Читать книгу Der Bergpfarrer Staffel 20 – Heimatroman - Toni Waidacher - Страница 6

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»Ach, der Pfarrer Trenker! Mei, das ist aber eine Freude, Sie endlich mal wieder zu sehen. Nach so langer Zeit!«

Sebastian Trenker, der gute Hirte aus St. Johann, lächelte der Bender-Rosi freundlich zu und trank dann einen Schluck von dem Kräutertee, den die ältere Frau soeben aufgebrüht hatte. Erst vor ein paar Minuten hatte er den Bender-Hof erreicht und war freundlich empfangen worden. Jetzt saßen sich die beiden in der rustikalen Küche gegenüber. »Ich freu mich ebenfalls. Und recht schönen Dank für den Tee.«

»Gern geschehen. Aber nun sagen S’ schon die Wahrheit, Hochwürden. So ganz ohne Grund sind S’ doch net hier, oder?«

Sebastian lächelte. Als er vorhin den Bender-Hof erreicht hatte, hatte er der Rosi gesagt, dass er sich auf Wandertour befand, aber so ganz entsprach das nicht der Wahrheit, obwohl er schon froh gewesen war, mal ein wenig aus seiner gewohnten Umgebung herauszukommen. Der naturverbundene Geistliche hatte schon viel zu lange keine Bergtour mehr unternehmen können, und so hatte er die Wanderung bis nach Pertenried auch genossen.

Der eigentliche Grund, weshalb er hergekommen war, war aber ein anderer.

»’s ist wegen dem Ludwig, hab’ ich Recht?«, vermutete die Rosi.

Sebastian Trenker nickte. »Ich hab’ halt gehört, dass Ihr Mann im Krankenhaus liegt, Frau Bender, und da wollt’ ich schauen, ob ich Sie ein bisserl unterstützen kann.« Ludwig Bender war ein alter Freund vom Pfarrer, doch in den letzten Jahren hatten sie sich nur sehr selten einmal gesehen. Frau und Tochter vom Ludwig kannte Sebastian nur ganz flüchtig, was aber für ihn kein Grund war, der Familie seines Freundes jetzt in der Stunde der Not nicht seine Unterstützung anzubieten, im Gegenteil. »Ist doch sicher net grad einfach für Sie im Moment, hab’ ich Recht?«

Die Bender-Rosi senkte den Blick. »Ja, da haben S’ schon recht, Herr Pfarrer. Vor allem mach ich mir halt große Sorgen um den Ludwig. Wissen S’, sein Herz will wohl nimmer so recht. Die Ärzte sagen zwar, dass er wieder auf die Beine kommt, aber man weiß ja schließlich nie.«

Sebastian winkte ab. »Ach, ich denk, den Ärzten können S’ ruhig glauben. Und ich kenn den Ludwig doch auch. Der ist ein zäher Bursch, der kommt schon wieder auf die Beine.«

»Das hoff ich ja auch. Und solang er im Krankenhaus ist, geht die Arbeit auf dem Hof ja trotzdem weiter. Wir haben ja ein paar Burschen, die hier schon lang arbeiten und sich auskennen, aber trotzdem merkt man natürlich, dass der Ludwig an jeder Ecke fehlt. Vor allem weiß ich ja sowieso gar net, wie’s mal alles weitergeht.«

»Wie meinen S’ denn das, Frau Bender?« Sebastian schaute auf.

»Na ja, ’s steht halt net mehr allzu gut um den Hof. Der Ludwig hat schon länger g’meint, dass wir mal arge Probleme kriegen. Die Landwirtschaft bringt heutzutage nimmer so viel ein wie früher, und es müsste einiges renoviert werden, aber dafür fehlt halt das nötige Geld. Deshalb hat der Ludwig jetzt auch unsere Tochter angerufen und sie gebeten herzukommen.«

»Die Michaela?«, fragte der Pfarrer. »Ist das Madl denn schon hier?«

»Nein, aber sie müsst’ heut’ noch kommen, und dann will der Ludwig mit ihr sprechen und ihr alles erklären. Ich weiß auch net so genau, was er vorhat, aber es sieht wohl net gut um den Hof aus. Ich hab’ da ein ungutes Gefühl, Herr Pfarrer. Ich glaub, der Ludwig will verkaufen.«

Sebastian Trenker nickte, dann nahm er die Hand der älteren Frau und drückte sie. »Machen S’ sich mal net allzu viel Gedanken, Bender-Bäuerin«, sagte er und lächelte aufmunternd. »Der Ludwig wird schon wissen, was er tut. Jetzt warten wir erstmal auf die Michaela, und dann sehen wir weiter, was meinen S’?«

Erstaunt sah die Bender-Rosi ihn an. »Heißt das, Sie bleiben noch eine Weile hier?«

»Aber ja doch.« Pfarrer Trenker lachte. »Oder meinen S’ etwa, ich hab’ den Weg nur auf mich genommen, um kurz nach dem Rechten zu schauen und gleich wieder fortzugehen? Nein, nein, ich bleibe, solange es sein muss, darauf können S’ sich verlassen.«

*

Nicht selten fragte Michaela Bender sich, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn sie nicht als Achtzehnjährige ihre Heimat verlassen und ihr Glück in der Stadt gesucht hätte.

Wahrscheinlich wäre ich heut’ glücklicher als ich es in der Stadt je war, dachte sie, und sofort kam ihr Andreas in den Sinn. Noch heute krampfte sich ihr Herz schmerzhaft zusammen, wenn sie an ihren ehemaligen Verlobten dachte und daran, was er ihr angetan hatte.

Sie zwang sich, die trüben Gedanken abzuschütteln, fuhr an den Straßenrand und hielt an. Dann schnallte sie sich ab und stieg aus dem Wagen.

Sofort nahm sie der Anblick, der sich ihr nun bot, gefangen. Es war einmalig: Landschaft, so weit das Auge reichte. Saftig grüne Wiesen, die ebenso wie Bäume, Sträucher und wild blühende Blumen von der Sonne in goldenes Licht getaucht wurden. Und im Hintergrund die gewaltigen, majestätischen Berge, deren weiße Spitzen den makellosen hellblauen Himmel zu berühren schienen. Es war einfach unbeschreibbar schön.

Tief sog Michaela die herrlich klare Bergluft in die Lungen. Sie dachte daran, dass sie viel zu lange nicht mehr hier, in ihrer Heimat, gewesen war. Dabei hatte sie sich einmal fest vorgenommen, ihre Eltern regelmäßig zu besuchen. Aber das Leben in der Stadt war stressig und hektisch, und vor lauter Arbeit und anderen Verpflichtungen war sie nur sehr selten dazu gekommen, an den Ort ihrer Kindheit und Jugend zurückzukehren.

Jetzt aber ging es nicht anders, und Michaela bedauerte es, dass sie unter solchen Umständen heimkehren musste.

Sie drehte sich um und ging wieder zu ihrem Wagen. Es waren nur noch etwa fünfzehn Minuten Fahrt, dann hatte sie den elterlichen Hof erreicht. Sie freute sich darauf, ihre Mutter nach so langer Zeit endlich wieder zu sehen. Und sie würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um sie in diesen schweren Zeiten zu unterstützen.

Nachdem sie sich angeschnallt hatte, wollte Michaela den Wagen starten, musste jedoch feststellen, dass es nicht klappte.

»Verflixt«, fluchte sie verhalten, »bitte, net ausgerechnet jetzt!«

Erneut drehte sie den Zündschlüssel herum, doch wieder nichts. Ebenso beim dritten und vierten Versuch.

Der Motor sprang nicht an.

Seufzend senkte Michaela den Kopf. Das darf doch jetzt echt net wahr sein, dachte sie frustriert. Da bin ich nach so langer Fahrt beinahe am Ziel, und dann das! Hätt’ ich doch nur net angehalten, um die schöne Aussicht zu bewundern!

Das Dumme an der Sache war, dass Michaela nicht mal einfach so einen Pannendienst anrufen konnte, weil sie ihr Handy zu Hause vergessen hatte. Normalerweise wäre das kein Problem gewesen, sie muss­te nicht ständig erreichbar sein, und eine Freundin konnte sie auch vom Telefon ihrer Mutter anrufen.

Jetzt aber wünschte sie sich, das Handy dabei zu haben.

Sie stieg wieder aus dem Wagen und starrte nachdenklich ins Leere. Was sollte sie denn jetzt machen? Sicher, weit war der Weg bis nach Pertenried nicht mehr, aber zu Fuß konnte sich die Strecke dann doch ganz schön in die Länge ziehen. Und bis hier mal ein anderes Auto vorbeikam…

Sie hatte den Gedanken nicht zu Ende gedacht, als plötzlich Motorengeräusch an ihr Gehör drang, das sich zügig näherte.

Überrascht schaute Michaela auf. Normalerweise war diese Straße nicht gerade viel befahren, sie schien also wirklich Glück zu haben.

Gleich darauf erblickte sie dann auch schon den Wagen, der aus derselben Richtung kam wie sie eben.

Es handelte sich um einen roten Sportflitzer, und der Fahrer fuhr nicht eben langsam.

Schnell entschlossen stellte Michaela sich mitten auf die Straße und begann, heftig zu winken.

Bremsen quietschten, und schließlich kam der Wagen einige Meter vor Michaela zum Stehen, wobei die Reifen ordentlich Staub aufwirbelten.

Einen Wimpernschlag später stieg der Fahrer aus dem Auto und kam auf Michaela zu.

Der stockte bei seinem Anblick für einen Moment der Atem.

Er war etwa einsneunzig groß, schlank, ohne aber schlaksig zu wirken, mit starken Oberarmen und einem Brustkorb, für den manch anderer Mann sicher so einiges gegeben hätte. Sein dunkles Haar war kurz und mit Geld modisch in Form gebracht, und seine Augen waren so blau wie das Wasser eines Bergsees.

Michaela ertappte sich dabei, wie sie einen prüfenden Blick auf seinen rechten Ringfinger war, und errötete. Warum erleichterte es sie nur so über alle Maßen, dass er keinen Ehering trug? Sie kannte diesen Mann doch gar nicht. Dennoch kam sie nicht umhin festzustellen, dass er wohl das attraktivste männliche Wesen war, das ihr je begegnet war.

»Sagen S’ mal, sind Sie wahnsinnig geworden?« Seine aufgebrachte Stimme riss sie aus ihren Träumereien. »Sie können doch net einfach mitten auf der Straße herumstehen! Stellen S’ sich mal vor, was passiert wär’, wenn ich auch nur einen Augenblick lang unaufmerksam gewesen wär’! Überfahren hätt’ ich Sie!«

Michaela senkte schuldbewusst den Blick, dann fragte sie sich, was sie da eigentlich machte, und reckte das Kinn vor. So eine Unverschämtheit war ihr ja noch nie untergekommen! Was fiel diesem Kerl eigentlich ein, so mit ihr zu reden?

»Nun regen S’ sich mal bitt’ schön wieder ab, ja?«, gab sie bissig zurück. »Ich stand ja wohl weit genug weg, und wenn ich g’merkt hätt’, dass Sie mich net sehen, hätt’ ich immer noch zur Seite gehen können.«

Jetzt endlich erreichte der Mann sie.

»So, meinen Sie, ja?«, fragte er kopfschüttelnd. »Dann will ich Ihnen mal was sagen: Ich…« Er winkte ab. »Ach, ist ja auch egal. Hat schließlich eh keinen Zweck, einer Frau was erklären zu wollen. Also, wo drückt denn der Schuh? Springt Ihr Wagen net an?«

Michaela biss die Zähne zusammen. Am liebsten hätte sie dem Kerl mal kräftig die Meinung gesagt, aber dummerweise war sie auf seine Hilfe angewiesen. Sie selbst würde ihren Wagen unmöglich wieder flottkriegen. Von Autos hatte

sie nämlich so gut wie keine Ahnung.

Also nickte sie nur und sagte: »Genau das. Gerade lief er noch, dann hab’ ich eine kurze Pause gemacht, und jetzt will er einfach net mehr anspringen.«

»Schon mal nachgeschaut, ob der Tank leer ist? Wundern tät’s mich ehrlich g’sagt net.«

Michaela stemmte die Fäuste in die Seiten. »Jetzt hören S’ mal«, protestierte sie. »Ich geb’ ja zu, dass ich net besonders viel Ahnung von Autos hab’, aber ganz bestimmt ist mir net einfach der Sprit ausgegangen. Ich hab’ nämlich vorhin erst noch getankt.«

»Ist ja schon gut.« Der Mann lächelte beschwichtigend, setzte sich ans Steuer von Michaelas Wagen und versuchte selbst, den Motor zu starten. Natürlich vergeblich.

»Hm«, sagte er nachdenklich. »Springt tatsächlich net an.«

Michaela rollte entgeistert mit den Augen. »Na, daran haben S’ doch wohl net etwa gezweifelt, oder? Meinen S’ wirklich, ich würd’ mir hier die Beine in den Bauch stehen, wenn…«

»Nein, nein, natürlich net, ist ja schon gut.« Er stieg wieder aus, öffnete die Motorhaube und schaute sich alles genau an. Michaela beobachtete, wie er an einigen Kabeln herumfummelte, ab und zu verhalten fluchte und schließlich rief:

»Versuchen Sie es mal, bitte.«

Michaela klemmte sich hinters Steuer und drehte den Schlüssel. Als der Motor gleich beim ersten Mal ansprang, konnte sie ihre Überraschung nicht verbergen.

»Meine Güte«, rief sie durch die noch offene Fahrertür, »das ist ja kaum zu glauben. Wie haben S’ das denn hinbekommen?«

Er ließ die Motorhaube wieder nach unten fallen, rieb sich die Hände an seiner Hose und winkte ab. »Ach, war ein Kinderspiel. Es hatte sich nur ein Kabel gelöst, mehr net. Also, ich wünsch’ dann weiterhin gute Fahrt.« Er nickte ihr noch einmal zu, wandte sich dann ab und stieg wieder in seinen Wagen.

»Ihnen auch. Und haben S’ vielen Dank«, rief Michaela ihm noch hinterher, aber da fuhr er schon los. Na, so was, dachte Michaela, während sie ihm nachsah. Das ist aber auch keine Art. Net mal vorgestellt hat er sich. Aber da sieht man’s mal wieder: Gutes Aussehen allein reicht eben noch lange net.

Doch obwohl sie sich irgendwie über ihren Retter in der Not ärgerte – vor allem wohl deshalb, weil er einfach so schnell verschwunden war –, bekam sie ihn während der Weiterfahrt doch nicht aus dem Kopf. Es war schon beinahe erschreckend, wie oft ihre Gedanken zu ihm wanderten.

Wo er wohl herkommt?, fragte sie sich. Und wie er wohl heißt?

Aber das würde sie wohl nie herausfinden. Und Michaela konnte nicht leugnen, dass sie darüber alles andere als froh war.

*

Was für eine Frau!

Karsten konnte sich nicht erinnern, sich jemals in seinem Leben einem weiblichen Wesen gegenüber so unsicher gefühlt zu haben. Ihm war klar, dass er keinen guten Eindruck auf sie gemacht haben muss­te: Zuerst hatte er sie ausgeschimpft, weil sie mitten auf der Straße gestanden hatte, dann hatte er ihr geholfen, ihren Wagen wieder flott zu kriegen, und schließlich war er ohne ein weiteres Wort abgefahren.

Wahrscheinlich hielt sie ihn jetzt entweder für unfreundlich oder für ziemlich verwirrt, wahrscheinlich aber für beides.

Karsten konnte es nicht ändern. Fest stand nur, dass er einfach so schnell wie möglich aus der irritierenden Nähe dieser Frau hatte entkommen müssen, und jetzt nickte er. Ja, es war gut gewesen, dass er sein Heil in der Flucht gesucht hatte. Nicht umsonst hatte er sich vor einiger Zeit geschworen, sich so schnell nicht wieder auf eine Frau einzulassen. Nach allem, was er erlebt hatte, war das auch kein Wunder.

Aber warum ertappte er sich dann trotzdem immer wieder dabei, wie er an die Begegnung mit der jungen Schönheit zurückdachte?

Die Antwort war einfach: Weil sie ihn fasziniert hatte. Sie war das schönste Madl, das er je in seinem Leben gesehen hatte.

Und ich bin einfach davon und kenn’ net mal ihren Namen, dachte Karsten und verzog das Gesicht. Jetzt werd’ ich sie wohl nie mehr im Leben wiedersehen. Aber wahrscheinlich ist das auch besser so.

Aber warum stimmte ihn diese Erkenntnis dann trotzdem so unendlich traurig?

*

»Madl! Endlich bist’ wieder daheim! Mei, bin ich froh, dich zu sehen!«

Lächelnd ließ Michaela sich von der Bender-Rosi in die Arme schließen. Dabei schloss sie für einen Moment die Augen und genoss die mütterliche Wärme. Ja, es war schön, wieder zu Hause zu sein. Unwillkürlich wanderten Michaelas Gedanken zurück zu ihrer Kindheit, die sie hier auf dem Hof verbracht hatte und die schöner nicht hätte sein können.

Mutter und Tochter ließen voneinander ab und musterten sich. Michaela entging nicht, dass ihre Mutter viel älter aussah, als sie sie in Erinnerung hatte. Die Sorgen der letzten Zeit hatten ihre Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen.

»Mei, was bist’ mager geworden, Madl«, stellte die Bender-Rosi kopfschüttelnd fest. »Sag’, gibt’s in der Stadt kein anständiges Essen?«

Michaela lachte. »Das hast’ mich beim letzten Mal schon gefragt, als ich euch besucht hab’.«

»Was aber auch schon wieder lang her ist. Zu lang.«

»Ja, ich weiß.« Michaela senkte schuldbewusst den Blick. »Ich hatte halt zu viel zu tun in der Stadt, Mutter, das musst auch verstehen. Die Arbeit ist nicht immer einfach, und grad in der Hotelbranche hat man net immer die Möglichkeit, seinen Jahresurlaub voll auszuschöpfen.«

»Dein Vater hat ja nie verstanden, warum du unbedingt in die Stadt gehen und eine Lehre zur Hotelkauffrau machen musstest. Hättest doch ebenso gut auch hier auf dem Höfl bleiben und uns helfen können.«

»Ich weiß, ich weiß. Aber ich wollt’ halt mal was von der Welt sehen, Mutter. Jetzt bin ich ja erst mal wieder eine Weile hier und werd’ dir mal ein bisserl unter die Arme greifen. Was meinst’, sollen wir gleich mal zum Vater ins Krankenhaus fahren?«

Die Bender-Rosi nickte. »Aber erstmal bekommst’ jetzt eine anständige Brotzeit, Kind. Komm mit, drinnen wartet auch schon der Pfarrer Trenker, der ist extra aus St. Johann hergekommen, um mir ein bisserl zu helfen.«

Gemeinsam gingen die beiden Frauen in das Wohnhaus, und sobald Michaela die gute Stube betrat, fühlte sie sich zu Hause.

*

Mit einem frustrierten Seufzer blickte Michaela einige Stunden später auf den Stapel Papiere, der sich vor ihr auf dem Schreibtisch ihres Vaters türmte. Es handelte sich beinahe ausschließlich um Rechnungen und Mahnungen über offene Kreditraten. Damit hatte Michaela wirklich nicht gerechnet.

Es war jetzt Abend, vor ein paar Stunden war Michaela zusammen mit ihrer Mutter im Hospital gewesen, um ihren Vater zu besuchen. Es ging ihm nicht sehr gut. Der einst so kräftige Mann, den scheinbar nichts umwerfen konnte, war abgemagert, das Gesicht aschfahl.

Er hatte sich all die Jahre einfach zu viel zugemutet, das stand fest. Jetzt machte das Herz nicht mehr richtig mit, aber die Ärzte waren zum Glück zuversichtlich, dass er, nachdem er sich einmal richtig erholt hatte, wieder auf die Beine kommen würde. Voraussetzung dafür war allerdings, dass er sein Leben umstellte. Kein Alkohol mehr, keine deftigen Speisen und kein Stress.

Michaela nickte. Der Stress war sicher auch ein Grund dafür, dass ihr Vater heute im Krankenhaus lag. Der Stress und die Sorgen…

Als ihr Vater ihr heute erzählt hatte, wie schlecht es um den Hof stand, hatte sie beinahe der Schlag getroffen. Mit so etwas hatte sie wirklich nicht gerechnet. Aber der Vater hatte ja auch nie etwas gesagt, nicht mal seine eigene Frau hatte er ins Vertrauen gezogen, hatte höchstens hin und wieder mal einige Andeutungen gemacht.

Aber wie es aussah, stand der Verkauf des Höfls unweigerlich bevor. Ihr Vater hatte sogar schon ein Angebot von einem Bauunternehmen erhalten und einen Gesprächstermin mit einem Mitarbeiter dieses Unternehmens vereinbart.

Und weil der Vater jetzt nicht mehr in der Lage war, dieses Gespräch zu führen, sollte Michaela das an seiner Stelle tun. Und das schon morgen!

Michaela hatte ihrem Vater natürlich sofort gesagt, dass der Hof unter keinen Umständen verkauft werden durfte, doch er hatte nur gemeint, dass es für eine solche Haltung zu schlecht um den Hof stand.

Und wenn Michaela sich jetzt so die Unterlagen durchsah, musste sie zugeben, dass er damit wahrscheinlich Recht hatte. Vater hatte vor einiger Zeit einige Anschaffungen machen müssen, Maschinen, die er für seine Arbeit einfach benötigte, doch jetzt war er kaum noch in der Lage, die Raten dafür aufzubringen. Zudem waren Teile des Hofes einfach stark renovierungsbedürftig, aber woher sollte er das Geld nehmen? Wie es im Moment aussah, brachte der Hof einfach nicht mehr genug ein. Eine Lösung musste her – aber welche?

Der Hof war Vaters Lebenswerk. Michaela wollte einfach nicht, dass er verkauft werden musste. Aber wenn sie es nicht taten und keine andere Lösung fanden, würde er eines Tages zwangsversteigert werden – und das wäre noch schlimmer als alles andere.

Michaela dachte auch an ihre Mutter. Sie war, seit sie vom Krankenhaus zurückgekehrt waren, völlig fertig mit den Nerven, weinte nahezu ununterbrochen. Sie hatte zwar geahnt, dass Probleme ins Haus standen, hatte aber nicht gewusst, wie schlimm es wirklich um den Hof stand. Ihr Mann hatte ja nie ernsthaft mit ihr über alles gesprochen.

Ein Glück, dass der Herr Pfarrer aus St. Johann da ist, dachte Michaela. Sie mochte Sebastian Trenker sehr und war froh, dass er jetzt gekommen war, um die Familie zu unterstützen. Im Augenblick sprach er mit Michaelas Mutter und versuchte, sie ein wenig zu beruhigen.

Noch einmal sah Michaela die Unterlagen durch. Als gelernte Hotelkauffrau kannte sie sich auch mit kaufmännischen Dingen aus, aber es bedurfte keines großen Wissens, um zu sehen, wie aussichtslos die Lage wirklich war.

Hätt’ der Vater doch bloß eher schon mal mit jemandem über seine Probleme gesprochen, dachte Michaela und stand auf. Sie brauchte jetzt einfach ein bisschen frische Luft, musste sich etwas die Beine vertreten.

Und da war sie nicht die Einzige, wie sie feststellte, als sie wenige Minuten später draußen vor dem Wohnhaus stand.

»Na, Michaela, haben S’ sich die Unterlagen Ihres Vaters durchgesehen?«, fragte Sebastian Trenker, der ebenfalls draußen stand und den Abend genoss. Es war schon dunkel, der Mond schien, und am Himmel funkelten die Sterne.

Michaela winkte ab. »Hab’ ich. Aber gut scheint’s wirklich net auszusehen. Wie geht’s denn meiner Mutter?«

»Die schläft im Moment. Ich hab’ in Ruhe mit ihr gesprochen und ihr klarzumachen versucht, dass es für alles eine Lösung gibt. Sie hofft sehr darauf, dass Ihnen etwas einfällt.«

»Oje.« Michaela seufzte. »Hoffentlich muss ich s’ da net enttäuschen. Wunder kann ich nämlich auch keine vollbringen.«

»Ja, wer kann das schon?« Der Pfarrer nickte. »Am besten hören S’ sich morgen erst einmal an, was der Herr von dem Bauunternehmen zu sagen hat. Danach können S’ ja dann weitersehen.«

»Sicher. Wobei ich dieses Gespräch am liebsten absagen würde. Ehrlich g’sagt, hab’ ich keine Ahnung, wieso Vater es net einfach verschiebt. Warum will er unbedingt, dass ich mit diesem Herrn Hofstädter von dem Bauunternehmen sprech’? Nur weil ich ein bisserl kaufmännische Erfahrung hab’? Das reicht doch nie und nimmer aus!«

»Wahrscheinlich möcht’ er die ganze Angelegenheit einfach nimmer länger aufschieben«, vermutete der Pfarrer. »Und ich weiß, dass Ihr Vater großes Vertrauen in Sie setzt, darauf können S’ sich was einbilden.« Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. »Also machen S’ sich net verrückt und lassen S’ es einfach auf sich zukommen. Und wenn S’ Hilfe brauchen, können S’ sich gern jederzeit an mich wenden, in Ordnung?«

Michaela nickte. »In Ordnung«, sagte sie, wandte sich ab und ging wieder aufs Haus zu. Kurz bevor sie hineinging, drehte sie sich noch einmal um. »Und dank’ schön, Herr Pfarrer.«

*

Am nächsten Tag saß Michaela schon früh im kleinen Arbeitszimmer ihres Vaters am Schreibtisch und sah sich zum wiederholten Male alle Unterlagen durch, die den Hof betrafen.

Verzweifelt versuchte sie, Ordnung ins Chaos zu bringen und sich einen genauen Überblick über die finanzielle Situation zu schaffen, doch das war gar nicht so einfach.

Hinzu kam, dass sie im Augenblick viel zu nervös war, um sich richtig konzentrieren zu können, denn das Gespräch mit dem Herrn von dem Bauunternehmen stand kurz bevor. Um elf wollte er hier sein, jetzt war es schon kurz nach zehn. Und bevor sie ihn empfangen konnte, musste sie zumindest noch den Schreibtisch aufräumen.

Beinahe ununterbrochen überlegte Michaela im Stillen, wie das bevorstehende Gespräch wohl ablaufen würde. Klar war, dass dieser Herr Hofstädter, so der Name des Mannes vom Bauunternehmen, ihr ein Angebot für den Hof ihres Vaters unterbreiten würde. Und klar war natürlich auch, dass dieses Angebot viel zu niedrig sein würde.

Denn natürlich wollte so ein Unternehmen immer alles zum niedrigsten Preis haben, das wusste ja jeder.

Und was würde sie, Michaela, tun? Sie würde natürlich ablehnen und den Mann heimschicken. Schließlich wollte sie nicht verkaufen. Sie wollte nicht, dass das Höfl in fremde Hände fiel.

Allerdings schien ihr Vater da inzwischen ganz anders zu denken, er hatte ihr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nicht einfach ablehnen durfte, sofern es keine andere Möglichkeit als einen Verkauf mehr gab.

Und seiner Meinung nach gab es diese Möglichkeit eben nicht.

Und dennoch – Michaela war nicht bereit, so schnell aufzugeben. Sie liebte den Hof, sie war hier aufgewachsen und verband ihre ganze Kindheit mit dem Anwesen. All die vielen Erinnerungen… Nein, sie musste einen anderen Weg finden. Bloß welchen?

Michaela hatte keine Ahnung. Und deshalb brauchte sie Zeit. Zeit, um eine andere Lösung für das Problem zu finden. Aber war das überhaupt möglich? Was, wenn…

»Kind?«, riss die Stimme ihrer Mutter sie aus ihren Gedanken. »Der Herr von der Bauunternehmung ist jetzt da, soll ich ihn reinschicken?«

Erschrocken blickte Michaela auf, als ihre Mutter den Kopf durch die halb geöffnete Tür ins Arbeitszimmer steckte. Hastig warf sie einen Blick auf die Uhr. Es waren doch noch knapp zwanzig Minuten hin bis zum vereinbarten Termin!

»Wieso ist der denn so früh dran?«, fragte sie murmelnd, dann schüttelte sie den Kopf und winkte ab. »Ist schon gut, Mutter. Sag’ ihm einfach, er soll reinkommen.«

Die ältere Frau nickte und verschwand sogleich wieder. Michaela beugte sich vor und tat so, als studierte sie einige Unterlagen. Der Grund, warum dieser Herr Hofstädter so früh auftauchte, war nicht schwer zu erraten: Es handelte sich um eine Überfalltaktik. Wahrscheinlich hoffte er, Michaela durch sein verfrühtes Auftauchen aus dem Konzept zu bringen und dadurch gleich die Fäden in der Hand zu halten.

Aber da hatte er sich getäuscht, so einfach würde sie es ihm ganz sicher nicht machen.

»Kommen S’ herein und nehmen S’ schon mal Platz«, sagte Michaela betont kühn und ohne aufzublicken, als sie hörte, wie jemand das Büro betrat. Verkrampft tat sie weiter so, als studierte sie die Unterlagen vor sich auf dem Tisch. »Entschuldigen S’, aber so früh hab’ ich Sie halt net erwartet, daher werden S’ sich noch ein Weilchen gedulden müssen.«

»Aber das ist doch überhaupt kein Problem«, erklang plötzlich eine vertraute Stimme, und Michaela fiel vor Schreck die Kinnlade herunter. »Was macht denn eigentlich Ihr Wagen?«, fragte der Mann. »Läuft er noch?«

Michaela blickte auf, und ihre Augen weiteten sich. Unfassbar! »Sie?«

Der Mann, der ihr gestern mit dem Wagen geholfen hatte, stand vor ihr und grinste frech. »Ich darf mich vorstellen?« Er hielt ihr die Hand über die Schreibtischplatte hinweg hin. »Mein Name ist Karsten Hofstädter. Es ist mir wirklich eine Freude, Sie wiederzusehen.«

*

»Ihr Herr Vater hat mir natürlich bereits mitgeteilt, dass ich nun mit Ihnen verhandeln werde«, sagte Karsten Hofstädter, nachdem er Platz genommen hatte.

Michaela war noch immer wie vor den Kopf gestoßen. Mit allem hatte sie gerechnet, aber nicht damit, dass es sich bei Karsten Hofstädter ausgerechnet um den Mann handelte, der ihr bei der Autopanne geholfen hatte.

Und die Sache gefiel ihr nicht. Schon jetzt spürte sie wieder, wie es Karsten Hofstädter allein durch seine Anwesenheit gelang, ihren Puls zum Rasen zu bringen. Die Wirkung, die er auf sie ausübte, war einfach unglaublich.

»Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich seine Erkrankung sehr bedaure«, fuhr er fort. »Ich hoffe, dass er bald wieder ganz gesund wird.«

Michaela nickte, dann winkte sie ab. »Ich denke, wir sollten jetzt zum geschäftlichen Teil kommen«, sagte sie. »Ich kann es mir nicht leisten, den halben Tag um den heißen Brei herumzureden. Also, was wollen Sie?«

Karsten Hofstädter lächelte. »Eines muss man Ihnen lassen, Sie kommen gleich zur Sache. Aber das gefällt mir, alles andere wäre auch bloße Zeitverschwendung. Also gut, dann sollten wir aufs Wesentliche kommen: Ihr Vater hat uns ja um ein Angebot für seinen Hof gebeten und…«

»Einen Moment mal«, fiel Michaela ihm ins Wort. »Mein Vater hat bestimmt niemanden um ein Angebot gebeten. Soweit ich weiß, sind Sie auf ihn zugekommen. Aber schlussendlich ist das auch völlig gleichgültig. Wir wissen beide, weshalb Sie hier sind. Also – wie lautet Ihr Angebot?«

Karsten Hofstädter nannte ihr die Summe, die sein Auftraggeber – also die Firma, für die er arbeitete – zu zahlen bereit war, und Michaela glaubte, sich verhört zu haben.

»Das ist jetzt aber net Ihr Ernst, oder?« Entschieden schüttelte sie den Kopf. »Nein, das muss ein schlechter Scherz sein. Der Hof ist mindestens das Doppelte, wenn nicht das Dreifache wert!«

Karsten Hofstädter schüttelte bedauernd den Kopf. »Das mag sicher einmal der Fall gewesen sein, aber das ist lang her. Heute ist das Anwesen leider längst nimmer so viel wert. So wie die Dinge heute liegen… Schauen S’, ich…«

»Kommt net in Frage!« Entschieden schüttelte Michaela den Kopf.

Karsten Hofstädter blickte sie irritiert an. »Wie bitte? Was meinen S’?«

»Sie haben mich schon recht verstanden. Richten S’ Ihrem feinen Chef bitt’ schön aus, dass ich sein Angebot im Namen meines Vaters ablehne. Und jetzt entschuldigen S’ mich bitte, ich hab’ noch zu tun.«

»’s tut mir leid, aber damit kann ich mich net so einfach zufriedengeben«, erwiderte Karsten Hofstädter, der zwar überrascht wirkte, aber weiterhin gelassen blieb.

»Ach«, Michaela lachte, »und was wollen S’ stattdessen tun? Ich mein’, korrigieren S’ mich bitte, wenn ich falsch liege, aber wenn ich Ihr Angebot ablehnte, ist die Sache ja wohl für Sie gelaufen.«

»Net ganz. Mein eigentlicher Verhandlungspartner sind nämlich net Sie, sondern Ihr Herr Vater. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte Ihren Einsatz keinesfalls abwerten. Aber Sie sind eben doch nur eine kurzzeitige Vertretung. Und solange ich net von Ihrem Vater persönlich hör’, dass es zu keinem Verkauf kommen wird, sehe ich meine Aufgabe als nicht erledigt an.«

Verdutzt sah Michaela ihn an. »Ach, und was wollen S’ jetzt noch von mir?«

»Sie um einen zweiten Gesprächstermin bitten.«

»Einen zweiten Termin? Und was soll das bringen?«

»Nun, sehen Sie, leider ist heute net alles so gelaufen, wie wir beide uns das vorgestellt haben, was sicher an der Feststellung liegt, dass wir uns ja gestern bereits kennen lernen durften, und der damit verbundenen Überraschung. Ich würde es also begrüßen, wenn wir uns noch einmal in aller Ruhe unterhalten könnten, und zwar nicht zwangsläufig über einen möglichen Verkauf. Schauen S’, mich interessieren Ihre Pläne auch. Ich frage mich, wie Sie den Hof Ihres Vaters retten wollen. Also, was meinen S’? Morgen um dieselbe Zeit? Vielleicht draußen vor dem Hof? Ich find’, an der frischen Luft lässt’s sich doch viel besser reden. Einverstanden?«

Er lächelte ihr zu, und Michaela konnte nichts mehr tun außer zu nicken.

»Einverstanden«, sagte sie, und Karsten Hofstädter verabschiedete sich. Er hatte kaum das Zimmer verlassen, als Michaela sich verwundert fragte, was bloß in sie gefahren war, sich erneut mit diesem Kerl zu treffen. Von ihrer Seite gab es schließlich nichts mehr zu bereden. Und doch hatte sie nicht nein sagen können.

Wie auch, bei diesen Augen?

*

»Und? Wie ist’s gelaufen?« Aufgeregt sah die Bender-Rosi ihre Tochter an, als die kurze Zeit später in die Küche kam und sich an den Tisch setzte. Pfarrer Trenker war auch da.

Michaela winkte ab. »Ach, da gibt’s net viel zu sagen«, antwortete sie seufzend. »Wir sind auf keinen gemeinsamen Nenner gekommen.«

»Also hat sich nix ergeben?«, erkundigte Sebastian Trenker sich.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, aber wir wollen morgen noch einmal in aller Ruhe über die ganze Angelegenheit sprechen. Vielleicht ergibt sich ja dann etwas. Obwohl ich mir net vorstellen kann, dass ich einem Verkauf zustimmen könnt’.«

»Es wär’ auch furchtbar«, nickte die Bender-Rosi. »Aber der Ludwig hat g’sagt, dass uns nix anderes übrig bleiben wird. Und er will auf gar keinen Fall, dass das Höfl hinterher noch zwangsversteigert werden muss. Ich glaub’, das würd’ er net überstehen.«

»Ich weiß.« Michaela seufzte. Ihr wurde immer klarer, dass ihre ablehnende Haltung einem Verkauf gegenüber sie alle kein Stück weiterbrachte. Sie wusste nämlich genau, dass ihre Mutter Recht hatte. Sollte es hinterher noch zu einer Zwangsversteigerung kommen, würde Vater sich davon nie erholen. Das wäre das Schlimmste für ihn, und nur deshalb zog er es ja überhaupt in Betracht, den Hof zu verkaufen.

Im Grunde blieb ihr also nur eine einzige Möglichkeit, einen Verkauf zu verhindern: Sie musste zusehen, dass der Hof aus seiner finanziellen Misere herauskam, und zwar schleunigst.

Bloß hatte sie nicht die leiseste Ahnung, wie sie das anstellen sollte.

*

Resigniert kehrte Michaela am Vormittag des nächsten Tages aus dem Ort zurück. Sie hatte gestern noch kurzfristig einen Termin mit dem Kundenberater der Bank gemacht, bei dem ihr Vater seine Konten laufen hatte.

Leider war das Gespräch gar nicht so verlaufen, wie sie es sich erhofft hatte.

Auch Sebastian Trenker entging nicht, wie niedergeschlagen die Michaela war, als sie nun auf das Wohnhaus zuging. Der Pfarrer war gerade dabei, den Zaun zu reparieren, der das Gelände umgab.

»Na, sind Sie jetzt unter die Handwerker gegangen, Herr Pfarrer?«, fragte Michaela lächelnd.

Auch der Pfarrer lachte. »Na, das net grad. Aber Ihre Mutter hat mir gesagt, dass Ihr Vater den Zaun schon längst hat reparieren wollen. Na, und ich bin schließlich net hier, um die Hände in den Schoß zu legen, net wahr?«

Dankbar blickte Michaela ihn an. »Ich bin froh, dass Sie hier sind und uns unterstützen, Herr Pfarrer. Haben S’ vielen Dank für alles.«

Er nickte. »Schon recht. Aber jetzt sagen S’ doch mal: Haben S’ bei der Bank was erreichen können? Wenn ich mir anschau’, wie bekümmert Sie dreinblicken, wohl eher net, was?«

»Leider. Ich mein’, dass ein neuer Kredit oder so was net drin ist, das war mir ja von vornherein klar. Aber ich hatte halt g’hofft, dass die Bank uns wenigstens bei den laufenden Krediten entgegenkommen könnte und uns die Raten erst einmal stundet. Aber leider ist da nix zu machen.«

Nachdenklich nickte der Pfarrer. »Das war wahrscheinlich zu erwarten gewesen. Die Bank will natürlich auch ihr Geld zurück, und wenn die Leute da erstmal sehen, dass es Probleme mit der Rückzahlung gibt, ist’s rasch vorbei mit dem Entgegenkommen.«

»Genauso ist’s.« Michaela seufzte. »Wenn ich nur einen anderen Ausweg wüsste. Aber wie’s ausschaut, werd’ ich erst noch einmal mit dem Herrn Hofstädter sprechen müssen. Er kommt ja nachher noch einmal vorbei.«

»Viel Glück dabei«, sagte der Pfarrer. »Ich werd’ übrigens nachher einmal mit Ihrer Mutter zum Ludwig ins Krankenhaus fahren. Ich kann ja auch noch einmal mit ihm sprechen, um herauszuhören, wie sehr ihn ein Verkauf des Höfls wirklich mitnehmen würde.«

»Ja, das wär’ sicher net verkehrt. Obwohl ich sicher bin, dass es ihn sehr mitnehmen würde.«

»Ja, das denke ich auch, immerhin hat er alles eigenhändig aufgebaut. Und wenn ihr einen guten Preis erzielt, könnt’ der Ludwig vielleicht noch einmal etwas anderes aufbauen, aber so ein Neuanfang ist sicher net einfach. Vor allem, weil er ja auch net mehr der Jüngste ist, und gesundheitlich angeschlagen ist er ja noch dazu.«

»Da haben S’ sicher auch Recht. Und wenn er das Höfl verkaufen würd’, wär’ er zumindest die Schulden los und könnt’ mit meiner Mutter einen ruhigen Lebensabend verbringen. Aber trotzdem…, ich kann das net so einfach entscheiden, ich kann ihm nur zu einem Verkauf raten, wenn ich sicher sein kann, sonst alles versucht zu haben.«

Sebastian Trenker nickte ihr aufmunternd zu. »Und ich bin sicher, dass Sie Ihre Sache recht gut machen werden. Der Ludwig kann stolz auf seine Tochter sein.

»Dank’ schön, Herr Pfarrer.« Rasch wandte Michaela sich ab, sonst wären ihr hinterher noch die Tränen gekommen.

*

Zwei Stunden später wunderte Michaela sich über sich selbst. Sie war aufgeregt, richtig nervös. Und warum? Weil es jetzt nur noch wenige Minuten dauern konnte, bis der Karsten Hofstädter auftauchen würde, um sie zum vereinbarten Spaziergang abzuholen.

Aber warum machte sie dieses bevorstehende Treffen so nervös? Es ging hier doch einzig und allein um einen geschäftlichen Termin – oder vielleicht doch nicht? War da doch mehr, was Michaela sich nicht eingestehen wollte?

Sie konnte nicht abstreiten, dass dieser Karsten Hofstädter sie von Anfang an beeindruckt hatte. Im Grunde kein Wunder, gut aussehend wie er war. Aber hatte sie sich nicht einmal fest vorgenommen, vorerst die Finger von Männern zu lassen? Nach der Sache mit dem Andreas…

Sie schüttelte den Kopf, so als könne sie die Geister der Vergangenheit damit verjagen. Dann hörte sie ein Auto vorfahren und warf einen kurzen Blick aus dem Fenster. Sie erkannte den Sportwagen sofort.

Er gehörte Karsten Hofstädter.

Sofort spürte Michaela, wie ihr Herz schneller schlug, und am liebsten hätte sie sich selbst geohrfeigt. Was war denn bloß mit ihr los?

Sie beeilte sich, das Haus zu verlassen. Draußen war Karsten Hofstädter bereits aus seinem Wagen gestiegen und kam jetzt auf sie zu.

Er lächelte. »Grüß Gott«, sagte er freundlich und deutete zum Himmel. »Na, da haben wir aber ein herrliches Wetter für unseren kleinen Ausflug, meinen S’ net auch?«

Michaela nickte. Es stimmte in der Tat, was er sagte: Die Sonne schien schon den ganzen Tag, am hellblauen Himmel war kaum mal ein Wölkchen zu erblicken, und es war absolut windstill. Die Vögel zwitscherten um die Wette, und sogar die herumstreunenden Katzen ließen sich die Sonne auf die Pelze scheinen.

Es war wirklich herrlich.

»Und, was meinen S’?«, fragte Karsten Hofstädter. »Wollen S’ mir ein bisschen den Hof und die Umgebung zeigen? Ich kenn’ mich hier ja gar net aus.«

Na, das wird sich dann ja gleich ändern.« Michaela lachte, aber nur, um sich gleich im nächsten Moment zu ermahnen: Vorsicht, sagte sie sich, es geht hier nur um eine geschäftliche Unterhaltung.

*

»Also, jetzt haben S’ den Hof und die Umgebung gesehen«, sagte Michaela lächelnd. »Und, was sagen S’?«

Karsten Hofstädter machte eine alles umfassende Handbewegung. »Was soll ich dazu schon sagen? Es ist einfach ein Traum. Wirklich, das ist kein Vergleich zu München, wo ich ja herkam und wo Sie schon in einen Park gehen müssen, um mal ein wenig abzuschalten. Das Leben hier muss einfach herrlich sein.«

»Ist es auch, das können S’ mir glauben.«

»Und warum sind Sie dann in die Stadt gegangen?«, wollte Karsten wissen.

Überrascht sah Michaela ihn an. »Darf ich fragen, woher Sie…« Dann nickte sie wissend. »Ach, lassen S’ mich raten, mein Vater hat’s Ihnen gesagt, stimmt’s?«

»Stimmt. Er hat mir erzählt, dass S’ mit achtzehn in die Stadt sind und dort eine Lehre zur Hotelkauffrau gemacht haben.«

»Ja, damals wollt’ ich weg aus Pertenried, das ist richtig. Es war irgendwie der Duft der großen weiten Welt, der mich gereizt hat. Ich hab’ geglaubt, nur in der Stadt mein Glück finden zu können.«

»Und? Hat sich Ihre Entscheidung als richtig erwiesen?«

Nachdenklich hob Michaela die Schultern. »Einige Zeit hab’ ich’s geglaubt, ja. Aber heute denk’ ich, ’s war ein Trugschluss. In der letzten Zeit ging bei mir alles drunter und drüber, und in der Stadt ist alles so hektisch… Als ich dann wieder nach Pertenried kam, hab’ ich mich gleich daheim gefühlt, und mir wurde klar, wie unwahrscheinlich schön hier alles ist. Die Natur, die Ruhe und der Frieden… Doch, ich hab’ das alles sehr vermisst. Und wenn ich genauer darüber nachdenk’, wünscht’ ich jetzt sogar, damals net fortgegangen zu sein.«

»Ja, wir alle tun Dinge, die wir hinterher bereuen.« Kurz verdunkelte sich seine Miene. »Andererseits: Wären S’ damals net fortgegangen, würden Sie sich heute vermutlich die ganze Zeit über fragen, wie das Leben in der Großstadt wäre. Und ich glaub’, der Gedanke, etwas verpasst zu haben, ist noch schlimmer, als etwas zu tun, was man hinterher bereut.«

Michaela dachte kurz über seine Worte nach, dann nickte sie. »Da haben S’ auch wieder Recht.« Sie lächelte und stellte fest, dass Karsten nicht nur verteufelt gut aussah, sondern auch ein Mann war, mit dem man reden konnte. Bei ihm hatte sie das Gefühl, verstanden zu werden – ein Gefühl, das sie noch bei keinem Mann zuvor gehabt hatte.

»Und Sie?«, fragte sie rasch, um nicht immer nur von sich zu sprechen. »Was gibt es denn über Sie so zu erfahren?«

Er winkte ab. »Ach, ich fürcht’, da muss ich Sie enttäuschen. Im Grunde führe ich ein recht langweiliges Leben. Eigentlich geht’s darin nur um die Arbeit.«

Michaela senkte den Blick. »Da sind wir dann auch gleich beim Thema, net wahr? Schließlich haben wir uns net zum Vergnügen getroffen.«

»Da haben S’ Recht. Leider. Aber sagen S’, wollen Sie Ihre Entscheidung net doch noch einmal überdenken? Ich hab’ mir ja grad ein recht gutes Bild vom Zustand des Hofes machen wollen, und ich…«

»Auf keinen Fall!«, unterbrach Michaela ihn sofort. »Ein Verkauf des Hofes kommt net in Frage.« Sie atmete tief durch. »Jedenfalls net zu Ihren Konditionen«, fügte sie eine Spur leiser hinzu.

»Es tut mir leid, aber ich denke net, dass mein Chef bereit sein wird, mehr für den Hof zu bezahlen. Es…«

»Dann kann er aber auch von mir net erwarten, dass ich auf

sein Angebot eingehe. Es gibt schließlich mehr als genug Interessenten!«

Einen Augenblick herrschte Stille, dann lächelte Karsten. »Entschuldigen S’, aber das entspricht wohl kaum der Wahrheit. Sehen S’, in meiner Branche ist es ungeheuer wichtig, sich zu informieren. Das habe ich auch getan, und daher weiß ich, dass es derzeit keinen weiteren Kaufinteressenten gibt. Und ehrlich gesagt, verstehe ich auch net, warum S’ sich sosehr für den Hof einsetzen. Ich mein’, Sie leben doch ohnehin net mehr hier. Wenn die Sache erledigt ist, werden S’ zurück in die Stadt gehen und dort Ihr Leben weiterleben. Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, sollten S’ vorher zusehen, dass Sie den Hof verkauft kriegen, damit Ihre Eltern sich einen recht schönen Lebensabend von dem Erlös machen können. Was bringt es denn…«

»Ach, Sie!«, fuhr Michaela ihn an. »Sie haben doch überhaupt keine Ahnung vom Leben! Ihr Geschäftsleute seid doch alle gleich. Euch geht’s nur ums Geld. Aber es gibt Dinge im Leben, die wichtiger sind als Geld, wissen S’? Der Hof ist das Lebenswerk meines Vaters, es würde ihm das Herz brechen, das alles zu verkaufen, auch wenn er selbst weiß, dass es wahrscheinlich net anders geht. Aber ich bin mir da noch net so sicher. Vielleicht gibt es ja doch einen Weg, das Lebenswerk meines Vaters zu erhalten. Und sollten wir doch verkaufen müssen, dann ganz sicher net für einen

Apfel und ein Ei! Und jetzt entschuldigen S’ mich bitte, ich muss zurück zum Hof. Es gibt noch viel zu tun.«

Brüsk wandte sie sich ab und wollte gerade davonstapfen, als Karsten sie zurückhielt. Sachte schloss sich seine Hand um ihren rechten Arm. »So warten S’ doch«, sagte er, »ich wollt’ Sie net verärgern.«

Sie drehte sich wieder zu ihm um. »Das fällt Ihnen aber reichlich spät ein«, sagte sie bissig.

»Hören S’«, er atmete tief durch, »ich seh’ ja ein, dass ich mich danebenbenommen hab’. Wie ich seh, bedeutet Ihnen der Hof sehr viel. Ich hätt’ net einfach so daherreden sollen. Das war ein Fehler. Und deshalb möcht’ ich mich gern bei Ihnen entschuldigen. Mit einem Abendessen.«

»Einem Abendessen?« Michaela riss die Augen auf. Das hatte ihr gerade noch gefehlt.

Er nickte. »Ich wohne ja derzeit unten im Dorf in einer kleinen Pension, und ich hab’ gesehen, dass ’s auf der Straße ein hübsches kleines Restaurant gibt. Nichts Besonderes, aber es sah recht nett aus. Nun, was meinen S’?«

»Ehrlich gesagt, wüsst’ ich net, warum ich mit Ihnen in ein Restaurant gehen sollte.«

»Wie schon gesagt: Ich würd’ mich mit dieser kleinen Geste gern bei Ihnen entschuldigen. Und es wäre mir eine große Freude, wenn Sie diese Entschuldigung annehmen würden.«

Michaelas Gedanken rasten. Sie wusste, eigentlich wäre es das Bes­te, was sie machen konnte, die Einladung auszuschlagen. Dieser Mann wollte sie doch bloß weichklopfen. Er wollte, dass sie einem Verkauf zustimmte, und zwar zu den Konditionen seines Arbeitgebers.

Und das war Grund genug, sich nicht weiter mit ihm abzugeben.

Andererseits fühlte sie sich aber auch so unglaublich wohl in seiner Nähe. Er gab ihr ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit.

Und er war unglaublich attraktiv.

»Also schön«, sagte sie und fragte sich zugleich, ob sie gerade wirklich dabei war, diese Worte auszusprechen, »ich nehme Ihre Einladung an.«

*

»Du gehst noch weg?«, fragte die Bender-Rosi erstaunt, als ihre Tochter am Abend Anstalten machte, das Haus zu verlassen.

Michaela nickte. »Ja, ich hab’ noch eine Verabredung«, sagte sie und bereute ihre Worte auch schon wieder, kaum, dass sie sie ausgesprochen hatte.

»Eine Verabredung?«, hakte ihre Mutter erstaunt nach. »Aber mit wem denn?«

»Ach, nur mit jemandem aus dem Ort, den ich noch von früher kenne. Wir wollen ein bisserl über alte Zeiten plaudern. So, ich muss jetzt aber auch wirklich los.«

Beinahe fluchtartig verließ sie das Haus. Dabei dachte sie darüber nach, warum sie ihrer Mutter nicht die Wahrheit gesagt hatte, aber das lag ja eigentlich auf der Hand. Welchen Eindruck würde es schließlich machen, wenn ihre Mutter hörte, dass ihre Tochter eine Verabredung mit dem Mann hatte, der dem Vater den Hof abluchsen wollte?

Nein. Michaela schüttelte den Kopf. Das brauchte ihre Mutter wirklich nicht zu wissen.

Draußen stieg sie in ihren Wagen und fuhr hinunter zum Dorf. Karsten hätte sie auch abgeholt, aber Michaela hatte darauf bestanden, sich vor dem Lokal zu treffen. Und zwar aus genau den Gründen, über die sie eben nachgedacht hatte.

Die Fahrt dauerte nicht lange, bis zum Ort war es ja nur ein Katzensprung. Doch die ganze Zeit über fragte Michaela sich, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, Karstens Einladung anzunehmen.

Wahrscheinlich nicht, sagte sie sich nachdenklich. Aber jetzt ist es nicht mehr zu ändern.

Sie erreichte das Restaurant und stoppte den Wagen auf der gegenüber liegenden Straßenseite. Als sie auf das Restaurant zuging, erblickte sie Karsten, der bereits vor der Tür wartete.

Er lächelte. »Das freut mich aber wirklich, dass Sie gekommen sind. Einen Tisch hab’ ich für uns bereits reserviert. Auf der Terrasse, wenn’s Ihnen recht ist. Der Abend ist ja sehr angenehm.«

»Gern.« Michaela nickte, und gemeinsam betraten sie das Restaurant. Der Kellner führte sie zu ihrem Tisch hinaus auf die Terrasse, erkundigte sich nach ihren Getränkewünschen und überreichte ihnen die Speisekarten.

Während sie die Karte studierte, atmete Michaela tief durch. Es war wirklich ein sehr angenehmer Abend. Immer noch warm, gleichzeitig aber sorgte ein laues Lüftchen von den Bergen her dafür, dass es nicht drückend wurde. Vögel zwitscherten, und langsam legte sich die Dämmerung über das Land.

Der Kellner brachte den Champagner, den Karsten bestellt hatte, und nahm die Bestellungen auf.

»Nun, dann stoßen wir einmal an, was meinen S’?«, sagte Karsten, und kurz darauf klirrten die Gläser.

Michaela nahm nur einen Schluck. »Meinen S’ net, der Champagner ist etwas übertrieben?«, erkundigte sie sich.

»Ach was.« Er schüttelte den Kopf. »Sicher, oft trinke ich so etwas auch net, aber zur Feier des Tages darf das doch ruhig mal sein, oder finden S’ net?«

»Nun, ich weiß net so recht… Was gibt es denn Ihrer Meinung nach zu feiern?«

»Na, da fragen Sie noch? Also, für mich ist ein romantisches Dinner mit einer so bezaubernden Frau wie Ihnen jedenfalls Grund genug zur Freude.«

Michaela spürte, wie sie rot wurde und senkte verlegen den Blick. Gleichzeitig fragte sie sich jedoch, was Karsten mit diesem Abendessen wirklich bezweckte.

Das Essen wurde serviert, und Michaela fand, dass es einfach fabelhaft schmeckte. Auch der Champagner begann immer mehr, ihr zu munden, und nach dem ersten Glas – eine wirkliche Leistung für sie, die sonst sehr selten Alkohol trank – begann sie sich zu entspannen.

Es wurde ein sehr schöner Abend, Michaela genoss das Essen und die Unterhaltung mit Karsten. Sie sprachen über Gott und die Welt, und Michaela gefiel vor allem, dass Karsten nicht einer jener Männer war, die vor allem sich selbst gern reden hören. Im Gegenteil, er interessierte sich für das, was sie sagte, und war wirklich ein aufmerksamer Zuhörer.

»Was meinen S’, hätten S’ noch Lust auf einen kleinen Spaziergang?«, erkundigte er sich nach dem Essen. »Nach so einem fürstlichen Mahl tut so was immer ganz gut, wie ich find’.«

Zustimmend nickte Michaela. »Ja, da haben S’ wohl Recht. Ich bin jedenfalls so satt wie schon lang’ net mehr, ein bisserl Bewegung wird mir also sicher guttun.«

Karsten nickte und beglich beim Kellner die Rechnung. Dann verließen sie das Lokal.

Draußen hatte sich inzwischen die Dunkelheit über das Land gelegt, der fast volle Mond schien, und am klaren Himmel funkelten die Sterne miteinander um die Wette.

Sie gingen hinunter zu einem kleinen See; ein Platz, an dem es sich schön verweilen ließ. Hieran hatte Michaela viele Erinnerungen. Oft war sie früher als Jugendliche mit Freunden hier gewesen, vor allem natürlich im Sommer. Der See war ein beliebter Treffpunkt gewesen, und sicher verhielt es sich auch heute noch so.

Jetzt aber, am Abend, war kein Mensch hier.

Am Ufer des Sees standen zahlreiche uralte Birken, die tagsüber bei warmem Wetter angenehmen Schatten spendeten. Jetzt war die Luft erfüllt vom Zirpen der Grillen, ab und zu quakte ein Frosch, und der Schein des Mondes spiegelte sich auf der ruhigen Wasseroberfläche des Sees.

»Ein schöner Ort ist das hier«, stellte Karsten fest.

Michaela nickte. »Net wahr? Ich war hier früher schon immer recht gern. Tagsüber konnte man hier jede Menge Spaß mit anderen Jugendlichen haben, und abends, da war man meistens allein, war dies der perfekte Platz, um mal in aller Ruhe nachzudenken.«

»Ja, das kann ich mir vorstellen. Muss schön sein, einen solchen Platz zu haben.«

»Hatten Sie den denn nie?« Michaela sah ihn fragend an. »Ich mein’, auch in München gibt’s doch Plätze, an denen es ein bisserl ruhiger ist, oder net?«

»Doch, sicher. Aber ich hab’ mir halt nie die Zeit genommen, mal für mich zu sein und über so einiges nachzudenken. Für mich gab’s immer nur die Karriere, für was anderes war da kein Platz.«

»Ja, das kenne ich. So ähnlich ging’s mir die letzten Jahre auch.«

Sie sah ihn an, und in diesem Moment hatte sie nur noch den Wunsch, in seinen wundervollen blauen Augen zu versinken. Einen Augenblick herrschte Stille zwischen den beiden jungen Leuten, sie sahen sich nur an und schwiegen dabei.

Dann begann es plötzlich zu regnen.

»Oje«, sagte Michaela. Zwar hatten sie im Radio schon seit Tagen ein heftiges Unwetter angekündigt, dass es jetzt aber so überraschend kam, damit hätte sie dann doch nicht gerechnet. Eben war der Himmel doch noch sternenklar gewesen! »Jetzt werden wir wohl ganz schön nass, wie?«

»Komm schnell«, sagte er, nahm ihre Hand und zog Michaela mit sich. Die junge Frau verharrte kurz. Diese Berührung löste in ihr etwas aus, das es in ihrem ganzen Körper kribbeln ließ.

Karsten eilte mit ihr zu den Bäumen, die weiter hinten standen, dort konnten sie sich unterstellen. Doch während sie liefen, schüttete es bereits wie aus Eimern, und als sie den Unterschlupf endlich erreichten, waren sie doch schon ganz schön durchnässt.

*

Nebeneinander hockten die beiden sich auf den Boden, der im Schutz des Baumes trocken blieb, und sahen zu, wie es immer weiter regnete. Bald hatten sich überall große Pfützen gebildet, und die Luft roch nach Erde und Wasser.

Als Michaela plötzlich lachen musste, blickte Karsten irritiert zu ihr herüber. »Was ist denn daran so lustig?«, fragte er.

»Ich weiß selbst nicht«, antwortete Michaela, weiter amüsiert. »Irgendwie kommt mir das alles so unwirklich vor. Es erinnert mich an früher, als man einfach hin und wieder mal völlig verrückte Sachen gemacht hat. Als man halt noch net erwachsen war.«

Jetzt nickte Karsten, und auch über seine Lippen huschte ein Lächeln. »Ja, ich muss Ihnen Recht geben. Das hat was.«

Er sah sie einen Moment schweigend an, dann hob er seine rechte Hand und wischte ihr mit dem Zeigefinger die Regentropfen aus dem Gesicht. Ganz zärtlich, voller Gefühl.

Michaela stockte der Atem. Plötzlich war ihr, als liefe es heiß und kalt zugleich durch ihre Adern. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und ihr Atem ging stoßweise.

Tief sahen die beiden sich in die Augen. Keiner von ihnen war mehr fähig, auch nur ein Wort zu sagen. Sie saßen nur da und sahen sich an.

Dann zuckte ein Blitz vom Himmel und erhellte die Umgebung für einen winzigen Augenblick, und Michaela fuhr unwillkürlich zusammen.

»O nein«, stieß sie aus, »net auch das noch!«

Kaum dass sie die Worte ausgesprochen hatte, bereute sie sie aber auch schon wieder. Ja, sie hatte Angst vor Gewittern, und das schon seit frühester Kindheit. Aber jetzt ärgerte sie sich darüber, denn schließlich war sie längst kein Kind mehr, sondern eine erwachsene Frau! Was sollte der Karsten denn jetzt von ihr denken? Wahrscheinlich würde er sie auslachen.

Doch genau das tat er nicht. Stattdessen legte er ihr eine Hand auf die Schulter und sprach ihr beruhigend zu. »Keine Angst«, sagte er, »man soll sich zwar bei Gewittern net unter Bäumen aufhalten, aber dieses ist noch viel zu weit weg. Schauen S’, erst jetzt kommt der Donner.«

Es krachte gewaltig, und wieder zuckte Michaela unwillkürlich zusammen. Dennoch fühlte sie sich jetzt, nach Karstens Worten, schon viel besser.

Doch beim nächsten Blitz zuckte sie abermals zusammen – und dabei blieb es dieses Mal nicht. Schutz suchend schmiegte sie sich an Karsten, und der hielt sie fest, als wolle er sie nie wieder loslassen.

Michaelas Körper bebte in seinen starken Armen, in denen sie das Gefühl hatte, sich so sicher und geborgen wie nie zuvor in ihrem Leben zu fühlen. Ganz kurz noch keimten Zweifel auf, als Karstens Mund sich dem ihren näherte, aber Michaela ließ es nicht zu, dass sie die Oberhand gewannen, und scheuchte sie fort.

Ihre Lippen berührten sich, und Michaela schloss die Augen, vor denen plötzlich tausend Sterne zu explodieren schienen. Es war ein Feuerwerk der Sinne, und Michaela wünschte sich, dass dieser Augenblick nie vorüber ging.

*

Karsten dachte nicht mehr nach, folgte nur noch seinem Herzen. Als sich seine Lippen Michaelas Mund genähert hatten, hatte er noch kurz gezögert und sich gefragt, ob es das Richtige war, was er tat.

Aber jetzt, in diesem Augenblick der Zweisamkeit, waren da keine Fragen mehr. Denn wie konnte etwas falsch sein, das sich so gut und so richtig anfühlte?

Sanft küsste er Michaela und spürte, wie sie den Kuss genoss. Sie schmiegte sich noch enger an ihn, und nachdem sie seine Küsse zunächst nur zugelassen hatte, erwiderte sie sie nun auch.

Karsten hatte nur noch einen Wunsch: Er wünschte sich, dass dieser Augenblick nie verging. Wie lange war es her, dass er sich einer Frau so nah gefühlt hatte? Viel zu lange.

Doch sein Wunsch sollte sich nicht erfüllen, denn plötzlich und völlig unerwartet löste Michaela sich von ihm und wandte sich ab.

»Nein!«, rief sie aufgeregt. »Ich kann das net!«

Die Worte waren wie von allein aus Michaela herausgesprudelt. Jetzt sprang sie auf, und auch Kars­ten erhob sich.

»Bitte«, wiederholte sie. »Ich kann das net.«

Karsten hob abwehrend die Hände.

»’s tut mir leid«, sagte er. »Wenn ich etwas falsch gemacht habe, tut es mir ehrlich leid. Ich wollte net…«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein«, sagte sie, »du hast nix falsch gemacht. Ganz im Gegenteil, wenn, dann war es meine Schuld. Aber du musst verstehen, dass das einfach net geht. Und jetzt möcht’ ich gern nach Hause.«

»Natürlich.« Karsten nickte. »Wart’, ich bring’ dich zu deinem Wagen.«

Doch sie schüttelte den Kopf. »Net nötig, wirklich. Ich würd’ das Stück gern allein gehen.«

Mit diesen Worten fuhr sie auch schon herum und begann zu laufen. Jetzt endlich, da Karsten sie nicht mehr sehen konnte, ließ sie ihren Tränen, die sie die ganzen letzten Minuten seit dem Kuss unterdrückt hatte, freien Lauf.

Als sie einige Zeit später zu Hause in ihrem Zimmer war, kreisten Michaelas Gedanken unentwegt um den Kuss am See.

Wie hatte es dazu nur kommen können?, fragte sie sich immer wieder. Das hätte einfach nicht passieren dürfen!

Karsten Hofstädter war der Mann, der ihrem Vater im Auftrag seines Chefs den Hof wegnehmen wollte. Er war ihr Gegner, nicht ihr Freund und schon gar nicht ihr Geliebter!

Aber wie hatte es dann zu diesem Kuss kommen können?

Die Antwort war ernüchternd einfach: Weil Karsten Hofstädter nicht nur ihr Gegner, sondern auch gleichzeitig der attraktivste, charmanteste und aufmerksamste Mann war, dem sie je im Leben begegnet war.

Ein Mann, dem sie einfach nicht widerstehen konnte…

Trotzdem. Sie schüttelte den Kopf. Das hätte sie einfach nicht zulassen dürfen. Sie hatte sich doch fest vorgenommen, erst einmal die Finger von Männern zu lassen. Nach allem, was Andreas ihr angetan hatte, hätte sie ohnehin nicht geglaubt, so schnell wieder ihr Herz zu verlieren.

Und doch war es geschehen…

Aber war es das wirklich? Sicher, sie hatten sich geküsst, aber das bedeutete schließlich nicht zwangsläufig, dass Michaela sich verliebt haben musste. Und wenn sie jetzt genauer darüber nachdachte, wurde ihr klar, dass sie sich wahrscheinlich viel zu viele Sorgen gemacht hatte.

Karsten Hofstädter hatte sie geküsst, und sie hatte es zugelassen. So etwas konnte passieren. Aber mehr war da nicht. Jedenfalls hatte sie sich keineswegs in ihn verliebt.

Entschieden nickte Michaela. Genauso war es, und es gab keinen Grund, mehr in diese Sache zu interpretieren.

Dennoch konnte sie nichts dagegen tun, dass ihre Gedanken immer wieder zu Karsten wanderten.

Und selbst in ihre Träume schlich der gut aussehende Mann sich einige Zeit später.

*

Auch Karsten konnte nicht begreifen, was da vorhin am See vorgefallen war.

Er hatte die Michaela Bender geküsst, und das, obwohl er doch eigentlich nur rein geschäftlich mit ihr zu tun hatte. Was war denn bloß in ihn gefahren, so etwas zu tun?

Es war noch gar nicht so lange her, da war er von einer Frau, die er zu lieben geglaubt hatte, bitter enttäuscht worden. Damals hatte er sich geschworen, nie wieder Privates und Berufliches zu vermischen. So etwas musste man strikt trennen, sonst bekam man über kurz oder lang die Quittung.

Und kaum, dass er einer attraktiven Frau begegnete, sollte dieses Versprechen, das er sich selbst gegeben hatte, vergessen sein?

*

Als er die Pension erreichte, in der er untergekommen war, holte er sein Handy aus der Jackentasche und stellte fest, dass der Akku leer war. Rasch schloss er es zum Aufladen an die Steckdose an. Als sich das Telefon dabei wieder einschaltete, piepte es einige Male, das Zeichen dafür, dass sich eine Nachricht auf der Mailbox befand.

Seufzend hörte Karsten die Nachricht ab. Es waren sogar mehrere, aber alle stammten sie von ein und derselben Person, und zwar von Thomas Vetter, seinem Chef.

»Rufen S’ mich bitte umgehend auf meinem Mobiltelefon an«, lautete die letzte Nachricht. »Ganz egal, um welche Zeit!«

Das hat mir grad noch gefehlt. Karsten seufzte. Wenn sein Chef es so eilig hatte, konnte das nichts Gutes bedeuten, so viel stand fest. Doch es half alles nichts, da musste Karsten jetzt wohl oder übel durch.

Leicht nervös wählte er die Nummer seines Chefs, und der ging auch gleich nach dem ersten Tuten an den Apparat.

»Sagen S’ mal, warum melden S’ sich eigentlich net bei mir?«, wollte er wissen. »Den ganzen Tag hab’ ich auf Ihren Anruf gewartet, und Sie lassen nix von sich hören. Also, wie schaut’s aus in Sachen Bender-Hof?«

Karsten atmete tief durch. Sein Chef schien wirklich auf hundertachtzig zu sein, und jetzt hatte er, Karsten, nicht mal gute Nachrichten für ihn.

»’s tut mir leid, Herr Vetter«, sagte er, »aber leider scheint sich die Angelegenheit ein bisserl hinauszuzögern.«

»Was soll das heißen? Der alte Bender war doch schon so gut wie einverstanden mit einem Verkauf. Ich dacht’, es ging da nur noch um die Formalitäten.«

»Nun ja, im Grunde ist das auch richtig, aber wie Sie ja bereits wissen, liegt der Bender-Ludwig im Krankenhaus. Und jetzt hat er seine Tochter, die extra aus der Stadt hergekommen ist, mit seiner Vertretung betraut.«

»Und?«

»Also, wie’s im Moment aussieht, ist die Michaela Bender noch net überzeugt, was einen Verkauf angeht.«

»Noch net überzeugt?«, echote Thomas Vetter. »Was soll das heißen? Will sie etwa net verkaufen?«

»Doch, doch, schon«, erwiderte Karsten rasch. »Und selbst wenn net – sie wird schon bald einsehen müssen, dass ihr gar nix anderes übrig bleiben wird. Es ist halt nur so, dass die ganze Sache jetzt wahrscheinlich net so schnell wie erhofft über die Bühne gehen wird.«

»Ausgeschlossen«, gab sein Chef zurück. »Das kann ich so net akzeptieren. Hören S’: Ich kann net ewig warten. Ich habe Pläne mit dem Grundstück, die schon in vollem Gange sind. Also, entweder beeilen S’ sich damit, Ihren Job zu erledigen, Hofstädter, oder wir beide bekommen mächtig Ärger miteinander. Und von jetzt an erwarte ich, dass Sie mich über jeden Schritt, den Sie tun, auf dem Laufenden halten, verstanden?«

Ehe Karsten noch etwas erwidern konnte, vernahm er ein Klicken in der Leitung.

Thomas Vetter hatte das Gespräch beendet.

Na, wunderbar, dachte Karsten und warf sein Handy achtlos aufs Bett. Genau das hat mir noch gefehlt zu meinem Glück!

Andererseits – was war eigentlich so schlimm daran, dass sein Chef ihm jetzt die Pistole auf die Brust setzte? Im Grunde war es doch von Anfang an klar gewesen, dass er, Karsten, seinen Auftrag so schnell und gut wie möglich erledigen musste. So war das nun mal im Geschäftsleben. Und dass er die Michaela geküsst hatte, war allein seine Schuld gewesen. So etwas durfte halt nicht wieder passieren.

Karsten nickte. Genau das würde er auch nicht. Von jetzt an würde er Privates und Geschäftliches wieder strikt voneinander trennen, so, wie er es sich ohnehin vorgenommen hatte.

Und ab sofort würde er an diesen unsäglichen Vorfall keinen weiteren Gedanken mehr verschwenden. Stattdessen würde er seinen Auftrag ausführen, und zwar so schnell wie möglich.

Dann konnte er endlich wieder zurück nach München, und da würde er hoffentlich nicht mehr ständig an die Michaela denken müssen.

*

»Also, um eines gleich von vornherein klarzustellen«, sagte Michaela mit fester Stimme. Sie war gerade im Ort gewesen, um einige Besorgungen zu erledigen. Als sie jetzt wieder den Hof erreichte, war gerade auch der Karsten angekommen und aus seinem Wagen gestiegen. »Der gestrige Vorfall hat für mich keinerlei Bedeutung. Das ganze war nix weiter als ein dummer Ausrutscher.«

Karsten nickte. »Dann sind wir uns ja zumindest in dieser Hinsicht einig.«

»Wunderbar. Und was wollen S’ dann hier?«

Karsten lächelte. »Also, erst einmal fänd’ ich’s nach dem gestrigen Vorfall doch ein wenig befremdlich, wenn wir jetzt net beim Du bleiben würden. Was meinst’, Michaela, das tät’ doch niemandem weh, oder?«

»Wenn’s sein muss…« Michaela seufzte. »Also, was willst’ hier,

Karsten? Meiner Meinung nach haben wir nix mehr zu besprechen.«

»Nun, das sehe ich allerdings anders. Immerhin sind wir, was den Hof deines Vaters angeht, noch zu keiner Einigung gekommen.«

»Ganz recht, und ich sehe auch keinen Grund, warum sich daran etwas ändern sollte.«

»Aber warum bist d’ denn jetzt gleich so abweisend?« Karsten schenkte ihr ein Lächeln, und sofort spürte Michaela, wie ihr Herz wieder höher zu schlagen begann. Sie ärgerte sich über sich selbst. Was war bloß mit ihr los, dass ein einfaches Lächeln von Karsten so eine Wirkung auf sie haben konnte? »Ich mein’«, fuhr er fort, »im Grunde wissen wir beide doch, dass dein Vater den Hof net wird halten können. Und ehe es zu einer Zwangsversteigerung kommt, wär’ es doch das Beste für alle Beteiligten, eine bessere Lösung zu finden, oder meinst d’ net?«

»Ach, was du net sagst«, gab Michaela angriffslustig zurück. »Und lass mich raten – diese Lösung besteht deiner Meinung nach in einem Verkauf an deinen Chef, hab’ ich Recht?«

»Wenn du mich so fragst – ja, genauso sehe ich das.«

Michaela lachte abfällig. »Und was soll dann bitte schön an dieser Alternative besser sein?«, fragte sie. »Ich mein’, ich weiß zwar net, was dein Chef wirklich mit dem Höfl vorhat, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass er alles so lassen wird, wie es jetzt ist, oder? Wahrscheinlich will er den Hof dem Erdboden gleichmachen.« Lauernd blickte sie Karsten an. »Also sag schon endlich, was soll mit alldem hier geschehen, wenn mein Vater verkauft?«

»Nun, weißt du«, sagte Karsten zögernd, »eigentlich bin ich net befugt, dir nähere Auskünfte über die Pläne meines Chefs zu geben. So was ist nämlich eigentlich net üblich, und ich…«

»Tja, dann kannst d’ in der Tat gleich wieder gehen, denn dann haben wir wirklich nix mehr zu bereden. Also lass dir gesagt sein: Solange ich net weiß, was mit dem Hof nach einem eventuellen Verkauf geschehen soll, bin ich zu keinem weiteren Gespräch mehr bereit.«

Brüsk wollte Michaela sich abwenden und ins Wohnhaus gehen, doch Karsten hielt sie zurück.

»In Ordnung«, sagte er, »ich kann dich ja verstehen.«

»Na, das ist ja mal sehr erfreulich zu hören. Also, wie sehen die Pläne deines Chefs aus? Was soll mit dem Hof passieren?«

»Also, ich will ehrlich zu dir sein, Michaela«, sagte Karsten mit leiser Stimme. »Natürlich wird der Hof net so erhalten bleiben, wie du es dir wahrscheinlich wünschen würdest. Vielmehr ist geplant, ein Hotel auf diesem wunderbaren Gelände zu errichten.«

»Ein Hotel?« Ungläubig riss Michaela die Augen auf. »Das ist doch jetzt net dein Ernst, oder? So viele Touristen gibt’s hier doch gar net, dass sich das lohnen könnt’. Net mal die Pensionen in der Umgebung sind ständig ausgebucht.«

»Genau das soll sich ja durch das Vorhaben ändern. Es sollen exklusive Erholungsreisen für wohlhabende Kunden angeboten werden, und…«

»Ach, ein Luxushotel also?«, fiel Michaela ihm ins Wort. »Ein Hotel für die Reichen und Schönen. Na, dann ist ja alles klar. Aber in dem Fall gibt ’s zwischen uns beiden wirklich nix mehr zu bereden,

Karsten. Schau dich doch hier mal um, bitte. Das alles hat mein Vater mit seiner eigenen Hände Arbeit erschaffen. Er hat meiner Mutter und später mir ein Zuhause gegeben, ich bin hier aufgewachsen. Glaubst d’ denn wirklich, ich sehe einfach tatenlos dabei zu, wie das alles hier dem Erdboden gleichgemacht wird, damit hier ein Luxushotel errichtet werden kann? Sollen sich die Reichen doch woanders vom Nichtstun erholen!«

Michaela hatte sich so in Rage geredet, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Rasch wischte sie sie sich jetzt aus dem Gesicht und senkte den Blick.

Aber natürlich waren Karsten ihre Tränen nicht entgangen. »’s tut mir leid«, sagte er, und seiner Stimme nach zu urteilen, meinte er es ehrlich. »’s tut mir wirklich leid, Michaela, ich hätt’ nicht gedacht, dass…« Er schüttelte den Kopf. »Aber bitte überleg’ doch mal ehrlich, ob die Alternative besser wäre. Nach einer Zwangsversteigerung kannst’ schon gar net wissen, was mit dem Anwesen passiert, und in dem Fall kämen dein Vater und damit auch deine Mutter und auch du finanziell auf jeden Fall erheblich schlechter weg.«

»Meinst d’ vielleicht, das weiß ich net?« Michaela schüttelte den Kopf. »Ich weiß sehr wohl, wie es um den Hof steht und welche Konsequenzen eine Zwangsversteigerung hätte. Aber trotzdem bin ich nicht bereit, deinem Chef den Hof meines Vaters für einen Apfel und ein Ei zu verkaufen. Sicher, letztendlich kann das ohnehin nur mein Vater entscheiden, aber solange er mich mit seiner Vertretung betraut hat, bin ich es, die ja oder nein sagt. Und ehe ich überhaupt einem Verkauf zustimme, suche ich halt weiter nach einem Weg, den Hof zu erhalten.«

Karsten seufzte. »Aber meinst d’ denn net, dass das aussichtslos ist, Michaela. Es gibt nur die Möglichkeit, zu verkaufen. Für alles andere steht’s zu schlecht um den Hof.«

»Das lass mal meine Sorge sein«, gab sie bissig zurück. »Ich hab’ jedenfalls in meinem Leben bisher gelernt, dass es für alles eine Lösung gibt. Und jetzt entschuldige mich bitte, ich hab’ noch zu tun.«

Damit wandte sie sich von ihm ab und ging ins Haus.

*

»Nun machen S’ sich doch net solche Sorgen«, sprach Sebastian Trenker der Bender-Rosi gut zu. Sie saßen sich am Küchentisch gegenüber und tranken Kräutertee, den die Rosi soeben frisch aufgebrüht hatte. »Ihre Tochter wird das alles schon richten, da bin ich mir ganz sicher.«

Die ältere Frau sah den guten Hirten aus St. Johann dankbar an. »Ach, Herr Pfarrer«, sagte sie. »Ich wüsst’ gar net, was ich machen tät’, wenn S’ net so schnell hergekommen wären. Sie sind wirklich eine große Hilfe. Net nur, dass S’ anpacken, wo immer ’s was zu schaffen gibt, Sie schaffen’s auch immer wieder, mich aufzubauen. Wirklich, Herr Pfarrer, ohne Sie wüsst’ ich inzwischen gar net mehr weiter.«

Sebastian Trenker lächelte. »Da brauchen S’ sich wirklich net zu bedanken«, sagte er. »Im Gegenteil, ich bin doch froh, wenn ich mich ein bisserl nützlich machen kann, das bin ich allein dem Ludwig schon schuldig. Leider hatten wir in den letzten Jahren kaum noch Kontakt, das wissen S’ ja selbst, Frau Bender, aber der Ludwig ist wirklich ein feiner Kerl.«

In dem Moment kam die Michaela in die Küche. Sebastian entging nicht, dass sie völlig aufgelöst war.

»Was ist denn los, Kind?«, fragte die Rosi, die ebenfalls bemerkte, dass etwas nicht stimmte.

»Was los ist?«, erwiderte Michaela gereizt, ließ sich ebenfalls auf einen Stuhl am Küchentisch fallen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Dieser Karsten Hofstädter war eben wieder da, er lässt einfach net locker. Und jetzt weiß ich auch endlich, was sein Arbeitgeber mit dem Hof vorhat, für den Fall, dass der Vater an ihn verkauft.«

»Tatsächlich?«, fragte die Bender-Rosi. Gespannt sah sie ihre Tochter an. »Und? Was soll aus dem Hof werden, wenn der Ludwig verkauft?«

»Ein Luxushotel!« Michaela spie die Worte förmlich aus. »Kannst d’ dir das vorstellen, Mutter? Aus unserem schönen Hof soll ein riesiges Hotel werden, in dem die Reichsten der Reichen sich von Kopf bis Fuß verwöhnen lassen können. Aber net mit mir, das sag’ ich dir!«

»Jetzt bleiben S’ doch erstmal ganz ruhig, Michaela«, sprach Sebastian ihr beruhigend zu. »Schauen S’, dass dieses Unternehmen etwas vorhat mit dem Grundstück und net den Hof so lassen will, wie er ist, war doch eigentlich ganz klar, net wahr?«

Michaela nickte. »Sicher, ich bin ja auch net weltfremd. Welche Firma ist schon an einem Hof wie diesem hier interessiert? Aber trotzdem – ich mein’, der Vater hat das hier alles mit seiner eigenen Händ’ Arbeit aufgebaut. Da kann ich doch net einfach zulassen, dass der Hof dem Erdboden gleichgemacht wird.«

Bei ihren Worten schlug die Bender-Rosi die Hände über dem Kopf zusammen. »Mei, die Vorstellung ist ja wirklich schrecklich. Nie hätt’ ich dacht, dass unser Hof eines Tages mal abgerissen wird. Das hier ist doch unser Zuhause!«

Der Pfarrer legte der älteren Frau eine Hand auf die Schulter. »Nun malen S’ mal net gleich den Teufel an die Wand, Frau Bender«, sagte er. »Sicher, wenn der Hof tatsächlich verkauft werden muss, wird der Abschied net leichtfallen. Aber vielleicht gibt’s ja doch eine andere Möglichkeit, und selbst wenn nicht, wird’s trotzdem weitergehen hinterher.« Er wandte sich an Michaela. »Was die Verhandlungen angeht, werd’ ich Sie nicht weiter unterstützen können. Ich weiß aber inzwischen, dass dem Ludwig alles lieber ist als eine Zwangsversteigerung. Trotzdem würd’ ich Ihnen raten, das Ganze noch ein bisserl hinauszuzögern. Erstens könnten S’ dadurch bessere Konditionen herausschlagen, und zweitens ist’s ja auch immer möglich, dass noch ein weiterer Kaufinteressent hinzukommt. Das kann manchmal ganz schnell gehen.«

Michaela nickte. »Dank’ schön, Herr Pfarrer«, sagte sie. »Ich werde Ihren Rat mit Sicherheit befolgen.« Sie verengte die Augen zu Schlitzen. »Über den Tisch werd’ ich mich von dem Karsten Hofstädter auf jeden Fall ganz gewiss net ziehen lassen«, sagte sie, und aus ihren Worten sprach die pure Entschlossenheit.

*

Nach dem Gespräch mit Michaela hatte Karsten noch einige Zeit nachdenklich in seinem Wagen gesessen. Sicherlich war es nicht unbedingt eine gute Idee gewesen, von dem geplanten Luxushotel zu erzählen. Das hatte er eigentlich die ganze Zeit vermeiden wollen, aus Angst, Michaela damit nur noch mehr zu verschrecken. Andererseits: Irgendwann hatte er es ihr ohnehin sagen müssen, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass sie oder auch ihr Vater einen Vertrag unterschrieben hätten, ohne zu wissen, was aus dem Hof werden sollte.

Dennoch war ihm jetzt alles andere als wohl zumute, denn es war klar, dass Michaela einem Verkauf des Anwesens noch zwiespältiger gegenüberstand.

Aber das war es nicht mal, was ihm wirklich zu schaffen machte. In Wahrheit nämlich fragte er sich im Moment immer öfter, was er selber eigentlich wollte.

Hergekommen war er mit ganz klaren Vorstellungen: Er wollte den Auftrag, den er von seinem Chef bekommen hatte, zu dessen vollster Zufriedenheit ausführen, und zwar so schnell und so gut wie möglich.

Inzwischen aber fragte er sich, ob das moralisch überhaupt vertretbar für ihn war. Er hatte Michaela als eine Frau kennengelernt, die eisern für den Erhalt des Hofes kämpfte. Und zwar nicht aus irgendwelchen kommerziellen Gründen, sondern um das, was ihr Vater mit seiner eigenen Hände Arbeit aufgebaut hatte, zu erhalten. Sie wollte unbedingt erreichen, dass der Hof im Besitz ihres Vaters und damit der Familie blieb.

Karsten konnte nicht leugnen, dass er Michaela dafür insgeheim bewunderte. Es ging ihr nicht um Geld oder Materielles, sondern um ideelle Werte – und er fragte sich, ob er selbst jemals so gehandelt hätte.

Wahrscheinlich nicht, musste er sich selbst eingestehen, und er bedauerte dies. Unwillkürlich keimte die Frage in ihm auf, ob die Ziele, die er bisher in seinem Leben verfolgt hatte, immer so richtig gewesen waren.

Sein Beruf war ihm bislang über alles gegangen. Aber waren es nicht andere Dinge, die im Leben zählten?

Darüber dachte er jetzt nach, als er den Motor startete und Richtung Ort davonfuhr.

Als ihm etwa einen Kilometer später ein Wagen entgegenkam, stockte Karsten.

Bei dem Wagen handelte es sich um einen Sportwagen, der ein halbes Vermögen gekostet haben musste. Ganz obere Liga. So ein Luxusflitzer fiel in einer Gegend wie dieser natürlich sofort auf.

Aber es war nicht das Auto, das Karstens Interesse geweckt hatte. Nein, es war die Frau gewesen, die hinter dem Steuer des Wagens saß.

Sie war blond, stark geschminkt, attraktiv. Er hatte sie nur ganz kurz gesehen, aber doch lange genug, um sie zu erkennen.

Konnte es wirklich sein, dass sie hier war? Karsten schüttelte den Kopf. Nein, ausgeschlossen! Was sollte sie hier wollen? Das Landleben interessierte sie nicht, im Gegenteil, sie hasste die Abgeschiedenheit. Sie war eine Frau, die den Trubel und die Hektik der Stadt liebte. Nichts konnte sie aufs Land verschlagen, dessen war Karsten sicher.

Er musste sich also getäuscht haben. Immerhin war auch alles ganz schnell gegangen, da war das gut möglich.

Und vor allem hoffte er, dass er sich getäuscht hatte. Denn nichts auf der Welt wäre schlimmer für ihn, als dieser Frau noch einmal zu begegnen.

*

»Guten Tag, ich würde gern zur Michaela Bender. Ist sie wohl kurz zu sprechen?«

Michaela musterte die Frau, die ihr gegenüberstand, argwöhnisch. Es gibt Menschen, die einem auf Anhieb sympathisch oder unsympathisch sind – diese Frau gehörte in Michaelas Fall eindeutig zur letzteren Kategorie. Sie war sehr groß und schlank, beinahe dürr, hatte blondes, golden schimmerndes Haar, und ihr Gesicht war mit einer dicken Schicht Make-up überzogen.

Natürlich war an dieser Person rein gar nichts. Alles wirkte künstlich, und die Kleider, die sie trug, schienen ein Vermögen gekostet zu haben. Was Michaela aber vor allem nicht gefiel, war das Lächeln der Frau. Es wirkte künstlich und falsch.

»Das bin ich«, sagte Michaela nun. »Und mit wem, bitt’ schön, hab’ ich es zu tun?«

Das Lächeln der Frau wurde noch breiter und damit noch unechter. »Mein Name ist Silvia Leutner. Ich bin im Auftrag eines Immobilienmaklers hier, dem zu Ohren gekommen ist, dass Ihr Herr Vater mit dem Gedanken spielt, den Hof zu verkaufen. Sie sind seine Stellvertreterin, wenn ich richtig informiert bin?«

Michaela nickte. Jetzt war sie doch sehr überrascht, mit so etwas hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Ein zweiter Kaufinteressent – das war einerseits eine glückliche Fügung, weil es den Preis hochschrauben konnte. Andererseits wollte es Michaela aber trotzdem nicht so recht gefallen. Denn eigentlich wollte sie ja erreichen, dass der Hof im Besitz der Familie blieb, auch wenn sie zum jetzigen Zeitpunkt noch immer keinen Schimmer hatte, wie sie das anstellen sollte.

»Das ist richtig«, antwortete Michaela. »Darf ich denn fragen, woher Sie die Information haben?«

»Ach, wissen S’«, winkte Silvia Leutner lächelnd ab, »so was spricht sich in der Geschäftswelt rasend schnell herum.«

»Na, dann kommen S’ mal mit hinein.« Michaela führte die Besucherin zu Vaters Arbeitszimmer. Unterwegs begegneten sie noch Michaelas Mutter und dem Pfarrer Trenker, die sich gerade auf dem Weg zum Krankenhaus machten, um den Ludwig zu besuchen.

»Bitte, nehmen S’ doch Platz«, sagte Michaela und deutete auf den Besucherstuhl, während sie selbst sich hinter den großen Schreibtisch setzte. »Was genau kann ich denn jetzt für Sie tun?«, wollte sie sogleich wissen.

Silvia Leutner lächelte. »Sie kommen rasch zur Sache, das mag ich. Also gut, ich will auch nicht lange um den heißen Brei herumreden. Zeit ist schließlich Geld. Also, ich arbeite für einen Immobilienmakler, der sehr an dem Grund und Boden hier interessiert ist.«

Michaela nickte. »Hören Sie, bevor Sie weiterreden, sage ich Ihnen gleich, dass es noch net sicher ist, ob mein Vater überhaupt verkaufen will. Ich möchte es mal so ausdrücken: Im Augenblick spielt er lediglich mit dem Gedanken.«

»Na, na.« Silvia Leutner schüttelte den Kopf. »So ganz die Wahrheit ist das aber nicht gerade, habe ich Recht? Soweit ich informiert bin, ist Ihr Herr Vater nahezu bankrott. Und sollte er keinen Käufer finden, stünde die Zwangsversteigerung ins Haus.«

»Das sind Probleme, die sich mit Sicherheit auch anderweitig lösen lassen.«

»Tatsächlich?« Silvia Leutner schien sie nicht ganz ernst zu nehmen. »Nun, ich bleibe dennoch dabei: Ihrem Vater wird früher oder später nichts anderes übrig bleiben, als das Anwesen zu verkaufen. Und ich bezweifle, dass es viele Interessenten geben wird.«

»Da täuschen S’ sich aber«, sagte Michaela schnell. »Es liegen nämlich bereits andere Angebote vor.«

»Aber sicher keines, das so gut ist wie meines. Und damit kommen wir auch gleich zur Sache: Ich bin nämlich befugt, Ihnen folgenden Preis zu machen.«

Sie nannte die Summe, und Michaela nickte. In der Tat war das Angebot wesentlich besser als das von Karstens Arbeitgeber.

»Und was soll mit dem Hof geschehen, wenn mein Vater tatsächlich an Ihren Chef verkaufen sollte?«, wollte Michaela wissen.

Silvia Leutner lächelte erneut, dieses Mal war es aber ein richtig herablassendes Lächeln. »Nun, ich kann mir natürlich denken, dass Sie und Ihr Vater nicht allzu erfahren in geschäftlichen Dingen sind, aber auf Ihre Frage kann ich Ihnen natürlich keine Antwort geben. Sehen Sie, mein Arbeitgeber ist Immobilienmakler. Das bedeutet, dass er, sollte er das Anwesen kaufen, im Anschluss daran jemanden suchen wird, an den er das Grundstück weiterverkaufen kann. Zu einem höheren Preis natürlich, schließlich muss er ja auch einen Gewinn haben, aber dafür wird er auch zuvor einiges investieren, um den Wert des Objektes zu steigern.«

Michaela schluckte. Dass diese Frau sie offenbar für ein dummes, naives Landei hielt, gefiel ihr gar nicht. Natürlich wusste sie um die Tätigkeiten eines Immobilienmaklers. Sie hatte halt nur wissen wollen, was aus dem Hof im Falle eines Verkaufs wurde, aber ihr war schon klar, dass ihr das in diesem Fall niemand würde sagen können.

»’s tut mir leid«, sagte sie deshalb und erhob sich, »aber wenn die Sache so liegt, muss ich leider ablehnen. Solange mir niemand sicher sagen kann, was hinterher aus dem Hof wird, werde ich keinem Verkauf zustimmen. Und jetzt entschuldigen S’ mich bitte, ich habe noch zu tun.«

Schlagartig verschwand das Lächeln aus dem Gesicht der Besucherin. »Warum denn so voreilig?«, fragte sie. »Letztendlich werden S’ ohnehin verkaufen müssen. Oder denken S’ etwa, ich hab’ mich im Vorfeld nicht ausgiebig über die finanzielle Lage des Hofes informiert?« Sie schüttelte den Kopf. »Machen Sie sich doch nichts vor, Frau Bender: Der Hof ist nicht mehr zu retten. Jetzt sollten Sie das für Sie günstigste Angebot annehmen – und dieses ist zweifellos das, das ich Ihnen eben unterbreitet habe. Also: Denken S’ noch einmal in aller Ruhe nach. Ich werde mich zu gegebener Zeit wieder mit Ihnen in Verbindung setzen. Und meine Visitenkarte lasse ich Ihnen auch hier.«

Silvia Leutner erhob sich, drückte Michaela ihre Karte in die Hand und ging dann erhobenen Hauptes davon.

*

»Und du meinst wirklich, ich soll dieses Angebot annehmen?«

Zweifelnd sah Michaela ihren Vater an. Er wirkte noch immer sehr schwach und gebrechlich, wie er so in seinem Krankenbett lag, aber geistig war er fit wie eh und je. Michaela hoffte, dass es ihm auch körperlich in nicht allzu ferner Zukunft wieder besser ging.

»Im Grunde ist das doch gar keine Frage, oder?«, erwiderte ihr Vater. »Das Angebot, das sie dir unterbreitet hat, schlägt das vom Hofstädter doch um Längen.«

Sie nickte. »Das stimmt schon. Aber wer sagt uns dann, was hinterher aus dem Höfl wird, Vater? Ich will auf gar keinen Fall, dass hinterher nix mehr von dem übrig bleibt, das du aufgebaut hast.«

»Wer will das schon?« Der Bender-Ludwig seufzte. Traurigkeit erfüllte seinen Blick. »Aber wie’s ausschaut, haben wir keine andere Wahl. Wir werden verkaufen müssen, so oder so.«

»Da bin ich mir noch net so sicher.« Entschlossen straffte Michaela die Schultern. »Ich werd’ mir die Zahlen und alles noch mal ganz genau ansehen. Vielleicht gibt es ja doch noch eine andere Möglichkeit. Und wenn es die gibt, dann werde ich sie auch finden, das verspreche ich dir.«

Ihr Vater rang sich ein mühsames Lächeln ab. Michaela spürte, dass er längst aufgegeben hatte. Und in diesem Augenblick wurde ihr klar, dass jetzt alles an ihr lag. Sie muss­te den Hof irgendwie retten. Das war sie dem Vater und auch der Mutter einfach schuldig.

*

Einen Tag später befand sich

Karsten erneut auf dem Weg zum Bender-Hof. Er wollte Michaela erneut ein Angebot unterbreiten.

Zwar war er sich inzwischen nicht mehr sicher, ob es wirklich richtig war, Michaela weiterhin zum Verkauf zu bewegen, andererseits blieb ihm aber gar nichts anderes übrig. Schließlich konnte er seinem Chef nicht einfach sagen, dass er diesen Auftrag nicht ausführen konnte, weil er moralische Bedenken hatte. Dann konnte er sich nämlich gleich seine Papiere abholen, und das durfte auf keinen Fall passieren. Eine Kündigung durfte er einfach nicht riskieren, er musste schließlich auch an seine Zukunft denken.

Was den möglichen Kaufpreis anging, den Karsten Michaela anbieten konnte, so gab es da noch etwas Spielraum nach oben, und deshalb war er jetzt in der Lage, ihr ein neues Angebot zu machen. Viel höher als das erste war es allerdings auch nicht, und so war es fraglich, ob Michaela darauf eingehen würde.

Als er den Hof jetzt erreichte, traf er draußen einen Mann an, den er hier schon einmal flüchtig gesehen zu haben glaubte.

»Grüß Gott«, sagte der Mann freundlich. »Mein Name ist Sebastian Trenker. Ich bin zu Gast hier auf dem Hof. Kann ich Ihnen weiterhelfen?«

Karsten erwiderte den Gruß. Er wusste nicht, warum, aber der Mann war ihm auf Anhieb sympathisch. »Mein Name ist Karsten Hofstädter«, sagte er. »Ich müsst’ einmal mit der Michaela Bender sprechen.«

»Natürlich.« Sebastian Trenker nickte. »Wenn mich net alles täuscht, ist sie grad drüben bei den Ställen.«

Karsten folgte seinem Blick, bedankte sich und ging in die entsprechende Richtung. Gerade, als er die Ställe erreichte, vernahm er ein leises Schluchzen.

Karsten runzelte die Stirn und blickte nach rechts. Dort sah er Michaela, die neben dem Stall auf einer kleinen Kiste hockte, das Gesicht in den Händen vergraben hatte und weinte.

Mit einem Mal war Karstens Kehle wie zugeschnürt. Er spürte, dass es ihm wehtat, Michaela so verzweifelt zu sehen, und abermals fragte er sich, ob er es überhaupt verantworten konnte, sie zu einem Verkauf des Hofes zu drängen. Andererseits würde ihr oder ihrem Vater früher oder später ohnehin nichts anderes übrigbleiben, als zu verkaufen.

Karsten räusperte sich, und Michaela fuhr hoch. Rasch wischte sie sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht und blickte ihn an.

»Was willst du hier?«, fragte sie barsch.

Karsten hob die Schultern. »Ich…, ich bin gekommen, weil ich noch einmal mit dir sprechen wollte«, sagte er und trat näher an sie heran.

»Und weswegen? Etwa schon wieder wegen dem Hof?«

»Ja, in der Tat. Ich bin gekommen, um das Angebot, das ich dir unterbreitet hab’, zu erhöhen. Ich kann jetzt also mehr für den Hof bieten als zuvor und…«

»Das kannst d’ dir sparen«, fiel sie ihm ins Wort. »Ich hab’ dir schon einmal g’sagt, dass ich net zulassen werde, dass aus dem Hof meines Vaters ein Luxushotel wird. Sollen die Reichen doch woanders hingehen, hier ist jedenfalls kein Platz für sie!«

Mit diesen Worten wollte sie an ihm vorbeistürmen, doch Karsten hielt sie auf, indem er sie am Oberarm packte. Er wusste, dass ihr das mit Sicherheit nicht recht war, aber er wollte und konnte sie jetzt einfach nicht gehen lassen. Nicht in dem Zustand, in dem sie sich befand.

Sie fuhr herum und funkelte ihn böse an.

»Lass mich g’fälligst vorbei«, sagte sie.

Doch Karsten schüttelte den Kopf und legte beide Arme um sie, so fest, als wollte er sie nie wieder loslassen.

Michaela machte sich nicht von ihm los. Stattdessen schmiegte sie sich eng an ihn und begann, sich an seiner Brust auszuweinen. Sanft strich er ihr mit der Hand über den Hinterkopf, spürte ihr wundervolles weiches Haar und hatte nur noch einen Wunsch: Er wollte Michaela trösten und dafür sorgen, dass sie nie wieder traurig sein musste. Gleichzeitig war ihm klar, dass das reines Wunschdenken war; er konnte schließlich keine Wunder vollbringen.

Nach einer Weile sah Michaela auf und schaute ihm direkt in die Augen. Ihr Blick war voller Sehnsucht, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihre zarten Lippen auf Karstens Mund drückte.

In dem Moment vergaß Karsten alles um sich herum. Zärtlich, aber immer leidenschaftlicher erwiderte er Michaelas Küsse, gleichzeitig wischte der ihr mit den Fingern sanft die Tränen aus dem Gesicht.

Gott, dachte er, was für eine Frau!

Michaela schloss die Augen, und mit einem Mal war alle Traurigkeit, die sie vor wenigen Minuten noch empfunden hatte, verschwunden. Jetzt wollte sie nur noch eines: Nie mehr aus Karstens Nähe fort zu müssen.

Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und zog sich ganz fest an ihn heran. Plötzlich schienen alle Sorgen der Welt vergessen zu sein. Sie dachte nicht mehr an den Hof, an die finanziellen Sorgen, die ihr Vater hatte und an den wahrscheinlich unumgänglichen Verkauf – in diesem Moment gab es nur noch Karsten und sie, und sonst gar nichts.

Doch so schnell, wie alles begonnen hatte, hörte es auch schon wieder auf, als Karsten sich plötzlich und völlig unerwartet abrupt von ihr löste und einen Schritt zurücktrat.

Michaela öffnete die Augen. Sie hatte das Gefühl, soeben aus einem wunderschönen Traum aufgewacht zu sein.

»Was…, was ist los?«, fragte sie mit kehliger Stimme. »Habe ich etwas falsch gemacht?«

Hastig schüttelte er den Kopf. »Nein«, sagte er. »Du hast nichts falsch gemacht. Entschuldige, es tut mir leid, aber ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehe.«

Noch einmal sah er sie kurz an, dann drängte er sich an ihr vorbei und lief zurück zu seinem Wagen.

*

Michaela war wie vor den Kopf geschlagen. Sie wusste selbst nicht, wie es hatte geschehen können. Aber als Karsten sie getröstet hatte, hatte sie diese unendliche Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit gespürt. Und als sie sich schließlich geküsst hatten, war da nur noch ein Wunsch gewesen: dass dieser Augenblick nie vorübergehen mochte.

Und Karsten war es ebenso ergangen, das hatte sie deutlich gemerkt. Um so überraschter war sie nun darüber, dass er sie jetzt einfach stehen gelassen hatte.

Und jetzt? Michaela wusste es nicht. Eigentlich war ihr klar, dass sie erleichtert sein sollte. Erleichtert darüber, dass Karsten die Sache beendet hatte, bevor mehr hatte passieren können. Immerhin hatte sie sich geschworen, sich in naher Zukunft nicht wieder auf einen Mann einzulassen. Und außerdem durfte sie nicht vergessen, dass

Karsten für die Gegenseite arbeitete. Er war im Auftrag des Mannes hierher geschickt worden, der ihrem Vater den Hof abluchsen wollte.

Und dennoch konnte sie nur daran denken, wie wundervoll weich sich Karstens Lippen angefühlt hatten und wie unglaublich zärtlich er gewesen war…

Michaela schüttelte den Kopf, doch es gelang ihr nicht, diese Gedanken zu verbannen. Den ganzen Tag über dachte sie immer wieder an Karsten und daran, wie gern sie ihn noch einmal küssen würde. Selbst als sie am späten Abend in ihrem Bett lag, tauchte immer wieder sein Gesicht vor ihrem geistigen Auge auf.

Und etwas später, als sie bereits schlief, schlich er sich sogar in ihre Träume.

*

»Na, haben S’ gut geschlafen, Michaela?«, erkundigte sich Sebastian Trenker gut gelaunt, als die junge Frau am nächsten Morgen schon recht früh die Küche betrat. Er war gerade dabei, Tee zu kochen.

Michaela hob die Schultern. »’s geht so«, sagte sie, und ihre Worte klangen ein wenig ausweichend. »Wo ist denn Mutter?«

»Sie schläft noch.« Der Pfarrer lächelte. »Zum Glück, wie ich sagen möchte, sie hat den Schlaf wirklich dringend nötig. Die ganzen Sorgen zehren doch sehr an ihren Kräften.«

»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Michaela und senkte betroffen den Blick. »Ich wünscht’, ich könnte ihr helfen. Wenn es mir gelänge, den Hof zu retten, ginge es ihr bestimmt schnell besser.«

»Wie sieht’s denn im Moment aus?«, erkundigte Sebastian Trenker sich. »Besteht noch Hoffnung?«

Michaela seufzte. »Ehrlich gesagt, ich weiß es net, Herr Pfarrer. Ich werde heute noch einmal mit ein paar Leuten sprechen, bei denen der Vater noch Rechnungen offen hat, und um Stundung oder Ratenzahlung bitten. Auch mit der Bank werde ich noch ein weiteres Mal sprechen müssen, auch wenn ich nicht viel Hoffnung hab’, dass die mich überhaupt noch mal anhören werden. Tja, und wenn das alles nix bringt, werde ich wohl oder übel mit dem Vater sprechen und ihm sagen müssen, dass uns nur noch der Verkauf bleibt.«

Der Pfarrer nickte. »Verstehe. Aber um ehrlich zu sein, der Ludwig rechnet schon längst mit nix anderem mehr. Ich hab’ mich gestern noch einmal in aller Ruhe mit ihm unterhalten, und er hat mir klar gesagt, dass er sich nix mehr vormacht. Er weiß, wie es um den Hof steht. Und wenn er durch den Verkauf seine Schulden los ist und auch für die Rosi und ihn gesorgt ist, ist ihm das allemal lieber, als wenn es hinterher noch zu einer Zwangsversteigerung kommt.«

»Sicher, das versteh’ ich ja auch, aber trotzdem – ich kenne den Vater doch. Ich kann mir einfach net vorstellen, dass er ohne sein Höfl glücklich werden kann. Deshalb werde ich mir noch einmal einen genauen Überblick über die Situation machen, in der sich der Hof befindet. Aber wahrscheinlich wird auch das nix mehr bringen, so leid es mir auch für den Vater tut.« Sie blickte auf ihre Armbanduhr. »So, ich muss jetzt los, Herr Pfarrer. Ich hab’ heute viel zu tun.«

»Aber wollen S’ denn gar net frühstücken?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, danke«, sagte sie noch, dann war sie auch schon verschwunden.

Nachdenklich beobachtete Sebastian Trenker sie durchs Küchenfenster, wie sie in ihren Wagen stieg. Er hatte das Gefühl, dass Michaela nicht nur wegen des Hofes so traurig und niedergeschlagen war. Da war noch etwas anderes, das sie bedrückte. Aber sie traute sich nicht, es zu benennen.

*

Karsten war dabei, alles zu verlieren, was er sich in den letzten Jahren aufgebaut hatte.

Er befand sich in dem kleinen Pensionszimmer, in dem er seit seiner Ankunft in Pertenried wohnte, und sah aus dem Fenster. Sein Blick war starr, seine Miene regungslos. Innerlich aber brodelte es in ihm.

Er hatte einen Entschluss gefasst, einen folgenschweren Entschluss. Als er Michaela nun zum zweiten Mal geküsst hatte, war ihm etwas klargeworden, was er die ganze Zeit über schon befürchtet, sich aber nicht eingestanden hatte.

Es waren nicht bloß die äußeren Reize, die ihn an Michaela faszinierten, sie war nicht bloß ein Madl, mit dem er gern ein erotisches Abenteuer erleben würde. Nein, Michaela bedeutete ihm viel mehr.

Er hatte sich in sie verliebt.

Und das, obwohl er sie erst seit so kurzer Zeit kannte! Karsten schüttelte den Kopf. Er verstand sich selbst nicht. Wie hatte es bloß so weit kommen können? Er war mit rein geschäftlichen Absichten nach Pertenried gekommen, und jetzt das!

Hast du denn schon vergessen, was passiert, wenn man Berufliches mit Privatem vermischt?, fragte er sich selbst.

Unwillkürlich wanderten seine Gedanken in die Vergangenheit, und Silvia kam ihm in den Sinn. Was damals passiert war, hatte ihn für den Rest seines Lebens gezeichnet. Und dabei hatte alles so vielversprechend angefangen. Wenn er damals doch bloß nicht…

Er schüttelte den Kopf und zwang sich, nicht mehr daran zu denken. Er musste die Vergangenheit endlich ruhen lassen. Dennoch war ihm eines klar, er würde sich an das Versprechen, das er sich selbst gegeben hatte, halten: Er würde die Finger von Frauen lassen, ganz gleich, was auch passierte. Eine erneute Enttäuschung würde er nicht verkraften.

Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass er so viel für Michaela empfand. Es gab keine gemeinsame Zukunft für sie beide, daran war nichts zu ändern.

Trotzdem wollte er sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen, dafür war sie ihm zu wichtig. Er bewunderte sie dafür, wie sie für den Hof ihres Vaters kämpfte, und genau dabei wollte er ihr helfen. Er musste sie bei ihrem Vorhaben, den väterlichen Hof zu retten, unterstützen.

Die Frage war bloß, wie er das anstellen sollte. Was konnte er tun?

*

»’s tut mir leid, aber die Michaela ist net daheim.« Pfarrer Trenker, der gerade mit Gartenarbeit beschäftigt war, blickte Karsten Hofstädter bedauernd an, als der gerade aus seinem Wagen stieg und auf das Wohnhaus des Hofes zuging.

Karsten nickte. »Eigentlich wollt’ ich auch gar net zur Michaela, sondern zu ihrer Mutter. Ist sie denn da?«

»Leider auch net. Die Bender-Rosi ist im Krankenhaus bei ihrem Mann.« Sebastian sah den Besucher forschend an. Er spürte, dass den Mann etwas bedrückte. »Kann ich Ihnen vielleicht helfen? Ich bin Pfarrer aus St. Johann und hab’ immer ein offenes Ohr für Leute mit Problemen.«

Jetzt musste Karsten lachen. »Steht mir das so deutlich auf der Stirn geschrieben, dass ich Probleme habe?« Dann seufzte er. »Aber es stimmt tatsächlich, Herr Pfarrer. Ehrlich gesagt weiß ich gar net mehr weiter.«

Sebastian Trenker nickte. »Dann lassen Sie uns doch am besten ein paar Schritte gehen. Dann spricht’s sich leichter.«

»Gern.«

Die beiden Männer gingen gemächlich nebeneinander her, und zunächst schwieg Karsten eine Weile. Sebastian Trenker drängte ihn nicht, sondern ließ ihm die Zeit, die er brauchte. Seine langjährige Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass dies das Beste war, was man in so einer Situation machen konnte.

Und tatsächlich begann Karsten nach einer Weile dann zu reden. »Sie wissen ja sicher, dass ich hierhergekommen bin, um den Hof vom Bender-Ludwig zu kaufen, net wahr?«

Sebastian Trenker nickte.

»Mein Chef will diesen Hof unbedingt haben«, erklärte Karsten weiter, »weil er auf dem Grundstück ein Luxushotel bauen will. Und natürlich wollte ich meinen Auftrag auch so schnell und so gut wie möglich ausführen. Aber inzwischen…« Er zögerte kurz. »Inzwischen habe ich meine Meinung geändert. Ich kann das einfach net mehr.«

Der Pfarrer nickte. »Und wie erklärt sich dieser Sinneswechsel?«, wollte er wissen.

»Nun ja, ehrlich g’sagt ist das net so einfach zu erklären. Also, ich…, das heißt…«

Sebastian hatte schon einen Verdacht. »Könnte es vielleicht etwas mit der Michaela zu tun haben?«

»Ja, das stimmt.« Karsten nickte. »Schauen S’, als ich erfahren hab’, dass die Tochter vom Bender-Ludwig nun die Verhandlungen führen wird, hab’ ich erst gedacht, dass mir gar nix Besseres passieren könnt’. Ich dachte wirklich, jetzt geht alles ganz fix und reibungslos über die Bühne.«

»Und da haben S’ sich getäuscht?«

Karsten lachte. »Allerdings! Ich kann Ihnen gar net sagen, wie verbissen das Madl dafür kämpft, den Hof des Vaters zu erhalten. Und…, na ja, ehrlich gesagt bewunderte ich das sehr, und ich find’ die Michaela auch sehr nett, aber das spielt keine Rolle. Jedenfalls ist mir klargeworden, dass ich es net mit meinem Gewissen vereinbaren könnt’, mit daran schuld zu sein, wenn ihr Vater den Hof verliert. Wie ich das meinem Chef erklären soll, weiß ich zwar auch noch net, aber ’s ist halt so.«

»Beruflich dürfte das aber Konsequenzen für Sie haben«, stellte Pfarrer Trenker fest.

Karsten nickte heftig. »In der Tat, meinen Job bin ich auf alle Fälle los. Aber das schreckt mich gar nicht mehr ab. Ehrlich gesagt überrascht mich das selbst.«

»Wie es aussieht, haben Sie eingesehen, dass das Leben aus mehr als Karriere besteht«, sagte Sebastian Trenker.

»Anscheinend. Sicher wird es auch beruflich irgendwie weitergehen müssen, aber ich werde bestimmt einen Job finden, der besser zu mir passt. Mein Problem ist nur, dass ich der Michaela unbedingt dabei helfen möchte, den Hof zu retten, dabei aber keine Ahnung habe, wie ich das anstellen soll.«

»Das kann ich verstehen. Ich selbst habe ebenfalls schon darüber nachgedacht. Erst gestern Abend ist mir eine Idee gekommen, allerdings fürchte ich, dass sie sich net umsetzen lassen wird. Deshalb hab’ ich auch noch net mit der Michaela oder ihrer Mutter darüber g’sprochen.«

Doch Karstens Interesse war geweckt. »Um was für eine Idee handelt es sich denn?«, wollte er wissen.

»Nun, es ist ja allgemein bekannt, dass der Hof selbst net mehr allzu viel abwirft«, sagte der Pfarrer. »Durch die Landwirtschaft allein kann der Ludwig unmöglich in naher Zukunft so viel Geld einnehmen, wie er benötigt, um all die offenen Posten wieder hereinzuholen. Das würd’ höchstens zum Leben reichen, aber net für mehr. Man müsste den Hof also erweitern und sich somit quasi ein zweites Standbein schaffen.«

Karsten zog die Stirn kraus. »Und an was denken S’ da genau?«

»Ehrlich g’sagt bin ich darauf gekommen, weil die Michaela mir erzählt hat, was Ihr Chef mit dem Hof vorhat, Karsten.«

»Mein Chef? Nun, er will den Hof abreißen und auf dem Grundstück ein Luxushotel errichten.« Er lachte. »Aber das schwebt Ihnen doch sicher net vor, oder?«

»Nein, natürlich net. Aber so etwas Ähnliches halt.« Pfarrer Trenker begann zu erzählen, und Karsten hörte interessiert zu.

*

Als Michaela aus der Stadt zurückkam, war sie noch niedergeschlagener als zuvor. Sie hatte mit einigen Gläubigern und auch noch mal mit der Bank gesprochen, und niemand war bereit, ihrem Vater in der Stunde der Not zu helfen. Alle wollten ihr Geld, und zwar sofort. Niemand war mehr bereit, einen Zahlungsaufschub zu gewähren, von einer möglichen Ratenzahlung ganz zu schweigen.

Jetzt saß sie im Arbeitszimmer ihres Vaters und war dabei, noch einmal alle Unterlagen durchzusehen. Was sie suchte, war irgend etwas, was ihr Hoffnung geben konnte, dass doch noch nicht alles verloren war. Irgendeine Möglichkeit, Geld einzusparen, so dass in Zukunft zumindest die Ausgaben nicht höher waren als die Einnahmen.

Doch es war aussichtslos. Sie fand nichts. Verzweifelt schmiss sie die Unterlagen in die Ecke, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, warf den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke.

So leid ’s mir tut, Vater, sagte sie im Stillen, aber wie’s ausschaut, hast du leider Recht gehabt. Wir werden um einen Verkauf net herumkommen.

Jetzt blieb also nur noch die Frage, an wen der Hof verkauft werden sollte.

Das höhere Angebot hatte die Silvia Leutner gemacht, daran bestand kein Zweifel. Allerdings konnte niemand sagen, was aus dem Hof wurde, wenn sie den Zuschlag bekam.

Andererseits stand fest, dass der Hof zu einem Luxushotel wurde, wenn Karstens Chef der Käufer wurde. Besser war diese Aussicht auch nicht gerade.

Und trotzdem… Aus irgendeinem Grund tendierte Michaela mehr zu Karsten. Vielleicht, weil sie ihn mochte? Aber das durfte dabei einfach keine Rolle spielen. Dennoch…, diese Silvia Leutner war ihr so unsympathisch gewesen, dass sich alles in Michaela dagegen sträubte, mit ihr ins Geschäft zu kommen. Und hatte Karsten nicht auch gesagt, dass er jetzt in der Lage war, sein Angebot zu erhöhen?

Entschlossen nickte Michaela. Sie würde noch einmal mit Karsten sprechen und sich anhören, wie viel er ihr nun im Auftrag seines Chefs bieten konnte. Und wenn es nicht zu wenig war, würde sie ihren Vater im Krankenhaus besuchen, um alles Weitere mit ihm zu bereden.

Sie wusste, dass es nicht anders ging. Sie hatte einfach keine Wahl. Dennoch fühlte sie sich traurig und auch schuldig, als sie sich kurz darauf auf den Weg zu Karsten machte.

*

Karsten stellte seinen Wagen am Straßenrand vor der Pension ab, in der er zur Zeit wohnte, und stieg aus.

Gerade wollte er auf das Haus zugehen, als er innehielt.

Direkt neben der Pension gab es eine Bäckerei, aus der in dem Moment eine junge blonde Frau kam.

Silvia!

Karsten erstarrte. Dann hab’ ich mich also doch net getäuscht, als ich sie neulich erkannt zu haben glaubte, dachte er noch immer geschockt.

Da entdeckte auch die Frau ihn. Für einen Moment wirkte sie irritiert, doch sie hatte sich schnell wieder im Griff.

Mit einem Lächeln auf den knallroten Lippen kam sie auf Karsten zu.

»Na, das ist aber eine Überraschung«, sagte sie und hielt ihm die Hand hin. »Was führt dich denn in diese Gegend, mein Lieber?«

Karsten ignorierte ihre ausgestreckte Hand. »Das frag’ ich mich umgekehrt ebenso.«

»Ach, komm schon.« Sie verdrehte die Augen und lächelte süffisant. »Jetzt trag’ mir die alte Sache doch endlich net mehr nach. Wir haben uns doch mal so gut verstanden und…«

»Diese Zeiten sind vorbei, und zwar endgültig«, fiel Karsten ihr ins Wort. »Also – was führt dich nach Pertenried?«

Sie hob die Schultern. »Nun, ich denke mal, das gleiche wie dich. Ich kann mir bei dir jedenfalls auch nicht vorstellen, dass du nur hergekommen bist, weil du dich mal erholen musst. Was du aber dennoch mal tun solltest, wenn du mir diese Bemerkung gestattest. Du wirkst reichlich verspannt, mein Lieber.«

»Ich denke, das kannst du getrost meine Sorge sein lassen.« Er seufzte. »Du bist also aus geschäftlichen Gründen hier?«, fragte er, und ein schlimmer Verdacht keimte in ihm auf. »Und worum geht’s da genau?«

»Aber, aber, mein Lieber«, sagte sie lächelnd. »Wenn man über so etwas überhaupt spricht, dann bestimmt net zwischen Tür und Angel, oder? Aber ich mache dir einen Vorschlag: Die Bäckerei hier hat auch ein Sitzcafé. Lass uns einfach einen Espresso miteinander trinken, dabei über alte Zeiten reden, und dann erzähle ich dir vielleicht auch, was du wissen willst. Na, was meinst?«

Karsten hob die Schultern. »Meinetwegen. Aber das mit den alten Zeiten kannst du vergessen.«

Gemeinsam betraten sie die Bäckerei. Im hinteren Teil befanden sich einige Tische, die allesamt nicht besetzt waren; Karsten und Silvia waren die einzigen Gäste.

Sie nahmen an einem Tisch Platz und bestellten bei der Bedienung, einer älteren rundlichen Frau, zwei doppelte Espresso, die auch kurz darauf gebracht wurden.

»Und, was hast du in der letzten Zeit so getrieben?«, erkundigte Silvia sich und nippte an ihrem Espresso. »Bist d’ denn zurechtgekommen ohne mich?«

»Besser als du denkst«, erwiderte Karsten mit eisigem Blick. »Viel besser. Und jetzt lass uns net länger um den heißen Brei herumreden: Warum bist d’ hier in Pertenried? Was hast d’ hier Geschäftliches zu erledigen?«

Sie seufzte. »Schade, ich dachte, wir könnten noch ein bisserl über alte Zeiten plaudern. Aber, na ja, wie du meinst. Also, ich bin hier, weil mein Chef an einem Grundstück interessiert ist, das…«

»Welchem Grundstück?«, drängte Karsten. »Nun sag schon!«

»Nun, eigentlich weiß ich gar net, ob ich dir das überhaupt sagen darf. Aber da wir ja alte Freunde sind… Also schön, es geht um den Bender-Hof. Er befindet sich hier ganz in der Nähe, nur etwa…«

»Ich kenne den Hof!«, fuhr Karsten sie an.

Kurz musterte sie ihn. »Ach, sieh mal einer an. Da bist d’ dann also auch deshalb hier. Ist dein Chef ebenfalls an dem Hof interessiert? Nun, dann solltest d’ ihm aber ausrichten, dass er sich warm anziehen kann, mein Lieber. Ich bin nämlich befugt, eine ganz schöne Summe Geld zu bieten. Und…«

Karsten hörte gar nicht mehr hin. Er konnte sich schon denken, dass Silvia der Michaela ein wesentlich höheres Angebot gemacht hatte als er. So was Dummes aber auch! Dass ausgerechnet seine Ex in dieser Angelegenheit zu seinem Konkurrenten wurde, damit hatte er nicht gerechnet. Andererseits… Er wollte seinen Auftrag ja gar nicht mehr erfüllen, von daher gab es in dieser Hinsicht also kein Problem. Jetzt musste er nur zusehen, dass Michaela nicht noch auf Silvias Angebot einging. Das aber konnte er nur erreichen, wenn sein Plan, den Hof zu retten, aufging.

Aber ob das wirklich funktionieren konnte? Karsten wusste es nicht. Er wusste nur, dass er alles Erdenkliche dafür tun musste, Michaela zu helfen.

Koste es, was es wolle!

*

Zur selben Zeit erreichte Michaela die Pension, in der Karsten, wie sie wusste, für die Dauer seines Aufenthaltes in Pertenried wohnte.

Doch sie hatte Pech. Von der Pensionswirtin erfuhr sie, dass Karsten nicht im Haus war. Das wunderte Michaela, stand sein Wagen doch draußen auf der Straße.

»Vielleicht ist er ja in der Bäckerei nebenan einen Kaffee trinken«, überlegte die freundliche Pensionswirtin laut. »Versuchen Sie doch einfach mal Ihr Glück.«

Michaela bedankte sich und verließ die Pension wieder. Draußen überlegte sie kurz, ob sie den Rat der Wirtin befolgen und nachschauen sollte, ob sich Karsten tatsächlich in der Bäckerei aufhielt.

Warum eigentlich nicht?, sagte sie sich und betrat gleich darauf das Geschäft, das sich ja direkt neben der Pension befand.

Die Verkäuferin hinter der Theke bediente gerade ein älteres Ehepaar und bemerkte Michaela gar nicht. Sie wusste, dass sich im hinteren Teil der Bäckerei ein kleines Café befand, hatte hier früher selbst hin und wieder mal was getrunken, vor allem, wenn es in der Schule eine Freistunde gegeben hatte.

Michaela betrat also kurz darauf das kleine Café – und blieb wie erstarrt stehen.

Sie erblickte tatsächlich Karsten, der bis eben wohl an einem der Tische gesessen, sich nun aber erhoben hatte.

Doch das war es nicht, was Michaela so schockte. Karsten war nämlich nicht allein, bei ihm war eine sehr attraktive Blondine, die Michaela nur zu gut kannte: Es war Silvia Leutner, die Frau, die ihr das lukrative Kaufangebot gemacht hatte.

Und jetzt umarmten die beiden sich heftig.

Michaela hielt den Atem an. Sie war weder von Karsten noch von seiner Begleitung entdeckt worden, dazu waren die beiden viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

Hastig wandte Michaela sich jetzt ab und stürmte aus der Bäckerei. In ihren Augen schimmerten Tränen.

*

Eine Weile später versuchte Michaela am kleinen See, an dem sie früher schon so oft gewesen war, den Kopf freizubekommen.

Doch es war aussichtslos. Immer wieder spielte sich ein und dieselbe Szene vor ihrem geistigen Auge ab. Der Moment, in dem sie gesehen hatte, wie Karsten und diese Silvia Leutner sich umarmt hatten.

Tausend Gedanken schossen Michaela durch den Kopf. Da waren so viele Fragen: Wie konnte es sein, dass Karsten ausgerechnet mit Silvia Leutner etwas hatte – und dass dem so war, stand ja wohl außer Frage! –, der Frau, die sich ebenfalls um den Hof von Michaelas Vater bemühte? Steckten die beiden etwa unter einer Decke?

Doch gleich darauf verwarf Michaela den Gedanken wieder. Das würde einfach nicht passen, schließlich trieben sie damit den Preis gegenseitig in die Höhe, und jeder von ihnen musste schließlich daran interessiert sein, so wenig wie möglich zu bezahlen.

Also waren sie viel eher Konkurrenten. Michaela nickte. Ja, so musste es sein. Privat waren sie ein Paar, geschäftlich Konkurrenten. Und dass sie Privates und Geschäftliches sehr wohl voneinander trennen konnten, bewies die Tatsache, dass sie sich vorhin im Café umarmt hatten.

Michaela wurde regelrecht schlecht angesichts dieser neuen Erkenntnisse. Sicher, das alles war für sich genommen kein Problem, eines allerdings schon, und zwar Karstens Verhalten ihr, Michaela, gegenüber.

Denn immerhin hatte er sich ja geradezu schamlos an sie herangemacht. Er hatte sie sogar geküsst und ihr damit vorgegaukelt, dass er sie mochte.

Und das alles nur, um an den Hof ihres Vaters zu kommen!

Michaela atmete tief durch. Ja, genauso war es. Er hatte ihr schöne Augen gemacht, um sie dazu zu bringen, den Hof zu verkaufen – und zwar an ihn. Deshalb ist er auch nach dem Kuss einfach abgehauen, dachte Michaela bitter.

Das Schlimmste an der Sache war, dass ihr jetzt eines ganz klar wurde. Etwas, das sie schon die ganze Zeit über gespürt, sich aber nicht richtig eingestanden hatte: dass sie Karsten liebte.

Ja, sie liebte ihn. Aber er liebte eine andere und hatte sie zudem noch schamlos hintergangen. Er hatte mit ihr gespielt, und das würde sie ihm nie verzeihen können.

Eines war also klar: Sie musste Karsten vergessen, und zwar so schnell es ging. Aber war so etwas überhaupt möglich? Konnte man jemanden, den man liebte, einfach aus seinem Gedächtnis streichen?

Michaela bezweifelte es. Aber was sollte sie sonst tun?

Sie reckte das Kinn. Als erstes musste sie die Sache mit dem Hof zu Ende bringen. Daran, dass er verkauft werden musste, hatte sich nichts geändert. Aber ganz bestimmt würde Michaela nicht mehr zulassen, dass Karsten das Geschäft machte und hinterher als strahlender Sieger dastand. Auf gar keinen Fall!

*

Nach außen hin war Karsten wie immer, innerlich aber kochte er vor Wut.

Schuld daran war Silvia, seine Ex. Nicht nur, dass sie sich ihm vorhin in dem Café zum Abschied noch an den Hals geworfen hatte und damit so tat, als bedeute er ihr noch etwas (was mit Sicherheit nicht der Fall war, und umgekehrt schon gar nicht), nein, etwas anderes schmeckte ihm noch viel weniger.

Und zwar der Grund, weshalb sie sich augenblicklich in Pertenried aufhielt.

Sie war mit denselben Absichten hier wie er, und sie war in der Lage, erheblich mehr zu bieten. Was sie ja auch bereits getan hatte, wie er wusste. Michaela hatte ja bereits von einem zweiten Interessenten gesprochen.

Ob aus seinem Plan, Michaela zu helfen, den Hof zu retten, nun noch etwas werden konnte? Die Frage war durchaus berechtigt, denn er kannte Silvia sehr gut. Sie bekam immer, was sie wollte. Immer.

Doch genau das musste er dieses Mal verhindern. Er wollte nicht, dass ihr oder ihrem Auftraggeber der Hof in die Hände fiel. Er wollte auf keinen Fall mehr, dass Michaela ihr zuhause verlor.

Aber ob der Plan, auf den Pfarrer Trenker ihn gebracht hatte, wirklich funktionieren konnte?

Generell sicher schon, aber der springende Punkt war wie immer das liebe Geld. Und genau deshalb hatte Karsten jetzt noch einige Telefonate zu führen. Und er hoffte, dass er hinterher gute Nachrichten für Michaela hatte. Er hoffte es inständig.

*

»Sie haben sich also wirklich entschlossen, an diese Frau Leutner zu verkaufen?«, fragte Pfarrer Trenker überrascht, als Michaela ihm am nächsten Tag von ihrem Vorhaben erzählte.

Michaela nickte entschlossen. »Ja, ganz recht. Und ich war eben auch schon im Krankenhaus und habe mit Vater darüber gesprochen. Er ist auf jeden Fall einverstanden, auch wenn ich natürlich merke, dass es ihm das Herz bricht. Aber es gibt nun mal keine andere Möglichkeit.«

»Und der Karsten Hofstädter?«

Schlagartig verfinsterte sich Michaelas Miene. »Sein Angebot ist zu niedrig«, sagte sie knapp.

»Hat er denn noch gar net mit Ihnen g’sprochen gestern?«, fragte Sebastian Trenker verwundert. »Er war nämlich hier und hat sich mit mir unterhalten, er kann Ihnen…«

»Doch, ich weiß, er kann mir ein höheres Angebot machen, aber daran bin ich net interessiert. Dieser Kerl ist der hinterhältigste Mensch, der mir je begegnet ist, ich will nix mehr mit ihm zu schaffen haben!«

Sebastian spürte, dass irgend etwas zwischen Michaela und Karsten vorgefallen sein musste, was das Madl tief enttäuscht hatte. Allerdings verwunderte den Pfarrer dies, weil er Karsten als einen aufgeschlossenen, sympathischen und ehrlichen jungen Mann kennen gelernt hatte, der ernsthaft um das Wohl Michaelas besorgt zu sein schien.

Sollte Sebastian sich da getäuscht haben? Er konnte es sich nicht vorstellen, und eine gewisse Menschenkenntnis sprach er sich durchaus zu, nicht umsonst war er in seiner Gemeinde St. Johann ein so beliebter Ansprechpartner, wenn jemand Sorgen und Nöte hatte.

Dennoch – er spürte, dass es nichts brachte, jetzt weiter auf Michaela einzureden, deshalb sagte er nur:

»Ich will Sie natürlich zu nix überreden, Michaela, aber tun Sie mir bitte einen Gefallen.«

Sie schaute auf. »Und der wäre?«

»Nun, ich möchte Sie bitten, nichts übers Knie zu brechen. Warten S’ am besten noch ein paar Tage ab, ehe Sie etwas Endgültiges entscheiden. Vielleicht ergibt sich in der Zwischenzeit ja noch etwas anderes.«

Doch Michaela schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Herr Pfarrer. Ich weiß, Sie meinen es gut mit mir, aber ich habe meine Entscheidung getroffen, und zwar in Absprache mit meinem Vater. Der Hof wird verkauft, und zwar an die Frau Leutner. Ich werde so schnell wie möglich einen Termin mit ihr vereinbaren. Selbstverständlich werden meine Eltern nach Unterzeichnung des Kaufvertrages noch genügend Zeit haben, um alles zu regeln, wobei ich ihnen natürlich helfen werde. So, und jetzt entschuldigen S’ mich bitte, Herr Pfarrer, ich muss das alles auch noch irgendwie meiner Mutter beibringen.« Sie lächelte traurig. »Leicht wird mir das net fallen, das können S’ mir glauben.«

Sie nickte dem Pfarrer noch einmal zu, dann ging sie davon.

*

Es war bereits Abend, als Karsten sich auf dem Weg zum Bender-Hof befand. Er hatte soeben eine alarmierende Nachricht vom Pfarrer Trenker erhalten, der ihn in der Pension angerufen hatte.

Sebastian Trenker hatte ihm erzählt, dass Michaela sich anscheinend entschieden hatte, den Hof zu verkaufen – und zwar ausgerechnet an Silvia!

Karsten verstand die Welt nicht mehr. Wie kam Michaela nur auf einmal auf so etwas? War es, weil Silvia so viel Geld geboten hatte? Aber der Pfarrer meinte, dass da noch irgend etwas anderes sein musste. Wie es aussah, war Michaela tief enttäuscht von Karsten. Aber warum? Er hatte ihr doch gar nichts getan.

Oder lag es vielleicht daran, dass er einfach davongegangen war, als sie sich das letzte Mal geküsst hatten? Trug sie ihm das nach?

Karsten wusste es nicht, aber er konnte es sich schon vorstellen. Wahrscheinlich hatte sie das Ganze falsch verstanden. Woher sollte sie auch wissen, dass er einfach nicht hatte weitermachen können, weil die Enttäuschung mit Silvia noch immer schwer an ihm nagte? Wahrscheinlich dachte Michaela viel eher, dass er sie nicht mochte oder nicht attraktiv genug fand, was aber natürlich Unsinn war.

Aber all das spielte ja auch letztlich keine Rolle, denn eines stand fest: Eine gemeinsame Zukunft würde es für sie beide nicht geben, das konnte einfach nicht funktionieren. Wie sollte er denn nach allem, was Silvia ihm angetan hatte, jemals wieder einer Frau Vertrauen schenken können?

Nein, da gab es nichts zu rütteln. Er würde Michaela helfen, den Hof zu behalten, und dann würde er Pertenried für immer verlassen.

Das Problem war nur, dass Michaela jetzt wohl fest entschlossen war, den Hof zu verkaufen. Pfarrer Trenker jedenfalls hatte das so gesagt, und für Karsten stand fest, dass er dies verhindern musste.

Zum einen, weil er auf keinen Fall zulassen konnte, dass Silvia das Geschäft machte, vor allem aber, weil er wollte, dass Michaela ihr zu Hause nicht verlor. Er mochte sie schließlich, sehr sogar, und wenn schon nichts aus ihnen werden konnte, dann sah er es immerhin als seine Pflicht an, ihr in dieser Sache zu helfen.

Er hatte auch bereits einen konkreten Plan, über den er ja auch bereits mit dem Pfarrer gesprochen hatte. Sebastian Trenker war sehr angetan von dieser Idee gewesen und hatte ihm auch einige nützliche zusätzliche Vorschläge gemacht.

Jetzt galt es, die Theorie in die Praxis umzusetzen, und Karsten hatte da auch schon einiges in die Wege geleitet.

Sollte Michaela jetzt aber tatsächlich verkaufen, war alle Mühe umsonst gewesen.

Und das durfte auf keinen Fall geschehen!

Karsten erreichte den Hof und parkte seinen Wagen vor dem Haus, wo auch Michaelas Auto stand.

Als er jetzt ausstieg, kam Michaela gerade aus dem Haus gelaufen.

»Was willst d’ hier?«, fragte sie schroff. Sie hatte ihre Jacke an und hielt den Autoschlüssel in der Hand, was darauf hindeutete, dass sie noch weg wollte.

Karsten schenkte ihr trotz der unfreundlichen Begrüßung ein Lächeln. »Ich wollt’ mich noch einmal mit dir unterhalten, Michaela«, sagte er. »Ich denk’, es gibt da noch einiges zu bereden. Wegen dem Kuss neulich, aber auch wegen…«

»Vergiss den Kuss!«, fiel sie ihm ins Wort. »Das Ganze ist für mich nie passiert, hörst du?«

»Ich will dem ja auch keine große Bedeutung beimessen«, erwiderte Karsten, »aber ich möchte dir wenigstens erklären, wieso ich…«

»Deine Erklärungen kannst d’ dir sparen!«, fuhr sie ihn an. »Ich will nix davon hören!«

Karsten seufzte. Er konnte sich einfach nicht erklären, wieso Michaela derart abweisend zu ihm war. »Dann lass uns wenigstens über dein Vorhaben reden, den Hof jetzt doch zu verkaufen, wenn auch nicht an mich.«

Sie kniff die Augen zusammen. »Woher weißt du davon?«

»Das spielt doch jetzt keine Rolle.« Karsten machte eine abwinkende Handbewegung. »Viel wichtiger ist doch jetzt, warum…«

Doch sie wollte ihn einfach nicht anhören. »Schluss jetzt damit!«, unterbrach sie ihn erneut. »Ich habe keine Lust, mich länger mit einem Lügner wie dir zu unterhalten. Ich hab’ keine Zeit mehr, ich bin mit einer Freundin verabredet. Außerdem will ich mich auch gar net weiter mit dir abgeben. Also lass mich g’fälligst in Ruh’, hörst d’? Jetzt und in Zukunft. Ich will nix mehr mit dir zu schaffen haben!«

Mit diesen Worten stieg sie in ihren Wagen und knallte die Tür hinter sich zu. Ehe Karsten noch irgendwie reagieren konnte, ließ sie den Motor anspringen und fuhr davon.

*

Nur mühsam konnte Michaela die Tränen zurückhalten, während sie fuhr. Jetzt war sie gar nicht mehr so recht in Stimmung, sich mit ihrer alten Schulfreundin zu treffen, die sie seit Jahren nicht gesehen hatte. Erst am Mittag waren sie sich im Ort begegnet und hatten direkt etwas ausgemacht, um mal in aller Ruhe ein wenig zu plaudern.

Und gerade, als sie losfahren wollte, tauchte Karsten auf und verdarb ihr die Laune.

Michaela war sich im Klaren darüber, dass sie ihn ziemlich schroff abgefertigt hatte. Aber war das ein Wunder? Schließlich hatte er sie die ganze Zeit über belogen, hatte mit ihren Gefühlen gespielt und selbige durcheinander gebracht. Und das alles nur, um sie weichzuklopfen, damit sie den Hof an seinen Chef verkaufte.

Niemals hätte Michaela sich dazu hinreißen lassen, ihn zu küssen, wenn sie gewusst hätte, dass er mit einer anderen Frau zusammen war.

Warum hab’ ich ihn eigentlich net mit den Tatsachen konfrontiert?, fragte sie sich. Ich hätte ihm sagen können, dass ich ihn mit seiner Flamme gesehen hab’.

Aber gleich darauf verwarf sie den Gedanken wieder. Was hätte das schon gebracht? Da war es doch viel angebrachter, ihn über die Frage, warum sie sich ihm gegenüber nun derart verhielt, im Ungewissen zu lassen.

Noch immer konnte Michaela nicht fassen, was in der letzten Zeit passiert war und wie schamlos

Karsten sie hintergangen hatte. Nie wäre sie darauf gekommen, dass er und diese Silvia Leutner ein Paar waren. Und dennoch in geschäftlicher Hinsicht Konkurrenten… Allzu häufig gab es so etwas wahrscheinlich auch nicht.

Michaela schüttelte den Kopf. Sie wollte jetzt nicht mehr weiter darüber nachdenken. Die Ereignisse der letzten Zeit hatten sie ohnehin schon ganz durcheinander gebracht. Was sie jetzt dringend brauchte, war ein bisschen Ablenkung.

Und sie hoffte, dass ihr das Treffen mit ihrer alten Freundin genau dazu verhelfen konnte.

*

Niedergeschlagen trat Karsten den Weg zurück zur Pension an. Er konnte sich einfach nicht erklären, wieso Michaela derart abweisend zu ihm war. Was hatte er verbrochen, dass sie sich ihm gegenüber so verhielt?

Karsten wusste es nicht, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass es dabei nur um sein Verhalten nach dem Kuss ging. Da musste noch etwas anderes dahinterstecken, bloß was?

Gerade, als er die Pension erreichte, in der er untergekommen war, meldete sich sein Handy.

Karsten fischte es aus seiner Tasche, und nach einem Blick auf das Display erhellte seine Miene sich. Bei dem Anrufer handelte es sich nämlich um Tom Westhofen, einen alten Studienfreund.

Karsten hatte ihn nach dem Gespräch mit Pfarrer Trenker angerufen, weil er vor einiger Zeit mal gehört hatte, was Tom inzwischen beruflich machte, und da war ihm sofort die Idee gekommen, dass er ihm bei seinem Vorhaben vielleicht helfen könnte.

Leider aber war Tom nicht erreichbar gewesen, und so hatte Karsten ihm nur eine Nachricht hinterlassen können.

Jetzt endlich meldete er sich also.

*

Karstens Finger zitterten vor Aufregung, als er das Gespräch annahm.

»Tom, alter Kumpel, wie geht’s dir denn?«, begrüßte er seinen alten Freund.

Auch Tom war anzumerken, dass er sich freute, mal wieder etwas von einem alten Freund zu hören. »Aber jetzt sag’ erst einmal, was dir auf dem Herzen liegt, Karsten«, sagte er schließlich. »Deine Nachricht hat sich ja wirklich dringend angehört.«

»Es ist auch dringend«, bestätigte Karsten. »Also, hör zu, es geht um Folgendes…«

In knappen Worten schilderte er sein Anliegen. Er war richtig aufgeregt und hoffte inständig, dass sein Freund ihm würde weiterhelfen können.

Nachdem Karsten geendet hatte, dachte Tom kurz nach, dann sagte er: »Ich denke tatsächlich, dass ich da etwas für euch tun kann.«

Karsten fiel ein Stein vom Herzen. »Ist das dein Ernst? Das wäre ja großartig!«

»Wir sollten uns auf jeden Fall zusammensetzen. Weißt du, wo ich inzwischen wohne?«

»Ja«, Karsten nickte, »das ist gar nicht weit von dem Ort, in dem ich mich im Moment aufhalte. Vielleicht anderthalb Stunden Fahrt. Wenn’s dir recht ist, könnt’ ich gleich morgen Vormittag bei dir aufkreuzen. Es ist nämlich wirklich sehr eilig.«

»In Ordnung, bis morgen also.«

Karsten beendete das Gespräch und atmete tief durch. Wie es aussah, konnte es gut sein, dass der Plan, den er zusammen mit Pfarrer Trenker ausgetüftelt hatte, tatsächlich realisierbar war.

Jetzt kam es nur darauf an, dass die ganze Angelegenheit möglichst schnell über die Bühne ging.

*

Als Michaela am nächsten Morgen recht früh vom Schrillen ihres Weckers aus dem Schlaf gerissen wurde, fühlte sie sich völlig erschöpft.

Gähnend kroch sie aus dem Bett und trottete ins Bad.

Als sie dort in den Spiegel blickte, zuckte sie regelrecht zusammen. Mein Gott, dachte sie, ich schau ja fürchterlich aus. Aber das ist ja auch kein Wunder. Nach der Nacht…

Tatsächlich hatte sie vergangene Nacht nur sehr wenig geschlafen. Nachdem das Treffen mit ihrer alten Freundin Vroni doch länger gedauert hatte als erwartet, war Michaela erst recht spät ins Bett gekommen. Und da hatte sie dann kein Auge zugekriegt, weil ihr einfach zu viele Gedanken durch den Kopf gegangen waren.

Sie hatte Vroni gestern ihr Herz ausgeschüttet und über alles mit ihr gesprochen. Vroni tat es natürlich sehr leid, dass es so schlecht um den Hof stand, sie hatte aber auch gemeint, dass alles besser war als eine Zwangsversteigerung, bei der Michaelas Vater am schlechtesten wegkommen würde.

»Und an diesen Karsten würde ich auf keinen Fall verkaufen«, hatte sie noch gesagt. »Dieser Schuft! Spielt mit deinen Gefühlen, obwohl er eine Freundin hat! Nein, nein, mit dem würde ich kein Wort mehr wechseln!«

Und über all das hatte Michaela dann die halbe Nacht nachgegrübelt. Irgendwann war sie dann doch eingeschlafen, so dass sie wenigstens noch ein bisschen Schlaf bekommen hatte.

Nachdem sie sich nun gewaschen und angezogen hatte, ging sie noch einmal hinunter ins Arbeitszimmer ihres Vaters. Sie wollte noch ein letztes Mal die Unterlagen durchsehen, um ganz sicher zu gehen, dass sie nichts übersehen hatte, was den Hof vielleicht doch noch retten könnte.

Und dann, wenn sie nichts gefunden hatte (wovon sie ausging), würde sie Silvia Leutner anrufen, um einen Termin mit ihr zu vereinbaren.

*

Am Vormittag half Pfarrer Trenker der Bender-Rosi bei der Gartenarbeit. Die Rosi hatte einen großen Kräutergarten, der gut gepflegt werden musste, und zu zweit ging diese Arbeit einfach schneller.

»Meinen S’ net, dass Sie sich im Moment etwas viel zumuten?«, erkundigte der Pfarrer sich, als sie eine Pause machten. In der Tat fand er, dass die ältere Frau in der letzten Zeit viel mehr arbeitete, als gut für sie war. »Vielleicht sollten S’ mal ein bisserl kürzer treten.«

Aber die Rosi winkte ab. »Kommt net in Frage, Herr Pfarrer. Schauen S’, der Ludwig fällt schon aus, und alles können die Burschen auch net allein machen. Die müssen sich doch ohnehin schon nach was Neuem umsehen, es kann ja keiner sagen, wie lange wir den Hof noch haben. Und außerdem…« Sie stockte kurz. »Ja, wissen S’, mir tut die Arbeit auch ganz gut, weil s’ mich ablenkt, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

Sebastian Trenker nickte. Er konnte sich schon vorstellen, dass die Rosi immer sofort ins Grübeln geriet, sobald sie mal fünf Minuten tatenlos war. »Das verstehe ich schon«, sagte er deshalb auch. »Aber verdrängen ist auch keine Lösung«, fügte er noch hinzu.

Energisch winkte die Rosi ab. »Ach was, ich verdräng’ doch nix, Herr Pfarrer. Glauben S’ mir, ich hab’ mich längst damit abgefunden, dass der Ludwig und ich net hier auf dem Hof alt werden, sondern dass wir uns wohl eine Wohnung oder ein Häuschen im Ort suchen müssen. Da mach’ ich mir nix mehr vor, darauf können S’ sich verlassen.« Sie seufzte nachdenklich. »Es macht mich halt bloß alles doch recht traurig. Vor allem für den Ludwig tut’s mir leid. Schließlich hab’ ich all die vielen Jahre täglich aufs Neue mitbekommen, wie viel ihm der Hof bedeutet. Sein Lebenswerk jetzt einfach hergeben zu müssen, wird ihm das Herz brechen, da bin ich sicher.«

»Leicht wird’s sicher net für ihn.« Sebastian nickte. »Aber gerade deshalb braucht er Sie ja jetzt so dringend, Rosi. Ich weiß, dass Sie traurig sind, aber wenn Sie dem Ludwig helfen wollen, dann müssen S’ für ihn da sein und ihm zeigen, dass das Leben auch ohne den Hof schön sein kann. Seien S’ einfach für ihn da, wie Sie es all die Jahre waren, das wird ihm die größte Hilfe sein.«

»Das werde ich auf jeden Fall«, erwiderte die Rosi und nickte dabei heftig. Sebastian wusste, dass der Ludwig sich auf seine Frau würde verlassen können, ganz egal, was kommen würde.

Aber vielleicht wandte sich ja auch noch alles zum Guten. Immerhin hatte er zusammen mit Karsten Hofstädter über eine Möglichkeit gesprochen, wie der Hof doch noch zu retten war, und im Augenblick versuchte Karsten, diese Idee in die Tat umzusetzen.

Karsten hatte auch schon überlegt, der Rosi davon zu erzählen, dann aber war ihm klargeworden, dass dies vielleicht doch nicht so gut war. Was, wenn sich die ältere Frau dadurch große Hoffnungen machte und die Sache hinterher doch schief ging?

Nein, dann wäre die Enttäuschung um so größer, und das wollte der Pfarrer ihr auf jeden Fall ersparen.

*

Die beiden wollten sich gerade wieder an die Arbeit machen, als Michaela dazukam.

»Es gibt Neuigkeiten«, kam sie ohne Umschweife zur Sache. »Ich habe eben mit Frau Leutner gesprochen und für heute Mittag einen Termin vereinbart.«

»Einen Termin?«, fragte der Pfarrer alarmiert. Ein ungutes Gefühl stieg in ihm auf.

Michaela nickte. »Ja, sie hat bereits alle Verträge vorbereitet, und ich werde sie nachher unterzeichnen. Vater hat mir ja eine Vollmacht dafür gegeben.«

»Und wann wollen S’ sich mit ihr treffen?«, fragte Sebastian.

»Frau Leutner hat g’sagt, dass sie um zwölf hier sein will. Schick sie dann doch bitte direkt in mein Arbeitszimmer, wenn s’ kommt, Mutter.«

Die Rosi nickte nur, dann senkte sie niedergeschlagen den Blick.

»Sind Sie denn wirklich sicher, dass Sie diesen Weg gehen wollen, Michaela?«, erkundigte sich Sebastian. »Vielleicht sollten S’ vorher doch noch einmal mit dem Karsten Hofstädter sprechen und ihn…«

»Kommt gar net in Frage!«, unterbrach Michaela den Pfarrer heftig. Gleich darauf senkte sie aber wieder die Stimme. »Hören S’, Herr Pfarrer, ich bin Ihnen wirklich dankbar für alles. Dafür, dass S’ meine Mutter so stark unterstützen und auch dafür, dass Sie in den letzten Tagen immer wieder versucht haben, mir und damit auch meinem Vater zu helfen. Aber was den Karsten Hofstädter angeht, so muss ich Ihnen sagen, dass es diesen Menschen einfach net mehr für mich gibt. Und ich möchte Sie wirklich bitten, das zu akzeptieren.«

Mit diesen Worten nickte sie dem Pfarrer und auch ihrer Mutter noch einmal zu, dann ging sie weiter.

Nachdenklich blickte Sebastian Trenker ihr hinterher. Ihm war klar, dass es keinen Sinn hatte, weiter mit Michaela zu diskutieren. Aus Erfahrung wusste er, dass es nichts brachte, jemanden zu bedrängen. Damit erreichte man für gewöhnlich nur das genaue Gegenteil von dem, was man eigentlich erreichen wollte.

Dennoch stand fest, dass er etwas unternehmen musste. Und es blieb nur noch eine Möglichkeit: Er musste Karsten Hofstädter anrufen und ihn über die neuesten Entwicklungen informieren, und zwar schnellstens.

*

Karsten war an diesem Tag sehr früh aufgestanden, hatte nur kurz gefrühstückt und sich dann gleich auf den Weg zu seinem alten Freund Tom Westhofen gemacht.

Die Fahrt war recht angenehm verlaufen, es hatte keine Staus gegeben, und so hatte Karsten sein Ziel schon nach gut anderthalb Stunden erreicht.

Nun saß er Tom gegenüber und erzählte ihm noch einmal genau, worum es ihm ging, und ließ dieses Mal auch keine Details aus.

Nachdem Karsten geendet hatte, nickte Tom schließlich. »Es war gut, dass du dich an mich gewendet hast, alter Freund«, sagte er.

Karsten schaute auf. »Dann kannst du wirklich etwas für Michaela tun?«, wollte er wissen.

»Ich denke schon.« Tom musterte seinen Freund kurz. »Aber sag’ mal, kann es sein, dass du mir noch etwas verschwiegen hast?«, fragte er. »Ich meine, ist da vielleicht etwas zwischen dieser Michaela und dir, das du mir noch nicht erzählt hast?«

»Was ich dir noch net erzählt hab’?« Verlegen senkte Karsten den Blick und hob die Schultern. »Ich hab’ keine Ahnung, was du meinst«, stammelte er unbeholfen.

Jetzt musste Tom lachen. »Aber, aber, mein Lieber. Wir haben uns zwar viele Jahre nicht mehr gesehen, aber ich glaube trotzdem, dich noch ganz gut zu kennen. Und ich habe das Gefühl, dass du mir jetzt gerade nicht die ganze Wahrheit sagst. Also sag’: Kann es sein, dass es dich ganz schön erwischt hat, was diese Michaela angeht?«

»Ich weiß gar nicht, wie du auf so etwas…«, widersprach Karsten, doch dann gab er es auf und winkte ab. »Ach, du hast ja Recht. Ja, es stimmt: Ich hab’ Michaela vom ersten Augenblick an gemocht. Sie ist wirklich ein ganz außergewöhnliches Madl.«

»Hab’ ich’s mir doch gedacht!«, rief Tom begeistert aus. »Und? Ist schon mehr zwischen euch gewesen?«

Karsten seufzte. »Wir haben uns geküsst, ja. Aber dann hab’ ich kalte Füße gekriegt und bin einfach weggegangen, und das scheint sie mir nachzutragen. Jedenfalls weigert sie sich seitdem beharrlich, mit mir zu reden.«

»Und warum, bittschön, hast d’ kalte Füße bekommen?« Tom lachte. »Ich meine, ein Kind von Traurigkeit bist d’ früher net grad gewesen, wenn ich mich recht erinnere.«

Karsten winkte ab. »Das ist eine lange Geschichte. Weißt d’, ich war vor einiger Zeit mit einer Frau namens Silvia zusammen. Ich war echt ganz schön vernarrt in sie, rückblickend aber glaube ich net mal, dass es Liebe war. Ich war halt verschossen, wie man so schön sagt.«

Tom nickte. »Und weiter?«

»Ehrlich gesagt, möcht’ ich über Details net mehr sprechen, ich kann nur sagen, dass Silvia nie ernsthaft an mir interessiert war. Sie hatte etwas anderes im Kopf. Es waren gewisse berufliche Dinge, die sie dazu antrieben, mir die große Liebe vorzuheucheln. Letztendlich hat sie mich nur benutzt.«

»Verstehe.« Tom nickte und hakte nicht weiter nach. »Und seitdem traust du keiner Frau mehr über den Weg, hab’ ich Recht? Das kann man nach so einer Geschichte wirklich nachvollziehen, aber ich möchte dir auch sagen, dass das reichlich dumm von dir ist.«

Karsten schaute auf. Die deutlichen Worte seines alten Freundes überraschten ihn.

»Und wie kommst du darauf?«, fragte er.

»Erstens, weil ich dir an der Nasenspitze ansehe, wie sehr es dich erwischt hat. Du bist in diese Michaela net nur verknallt, du bist verliebt. Und außerdem bin ich der Ansicht, dass du nicht den Fehler machen darfst, alle Frauen über einen Kamm zu scheren, bloß weil du mal von einer enttäuscht wurdest. Sicher ist so was schmerzhaft, das weiß ich aus Erfahrung, aber irgendwann musst d’ schon darüber wegkommen und offen für Neues sein. Sonst wirst d’ hinterher nie glücklich werden.«

Schweigend senkte Karsten den Blick. Die Worte seines Freundes hatten ihn nachdenklich gemacht. Hatte er nicht eigentlich Recht mit dem, was er sagte? Was konnte Michaela schließlich dafür, dass er damals eine Enttäuschung erlebt hatte? Rein gar nichts, natürlich. Und dennoch war er…

Das Schrillen seines Handys riss ihn aus seinen Gedanken. Hastig fischte er das Mobiltelefon aus seiner Jackentasche und nahm das Gespräch an. Es war Pfarrer Trenker. Karsten hatte ihm nach ihrem letzten Gespräch für den Fall der Fälle seine Handynummer gegeben.

Und was der Pfarrer zu sagen hatte, ließ Karsten blass werden.

»Michaela hat – was?«

»Ich habe es selbst eben erst erfahren. Um zwölf will die Silvia Leutner herkommen, damit Michaela den Kaufvertrag für den Hof unterzeichnen kann.«

»Das darf net wahr sein! Ausgerechnet jetzt!«

»Ich hab’ bereits versucht, Michaela zu überzeugen, vorher noch einmal mit Ihnen zu sprechen«, erklärte Sebastian Trenker. »Aber das Madl wollte partout nicht auf mich hören. Ich weiß ja net, was zwischen Ihnen vorgefallen ist, aber…«

»Glauben S’ mir, Herr Pfarrer, das wüsst’ ich selbst nur zu gern. Aber vorrangig ist jetzt, dass Michaela den Hof net verkauft. Was meinen S’, können S’ mir vielleicht noch ein bisserl Zeit verschaffen?«

»Ehrlich g’sagt, ich weiß es net. Aber ich kann Ihnen versprechen, dass ich tun werde, was in meiner Macht steht.«

»Dann wird das reichen müssen, Herr Pfarrer«, erwiderte Karsten. Er bedankte sich und beendete das Gespräch.

»Ist was passiert?«, fragte Tom. Als Karsten ihm berichtet hatte, was vorgefallen war, nickte er. »Das klingt, als sollten wir uns besser ein bisserl beeilen.«

Dem konnte Karsten nur beipflichten.

*

»Warten S’ bitte einen Moment«, sagte die Bender-Rosi zu der schick gekleideten Blondine. »Ich werd’ meiner Tochter gleich Bescheid geben, dass S’ da sind.«

Sebastian beobachtete vom Stall aus, wie Michaelas Mutter im Innern des Wohnhauses verschwand, um im selben Moment ins Freie zu treten. »Sie müssen Silvia Leutner sein«, sagte er und reichte der blonden Frau die Hand. »Mein Name ist Sebastian Trenker, und Michaela schickt mich, um Ihnen auszurichten, dass s’ sich ein bisserl verspäten wird.«

»Aber war das net gerade ihre Mutter, die…?«

Um jeglichen Widerspruch im Keim zu ersticken, hakte Sebastian sich bei Silvia unter. »Michaela bat mich außerdem, Ihnen die Zeit bis zu ihrer Rückkehr möglichst zu verkürzen. Ich dacht’ mir, es wär’ sicher ganz nett für Sie, wenn ich S’ ein bisserl auf dem Hof herumführe. Am besten, wir fangen oben auf der Kuhweide an. Die Zenzi hat vor kurzem ein Kälbchen bekommen, und…«

Sebastian sandte ein stummes Dankgebet zum Himmel, als sich Silvia Leutner mit ihm in Bewegung setzte. Seit er Karsten angerufen hatte, hatte er sich den Kopf darüber zerbrochen, wie er den Verkauf des Bender-Hofes wohl am besten noch eine Weile hinauszögern konnte.

Ein Gespräch mit Michaela erschien ihm wenig erfolgversprechend, daher entschied er sich am Ende für eine gänzlich andere Vorgehensweise. Wie lange es ihm auf diese Weise gelingen würde, Michaela und Silvia Leutner voneinander fernzuhalten, konnte er allerdings nicht voraussehen. Ihm blieb nur zu hoffen, dass Karsten sich mit der Umsetzung seiner Pläne beeilte.

*

»Ja, wo ist sie denn nun, Mutter?« Michaela schaute sich suchend um, konnte jedoch nirgends eine Spur von Silvia Leutner entdecken. Einzig ihr schnittiger Sportwagen zeugte davon, dass sie sich irgendwo ganz in der Nähe aufhalten musste.

»Ich weiß es wirklich net, Madl«, antwortete die Bender-Rosi. »Vielleicht hat sie’s sich ja auch im letzten Moment noch anders überlegt und will den Hof nun doch nimmer kaufen.«

Michaela schüttelte den Kopf. »Nein, das glaub’ ich net. Dann wäre auch ihr Auto net mehr hier, Mutter.«

»Dann macht s’ vielleicht einen Spaziergang.«

»Nein, auch das kann ich mir net vorstellen. Aber… Da ist sie ja«, rief sie plötzlich aus. Sie runzelte die Stirn. »Kannst du mir vielleicht erklären, was s’ gemeinsam mit dem Herrn Pfarrer auf der Kuhweide zu suchen hat?« Aber darauf konnte ihre Mutter ihr auch keine Antwort geben.

Michaela atmete noch einmal tief durch, strich den Rock ihres Dirndls glatt und begann den Aufstieg zur Weide. »Also gut, dann will ich’s mal hinter mich bringen«, sagte sie und spürte sofort, wie ihr Herz aufgeregt zu pochen begann. Sosehr sie auch versuchte, sich vom Gegenteil zu überzeugen, tief in ihrem Herzen hatte sie sich mit dem Verkauf des elterlichen Hofes noch immer nicht abgefunden.

Doch es schien tatsächlich keinen anderen Ausweg zu geben. Ihr blieb nichts anderes übrig, als sich in das Schicksal zu fügen, das der Herrgott anscheinend für den Bender-Hof bestimmt hatte.

»Da sind S’ ja, Frau Leutner«, rief sie, als sie in Hörweite gelangt war. »Ich hab’ S’ schon überall gesucht! Was machen S’ denn hier droben?«

Sebastian Trenker schaltete sich ein, ehe die Blondine zu Wort kommen konnte. »Ich dachte, ich führe die Frau Leutner ein wenig auf dem Hof herum. Schließlich soll s’ ja auch net die sprichwörtliche Katze im Sack kaufen.«

Michaela rang sich ein Lächeln ab. »Nein, natürlich net. Aber jetzt muss ich Ihnen Frau Leutner entführen, Herr Pfarrer. Sie entschuldigen uns?«

Das Verhalten des guten Hirten von St. Johann war für Michaela gelinde gesagt überraschend. Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um sich damit zu befassen. Sie wollte so schnell wie möglich die Formalitäten abwickeln und den Verkauf des Hofes endlich über die Bühne bringen.

*

Knapp eine halbe Stunde später saß Michaela zusammen mit Silvia Leutner in der guten Stube des Bender-Hofes. Vor ihr auf dem Tisch lag der Kaufvertrag, daneben ein Kugelschreiber. Es war so still im Raum, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Nur das allgegenwärtige Ticken der Kuckucksuhr an der Wand war zu vernehmen.

»Was ist nun, Frau Bender?«, durchbrach Silvia Leutner schließlich das Schweigen. »Wollen S’ den Vertrag jetzt endlich unterzeichnen oder net? Glauben S’ mir, ein besseres Angebot werden S’ ganz sicher von niemandem bekommen, und…«

Es klopfte an der Tür, die gleich darauf geöffnet wurde. Es war Pfarrer Trenker, der, bereits zum vierten Mal in den vergangenen dreißig Minuten, seinen Kopf durch den Türspalt steckte.

»Ich wollt’ gerade einen Kräutertee für Ihre Mutter und mich aufsetzen, Michaela. Möchten die Damen vielleicht auch ein Tässchen?«

Silvia Leutner bedachte den Pfarrer von St. Johann mit einem Blick, der Bände sprach. »Liebe Güte, hat man denn hier niemals seine Ruh’?«, stieß sie zornig hervor.

Obwohl Michaela es schon ein bisschen seltsam fand, dass Sebastian Trenker alle paar Minuten hereinschaute, ärgerte sie sich doch vor allem über Silvia Leutners unhöfliches Verhalten. »Nein, danke«, sagte Michaela deshalb sanft. »Wir benötigen nichts.«

Nachdem der Pfarrer sich wieder zurückgezogen hatte, nahm Michaela den Stift zur Hand. Doch noch immer zögerte sie, den Kaufvertrag zu unterzeichnen. Warum bloß? Sie wusste doch, dass es die beste – und vor allem die einzige! – Lösung für alle war.

Und dennoch…

Wieder klopfte es an der Tür. Silvia Leutner stieß ein verärgertes Schnauben aus. »Das kann doch einfach nicht wahr sein!«

Doch dieses Mal war es nicht Sebastian Trenker, der die Stube betrat, sondern Michaelas Mutter, die Bender-Rosi.

»Es tut mir leid, dass ich stören muss, aber ich habe hier einen dringenden Anruf für dich, Madl.«

»Einen Anruf? Wer ist es denn?«

»Ein gewisser Herr Meissner. Er sagt, es sei ungemein wichtig. Es geht um den Hof.«

Michaela blinzelte überrascht, denn sie kannte niemanden dieses Namens. Trotzdem erhob sie sich. »Sie entschuldigen mich einen Augenblick, Frau Leutner?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, folgte Michaela ihrer Mutter zum Telefon und nahm den Hörer entgegen. Nachdem sie sich gemeldet hatte, sagte sie eine ganze Weile lang gar nichts mehr, denn es war der Anrufer, der sprach. Am Ende brachte sie nur ein erstauntes »Oh!« zustande.

»Sind S’ wirklich absolut sicher?«, fragte sie dann. »Also gut, wenn das so ist. Vielen Dank.«

»Was ist denn los, Madl?«, wollte ihre Mutter wissen, nachdem sie aufgelegt hatte.

»Das erzähl’ ich dir alles gleich in Ruhe«, erwiderte Michaela strahlend. »Zuvor habe ich allerdings noch etwas zu erledigen.«

*

»Das kann unmöglich Ihr Ernst sein!« Silvia Leutners Stimme überschlug sich fast vor Empörung. »Das können S’ net machen!«

»Und ob ich das kann«, erwiderte Michaela gelassen. »Finden S’ sich damit ab, Frau Leutner, denn es ist bereits beschlossene Sache: Ich werd’ den Hof net verkaufen. Weder an Sie noch an Ihren feinen Freund, den Herrn Hofstädter.«

»Was hat Karsten denn nun schon wieder damit zu tun?«

»Im Grunde überhaupt nix – aber Sie können ihm trotzdem schöne Grüße von mir ausrichten und ihm mitteilen, dass seine ganze Müh’ umsonst g’wesen ist. Er hätt’ es sich also sparen können, mir schöne Augen zu machen, bloß um mich zum Verkauf des Hofes zu überreden.«

»Ich wüsst’ net, was das mit mir zu tun hätt’. Ja, der Karsten und ich, wir waren einmal ein Paar, aber das ist schon ewig her. Wenn S’ ihm also etwas zu sagen haben, dann tun S’ das gefälligst selbst!«

Michaela runzelte die Stirn. »Wollen S’ damit sagen, zwischen Ihnen und dem Karsten ist nix?«

»Wissen S’ was? Das wird mir hier langsam wirklich zu albern. Was ist jetzt mit dem Hof? Wollen S’ nun verkaufen oder net?«

»Nein«, antwortete Michaela fest.

Die attraktive Blondine sprang von ihrem Stuhl auf, ihr Blick war wutentbrannt. »Das hätten S’ mir auch früher sagen können«, fauchte sie. »Dann hätt’ ich mir die ganze Müh’, die Papiere vorzubereiten und hier herauf zu fahren, ebenso gut auch sparen können.«

Mit diesen Worten klaubte sie die Vertragsunterlagen vom Tisch zusammen und lief dann, ohne sich zu verabschieden, an Michaela vorbei aus dem Raum.

Nur Sekunden später schaute Sebastian Trenker durch die offene Tür herein. »Ist was passiert?«, erkundigte er sich. »Die Frau Leutner ist gerade an mir vorbeigestürmt, als wär’ der Leibhaftige höchstpersönlich hinter ihr her.«

Michaela lachte. »Ich hab’ ihr bloß erklärt, dass ich net an sie verkaufen werd’. Mir scheint, dass s’ darüber net gerade sehr erfreut g’wesen ist.«

»Sie verkaufen nun doch net?« Der Pfarrer von St. Johann lächelte zufrieden. »Darf ich fragen, was Sie zu diesem plötzlichen Sinneswandel veranlasst hat?«

»Natürlich dürfen S’, Herr Pfarrer. Es ist so, dass ich vorhin einen Anruf erhalten hab’, der alles ändert.«

»Tatsächlich?«

»Ja, der Anrufer war der Vertreter einer großen Reisegesellschaft, die sich speziell auf alternative und ökologische Urlaubsangebote spezialisiert hat. Und jetzt stellen S’ sich vor, Herr Pfarrer, die Leut’ haben von unserem Hof gehört und wollen mit uns zusammenarbeiten.«

»Was hör’ ich da?«, fragte die Bender-Rosi, die gerade aus der Küche kam. »Woll’n die aus unserem Höfl etwa ein Hotel machen?«

Michaela schüttelte den Kopf. »Nein, viel besser. Natürlich müssten ein paar Räume hier im Wohnhaus zu Gästeunterkünften umgestaltet werden, man könnte auch über einen Anbau nachdenken, doch der Tourismus soll nur eine Art zweites Standbein sein, während der Rest des Hofbetriebes ganz normal weiterläuft.«

»Und wer soll einen solchen Umbau bezahlen?«

»Der Herr Meissner meinte, dass sein Unternehmen bereit sei, die Kosten zu übernehmen. Und das Beste ist: Angeblich arbeite bereits jemand an einem Plan, um die finanzielle Zwangslage des Hofes zu klären.«

Tränen traten der Bender-Rosi in die Augen. »Ist das wirklich wahr, Madl? Heißt das, wir können das Höfl doch behalten?«

Glücklich schloss Michaela ihre Mutter in die Arme. »Es sieht tatsächlich ganz danach aus, Mutter.«

*

Es war schon ziemlich spät am Nachmittag, als Michaela mit ihrer Mutter und Sebastian Trenker aus dem Krankenhaus zurückkehrte. Ludwig Bender hatte die Nachricht, dass er seinen Hof nun aller Voraussicht nach doch behalten durfte, mit großer Freude aufgenommen. Jetzt blieb nur zu hoffen, dass sich tatsächlich alles so entwickelte, wie sie es sich erhofften.

»Eines frage ich mich aber doch«, sagte Michaela, als sie mit dem Pfarrer von St. Johann am Küchentisch beisammen saß. »Dieser Herr Meissner ist doch nicht durch Zufall ausgerechnet auf unser Höfl gestoßen. Irgend jemand muss ihn auf uns aufmerksam gemacht haben, meinen S’ net? Und dieser Unternehmensberater, der uns in den nächsten Tagen aufsuchen soll, um eine Sanierung auszuarbeiten, wer hat den beauftragt?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich versteh’ das alles net. Wer tut sowas für uns? Und warum?«

Sebastian Trenker lächelte. »Ich kann mir schon vorstellen, wer dafür verantwortlich ist«, sagte er. »Allerdings befürcht’ ich, dass Sie die Wahrheit gar net hören wollen.«

»Aber warum denn das net? Ich bin demjenigen zutiefst zu Dank verpflichtet. Er hat das Unmögliche geschafft und dem Vater und der Mutter das Höfl gerettet. Warum sollt’ ich davon nix wissen wollen?«

»Vielleicht, weil ich derjenige bin?«, erklang plötzlich eine Stimme von der Küchentür her.

Michaela sprang von ihrem Platz auf. Als sie Karsten erblickte, runzelte sie die Stirn. »Du?«, fragte sie irritiert und verengte die Augen zu Schlitzen. »Was willst d’ hier? Ich hätt’ nicht für möglich gehalten, dass du dich noch einmal hierher wagen würdest, nach allem, was passiert ist!«

»Vielleicht würdest du mir zuerst einmal erklären, wovon du eigentlich redest«, erwiderte Karsten lächelnd. »Um ehrlich zu sein, ich weiß nämlich immer noch net, warum du so ärgerlich auf mich bist.«

»Da fragst’ noch? Aber schon recht, du kannst ja schließlich net wissen, dass ich dich zusammen mit deiner Freundin im Café hab’ sitzen seh’n. Eure innige Umarmung hat wirklich keine Fragen offen g’lassen!«

»Du meinst die Silvia und mich?« Zuerst starrte er die Michaela nur fassungslos an, dann fing er an zu lachen.

»Was soll das? Warum lachst du?«, verlangte Michaela zu wissen. »Ich find’ das ehrlich g’sagt net besonders witzig!«

»Oh, Michaela, da hast d’ aber etwas ganz arg missverstanden. Ich geb’ ja zu, dass ich mich von der Silvia hab’ überreden lassen, mit ihr in dieses Café zu gehen. Aber das hab’ ich doch nur gemacht, um zu erfahren, was sie im Sinn hat. Und umarmt hab’ ich sie ganz bestimmt net, sondern sie mich.«

»Du meinst…«

»Ja, das mit der Silvia und mir, das ist schon seit langer Zeit vorbei.«

Dann stimmt’s also tatsächlich, was die Silvia Leutner g’sagt hat, dachte Michaela. Zwischen ihr und Karsten war gar nichts mehr!

»Und die Sache mit der Reisegesellschaft und dem Unternehmensberater…?«, fragte sie dann.

»War, wie ich gestehen muss, net ganz allein meine Idee. Der Pfarrer Trenker hat ebenfalls seinen Teil dazu beigetragen. Aber das ist ja jetzt auch vollkommen gleichgültig. Wichtig ist nur, dass du glücklich bist, Michaela.« Er schaute ihr so tief in die Augen, dass sie weiche Knie bekam. »Denn wenn du glücklich bist, dann bin ich’s ebenfalls.«

Dann küsste er sie, so sanft und trotzdem leidenschaftlich, wie Michaela noch nie zuvor geküsst worden war. Ihr war, als würde die Welt um sie herum verblassen. Und so merkte sie auch nicht, wie Sebastian Trenker sich, mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, diskret aus der Küche des Bender-Hofes zurückzog.

*

»Hoch soll er leben, hoch soll er leben! Drei Mal hoch!«

Die Gäste, die Michaela und ihre Mutter anlässlich der Rückkehr des Vaters nach insgesamt drei Monaten im Krankenhaus eingeladen hatten, jubelten ausgelassen, als der Bender-Ludwig aus dem Wagen stieg.

»Mei, was für eine Begrüßung! Ich kann gar net sagen, wie froh ich bin, endlich wieder daheim zu sein.«

Er wandte sich um zu Michaela und Karsten, die hinter ihm standen, um ihm notfalls zur Seite zu stehen, sollte er Hilfe benötigen.

Ludwig war noch immer ein biss­chen wacklig auf den Beinen. »Und dass ich noch etwas habe, was ich als Heim bezeichnen kann«, sagte er nun an die beiden gewandt, »das verdanke ich euch zwei. Ich weiß gar net, wie ich euch danken soll.«

»Das brauchst’ auch gar net, Vater, denn der Hof ist genauso mein zu Hause, wie er auch stets deines gewesen ist. Du siehst, ich habe nicht ganz uneigennützig gehandelt.«

»Ach geh, Madl, ich weiß doch, dass du inzwischen längst in der Stadt dein Glück gefunden hast.«

»Das hab’ ich auch lange Zeit geglaubt«, räumte Michaela ein. »Aber inzwischen weiß ich, dass ich da einem Irrtum aufgesessen bin. Und deshalb hab’ ich – oder besser, haben wir – auch eine Bitte an dich.«

»Sprich frei heraus. Ich bin sicher, dass ich damit einverstanden sein werd’.«

»Also, wie du ja weißt, wollen Karsten und ich in zwei Monaten heiraten. Nun, und wir wollen uns net allzu viel Zeit lassen, was das Kinderkriegen betrifft. Tja, und da dachten wir uns…«

Nun ergriff Karsten das Wort. »Wir dachten uns, dass es auf der ganzen Welt keinen Ort gibt, der besser dazu geeignet ist, dort seine Kinder großzuziehen, als hier oben in den Bergen.«

»Soll das etwa heißen…«

»Ja, Vater, wir würden gern hier auf dem Hof mit euch zusammenleben, wenn ihr nichts dagegen einzuwenden habt. Jetzt, wo der Umbau der Gästezimmer so gut wie abgeschlossen ist, könnt ihr doch sicher jede Hand gebrauchen, die mit anpacken kann.«

»Hast das gehört, Rosi?«, fragte Ludwig seine Frau, die gerade freudestrahlend aus dem Haus gelaufen kam, um ihren Mann zu begrüßen. »Die Kinder wollen zu uns ziehen, hierher auf’s Höfl. Ist das nicht wunderbar?«

»Etwas Schöneres hab’ ich schon lange net mehr g’hört«, stimmte ihm seine Gattin zu.

»Na, dann ist es also offiziell«, verkündete Karsten. »Michaela und ich, wir verlassen die Stadt und kommen für immer hierher zu euch auf den Hof.«

Dann küsste er Michaela, die wusste, dass sie nun endlich das Glück ihres Lebens gefunden hatte.

Der Bergpfarrer Staffel 20 – Heimatroman

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