Ich geh’ erst einmal zum Herrnbacher hinüber und schau’, was er heut’ so anbietet«, erklärte Sophie. »Ich sag’ Ihnen aber dann, wenn’s soweit ist.«

»Schön«, sagte Sebastian. »Dann ist das ja auch geklärt. Mich müßt ihr jetzt entschuldigen, ich muß zum Schloß hinüber.«

Damit war die Frühstücksrunde beendet. Claudia und Max wollten in die Kreisstadt fahren und einen Einkaufsbummel machen, Sophie Tappert kümmerte sich um den Abwasch und den anschließenden Einkauf für die Abendeinladung, und der Bergpfarrer machte sich auf den Weg in den Ainringer Wald.

Dort stand das alte Jagdschloß ›Hubertusbrunn‹, das die letzte Nachfahrin des Baron Maybachs und dessen Frau, die beide bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, dem Geistlichen geschenkt hatte. Damit konnte sich Sebastian einen Traum erfüllen, denn inzwischen war in dem alten Schloß eine Begegnungsstätte eingerichtet worden, in der junge Menschen aus aller Welt zusammenkamen und sich miteinander austauschten.

Als Herbergseltern hatte Sebastian Trenker ein Ehepaar gewinnen können, das diese Aufgabe zu seiner vollsten Zufriedenheit erledigte. Franziska und Georg Meyerling waren dem guten Hirten von St. Johann indes dankbar genug, hatte er sie mit diesem Angebot doch vor dem wirtschaftlichen Untergang gerettet, der den beiden nach langer Arbeitslosigkeit und einer Herzerkrankung Georgs drohte.

Auf der anderen Seite war Sebastian wirklich froh, daß er das Ehepaar eingestellt hatte. Die zwei lebten im und für das Schloß, und inzwischen war Georg Meyerling gesundheitlich soweit wieder hergestellt, daß er die meisten anfallenden Arbeiten in Schloß und Garten alleine verrichten konnte.

Hubertusbrunn stand auf einer großen Lichtung, ringsherum umgeben von Wald. Das weiße Gemäuer strahlte im Sonnenschein, und alles machte einen gepflegten Eindruck. An diesem Wochenende waren keine Gäste da, erst am Montag sollte eine Jugendgruppe eintreffen. Eine gute Gelegenheit also, daß man sich zusammensetzte und über mögliche Probleme sprach.

Wann immer es ihm möglich war, ging Sebastian zu Fuß oder er benutzte das Fahrrad so wie heute. Er stieg ab und öffnete das Tor. Während er es durchschritt, hörte er den Motor des Rasenmähers, und gleich darauf sah er Georg Meyerling die Wiese vor dem Schloß mähen, auf der zahlreiche Sportgeräte standen. Als der Herbergsvater den Geistlichen sah, schaltete er den Mäher aus und winkte.

»Grüß Gott, Hochwürden. Schön, daß Sie da sind.«

»Servus, Georg«, begrüßte Sebastian ihn. »Wie geht’s euch?«

»Dank’ schön, es könnt’ net besser sein.«

Die beiden Männer gingen hinter das Jagdschloß. Dort gab es eine große Terrasse, auf der Franziska Meyerling saß und eine lange Einkaufsliste schrieb. Ihr Mann würde heute noch zum Großmarkt fahren müssen, um für die kommende Woche einzukaufen.

Sebastian und Georg setzten sich zu ihr.

»Was kann ich Ihnen denn zu trinken anbieten?« fragte die Herbergsmutter nach der Begrüßung. »Kaffee vielleicht?«

Der Geistliche schüttelte den Kopf und deutete auf die Saftkaraffe, die auf dem Tisch stand.

»Ich komm’ gerad’ vom Frühstück«, erklärte er. »Kaffee hatte ich schon. Aber von dem Saft nehm’ ich gern’ ein Glas.«

Es gab keine sonderlichen Probleme zu besprechen, wie sich zu Sebastians Zufriedenheit herausstellte. Georg hatte ein paar Reparaturen am Dach erledigt, und der Geistliche zeichnete die entsprechenden Rechnungen für das Material ab. Jetzt kamen Dinge zur Sprache, die den Ablauf der nächsten Woche betrafen, aber darin hatten die Herbergseltern inzwischen soviel Erfahrung, daß Sebastian sich voll und ganz auf sie verlassen konnte.

Nach einer guten Stunde machte er sich auf den Weg zurück nach St. Johann. Unterwegs dachte er an die Gäste, die am Abend im Pfarrhaus erwartet wurden. Margot Richter war in der Tat eine Persönlichkeit, die für eine engagierte Journalistin wie Claudia von Interesse war.

Das Ehepaar Pfister war dem Geistlichen vom Namen her ebenfalls nicht unbekannt. Der Pfisterkonzern war immmerhin einer der größten Lebensmittelproduzenten Bayerns.

Was Sebastian in diesem Zusammenhang interessierte, war, welche Beziehung zwischen den beiden Familien herrschte. Zwar war es nur ein kurzer Augenblick gewesen, als er sie gestern nachmittag kennenlernte, doch schien es ihm, als habe er dabei etwas gespürt, was im unmittelbaren Zusammenhang mit den beiden Kindern stand.

Bahnte sich da etwas an oder sollte möglicherweise etwas angebahnt werden…?

Auf den ersten Blick schienen sich Angela Pfister und Stephan Richter nicht ganz grün. Allerdings wäre es nicht das erste Mal, daß sich Gegensätze anzogen.

Der Bergpfarrer besaß indes genügend Menschenkenntnis, um beurteilen zu können, ob die beiden zusammenpaßten, und seiner Meinung nach war das der Fall. Auch wenn es nicht so aussah, als würden die jungen Leute sich sympathisch sein.

Jedenfalls war er auf den Verlauf des Essens gespannt, und wenn er etwas dazu beitragen konnte, daß Angela und Stephan sich näherkamen, dann würde es ihm Spaß machen, dies zu tun…

*

»Sind Sie so nett und reichen mir den Brotkorb, Stephan?«

Angela sah den Juniorchef der Richterbrauerei bittend an.

»Natürlich«, beeilte der sich zu sagen und hielt ihr den Korb hin.

Die junge Frau dankte es ihm mit einem Lächeln, und Stephan kam nicht umhin festzustellen, daß Angela Pfister an diesem Morgen hinreißend ausschaute.

Gestern hatte man nach einem erstklassigen Abendessen noch lange zusammengesessen und sich angeregt unterhalten. Und zu Ste-phans Erstaunen waren er und Angela es gewesen, die die kleine Gesellschaft unterhalten hatten. Geschichten und Streiche aus der Jugend kamen zutage, und so manches Mal fielen Margot Richter oder das Ehepaar Pfister aus allen Wolken, als sie hörten, was ihre Kinder alles angestellt hatten.

Die hingegen amüsierten sich köstlich, und oft schien es, als wechselten vertraute Blicke zwischen ihnen hin und her.

Sollt’ ich mich so in ihr getäuscht haben?

Diese Frage stellte sich Stephan mehrfach. Angela wirkte so ganz anders, als am Nachmittag, und die Sehnsucht, sie in seine Arme zu schließen und ihren verlockenden Mund zu küssen, war schier übermächtig.

Unter anderen Umständen hätte der Playboy, als welcher der Brauereierbe in bestimmten Kreisen gesehen wurde, nicht lange gezögert und einen heftigen Flirt mit der hübschen jungen Frau angefangen. Doch leider waren sie nicht alleine, und unter den Augen der Eltern und seiner Mutter wollte Stephan Richter natürlich nichts mit Angela Pfister anfangen.

Aber den ganzen Abend spielte er mit dem Gedanken – was wäre wenn…? – und als er später in seinem Zimmer war, nur durch eine Wand von ihr getrennt, da wollte sie ihm überhaupt nicht mehr aus dem Kopf gehen, und er freute sich schon auf das gemeinsame Frühstück am nächsten Morgen.

Angelas Empfindungen waren ähnlich. Sie, die sie eigentlich nur für ihre Arbeit lebte, nahm flüchtig wahr, daß sie den ganzen Abend über noch keinen Gedanken daran verschwendet hatte, ob in der Firma alles glattlief. Statt dessen saß sie Stephan Richter gegenüber, stellte sich vor, wie es wäre, wenn aus dieser Bekanntschaft mehr würde.

Er war so ganz anders, als sie ihn auf grund seines Verhaltens ihr gegenüber eingeschätzt hatte. Als eingebildet hatte sie ihn eingestuft, als einen Mann, der um sein Aussehen wußte und es gezielt einsetzte, um bei den Frauen zu landen. Doch das war genau die Sorte Männer, die Angela am liebsten dann sah, wenn sie gingen, und zwar möglichst weit von ihr fort!

»Habt ihr euch eigentlich mal Gedanken über eine Bergwanderung gemacht?« fragte sie zwischendurch.

Ihre Eltern sahen sich schulterzuckend an, und Ewald Pfister strich sich über den Bauch.

»Ich weiß net«, meinte er. »Ob das das Richtige für mich ist?«

»Also, Paps, ein bissel Bewegung kann dir net schaden«, meinte Angela belustigt.

Ihre Mutter schlug in dieselbe Kerbe.

»Das kommt bloß von deinen ewigen Buttercremetorten.«

Der Kaufmann wandte sich hilfesuchend an Margot Richter.

»Nun sag’ du doch auch mal was. So dick bin ich nun auch wieder net…, oder?«

Stephans Mutter schmunzelte.

»Mach’ dir keine Gedanken, Ewald«, antwortete sie. »Bestimmt gibt’s Wanderwege, die du ganz bequem gehen kannst.«

»Also, eine richtige Bergtour, die könnt’ mir schon gefallen«, warf Stephan ein, der es plötzlich gar nicht mehr so schrecklich fand, daß die Bekannten seiner Mutter ebenfalls hier Urlaub machten. »Was meinen Sie, Angela?«

Die junge Frau lächelte ihn an.

»Ich bin dabei«, nickte sie. »Wanderstiefel und richtige Kleidung hab’ ich vorsichtshalber mitgebracht.«

»Ich auch«, freute sich Stephan.

»Also, dann ist’s abgemacht«, sagte Angela. »Wir können uns ja morgen früh erkundigen, welche Tour am besten ist, und ob wir einen Bergführer brauchen.«

Die beiden beugten sich zueinander und waren gleich darauf in ein Gespräch vertieft, das sich um die geplante Tour drehte. Dabei entgingen ihnen die bedeutungsvollen Blicke, die sich das Ehepaar Pfister und Margot Richter zuwarfen.

»Woll’n wir denn nach dem Frühstück gleich mal zur Touristeninformation geh’n?« schlug Stephan vor.

Angela nickte.

»Ja, das machen wir«, antwortete sie. »Wenn wir uns rechtzeitig anmelden, haben wir vielleicht die Chance, einen erfahrenen Bergführer zu bekommen.«

Daß sie auf einen solchen nicht verzichten wollten, war das Ergebnis des Gespräches am Vorabend. Angela und Stephan waren übereingekommen, daß es eine richtige Tour werden sollte, die schon ein paar Stunden dauerte. Da war ein Einheimischer, der sich in den Bergen auskannte, unabdinglich.

Die Eltern des Madls und Margot Richter waren mit der Entwicklung der Dinge höchst zufrieden. Offenbar hatten ihre Kinder die ersten Ressentiments überwunden und waren sich nähergekommen.

Zumindest konnte man nicht mehr davon sprechen, daß sie sich überhaupt nicht ausstehen konnten, wie es zuvor noch den Anschein gehabt hatte. Jedenfalls wurde die Art und Weise, wie die beiden miteinander umgingen, mit einem zufriedenen Lächeln der älteren Herrschaften quittiert.

»Ja, wir machen uns dann mal auf den Weg«, sagte Stephan, als er sah, daß Angela ihren Kaffee ausgetrunken hatte. »Treffen wir uns nachher zum Mittagessen im Kaffeegarten?«

»Das ist eine gute Idee«, nickte seine Mutter. »Aber nicht so früh.«

»Dreizehn Uhr wäre recht«, meinte Hannelore Pfister. »Wir haben ja gerad’ erst gefrühstückt.«

»Ja, dann, einen schönen Tag«, riefen Stephan und Angela und verließen den Frühstücksraum.

Die Pfisters und Margot sahen sich erleichtert an.

»Hättet ihr geglaubt, daß das so schnell geht?« fragte die Brauereibesitzerin.

»Also, wenn du mich das gestern nachmittag gefragt hättest, dann hätt’ ich schwarzgeseh’n«, antwortete Ewald und rieb sich die Hände.

Auch Hannelore war erleichtert.

»Ja, ich hab’ ein sehr gutes Gefühl«, sagte sie. »Anfangs wollt’ ich net glauben, daß es klappen würd’. Aber jetzt bin ich sicher.«

»Eigentlich müßten wir darauf anstoßen«, lachte der Kaufmann.

»Was, jetzt? So früh am Morgen?«

Seine Frau schüttelte den Kopf.

»Ach, was soll’s«, erwiderte Ewald und winkte die Haustochter heran. »Das muß begossen werden. Bei einem Sektfrühstück schaut man auch net auf die Uhr.«

Und dann bestellte er eine Flasche Champagner und drei Gläser.

*

»Herrliches Wetter, was?«

Stephan deutete zum Himmel, der sich in einem strahlenden Blau zeigte. Angela, die an seiner Seite ging, nickte.

Sie hatten gerade das Hotel verlassen, und obwohl es noch recht früh am Morgen war, bummelten schon viele Leute durch das Dorf. Die Touristeninformation war in einem kleinen Raum im Eingang des Rathauses untergebracht. Dort wurde gerade erst geöffnet, und es hatte sich schon eine lange Schlange davor gebildet.

»Ein sehr gefragter Ort, dieses Sankt Johann«, meinte der Juniorchef der Ritterbräu. »Sollte man gar net meinen. So viele Attraktionen gibt’s hier ja nun auch wieder net.«

»Vielleicht ist gerad’ das der Grund«, überlegte Angela. »Viele Leute sind so übersättigt von allem, daß sie sich wirklich nach Ruhe und Erholung sehnen, und beides finden sie hier.«

In der Touristeninformation arbeiteten vier junge Frauen, um die Fragen der Gäste zu beantworten, Wandervorschläge zu machen oder einen Bergführer zu verpflichten. Dabei waren sie trotz des Andrangs stets freundlich und bemüht, den Leuten ihre Wünsche von den Augen abzulesen, noch ehe sie sie ausgesprochen hatten.

Es dauerte keine zehn Minuten, und Stephan und Angela waren schon an der Reihe. Das Madl hinter dem Tresen lächelte sie freundlich an.

»Hallo, ich bin die Christl Hallhuber«, stellte es sich vor. »Was kann ich für euch tun?«

Hier war es üblich, daß man sich duzte, so wie es auch unterwegs auf der Tour Brauch war. Schließlich waren sie dann Bergkameraden, und war ein Du doch vertrauter als das oft umständliche Sie.

»Wir möchten eine Bergtour machen«, erklärte Stephan. »Könnt’st uns da einen Vorschlag machen und auch gleich einen Bergführer für uns buchen?«

»Wann wollt ihr denn die Tour unternehmen?« erkundigte sich Christel.

Stephan sah Angela achselzuckend an.

»In der nächsten Woche, oder?«

Sie nickte zustimmend. Doch Christel schüttelte bedauernd den Kopf.

»Eine Tour kann ich euch schon raussuchen«, sagte sie. »Aber einen Bergführer werdet ihr net mehr bekommen. Die sind schon seit Wochen ausgebucht.«

»Wirklich? Das ist aber schad’.«

Die Enttäuschung war Angela deutlich anzusehen, und sie tat Stephan leid.

»Kann man denn gar nix machen?« fragte er.

Christel Hallhuber hob die Hände und ließ sie wieder fallen.

»Also, das einzige, was wir machen könnten, wär’, daß ihr mir sagt, in welchem Hotel oder welcher Pension ihr wohnt, und ich versuch’ morgen nachmittag, wenn sich die Bergführer zu ihrer wöchentlichen Besprechung treffen, daß ihr euch vielleicht noch einer Gruppe an-schließen könnt. Aber versprechen kann ich nix.«

»Mensch, das wär’ ja prima, wenn du das versuchen wolltest«, freute sich Stephan.

»Aber, wie gesagt…«

»Na klar, es ist nix versprochen«, nickte er. »Aber vielleicht haben wir ja Glück. Wir wohnen im Lö-wen.«

»Gut, dann geb’ ich euch morgen abend Bescheid oder hinterlaß eine Nachricht, wenn ihr net da seid.«

»Dann hat sich das mit der Tour auch erst mal erledigt, denk’ ich«, sagte Christel.

»Ja, ohne Bergführer wollen wir’s net riskieren.«

Sie bedankten sich und verließen die Touristeninformation, nachdem Christel ihre Namen notiert hatte.

»Mal schau’n, ob’s klappt«, meinte Stephan zuversichtlich.

Angela stand vor einem kleinen Schaufenster, in dem mit Bildern und Plakaten für das Wachnertal und seine Umgebung geworben wurde. Ihr Interesse galt einer großformatigen Fotografie, die den Achsteinsee zeigte. Der war ihr schon aufgefallen, als sie zu Hause in einem der Prospekte blätterte, die ihre Mutter ihr gegeben hatte.

»Schaut gut aus«, meinte sie.

Stephan stand neben ihr und schaute neugierig auf das Bild.

»Verlockend«, nickte er. »Man kann sogar Wasserski fahren und surfen.«

»Wenn’s mit der Tour nix wird, kann man ja vielleicht einen Ausflug dorthin machen«, schlug Angela vor.

»Eine prima Idee«, fand er und schaute dabei auf ihre Gestalt.

Sie sich in einem aufregenden Bikini vorzustellen…, da konnte der Blutdruck durchaus steigen.

Überhaupt spürte er immer mehr, daß dieses Madl ihn gefangennahm. Stephan hatte das Gefühl, endlich die Frau gefunden zu haben, nach der er sein Leben lang gesucht hatte.

Doch wie sollte er es ihr sagen?

Jetzt und hier – das wäre zu plump. Zu einer Liebeserklärung gehörte ein romantisches Szenario, stimmungsvolle Musik vielleicht, funkelnder Wein, klopfende Herzen.

Plötzlich hatte er eine Idee. Heute abend war doch diese Tanzveranstaltung, von der der Wirt schon gestern gesprochen hatte. Vielleicht war dies die Gelegenheit, bei der

er und Angela sich näherkommen konnten.

»Wie ist’s denn mit heut’ abend?« fragte er und hoffte inständig, daß Angela sich nicht irgend etwas anderes vorgenommen hatte. »Geh’n wir zu diesem Folkloreabend?«

»Ist das schon heut?« fragte Angela erschrocken zurück. »Ach, du lieber Gott, und ich hab’ noch gar kein Kleid. Vater hat gemeint, ich könnt’ mir ein Dirndl kaufen.«

Stephan Richter wertete diese Erklärung als Zusage und bot ihr seinen Arm an.

»Wenn gnädige Frau sich auf meinen fachlichen Rat verlassen wollen, steht einem Einkauf nix im Weg«, sagte er mit einem Augenzwinkern.

Angela lachte hell auf und hakte sich bei ihm unter.

»Also los«, stimmte sie zu, und ihr Puls beschleunigte sich, als sie an seinem Arm die Straße hinunterging.

*

Ein Geschäft, das Trachtenmode verkaufte, war schnell gefunden. Es befand sich in einer kleinen Seitenstraße, und schon die Auslage war so verlockend, daß auch andere Touristen hineingegangen waren, um sich einen chicken Wanderhut, ein schönes Halstuch oder gar ein Trachtenkleid zu kaufen. Erstaunt schauten Angela und Stephan auf die große Auswahl.

Die Kleider hingen an einem Ständer an der Seite des Verkaufsraumes. Der Inhaber des Ladens und eine Verkäuferin waren damit beschäftigt, die zahlreichen Kunden zu bedienen. Stephan Richter hatte ein hübsches Dirndl vom Ständer genommen und musterte es.

»Das schaut doch schon sehr

hübsch aus«, meinte er.

Angela wiegte den Kopf.

»Vielleicht ein bissel zu konservativ«, erwiderte sie.

Im letzten Jahr hatte sie sich einmal überreden lassen, mit auf das Oktoberfest zu gehen. Dort hatte sie Dirndl gesehen, die aufregend geschnitten waren, aus Leinen geschneidert und mit Lederbesatz. Und genau so etwas suchte sie jetzt.

Rasch ging sie die aufgehängten Kleider durch und wollte beinahe schon enttäuscht aufgeben, als sie genau das Dirndl sah, das ihren Vorstellungen entsprach.

Und das hatte genau ihre Größe.

»Was hältst’ denn davon?« fragte sie Stephan.

Im selben Moment wurde ihr bewußt, daß sie ihn geduzt hatte, und sie lief rot an. Ganz in Gedanken hatte sie wohl angenommen, daß es ihre Freundin sei, mit der sie einkaufen gegangen wäre.

Stephan Richter schmunzelte über ihre gemurmelte Entschuldigung.

»Also, ich würd’ vorschlagen, wir bleiben beim Du«, sagte er. »Deine Eltern und meine Mutter duzen sich ja auch. Da ist’s doch albern, wenn wir uns weiterhin siezen, oder?«

Angela nickte erleichtert und suchte eine passende weiße Baumwollbluse heraus, die sie unter dem Keid anziehen wollte. Dann betrat sie eine der Umkleidekabinen, die gerade frei geworden war.

Nach ein paar Minuten zog sie den Vorhang beiseite und stellte sich vor den großen Spiegel.

Stephan hielt unwillkürlich den Atem an.

Mein Gott, ist sie schön! durchfuhr es ihn, und am liebsten hätte er nach ihr gegriffen und sie nie wieder losgelassen.

»Sehr schön«, sagte er mit belegter Stimme. »Paßt ausgezeichnet.«

Angela drehte sich und schaute von allen Seiten.

»Wirklich?«

Er nickte.

»Gut, dann nehm’ ich’s.«

Fröhlich verließen sie das Geschäft, und Stephan erwies sich einmal mehr als Kavalier und trug ihr die Papiertasche mit dem Kleid und der Bluse.

»Du wirst die schönste Frau des Abends sein«, bemerkte er.

Angela spürte, wie dieses Kompliment sie berührte. Besonders, weil es aus seinem Mund kam.

»Ich glaub’, jetzt müssen wir uns aber beeilen«, sagte sie, um von ihrer Verlegenheit abzulenken. »Sonst stirbt mein Vater noch einen fürchterlichen Hungertod.«

Tatsächlich war die Zeit rasch vergangen, und bis zur geplanten Verabredung im Kaffeegarten war es kaum noch eine Stunde. Sie betraten das Hotel und ließen sich ihre Zimmerschlüssel geben. Dann gingen sie gemeinsam die Treppe hinauf.

»Bis gleich«, verabschiedete sich Stephan und winkte ihr zu.

Angela nickte zurück und betrat ihr Zimmer. Drinnen lehnte sie sich an die geschlossene Tür und atmete tief durch.

Hab’ ich mich etwa ernsthaft verliebt?

Diese Frage hatte sie sich auch schon in dem Geschäft gestellt. Stephans Reaktion, als sie aus der Umkleidekabine trat, war ihr nicht entgangen. So sah ein Mann nur eine Frau an, die er von ganzem Herzen begehrte, und auch sie sehnte sich nach seinen starken Armen, seinen heißen Küssen, seinen Liebkosungen. Ihr Herz jubilierte, als sie sich vorstellte, wie er sie in die Arme nahm und ihr seine Liebe erklärte.

Angela nahm das Dirndl aus der Tüte und hängte es auf einem Bügel an den Kleiderschrank. Die Bluse würde noch einmal gebügelt werden müssen, aber das übernahm bestimmt der Zimmerservice.

Während sie sich rasch erfrischte und umzog, hörte Angela draußen eine Tür klappen und Schritte, die über den Flur zu laufen schienen. Aber sie dachte sich nichts weiter dabei und überprüfte den Sitz ihrer Haare.

Eine Viertelstunde später verließ sie ihr Zimmer wieder und klopfte an Stephans Tür.

»Ich bin’s«, rief sie. »Bist’ auch soweit?«

Keine Antwort.

Angela Pfister klopfte ein zweites Mal und ging, als sie wieder keine Reaktion erhielt, über den Flur zur Treppe.

Merkwürdig, dachte sie.

Als sie wenig später in den Kaffeegarten kam, saß Stephan bereits mit ihren Eltern und seiner Mutter zusammen. Das fand sie seltsam, hatte sie es doch so verstanden, daß sie gemeinsam hinuntergehen wollten.

Was soll’s, dachte sie und setzte sich. Vielleicht hat er’s sich anders überlegt.

»Stephan hat schon erzählt, daß es schwer werden könnt’, einen Bergführer zu bekommen«, wandte sich ihr Vater an sie.

»Ja«, nickte sie, »offenbar sind doch mehr Touristen hier, als man vermuten konnte.«

»Also, wenn’s denn nun gar nix werden sollte mit der Tour, dann fahren wir an den Achsteinsee«, sagte Stephan Richter. »Da soll man sehr schön baden können.«

Er schaute Angela fragend an.

»Natürlich nur, wenn du willst…«

»Aber ja«, antwortete sie. »Das wird bestimmt genauso schön.«

Das Ehepaar und Margot Richter wechselten einen raschen Blick.

»Ihr duzt euch ja auch«, stellte Ewald Pfister fest.

Die beiden jungen Leute lächelten.

»Warum auch net?« meinte Angela. »Schließlich geht ihr uns ja mit gutem Beispiel voran.«

Eine der Haustöchter war an den Tisch getreten und reichte ihnen die Speisekarten. Angesichts der Einladung ins Pfarrhaus entschieden sie sich, nur etwas Leichtes zu Mittag zu essen – lediglich Ewald Pfister konnte sich mit dem Gedanken nicht anfreunden, einen Salat essen zu müssen. Er wählte ein Wiender Schnitzel mit Bratkartoffeln…

*

In der Pfarrküche brutzelte und kochte es. Seit dem Nachmittag war Sophie Tappert mit den Vorbereitungen für das Abendessen beschäftigt, und eine ganze Zeitlang hatte Claudia Bachinger ihr dabei geholfen. Jetzt war die attraktive Journalistin in Max’ Wohnung gegangen, um sich umzuziehen, während der Polizist und Sebastian im Keller des Pfarrhauses standen und den Wein aussuchten.

Keine leichte Aufgabe, sollte es doch Fisch und Fleisch geben. Schließlich hatten die zwei Brüder ein paar Flaschen Weißwein und einige Rote zusammengestellt.

»Den Zweigelt werden wir schon öffnen müssen, damit er Sauerstoff bekommt«, meinte der Bergpfarrer, als sie wieder ins Eßzimmer zurückgekommen waren.

»Das übernehm’ ich«, nickte Max und griff zum Korkenzieher.

Claudia trat ein, sie sah hinreißend aus in ihrem hellen Kleid und dem dazu passenden Jäckchen.

»Ich schau’ mal schnell in die Küche«, erklärte sie und verschwand so rasch, wie sie gekommen war.

Sophie Tappert schaltete gerade die Herdplatten aus, als die Journalistin eintrat.

»Na, alles in Ordnung?« fragte sie.

Die Haushälterin nickte. Claudia band sich eine Schürze um, dann machten sich die beiden Frauen daran, die Vorspeise anzurichten.

Auf einen Glasteller wurden Salatblätter gelegt, die mit kleinen Nockerln von geräucherter Lachsmousse gefüllt wurden. Sophie Tappert hatte aus Joghurt und frischen Kräutern eine Sauce gerührt, die jetzt über Salat und Fisch geträufelt wurde. Ein paar gezupfte Dillspitzen als Dekoration und die Vorspeise war servierbereit.

In einem der Töpfe auf dem Herd befand sich die anschließende Suppe. Eine leichte Bouillion mit Markklößchen und Eierstich. Die Haushälterin öffnete die Klappe des Backofens und warf einen prüfenden Blick auf das Roastbeef, das darin briet. Sie nickte zufrieden. Wenn Vorspeise und Suppe gegessen waren, dann war das Fleisch genau richtig.

Draußen klingelte es an der Haustür.

»Da sind sie«, sagte Claudia und band die Schürze ab.

Als sie auf den Flur trat, hatte Sebastian schon geöffnet. »Herzlich willkommen«, begrüßte er die Gäste. »Treten S’ ein. Das Essen ist gleich soweit.«

Max hatte den Aperitif vorbereitet, einen ›Kir Royal‹. Den dazugehörigen Likör aus schwarzen Johannisbeeren hatte er in hohe Gläser geschenkt und mit eiskaltem Sekt aufgefüllt. Während der Geistliche die Besucher vorstellte, verteilte der Polizeibeamte schon das Getränk.

»Hochwürden, wir bedanken uns herzlich für die Einladung«, sagte Ewald Pfister, nachdem sie sich zugeprostet hatten.

»Auf einen schönen Abend«, nickte Sebastian und hob noch einmal sein Glas. »Ich denk’, wir können uns schon setzen. Da es bei uns immer ein bissel zwanglos zugeht, haben wir auf Tischkarten verzichtet. Jeder setzt sich, wohin er mag.«

Claudia half beim Auftragen der Vorspeise, während Max sich weiterhin um die Getränke kümmerte. Für das Fischgericht und die Suppe hatte Sebastian einen Sauvignin blanc ausgesucht. Der etwas kräftige Weißwein paßte hervorragend zu dem Rauchgeschmack der Lachsmousse. Das bestätigten auch die Gäste am Tisch.

Während des Essens drehte sich die Unterhaltung in erster Linie um die weiteren Urlaubspläne der beiden Familien, und so erfuhr Pfarrer Trenker von der Misere mit den Bergführern.

»Ja, am besten bucht man sie schon gleich zusammen mit dem Zimmer«, erklärte er. »Besonders in den letzten Jahren hat der Fremdenverkehr zugenommen, und die Leut’ kommen von überall her.

Aber ich denk’, daß wir trotzdem eine Lösung finden. Ich hab’ nämlich für Montag früh eine Tour geplant, und wenn ihr euch mir anvertrauen wollt’, dann könnt’ ihr selbstverständlich mitgeh’n.«

Der letzte Satz war an Angela und Stephan gerichtet. Die beiden sahen den Geistlichen erfreut an.

»Wirklich? Das wär’ ja prima.«

Gleich waren sie mit Sebastian in ein Gespräch über die Tour vertieft, während Ewald Pfister sich mit Max, und Margot Richter mit Claudia Bachinger unterhielten.

Niemand, auch nicht Hannelore Pfister, die sich mit Sophie Tappert über Rezepte austauschte, bemerkte die sorgenvolle Miene der Haushälterin, die ihr Gesicht überzogen hatte, als Sebastian von der geplanten Bergtour sprach.

Noch immer hatte Sophie ihre Angst nicht überwunden, die sie immer befiel, wenn Hochwürden auf den Gipfel stieg…

Zum Roastbeef, das perfekt rosa gebraten war, wurden frische Gemüse aus dem Pfarrgarten serviert. Dazu Herzoginkartoffeln, die Sophie Tappert aus Pürree, das mit Eigelben verrührt worden war, hergestellt hatte. Auch hier handelte sie nach ihrer strikten Devise, daß nichts aus der Dose auf den Tisch kam, und Eingefrorenes nur dann, wenn es sich um Reste handelte, die die Haushälterin selbst in die Truhe getan hatte.

Das Besondere zu diesem Essen war jedoch die Sauce Béarnais, eine aufgeschlagene Buttersauce, ähnlich der Hollandaise, die allerdings eine würzige Estragonnote hatte und mit gehacktem Kerbel vollendet worden war.

Wenn schon Lachsmousse und Suppe gewürdigt worden, so forderte der Hauptgang die Gäste nun zu einem begeistertem Applaus her-aus.

»Frau Tappert«, sagte Ewald Pfister und hob sein Glas. »Pfarrer Trenker ist um Sie zu beneiden, und ich werd’ uns’re Haushälterin zu einem Kochkurs zu Ihnen schicken. Auf Ihr ganz besonderes Wohl, meine Liebe, und herzlichen Dank für diesen außergewöhnlichen Gaumenschmaus.«

»Wirklich«, nickte Margot Richter. »Ich hab’ ja schon in vielen Restaurants gegessen, aber bei Ihnen könnt’ so mancher Koch noch etwas lernen.«

Auch wenn die Haushälterin diese Komplimente gewöhnt war, so freute es sie doch jedesmal wieder neu, sie zu hören.

Als letzter Gang wurde ein Dessert serviert, das aus marinierten Beeren bestand, die mit etwas Maraschino beträufelt waren. Sophie Tappert hatte sie in Glasschüsseln angerichtet und obenauf eine Kugel Vanilleeis gelegt. Die Ränder der Schüsseln waren mit kleinen Sah-netupfern verziert.

Daß das Eis ebenfalls hausgemacht war, verstand sich natürlich von selbst.

»Wunderbar«, seufzte Ewald Pfister und lehnte sich aufatmend zurück.

Angesichts des guten Essens sah sich Sebastian veranlaßt, einen Verdauungsschnaps anzubieten. Der Obstler war von einem hiesigen Bauern gebrannt worden, der die Erlaubnis dazu besaß.

Zu Kaffee und Obstler ging man auf die Terrasse. Immer noch war es wunderbar lau, und vom Hotel hörte man schon gedämpft die Musik herüberschallen, die ankündigte, daß der Tanzabend begonnen hatte.

Während des Essens hatte Sebastian immer wieder zu Angela Pfister und Stephan Richter geschaut, die nebeneinander saßen und sich unterhielten. Der Bergpfarrer hatte den Eindruck, daß sich etwas in der Beziehung der beiden zueinander geändert hatte. Sah es gestern noch so aus, als könnten sie sich nicht ausstehen, so mußte man heut annehmen, daß sie sich nie besser verstanden hätten.

Und dann kam noch eine Überraschung.

Claudia und Max verabschiedeten sich schon bald mit dem Hinweis, auf den Tanzabend gehen zu wollen.

»Das hatten wir eigentlich auch vor«, sagte Stephan und deutete auf sich und Angela. »Wenn ihr nix dagegen habt.«

»Nein, nein, geht nur«, rief seine Mutter, und Angelas Eltern nickten.

»Na, dann geh’n wir doch zusammen«, sagte Max.

Sie verabschiedeten sich und gingen zum Hotel hinüber. Sebastian, der mit den aneren auf der Terrasse zurückgeblieben war, schaute nachdenklich vor sich hin.

Er überlegte, was das triumphierende Lächeln zu bedeuten hatte, das sowohl auf Margot Richters Gesicht als auch auf den Gesichtern des Ehepaars Pfisters lag.

*

»Du liebe Güte, ist das voll hier«, rief Angela durch den Lärm, um sich verständlich zu machen.

»Das hab’ ich auch gedacht, als ich das erste Mal hier war«, lachte Claudia.

Der Saal des Hotels schien zum Bersten voll. Überall standen die Leute herum, Saaltöchter schwirrten umher und bedienten die durstigen Gäste, auf der Tanzfläche wurde es zwischendurch immer wieder eng, und die Musiker der Blaskapelle spielten sich die Seelen aus den Leibern.

»Kommt.« Max deutete auf einen Tisch, der in der Nähe des Eingangs stand.

Hier saßen die Honoratioren des Dorfes. Claudia und Max hatten ihre Stammplätze hier, und wenn jemand einen Gast mitbrachte, wurde dieser ebenso herzlich willkommen geheißen.

»Also, ich brauch’ jetzt ein Bier«, sagte der Polizist, als eine der Saaltöchter nach den Getränkewünschen fragte.

Stephan schloß sich an, und die beiden jungen Frauen bestellten Weinschorlen. Aber lange hielten sie es nicht auf ihren Plätzen aus. Angela, die kaum Gelegenheit zum Tanzen hatte, ließ sich gerne von Ste-phan auf das Parkett führen, und als sie in seinen Armen dahinschwebte, da fühlte sie sich aufgeregt wie ein Teenager.

»Das Kleid steht dir wirklich toll«, sagte Stephan und schaute sie nicht zum ersten Mal an diesem Abend bewundernd an.

Angela freute sich über das Kompliment, und sie stellte fest, daß es sie vielleicht nicht so sehr gefreut haben würde, hätte es jemand anderer zu ihr gesagt.

Aber auch der Juniorchef der Ritterbrauerei machte eine gute Figur. Er trug saloppe Freizeithosen, dazu ein passendes Jackett und ein weißes Hemd. Die Krawatte hatte er mit der Erlaubnis der Damen am Tisch, schon abgelegt. Es war aber auch sehr heiß auf dem Saal, und Stephan war nicht der einzige, der sich dieses Kleidungsstücks entledigt hatte.

Angela sagte ihm, daß er ein sehr guter Tänzer sei, und er bedankte sich mit einem Lächeln.

»Dabei hab’ ich nur einmal kurz eine Tanzschule besucht«, gestand er schmunzelnd. »Ich bin wohl ein Naturtalent.«

Nach dem zweiten Tanz gingen sie an den Tisch zurück, allerdings gab es dort keine Ruhepause. Max wollte mit Angela tanzen, und Ste-phan forderte Claudia auf.

Schließlich standen alle vier zusammen an der Sektbar und erfrischten sich.

»Ein herrlicher Abend«, sagte Stephan und deutete auf das Getümmel im Saal. »Ich hätt’ nie

gedacht, daß das hier so fröh-

lich und ausgelassen zugeh’n würd’.«

»Nach einer Woche harter Arbeit brauchen die Leut’ das einfach«, erklärte Max Trenker.

»Aber bestimmt geht’s net immer so friedlich zu, oder?« wollte Angela wissen. »Man hört doch immer wieder von Wirtshausraufereien.«

»Na ja«, schmunzelte der Polizeibeamte, »es stimmt schon, daß manchmal dem einen oder and’ren das Temperament durchgeht. Und meistens sind’s die Frauen, derentwegen sich die Burschen in die Haare geraten. Aber im großen und ganzen sind wir doch eher ein friedliches Völkchen.«

Im selben Moment kam es auf der Tanzfläche zu einem Getümmel, als zwei Streithähne aneinander gerieten. Die Tanzenden stoben auseinander und bildeten einen Kreis um die am Boden liegenden Burschen. Max stellte sein Glas ab und eilte zu ihnen, um sie auseinanderzuzerren. Schließlich war er Polizist, auch hier, als Privatmann.

Angela und Stephan sahen sich an.

»Streiten die wirklich oder ist das jetzt Folklore?« fragte der junge Mann. »Dann wird einem aber wirklich was geboten für sein Geld.«

Die Musiker hatten unverdrossen weitergespielt, wurden aber von den anfeuernden Rufen der Zuschauer übertönt. Angela drängte sich ängstlich an Stephan, der rasch seinen Arm um sie legte.

»Keine Angst«, sagte er. »Laß uns ein bissel nach draußen geh’n, bis sich die Gemüter wieder beruhigt haben.«

Die junge Frau nickte. Sie gingen zur Tür, und daß Stephan sie nicht aus seinen Armen ließ, war die selbstverständlichste Sache von der Welt.

»Weißt du eigentlich, daß ich dich auf den ersten Blick überhaupt nicht mochte?« gestand sie, als sie ein Stückchen die Straße hinuntergegangen waren.

Stephan schmunzelte.

»Mir ging’s net anders«, antwortete er und legte seinen Arm noch fester um sie.

Sie waren stehengeblieben. Der Himmel war sternenklar, und der Mond tauchte ihre Gesichter in einen silbrigen Schein. Angela hatte ihren Kopf gehoben und schaute ihn erwartungsvoll an. Ein Zittern durchlief ihren Körper, als sein Mund sich ihren Lippen näherte, und dann schlang sie ihre Arme ganz fest um seinen Nacken und schmiegte sich an ihn.

Wie flüssiges Feuer brannte sein Kuß auf ihrem Mund, und ein wohliger Schauer durchfuhr sie.

»Ich hätt’ nie gedacht, daß ich mich in dich verlieben würd’«, flüsterte Stephan ihr ins Ohr. »Es hat lang’ gedauert, bis ich gemerkt hab’, was für eine wundervolle Frau du bist.«

Ihre Hand strich über sein Gesicht, und ihre Augen strahlten im Licht des Mondes.

»Ich liebe dich auch, Stephan«, sagte sie leise. »Es muß wohl Schicksal sein, daß wir uns begegnet sind. Solch einen Zufall gibt’s doch gar net.«

»Eigentlich sind deine Eltern und meine Mutter schuld«, schmunzelte er. »Wenn die sich net im letzten Jahr kennengelernt hätten, wäre es zu dieser Begegnung zwischen uns nie gekommen.«

Angela lächelte versonnen.

»Weißt du, erst hab’ ich gedacht, es wär’ gar kein Zufall, sondern ein abgekartertes Spiel«, meinte sie. »Damit meine Eltern mich endlich unter die Haube bringen.«

Stephan lachte.

»Du, das hab’ ich auch vermutet«, entgegnete er. »Aber auf so eine Idee werden die drei ja wohl net kommen.«

Er drückte sie fest an sich.

»Allerdings ist’s jetzt gescheh’n, daß wir uns ineinander verliebt haben«, fuhr er fort. »Und ich bin sehr glücklich darüber.«

»Ich auch, Stephan«, nickte Angela. »Ich auch!«

Er griff in die Tasche seines Sakkos und zog ein schmales Päckchen hervor. Den ganzen Abend hatte er auf eine Gelegenheit gewartet, Angela sein Geschenk zu überreichen. Jetzt schien sie gekommen.

»Für dich«, sagte er.

Die junge Frau sah ihn überrascht an und öffnete das Päckchen erwartungsvoll. Es enthielt eine Schatulle, in der ein wunderschönes Schmuckstück lag.

Ein aus Silber gefertigtes Edelweiß, das mit einer Lederschnur um den Hals getragen wurde.

Angela stieß einen Jauchzer aus.

»Wann hast du denn das gekauft?« fragte sie, während er es ihr umlegte.

Stephan schmunzelte.

»Heut’ mittag, als wir schon im Hotel waren, bin ich noch mal schnell losgelaufen«, antwortete er. »Ich hab’ mir gedacht, es würd’ gut zu deinem Dirndl passen.«

»Es ist wunderschön«, sagte sie gerührt. »Danke, Stephan.«

Dann schmiegte sie sich an ihn und gab ihm einen Kuß.

*

Am nächsten Morgen trafen die beiden jungen Leute sehr viel später zum Frühstück ein als am Vortag, Margot Richter und das Ehepaar Pfister saßen draußen, als Angela und Stephan herunterkamen.

Es war schon recht heißt an diesem Morgen, und so hatte man auf der Terrasse unter riesigen Sonnenschirmen gedeckt.

»Na, bei euch ist’s wohl spät geworden gestern abend«, stellte Stephans Mutter mit einem Augenzwinkern fest.

Die beiden schmunzelten.

»Früh, Mutter«, erwiderte der Sohn. »Sehr früh. Die Sonne ging schon auf, als wir ins Hotel gegangen sind. Allerdings waren wir net die letzten. Ich kann euch sagen – die haben eine Ausdauer, diese

Dörfler, unglaublich!«

»Na, Hauptsache, euch hat’s gefallen«, meinte Ewald Pfister, während seine Frau forschend die Tochter ansah.

Irgendwie, hatte Hannelore den Eindruck, schien Angela verändert. Sie strahlte so etwas aus, das man eigentlich gar nicht beschreiben konnte – vielleicht noch mit dem Wort: Glück.

Ja, das war es. Angela sah einfach nur glücklich aus.

Auch Ewald und Margot schienen das zu bemerken, denn sie warfen sich Blicke zu, während sie zuhörten, was die Kinder von dem vergangenen Abend berichteten.

Allerdings gaben sie mit keinem Wort zu erkennen, daß sie sich ihre Liebe erklärt hatten. Angela und Stephan waren übereingekommen, daß sie vorerst noch nichts davon erzählen wollten, damit später die Überraschung um so größer wäre. Denn sie hatten sich vorgenommen, auf dem nächsten Tanzabend den beiden Müttern und dem Vater zu verkünden, daß sich zwei Herzen für ein ganzes Leben gefunden hatten.

»Wir wollen nach der Messe gleich zum See hinausfahren«, erklärte Stephan und schaute in die Runde. »Aber nur, wenn’s euch recht ist.«

»Fahrt nur«, nickte Margot. »Wir haben schon besprochen, daß wir einen längeren Spaziergang machen werden. Pfarrer Trenker hat uns gestern von einem alten Jagdschloß erzählt, das ihm gehört. Das wollen wir uns anschauen.«

»Na, prima, dann haben ja alle etwas vor«, sagte Stephan zufrieden und schenkte Angela und sich von dem Kaffee ein, den eine Haustochter gebracht hatte.

Im Hotel ›Zum Löwen‹ wurde das Frühstück noch individuell serviert. Es gab kein Büffet mit abgepackten Wurst- und Marmeladenportionen, wie es heutzutage vielfach üblich war. Jeder Gast konnte nach einer kleinen Karte bestellen und Sonderwünsche wurden gerne berücksichtigt. Selbst die Semmeln kamen frisch aus dem Backofen.

Angela und Stephan hatten gewählt und ließen es sich schmecken, während die älteren Herrschaften einen letzten Schluck Kaffee genossen und munter plauderten.

Schließlich war es jedoch an der Zeit, sich auf den Kirchgang vorzubereiten. Gemeinsam ging man hinauf. Stephan betrat sein Zimmer, nachdem er Angela einen liebevollen Kuß gegeben hatte.

Er band eine Krawatte um und schaute prüfend in den Spiegel. Dann verließ er sein Zimmer wieder und wartete auf dem Flur darauf, daß Angela herauskäme.

Langam ging er auf und ab. Als er an der Suite seiner Mutter vorbeikam, bemerkte er, daß die Tür nicht ganz geschlossen war. Stephan nahm die Klinke in die Hand und wollte sie zuziehen, als er die Stimme seiner Mutter hörte.

Offenbar telefonierte sie…

Vor dem Wohnzimmer gab es einen kleinen Vorraum. Stephan trat ein und wollte gerade an die andere Tür klopfen, als er etwas hörte, das ihn stutzig werden ließ.

»… ja, hättet ihr gedacht, daß es so schnell geh’n würd’, mit den beiden?« fragte Margot Richter.

»… genau, wenn man die Blicke sieht, die die zwei sich zuwerfen, dann ist doch alles klar. Und nachher fahren sie an den See. Ich sag’ euch, die Angela muß den Stephan an sich gefesselt haben. Und ihr hattet zuerst Zweifel. Aber mir war von Anfang an klar, daß es nur eine Frage der Zeit ist, bis die zwei…, ja, genau. Nein, so schnell hab’ ich’s mir auch net vorstell’n können. Aber um so besser.

Gut, Ewald, aber jetzt muß ich Schluß machen. Wir können ja nachher alles weitere besprechen, auf dem Spaziergang.«

Stephan stand in dem kleinen Vorraum und schien wie erstarrt.

Hatte er richtig gehört? Das war alles ein abgekartertes Spiel, wie er es schon ganz zu Anfang vermutet hatte?

Er ballte die Fäuste und schloß in ohnmächtigem Zorn die Augen.

Also doch!

Und bestimmt steckte Angela mit ihren Eltern und seiner Mutter unter einer Decke. Ihre gespielte Abneigung ihm gegenüber war nur ein Trick gewesen, um ihn in Sicherheit zu wiegen. Wahrscheinlich hatte seine Mutter erzählt, wie schwer es für sie wäre, ihn an eine Frau zu bin-den.

Einem ersten Impuls folgend, wollte er in die Suite stürmen und seine Mutter zur Rede stellen, doch dann überlegte er es sich anders. Leise verließ er den Vorraum und lehnte die Tür wieder so an, wie vorher. Dann rückte er seine Krawatte zurück und holte tief Luft.

Er wußte zwar noch nicht, was er jetzt tun würde, nur eines war sicher – so umgehen konnte man mit ihm nicht! Und ganz besonders enttäuscht war er von Angela, daß sie sich in so etwas hatte hineinziehen lassen.

Doch auf keinen Fall würde er es hinnehmen, daß man über seinen Kopf hinweg über seine Zukunft entschied.

Weder beruflich, noch gar privat. Noch war er sein eigener Herr, und so weh es ihm auch tat – aus dem, was er gerade erfahren hatte, würde er seine Konsequenzen ziehen.

Die Tür zu Angelas Zimmer öffnete sich, und sie trat heraus. Ein strahlendes Lächeln auf den Lippen, eilte sie auf ihn zu.

Wie kann man nur so falsch sein? schoß es ihm durch den Kopf, und eigentlich wollte er sich abwenden, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte, um ihn zu küssen.

Doch dann machte er gute Miene zum bösen Spiel und rang sich ein Lächeln ab.

»Woll’n wir schon geh’n?« fragte er.

Sie nickte und folgte ihm die Treppe hinunter. Kurze Zeit später kamen auch Margot Richter und das Ehepaar Pfister herunter.

Die Glocken läuteten schon, als sie den Kiesweg zur Kirche hinaufgingen. Pfarrer Trenker stand an der Tür und begrüßte die Besucher. Die Gäste aus dem Hotel stellten fest, daß sie nicht die einzigen Urlauber waren, die zur Messe gingen. Unter den Touristen hatte sich herumgesprochen, daß der gute Hirte von St. Johann seine Predigten stets mit einer guten Prise Humor würzte, und während der Messe so mancher Lacher durch das alte Gemäuer hallte. Bis auf den letzten Platz war die Kirche besetzt.

Angela und Stephan saßen nebeneinander, und die junge Frau suchte seine Hand. Er schaute sie von der Seite her an und lächelte. Doch während der ganzen Zeit überlegte er, wie er sich für das rächen konnte, was sie ihm angetan hatte.

Eine Frechheit, ihn so zu hintergehen und bei dem infamen Spiel seiner Mutter und ihren Eltern mitzumachen!

Allerdings – auf der anderen Seite konnte Stephan nicht bestreiten, daß er sich ernsthaft in Angela verliebt hatte.

Er begehrte sie mehr als jede andere Frau, die er bisher kennengelernt hatte.

War es wirklich so schlimm, was die anderen da ausgeheckt hatten, um sie zusammenzubringen?

Er fühlte ihre Hand in der seinen und drückte sie unwillkürlich.

Ja, er liebte sie mit jedem Augenblick mehr, und er merkte, daß sein Ärger immer mehr verflog.

Stephan Richter atmete tief durch. Trotzdem, dachte er, Strafe muß sein, dafür, daß du mich hinters Licht geführt hast!

Er wußte nur noch nicht, welche…

*

Nach der Messe hatten sie auf Pfarrer Trenker gewartet, der sich erboten hatte, sie zum Schloß zu führen.

»Ich hoff’, daß Sie alle gut zu Fuß sind?« fragte der Geistliche. »Es ist schon ein gutes Stück zu laufen.«

Die drei bejahten, und die kleine Gesellschaft machte sich auf den Weg.

»Also, das Essen gestern abend war einmalig«, schwärmte Ewald Pfister immer noch.

»Ja«, schmunzelte Sebastian, »meine Haushälterin ist eine wahre Perle.«

Er deutete auf den beginnenden Wald vor ihnen.

»Das ist der Höllenbruch«, erklärte er, »Aber keine Angst, das hört sich grausliger an, als es in Wirklichkeit ist. Ganz im Gegenteil, es ist ein sehr romantischer Ort, der gern von den jungen Leuten aufgesucht wird, wenn sie allein sein wollen.«

Er schaute seine Begleiter fragend an.

»A propos – wo stecken denn die beiden?«

Margot Richter schmunzelte.

»Angela und Stephan sind an den Achsteinsee gefahren«, erklärte sie.

»Sie sagen das so bedeutungsvoll…?«

»Die beiden haben sich ineinander verguckt«, sagte Ewald Pfister.

»Dabei haben wir gar net so schnell damit gerechnet«, warf seine Frau ein.

»Aber daß es passieren könnt’, damit haben S’ schon gerechnet?«

»Aber ja«, lachten die drei. »Deswegen sind wir ja überhaupt hier. Damit die zwei sich kennenlernen und ineinander verlieben.«

Der Bergpfarrer holte tief Luft.

»Hab’ ich Sie recht verstanden?« vergewisserte er sich. »Sie sind hierher in den Urlaub gefahren, damit aus den beiden ein Paar wird, und weder Angela noch Stephan wissen etwas von diesem Plan?«

»Das dürfen sie auch net«, sagte Margot. »Wissen S’, Hochwürden, mit dem Stephan ist das so eine Geschichte. Er will einfach net heiraten. Und ich möcht’ net mehr allzulang’ jeden Tag in die Brauerei fahren müssen, sondern vielmehr das Geschäft in seine Hände übergeben. Aber das kann ich erst, wenn mein Sohn seinen Lebenswandel grundlegend ändert und häuslicher wird.

Außerdem, und im Vertrauen, die Frauen, die bisher in seinem Leben eine Rolle gespielt haben – also, mich graut bei dem Gedanken, daß Stephan eine von ihnen jemals heiraten könnt’.«

»Bei uns schaut’s ähnlich aus«, fühlte sich Ewald Pfister bemüßigt zu erklären. »Angela kann man zwar keinen lockeren Lebenswandel nachsagen, ganz im Gegenteil, manchmal würden wir ihn und uns für sie sogar wünschen, aber das Madl wird in in zehn Jahren noch net verheiratet sein, wenn’s so weiter macht wie bisher. Angela lebt nur für ihre Arbeit, kennt kaum Freunde und geht selten, sehr selten, aus.

Auf Empfänge begleitet sie uns gar net, und die Männer, die sie dann und wann mit nach Haus’ bringt, die bleiben net lang’, weil Angela immer nur die Firma im Kopf hat.«

Sebastian hatte geduldig zugehört. So etwas Ähnliches hatte er sich schon gedacht. Seine unfehlbare Menschenkenntnis täuschte ihn nie, und so war es für ihn nicht schwer, eins und eins zusammenzuzählen.

»Und da haben Sie gedacht, man müßt’ dem Schicksal ein bissel nachhelfen«, stellte er fest.

»Ja. Das war doch eine prima Idee oder?«

Margot Richter sah ihn beifallheischend an.

»Ich weiß net«, meinte er zweifelnd. »Was ist, wenn die beiden dahinterkommen?«

»Um Himmels willen«, entfuhr es der Brauereibesitzerin, »das darf nie gescheh’n.«

»Auf gar keinen Fall!« bekräftigte Ewald, der Kaufmann.

»Dann können S’ nur hoffen, daß dieser Fall net eintritt. Ihre Kinder werden sich bestimmt net darüber freuen, wie Sie mit deren Schicksal spielen«, sagte Sebastian ernst. »Auf der and’ren Seite muß ich sagen, daß die zwei wunderbar zueinander passen. Ich hab’ sie gestern beobachtet, und wie sie miteinander umgehen, war schon schön anzusehen.«

Während sie sich unterhalten hatten, waren sie weitergegangen, und in einiger Entfernung tauchte bereits Hubertusbrunn auf. Der Seel-sorger erklärte, was es mit dem alten Jagdschloß auf sich hatte, und wie er in seinen Besitz gekommen war. Doch in Gedanken war er immer wieder bei Angela Pfister und Ste-phan Ritter. Das Spiel, das deren Eltern, beziehungsweise Mutter, mit ihnen spielte, schien auf den ersten Blick ganz amüsant zu sein. Doch beim näheren Betrachten barg es auch Gefahren.

Die der Mißverständnisse und falschen Beschuldigungen und am Ende konnte das auf der Strecke bleiben, worum es eigentlich ging – die Liebe.

Sebastian hoffte, daß weder Angela noch Stephan dahinterkamen, was die anderen sich da ausgedacht hatten. Denn dann war eine Katastrophe vorprogrammiert!

*

»Mensch, schaut das schön aus«, entfuhr es Angela Pfister, als sie aus dem Auto gestiegen war und zum See hinüberschaute.

Majestätisch zeichneten sich die Berge im Hintergrund ab. Auf dem blauschimmernden Wasser herrschte ein reges Getümmel. Es gab eine abgetrennte Badebucht mit einer großen Liegewiese davor. Rechts konnte man bei mehreren Vermietern Boote ausleihen, und weiter hinten sah man Segelboote und Surfer, wobei Letztere wenig Glück hatten, denn im Moment herrschte eher Flaute.

Im Hotel hatten sie eine große Decke ausgeliehen, die Angela und Stephan jetzt ausbreiteten. In einem Korb waren Getränke und eine Brotzeit untergebracht.

Nachdem sie sich umgezogen hatten, liefen sie ins Wasser. Herrlich war es, sich so zu erfrischen, und Angela spritzte Stephan übermütig naß.

»He, was ist denn mit dir?« fragte sie plötzlich.

Ihr war schon während der Fahrt hierher aufgefallen, daß Stephan merkwürdig schweigsam war und kaum auf das antwortete, was sie zu ihm sagte. Dabei hatte sein Gesicht einen verschlossenen, ja, beinah abweisenden Ausdruck.

»Hast du was?« wiederholte sie ihre Frage.

Er schüttelte den Kopf.

»Ich möcht’ was trinken«, erwiderte er statt dessen und ging aus dem Wasser.

Angela schaute ihm verwundert hinterher.

Irgend etwas stimmte nicht mit ihm, das lag auf der Hand. Aber warum sprach er nicht mit ihr darüber?

Sie zuckte die Schultern und schwamm ein paar Runden, doch eigentlich machte es gar keinen Spaß, so ganz alleine.

Nach einer Weile stieg sie ebenfalls aus dem Wasser und ging an den Platz zurück, wo Stephan auf der Decke lag. Angela nahm ein Handtuch und trocknete sich ab, dann setzte sie sich neben ihn.

»Möchtest’ auch was trinken?« fragte Stephan.

Sie nickte und nahm die Flasche mit dem Mineralwasser entgegen, die er ihr reichte.

»Sag’ mal, Stephan«, fragte sie, nachdem sie getrunken hatte, »was ist los? Ich merk’ doch, daß dich etwas beschäftigt. Willst’ es mir net sagen?«

»Nein, es ist nix«, wich er aus und beugte sich zu ihr. »Ich liebe dich, Angela.«

Dann gab er ihr einen Kuß.

Stephan legte sich auf den Rücken und ließ sich von der Sonne bescheinen. Angela machte es sich ebenfalls bequem, und so lagen sie lange Zeit stumm nebeneinander.

Wenn ich nur wüßt’, was ich ich mit dir anstell’, überlegte der Juniorchef der Ritterbrauerei.

Wenn er sie nicht so lieb gehabt hätte, würde er keine Sekunde gezögert haben, sie zur Rede zu stellen und Angela klipp und klar zu sagen, was er von so einer Intrige hielt.

Aber gerade weil sie ihn so bezaubert hatte, und er in ihr die Frau seines Lebens gefunden zu haben glaubte, konnte er sich nicht wieder von ihr trennen.

Doch wie sollte er sich für dieses Spiel, das sie und die Eltern, nicht zu vergessen seine Mutter, sich ausgedacht hatten, revanchieren?

Angela hatte sich aufgerichtet.

»Langsam wird’s mir zu heiß«, sagte sie.

Stephan hob den Kopf.

»Hast recht«, nickte er. »Laß uns doch ins Café da drüben geh’n und etwas Kaltes trinken.«

Hier am See waren die Leute mehr oder weniger leger gekleidet. Es machte also nichts, wenn sie sich nur Hemd und Hose überwarfen.

An der Uferpromenade gab es zahlreiche Lokale. Wirtshäuser, Cafés, Konditoreien und Eiscafés, aber auch kleine Geschäfte. Boutiquen, Andenkenläden, Schmuck- und Bademodengeschäfte. Auch hier drängten sich zahllose Touristen und Einheimische, die das schöne Wetter nutzten, um den Tag am Achsteinsee zu verbringen.

»Einen Moment«, bat Angela, als sie an einem Andenkenladen vor-überkamen.

Sie hatte etwas in der Auslage entdeckt, das ihr als Mitbringsel geeignet schien.

»Ich such’ uns schon mal einen Platz«, antwortete Stephan und ging voraus.

Wie die anderen Lokale auch, hatte dieses Café draußen Tische und Stühle stehen, und es gab nur noch wenige freie Plätze. Stephan hatte jedoch Glück und entdeckte einen Tisch, an dem nur eine einzelne Dame saß.

Vielleicht können wir uns ja mit dazusetzen, dachte er und bahnte sich einen Weg durch die Tische und Gäste.

»Verzeihen Sie, hätten Sie etwas dagegen, wenn meine Begleiterin und ich uns zu Ihnen setzten?« fragte er.

Die Frau trug ein helles Sommerkleid, auf dem Kopf saß ein passender, breitkrempiger Sonnenhut. Sie schaute auf, und ein strahlendes Lächeln lief über ihr Gesicht.

»Stephan! Na, das ist aber eine Überraschung«, sagte sie. »Was machst du denn hier?«

Der junge Mann riß erstaunt die Augen auf.

»Marion?« entfuhr es ihm ungläubig. »Das gibt’s doch gar net, daß wir uns hier begegnen.«

Marion Brockmann sah sich suchend um.

»Du hast von einer Begleiterin gesprochen«, sagte sie. »Wo ist sie denn?«

Er deutete zur Straße.

»Angela wollte sich eben was ansehen, in dem Geschäft da drüben«, antwortete er. »Sie wird gleich da sein.«

Die Frau deutete auf die freien Stühle.

»Freilich könnt’ ihr euch dazusetzen«, meinte sie. »Nimm schon mal Platz.«

»Sag’ mal, machst du Urlaub hier?« fragte er und gab ihr einen Begrüßungskuß auf die Wange.

Marion schaute bekümmert drein.

»Ach, weißt du, wir haben ein bissel Pech. Eigentlich wollten Frank – so heißt er, Frank Wendrich, und ich, wir wollten ursprünglich nach Italien fahren. Doch dann erkrankte seine Mutter und wir mußten umdisponieren. Die Mutter liegt in der Stadt im Krankenhaus. Frank ist gerade bei ihr, aber ich mußte mir heute unbedingt mal einen Faulenzertag gönnen, nachdem wir die ganze Woche über immer zusammen im Krankenhaus waren. Deshalb sitz’ ich hier, und plötzlich stehst du da.«

Dann schüttelte sie den Kopf nach dieser Erklärung.

»Also, wenn das kein Zufall ist.«

Das hab’ ich auch fasta geglaubt, dachte Stephan nun etwas grimmig, wenn auch in einem anderen Zusammenhang.

Und dann kam ihm plötzlich eine Idee. Er hatte Marion Brockmann vor ein paar Jahren auf einer Party kennengelernt. Zwischen ihnen war nie ernsthaft etwas, aber sie hatten sich vom ersten Augenblick an bestens verstanden, und wäre sie ein Mann gewesen, dann hätte man von einem guten Freund sprechen können, den Stephan in Marion sah.

Als sie ihm jetzt so unvermutet gegenübersaß, da wußte er, wie er Angela, ihren Eltern und seiner Mutter den Streich zurückzahlen konnte.

»Du, das ist ja prima, daß ich dich hier seh«, sagte er. »Du könntest mir einen großen Gefallen tun.«

Dabei zwinkerte er ihr kräftig zu.

Marion lächelte.

»Hat’s was mit deiner Begleiterin zu tun?« fragte sie, weil sie durch sein Verhalten etwas in dieser Richtung vermutete.

Stephan sah sich hastig um. Von Angela war allerdings noch nichts zu sehen.

»Ja«, nickte er und erklärte ihr, um was es ging.

»Du bist ein Schuft«, bemerkte Marion, als er geendet hatte. »Wenn die Angela so liebenswert ist, warum kannst’ ihr dann net verzeih’n?«

»Hab’ ich ja längst«, entgegnete er. »Trotzdem – Strafe muß sein.«

Die junge Frau zuckte die Schultern.

»Von mir aus«, meinte sie schließlich. »Aber gib mir net die Schuld, wenn der Schuß nach hinten losgeht…«

»Keine Angst«, schmunzelte er. »Natürlich werd’ ich’s später aufklären, aber erst einmal… Wie soll es denn werden, wenn Angela und ich erst einmal verheiratet sind?«

Damit beugte er sich zu ihr und legte seinen Arm um sie.

Während er Marion Brockmann einen Kuß auf die Wange gab, sah er nicht, daß Angela hinter ihm das Café betrat.

*

Die Suche nach ein paar Andenken hatte doch länger gedauert, als Angela angenommen hatte. Aber zum einen drängte sich jede Menge Leute in dem kleinen Laden, die alle nach Souveniers schauten. Zum anderen fiel es ihr ganz einfach schwer, sich zu entscheiden.

Indes mußte sie sich endlich entschließen und kaufte ein paar Keramikfliesen, die als Glasuntersetzer dienten. Auf ihnen waren Motive eingebrannt, die den See zeigten oder andere Szenen. Außerdem gab es noch ein, zwei Leute aus dem Büro, denen etwas mitzubringen Angela sich verpflichtet fühlte.

Endlich hatte sie es geschafft und auch die Wartezeit an der Kasse überstanden und verließ den Laden. Stephan würde bestimmt schon auf sie warten, und Angela hoffte, daß er darüber nicht allzu ärgerlich sein würde.

Überhaupt schien er heute nicht bester Stimmung zu sein, überlegte er, während sie das Straßencafé betrat. Am Morgen, als sie sich auf dem Hotelflur getroffen hatten, da war so ein merkwürdiger Blick in seinen Augen gewesen, daß sie beinahe erschrocken darüber war.

Sie hoffte, daß es nur eine vor-übergehende Laune war, und sie sich bis zum Abend darüber ausgesprochen haben würden. Eigentlich konnte sie es sich immer noch nicht erklären, was in den letzten Tagen mit ihr geschehen war. Sie, das Arbeitstier, verschwendete nicht eine Sekunde lang einen Gedanken an die Firma, und daß sie sich so in Stephan verliebt hatte, das konnte sie immer noch nicht begreifen.

Aber es war schön, unbeschreiblich schön. Endlich hatte sie einen Mann getroffen, der sie so faszinierte, daß es für sie keinen Zweifel geben konnte, die große Liebe ihres Lebens gefunden zu haben.

Ihr Blick glitt suchend über die Köpfe der Gäste, und dann erstarrte sie.

Stephan saß an einem Tisch, der ein gutes Stück von der Straße entfernt an der Seite des Hauses stand, und was sie noch sah, ließ ihr Herz schneller klopfen.

Er beugte sich zu einer anderen Frau und küßte sie!

Angela hielt den Atem an. Die Hand, in der sie die Tüte mit den Andenken hielt, zitterte, und ihr Gesicht brannte wie Feuer.

In diesem Moment richtete sich Stephan auf und drehte sich zu ihr um.

Sah er erschrocken aus? Fühlte er sich ertappt?

Angela hatte nicht den Eindruck. Im Gegenteil, er schien sich sichtlich wohlzufühlen, und sein Arm lag immer noch um den Nacken der anderen Frau.

Er winkte sie heran, und obwohl Angela am liebsten auf der Stelle kehrtgemacht hätte, zwang sie sich, vorwärtszugehen. Ihr Mund war trocken geworden, und vor Aufregung schwindelte ihr.

»Setz’ dich«, forderte Stephan sie auf und deutete auf die Frau. »Darf ich dir Marion vorstellen? Marion, das ist Angela.«

Die beiden nickten sich zu.

»Was möchtest denn trinken?« fragte er.

Angela räusperte sich.

»Ein Wasser«, antwortete sie und sah zu, wie er die Bedienung heranwinkte.

Wie eine hölzerne Puppe saß sie auf ihrem Stuhl, den Rücken steif, bereit, jeden Moment aufzustehen und zu gehen.

Überhaupt, was sollte sie hier? Was war das für ein Spiel, das Ste-phan mit ihr spielte?

Vorhin noch behauptete er, sie zu lieben, und jetzt saß er vor ihr, eine andere Frau im Arm!

»Ja, du, das ist eine merkwürdige Geschichte«, sagte er plötzlich. »Ich hab’ Marion ganz zufällig getroffen. Weißt du, wir sind alte Bekannte.«

Die Bedienung hatte eine Flasche Mineralwasser gebracht. Angela trank in hastigen Zügen.

Eine alte Bekannte also…

Und ein Zufall soll’s auch noch gewesen sein.

Wer sollte das glauben?

Das konnte er seiner Großmutter erzählen, aber nicht ihr!

Sie hatte zu seinen Worten nur stumm genickt.

»Ich geh’ dann mal wieder an unseren Platz zurück«, sagte sie und stand auf.

»Ist gut«, meinte Stephan und mehr nicht.

Angela fühlte, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten.

Reiß dich zusammen! befahl sie sich. Du wirst wegen so einem keine einz’ge Träne weinen!

Dennoch konnte sie nicht verhindern, daß sie ihr über das Gesicht liefen und sie beinahe blind zur Liegewiese zurückstolperte.

Dort angekommen, setzte sie sich auf die Decke und zwang sich zur Ruhe. Es hatte keinen Zweck, sich deswegen aufzuregen. Ihr erster Eindruck war richtig gewesen, Ste-phan Richter war ein eingebildeter Kerl, der glaubte, er bräuchte nur mit dem Finger zu schnippen, und jede Frau der Welt liege ihm zu Füßen.

Er war es einfach nicht wert, daß sie seinetwegen auch nur eine einzige Träne vergoß!

Nach einer Weile stand sie auf. Angela hatte den Entschluß gefaßt, daß sie nach St. Johann zurückfahren würde. Zum Glück hatten sie den Wagen ihres Vaters genommen, als sie hergefahren waren. Sollte Stephan doch sehen, wie er zurückkam!

Vielleicht fuhr ihn ja seine alte Bekannte!

Angela suchte ihre Sachen zusammen und ging zu den Umkleidekabinen. Als sie wenig später wieder heraustrat, war von Stephan Richter immer noch nichts zu sehen.

Sie zuckte achtlos die Schultern und ging zum Parkplatz hinüber. Einen winzigen Moment überlegte sie, ob sie nicht doch auf ihn warten solle, doch dann schüttelte sie den Kopf und fuhr los.

Dieses Kapitel war für sie abgeschlossen.

*

»Sag mal, war das net ein bissel hart?« fragte Marion Brockmann, nachdem Angela gegangen war.

»Ach was.« Stephan Richter schüttelte den Kopf. »Das bieg’ ich schon wieder hin. Überhaupt muß ich mir noch überlegen, was ich mit meiner Mutter anfang’. Würd’ mich net wundern, wenn sie hinter allem steckte.«

Er trank einen Schluck und wandte sich der jungen Frau wieder zu.

»Wie kommt’s eigentlich, daß du mit jemandem verbandelt bist, der aus dieser Gegend stammt?« wollte er wissen.

»Ach, das ist schnell erzählt«, antwortete sie. »Weißt’, ich hab’ den Frank auf einem Seminar kennengelernt und mich, was soll ich sagen, Knall auf Fall in ihn verliebt. Franks Eltern haben eine Firma für Computerprogramme, die auch Anwender in großen Unternehmen berät und schult. Ich wurde seinerzeit von meinem Chef zu diesem Seminar geschickt, das Frank leitete.«

Marion machte eine Pause und schmunzelte.

»Ich hab’ mich sofort in seine Augen und sein Lächeln verliebt«, gestand sie. »Und dann hab’ ich mich extra dumm angestellt, damit er mir Nachhilfe geben mußte. Tja, und dabei ist’s dann gescheh’n.«

Stephan schmunzelte.

»Tolle Geschichten«, meinte er. »Bei mir und Angela war’s anders. Im ersten Augenblick war sie mir sogar total unsympathisch. Das änderte sich erst, als wir uns dann näher kennenlernten. Inzwischen weiß ich, daß ich nach genau dieser Frau mein Leben lang gesucht hab’.

Ich weiß auch, daß ich meiner Mutter keinen größeren Gefallen tun kann, als Angela zu heiraten. Sie will endlich ein bissel kürzertreten in der Firma, zögert aber bisher, wegen…«

Der junge Mann zuckte die Schultern.

»Ich geb’s zu, wegen meines Lebenswandels«, fuhr er fort. »Mutter war nie so recht glücklich über die Frauen, die ich ihr bisher vorgestellt hab’. Wahrscheinlich ist sie deshalb auf diese verrückte Idee gekommen.«

Marion hatte ihm zugehört, jetzt lächelte sie.

»Irgendwie kann ich sie sogar versteh’n«, sagte sie. »Ein paar von den Damen, denen du die Köpfe verdreht hast, kenn’ ich schließlich auch. Kathrin, Isabell, Anja, Cornelia, Tesja…«

Stephan Richter riß die Hände hoch.

»Hör auf«, bat er. »Ich geb’ ja zu, daß ich ein Hallodri bin. Aber das ist jetzt vorbei. Angela wird meine Frau, und ich werde ein braver Ehemann und treusorgender Familienvater – so Gott will.«

»Na, dann kann ich dir ja nur noch viel Glück wünschen«, sagte Marion Brockmann. »Und hoffen, daß Angela dir den Scherz von vorhin net übel nimmt.«

Sie deutete in Richtung des Seeufers.

»Überhaupt – ich denk’, du hast sie jetzt lang’ genug schmoren lassen. So langsam solltest du zu ihr geh’n und die Sache richtigstellen.«

Stephan nickte.

»Na klar, du hast recht.«

Er beugte sich zu ihr und gab ihr einen dicken Abschiedskuß auf die Wange.

»Also, laß es dir gutgeh’n.«

»Du auch«, antwortete sie. »Und denk’ an mich, wenn du die Liste der Hochzeitsgäste schreibst.«

»Ganz bestimmt«, lachte er und legte einen Geldschein auf den Tisch. »Du bist natürlich eingeladen. Jetzt und zur Hochzeit auch.«

Der Juniorchef der Richterbrauerei winkte ihr zu und verließ das Straßencafé.

Schade, dachte er, während er über die Uferpromenade zur Liegewiese ging, daß es hier kein Blumengeschäft gibt. Mit einem Rosenstrauß wäre es leichter gewesen, Angela gegenüberzutreten.

Es war Stephan Richter schon klar, daß er sich entschuldigen mußte. Aber er mußte sich auch eingestehen, daß er seine kleine Rache ausgekostet hatte.

Er erreichte die Liegewiese. Inzwischen war es hier noch voller gewesen. Als sein Blick zu den abgestellten Autos hinüberglitt, stellte er fest, daß es kaum noch einen freien Platz gab.

Und dann hatte er Mühe, die Stelle zu finden, an der er und Angela ihre Decke ausgebreitet hatte. Mehrmals drehte sich Stephan im Kreis und runzelte die Stirn.

»Das gibt’s doch net«, entfuhr es ihm.

Er war ganz sicher, an dem Platz zu stehen. Wenn er sich umdrehte und zur Promenade schaute, dann hatte er den gleichen Blickwinkel wie vorhin, als er vorschlug, eines der Lokale aufzusuchen.

Er wandte sich wieder um und starrte auf die Stelle, an der seiner Meinung nach die Decke und Angela liegen mußten. Doch dort hatte sich eine Familie mit zwei Kindern ausgebreitet und von Angela war nichts zu sehen.

Plötzlich überkam Stephan ein schlimmer Verdacht.

Hatte er vorhin übertrieben? Und hatte Angela das, was sie sah, sich so zu Herzen genommen, daß sie die Sachen eingepackt hatte und abgefahren war – ohne ihn?

»Sie schau’n gerad’ so aus, als suchten Sie etwas«, sprach ihn in diesem Moment jemand an.

Es war der Familienvater.

»Tja, ich weiß auch net«, sagte er und hob hilflos die Arme. »Eigentlich dachte ich, dies wär’ der Platz, an dem meine Begleiterin und ich gelegen hatten.«

Er beschrieb die Kleidung, die Angela getragen hatte.

»Ja, genau die ist gerade gegangen, als wir herkamen«, mischte sich die Frau in das Gespräch. »Sie hatte einen Korb dabei.«

Stephan rieb sich das Kinn.

Dann war sie also tatsächlich gefahren!

»Gehört Ihnen das hier vielleicht?« fragte ihn der Mann und hielt ein Jackett in die Höhe.

Stephan erkannte, daß es wirklich seines war, und nickte.

»Ja, dank’ schön«, antwortete er und nahm es entgegen.

Gott sei Dank hatte er Hemd und Hose schon angezogen. Er schlüpfte in die Jacke und knöpfte sein Hemd zu.

Wenn er Glück hatte, dann traf er Marion noch im Café an und konnte sie bitten, ihn nach St. Johann zu fahren.

Aber dann, so ahnte er, begannen seine Probleme erst…

*

Traurig und enttäuscht traf Angela in St. Johann ein. Unterwegs hatte sie einige Male anhalten müssen, weil sie nicht mehr in der Lage gewesen war weiterzufahren. Immer wieder mußte sie an die Szene in dem Café denken, als Stephan seinen Arm um die Frau gelegt und sie geküßt hatte. Und dann schossen ihr Tränen in die Augen. Sie fühlte sich gedemütigt und fragte sich zum wiederholten Male, wie es nur geschehen konnte, daß sie auf Stephan Richter hereingefallen war.

Als sie dann in ihrem Zimmer saß, überlegte sie, wie es weitergehen sollte.

Abreisen?

Das kam wohl nicht in Frage. Immerhin war sie mit den Eltern hier. Aber sie konnte ihnen auch nicht erklären, was geschehen war. Möglicherweise zerbrach dann die Freundschaft zwischen ihnen und Margot Richter, und Angela wußte, wie sehr den Eltern daran gelegen war.

Nur eines wußte sie zu diesem Zeitpunkt – Stephan würde sie nie wieder so nahe an sich heranlassen, wie es geschehen war!

Angela ging ins Bad und wusch ihr verweintes Gesicht mit kaltem Wasser ab. Als sie sich abtrocknete, hörte sie draußen auf dem Flur jemanden reden und erkannte die Stimme ihrer Mutter. Die Eltern und Margot Richter waren von ihrem Spaziergang zurückgekehrt. Sie beschloß, sich erst einmal ruhig zu verhalten. Noch wollte sie ihnen nicht gegenübertreten, obgleich sie natürlich wußte, daß es unvermeidbar war.

Türen klappten, und dann war es still.

Angela setzte sich ans Fenster und schaute hinaus. Ihr Blick glitt zu den majestätischen Bergen hinüber, die zum Greifen nahe schienen, und sie dachte an die geplante Bergtour mit Pfarrer Trenker.

Auch daraus würde nichts werden. Auf gar keinen Fall wollte sie morgen früh mit Stephan und dem Geistlichen aufsteigen.

Unruhig stand Angela von ihrem Platz auf und ging durch das Zimmer. Hier drinnen schien es immer enger zu werden, als ob die Wände zusammenrückten und sie zu er-drücken drohten, und sie hatte das Gefühl, daß sie hinaus mußte an die frische Luft.

Sie schaute auf die Uhr. Früher Nachmittag, lange hatte der Ausflug an den See nicht gedauert. Angela holte noch einmal tief Luft, und wandte sich dann entschlossen zum Kleiderschrank um. Sie nahm ihre Wandersachen heraus und zog sich um.

Den spontanen Entschluß, ein wenig die nähere Umgebung zu erkunden, wollte sie gleich in die Tat umsetzen. Bestimmt tat ihr so ein langer Spaziergang gut, und die frische Luft würde ihr dabei helfen, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen.

Angela setzte ihren Wanderhut auf und steckte eine Karte in die Jacke ihres Anoraks, auf der sie zuvor nachgeschaut hatte, welche Richtung sie nehmen wollte, dann verließ sie ihr Zimmer. Auf dem Flur ging sie schnell an den Suiten vorbei und lief die Treppe hinunter. Als sie die Hotelhalle durchquerte, atmete sie auf.

Die hübsche junge Frau ging aus dem Dorf hinaus und wanderte einen Pfad hinauf, der zu einer großen Wiese führte. Nach kurzer Zeit hatte sie schon eine beträchtliche Entfernung zurückgelegt.

Schließlich erreichte sie einen Punkt, der in der Karte mit ›Hohe Riest‹ bezeichnet war. Ein Bergwald, dessen Ausläufer sich bis zum Ainringer Wald erstreckte. Von hier aus starteten die Wanderwege zu den Almhütten.

Angela setzte sich auf den Boden und nahm die Karte zur Hand. Erst jetzt wurde ihr bewußt, daß sie ein wenig leichtsinnig gehandelt hatte, indem sie ohne Proviant losgegangen war. Auf Essen hätte sie zur Not noch verzichten können, doch der Durst, der sie jetzt quälte, war schlimm.

Wenigstens etwas zu trinken hätt’ ich mitnehmen müssen, dachte sie und faltete die Karte wieder zusammen.

Vielleicht hatte sie Glück und fand einen Gebirgsbach, an dem sie sich erfrischen konnte.

Angela stellte fest, daß ihr bisher keine Menschenseele begegnet war. Es schien, als wäre sie mutterseelenallein auf der Welt, und dieses Gefühl vertiefte ihre Traurigkeit über die erlittene Enttäuschung noch mehr.

Immer wieder entstand das Bild des Mannes vor ihren Augen, in den sie sich so rettungslos verliebt hatte und der dieser Liebe nicht wert war. Sie versuchte, es zu verscheuchen wie einen unangenehmen Alptraum, doch so recht wollte es ihr nicht gelingen.

Schließlich stand sie auf. Angela hatte beschlossen, ein Stück weiter hinaufzugehen. Der Karte nach mußte es in einiger Entfernung einen Gebirgsfluß geben, an dem sie ihren Durst löschen konnte. Sie brauchte ihn nur noch finden.

Sie trat aus dem Wald heraus und stand vor einer bizarr schönen Landschaft aus Felsen, Wiesen und Sträuchern. Vor ihr türmte sich ein Berg auf, und in weiter Höhe konnte sie grüne Almwiesen erkennen, auf denen Kühe weideten.

Bestimmt floß dort auch irgendwo der Fluß, der auf der Karte eingezeichnet war.

Entschlossen stapfte sie los. Als sie zwischendurch auf die Uhr schaute, stellte sie fest, daß inzwischen beinahe drei Stunden vergangen waren. Wahrscheinlich war Stephan inzwischen auch wieder im Hotel – vorausgesetzt, seine ›Bekannte‹ hatte ihn gefahren.

Ein dumpfes Grollen unterbrach ihre Gedanken und ließ sie zum Himmel schauen. Über dem Gipfel waren dunkle Wolken aufgezogen, und außer dem rollenden Donner war alles still. Selbst die Vögel waren verstummt, und eine unheimliche Ruhe breitete sich aus.

Wie die Ruhe vor dem Sturm…

Ein ängstliches Gefühl überkam die junge Frau, während sie weiterging. Am liebsten wäre sie umgekehrt, doch bis zu dem Gebirgsfluß konnte es nicht mehr weit sein, und der Durst wurde übermächtig.

Drei Stunden ins Dorf hinuntersteigen – das würde sie ohne Wasser nicht überstehen!

Angela zog den Reißverschluß ihres Anoraks hoch und drückte den Hut fester auf den Kopf. Dann stieg sie weiter auf und hoffte inständig, daß das Unwetter noch eine Weile brauchte, bis es sich entlud.

Doch schon spürte sie die ersten Regentropfen fallen…

*

Seine Mutter und Angelas Eltern saßen in der Hotelhalle, als Stephan eintraf. Er hatte nicht das Glück gehabt, Marion Brockmann noch in dem Café anzutreffen, und war suchend über die Uferpromenade gegangen. Als er sicher war, sie nicht mehr wiederzufinden, hatte er ein Taxi rufen lassen und war damit nach St. Johann zurückgefahren.

Unterwegs hatte er darüber nachgedacht, wie er sich am besten bei Angela entschuldigte, allerdings auch, wie er seine Mutter zur Rede stellen sollte. Als er die drei jetzt dort sitzen sah, spürte er wieder die gleiche Wut wie am Morgen, als er hinter dieses abgekartete Spiel gekommen war.

Ewald Pfister, seine Frau und Margot Richter waren von Sebastian Trenker durch das Schloß geführt worden, anschließend hatte die Herbergsmutter zu Kaffee und Kuchen auf der großen Terrasse eingeladen. Man hatte sich prächtig unterhalten und gestärkt den Rückweg angetreten. Dabei drehte sich das Gespräch der beiden Mütter um die Hochzeit ihrer Kinder, die sowohl für Margot als auch für Hannelore feststand. Für sie konnte es gar keine Zweifel mehr geben, daß es ihnen gelungen war, Angela und Stephan zusammenzubringen.

Als sie im Hotel angekommen waren und sich oben erfrischt hatten, setzten sie sich in die Halle und bestellten sich erst einmal ein paar Getränke. Der Spaziergang war schon anstrengend gewesen, aber auch wunderschön. Draußen grummelte es ein wenig, ein Gewitter schien aufzuziehen. Es war merklich kühler geworden.

Die Tür öffnete sich, und Stephan trat ein. Als er seine Mutter sah, versteinerte sich seine Miene.

»Hallo«, rief Margot Richter, »seid ihr wieder zurück? Gerad’ rechtzeitig, was? Es wird net mehr lang’ dauern, bis es regnet.«

Das Ehepaar Pfister sah erwartungsvoll zur Tür, durch die jeden Moment ihre Tochter treten mußte.

»Wo bleibt Angela denn?« fragte Hannelore.

Stephan zuckte die Schultern.

»Die wird wohl schon auf ihrem Zimmer sein«, antwortete er. »Aber um so besser, daß sie net da ist. Da kann ich euch gleich sagen, was ich von eurem miesen Spiel halt’.

Es ist doch ein Spiel, oder? Und ihr habt geglaubt, daß ich net dahinterkomm’, net wahr?«

Er sah sie verärgert an und mußte indes in sich halten, um nicht laut loszulachen, als er die verwirrten Gesichter sah.

Den dreien stand das schlechte Gewissen darin geschrieben.

Natürlich war sein Ärger nur gespielt, aber es mußte sehr überzeugend wirken, weil seine Mutter ihn ängstlich ansah und bittend die Hand hob.

»Stephan…, ich kann dir alles erklären…«

»Das wirst’ auch müssen«, erwiderte er und setzte sich zu ihnen.

Geduldig hörte er zu, wie seine Mutter ihre ›Beichte‹ ablegte, die Pfisters sagten gar nichts, nickten nur hin und wieder bestätigend.

»Soso«, meinte Stephan schließlich. »Da habt ihr euch ja was Feines ausgedacht. Aber ihr könnt’ beruhigt sein?–?ich bin euch net bös’. Im Gegenteil, dankbar muß ich sein, weil ich sonst nie erfahren hätt’, was für eine wundervolle Frau die Angela ist.«

Seine Mutter und das Ehepaar atmeten erleichtert auf.

»Dann… ist also alles in Ordnung?« vergewisserte sich Ewald.

Stephan nickte.

»Wenn ich die Angela net so lieb haben würd’, dann wär’ ich schon bös’, weil sie bei dieser Scharade mitgespielt hat«, sagte er.

Die anderen sahen sich bestürzt an.

»Angela weiß nix davon«, erklärte seine Mutter.

»Nicht?« fragte Stephan überrascht. »Aber dann…«

»Wo ist Angela überhaupt?« fragte Hannelore Pfister. »Du hast gemeint, sie müsse auf ihrem Zimmer sein… Warum?«

Stephan holte tief Luft und erzählte, wie er hinter die ganze Geschichte gekommen war, und daß er sich eine kleine Rache ausgedacht hatte. Auch die Rolle, die Marion Brockmann dabei gespielt hatte, ließ er nicht unerwähnt.

»Da hab’ ich ihr Unrecht getan«, bekannte er jetzt. »Hoffentlich verzeiht sie mir.«

Er stand entschlossen auf.

»Ich muß sofort mit ihr reden«, sagte er. »Hoffentlich ist sie mir net allzu böse.«

Rasch lief er die Treppe hinauf und eilte über den Flur. Als er vor ihrer Tür stand, wußte er nicht, ob sein Herz so klopfte, weil er die Treppe hinaufgelaufen war oder vor Aufregung.

Er klopfte an und wartete ungeduldig.

»Angela«, rief er verhalten. »Ich bin’s. Bitte, ich muß mit dir reden. Es tut mir leid, was da gescheh’n ist. Wirklich, es ist alles ganz anders, als es ausschaut. Angela, bitte, mach’ auf.«

Er klopfte erneut, doch drinnen blieb alles still.

Stephan zuckte die Schultern und wollte in sein eigenes Zimmer gehen, mußte aber feststellen, daß er den Schlüssel noch gar nicht an der Rezeption abgeholt hatte.

Er lief wieder nach unten. Die anderen waren inzwischen aufgestanden und sahen ihn erwartungsvoll an. Stephan stellte sich zu ihnen und schaute auf das Brett.

»Na, da kann ich ja lang’ klopfen«, sagte er. »Angela ist gar net in ihrem Zimmer.«

»Nicht?« fragte Hannelore Pfister verwundert.

Stephan deutete auf das Brett.

»Der Schlüssel hängt doch da, neben meinem.«

»Wahrscheinlich macht sie einen Spaziergang«, meinte Ewald.

»Jetzt noch?« fragte seine Frau zurück. »Bei dem Wetter?«

Draußen hatte der Regen eingesetzt. Dann und wann zuckte ein Blitz, und rollender Donner entlud sich über dem Dorf.

»Bestimmt hat sie sich irgendwo untergestellt«, beruhigte ihr Mann sie. »Oder sie kommt jeden Moment.«

Hannelore Pfister schaute durch die Glastür nach draußen.

»Na, hoffentlich…«, flüsterte sie.

*

Das Gewitter war schneller heran, als sie geglaubt hatte. Blitze zuckten um sie herum, und die darauffolgenden Donner rollten als schauriges Echo von den Bergwänden wider.

Angela Pfister schaute sich suchend um. Sie mußte einen Unterschlupf finden. Ein Gewitter in den Bergen, das wußte sie, konnte ungleich gefährlicher sein als in der Stadt.

Der Regen war inzwischen so stark geworden, daß sie kaum noch etwas sehen konnte, und ihre Kleidung war bis auf die Haut durchnäßt. Eisiger Wind fuhr durch ihre Glieder und ließ sie frösteln.

Längst schon schalt Angela sich eine Närrin, weil sie ohne jegliche Vorbereitung zu dieser Wanderung aufgebrochen war. Es war ein kleines Glück, daß sie wenigstens vernünftiges Schuhwerk trug.

Die junge Frau preßte sich eng an den Fels. Vergeblich suchte sie nach Schutz, und ihre klammen Finger tasteten über den nassen Stein, glitten immer wieder ab und bekamen schmerzhafte Risse, wenn sie sich in den Stein krallten.

Angela versuchte langsamer zu atmen und sich zu beruhigen. Es hatte keinen Sinn, wenn sie jetzt in Panik geriet. Sie mußte Ruhe bewahren und darauf hoffen, daß man sich auf die Suche nach ihr machte, wenn sie nicht im Hotel auftauchte.

Doch wie lange konnte es dauern, bis man ihr Verschwinden bemerkte. Und wie lange, bis sich ein Suchtrupp auf den Weg machte?

Ganz abgesehen davon, daß niemand wußte, wohin sie gegangen war. Wenn sie wenigstens ihr Handy dabei gehabt hätte! Aber vor Antritt des Urlaubs hatte sie mit den Eltern verabredet, daß die Mobiltelefone zwar mitgenommen würden, aber ausgeschaltet bleiben sollten. Ihres lag jetzt auf dem Tisch des Hotelzimmers…

Auch wenn der Regen immer stärker wurde, sie mußte versuchen, den Weg zurück ins Tal zu finden. Es hatte keinen Zweck, hier auszuharren, das Unwetter wurde immer stärker, und Angela hatte nicht den Eindruck, daß es bald weiterziehen würde.

Langsam tastete sie sich vorwärts. Noch immer fegte der Wind heftig um sie herum und zerrte an der nassen Jacke und der Hose. Angela ließ sich auf den Boden sinken und rutschte ein gutes Stück talwärts. Als sie vorhin in aller Hast nach einem Unterschlupf suchte, war sie einer ersten Eingebung folgend auf den Fels zugelaufen. Vielleicht, so hatte sie gehofft, gab es dort eine Höhle, in der sie sich verkriechen konnte. Dem war allerdings nicht so. Eine Höhle hatte sie nicht gefunden, dafür wußte sie nicht mehr, wo sich der Weg befand, auf dem sie heraufgekommen war.

Angela duckte sich unwillkürlich zusammen, als direkt vor ihr ein Blitz in den Fels schlug. Funken sprühten auf, und ein entsetzter Schrei entrang sich ihren Lippen.

Ihre Bewegung war so heftig gewesen, daß sie ausrutschte und mit dem Kopf auf den Boden schlug. Sie fühlte den dumpfen Schmerz, und Tränen traten ihr in die Augen. Keuchend versuchte sie, sich aufzurichten, doch rote Nebelschleier und tanzende Sterne ließen sie wieder zusammensinken.

Jetzt bloß net ohnmächtig werden, dachte sie verzweifelt. Bei diesem Wetter hier draußen liegen – das bedeutete den sicheren Tod, wenn sie nicht rechtzeitig gefunden wurde.

Mit aller Kraft richtete sie sich endlich auf und schüttelte benommen den Kopf. Dann versuchte sie vorsichtig auf die Füße zu kommen. Der Untergrund, auf dem sie sich bewegte, bestand aus Fels und Gras. Von dem Regen war er naß und glitschig. Angela merkte, wie ihr rechter Fuß wegrutschte, und ruderte verzweifelt mit den Armen in der Luft umher und suchte nach einem Halt.

Erneut krachte es vor ihr, als ein Blitz einschlug, und mit einem Schrei des Entsetzens stürzte sie wieder zu Boden und rutschte ein gutes Stück den Hang hinab. Dabei drehte sich Angela mehrmals um die eigene Achse und schlug gegen einen Felsbrocken, der ihren Absturz stoppte.

Doch davon merkte sie schon nichts mehr. Um sie herum war es dunkel geworden, und der Regen prasselte unvermindert auf sie nieder.

*

»Himmel, was macht ihr aber auch bloß für Sachen!«

Sebastian Trenker stand in der Hotelhalle und schaute die beiden Pfisters und Richters an. Hatte er schon für das abgekartete Spiel der Eltern kaum Verständnis aufbringen können, so war ihm das, was Ste-phan sich geleistet hatte, völlig unverständlich.

»Was glaubt ihr denn, wie lang’ sie schon fort ist?«

Der junge Mann zuckte die Schultern und meinte, daß es ungefähr vierzehn Uhr gewesen sein müsse, als Angela am See aufgebrochen war.

Sebastian blickte auf seine Uhr.

»Dann ist sie ja jetzt an die sechs Stunden verschwunden«, stellte er fest. »Also, da wurd’s aber auch höchste Zeit, daß ihr mich alarmiert habt. Gibt’s irgendeinen Anhaltspunkt, wohin sie sein könnte?«

Angelas Eltern hatten sich den Schlüssel zum Zimmer ihrer Tochter geben lassen und hatten schnell festgestellt, daß sie ihre Wanderkleidung angezogen hatte. Sie vermuteten also, daß Angela eine Wanderung unternahm. Möglicherweise, um auf andere Gedanken zu kommen. Da sie allerdings trotz des einsetzenden Gewitters noch nicht wieder zurückgekehrt war, befürchteten sie alle nun das Schlimmste. Nach kurzem Ratschlag hatte man beschlossen, sich an Pfarrer Trenker um Hilfe zu wenden.

»Wir wissen nichts«, antwortete Stephan auf die Frage des Geistlichen.

Er schlug die Augen nieder und war sich bewußt, daß er derjenige war, der sich Vorwürfe machen mußte.

»Dafür ist jetzt aber keine Zeit«, sagte Sebastian. »Erst einmal müssen wir uns auf die Suche nach ihr machen, was aber natürlich net leicht ist, so ganz ohne Anhaltspunkt. Allerdings – vom Höllenbruch geht’s zur Hohen Riest hinauf, dem Ausgangspunkt für alle Bergwanderungen. Daß die Angela zum Kogler ist, glaub’ ich net. Der liegt auf der and’ren Seite des Dorfes, und das Auto hat sie ja stehenlassen. Also, versuchen wir da unser Glück.«

In weiser Voraussicht hatte der Bergpfarrer, als er von dem Verschwinden der jungen Frau hörte, sich entsprechend angezogen. Jetzt griff er zum Telefon an der Rezeption und rief seinen Bruder und Dr. Wiesinger an. Beide versprachen, so schnell wie möglich zu kommen.

»Ich werd’ auch mitgeh’n«, erklärte Stephan entschlossen. »Schließlich ist’s meine Schuld!«

Sebastian nickte.

»Gut, dann zieh’ dich schnell um.«

Der junge Mann eilte die Treppe hinauf, während seine Mutter und Angelas Eltern sich angstvoll ansahen. Hannelore Pfister hatte sich wieder gesetzt und ein Taschentuch hervorgezogen, in das sie jetzt weinte.

»Es wird alles gut«, sagte der Geistliche zuversichtlich und strich der Frau tröstend über den Kopf.

Als Stephan die Treppe wieder herunterkam, trafen auch der Polizist und der Arzt ein. Der Geistliche erklärte schnell die Lage, und die beiden anderen nickten.

»Ich denk’ auch, daß wir’s über die Hohe Riest versuchen sollten«, meinte Max.

»Also, dann los!«

Stephan gab seiner Mutter einen Kuß und drückte Angelas Eltern die Hand.

»Wir finden sie«, sagte er. »Ganz bestimmt!«

Mit dem Streifenwagen fuhren sie bis zum Höllenbruch und begannen dort ihrenAufstieg. Max hatte, ebenso wie sein Bruder, ein langes Seil dabei, außerdem starke Handscheinwerfer, denn inzwischen wurde es immer dunkler, was die Suche erschwerte. Toni Wiesinger trug seine Utensilien, die sonst in der Arzttasche steckten, in einem Rucksack auf dem Rücken. Alle vier hatten feste Schuhe und Regenzeug an.

»Wie weit kann sie denn wohl gekommen sein?« fragte der Polizist seinen Bruder.

Sebastian hob die Schultern.

»Schwer zu sagen«, erwiderte er. »Wenn wir davon ausgeh’n, daß Angela Pfister das Hotel gegen drei Uhr verlassen hat, und wir auf der richtigen Fährte sind, dann könnt’ sie bis zum ›Keiler‹ gekommen sein.«

Der so bezeichnete Punkt war ein bizarrgeformter Fels, der die Umrisse eines Keilerkopfes hatte. Von dort aus zweigten drei Wanderwege zu den jeweiligen Hütten, der Velber-, Kanderer-, und Jenneralm ab.

»Dann können wir nur hoffen, daß sie dort irgendwo einen Unterschlupf gefunden hat«, meinte Max.

Der Bergpfarrer nickte, aber groß war die Hoffnung nicht…

*

»Wenn nur der Regen nachlassen würd’«, schimpfte Stephan.

Trotz der starken Suchscheinwerfer sahen sie kaum etwas, und Ste-phan, der sich ohnehin Vorwürfe ohne Ende machte, kam beinahe um vor Angst um die geliebte Frau. Immer wieder verfluchte er den Moment, in dem er auf diese Idee gekommen war. Marion hatte wohl recht behalten, jetzt rächte sich sein Verhalten gegenüber Angela.

Sie hatten sich aufgeteilt und stiegen im Abstand von ein paar Metern weiter den Hang hinauf. Dabei riefen sie den Namen der Vermißten und blieben dann lauschend stehen, in der Hoffnung, eine Antwort zu erhalten.

Doch vergebens. Außer den Geräuschen, die der Regen verursachte, hörten sie nichts. Schon gar keine menschliche Stimme.

»Da drüben ist der Keiler«, rief Sebastian und leuchtete mit seinem Handscheinwerfer auf den Felsen.

Ohne es zu ahnen, waren sie an der Stelle angekommen, an der auch Angela Rast gemacht hatte.

»Auf der and’ren Seite geht’s ziemlich steil abwärts«, fuhr der Geistliche fort. »Hoffen wir, daß sie net dorthin gegangen ist. Das könnt’ gefährlich sein.«

Stephan Richter war der Verzweiflung nahe. Er wußte nicht, warum, aber er hatte die größte Hoffnung gehabt, Angela an dieser Stelle zu finden. Er stellte sich an den Rand des Hanges und rief ihren Namen. Immer wieder und jedesmal lauter als zuvor.

Sebastian sah die Verzweiflung in seinen Augen und trat neben den jungen Mann.

»Laß gut sein«, sagte er, während er seinen Arm um Stephan legte, der von Schluchzern geschüttelt wur-

de.

»Vielleicht kann sie dich net hören. Aber wir geben die Hoffnung net auf, und keiner kehrt um, eh’ wir die Angela net gefunden haben.«

Stephan Richter nickte. Krampfhaft rang er nach Luft und versuchte, sich zu beruhigen. Und dann hob er lauschend den Kopf.

»Hört ihr nix?« rief er hoffnungsvoll. »Da hat doch jemand um Hilfe gerufen?«

»Was?«

Auch Sebastian lauschte genauso wie Max und Toni, die neben sie getreten waren.

Ein schwacher Laut drang zu ihnen herauf, im prasselnden Regen kaum zu vernehmen.

»Tatsächlich«, sagte der Bergpfarrer. »Da hat jemand gerufen.«

»Angela!« brüllte Stephan wie von Sinnen. »Sie ist es. Angela!«

Die anderen hielten ihn zurück, sonst wäre er den Hang hinuntergestürzt, als er ihre Stimme erneut vernahm.

»Ja«, rief die junge Frau. »Ich…, ich bin hier unten…«

»Der Stein ist naß und glatt«, erklärte Sebastian. »Man muß aufpassen, daß man net ausrutscht. Am besten geh’n der Doktor und ich.«

Toni Wiesinger nickte und band das Seil los, das Max um die Hüften trug. Sebastian hatte seines ebenfalls abgenommen. Er sah Stephan an, daß der am liebsten auch gleich mit hinuntergegangen wäre.

»Der Max und du, ihr müßt uns sichern«, erklärte er dem Juniorchef der Richterbrauerei. »Das wird besonders schwer, wenn wir Angela heraufholen.«

Stephan nickte verstehend und band sich das Seil um, dann suchte er einen sicheren Stand und hielt es mit beiden Händen fest. Max machte es genauso, während die anderen beiden Männer sich abseilten.

»Halt’ aus, Angela«, rief der Geistliche. »Wir sind gleich bei dir.«

Sie erreichten die junge Frau, die in gut drei Metern Tiefe in einer Art Senke lag. Toni Wiesinger band sich los und kniete neben ihr.

»Außer am Kopf sonst irgendwelche Verletzungen?« fragte er.

Angela verneinte. Sie war erst vor ein paar Minuten aus ihrer Ohnmacht erwacht und hatte sich abgetastet. Der Kopf tat ein bißchen weh, aber sonst verspürte sie keine Schmerzen.

Dr. Wiesinger hatte rasch einen Verband angelegt, dann war die Verletzte bereit, um nach oben gezogen zu werden.

»Da wartet schon jemand auf dich«, sagte Sebastian augenzwinkernd und schmunzelnd zugleich.

Langsam ging es aufwärts, das Seil schnürte zwar ein wenig ein, aber das war zu ertragen. Oben angekommen, spürte Angela, wie hilfreiche Hände nach ihr griffen.

Stephan beugte sich über sie. In seinen Augen schimmerten tatsächlich – was sie nie für möglich gehalten hätte – Tränen!

»Verzeih’ mir«, bat er. »Ich hab’ mich schrecklich dämlich benommen, und eigentlich könnt’ ich’s dir net übelnehmen, wenn du mich jetzt zum Teufel jagst.«

»Na, mit dem woll’n wir doch nix zu tun haben«, lachte Sebastian, der eben wieder heraufgekommen war.

Angela Pfister lächelte.

»Ich weiß net, warum du das getan hast«, sagte sie. »Aber ich kann dir net bös’ sein. Dazu lieb’ ich dich viel zusehr!«

Stephan verspürte ein unbeschreibliches Glücksgefühl.

»Dann soll es nie wieder so etwas Schreckliches zwischen uns geben«, versprach er feierlich.

Angela nickte und hob ihm ihre Lippen entgegen. Vergessen waren alle Ängste und Nöte, als er sich wieder über sie beugte und sie unendlich lange küßte.

-ENDE-

Der Bergpfarrer Staffel 9 – Heimatroman

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