Читать книгу Der Bergpfarrer Staffel 21 – Heimatroman - Toni Waidacher - Страница 6

Оглавление

Ulrich Bernhard sah die junge Frau mit besorgter Miene an.

»Liebe Frau Westmeier, ich will gar nicht verhehlen, dass ich mit Ihrem Zustand alles andere als zufrieden bin«, sagte der bekannte Münchener Internist. »Dabei spielt es gar keine Rolle, dass es sich bei dem Grund meiner Unzufriedenheit um Ihren seelischen Gesundheitszustand handelt. Körperlich sind Sie ja soweit wiederhergestellt, aber wenn ich mir so Ihr Gemüt ansehe …«

Gaby Westmeier war bei den Worten ihres Arztes unwillkürlich zusammengezuckt. Heute war ein letzter Untersuchungstermin anberaumt worden, und die junge Kindergärtnerin hatte eigentlich erwartet, etwas Positives aus dem Mund des Professors zu hören.

Doch stattdessen …

»Aber Sie haben doch gesagt, dass mir nichts fehlt«, wandte sie ein.

Ulrich Bernhard hob die Hand.

»Wie gesagt, körperlich ist alles in Ordnung«, unterbrach er sie. »Indes sind Sie nur ein halber Mensch, wenn die Seele nicht mitspielt.«

Gaby Westmeier seufzte. »Ich weiß, was Sie meinen. Aber was erwarten Sie? Wie soll es mir denn gehen, nach all dem, was ich durchgemacht hab’? Jetzt hab’ ich auch noch meine Arbeit verloren. Da ist’s doch wohl nur verständlich, wenn’s einem mal net so gut geht.«

»Ich habe absolut Verständnis für Ihre Situation«, nickte der Arzt, »und darum habe ich mir auch Gedanken gemacht, wie wir daran etwas ändern können …«

Ulrich Bernhard lächelte geheimnisvoll. Gaby sah ihn rätselnd an.

»Wie wollen wir etwas daran ändern?«, fragte sie.

»Indem wir Sie sozusagen auf Kur schicken!«

Die Kindergärtnerin winkte ab.

Wie sollte das gehen?

Eine Kur würde ja bedeuten, dass sie noch länger brauchen würde, um ins Arbeitsleben zurückzufinden!

»Dann nehmen Sie halt Urlaub«, erwiderte der Arzt, auf ihr Argument. »Sagen wir, für zwei Wochen. Die spielen auch keine große Rolle mehr.«

»Das vielleicht net«, zuckte Gaby die Schultern, »aber ein Urlaub wird schon allein an der Tatsache scheitern, dass ich überhaupt kein Geld dafür hab’. Meine Ersparnisse sind so gut wie aufgebraucht, und das bissel Krankengeld reicht grad mal so für meinen Lebensunterhalt. Würden meine Vermieter net soviel Verständnis haben, säße ich schon längst auf der Straße.«

Ulrich Bernhard lächelte wieder geheimnisvoll. Der Internist war nicht nur ein begnadeter Arzt, sondern auch ein Menschenfreund. Oft genug hatte er dies unter Beweis gestellt, indem er Patienten umsonst behandelte, wenn sie die finanziellen Mittel dazu nicht hatten. Und vor allem hatte der Professor einen guten Draht zu einem anderen Menschenfreund, der, gleich ihm, für die Armen und Trostlosen da war, wenn seine Hilfe gebraucht wurde.

»Ich habe einen sehr guten Freund«, erklärte Professor Bernhard. »Pfarrer Trenker wird Sie bei sich wohnen lassen, und seine Haushälterin, die prächtige Frau Tappert, wird Sie von morgens bis abends verwöhnen.«

Gaby Westmeier sah ihn ein wenig irritiert an.

»Ich soll bei einem Pfarrer Urlaub machen?«, fragte sie ungläubig.

»Warum nicht? Sie wären nicht die erste Patientin, die ich zu ihm schicke, und ich kann Ihnen versichern, allen ging es nach dem Urlaub besser als je zuvor.«

Ulrich Bernhard nickte.

»Ja, ich setze mich gleich heut’ Abend mit ihm in Verbindung«, fuhr er fort, »und melde mich dann bei Ihnen. Am besten packen Sie schon gleich heut’ ein paar Sachen zusammen. Und denken Sie dran, in den Bergen, dorthin werden Sie nämlich fahren, kann es mal sehr heiß, aber auch empfindlich kalt sein. Richten Sie sich also entsprechend ein.«

Mit einem vergnügten Lächeln verabschiedete Ulrich Bernhard die Patientin. Gleichzeitig beschlich ihn ein Gefühl des Bedauerns.

Gerne wäre er selber mal wieder ins Wachnertal gefahren und hätte seinen Freund, Sebastian Trenker, den guten Hirten von St. Johann, besucht!

*

Um das Geld zu sparen, ging Gaby Westmeier zu Fuß nach Hause und verzichtete darauf, den Bus zu nehmen. Noch immer wusste sie nicht, was sie von dem Vorschlag des Professors halten sollte. Zwei Wochen mit einem katholischen Geistlichen unter einem Dach zu leben, kam ihr schon ein wenig merkwürdig vor. Indes wusste sie beim besten Willen nicht, wie sie einen Urlaub finanzieren sollte, obgleich ihr schon bewusst war, wie dringend sie etwas Erholung brauchte.

Wenn nur das liebe Geld net wär!

Gaby kam durch einen kleinen Park und setzte sich auf eine Bank, um ein wenig zu verschnaufen, ehe sie weiterging. Sie saß da und dachte über ihre Misere nach.

Wie aus heiterem Himmel war die Krankheit über sie gekommen. Zunächst hatte es wie eine harmlose Sommergrippe begonnen, dann hatte sich der Infekt als sehr hartnäckig erwiesen, und ehe sie sich versah, kämpfte Gaby Westmeier einen Kampf auf Leben und Tod gegen die heimtückische Krankheit, gegen die es kein Mittel zu geben schien. Es war Ulrich Bernhard zu verdanken, dass die schlimme Krankheit schließlich besiegt werden konnte. Tag und Nacht forschte der Mediziner unermüdlich, nahm Kontakt zu Kollegen in aller Welt auf, bis er endlich durch einen japanischen Immunologen auf die Spur eines Gegenmittels gebracht wurde. Wie sich zeigte, litt Gaby Westmeier an einer seltenen Immunkrankheit, die durch den Infekt ausgelöst wurde und die Produktion der körpereigenen Abwehrkräfte verhinderte. Endlich konnte ihr geholfen werden, doch das alles, die Krankheit und der Genesungsprozess, nahm fast ein halbes Jahr in Anspruch. Längst hatte man sich im Kindergarten, in dem sie arbeitete, nach einer anderen Erzieherin umsehen müssen, und es sah nicht danach aus, als würde Gaby so schnell eine neue Arbeitsstelle finden.

Es war später Nachmittag, als sie zu Hause ankam. Gaby bewohnte ein möbliertes Zimmer bei einem älteren Ehepaar, deren Tochter vor ein paar Jahren geheiratet hatte und mit ihrem Mann nach Norddeutschland gezogen war. Jetzt verwöhnten Alois und Hanne Brunner die Kindergärtnerin wie ein eigenes Kind, und drückten ein Auge zu, als Gaby die Miete schuldig bleiben musste.

»Das ist doch ein schöner Vorschlag von deinem Doktor«, meinte Alois, als sie beim Abendessen saßen.

»Schon«, antwortete die junge Frau, »aber trotzdem ist es ein wenig ungewöhnlich.«

Noch immer hatte sie Bedenken, Urlaub in einem Pfarrhaus zu machen.

»Ach wo«, Hanne Brunner schüttelte den Kopf, »jetzt ist vor allem wichtig, dass du dich wieder ganz erholst, und da ist seelsorgerischer Beistand net das Schlechtes­te.«

Die Kindergärtnerin seufzte unterdrückt. Sie wusste ja, wie Recht ihre Vermieterin hatte.

Sie waren gerade mit dem Abendessen fertig geworden, als Professor Bernhard wie versprochen anrief.

»Ich habe mit Pfarrer Trenker telefoniert«, erklärte er. »Sie können schon übermorgen nach St. Johann fahren.«

»Übermorgen schon?«

»Höre ich da etwa ein Zaudern in Ihrer schönen Stimme?«

»Na ja, das geht alles so …«

»… so plötzlich? Ja. Aber wir wollen doch beide, dass Sie wieder richtig gesund werden, und da dürfen wir nicht zögern. Glauben Sie mir, Frau Westmeier, die Zeit im Wachnertal wird Ihnen gut tun. Sie werden ein neuer Mensch sein, wenn Sie zurückkommen.«

Gaby antwortete nicht.

»Dann bleibt es also dabei, Sie fahren übermorgen?«, hakte der Arzt nach.

»Ja, in Gottes Namen«, stimmte sie endlich zu.

»Wunderbar!«, rief Ulrich Bernhard begeistert.

Er erklärte der Kindergärtnerin die Anreise nach St. Johann. Mit dem Zug käme sie bis in die Kreisstadt, dort würde Pfarrer Trenker sie am Bahnhof abholen.

»Ist das net zu umständlich?«, meinte sie.

»Es geht natürlich auch ein Bus«, antwortete der Arzt, »aber den zu nehmen wäre zu umständlich. Außerdem hat mein Freund ohnehin in der Stadt zu tun. Wenn Sie gleich morgens fahren, kann er Sie gegen Elf abholen. Es passt perfekt.«

»Also gut.«

»Prima. Dann geb’ ich Pfarrer Trenker gleich Bescheid, dass alles so bleibt, wie wir’s besprochen haben. Schönen Urlaub, Frau Westmeier und erholen Sie sich gut!«

»Danke. Danke Herr Professor, für alles!«, sagte Gaby mit Rührung in der Stimme.

»Schon gut«, wehrte Ulrich Bernhard bescheiden ab, »ich freue mich, dass ich helfen konnte.«

Der Rest des Abends verging mit Sortieren und Packen der Sachen, die mitgenommen werden sollten. Einiges musste auch noch gewaschen werden, aber zum Glück war ja noch ein ganzer Tag Zeit. Aber auch der verging wie im Flug, und als Gaby dann am übernächsten Morgen im Zug nach St. Johann saß, da beschlich sie doch ein mulmiges Gefühl, und sie fragte sich, ob es wirklich eine so gute Idee war, dem Vorschlag ihres Arztes zu folgen.

Doch zur Umkehr war es zu spät. Der Zug fuhr an, und ihr blieb nur noch, ihren Vermietern, die sie zur Bahn gebracht hatten, zum Abschied zu winken.

*

Toni Wiesinger hatte gerade einen Patienten verabschiedet, als das Telefon klingelte. Der Arzt nahm ab und erkannte sofort die Stimme seines Doktorvaters.

»Herr Professor!«, rief er, »das ist aber schön, dass Sie anrufen. Wann kommen S’ denn mal wieder nach St. Johann?«

»Vorläufig gar nicht«, bedauerte Ulrich Bernhard. »Die Arbeit lässt mir keine Zeit. Aber freilich habe ich einen Grund für meinen Anruf …«

»Nämlich?«

Der Internist erzählte seinem früheren Studenten von der Patientin, um deren Leben er so lange gekämpft hatte.

»Mit Pfarrer Trenker ist soweit alles besprochen. Wahrscheinlich ist er jetzt grad am Bahnhof, um die Frau Westmeier abzuholen. Aber an Sie hätt’ ich eine Bitte, Toni.«

»Nur heraus mit der Sprache!«

»Ich wollt’ Sie bitten, dass Sie sich ebenfalls ein bissel um die Frau kümmern, wenn es nötig sein sollte, was ich indes nicht glaube. Es ist nur für den Fall der Fälle. Und dabei müssen Sie wissen, dass Frau Westmeier finanziell nicht gut dasteht. Die lange Krankheit und ihre jetzige Arbeitslosigkeit fordern natürlich ihren Tribut.«

»Machen S’ sich deswegen keine Gedanken, Herr Professor.«

»Danke, Toni. Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann. Und sonst? Wie geht es Elena?«

»Die steckt ebenfalls bis über beide Ohren in Arbeit«, antwortete der Arzt. »Aber ansonsten geht es ihr gut.«

»Freut mich zu hören …«

Die Tür zum Sprechzimmer ging auf, und Christel Brunner, die Arzt­helferin, steckte den Kopf herein.

»Entschuldigen Sie, Herr Doktor«, bat sie und deutete hinter sich, »ein Notfall!«

Toni Wiesinger nickte.

»Ich muss leider Schluss machen, Herr Professor«, entschuldigte er sich. »Ich bekomme grad Arbeit.«

»Keine Ursache«, erwiderte Ulrich Bernhard, »die Patienten gehen vor.«

Dr. Wiesinger legte den Hörer auf. Christel Brunner brachte eine Frau ins Sprechzimmer. Sie war etwa um die fünfzig Jahre alt und hatte einen hochroten Kopf. Die Frau ächzte und rang nach Luft. Allem Anschein nach war sie kurz davor, zu ersticken.

Gemeinsam betteten sie die Frau auf die Untersuchungsliege, und der Arzt öffnete den obersten Knopf ihrer Bluse.

Im selben Moment schaute ein Mann ängstlich durch die Tür.

»Was ist mit meiner Frau?«, fragte er besorgt.

Toni Wiesinger war froh, ihn zu sehen.

»Was ist geschehen?«, wollte er wissen. »Hat Ihre Frau sich verschluckt?«

Der Mann schüttelte den Kopf.

»Ich weiß auch nicht genau«, antwortete er ratlos. »Es kam ganz plötzlich, beim Spazieren gehen. Sie rief, dass sie keine Luft mehr bekäme, und dann …«

Der Arzt sah die Frau genauer an. Alles deutete auf einen allergischen Schock hin. Möglicherweise hatte die Patientin etwas gegessen oder getrunken, das diese Allergie ausgelöst hatte.

Jedenfalls galt es jetzt, schnell zu handeln!

Dr. Wiesinger zog eine Spritze auf und injizierte ein Mittel, das dem Schock entgegenwirkte.

»Es wird Ihnen gleich besser gehen«, beruhigte er die Frau.

Tatsächlich atmete sie kurz darauf schon wieder ruhiger, und ihre Gesichtsfarbe wurde wieder natürlicher.

»Vielleicht gehen S’ mit der Frau Brunner, die die Daten aufnimmt«, wandte sich Toni an den Ehemann. »Ich möcht’ mich noch mit Ihrer Frau unterhalten.«

Der Mann nickte und folgte der Arzthelferin nach draußen. Toni Wiesinger maß den Blutdruck der Patientin und nahm ihren Puls. Beides hatte zufriedenstellende Werte. Mit seiner Hilfe richtete sich die Frau auf und setzte sich auf den Stuhl vor den Schreibtisch des Arztes.

»Gertrud Senker«, stellte sie sich vor.

Frau Senker und ihr Mann, Friedrich, machten seit zwei Wochen Urlaub in St. Johann.

»Ich kann mir das gar nicht erklären«, die Frau zuckte ratlos die Schultern, als sie die Diagnose des Arztes hörte. »Ich hatte noch nie in meinem Leben mit Allergien zu tun.«

Sie war dreiundfünfzig Jahre alt und nach eigenem Bekunden kerngesund.

Zweimal im Jahr fand ein Gesundheitscheck durch den Hausarzt statt, der nie irgendwelche Krankheiten zutage förderte.

»Eine Allergie kann plötzlich und ohne Vorwarnung auftreten«, gab Dr. Wiesinger zu bedenken. »Und das eben war ganz eindeutig eine allergische Reaktion auf etwas, das Ihr Körper nicht verträgt. Wir sollten deshalb unbedingt ein paar weitere Untersuchungen machen.«

»Aber wir fahren doch morgen schon wieder!«

»Dann müssen Sie auf jeden Fall Ihren Hausarzt aufsuchen, wenn Sie wieder daheim sind«, betonte der Arzt. »Ich geb’ Ihnen einen Brief an ihn mit.«

Gertrud Senker versprach, diesem Ratschlag zu folgen, und Toni Wiesinger hätte die Frau, die nur eine von vielen Urlauberinnen war, die er behandelt hatte, sicher schon längst wieder vergessen, wenn er nicht schon bald an den »Fall Senker« wieder erinnert worden wäre …

*

Gaby Westmeier nahm ihren Koffer in die Hand und ging zum Abteilausgang, nachdem der Zug in den Bahnhof eingefahren war.

Hoffentlich erkenne ich diesen Pfarrer Trenker überhaupt, dachte sie.

Allerdings sollte es ja eigentlich nicht schwer sein, einen Geistlichen von einem »normalen« Menschen zu unterscheiden.

Als sie ausgestiegen war, blickte sich die junge Frau suchend um. Wie auf jedem Bahnhof der Welt herrschte auch hier ein quirliges Kommen und Gehen. Reisende has­teten zu den Zügen, Ankommende wurden begrüßt, und flossen hier Freudentränen, waren es dort welche des Abschieds. In einiger Entfernung stand ein Mann, der herübersah und sich in Bewegung setzte, als er Gaby gewahrte.

»Frau Westmeier?«, fragte er freundlich lächelnd.

Sie nickte erstaunt.

Sollte das Pfarrer Trenker sein?

Eigentlich sah er nicht so aus, wie sie sich einen Mann Gottes vorstellte. Er war groß und schlank, das markante Gesicht war von vielen Aufenthalten im Freien leicht gebräunt, und hätten nicht der Priesterkragen und das kleine, goldene Kreuz am Revers seiner Jacke ihn verraten, dann hätte man den durchtrainierten Mann leicht für einen prominenten Sportler oder Schauspieler halten können.

»Herzlich willkommen im Wachnertal«, begrüßte er sie, nachdem er sich vorgestellt hatte. »Ich hoff’, dass Sie sich bei uns wohlfühlen werden.«

Gaby bedankte sich für die herzliche Begrüßung, und ihre Befangenheit wich allmählich, während sie neben dem Geistlichen zum Ausgang schritt. Auf dem Parkplatz lud Sebastian das Gepäck in den Kofferraum seines Autos und ließ die junge Frau einsteigen.

»Es ist net sehr weit zu fahren«, erklärte er, während er sich in den Verkehr einfädelte.

Tatsächlich fuhren sie schon bald auf einer kurvigen Bergstraße und näherten sich rasch ihrem Ziel. St. Johann lag romantisch zwischen hohen Bergen eingebettet in einem Talkessel. Das Dorf sah genauso aus, wie Gaby es sich vorgestellt hatte: die Häuser mit ihren typischen Lüftlmalereien an Giebeln und Fassaden waren wunderschön.

»So, da sind wir auch schon«, sagte Sebastian Trenker und hielt an der Straße vor der Kirche, deren schlankes Türmchen in die Höhe ragte.

Sie gingen den Kiesweg hinauf, und der Geistliche öffnete die Tür des Pfarrhauses.

»Noch einmal: Herzlich willkommen und hereinspaziert!«, lächelte er.

Im Flur duftete es nach Essen, und aus der Küche kam eine kleine schlanke Frau, die den Gast mit einem warmherzigen Lächeln begrüßte.

Sebastian machte Gaby Westmeier mit seiner Haushälterin bekannt, und Sophie Tappert zeigte ihr, wo sie die nächsten vierzehn Tage schlafen würde.

»Wenn S’ sich eingerichtet haben, gibt’s Mittagessen.«

»Vielen Dank«, nickte die Kindergärtnerin und schaute sich in dem Gästezimmer um. Es war nicht sehr groß, aber behaglich möbliert. Gaby trat an das geöffnete Fenster und schaute hinaus. Dabei zog sie tief die würzige Luft ein, die nach Blumen und wilden Kräutern duftete. Ihr Blick glitt zu den Bergen hinüber und schweifte weiter zur Kirche. Daheim ging sie regelmäßig in die Heilige Messe und zu den Andachten. Besonders in der Zeit nach ihrer Genesung hatten diese Besuche ihr Kraft und Trost gespendet. Sie freute sich schon darauf, dieses Gotteshaus zu besichtigen.

Nachdem sie ihren Koffer ausgepackt hatte, lief Gaby wieder nach unten. In der Küche war der Tisch gedeckt.

»Hoffentlich mach’ ich Ihnen net zu viele Umstände«, sagte sie verlegen.

Doch Pfarrer Trenker schüttelte den Kopf.

»Überhaupt net«, erwiderte er. »Erstens haben wir gern Gäste im Pfarrhaus, und zweitens freut sich Frau Tappert, wenn möglichst viele Esser am Tisch sitzen. Grad hat sie einen ›verloren‹.«

Der letzte Satz wurde von einem Schmunzeln begleitet. Sebastian Trenker beugte sich vor und erzählte von seinem Bruder Max, der bis vor Kurzem noch jeden Mittag zum Essen herübergekommen war. Nun aber, da die Familie Zuwachs bekommen hatte, blieb der frischgebackene Vater natürlich bei seiner kleinen Familie.

Zum Mittagessen gab es Fleischpflanzerl mit Gartengemüse und Kartoffeln. Auch wenn es ein recht einfaches Gericht war, so begeis­terte es Gaby doch, und die junge Frau erkundigte sich nach dem Rezept für die besonders schmackhaften Fleischpflanzerl. Gerne verriet Sophie Tappert ihr einen Trick aus ihrem umfangreichen Repertoire.

»Wichtig ist, dass die Zwiebeln vorher in ein wenig Fett weich gedünstet werden«, erklärte die Haushälterin. »Dann geben s’ net nur ihren Geschmack besser ab, sie sind auch viel verdaulicher.«

Gaby Westmeier bedankte sich für den Hinweis und war selbstverständlich behilflich, als es ans Abräumen und Abwaschen ging. Sophie Tappert nahm die Hilfe gerne in Anspruch. Die lebenserfahrene Frau ahnte, was für ein Bedürfnis es der Kindergärtnerin war, die ihr erwiesene Gastfreundschaft wenigstens durch so eine kleine Geste abgelten zu können.

Überhaupt verstanden sie sich auf Anhieb, und die Haushälterin hatte sich schon längst vorgenommen, Gaby Westmeier nach Strich und Faden zu verwöhnen, solange sie Gast im Pfarrhaus war.

*

»Gitte, jetzt wart’ doch auf mich!«, rief Hans Bergmann ärgerlich, er blieb stehen und japste nach Luft.

Seine Frau, die bereits einige Meter vor ihm war, hielt endlich an und wartete auf ihn.

»Ja, ja«, sagte sie und schaute tadelnd seine Leibesfülle an, »ist ja kein Wunder, dass du keine Kondition hast. Du solltest dich mehr im Fitnessstudio aufhalten, als bei deinem Stammtisch im Wirtshaus.«

Brigitte Bergmann schüttelte den Kopf.

»So geht’s nicht weiter, Hans«, fuhr sie fort. »Du bist ja kaum in der Lage, einen längeren Spaziergang zu machen. Geschweige denn eine Wanderung. Wie soll das denn nächste Woche werden? Ich darf dich vielleicht daran erinnern, dass wir zu einer Bergtour angemeldet sind.«

Ihr Mann stand keuchend neben ihr.

»Du hast gut reden«, erwiderte er. »Kannst du mir auch mal sagen, wann ich Sport treiben soll, bei den ganzen Terminen?«

Gitte lächelte.

»Ein bisschen weniger essen würd’s ja auch schon tun«, gab sie zurück und deutete auf eine Bank, die in ein paar Metern Entfernung am Rande der Bergwiese stand, die sie hinaufspaziert waren. »Komm, lass uns da eine kleine Pause machen.«

»Du hast ja Recht«, gab Hans Bergmann zu, als sie auf der Bank saßen, und strich sich mit der Hand über den gewölbten Bauch »Ein wenig abzunehmen könnte wirklich nicht schaden, aber du weißt doch wie das ist. In meiner Position ist man ja regelrecht zum Essen verdammt. Hier eine Einladung, da ein Empfang, und immer wird aufgefahren, dass sich die Tische biegen.«

»Das ist alles eine Frage der Disziplin«, konterte seine Frau gnadenlos. »Dann musst du eben weniger essen. Auch wenn’s noch so gut schmeckt!«

Hans verzog das Gesicht und schmollte. Sein Gewicht war ein Dauerthema zwischen den Eheleuten und doch fruchteten keine Diäten und Abspeckprogramme, so sehr sich der Vorstandsvorsitzende einer großen deutschen Privatbank auch bemühte.

Das Ehepaar saß eine gute halbe Stunde auf der Bank, als sich ihnen eine Gestalt näherte. Gitte Bergmann dachte zuerst an einen Landstreicher, doch offenbar war es ein Einheimischer, der auf der Suche nach Pilzen oder Kräutern war, denn in der linken Hand trug er einen Spankorb mit allerlei Grünzeug darin.

»Grüß Gott«, nickte er ihnen zu und kratzte sich den grauen Bart. »Heiß heut’, was?«

Hans Bergmann nickte zustimmend, während seine Frau eher angewidert den Mann betrachtete und sich zu fragen schien, ob es sich bei dem Fremden um einen Strauchdieb oder bloß einen armen Menschen handelte. Die Kleidung, die der Mann trug, war zerlumpt, er selbst wirkte ungepflegt, und tatsächlich schien ihn ein strenger Geruch zu umgeben.

»Seid’s auf Urlaub da?«, erkundigte er sich.

Hans Bergmann bestätigte es.

»Ja, endlich mal ein wenig ausspannen.«

»Gell, wenn man’s sich leisten kann«, grinste der Alte. »Aber sagen Sie mal, werter Herr, wie steht’s denn mit der Gesundheit? Alles in Ordnung? Ehrlich gesagt, machen S’ einen eher schlappen Eindruck auf mich.«

»Ach ja? Können Sie das beurteilen? Sind Sie vielleicht Arzt?«, fragte Gitte gereizt.

Alois Brandhuber grinste wieder.

»Na ja, jedenfalls so was Ähnliches«, meinte er selbstbewusst und deutete auf den Korb in seiner Hand. »Mit meinen Kräutern hab’ ich schon manches Leiden heilen können.«

Brigitte Bergmanns Abneigung gegen diesen übel riechenden Kerl wich plötzlich erwachender Neugier.

Konnte man dem Alten wirklich trauen?

Immerhin hörte man ja immer wieder davon, dass solche Menschen sich bestens in der Natur auskannten und nicht unbeträchtliche Heilerfolge erzielten. Sie selbst litt hin und wieder an Magenverstimmung, vielleicht …

»Freilich hab’ ich da was«, nickte der Brandhuber-Loisl, nachdem die Frau ihm ihr Leid geklagt hatte. »Eine ganz besondre Teemischung hilft net nur dem Magen, der Tee sorgt auch dafür, dass der Appetit ein bissel gezügelt wird. Also auch ideal für den Herrn Gemahl.«

Der gerissene Fuchs hatte längst spitzgekriegt, wie er diesen Leuten das Geld aus der Tasche ziehen konnte.

»Wohnen S’ im Hotel?«, erkundigte er sich.

Hans Bergmann nickte.

»Dann komm’ ich in einer Stunde dorthin und bring’ Ihnen den Tee. Bloß aufgießen und fünf Minuten ziehen lassen.«

Der Bankier sah seine Frau fragend an.

»Was meinst du? Sollen wir das machen?«

Gitte zuckte die Schultern.

»Warum nicht?«, entgegnete sie. »Schaden kann es ja nicht.«

Sie ahnte nicht, wie sehr sie sich da irrte …

*

Gaby Westmeier drückte erwartungsvoll die Klinke herunter und öffnete die Kirchentür. Sie betrat den kleinen Vorraum und blickte durch die Fenster.

Der Anblick verschlug ihr den Atem!

Es war wirklich überwältigend, was sich ihren Augen bot. Rot, Blau und Gold waren die vorherrschenden Farben, in denen die Kirche geschmückt war. In Ecken und auf Holzpodesten standen herrlich geschnitzte Heiligenfiguren, die zum Teil mit Blattgold verziert waren. Die prachtvollen Kirchenfenster zeigten Szenen aus der Bibel, und über der jungen Frau war ein wundervolles Deckenfresko zu sehen.

Gaby war froh, dass zurzeit keine weiteren Besucher in der Kirche waren. So hatte sie Gelegenheit, alles in Ruhe zu betrachten. Unter der Galerie hing ein Bild an der Wand, das sie in seinen Bann zog. Es war das mannshohe Porträt des Gottessohnes. Auf einem kleinen Schildchen daneben war der Name zu lesen: Gethsemane.

Es zeigte den Erlöser am Abend vor der Kreuzigung, im Gebet versunken. Dem unbekannten Maler war es meisterhaft gelungen, das Wissen um die Unabänderlichkeit seines Schicksals im Antlitz Jesu’ wiederzugeben. Gaby stand eine ganze Weile davor und betrachtete ergriffen das Gemälde. Dann zog etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich. Auf einem Holzsockel stand eine Madonnenfigur, die so wunderschön gearbeitet war, dass es jedem Betrachter einen ehrfürchtigen Schauer versetzte. Die junge Frau fragte sich, wer wohl der Holzschnitzer gewesen sein mochte. Gewiss war die Figur schon sehr alt, und sie nahm sich vor, Pfarrer Trenker danach zu fragen.

Als Gaby etwas später wieder nach draußen trat, war sie von dem Gesehenen noch ganz benommen. Langsam spazierte sie um die Kirche herum und bewunderte dabei die sorgfältig gepflegten Rosensträucher und Blumenrabatten.

Es war ein herrlicher Sommertag. Sophie Tappert war an diesem Nachmittag zu einer Freundin im Ort gegangen, Hochwürden hatte einen Termin außerhalb, und Gaby hatte sich vorgenommen, sich ein wenig in St. Johann umzusehen und ihren Urlaubsort kennen zu lernen. Bisher hatte sie ihn ja nur durch das Fenster des Autos gesehen. Sie ging den Kiesweg hinunter und überquerte die Straße. Da das Dorf ja nicht sehr groß war, bestand auch kaum die Gefahr, dass sie sich verlaufen würde. Schnell hatte die junge Frau das Einkaufszentrum erreicht und spazierte durch die Passage, dabei betrachtete sie die Auslagen in den Schaufenstern der wenigen Geschäfte. Gaby ging zum Rathaus weiter, setzte sich auf eine Bank und blickte den vorbeispazierenden Leuten nach. Die meisten von ihnen waren Urlauber, wie sich an den umgehängten Filmkameras und Fotoapparaten unschwer erkennen ließ. Erstaunlicherweise schienen sich vor allem auch junge Leute das Dorf als Urlaubsziel ausgesucht zu haben, obwohl es doch in St. Johann nicht die Attraktionen gab, die sonst die Urlauber in Scharen anzogen. Bis auf einen allwöchentlichen Tanzabend, von dem der Geistliche ihr beim Mittagessen erzählt hatte, gab es sonst keine Möglichkeit in St. Johann auszugehen und sich zu amüsieren. Die nächste Diskothek befand sich in der Kreisstadt. Dennoch musste das Dorf etwas an sich haben, das die Leute zu schätzen wussten. Und nach kur­zem Nachdenken kam Gaby selbst darauf, was das war.

Ruhe, Frieden und Beschaulichkeit!

Das waren auch die drei Dinge, von denen Professor Bernhard gesprochen hatte. Die junge Frau atmete tief durch und spürte es selbst in sich: Sie fühlte sich wohl, wie schon lange nicht mehr.

Gaby war so in Gedanken versunken, dass sie gar nicht bemerkte, wie schnell die Zeit verging. Als sie zufällig auf die Uhr schaute, sah sie, dass sie schon fast eine dreiviertel Stunde auf der Bank saß. Viele Dinge waren ihr dabei durch den Kopf gegangen. Sie überlegte vor allem, wie es weitergehen würde, wenn sie wieder zu Hause in München war. Vielleicht, so dachte sie, musste sie sich damit abfinden, nie wieder in ihrem alten Beruf arbeiten zu können.

Doch welche Alternativen hatte sie?

Ganz sicher konnte das nicht von heute auf morgen entschieden werden, und sie brauchte Zeit, um in Ruhe darüber nachzudenken.

Gaby Westmeier stand auf und ging langsam zurück. Als sie wieder am Hotel vorbeikam, verspürte sie Lust auf eine Tasse Kaffee. Schon vorhin hatte sie das Schild am Biergarten des Hotels gesehen, auf dem Kaffee, Kuchen und kalte Getränke angeboten wurden. Sie überlegte nicht lange und ging durch den Eingang.

Es war erstaunlich, wie viel Betrieb herrschte!

Es gab kaum noch einen freien Tisch. Gaby wandte sich der rechten Seite zu, auf der lange Tische und Bänke standen. Bereitwillig rückte man zur Seite, als sie höflich fragte, ob es doch einen freien Platz gäbe. Mehrere Burschen und Madeln saßen hier, Einheimische offensichtlich, die sich eine Feierabendmaß oder ein Radler-Maß gönnten. Gaby hatte sich einen Cappuccino bestellt und schaute neugierig in die Runde. Dabei begegnete ihr Blick einem jungen Burschen, der sie offenbar schon länger betrachtete. Er lächelte, als sie ihn bemerkte.

*

Thomas Birkner hatte sich einen freien Nachmittag gegönnt. Auf dem elterlichen Hof gab es zurzeit nicht viel zu tun. Die Felder waren bestellt, und nun hieß es abwarten und auf eine gute Ernte zu hoffen.

Der junge Bauernsohn war nach St. Johann gefahren, um sich mal wieder mit ein paar Freunden zu treffen. Neben ihm saß Andrea Hoffer, die junge Magd, die auf dem Hof seiner Eltern arbeitete. Gerne hätte Thomas es verhindert, dass Andrea mitkam, doch das war ihm leider nicht gelungen.

Andrea konnte sehr anhänglich sein …

Das hatte er schon deutlich zu spüren bekommen, vor allem, als Thomas versucht hatte, ihr klarzumachen, dass ihre Beziehung keine Zukunft haben konnte und schon nach kurzer Zeit wieder zu Ende sei.

Wie es so oft geschah, hatte es bei ihnen auch auf dem Tanzabend gefunkt. Vielleicht musste man dem Bauernsohn zugute halten, dass er ein wenig zu tief ins Glas geschaut hatte und deshalb nicht so ganz genau wusste, was er tat, als er Andrea küsste. Indes war es nun einmal geschehen, und das Madel zeigte ihm nur zu deutlich, dass es nicht mehr von ihm lassen würde.

Nie mehr!

Beinahe zwei Monate waren sie ein Paar. Heimlich nur, denn der Bauer, Franz Birkner, durfte nichts davon wissen. Niemals hätte er erlaubt, dass sein Sohn sich mit einer Magd abgab. Für Thomas schwebte ihm etwas Besseres vor. Bestenfalls kam die Tochter eines reichen Bauern als Frau für seinen Sohn infrage.

Thomas steckte in diesen Wochen also in einer zweifachen Klemme. Zum einen musste er vor dem Vater verbergen, dass er mit Andrea liiert war, zum anderen wusste er nicht, wie er der Magd sagen sollte, dass er sie nicht so sehr liebte, wie sie ihn. Dabei war Andrea Hoffer eine durchaus ansehnliche junge Frau. Sie hatte langes kastanienbraunes Haar, ein hübsches Gesicht, in dem ein blaues Augenpaar leuchtete und einen sinnlichen Mund. Wenn sie sich zum Ausgehen schön machte und ein hübsches Dirndl anzog, konnte ihr Anblick einen Mann schon zum Träumen bringen. Und doch war es Thomas unmöglich, für Andrea mehr als nur Sympathie zu fühlen. Kein Zweifel, er mochte sie, die Art wie sie lachte, dass sie immer guter Laune zu sein schien und sich mit jedermann verstand. Aber wenn sie ihn küssen und liebkosen wollte, dann merkte er, dass ihm etwas fehlte.

Das so tief gehende Gefühl, das man Liebe nennt!

Nachdem Thomas mehrere schlaflose Nächte verbracht und überlegt hatte, wie es weitergehen sollte, brachte er endlich den Mut auf, mit Andrea zu reden. Freilich fiel es ihm nicht leicht, und es brauchte ein paar Anläufe, bis ihm die Worte, die er sich sorgfältig zurechtgelegt hatte, über die Lippen kamen. Entgegen seiner Furcht, Andrea würde ihm eine fürchterliche Szene machen, sagte sie gar nichts darauf. Aber sie ließ ihn spüren, dass sie nicht gewillt war, ihn so leicht aufzugeben. Immer wieder gelang es Andrea, sich dort aufzuhalten, wo auch Thomas war. Sie schien ein Gespür für das zu haben, was er vorhatte und wohin er wollte. So auch heute, wo sie den Nachmittag abgewartet hatte und dann plötzlich vor ihm stand, als der Bauernsohn in sein Auto steigen wollte.

»Nimmst’ mich mit?«, fragte sie, »ich muss ein paar Sachen besorgen.«

»In St. Johann?«, fragte Thomas zurück. »Kann das net bis morgen warten? Du wolltest doch ohnehin in die Stadt fahren.«

»Ich brauch ’s aber heut’ noch«, entgegnete sie und stieg ein, noch bevor er etwas sagen konnte.

Auf der Fahrt von Engelsbach nach St. Johann schwiegen sie beide. Thomas fuhr auf den Hotelparkplatz, und Andrea verabschiedete sich von ihm. Er sah ihr nach, wie sie in Richtung des Einkaufszentrums ging, und war sicher, dass es nicht lange dauern würde, bis Andrea im Biergarten des Hotels erschien. Es war auch tatsächlich kaum mehr als eine Viertelstunde vergangen, bis sie sich neben ihn setzte. Von den anderen Burschen und Madeln wusste noch niemand, dass er mit ihr Schluss gemacht hatte, und so wunderte sich auch niemand von ihnen, als Andrea sich vorbeugte und Thomas einen Kuss auf die Wange gab. Ärgerlich versuchte er den Kopf zur Seite zu drehen, und dabei fiel sein Blick auf eine junge Frau, die suchend an den Tisch kam und fragte, ob es noch einen freien Platz gäbe.

Es war, als habe ihn ein Blitz durchzuckt, so elektrisiert fühlte er sich. Noch nie in seinem Leben hatte Thomas Birkner so ein zauberhaftes Wesen gesehen. Wie gebannt schauten seine Augen auf das blonde Haar, das in leichten Locken auf sanfte runde Schultern fiel. Das Gesicht der Unbekannten strahlte etwas Rätselhaftes aus, und ihre schlanke Gestalt wirkte zerbrechlich.

Der Bauernsohn konnte einfach nicht den Blick abwenden. Als die Frau sich umsah, und sie sich eher zufällig anblickten, lächelte Thomas zu ihr herüber. Vergessen war in diesem Moment, dass Andrea Hoffer neben ihm saß und seinen Blickkontakt mit der anderen Frau mit eifersüchtigen Augen verfolgte …

*

Ohne auf die Magd zu achten, rutschte Thomas von der Bank und ging auf die andere Seite des

Tisches. Er zwinkerte der Unbekannten zu und stellte sich neben sie.

»Grüß dich«, sagte er, als würde er sie schon lange kennen.

Gaby Westmeier schaute ein wenig irritiert. Freilich war ihr der gut aussehende Bursche aufgefallen, sein intensiver Blick war ja nicht zu ignorieren gewesen. Dennoch wunderte sie sich jetzt, dass er so ganz zwanglos neben ihr stand und sie einfach ansprach, obwohl doch da drüben …

Die Augen der jungen Frau schossen Giftpfeile in Gabys Richtung ab, und jeder einzelne war ein Treffer. Blanker Hass und Eifersucht lagen in jedem Blick. Gaby hob den Kopf und sah den Bauernsohn an.

»Kennen wir uns?«, fragte sie.

Der Bursche schüttelte den Kopf.

»Net, dass ich wüsst’«, antwortete er. »Aber was net ist, kann ja noch werden …«

Dabei lächelte er so umwerfend, dass man ihm für diese Frechheit nicht böse sein konnte. Doch Gaby ließ sich nicht so schnell becircen.

Sie deutete mit dem Kopf über den Tisch.

»Ich könnt’ mir vorstellen, dass es da jemanden gibt, der gewiss was dagegen hätt’«, meinte sie.

Er warf einen kurzen Blick hinüber und zuckte die Schultern.

»Ich weiß net, was du meinst«, behauptete er. »Klar kenn’ ich die Andrea, aber das ist auch schon alles. Sag’ mal, bist’ auf Urlaub hier?«

Gaby biss sich auf die Lippe und schaute ihn nachdenklich an.

»Meine Mutter hat mir erzählt, dass die Männer früher sich erst einer Dame vorstellten, bevor sie sie in ein Gespräch verwickelten. Diese Höflichkeit scheint aus der Mode gekommen zu sein«, sagte sie, anstatt auf seine Frage zu antworten.

Indes war sie weit davon entfernt, über seinen Fauxpas verärgert zu sein. Ganz im Gegenteil – die Sache begann ihr Spaß zu machen.

Der Bauernsohn gab sich geknickt über den indirekt ausgesprochenen Tadel, der dennoch seinen Adressaten erreicht hatte.

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er mit einem gewinnenden Lächeln. »Ich bin der Thomas. Thomas Birkner aus Engelsbach.«

»Gaby Westmeier«, stellte sie sich ihrerseits vor. »Entschuldigung angenommen.«

Diesmal strahlte Thomas über das ganze Gesicht.

»Ja, ich mache so etwas wie einen Erholungsurlaub in St. Johann«, bestätigte die Kindergärtnerin seine Vermutung.

Gleich darauf waren sie so ins Gespräch vertieft, dass sie alles um sich herum zu vergessen schienen.

Andrea Hoffer kochte innerlich vor Wut und Eifersucht. Am liebs­ten wäre sie aufgesprungen und fortgelaufen, doch sie ahnte instinktiv, dass sie Thomas gar keinen größeren Gefallen tun konnte. Der Bauernsohn ließ unterdessen seinen ganzen Charme spielen. Er wollte diese hinreißende Frau unbedingt näher kennen lernen und sich mit ihr verabreden. Gaby hatte ihren Cappuccino ausgetrunken und legte ein Geldstück auf den Tisch. Sie stand auf und lächelte Thomas Birkner an.

»Mal schauen«, antwortete sie, als er sie fragte, ob sie sich wiedersehen würden. »Man weiß ja

nie …«

In die letzten Worte legte sie eine bedeutungsvolle Betonung. Er lächelte zurück und reichte ihr die Hand.

»Samstag beim Tanzabend?«, fragte er hoffnungsvoll.

»Vielleicht«, erwiderte Gaby und ging, einen Gruß winkend, durch den Ausgang auf die Straße.

Während sie beschwingt zum Pfarrhaus zurückging, musste sie immer noch an diesen Burschen denken, der so ungeniert mit ihr geflirtet hatte. Sie musste zugeben, dass es ihr gut getan hatte; dass sie sich verliebt hatte, war schon eine Ewigkeit her.

Im Pfarrhaus saß der Geistliche mit einem jungen Mann auf der Terrasse des Pfarrgartens. Sebastian Trenker machte sie mit ihm bekannt. Es handelte sich um den Dorfarzt, Toni Wiesinger, der auf einen Sprung herübergekommen war. Gaby wusste ja schon, dass der Arzt ein ehemaliger Schüler von Professor Bernhard war, und freute er sich, ihn kennen zu lernen.

»Ich hab natürlich einen Grund, warum ich den Doktor hergebeten hab’«, sagte der Bergpfarrer, nachdem sich wieder gesetzt hatten.

Er bot der jungen Frau ein Glas von dem Apfelsaft an, der in einer Karaffe auf dem Tisch stand. Sophie Tappert stellte ihn aus den Äpfeln des Pfarrgartens selbst her, und er war überaus köstlich. Gaby bedankte sich und trank einen Schluck.

»Ich wollt’ vom Doktor wissen, ob er Ihnen schon eine Bergtour zutraut«, erklärte Sebastian.

»Eine Bergtour?«

Der Geistliche nickte.

»Ja, die müssen wir nämlich unbedingt machen, wenn S’ schon mal da sind.«

»Also von meiner Seite aus spricht nichts dagegen«, meinte der Arzt. »Aber freilich werd’ ich noch mal Rücksprache mit dem Professor halten. Aber ich bin sicher, dass auch er keine Einwände haben wird.«

Sebastian sah seinen Gast fragend an.

»Haben S’ sich ein bissel im Ort umgeschaut?«, erkundigte er sich.

Gaby nickte.

»Ja, und es ist wunderschön hier«, antwortete sie.

Dr. Wiesinger verabschiedete sich bald darauf und wünschte ihr noch einen schönen Aufenthalt. Gaby räumte den Tisch ab und brachte das Geschirr in die Küche. Dort half sie dann der Haushälterin bei Vorbereitungen für das Abendessen. Nachdem sie gegessen hatten, verabschiedete sich die junge Frau schon bald. Es war ein langer und ereignisreicher Tag gewesen, und Gaby Westmeier war entsprechend müde.

*

»Na, spürst du schon was?«

Brigitte Bergmann schaute ihren Mann erwartungsvoll an. Drei Tassen von dem Kräutertee hatte Hans inzwischen getrunken, aber sein Appetit war ungebrochen. Seine Frau hatte es längst aufgegeben mitzuzählen, die wievielte Semmel er sich jetzt zum Frühstück einverleibte.

Der Privatbankier schüttelte denn auch unbekümmert den Kopf.

»Ich bin ja froh, dass es mir immer noch schmeckt«, meinte er vergnügt.

Die Gattin trank ebenfalls einen Schluck von dem Gesundheitstee. Zuerst hatte sie sich ein wenig geziert, den Tee zu probieren, aber nachdem ihr Mann getrunken hatte, ohne dabei auch nur ein biss­chen den Mund zu verziehen, kos­tete auch sie von dem Gebräu, das überraschenderweise recht gut schmeckte.

Wenn der Tee also auch noch seine versprochene Wirkung entfaltete, sollte es ihr nur recht sein.

Obgleich Brigitte Bergmann es schon als eine Frechheit empfand, was der Kerl ihr dafür abgeknöpft hatte – einhundertfünfzig Euro waren schließlich kein Pappenstiel!

Das Ehepaar beendete sein Frühstück schließlich nach einer guten Stunde, in der Hans den Börsenteil einer überregionalen Tageszeitung studiert, und Brigitte mit einer Freundin telefoniert hatte. Gut gelaunt und gesättigt machten sie sich zu einem Spaziergang auf. Die Frau des Bankiers zog es zur Kirche. Die hatten sie zwar schon am zweiten Tag besichtigt, doch war da der Fotoapparat dummerweise im Hotelzimmer geblieben. Das Innere des Gotteshauses zu fotografieren, wollten sie an diesem Morgen nachholen. Brigitte Bergmann ahnte nicht, dass ihr Mann schon mit Grausen an die Bergtour dachte, die am übernächsten Tag stattfinden sollte.

»Wollen wir uns das nicht noch einmal überlegen?«, fragte Hans hoffnungsvoll, als sie auf dem Weg zur Kirche anfing, davon zu schwärmen.

Er war nun wirklich kein Sportsmann, und ein Spaziergang, der länger als eine Viertelstunde dauerte, war ihm ein Graus. Schon bei der Anmeldung zur Bergtour muss­te er einen Schock verdauen, als er hörte, dass sie mehrere Stunden unterwegs sein würden. Indes wünschte sich Brigitte eine solche Tour mehr als alles andere, und da er seine Frau nun einmal liebte, war Hans bereit gewesen, die Strapazen auf sich zu nehmen. Der Sinneswandel setzte indes gestern Nachmittag ein, als er selbst merkte, wie anstrengend die relativ kurze Wanderung für ihn schon war.

Wie sollte er da erst einige Stunden durchhalten!

Der »Diättee« kam da reichlich spät. Um richtig abzuspecken, hätte Hans Bergmann wahrscheinlich schon vor Wochen damit beginnen müssen, ihn zu trinken.

Brigitte schaute ihren Mann mitleidig an.

»Du traust es dir nicht zu, was?«

Er schüttelte den Kopf.

»Wenn ich ehrlich sein soll, nein. Ich fürchte, dass ich schon nach kurzer Zeit schlapp machen würde. Dabei hätte ich dir den Wunsch so gerne erfüllt.«

Sie tätschelte seine Hand.

»Ich weiß, mein Dickerchen«, antwortete sie. »Vielleicht fällt uns ja noch was anderes ein.«

»Dann bist du mir nicht böse?«

»Unsinn!«, gab sie zurück. »Schließlich sind wir hier im Urlaub, um uns zu erholen. Und was hätte ich davon, wenn es dir schlecht ginge?«

Sie hatten inzwischen das Got­teshaus erreicht und blieben vor der Tür stehen. Hans nahm die Hand seiner Frau und zog sie an sich.

»Ich bin über jeden Tag froh, den wir uns kennen«, sagte er mit belegter Stimme. »Wenn ich noch einmal vor der Wahl stünde – ich würde dich sofort wieder heiraten!«

»Ach, mein Dickerchen!«, entfuhr es Brigitte gerührt.

In zwei Jahren würden sie ihre Silberhochzeit feiern und sie liebten sich noch immer wie am ersten Tag!

Zärtlich küssten sie sich, bevor Hans Bergmann die Klinke herunterdrückte und seiner Frau den Vortritt ließ.

Inzwischen waren auch weitere Besucher den Kiesweg heraufgekommen. Wie das Ehepaar bei ihrer ersten Besichtigung, staunten auch sie über all die Pracht, und unab­lässig klickten die Verschlüsse der Fotoapparate.

Ein Gegenstand hatte es Brigitte Bergmann ganz besonders angetan. Es war die herrlich geschnitzte Madonnenfigur, die, etwas abseits, unter der Galerie stand.

»Davon musst du unbedingt ein Foto machen!«, sagte sie zu ihrem Mann.

Der kam dem Wunsch seiner Frau nur zu gerne nach.

»Herrliche Arbeit«, meinte er, nachdem er die Statue auf Film gebannt hatte. »Mich wundert bloß, dass die hier so einfach ’rumsteht, ohne jegliche Sicherung. Wenn wir in der Bank mal Bilder oder irgendwas von einem Künstler ausstellen, haben wir sofort die Versicherungen auf dem Hals. Und das gute Stück hier scheint mir gänzlich ungeschützt.«

»Oft trügt der Schein«, ertönte eine Stimme hinter dem Ehepaar, das sich umdrehte und erstaunt auf den Mann blickte, der in der Tür zur Sakristei stand und die Worte des Bankiers offenbar gehört hatte.

Lächelnd trat er heraus und schloss die Tür hinter sich.

»Grüß Gott«, sagte er. »Ich bin Pfarrer Trenker, und ich kann Ihnen versichern, dass die Mutter Gottes keineswegs ungeschützt ist …«

Brigitte und Hans waren überrascht. Wie so viele Leute vor ihnen, hatten sie sich einen Geistlichen auch ganz anders vorgestellt. Sebastian, der diese Reaktion kannte, schmunzelte nur und erzählte ihnen, dass die Madonnenfigur schon einmal Opfer eines dreis­ten Kirchenraubes geworden war, glücklicherweise sei es ihm und seinem Bruder, der hier im Dorf als Polizist für Recht und Ordnung sorgte, seinerzeit gelungen, die Diebe zu überführen und die Got­tesmutter in den Schoß der Kirche zurückzuholen.

Das Ehepaar war von der Schilderung sehr angetan, und schnell war man in ein Gespräch vertieft. Als dann die Sprache auf die nun nicht mehr stattfindende Bergtour kam, machte Sebastian einen Vorschlag.

»Wenn Sie mögen, dann kommen S’ doch morgen mit mir«, sagte er. »Ich kann Ihnen versprechen, dass die Tour nicht so anstrengend sein wird. Meine Begleiterin erholt sich nämlich noch von einer langen Krankheit, und dementsprechend muss ich natürlich Rücksicht nehmen.«

Brigitte und Hans Bergmann waren erstaunt und erfreut zugleich. Erstaunt, weil sie nie im Leben damit gerechnet hätten, dass ein Geistlicher sie zu einer Bergtour einladen würde, erfreut waren sie indes über die Aussicht, dass eine solche doch noch würde stattfinden können.

»Kommen S’ doch am Nachmittag ins Pfarrhaus«, schlug Sebastian vor. »Bei einer Tasse Kaffee bereden wir dann alles Weitere.«

Diesem Vorschlag stimmte das Ehepaar nur zu gerne zu.

*

Sophie Tappert hatte den Tisch auf der Terrasse des Pfarrgartens gedeckt. In der Mitte stand ein verlockend anzusehender Käsekuchen. Die Haushälterin hatte ihn noch am Vormittag gebacken, nachdem Sebastian ihr von dem Besuch des Ehepaares erzählt hatte. Gaby hatte staunend zugeschaut, wie flink der Pfarrköchin die Arbeit von der Hand gegangen war.

»Morgen machen wir eine kleine Wanderung zur Kachlachklamm hinauf«, erklärte der Geistliche beim Mittagessen. »Das ist net zu anstrengend, und auch das Ehepaar, das heut’ Nachmittag herkommt, kann die Tour schaffen.«

Kurz nach drei Uhr klingelte es an der Tür des Pfarrhauses, und Sebastian begrüßte Brigitte und Hans Bergmann. Dann machte er sie mit seiner Haushälterin und der jungen Frau bekannt.

»Einen herrlichen Garten haben Sie«, nickte der Bankier anerkennend.

Sebastian Trenker lächelte.

»Es steckt auch viel Arbeit darin.«

»Das glaube ich gern. Uns fehlt leider die Zeit dafür. Das heißt, meine Frau kümmert sich schon um unseren Garten, aber für die Hauptarbeit haben wir natürlich jemanden angestellt. Ich selbst komme ja nicht dazu, etwas zu machen. Der Beruf frisst einen ja regelrecht auf.«

»Ja, leider!«, sagte Brigitte Bergmann und nickte dabei mit Nachdruck. »Umso glücklicher bin ich, dass wir in diesem Jahr hier unseren Urlaub verbringen, wo es so angenehm ruhig und beschaulich ist. Wissen Sie, Hochwürden, all die Jahre sind wir überall hingeflogen, die halbe Welt haben wir gesehen, aber wie wunderschön es bei uns in Deutschland ist, welche herrliche Fleckchen Erde es da gibt, das weiß man eigentlich gar nicht so genau.«

Sophie Tappert hatte inzwischen den Kaffee geholt und schenkte ein. Gaby übernahm es, den Kuchen zu verteilen.

»Lecker!«, kommentierte Hans Bergmann nach dem ersten Bissen.

»Da kann ich meinem Mann nur beipflichten«, nickte seine Frau. »Wie haben Sie den nur so locker hinbekommen, Frau Tappert? Bei unserer Köchin hat man immer das Gefühl, einen Lehmbrocken gegessen zu haben.«

Lächelnd erzählte die Haushälterin, wie sie den Kuchen gebacken hatte. Es war ein ganz einfaches Rezept.

»Wichtig ist, dass der Topfen, oder Quark, wie man anderorts sagt, ausgedrückt wird, und die restliche Molke net mit in die Eiermasse kommt«, erklärte sie und versprach, auf Brigitte Bergmanns Bitte hin, das Rezept für die Frankfurter Kollegin aufzuschreiben.

Nachdem sie Kaffee und Kuchen ordentlich zugesprochen hatten, nahm Sebastian Trenker eine Wanderkarte zur Hand und breitete sie auf dem inzwischen abgeräumten Tisch aus. Interessiert beugten sich die anderen darüber und verfolgten die Linie, die der Geistliche mit dem Finger darauf zeichnete.

»Sie werden seh’n, bis zur Klamm hinauf ist’s ein Kinderspiel«, sagte der Bergpfarrer. »Frau Tappert wird uns genug zu essen einpacken, so dass wir net bis zur Streusachhütte hinauf müssen. Ich kenn’ da ein paar idyllische Plätzchen, an denen wir rasten und die Aussicht genießen können. Packen S’ also Ihre Fotoapparate ein.«

Gaby meldete sich zu Wort.

»Braucht man dafür net eine besondre Ausrüstung?«, wollte sie wissen. »Auf eine Bergtour bin ich nämlich gar net eingerichtet.«

»Das ist überhaupt kein Problem«, winkte der Geistliche ab. »Hier im Pfarrhaus gibt’s genug Jacken, Hosen und Stiefel. Da wird sich schon was für Sie finden.«

Die junge Frau freute sich nicht weniger als das Ehepaar auf die morgige Tour. Pfarrer Trenker meinte augenzwinkernd, dass er auch nicht vorhabe, vor dem Aufstehen loszugehen.

»Nein, im Ernst«, fügte er dann hinzu, »zu einer längeren Tour müssten wir tatsächlich in aller Herrgottsfrühe aufbrechen. Aber da sind dann auch an die acht Stunden eingeplant. Morgen allerdings werden wir um diese Zeit schon wieder zurück sein.«

Dem Ehepaar gefiel es im Pfarrhaus ausnehmend gut und es verabschiedete sich nur ungern. Indes wollten Brigitte und Hans Bergmann die Gastfreundschaft des Geistlichen nicht über Gebühr beanspruchen.

»Vielleicht können wir uns mit einer Einladung zum Essen revanchieren«, meinte der Bankier, als sie zum Hotel zurückgingen.

»Schon«, nickte seine Frau. »Aber wir sollten eines bedenken: Wenn die Frau Tappert nur halb so gut kocht, wie sie bäckt, dann kann da selbst die hervorragende Kochkunst der Frau Reisinger nicht mithalten.«

*

Als Gaby am nächsten Morgen aufstand, fühlte sie sich nicht ausgeschlafen, was allerdings nicht an der Uhrzeit lag, zu der sie ins Bett gegangen war, sondern vielmehr an einem bestimmten jungen Mann, der ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte.

Vorgestern hatte sie seine Bekanntschaft gemacht, und schon gestern musste sie immerzu an ihn denken. Dass Thomas Birkner einen so breiten Raum in ihren Gedanken einnahm, konnte sich die Kindergärtnerin zunächst nicht erklären. Aber je länger sie darüber nachdachte, umso sicherer war sie, dass sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben ernsthaft verliebt hatte.

Gewiss, es hatte schon andere Männer gegeben, die ihr den Hof gemacht hatten, aber keiner war darunter gewesen, der sie so angesprochen hatte wie dieser smarte Bursche.

Indes fragte sich Gaby, inwieweit sie ihm trauen durfte.

War da wirklich nichts mit der Frau, die sie so eifersüchtig angeblickt hatte? Oder hatte er das nur behauptet, um sie, Gaby, in Sicherheit zu wiegen?

Sie sehnte den Samstag herbei. Schon längst hatte Gaby sich fest vorgenommen, auf den Tanzabend zu gehen, und natürlich hoffte sie, Thomas Birkner wiederzusehen.

Doch bis dahin waren es noch ein paar Tage, die einfach nicht vorübergehen wollten!

Und über alles dies nachzudenken, hatte ihr einige Stunden Schlaf gekostet.

So war sie für die Abwechslung doppelt dankbar, die die Wanderung mit Pfarrer Trenker ihr bot. Gaby schlüpfte in die Wandersachen, die sie gestern Nachmittag noch mit Sophie Tappert aus dem reichhaltigen Fundus herausgesucht hatte, und lief die Treppe hinunter.

Der Geistliche und seine Haushälterin saßen bereits in der Küche, als Gaby eintrat.

»Grüß dich. Gut schaust’ aus«, sagte Sebastian lächelnd.

Er duzte sie, seit die junge Frau ihn gestern darum gebeten hatte.

»Vielen Dank«, antwortete sie und setzte sich.

Sophie Tappert schenkte ihr Kaffee ein, und Gaby nahm sich eine Semmel, die sie mit Butter und Marmelade bestrich. Auf der Eckbank standen zwei Rucksäcke, von denen einer prall gefüllt aussah.

»Unser Proviant«, erklärte ihr Pfarrer Trenker.

Er gab ihr den kleineren Rucksack und trug den schweren selbst. Nachdem sie sich von der Haushälterin verabschiedet hatten, gingen sie zum Hotel, um das Ehepaar Bergmann abzuholen. Die beiden standen schon wartend davor. Die vier Wandersleute begrüßten sich und zogen los. Bis zum Parkplatz am Kogler war es schon noch ein gutes Stück zu laufen. Sebastian überlegte daher, mit Rücksicht auf Hans Bergmann, mit dem Wagen dorthin zu fahren, doch noch während er darüber nachdachte, fuhr ein Traktor die Straße entlang, der einen leeren Anhänger hinter sich herzog.

»Grüß Gott, Hochwürden!«, rief Thomas Birkner ihm zu. »Schon so früh auf den Beinen?«

Als Gaby den Bauernsohn erkannte, schlug ihr Herz bis zum Hals hinauf.

»Grüß dich, Thomas«, antwortete der Geistliche. »Bist ja auch schon unterwegs.«

Der Bursche hatte angehalten und den Motor abgestellt.

»Ich musste ein paar Baumstämme zur Sägemühle liefern«, erklärte er und schaute dabei Gaby besonders intensiv an. »Kann ich Sie ein Stückl mitnehmen?«

»Das wär’ ganz prima«, nickte Sebastian. »Wir wollen zum Kogler hinauf; du könntest uns am Parkplatz absetzen.«

»Aber gern doch«, antwortete Thomas sofort und sprang vom Traktor herunter.

Er holte eine kleine Leiter, die unter dem Anhänger befestigt war, hervor und stellte sie auf.

»So, bitt’ schön«, sagte er lächelnd und reichte Gaby die Hand.

Sie spürte ein leises Zittern in den Knien, als sie seine Hand nahm und auf den Anhänger kletterte. Sie setzte sich und versuchte, ihre Nervosität zu verbergen.

Hans Bergmann atmete insgeheim auf, als er endlich auf dem Hänger saß und sie langsam lostuckerten. Er hatte schon befürchtet, den ganzen Weg laufen zu müssen. Dabei ging es ihm heute Morgen überhaupt nicht gut. Schon beim Aufstehen hatte er so ein komisches Gefühl gehabt, das er sich gar nicht erklären konnte. Am liebs­ten hätte er sich sofort wieder hingelegt, aber er wollte es, seiner Frau zuliebe, auf sich nehmen, die Wanderung mitzumachen, und hatte deshalb lieber nichts gesagt.

»So, da sind wir auch schon«, rief Thomas Birkner und hielt auf dem großen Parkplatz an.

Gaby hatte während der Fahrt die meiste Zeit auf seinen Rücken geschaut und erst den Blick abgewendet, wenn sie bemerkte, dass er sie im Rückspiegel ansah. Jetzt bedauerte sie es fast, schon angekommen zu sein; viel zu schnell war die Zeit vergangen.

Sie bedankten sich bei dem jungen Mann, der weiter nach Engelsbach fuhr, und begannen dann den Aufstieg.

*

Thomas fuhr nur ungern wieder zum Hof zurück. Viel lieber hätte er die kleine Wandergruppe auf den Berg hinauf begleitet.

Doch leider wartete die Arbeit auf dem Hof auf ihn!

Er stellte den Traktor unter dem Vordach der Scheune ab und ging ins Haus. Weil er heute schon in aller Frühe losfahren musste, hatte es nur ein karges Frühstück gegeben, und jetzt hatte er richtiggehend Hunger.

In der Küche hantierte Andrea, als er eintrat. Die hübsche Magd lächelte ihn an.

»Soll ich dir ein paar Eier braten?«, fragte sie ihn.

Thomas schüttelte den Kopf.

»Ich mach’ mir nur ein Brot. Sind meine Eltern schon fort?«

Vater und Mutter wollten an diesem Morgen in die Stadt fahren. Der Bauer hatte einen Termin bei seinem Steuerberater, und die Bäuerin nutzte solche Gelegenheiten gerne, um einmal herauszukommen und ein wenig durch die Stadt zu bummeln.

»Ja, vor einer ganzen Weile schon«, lautete die Antwort, die Andrea ihm mit vielsagendem Blick gab.

Wir sind ganz alleine!, sollte das heißen …

Thomas tat, als habe er den versteckten Hinweis nicht bemerkt. Er ging an den Küchenschrank und nahm das Brot aus der Klappe.

»Wart’«, sagte die Magd und trocknete sich die Hände an der Schürze ab, »ich mach’ das schon.«

Sie schnitt zwei Scheiben Brot ab und holte Butter, Wurst und Käse aus dem Kühlschrank. Thomas nahm sich derweil eine Tasse von dem Kaffee, der noch in der Warmhaltekanne stand, und setzte sich an den Tisch. Die Magd nahm ihm gegenüber Platz.

»Guten Appetit«, wünschte sie.

Der Bauernsohn nickte nur und begann zu essen. Während er es sich schmecken ließ, dachte er die ganze Zeit an Gaby Westmeier. Er hatte nicht damit gerechnet, sie so schnell wiederzusehen, umso erfreuter war er über die unerwartete Begegnung.

Das musste doch etwas bedeuten!

Er erinnerte sich, wie er sie im Rückspiegel angesehen und bemerkt hatte, dass sie ihn auch ansah. Dabei lächelte er still vergnügt in sich hinein.

Die Magd redete die ganze Zeit, ohne dass er es überhaupt wahrnahm. Zwar hörte er ihre Stimme, doch was Andrea wirklich sagte, ging völlig an ihm vorbei. Erst als sie mit der flachen Hand auf den Tisch schlug, schien er aufzuwachen.

»Du hörst mir ja gar net zu!«, rief sie beleidigt.

»Wie? Was?«

Thomas blickte Andrea irritiert an.

»Entschuldige«, bat er dann, »ich hab’ eben an was andres gedacht.«

»Das hab’ ich gemerkt«, erwiderte die Magd und verzog gekränkt ihr Gesicht. »Muss ja sehr wichtig gewesen sein.«

Der ironische Unterton entging ihm nicht. Indes hatte Thomas Birk­ner keine Lust auf eine Diskussion, und außerdem ging es sie nichts an, an wen oder was er dachte. Er schob sein Frühstücksbrett zur Seite, trank den Kaffee aus und stand auf.

»Ich muss an die Arbeit«, sagte er und wollte hinausgehen.

Doch da hing die junge Magd schon an seinem Arm.

»Was gibt’s denn so Dringendes, dass du dir eine solche Gelegenheit entgehen lässt?«, fragte sie und drängte sich an ihn. »Wir sind mindestens bis zum Mittag ganz allein auf dem Hof.«

Thomas schüttelte den Kopf und befreite sich aus ihrer Umklammerung.

»Lass das doch sein«, sagte er. »Ich hab’ dir doch gesagt, dass da nix mehr ist mit uns.«

Enttäuschung spiegelte sich auf dem hübschen Gesicht wider. Andrea presste eine Hand vor den Mund und unterdrückte den Schrei, der ihr auf den Lippen lag.

»Aber, Thomas …«, sagte sie leise. »Was … was ist denn bloß los mit dir? Erklär’s mir. Ich versteh’ net, was geschehen ist. Wir waren doch so glücklich miteinander!«

Fast hilflos sah er sie an.

»Ich hab’ dir doch schon erklärt, dass das mit uns keine Zukunft hat«, entgegnete er endlich. »Muss ich das denn alles wiederholen? Nimm doch Vernunft an. Der Vater wird niemals zustimmen.«

»Du hast es ja nie versucht, es deinen Eltern zu sagen!«, rief sie anklagend. »Weil du zu feig’ warst!«

»Es ist genug, Andrea«, sagte der Bauernsohn scharf. »Auch dir war doch von Anfang an klar, dass es net mehr als nur eine Liebelei zwischen uns sein kann.«

Die Magd holte tief Luft und antwortete nicht darauf.

Freilich war es ihr klar gewesen. Oft genug hatte der Bauer verlauten lassen, was für eine Partie er sich für seinen Sohn wünschte. Geld musste das Madel haben und ordentlich was mitbringen. Am bes­ten noch einen eigenen Hof, oder zumindest ein paar Wiesen und Äcker.

Dennoch hatte Andrea die Hoffnung nie aufgegeben. Sie hatte auf die Zeit gesetzt. Geld hatte sie nicht, dafür war sie fleißig und ordentlich und konnte arbeiten bis zum Umfallen. Irgendwann würde der Bauer schon erkennen, dass sie die Richtige für seinen Sohn war. Thomas’ Mutter mochte sie ohnehin, zwischen ihr und der Magd herrschte ein fast schon freundschaftliches Verhältnis, weil Andrea so etwas wie die Tochter verkörperte, die Franziska Birkner sich immer gewünscht, aber nie bekommen hatte.

Geschickt hatte Andrea begonnen, ihr Netz auszuwerfen, in dem sie Thomas zu fangen gedachte. Erst sacht und scheinbar zufällig, dann zielstrebig, kam sie ihm näher und umgarnte ihn, noch ehe er es selber bemerkte. Als sie dann sicher war, ging die Magd aufs Ganze. Auf dem Tanzabend machte sie sich regelrecht daran, den Bauernsohn zu verführen, und offenbar hatte diese Taktik den gewünschten Erfolg. In der folgenden Zeit tat sie alles, um Thomas noch mehr an sich zu binden, und umso tiefer war der »Sturz«, als er ihr schließlich sagte, dass Schluss sei.

Noch brachte Andrea jene junge Frau, mit der Thomas vor ein paar Tagen – vor ihren Augen – so ungeniert geflirtet hatte, nicht mit seiner abweisenden Haltung an diesem Morgen in Verbindung. Aber sie war sicher, dass es dafür einen anderen Grund gab als die Angst vor seinem Vater.

Und sie war gewillt, diesen Grund herauszufinden!

*

Pfarrer Trenker hatte einen leichten Aufstieg gewählt, der auch von Leuten benutzt werden konnte, die weniger gut zu Fuß waren. Nun waren die Füße von Hans Bergmann zwar in Ordnung, aber sein Übergewicht machte ihm zu schaffen. Jetzt aber hatte er kaum Probleme, mit den anderen mitzuhalten. Selbst das Unwohlsein vom Morgen spürte der Privatbankier kaum noch. Er hielt sich dicht hinter dem Bergpfarrer und lauschte dessen Ausführungen über die Sehenswürdigkeiten, an denen sie ohne diesen ortskundigen Bergführer sicher achtlos vorübergegangen wären. Brigitte Bergmann folgte ihrem Mann auf dem Fuß, Gaby Westmeier an ihrer Seite. Die beiden Frauen verstanden sich auf Anhieb und unterhielten sich prächtig miteinander. Längst waren sie dazu übergegangen, sich zu duzen.

Nachdem sie eine gute Stunde unterwegs waren, hörten sie aus der Ferne ein merkwürdiges Rauschen

»Was ist denn das?«, fragte der Bankier.

»Das ist die Kachlach, die ein Stück weiter oben in eine Klamm stürzt«, erklärte Sebastian. »Net mehr lang, dann haben wir die Brücke erreicht.«

Er schaute Hans Bergmann prüfend an.

»Alles in Ordnung?«

»Aber ja, Hochwürden.«

»Gut. Doch wenn Sie eine Pause brauchen, oder wir umkehren müssen, sagen S’ sofort Bescheid.«

»Mache ich. Aber ich fühle mich bestens. Machen Sie sich keine Gedanken.«

Unterwegs hatte Hans schon zahlreiche Fotos geschossen. Er hatte einen recht altmodischen Fotoapparat.

»Ich muss einen Film einlegen können«, erklärte er kategorisch, als der Händler, bei dem er die Filme immer entwickeln ließ, ihm eine moderne Digitalkamera empfehlen wollte.

Am liebsten fotografierte er sogar in schwarz-weiß. Und das war keine Frage des Geldes, schließlich hätte er sich zehn Digitalkameras kaufen können.

Jetzt bannte er einen bizarr geformten Felsen auf Film, auf dessen glatten Stein ein Gamsbock leichtfüßig hinauf sprang.

»Na ja«, seufzte er, »so sportlich werde ich wohl nie mehr sein.«

Brigitte strich ihm tröstend über den Bauch.

»Lass man«, meinte sie gutmütig, »trink’ man nur weiterhin schön deinen Tee, dann wird das schon.«

Lächelnd gab er ihr einen Kuss und folgte Pfarrer Trenker, der bereits ein kleines Stück vorausgegangen war.

Gaby war sehr davon berührt, wie liebevoll die beiden miteinander umgingen. Sie wünschte sich von Herzen, eines Tages einen Mann zu finden, der ebenso zu ihr war, wie Hans Bergmann zu seiner Frau.

Der Bankier hatte morgens nur widerwillig den Tee getrunken. Am ersten Morgen hatte der ja noch ganz ordentlich geschmeckt, aber heute …

Brrr!

Er schüttelte sich bei dem Gedanken an das Gebräu und freute sich schon auf die Brotzeit, die Pfarrer Trenker versprochen hatte.

Hoffentlich hatte er auch Kaffee dabei!

Sebastian war stehen geblieben und wartete auf die anderen. Hier an dieser Stelle war das Rauschen zu einem ohrenbetäubenden Getöse geworden, und man musste schon laut schreien, um sich zu verständigen. Der Geistliche deutete vor sich.

»Das ist die Brücke, über die wir gehen«, erklärte er. »Wenn wir auf der anderen Seite sind, machen wir erst einmal eine Rast.«

Er nahm seinen Hut ab und schlug die Kapuze seines Anoraks über den Kopf. Die anderen folgten seinem Beispiel und zurrten sie richtig unter dem Kinn zusammen. Die Brücke war schon sehr alt, aber in einem sicheren Zustand, wie der Bergpfarrer erzählt hatte. Nur am Geländer musste vor geraumer Zeit ein Teil ausgebessert werden. Sebastian lief los, die anderen hinterher. Zwar hatte die Brücke ein Dach, aber das konnte auch nicht verhindern, dass die hoch aufspritzende Gischt die Wanderer traf. Indes liefen sie so schnell, dass sie nur geringfügig nass wurden. Auf der anderen Seiten angekommen, beschrieb der Weg eine Kurve, die um den Felsen herumführte. Dahinter wurde es schon deutlich ruhiger, und als die kleine Gruppe fünf Minuten später auf einer Bergwiese ankam, war von dem rauschenden Gebirgsfluss kaum noch etwas zu hören.

»So«, verkündete der gute Hirte von St. Johann, »jetzt wird gefrühstückt.«

*

Sie hatten ihre Jacken ausgezogen und benutzten sie als Unterlage beim Sitzen. Die Hüte behielten sie zum Schutz vor der Sonne auf. Aus demselben Grund hatten die Wanderer auch Gesicht und Hände und alle freien Stellen am Körper eingecremt. Jetzt saßen sie auf der Wiese, und Sebastian öffnete den Rucksack mit dem Proviant.

»Du meine Güte!«, staunte Brigitte Bergmann. »Wer soll denn das alles essen?«

Gaby nickte beifällig. Es waren schier unzählige Päckchen, die der Geistliche da auspackte. Sebastian schmunzelte nur. Er kannte diese Fragen von zahlreichen anderen Gelegenheiten. Immer wenn er jemanden mit auf Bergtour nahm, war der Betreffende über die Menge der Verpflegung erstaunt.

Allerdings wunderte er sich später auch darüber, wie wenig davon übrig blieb.

Aber es schmeckte auch zu gut in der freien Natur!

Die Brote waren herzhaft mit Salami, Schinken und Bergkäse belegt, dazu dampfte der Kaffee, verführerisch duftend, in den Bechern. Alle aßen mit gutem Appetit – bis auf einen …

Ausgerechnet Hans Bergmann, der sich schon so auf die Frühstückspause gefreut hatte, legte das Brot nach dem ersten Bissen aus der Hand. Er war ganz rot im Gesicht und rang nach Luft.

»Ich krieg’ nichts mehr runter«, stöhnte er und kämpfte gegen eine würgende Enge in seiner Kehle.

»Hans, was ist mit dir?«, fragte seine Frau ängstlich.

Sie klopfte ihm auf den Rücken, weil sie annahm, dass er sich verschluckt habe, doch der Bankier wehrte heftig ab.

»Nicht!«, rief er und schlug ihre Hand weg.

Sebastian war aufgesprungen. Was mit Hans Bergmann los war, wusste er nicht. Nur dass der Mann zu ersticken drohte, das schien klar. Fieberhaft überlegte er, was er tun sollte. Aber er war kein Arzt. Der Bankier legte sich flach auf den Rücken und versuchte immer wieder tief durchzuatmen, was ihm aber nur schlecht gelingen wollte.

Der Bergpfarrer griff zu seinem Handy und drückte die Taste, unter der die Nummer des Arztes eingespeichert war. Toni Wiesinger meldete sich sofort, und Sebastian erklärte ihm, was vorgefallen war. Der Arzt erkundigte sich nach ihrem genauen Standort. Während Sebastian mit ihm sprach, behielt er den Bankier im Auge. Dessen Frau hockte neben ihm und hielt seine Hand. Gaby Westmeier hatte sich auf der anderen Seite niedergelassen und den obersten Hemdenknopf des Mannes geöffnet. Wie es schien, bekam Hans Bergmann ein wenig besser Luft.

»Auf jeden Fall werd’ ich die Bergwacht alarmieren«, erklärte Dr. Wiesinger. »Ohne Hubschrauber haben wir keine Chance, den Mann schnellstens vom Berg herunterzubringen.«

»In Ordnung«, sagte Sebastian. »Aber beeilt euch!«

Er beendete das Gespräch und kniete sich zu den anderen.

»Wie geht es Ihnen?«, erkundigte er sich.

Der Bankier keuchte, nickte aber dabei.

»Ein wenig besser, glaube ich«, antwortet er schwach. »Möchte bloß wissen, was das war.«

»Der Doktor wird gleich da sein. Dann werden wir es hoffentlich erfahren.«

Obwohl der Bergpfarrer sicher war, dass Toni Wiesinger bei der Bergwacht Druck machen würde, dauerte es doch seine Zeit, bis sie das Geräusch des Rettungshubschraubers hörten, dann tauchte er am Himmel auf. Glücklicherweise war die Bergwiese zur Landung einigermaßen geeignet. Der Pilot ging langsam nieder, und noch ehe die Maschine aufgesetzt hatte, wurde die Seitentür aufgeschoben.

Der Arzt sprang heraus und kam herübergelaufen.

»Wie steht’s?«, fragte er kurz.

»Der Herr Bergmann scheint die Krise überwunden zu haben«, antwortete Sebastian. »Jedenfalls bekommt er wieder besser Luft.«

»Herr Doktor, was fehlt meinem Mann?«, wollte Brigitte Bergmann wissen.

»Nach Hochwürdens Schilderung zu urteilen, sieht es sehr nach einem allergischen Schock aus«, erwiderte der Arzt.

Noch während er mit dem Geistlichen telefoniert hatte, war ihm dieser Gedanke gekommen. Was Pfarrer Trenker da sagte, klang so eindeutig, dass etwas anderes eigentlich ausgeschlossen war.

Doch bevor er irgendwas unternahm, ließ sich der Arzt noch einmal schildern, was geschehen war.

»Hm, seltsam«, meinte er dann nachdenklich. »Sind oder waren Sie wegen einer Allergie in Behandlung?«

Hans Bergmann schüttelte den Kopf.

»Noch nie.«

Toni Wiesinger überlegte kurz, dann ließ er sich das Brot zeigen, von dem der Mann abgebissen hatte.

»Also doch!«, sagte er dann.

»Was ist denn los?«, wollte Sebastian wissen.

Der Arzt deutete auf das Brot in seiner Hand.

»Hier haben wir den Übeltäter«, antwortete er geheimnisvoll.

»Das Brot?«, fragte der Bergpfarrer ungläubig. »Was ist damit? Frau Tappert backt es selbst, und sämtliche Zutaten sind aus dem Bio-Laden.«

Toni nickte.

»Ich weiß. Oft genug hab’ ich ja schon von dem köstlichen Brot gegessen, das Ihre Haushälterin backt. Aber das Brot an sich ist es auch net, sondern das hier.«

Er hatte etwas aus der Krume gepult und hielt es zwischen den Fingern.

»Ein Stückchen Walnuss«, fuhr er fort. »Das hat den allergischen Schock ausgelöst.«

Hans Bergmann hatte sich inzwischen aufgerichtet. Seine Frau reichte ihm seinen Kaffeebecher, und der Bankier trank einen Schluck.

»Komisch«, meinte er, »ich habe sonst nie Probleme, wenn ich Nüsse esse.«

»Das glaub’ ich Ihnen gern«, nickte der Arzt. »Bitte überlegen Sie mal genau, was Sie in den letzten Tagen gegessen und getrunken haben. Vielleicht kommen wir dann dem Auslöser auf die Spur.«

Das Ehepaar versprach, gemeinsam darüber nachzudenken und alles aufzuschreiben.

»Fühlen Sie sich wirklich dazu in der Lage?«, fragte Sebastian, als Hans Bergmann darauf bestand, die Wanderung fortzusetzen.

»Aber ja«, nickte der Bankier. »Bloß Hunger habe ich jetzt erst richtig.«

»Na, glücklicherweise haben wir auch ein paar Brote ohne Nüsse dabei.«

Gaby hatte sich schon gebückt und suchte in den anderen Päckchen. Sie fand ein mit Käse belegtes Graubrot, das sie dem Bankier reichte.

»Also ich hab’ da keine Einwände«, sagte der Arzt. »Aber kommen S’ auf jeden Fall morgen zu mir in die Sprechstunde. Wir machen ein paar Tests, denn auf die leichte Schulter sollten S’ das, was vorgefallen ist, net nehmen.«

»Wir werden kommen«, versprach Brigitte Bergmann, die die Abneigung ihres Mannes gegen Arztbesuche kannte.

Dr. Wiesinger verabschiedete sich von ihnen und lief zum Hubschrauber zurück, der kurz darauf abhob. Wenig später war nur noch ein leises Geräusch zu hören, das sich rasch in der Ferne verlor, und dann erinnerte nichts mehr an den Vorfall.

*

Nachdem sich Sebastian noch einmal davon überzeugt hatte, dass es Hans Bergmann wirklich besser ging und der Bankier die Wanderung fortsetzen konnte, stiegen sie weiter auf. Allerdings gingen sie nicht weiter als bis zum Wendelstein. Von dort aus führte ein Weg zur »Kleinen Wand«, die ein beliebtes Betätigungsfeld für Bergsteiger und Kletterer war, denn ganz im Gegensatz zu ihrem Namen, war die Wand alles andere als klein, sondern ragte sehr hoch in die Höhe.

Wollte man allerdings bequem zur Streusachhütte gelangen, muss­te man einem Pfad folgen, der sich um den Felsen herum schlängelte, und dafür gut und gerne zwei, bis drei Stunden Zeit einrechnen. Doch der Bergpfarrer hatte einen Besuch dort oben ohnehin nicht eingeplant.

In der Nähe floss ein Gebirgsbach, ein kleiner Seitenarm der Kachlach, an dem sie sich erfrischten und ihre Trinkflaschen auffüllten.

»Vor ein paar Jahren hat sich hier am Wendelstein ein Wunder ereignet«, erzählte Sebastian mit einem Augenzwinkern.

Seine Begleiter schauten ihn mit großen Augen an.

»Ein Wunder?«, hakte Gaby Westmeier nach.

»Na ja, kein wirkliches«, schränkte der Geistliche ein, »aber ich kann euch sagen, ihr macht euch kein Bild davon, was sich damals hier abgespielt hat …«

»Das müssen Sie uns aber unbedingt erzählen«, forderte Hans Bergmann ihn auf.

Der Bankier hatte sich gut von dem Anfall erholt und den Weg hierher ohne weitere Schwierigkeiten zurückgelegt.

»Also, ihr müsst wissen, dass wir im Dorf einen Mann haben, der von sich behauptet, ein Wunderheiler zu sein«, begann Pfarrer Trenker seine Geschichte. »Der Bursche sammelt alle möglichen Pflanzen und Kräuter und mixt daraus irgendwelche Tees oder Salben zusammen, die er gutgläubigen Urlaubern für teueres Geld andreht.«

Brigitte und Hans Bergmann sahen sich unwillkürlich an. Einen Moment sah es so aus, als wolle der Bankier den Mund öffnen und etwas sagen, doch seine Frau schüttelte unmerklich den Kopf.

»Eines Tages nun«, fuhr der gute Hirte von St. Johann fort, »verkaufte der Brandhuber-Loisl, das ist der Name von dem Burschen, einem alten, gebrechlichen Knecht eines seiner ›Wundermittel‹ und inszenierte dazu hier oben einen Mummenschanz, indem er dem Knecht vorgaukelte, ein Engel würd’ ihm erscheinen und die Heilung vollziehen. Fragen S’ mich net, wie es geschah, aber jedenfalls gelangte das Ganze an die Öffentlichkeit, und kurze Zeit später kamen Heilungssuchende in Scharen ins Wachnertal. Mich graust’s jetzt noch, wenn ich an die ganzen Busse denke, die die Pilger aus ganz Deutschland hierher brachten!«

»Das muss ja einen mächtigen Wirbel gegeben haben«, schmunzelte Gaby.

»In der Tat«, nickte Sebastian. »Jedenfalls hatte ich alle Hände voll zu tun, um die Leute davon zu überzeugen, dass ›das Wunder vom Wendelstein‹ gar keines war.«

»Und was war mit dem Wunderheiler?«, fragte die Kindergärtnerin.

»Der hat sich in der Zeit eine goldene Nase verdient.«

»Es ist ja unglaublich, wie schamlos manche Menschen sein können und noch am Elend anderer Geld verdienen.«

»Ja, das ist wohl wahr«, pflichtete Sebastian ihr bei.

Hans und Brigitte Bergmann waren auffällig still geworden. Sie schauten sich nur an, aber jeder schien zu wissen, was der andere dachte.

»Hätten wir es nicht sagen sollen?«, fragte der Bankier, als sie bald darauf auf dem Abstieg waren.

Das Ehepaar hatte sich ein wenig zurückgehalten und konnte nun ungestört miteinander sprechen.

»Bloß nicht!« Seine Frau schüttelte den Kopf. »Sollen wir uns etwa zum Gespött der Leute machen? Kein Wort sagen wir, und diesen verdammten Tee schmeißen wir in den Müll!«

Am frühen Nachmittag waren sie wieder auf dem Parkplatz, unterhalb des Koglers, angekommen.

»Tja, soviel Glück wie heut’ Morgen haben wir jetzt leider net«, meinte Sebastian Trenker. »Jetzt werden wir wohl zu Fuß ins Dorf zurückgehen müssen.«

Dabei lächelte er Gaby Westmeier so seltsam an, dass die Kindergärtnerin sich unwillkürlich fragte, ob der Geistliche die Blicke nicht entgangen waren, die sie und Thomas Birkner getauscht hatten …

*

Auf dem Birknerhof saß Thomas mit seinen Eltern beim Kaffeetrinken zusammen. Die junge Magd hatte sich schon wieder an die Arbeit gemacht und kümmerte sich um die Wäsche, obgleich die Bäuerin ihr gesagt hatte, dass das auch noch bis zum nächsten Tag Zeit habe.

»Was ist denn mit der Andrea?«, fragte Franziska Birkner. »Hat sie Kummer?«

Die Frage war an den Sohn gerichtet. Thomas zuckte die Schultern.

»Woher soll ich das wissen?«, fragte er zurück.

»Ich mein’ ja nur«, erwiderte seine Mutter, »weil ihr in der letzten Zeit häufiger zusammen was unternommen habt …«

Der Bauernsohn zuckte unmerklich zusammen; war es der Mutter also doch nicht verborgen geblieben, dass ihn und die Magd etwas verband.

Und der Vater?

Vorsichtig schielte Thomas zu ihm hinüber. Offenbar war dem Bauern die Bemerkung seiner Frau nicht entgangen, denn er blickte den Sohn streng an.

»Lass dir bloß net einfallen, was mit der Andrea anzufangen«, sagte er mit einem drohenden Tonfall.

»Wo denkst du hin?«, schüttelte Thomas den Kopf.

Er trank rasch seine Tasse leer und stand auf.

»Ich fahr’ dann mal. Zum Abendessen bin ich wieder zurück.«

»Wohin willst’ denn?«, wollte der Bauer wissen.

»Ich treff’ mich mit dem Florian und dem Wolfgang Perschel. Wir wollen uns was für die Hochzeit von der Traudel und dem Tobias ausdenken.«

Traudel Angerer und Tobias Waiblinger gehörten zu seinem Freundeskreis; die beiden wollten in zwei Wochen heiraten, und bis dahin galt es, sich noch ein paar schöne, alte Hochzeitsbräuche auszudenken, mit denen man dem Brautpaar einige gut gemeinte Streiche spielen konnte. Die Eltern hatten keine Einwände, dass der Sohn noch einmal loszog, und Thomas verließ erleichtert den Kaffeetisch. Froh darüber, weiteren, vielleicht peinlichen Fragen entkommen zu sein.

Auch war er dankbar, dass Andrea ihm nicht mehr über den Weg lief …

Florian Decker war Vikar an der Kirche von Engelsbach. Allerdings sah er gar nicht so aus, wie man sich einen Hilfsgeistlichen vorstellte. Der Liebhaber von guter Rockmusik trug das Haar schulterlang, er lief am liebsten in Jeans und T-Shirt und hatte an den Füßen sogenannte Gesundheitslatschen, die er auch im Winter nur ungern gegen festeres Schuhwerk eintauschte.

Dass der junge Vikar die Stelle in Engelsbach bekommen hatte, verdankte er Pfarrer Trenker, der den unkomplizierten Burschen kennen und schätzen gelernt hatte. Bei den Jugendlichen des Dorfes kam Florian ebenfalls gut an. Er kümmerte sich um ihre Sorgen und Nöte und half, wo er nur konnte. Dieses Engagement stieß indes bei seinem Vorgesetzten Blasius Eggensteiner auf wenig Gegenliebe. Der rundliche Pfarrer kümmerte sich kaum um die Burschen und Madeln. Sie sollten gefälligst zu den Messen und Beichten in die Kirche kommen, und ihren Hirten ansonsten in Ruhe lassen.

Da der Vikar im Pfarrhaus wohnte, schied dieser Ort als Treffpunkt aus. Indes saß Florian auch viel lieber im Biergarten des Hotels in St. Johann, und so hatten sie ausgemacht, sich auch heute dort wieder einzufinden, um zu beraten, wie sie das Brautpaar überraschen konnten.

Thomas hatte Wolfgang Perschel von zu Hause abgeholt, nun fuhren sie zusammen nach St. Johann. Wolfgang, der als Schreiner in der Werkstatt seines Vaters arbeitete, fiel auf, dass der Freund an diesem Nachmittag sehr schweigsam war.

»Was ist denn los mit dir?«, fragte er, als er die Stille nicht mehr aushielt. »Du sagst ja gar nix.«

Thomas zuckte die Schultern.

»Muss man denn immer reden?«, entgegnete er. »Man kann doch auch mal seinen Gedanken nachhängen.«

»Schon. Fällt aber trotzdem auf, dass du net viel sagst. Hast’ vielleicht Ärger daheim?«

Der Bauernsohn schüttelte den Kopf.

»Oder vielleicht mit der Andrea?«, hakte Wolfgang nach.

Natürlich wusste er als Freund von dem, was sich zwischen Thomas und der Magd abgespielt hatte.

Erneutes Kopfschütteln.

»Das Thema ist abgehakt«, gab Thomas Birkner zurück. »Und ich möcht’ auch net mehr daran erinnert werden.«

Wolfgang Perschel nagte an der Unterlippe. Irgendwas war mit dem Freund, so viel stand fest.

Aber was?

Plötzlich schlug er sich vor die Stirn.

»Ich hab’s«, schoss er geradewegs heraus, »du bist verliebt!«

Verblüfft schaute der Bauernsohn ihn an.

»Wie kommst’ denn darauf?«, fragte er.

»Es stimmt also?«, lächelte Wolfgang.

»Schon, aber …«

»Nix aber. Erzähl’ schon, wer ist sie?«

Thomas wand sich noch ein wenig, wollte nicht so recht mit der Sprache herausrücken, doch Wolfgang ließ nicht locker.

»Mir kannst du’s doch erzählen«, meinte er. »Kenne ich sie?«

»Nein, das glaub’ ich net …, oder vielleicht vom Sehen, sie saß neulich bei uns am Tisch.«

»Ach, die Hübsche, die mit dem engelhaften Gesicht? Mein Lieber, kein Wunder, dass es dich erwischt hat. Wär’ mir wohl net anders ergangen, wenn ich meine Sophie net hätt’. Aber was ist das Problem?«

Thomas hob die rechte Hand und ließ sie hilflos fallen.

»Sie weiß es net«, antwortete er.

»Na dann«, grinste Wolfgang Perschel, »kann ich dein trübsinniges Schweigen versteh’n. Wenn ich mich recht entsinne, dann ist sie doch auf Urlaub hier, oder?«

»Richtig. Ich hab’ sie übrigens heut’ Morgen geseh’n.«

»Ist net wahr!«

»Doch!«

Thomas erzählte von der unerwarteten Begegnung und vor allem von den Blicken, die er und Gaby Westmeier sich im Rückspiegel seines Traktors zugeworfen hatten.

»Und jetzt hoffst du, dass es mehr als nur ein Flirt ist, was?«

Der Bauernsohn nickte.

»Das hoffe ich inständig!«

»Aber leicht wird’s net, mein Lieber«, gab der Freund zu bedenken, »sie ist auf Urlaub da. Das heißt, dass sie eines Tags wieder abreisen wird…«

»Net, wenn’s nach mir geht«, schüttelte Thomas den Kopf. »Denn dann bleibt sie für immer da!«

»Auweia«, entfuhr es Wolfgang Perschel, »dich hat’s ja richtig erwischt!«

»Allerdings«, murmelte der Verliebte und bog auf den Parkplatz ein. »Mehr, als du dir denken kannst!«

*

Hans Bergmann betrachtete argwöhnisch die Semmel, die seine Frau ihm mit Butter bestrichen und mit Käse belegt hatte.

»Irgendwie habe ich überhaupt keinen Appetit«, klagte der Bankier.

Brigitte Bergmann sah ihn aufmerksam an.

»Hast du Beschwerden?«, wollte sie wissen.

Ihr Mann schüttelte den Kopf.

»Nicht so wie gestern Morgen«, antwortete er. »Eigentlich geht es mir sogar recht gut. Bloß Hunger habe ich keinen.«

»Du musst aber was essen«, beharrte seine Frau und klopfte genüsslich ihr Frühstücksei auf.

»Lass mal lieber«, entgegnete Hans. »Ich will erst abwarten, was der Arzt nachher sagt.«

Mit diesem Argument hatte er auch schon gestern das Abendessen verweigert. Er habe Angst, dass möglicherweise in einem der Gerichte irgendwas mit Nüssen verborgen sein könne. Selbst der Hinweis seiner Frau, dass man das gewiss in der Küche erfragen könne, hatte Hans Bergmann nicht überzeugt. Er war, ohne einen Bissen gegessen zu haben, ins Bett gegangen und hatte eine unruhige Nacht verbracht.

Aber nicht, weil er Schmerzen gehabt hätte, sondern, weil der Hunger ihn quälte …

Trotzdem hielt er tapfer durch und trank nur zwei Tassen Kaffee. Als das Ehepaar eine Stunde später im Wartezimmer des Arztes saß, fühlte sich der Bankier wie ein Tier, das man zur Schlachtbank führte.

»Aber kein Wort über den Tee!«, schärfte seine Frau ihm noch einmal ein, als Hans Bergmann in das Sprechzimmer des Arztes gerufen wurde.

Die Tüte mit dem teuer bezahlten Inhalt hatten sie noch am Abend in einen Müllcontainer geworfen …

»Ah, da sind S’ ja«, begrüßte Toni Wiesinger den Patienten, »haben S’ den Anfall gut überstanden?«

Der Bankier nickte. Der Arzt bat ihn, Platz zu nehmen und schaute ihn prüfend an.

»Ein bissel mitgenommen schauen S’ schon aus«, stellte er fest.

»Ich hab’ schlecht geschlafen«, erwiderte Hans und reichte den Zettel herüber, auf den er geschrieben hatte, was in den letzten Tagen von ihm gegessen worden war.

»Gut«, nickte Dr. Wiesinger, nachdem er die Liste gelesen hatte. »Ihre Frau hat dasselbe zu sich genommen?«

»Ja.«

»Keine Ausnahme? Ich frag’, weil’s wichtig ist, festzustellen, ob bei Ihnen etwas den allergischen Schock auslöst, bei ihrer Frau aber net.«

»Na ja, vorgestern Abend, da hatte ich Forelle, sie aber ein Kalbssteak. Wissen Sie, meine Frau mag keinen Fisch.«

Toni Wiesinger sah auf.

»Hm, im Hotel haben s’ zwei Forellengerichte auf der Karte«, sagte er. »Einmal ›blau‹ gekocht, das andere gebraten in Mandelbutter. Welche haben Sie gegessen?«

»Die gebratene Forelle…«

»Und da haben Sie noch nix gespürt?«

»Nicht das geringste.«

»Das ist aber seltsam. Gestern Morgen bekommen S’ einen Erstickungsanfall durch eine Stückl Nuss, aber die Mandelforelle am Abend vorher vertragen S’ gut. Sehr rätselhaft!«

Der Arzt begann damit, die Test durchzuführen, von denen er gesprochen hatte. Hans Bergmann musste den Oberkörper frei machen, und Dr. Wiesinger tupfte verschiedene Flüssigkeiten, die allen einen spezifischen Wirkstoff enthielten, auf die Haut des Bankiers. Dann wurden die Stellen mit Pflas­ter abgeklebt, und der Patient ermahnt, die nächsten zwei Tage nicht zu duschen und auch sonst jeglichen Kontakt mit Wasser an den Testpartien zu vermeiden. Am übernächsten Tag sollte Hans Bergmann wieder vorstellig werden.

»Eine Frage habe ich noch«, sagte der Bankier und erzählte von seinen Ängsten, etwas zu essen.

»Um Gottes willen, ein bissel Vorsicht ist freilich angebracht, aber verhungern müssen S’ deswegen noch lang’ net. Sagen S’ im Res­taurant Bescheid, dass in der Küche darauf geachtet werden soll, für Sie keine Gerichte mit Nüssen oder Mandeln zubereiten. Dann ist alles in Ordnung.«

Hans Bergmann bedankte sich und verließ das Sprechzimmer. Er ließ einen nachdenklichen Dr. Wiesinger zurück.

»Was mag das bloß ausgelöst haben?«, murmelte der Arzt vor sich hin.

Und plötzlich erinnerte er sich an die Frau, die vor geraumer Zeit in seine Praxis gekommen war. Auch sie war dem Erstickungstod nahe gewesen – ebenfalls ein allergischer Schock. Der Arzt setzte sich an seinen Computer und rief die Datei auf, in der er den Namen und die Anschrift der Patientin gespeichert hatte.

Gertrud Senker hieß die Frau, wohnhaft in Offenbach. Auch der Name und Telefonnummer des Hausarztes waren verzeichnet. Toni Wiesinger beschloss, den Kollegen im Laufe des Tages anzurufen und sich nach der Patientin zu erkundigen. Möglicherweise konnte ihr Arzt ihm einen Hinweis geben, der Rückschlüsse auf die Ursache für diese rätselhaften Anfälle zuließ.

*

Schon bald nach dem Mittagessen verabschiedete sich Pfarrer Trenker. Jeden Mittwoch Nachmittag fuhr er nach Waldeck, ins dortigen Altenheim, wo er schon sehnlichst erwartet wurde. Die alten Leute freuten sich schon Tage vorher darauf, ein paar Stunden mit dem guten Hirten von St. Johann zu verbringen. Es wurde Kaffee getrunken, gesungen und gemeinsam gebetet. Wer wollte, konnte die Beichte ablegen, und manchmal wurde ein junger Autor oder eine Autorin eingeladen, die aus ihren Werken vorlasen. Am liebsten aber hatten es die Bewohner des Heimes, wenn der Bergpfarrer von seinen Erlebnissen auf den Touren erzählte. Wohl kaum jemand vermochte diese Abenteuer so anschaulich und farbenfroh zu schildern, wie Sebastian Trenker.

Im Pfarrhaus blieben Sophie Tappert und Gaby Westmeier zurück. Die beiden Frauen hatten zusammen den Abwasch erledigt und die Küche aufgeräumt. Jetzt saßen sie, mit einer Tasse Kaffee, auf der Terrasse des Pfarrgartens und plauderten. »Wie geht es dir denn inzwischen?«, erkundigte sich die Haushälterin.

»Ich kann mich net beklagen«, antwortete die junge Frau. »Eigentlich geht’s mir wieder so wie früher, bevor ich krank wurde. Bestimmt trägt der Aufenthalt hier mit dazu bei.«

»Ja, das glaub’ ich gern’«, nickte Sophie Tappert. »Aber manchmal seh’ ich so einen nachdenklichen Ausdruck in deinem Gesicht. Beschäftigt dich irgendwas?«

Gaby wiegte den Kopf.

»Wenn ich ehrlich sein soll, ja«, erwiderte sie. »Mich beschäftigt die Frage, wie’s wohl weitergeh’n wird, wenn ich wieder daheim bin in München. Ich hab’ keine Arbeit und auch keine Aussicht, so schnell eine zu finden.«

»Das kann ich gut versteh’n, dass dir das durch den Kopf geht. Vielleicht wirst’ dich damit abfinden müssen, gar net mehr in deinem erlernten Beruf arbeiten zu können.«

»Dieser Gedanke ist mir auch schon gekommen«, bestätigte die junge Frau. »Auch wenn ich zugeben muss, dass mir der Gedanke daran sehr weh tut. Ich liebe Kinder über alles und arbeite gerne mit ihnen.«

»Und hättest auch selbst gern welche?«

Gaby lächelte.

»Dazu fehlt etwas ganz Entscheidendes«, meinte sie.

»Der Mann«, stellte Sophie Tappert nüchtern fest. »Aber sei gewiss, der kommt auch noch.«

Gaby lächelte immer noch, aber mehr in sich hinein.

War es ein Zufall, dass sie ausgerechnet jetzt an Thomas Birkner denken musste?

»Gibt’s denn überhaupt niemanden?«, fragte die Haushälterin.

»Gab schon«, antwortete Gaby achselzuckend. »Aber der Richtige war eben noch net dabei.«

Sie hatte diese Antwort freimütig gegeben, weil sie wusste, dass Sophie Tappert nicht aus Neugier fragte, sondern aus Mitgefühl.

Die Unterhaltung wurde unterbrochen, als das Telefon klingelte. Die Haushälterin ging in den Flur, wo der eine Apparat stand. Doch schon nach kurzer Zeit kam sie zurück.

»Für dich«, sagte sie mit ausdrucksloser Miene.

Die Kindergärtnerin sah sie erstaunt an.

»Für mich? Aber wer …?«

Sie lief zum Telefon und nahm den Hörer, den die Haushälterin daneben gelegt hatte.

»Gaby Westmeier«, sagte sie.

»Oh …, hallo«, hörte sie eine überraschte Stimme, »hier ist Thomas. Thomas Birkner. Du erinnerst dich?«

»Ja, freilich«, antwortete sie und fragte sich, warum er genauso überrascht war wie sie selbst.

Indes sollte sie die Antwort gleich darauf bekommen.

»Eigentlich hab’ ich angerufen, weil ich fragen wollt’, ob man im Pfarrhaus weiß, in welcher Pension du wohnst«, erklärte der Bauernsohn.

»Ich dachte, weil du doch ges­tern mit Hochwürden auf Bergtour warst, wüsste er es. Und jetzt bin ich ganz erstaunt, dich zu sprechen.«

»Ich hoffe, es war eine freudige Überraschung?«, konnte Gaby sich nicht verkneifen, zu sagen.

»Aber ja!«, rief Thomas hastig, als habe er Angst, sie könne ihm nicht glauben. »Sag’ mal, können wir uns net treffen?«

Die junge Frau zögerte nicht lange mit der Antwort.

»Klar«, sagte sie. »Wann und wo?«

»Jetzt gleich? Im Biergarten.«

»Ich bin in fünf Minuten da.«

»Ich freu’ mich.«

Sie legte den Hörer wieder auf und drehte sich um. Sophie Tappert stand lächelnd in der Küchentür. Sie hatte das Kaffeegeschirr abgeräumt.

»Hab’ ich’s net gesagt?«, schmunzelte sie. »Der Richtige kommt schon noch.«

Gabys Wangen glühten, als sie die Treppe hinauflief und sich rasch etwas frisch machte, bevor sie mit klopfendem Herzen zum Biergarten ging.

*

Thomas erwartete sie ungeduldig. Dass es mit dem Wiedersehen so schnell klappen würde, hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können.

Tatsächlich hatte er im Pfarrhaus angerufen, in der Hoffnung, dort könne man ihm sagen, in welcher Pension Gaby Westmeier wohnt. Es war die letzte Möglichkeit, es herauszufinden, nachdem er bereits in der Pension Stubler und »Edelweiß« nachgefragt hatte, ohne eine positive Antwort zu bekommen. Zwar gab es noch ein paar Pensionen außerhalb des Dorfes, aber die und die vielen Privatunterkünfte und Bauernhöfe, auf denen Zimmer vermietet wurden, abzuklappern, wäre viel zu mühselig gewesen. Aber jetzt hatte sich ja gezeigt, dass der erste Anruf bereits ein Glücksgriff gewesen war.

Eigentlich hatte Thomas gar keine Zeit an diesem Nachmittag. Der Sägemühlenbesitzer hatte noch Holz nachgeordert, und Franz Birk­ner hatte von seinem Sohn verlangt, dass dieser sich darum kümmern solle. Es hatte einiger Ausflüchte gebraucht, und wieder einmal hatte die bevorstehende Hochzeit des Freundes herhalten müssen, um den Vater zu überzeugen, selbst in den Bergwald hinaufzufahren. Aber Thomas konnte einfach nicht anders. Er war sicher, vor Sehnsucht zu vergehen, wenn er Gaby nicht wieder sah. Schon gestern Nachmittag, als er mit Wolfgang Perschel und Florian Decker im Biergarten saß, hatte er immer wieder sehnsüchtig zum Eingang geschaut und gehofft, dass das hübsche Madel dort auftauchte.

Leider vergebens!

Auch dem jungen Vikar war nicht verborgen geblieben, wie unkonzentriert der Bauernsohn bei der Sache war. Als er dann den Grund dafür erfuhr, lächelte Florian mild.

»Ich glaub’, wir sind dann auch so weit«, meinte er schließlich. »Du, Wolfgang, kümmerst dich um den Kinderwagen, den wir dem Brautpaar aufs Dach stellen, und ich werd’ Traudels ›Entführung‹ organisieren.«

Sie verabschiedeten sich voneinander. Wolfgang, der auf seine Freundin wartete, blieb noch im Biergarten sitzen, während Thomas zum Hof zurückfuhr.

Nach dem Abendessen saß er auf der Rückseite des Bauernhauses auf einer Bank und schaute gedankenverloren in den Sonnenuntergang. Dabei dachte er an Gaby, und an die Blicke, die sie sich am Morgen, während der Fahrt zum Kogler, zugeworfen hatten. Erst als Andrea sich neben ihn setzte, bemerkte der Bursche, dass er nicht so alleine war, wie er geglaubt hatte.

»Ich beobachte dich schon eine ganze Weile«, sagte die Magd. »Woran denkst’ denn die ganze Zeit?«

»Ach, an nix Besond’res«, winkte er ab und machte Anstalten, aufzustehen und zu gehen.

»Bleib’ doch noch«, bat sie.

Thomas schüttelte den Kopf.

»Es ist spät, und morgen muss ich wieder früh raus.«

Andrea sprang auf und klammerte sich an seinen Arm.

»Bitte, Thomas«, flehte sie, »wir müssen miteinander reden!«

»Warum?«, entgegnete er. »Es ist alles gesagt, was es zu sagen gibt. Außerdem weißt du, dass es für uns keine Chance gibt. Der Vater …«

»Der Vater! Der Vater!«, brauste sie auf. »Wenn du mich lieben tätest, dann würdest’ dich gegen ihn auch durchsetzen!«

Thomas sah sie fest an.

»Das mag wohl sein«, nickte er, »nur ich liebe dich net, Andrea. So leid es mir auch tut.«

Sie fing an zu schluchzen.

»Dann war alles nur Spielerei?«

»Ich hab’ dir nie Hoffnungen gemacht!«

Andrea musste insgeheim zugeben, dass dies der Wahrheit entsprach. Thomas hatte mit keiner Silbe verlauten lassen, dass er tatsächlich etwas für sie empfand. Sie hatte es einfach als Selbstverständlichkeit angenommen.

Warum sonst ließ sich ein Bursche mit einem Madel ein!

Sie wandte sich von ihm ab, und Thomas ging erleichtert davon. Aber dieses Geschehen eben bestärkte ihn nur in seinem Entschluss, Gaby wiedersehen zu wollen.

Gleich nachdem er am nächsten Tag seine übliche Arbeit auf dem Hof beendet hatte, duschte er und zog sich um. Gerade, als er sich auf den Weg nach St. Johann machen wollte, rief sein Vater ihn zu sich und beauftragte ihn damit, sich mit dem Sägemühlenbesitzer im Bergwald zu treffen, um die Bäume auszusuchen, die gefällt und verkauft werden sollten.

»Muss das sein?«, fragte Thomas. »Ich wollt’ mich noch mal mit Wolfgang und Florian treffen.«

Es gab ein hin und her, und endlich konnte der Bursche seinen Vater überzeugen, den Termin wahrzunehmen.

Und jetzt saß er erwartungsvoll im Biergarten und ließ den Eingang nicht aus den Augen.

Thomas stand auf, als er Gaby sah und ging ihr entgegen.

»Da bist’ ja«, sagte er und strahlte glücklich. »Wollen wir uns setzen? Möchtest’ was trinken?«

Die Kindergärtnerin schüttelte den Kopf.

»Eigentlich möcht’ ich viel lieber einen Spaziergang machen«, antwortete sie. »Hast’ auch Lust?«

»Aber ja«, nickte Thomas. »Sehr gern geh’ ich mit dir spazieren.«

*

Andrea Hoffer versuchte, so gut es eben ging, ihren Kummer zu verbergen. Aber argwöhnisch beobachtete sie jeden Schritt und Tritt, den Thomas auf dem Hof tat. Als er jetzt am Nachmittag ins Dorf hinunter fuhr, zögerte sie nicht lange und folgte ihm kurzerhand. Die junge Magd konnte, so oft sie wollte, das Auto der Bäuerin benutzen, solange Franziska Birkner es nicht selber benötigte. Da Thomas natürlich den Wagen seiner Mutter kannte, hatte Andrea ihn in einer Seitenstraße abgestellt, nachdem sie beobachtet hatte, dass der Bauernsohn auf den Parkplatz des Hotels gefahren war.

Dass Thomas in den Biergarten wollte, das hatte sie mitbekommen. Indes glaubte die Magd nicht daran, dass er sich dort mit den Freunden treffen wollte. Sie argwöhnte vielmehr, dass er sich mit einer Frau traf. Andrea glaubte auch zu wissen, wer diese Frau war, dieser Augenschein sollte nur zeigen, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Also postierte sich die Magd auf der gegenüberliegenden Straßenseite und behielt den Eingang des Biergartens im Blick. Schon kurze Zeit, nachdem Thomas hineingegangen war, sah sie jene Frau, mit der er sich vor ein paar Tagen so intensiv unterhalten hatte, den Kiesweg herunterkommen, der zur Kirche hinaufführte. Andrea drückte sich hinter einen Baum, obgleich sie sicher war, dass die Frau sie nicht kannte. Neulich hatte sie ihr jedenfalls kaum Beachtung geschenkt. Nachdem sie den Biergarten durch den Eingang betreten hatte, lief die Magd über die Straße. Vorsichtig spähte sie über die Hecke, die den Biergarten begrenzte. An manchen Stellen war sie nicht ganz zugewachsen, und man konnte in den Garten hineinsehen. Andrea zuckte unmerklich zusammen, als sie sah, dass Thomas und die Frau sich wider Erwarten nicht setzten, sondern sich dem Ausgang zuwandten. Hastig entfernte sich die Magd und drehte sich erst wieder um, als sie sich in einigermaßen sicherer Entfernung wähnte.

Gerade noch rechtzeitig, denn eben bogen die beiden um die Ecke, und Andrea hätte sie unweigerlich aus den Augen verloren.

So aber konnte die Magd ihnen in sicherem Abstand folgen …

Andrea Hoffer beobachtete das Paar mit brennenden Augen und fragte sich, warum sie sich das eigentlich antat. Indes wusste sie auch gleich die Antwort.

Weil sie Thomas nun einmal liebte!

Der Bauernsohn ahnte nicht, dass er und seine Begleiterin verfolgt wurden. Er war einfach nur glücklich, neben dieser zauberhaften Frau zu gehen, ihrer Stimme zu lauschen und sich dabei vorzustellen, dass sie die Frau war, mit der er leben wollte.

Gaby Westmeier erzählte ohne Scheu, wie es dazu gekommen war, dass sie im Pfarrhaus von St. Johann wohnte. Sie berichtete von der rätselhaften Krankheit, und wie es dem famosen Professor gelungen war, sie wieder gesund zu machen.

Inzwischen hatten sie St. Johann längst hinter sich gelassen und stiegen eine Wiese hinauf. Überall blühten Blumen, und in einiger Entfernung stand eine Ziegenherde und labte sich an dem fetten Gras und fraß eifrig die würzigen Wildkräuter.

»Da muss ich dem Herrn Professor ja dankbar sein, dass er dich ausgerechnet hierher geschickt hat«, sagte Thomas leise.

Gaby lächelte.

»Warum?«, fragte sie.

»Na ja, weil wir uns sonst nie kennen gelernt hätten.«

»Liegt dir denn so viel an unserer Bekanntschaft?«

Thomas Birkner war stehen geblieben und schaute sie ernst an.

»Mehr, als du dir vorstellen kannst«, antwortete er mit belegter Stimme und griff nach ihrer Hand. »Vom ersten Augenblick an, in dem ich dich gesehen hab’, hatte ich nur den einen Wunsch: Dir zu sagen, wie viel du mir bedeutest, Gaby. Auf den ersten Blick hab’ ich mich in dich verliebt, und ich wär’ der glücklichste Mensch der Welt, wenn du mich auch ein bissel lieben würdest.«

Die Kindergärtnerin spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. In ihrer Kehle steckte ein dicker Kloß, den sie nur mühsam hinunterschlucken konnte. Ein Lächeln glitt über ihr hübsches Gesicht.

»Ich liebe dich doch auch, Thomas«, brachte sie mühsam über die Lippen, weil ihr die Stimme vor Rührung zu versagen drohte.

Da wartete er nicht länger. Mit einem Aufschrei riss er sie in seine Arme. Sekundenlang schauten sie sich tief in die Augen, bis ihre Lippen miteinander verschmolzen.

Beobachtet von einem hasserfüllten Blick, den sie in ihrem unendlichen Glück nicht bemerkten.

*

Ines und Frank Brandner genossen ihren ausgiebigen Spaziergang. Das junge Ehepaar, das seit einem Jahr verheiratet war, feierte seinen ersten Hochzeitstag in St. Johann. Leider mussten sie schon wieder am übernächsten Tag zurück nach Rosenheim fahren, wo Frank Brandner einen kleinen Malereibetrieb führte, aber sie waren froh, dass sie sich überhaupt ein paar Tage hatten freinehmen können. Jetzt hatten sie im Hotel zu Mittag gegessen und anschließend »ihre Runde« gemacht, wie sie es nannten. Jeden Tag mindestens fünf Kilometer zu gehen, hatten sie sich vorgenommen und bisher auch eingehalten.

Überhaupt waren Ines und Frank ein sehr sportliches Paar. Zu Hause waren sie Mitglied im Sportverein; Wandern und Waldläufe gehörten zu ihren bevorzugten Unternehmungen. Dabei achteten sie auch sehr auf ihre Gesundheit. Einkaufen im Bio-Laden gehörte ebenso dazu, wie regelmäßige Besuche bei ihrem Hausarzt, der auch ein Verfechter alternativer Heilmethoden war. Wann immer es möglich war, verordnete der Arzt homöopathische Medikamente. Was Ines und Frank zu ihrem gesunden Lebenswandel beitragen konnten, taten sie auch, und so war es auch nicht weiter verwunderlich, dass sie einen naturbelassenen Stärkungstee kauften, den ein alter Kauz ihnen anbot, dem sie auf einem ihrer Spaziergänge begegneten, und der sie angesprochen hatte.

Alternativer Mediziner sei er, hatte er behauptet und mit einigen Ausdrücken um sich geworfen, die ihre Wirkung bei dem Ehepaar nicht verfehlten. Ganz im Gegenteil – Alois Brandhuber stieß bei Ines und Frank Brandner auf offene Ohren, und die beiden störten sich auch nicht an dem übertriebenem Preis, den der Alte dafür verlangte. Seit sie vor drei Tagen den Tee gekauft hatten, ließen sie ihn sich im Hotel zum Frühstück aufbrühen. Er schmeckte und bekam ihnen ausgezeichnet.

Zur Stärkung hatte das Ehepaar auf seinem Spaziergang nicht nur ausreichend Wasser mitgenommen, sondern auch immer eine kleine Nascherei. Heute war es eine Tafel Schokolade gewesen, die aber noch unangebrochen in der Tasche von Franks Anorak steckte.

»Gib mir doch bitte ein Stück«, bat Ines, als sie sich schon wieder auf dem Rückweg ins Dorf befanden.

Sie hatten eine Bergwiese erreicht, an deren Fuß St. Johann lag. Ines und Frank saßen oberhalb der Wiese und schauten den Ziegen zu, die in einiger Entfernung grasten. Auf der anderen Seite saß ein junges Paar, das sehr glücklich und frisch verliebt sein musste, denn die beiden küssten sich ununterbrochen. Der Malermeister zog die Schokoladentafel aus der Schachtel und riss das Papier auf. Ines lächelte, als er ihr eine Rippe reichte, und biss herzhaft hinein.

»Hm, lecker!«, sagte sie. »Haselnuss, genau richtig.«

»Ich weiß eben, was du magst«, lächelte Frank und nahm sie in die Arme.

Ines wandte ihm das Gesicht zu, um ihn zu küssen, doch plötzlich hatte sie das Gefühl, zu ersticken. Sie keuchte und rang nach Luft, das Gesicht war rot angelaufen, bis zum Hals hinunter war sie mit kleinen Pusteln bedeckt.

»Ines, Schatz!«, rief Frank entsetzt. »Was ist mit dir?«

Seine Frau konnte nicht antworten. Sie kämpfte gegen den Anfall und krümmte sich wie unter Schmerzen.

Frank Brandner war aufgesprungen und winkte wie verrückt zu dem jungen Paar hinüber und rief um Hilfe. Tatsächlich kamen die beiden herübergelaufen.

»Was ist geschehen?«, fragte Thomas Birkner.

Er schaute die Frau an, deren Mann ratlos die Schultern zuckte.

Der Bauernsohn war nicht nur Mitglied der Bergwacht, er hatte auch ein paar Jahre ehrenamtlich beim Rettungsdienst gearbeitet und kannte sich einigermaßen aus. Auch wenn er kein ausgebildeter Mediziner war, sah er doch sofort, dass die Frau einen allergischen Schock hatte.

»Öffne den obersten Kragenknopf«, wies er Gaby an. »Und sorg’ dafür, dass sie sich beruhigt.«

Sie nickte und beugte sich zu Ines Brandner. Fatal wurde sie an das Geschehen am Kogler erinnert, bei dem Hans Bergmann beinahe erstickt war.

Thomas wandte sich dem Mann zu.

»Ich ruf’ den Arzt an.«

In seinem Handy hatte er die Telefonnummer von Dr. Wiesinger gespeichert. Zwar hatte der Arzt an diesem Nachmittag keine Sprechstunde, doch der Anruf wurde in die Privatwohnung, über der Praxis, umgeleitet. Hastig erklärte Thomas, was sich ereignet hatte, und was er vermutete. Dr. Wiesinger machte sich sofort auf den Weg und traf nach knapp zehn Minuten am Ort des Geschehens ein.

»Du hast richtig vermutet«, nickte er Thomas zu und setzte die Spritze an.

Gaby hatte sich hingebungsvoll um Ines Brandner gekümmert, während Thomas deren Mann beruhigt hatte. Inzwischen ging es der jungen Frau wieder viel besser.

»Erzählen S’ doch bitte ganz genau, wie’s geschehen ist«, bat der Arzt Ines.

Als sie die Schokolade erwähnte, war alles für ihn klar.

»Die Nuss also. Schon wieder!«

Die anderen sahen ihn fragend an. Toni Wiesinger erzählte, dass es innerhalb kurzer Zeit der dritte Fall war, in dem ein Mensch einen allergischen Schock erlitten hatte. Wie die anderen zuvor, erklärte auch Ines Brandner, dass sie bisher nie unter Allergien zu leiden gehabt hatte.

Toni Wiesinger bat sie, dennoch am nächsten Tag zu ihm in die Sprechstunde zu kommen und verabschiedete sich. Nachdenklich ging er nach Hause.

Er musste unbedingt noch einmal mit seinem Offenbacher Kollegen telefonieren. Gertrud Senker war nämlich nicht, wie sie es versprochen hatte, zu ihrem Hausarzt gegangen. Dr. Rister war sehr erstaunt gewesen, als Toni ihn anrief und sich nach dem Befinden der gemeinsamen Patientin erkundigte.

»Tut mir leid, Herr Kollege«, hatte er geantwortet, »aber Frau Senker war zuletzt im Mai bei mir in der Sprechstunde.«

»Dann wissen Sie also gar nix von dem Vorfall?«

»Ich höre es von Ihnen zum ers­ten Mal. Aber ich kann Ihnen versichern, dass mir über eine allergische Reaktion bei der Patientin nichts bekannt ist.«

»Wäre es Ihnen möglich, die Frau Senker zu kontaktieren?«, bat Toni Wiesinger. »Mir wäre es wichtig, zu erfahren, ob sie vor dem Anfall irgendetwas zu sich genommen hat, in dem sich Nüsse befunden haben. In dem aktuellen Fall, den ich Ihnen eben geschildert habe, waren es Nüsse in einem Brot. Am Abend zuvor hatte der Patient eine gebratene Forelle mit Mandeln gegessen … ein rätselhaft widersprüchlicher Fall.«

Dr. Riester versprach, sich mit Gertrud Senker in Verbindung zu setzen. Der Kollege möge ihn am heutigen Abend zurückrufen. Toni wartete ungeduldig darauf, dass es endlich Abend wurde. Irgendwas an dieser Sache war mysteriös und geheimnisvoll. Drei Fälle, die sich in so einem kleinen Ort wie St. Johann ereigneten, gaben schon Anlass zur Sorge.

Aber was war der Auslöser?

*

Nachdem der Arzt fort war, bedanktes sich das Ehepaar bei Gaby und Thomas für deren Hilfe. Gemeinsam gingen sie ein Stück ins Dorf zurück und verabschiedeten sich vor dem Hotel. Der Bauernsohn sah Gaby lächelnd an und zuckte bedauernd die Schultern.

»Leider muss ich jetzt auch los«, erklärte er. »Auf dem Hof warten die Kühe darauf, gemolken zu werden und leider scheren sich die Viecher net darum, ob man dazu eigentlich keine Zeit hat, weil man verliebt ist.«

Er schloss sie in seine Arme und gab ihr einen liebevollen Kuss.

»Aber wir sehen uns morgen, ja?«

Die Kindergärtnerin nickte.

»Ich freu’ mich schon«, sagte sie.

Sie schaute zu, wie er in seinen Wagen stieg und winkte ihm nach, als er losfuhr. Dann ging sie mit beschwingtem Schritt zum Pfarrhaus zurück.

Thomas hätte die ganze Welt umarmen können. Er fuhr mit dem Gefühl nach Hause, dass sich ihm nichts und niemand mehr in den Weg stellen könne. Er wusste zwar, dass es nicht leicht sein würde, sich bei seinem Vater durchzusetzen, aber er war gewillt, für seine Liebe zu kämpfen.

Er war sicher, dass seine Eltern Gaby einfach gern haben mussten, wenn sie sie erst einmal kennen gelernt hatten.

Auf dem Hof angekommen, zog er sich gleich um und machte sich an die Arbeit. Die Kühe kannten die Prozedur zu Genüge und kamen fast freiwillig an den Melk­stand. Indes wunderte sich Thomas, dass Andrea noch nicht da war. Das Melken erledigten sie meistens zusammen. Aber erst als die ersten vier Kühe schon abgefertigt waren, kam die Magd in den Stall.

»Wo bleibst’ denn?«, fragte Thomas ohne jeglichen Vorwurf in der Stimme.

»Ich hab’ mich halt verspätet«, gab Andrea beleidigt zurück. »Kann ja mal vorkommen. Aber jetzt bin ich ja da.«

Der Bauernsohn zog es vor, nichts weiter darauf zu sagen. Schweigend verrichteten sie ihre Arbeit, und genauso schweigend brachten sie die vollen Milchbehälter an die Straße. Als sie auf den Hof zurückgekehrt waren, rief der Bauer nach seinem Sohn. Der Ton, in dem dies geschah, ließ Thomas stutzig werden.

»Wird’s bald?«, herrschte Franz Birkner ihn an.

Der Sohn war ins Haus gegangen, wo sein Vater in der Küche auf ihn wartete. Der Bauer saß auf der Eckbank, seine Frau auf einem Stuhl daneben. Franziska Birkner wirkte irgendwie bedrückt.

»Setz’ dich!«

Thomas gehorchte und nahm Platz.

»Was gibt’s denn?«, fragte er ahnungslos.

»Was ist das für eine Geschichte, die mir da zu Ohren gekommen ist?«, wollte sein Vater wissen.

Ratlos schaute der Sohn zwischen Vater und Mutter ihn und her.

»Was meinst du?«

»Ich weiß von deinem Techtelmechtel mit der Urlauberin«, sagte der Bauer. »Fang also gar net erst mit irgendwelchen Ausflüchten an!«

Aha, daher wehte also der Wind!

Thomas war klar, dass es nur Andrea gewesen sein konnte, die seinem Vater etwas gesagt hatte. Allerdings war sie auch nur auf Vermutungen angewiesen, denn wissen konnte sie nicht, was an diesem Nachmittag geschehen war.

Dachte er zumindest …

Aber wenn es schon mal zur Sprache kam, dann war hier und jetzt die beste Gelegenheit, den eigenen Standpunkt klarzumachen. Die Gestalt des Bauernsohnes straffte sich.

»Ich kann nur vermuten, woher du deine Informationen hast«, antwortete er, »aber sie stimmen. Gaby und ich haben uns kennen gelernt und ineinander verliebt. Ja, ich liebe sie und möcht’ sie euch gern vorstellen. Ihr werdet seh’n, wenn ihr sie kennen gelernt habt…«

Ein Fausthieb seines Vaters, der krachend auf die Tischplatte traf, unterbrach ihn.

»Einen Teufel werd’ ich!«, brüllte der Bauer ihn an. »Das fehlt mir grad noch. Keinen Schritt wird dieses Weibsbild auf meinen Hof tun! Und schon gar net wird sie hier eines Tags einzieh’n! Schlag’ dir’s nur aus dem Kopf, wenn du schon mit dem Gedanken gespielt haben solltest!«

Thomas schluckte. Im war klar gewesen, dass es nicht einfach werden würde, mit den Eltern darüber zu reden. Aber das hätte er nun doch nicht erwartet.

»Aber, Vater«, wandte er ein. »Ihr kennt Gaby doch gar net.

Wisst net, was für ein Mensch sie ist.«

»Das ist mir völlig wurscht!«, tat der Bauer den Einwand seines Sohnes ab. »So eine Dahergelaufene kommt mir net auf den Hof! Eine Urlauberin – bist’ eigentlich narrisch g’worden, dich mit so einer einzulassen. Wenn’s nur darum geht, dass du deinen Spaß hast – schön, von mir aus. Aber bild’ dir net ein, dass ich jemals zulass’, dass du in dein Unglück rennst!«

Franz Birkner hatte sich so in Rage geredet, dass er erst einmal nach Luft schnappen musste. Thomas sah verzweifelt seine Mutter an. Die Bäuerin saß zusammengesunken auf ihrem Stuhl und trocknete die Tränen in ihrem Gesicht.

»Mutter«, rief der Sohn, »jetzt sag’ du doch auch mal was dazu.«

»Deine Mutter ist derselben Meinung wie ich«, raunzte sein Vater.

Thomas spürte, wie der Widerstand in ihm wuchs. Er hatte sich vorgenommen, um seine Liebe zu kämpfen, und genau das wollte er jetzt tun.

»Ach ja?«, höhnte er. »Warum wohl? Weil Mutter gar keine eigene Meinung haben darf! Schon immer hat sie getan, was du wolltest, und wenn sie dir einmal net nach dem Mund geredet hat, dann bist’ aufgebraust und hast jedes ihrer Widerworte in Grund und Boden gebrüllt! So schaut’s doch aus.«

»Junge, lass gut sein …«, sagte Franziska Birkner schwach.

Sie fürchtete nichts mehr, als Streit in der Familie und den aufbrausenden Zorn ihres Mannes.

»Was sagst du da?«, schrie Franz Birkner seinen Sohn auch schon an.

Doch Thomas hatte plötzlich keine Angst mehr. Er war aufgesprungen und sah seinen Vater mit unbewegter Miene an.

»Die Wahrheit, Vater«, erwiderte er. »Die Wahrheit sag’ ich. Eigentlich hätt’ ich sie dir schon lang’ mal sagen sollen, aber ich hab’ mich nie getraut. Doch die Zeiten sind vorbei. Ich lass’ mir net mehr länger vorschreiben, was ich zu tun und zu lassen hab’. Und ich werd’ die Gaby heiraten, ob es dir in den Kram passt oder net!«

Erneut krachte die Faust des Bauern auf den Tisch.

»Ja, wie redest’ denn mit mir!«, brüllte er erneut los.

Doch Thomas ließ sich davon nicht mehr einschüchtern.

»Ab jetzt gar net mehr«, entgegnete er. »Es sei denn, du entschuldigst dich bei mir!«

»Darauf kannst’ lang’ warten!«

»Fragt sich nur, wer den läng’ren Atem hat«, sagte der Sohn gelassen und machte Anstalten, die Küche zu verlassen.

»Ich werd’ dich enterben!«, drohte sein Vater, als er hinausging.

Doch diese Drohung tat Thomas mit einem Achselzucken ab.

*

Sebastian Trenker war bereits zu Hause, als Gaby im Pfarrhaus ankam. Der Geistliche sah die Kindergärtnerin erstaunt an, als sie erzählte, was sie erlebt hatte.

»Schon wieder ein allergischer Schock? Das kann doch kein Zufall mehr sein«, sagte der Bergpfarrer kopfschüttelnd. »Da muss ich noch heut’ mit dem Doktor drüber reden!«

Gaby hatte alles ausführlich geschildert.

»Und der Thomas Birkner war auch dabei?«

Sie errötete verlegen.

»Ja. Er hat angerufen und gefragt, ob wir uns treffen können …«

Der gute Hirte von St. Johann verstand.

»Es war gut, dass ihr grad in der Nähe wart«, nickte er. »Wie leicht hätte die Sache sonst bös’ enden können.«

»Was mag es nur sein, das diese Allergie so plötzlich auslöst?«, fragte Gaby nachdenklich. »Es muss doch etwas sein, womit alle drei Leute in Berührung gekommen sind,«

»Eine Speise oder ein Getränk«, vermutete Sebastian. »Ich hoff’, dass der Doktor mir nachher mehr darüber sagen kann.«

Nach dem Abendessen ging der Geistliche zum Arzthaus hinüber. Elena, Toni Wiesingers Frau, öffnete ihm.

»Grüß Gott, Hochwürden«, sagte die Tierärztin. »Mein Mann meinte schon, dass Sie noch herkommen würden. Er ist oben; Sie kennen ja den Weg. Ich will noch mal eben zu Claudia und Max.«

»Und zum kleinen Sebastian, nehme ich an«, schmunzelte der Bergpfarrer.

Elena lächelte.

»Natürlich«, antwortete sie. »Ich muss doch sehen, welche Fortschritte mein Patenkind in den letzten Tagen gemacht hat.«

Sebastian verstand sie nur zu gut. Wie alle, die den Neffen des Geistlichen kennen gelernt hatten, war auch die Tierärztin ganz vernarrt in den Sohn von Claudia und Max. Hinzu kam, dass Elena Wiesinger sich selbst auch ein Kind wünschte. Ihr anstrengender und nervenaufreibender Beruf stand diesem Wunsch allerdings noch entgegen. Indes hatten sie und ihr Mann sich schon darüber Gedanken gemacht, wie dies geändert werden konnte. Ein zweiter Tierarzt, am besten als Partner in der Praxis, wäre die beste Lösung. Allerdings gestaltete sich die Suche nach einem Kollegen als sehr schwierig.

Nicht jeder mochte aufs Land ziehen und zog stattdessen eine Praxis in der Stadt vor. Die Arbeit auf den Bauernhöfen war nicht jedermanns Sache. In einer Kleintierpraxis galten eben andere Öffnungszeiten.

Sebastian Trenker war die Treppe hinaufgestiegen, die Wohnungstür stand einen Spalt auf. Der Geistliche trat in den kleinen Flur und ging zum Arbeitszimmer des Arztes. Von unzähligen Besuchen kannte er sich in der Wohnung aus.

Toni Wiesinger saß an seinem Schreibtisch und telefonierte. Er winkte den Besucher herein.

»Tja, vielen Dank, Herr Kollege, für Ihre Bemühungen, da kann man dann wohl nix machen«, hörte Sebastian den Arzt sagen.

Toni legte den Hörer auf und machte ein unzufriedenes Gesicht.

»Du kannst dir sicher denken, warum ich hergekommen bin«, sagte der Bergpfarrer, nachdem er ihm die Hand geschüttelt hatte.

»Ich vermute, dass die Frau Westmeier Ihnen von dem Vorfall erzählt hat.«

Der Besucher nickte.

»Ich weiß net, was ich davon halten soll«, rang der Arzt die Hände. »Der dritte Fall innerhalb von nur wenigen Tagen!«

Seine große Besorgnis war ihm deutlich anzusehen. Toni Wiesinger war ein sorgfältiger und gewissenhafter Mediziner. Nach Aussage seines Doktorvaters hätte er eine großartige Karriere in der Forschung machen können. Professor Bernhard hatte es immer bedauert, dass sein bester Schüler es vorgezogen hatte, als einfacher Landarzt zu arbeiten und zu leben.

Allerdings auch nur bis zu dem Zeitpunkt, in dem er Dr. Wiesinger besucht und dabei dieses Leben kennen gelernt hatte. Bei diesem Besuch war er auch Pfarrer Trenker begegnet, und die beiden Männer waren sich auf Anhieb sympathisch gewesen. Seither verband sie eine feste Freundschaft.

»Das war eben ein Kollege aus Offenbach«, erklärte Toni. »Der Hausarzt jener Frau, die zuerst mit diesen Symptomen in meine Praxis kam. Ich hatte ihn kontaktiert, um herauszufinden, ob es zwischen den Fällen irgendwelche Gemeinsamkeiten gibt. Leider war die Patienten nach ihrer Rückkehr nach Offenbach net in seiner Sprechstunde, so wie sie es versprochen hatte. Der Kollege wollte versuchen, sie telefonisch zu erreichen, doch leider ist die Frau gar net daheim. Ein Haushüter, der in der Villa aufpasst, hat erklärt, dass die Frau Senker mit ihrem Mann für eine Woche in den Schwarzwald zu Verwandten gefahren ist.«

»Und eine Anschrift oder Telefonnummer hat sie net dagelassen?«

»Offenbar net. Der Mann, der in der Villa einhütet, sagt, dass die Senkers net gestört werden wollen.«

»Hm, das ist ja alles sehr unglücklich«, Sebastian schüttelte den Kopf. »Was kann man denn da machen?«

Toni Wiesinger hob die Hände und ließ sie wieder fallen.

»Nur abwarten«, erwiderte er. »Ich hab’ die Frau Brandner für morgen herbestellt. Auch sie soll eine Liste von den Lebensmitteln machen, die sie in den letzten Tagen zu sich genommen haben. Vielleicht findet sich da ja was, das auch auf der Liste des Ehepaares Bergmann steht.«

»Was glaubst du denn, was die Ursache für diese Allergien sein könnte?«, fragte Sebastian.

Der Arzt zuckte die Schultern.

»Da wär’ ich bloß auf Vermutungen angewiesen«, antwortete er. »Und in diesem speziellen Fall möcht’ ich mit Vermutungen lieber vorsichtig sein.«

Der Bergpfarrer konnte die Bedenken gut verstehen. Die beiden Männer verabschiedeten sich, und Toni versprach, sich sofort im Pfarrhaus zu melden, wenn er etwas herausgefunden habe.

Ihre ganze Hoffnung ruhte nun auf den morgigen Besuch von Ines und Franz Brandner in der Arztpraxis – und der Liste, die sie hoffentlich mitbrachten!

*

Andrea Hoffer saß in ihrer Kammer und lauschte mit klopfendem Herzen auf das Geschrei, das aus der Küche zu ihr herauf klang. Auch wenn sie nicht jedes einzelne Wort verstehen konnte, wusste die Magd doch genau, worum es bei dem Streit da unten ging.

Eigentlich hatte sie Thomas’ Eltern nichts sagen wollen, aber als sie sah, wie glücklich und verliebt der Bauernsohn und die Frau auf der Bergwiese waren, wurde sie in ihrem Versteck, aus dem heraus sie die beiden beobachtete, so von Hass und Eifersucht erfüllt, dass sie nicht anders konnte.

Mit Tränen in den Augen war Andrea zum Birknerhof zurückgefahren. Thomas’ Mutter saß draußen am Tisch, der vor dem Haus stand. Sie war ein wenig verwundert, die Magd jetzt schon zu sehen. Bis zum Melken der Kühe waren es noch ein paar Stunden hin.

Andrea stellte den Wagen ab und ging ins Haus. In der Tür hielt die Bäuerin sie zurück.

»Schon wieder da?«

Die Magd nickte nur. In der Diele kam ihr der Bauer entgegen. Er ging zu seiner Frau nach draußen.

»Hoffentlich ist’s bald vorbei, mit dieser Hochzeitsplanerei!«, hörte Andrea ihn sagen. »Der Junge hat genug um die Ohren.«

Die Magd ging in die Küche und holte sich eine Tasse Kaffee. Damit setzte sie sich ebenfalls nach draußen.

»So wie’s ausschaut, bleibt’s ja net die einzige Hochzeit«, meinte sie spitz.

»Wie meinst’ denn das?«, fragte Franz Birkner.

Andrea lächelte vielsagend. Die Bäuerin sah sie forschend an.

»Willst du etwa? Ich wusste gar net, dass du einen Freund hast …«

»Hab’ ich auch net«, erwiderte die Magd. »Nein, ich will net heiraten. Aber der Thomas scheint mir da irgendwelche Absichten zu haben …«

»Der Thomas?«

Franz Birkner sah die junge Magd entgeistert an.

»Wie kommst’ denn darauf?«, wollte die Bäuerin wissen.

Andrea zuckte die Schultern.

»Ja, wisst ihr denn nix davon? Thomas ist doch seit Neuestem mit einer Urlauberin verbandelt, und so verliebt, wie die beiden tun, würd’s mich net wundern, wenn er ihr schon bald einen Heiratsantrag macht.«

Bauer und Bäuerin sahen sich an.

»Das ist doch ein Scherz, oder?«, wandte sich Franz Birkner an Andrea.

Doch die schüttelte den Kopf.

»So wahr, wie ich hier sitze«, antwortete sie gelassen. »Ich hab’s mit eignen Augen geseh’n.«

Thomas’ Vater schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

»Na warte«, raunzte er, »der Bursche soll mir nur heimkommen. Der kann was erleben!«

Und genau das geschah in diesem Augenblick. In der Küche des Birknerhofes stritten Thomas und sein Vater, und Andrea Hoffer wuss­te nicht, ob sie sich freuen sollte, oder bedauern, dass sie den Burschen, den sie doch so sehr liebte, bei dessen Eltern angeschwärzt hatte.

Was, wenn sie Thomas jetzt endgültig verloren hatte?

Unten wurde es leiser, dann knallte eine Tür und es herrschte endgültig Stille.

Es dauerte eine Weile, bis Andrea wagte, hinauszugehen und oben an der Treppe zu horchen. Aber es waren keine Stimmen mehr zu hören. Leise stieg sie hinunter und durchquerte die Diele. Aus der Küche drangen gedämpfte Stimmen: Vermutlich saßen der Bauer und seine Frau immer noch dort. Die Magd öffnete die Haustür und spähte über den Hof. Von Thomas war nichts zu sehen, aber sie wusste, wo sie ihn finden konnte.

Tatsächlich saß er auf der rückwärtigen Seite des Bauernhauses auf der Bank, seinem Lieblingsplatz. Andrea zögerte, bevor sie es wagte, sich bemerkbar zu machen. Er schaute nur kurz auf, als sie sich räusperte.

»Es … es tut mir leid«, sagte sie und blieb abwartend stehen.

»Was tut dir leid?«, fragte der Bauernsohn zurück. »Dass du meinen Eltern was erzählt hast, das dich gar nix angeht?«

Andrea ließ sich neben ihm auf die Bank nieder.

»Versteh’ mich doch, Thomas«, flehte sie ihn an. »Ich kann doch net dafür, dass ich dich liebe!«

»Und ich net dafür, dass ich dich net liebe!«, gab er zurück und stand auf.

»Wo willst du hin?«, fragte die Magd.

»Fort«, antwortete er. »Wenn du eines erreicht hast, Andrea, dann, dass ich mich mit dem Vater entzweit hab’. Aber net, dass du dadurch meine Liebe gewinnen konntest. Es gibt nix mehr, was uns beide verbindet. Begreif’ das endlich!«

Die Magd sackte in sich zusammen. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und begann zu schluchzen.

»Aber ich liebe dich doch!«, rief sie verzweifelt aus. »Ich hab’s doch nur für uns getan!«

Thomas Birkner warf einen letzten Blick auf sie, dann ging er kopfschüttelnd davon.

*

Florian Decker saß in der Küche des Engelsbacher Pfarrhauses. Ihm gegenüber hatte Blasius Eggensteiner Platz genommen. Jetzt setzte sich auch Hermine Wollschläger, die Haushälterin dazu.

Mit Unmutsmiene blickte der füllige Geistliche auf den Teller, der in der Mitte des Tisches stand. Ein paar Scheiben Magerkäse lagen darauf, verziert mit etwas Radi, den die Haushälterin so aufgeschnitten hatte, dass die Scheiben wie eine Ziehharmonika zusammen hingen. Daneben stand eine Schüssel mit angerührtem Kräuterquark und eine Blechdose, in der sich Knäckebrot befand. Blasius Eggensteiner seufzte unterdrückt.

Wie gerne hätte er jetzt einen richtigen Obatzten gegessen, angemacht aus zwei Sorten Käse – Limburger und Camembert – und mit Kümmel und Paprikapulver gewürzt und mit Butter schön cremig gerührt! Dazu herrlich frisches Brot, wie es die Haushälterin seines Kollegen in St. Johann zu backen verstand!

Aber nein, stattdessen musste er sich mit Magerquark und Knäckebrot begnügen.

In der Tat führte Hermine Wollschläger seit Jahren einen vergeblichen Kampf gegen die Pfunde, mit denen Pfarrer Eggensteiner wucherte. Indes wusste sie längst, dass ihre Bemühungen vergeblich waren, denn der Geistliche unterlief ihre Bemühungen, indem er heimlich in den »Ochsen« schlich und sich im Wirtshaus an Schweinsbraten mit Knödeln und Kraut gütlich tat, wenn sie wieder einmal kalorienarmes Essen auf den Tisch gebracht hatte.

Der einzige Mensch, dem diese Gesundheistkost zu schmecken schien, war der junge Vikar, der ohne Murren alles aß, was Hermine Wollschläger kochte. Zwar muss­te Florian für seinen eigenen Geschmack hier und da noch etwas nachwürzen, doch im Allgemeinen war er mit dem Essen im Pfarrhaus zufrieden.

Blasius Eggensteiner schaute unwillig auf, als es an der Tür klingelte. Er mochte es überhaupt nicht, wenn man ihn außerhalb der Sprechzeiten des Pfarramtes störte. Und damit unterschied er sich ganz wesentlich von Pfarrer Trenker, der, wenn es sein musste, auch Tag und Nacht für seine Schäfchen da war.

Indes waren die beiden Männer auch nicht miteinander zu vergleichen. Zwar hatten sie zusammen studiert, aber damit hörten auch schon die Gemeinsamkeiten auf. Schon damals hatte der bereits rundliche Eggensteiner den schlanken und sportlichen Trenker nicht leiden können und alles daran gesetzt, ihm nur jeden erdenklichen Stein in den Weg zu legen. Er schwärzte Sebastian bei den Professoren an und bezichtigte ihn häretischer Reden, nur weil der angehende Geistliche aus dem Wachnertal eine moderne und fortschrittlichere Einstellung hatte als der erzkonservative Eggensteiner. Selbst die Lehrer waren froh, als Blasius sein Studium beendet hatte …

Lange Zeit hatte der Bergpfarrer nichts von dem einstigen Studienkollegen gehört. Blasius Eggensteiner war in die Mission gegangen und bekehrte in Südamerika die Indios am Ufer des Orinokos. Viele Jahre waren vergangen, und Sebas­tian dachte kaum noch an den Mann, der ihm damals das Leben so schwer gemacht hatte. Längst war er Pfarrer in seiner Heimatgemeinde geworden und hatte sich einen Ruf als guter Hirte erworben. Zusammen mit einem Kollegen aus Garmisch Partenkirchen kümmerte er sich um die verwaiste Pfarre von Engelsbach, deren Seelsorger verstorben und ein Nachfolger nicht in Sicht war. Als dieser Zustand immer unhaltbarer wurde, intervenierte Sebastian Trenker bei seinem Bischof und drang darauf, dass Engelsbach wieder einen eigenen Pfarrer bekam.

Hätte er nur vorher gewusst, was er damit heraufbeschwor!

Der gute Hirte von St. Johann fiel buchstäblich aus allen Wolken, als ihm Blasius Eggensteiner als Nachfolger des verstorbenen Kollegen präsentiert wurde, und prompt fingen die Schikanen von vorne an.

Inzwischen hatte man sich allerdings arrangiert und ging sich weitgehend aus dem Weg. Manchmal konnte Pfarrer Eggensteiner sogar zugänglich sein und zeigte so etwas wie Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft.

Allerdings konnte er fuchsteufelswild werden, wenn man ihn beim Essen störte, und so brauste er auch gleich auf, als es an der Tür des Pfarrhauses klingelte.

»Wer ist denn das?«, knurrte er und hätte um ein Haar den Becher mit dem Kräutertee umgeworfen, den seine Haushälterin ihm hingestellt hatte.

Er mochte das Zeug sowieso nicht …

»Ich geh’ schon«, sagte Florian und stand auf. »Bin ohnehin fertig.«

Als er zur Tür ging, hoffte er, dass draußen jemand stand, der ihn sprechen wollte und nicht Pfarrer Eggensteiner. Er öffnete und schaute verdutzt auf Thomas Birk­ner.

»Grüß dich«, sagte er. »Waren wir verabredet? Ich kann mich gar net erinnern, dass…«

Der Bauernsohn schüttelte den Kopf.

»Nein, wir waren net verabredet«, antwortete er. »Hast’ trotzdem einen Moment Zeit für mich?«

*

»Freilich«, nickte der junge Vikar. »Komm nur herein.«

Florian ließ Thomas eintreten und wies die Treppe hinauf.

»Du kennst ja den Weg.«

Dann öffnete er die Küchentür und steckte den Kopf hindurch.

»Ist für mich«, sagte er und folgte dem Bauernsohn nach oben.

Florian Decker bewohnte eine winzige Kammer unter dem Dach des Pfarrhauses. Viel mehr als ein Bett, ein Schrank für seine Kleidung und ein Stuhl passten nicht hinein.

»Setz’ dich«, deutete er auf den Stuhl. »Worum geht’s denn?«

»Ich bin von zu Hause fort«, erzählte Thomas Birkner. »Kannst du mich im Jugendhaus unterbringen? Es wär’ nur für ein paar Tage, bis ich ein Zimmer gefunden hab’.«

Das Jugendhaus war auf Initiative des Vikars in einer alten Jagdhütte, im nahen Wald, eingerichtet worden. Der Bauer, dem sie gehörte, hatte sie den Burschen und Madeln gerne überlassen, und sie hatten die Hütte mit viel Elan und Spaß wieder hergerichtet.

»Freilich kannst’ ein paar Tage im Jugendhaus übernachten«, nickte Florian. »Aber erzähl’ doch mal, was eigentlich geschehen ist.«

Thomas schilderte mit wenigen Worten, was vorgefallen war.

»Und was willst’ jetzt anfangen?«, fragte der Vikar.

Der Bauernsohn zuckte die Schultern.

»Das weiß ich noch net genau. Mir irgendwo eine Arbeit suchen«, antwortete er. »Nach Haus’ geh ich jedenfalls net zurück!«

»Hm«, meinte Florian nachdenklich, »und was ist mit dieser Gaby, steht sie zu dir?«

»Das hoff’ ich doch. Jedenfalls wissen wir beide, dass wir uns lieben. Notfalls geh’ ich mit ihr nach München und baue mir dort eine neue Existenz auf.«

Florian Decker machte eine zweifelnde Miene.

»Ich will deinen Enthusiasmus ja keineswegs bremsen«, sagte er. »Aber ich könnt’ mir vorstellen, dass gelernte Landwirte net gerade das sind, was in München gesucht wird. Es dürfte also mit einer Arbeit sehr schwer werden.«

»Das ist mir egal. Dann mach’ ich eben was andres. Ich kann auch in eine Fabrik geh’n.«

»Sicher kannst’ das«, nickte der Vikar. »Aber ich wage zu bezweifeln, dass dich das auch wirklich befriedigen wird.«

Er stand auf und zog einen Schlüsselbund aus der Hosentasche.

»Aber jetzt wollen wir erst einmal praktisch denken und für den Augenblick«, fuhr er fort. »Hier ist der Schlüssel zur Hütte. Hast du was für die Nacht dabei?«

Thomas nickte.

»Ich hab’ einen Schlafsack.«

»Der wird reichen. Wasser gibt’s net, aber ein paar Meter neben dem Haus ist ein Bach. Im Regal steht ein Propangaskocher, und zumindest Kaffee ist auch da. Ich komm’ morgen früh und bring’ dir was zu essen.«

Der Bauernsohn nahm dankbar den Schlüssel entgegen.

»Du bist wirklich ein Freund!«

»Schon gut«, wehrte Florian ab. »Und das mit München solltest’ dir noch mal überlegen. Überstürz’ nix, du könntest es nachher bereuen.«

Er brachte Thomas wieder nach unten und verabschiedete ihn vor der Tür.

»Schlaf’ gut.«

»Danke, Florian. Du auch.«

Nachdenklich blickte der Vikar ihm hinterher.

Nachdem Thomas Birkner in sein Auto gestiegen und losgefahren war, kehrte Florian ins Pfarrhaus zurück. Er ging allerdings nicht wieder in die Küche, sondern stieg die Treppe hinauf. In seiner Kammer schaltete er das Handy ein und wählte die Nummer des Pfarrhauses von St. Johann.

Pfarrer Trenker war selbst am Apparat. Der Vikar berichtete dem Geistlichen von Thomas’ Auseinandersetzung mit dem Vater und seiner Absicht, zusammen mit Gaby Westmeier nach München zu gehen.

Sebastian wusste inzwischen, dass sein Gast und der Bauernsohn ein Paar waren. Indes bezweifelte er, genauso wie Vikar Decker, dass die beiden in München wirklich glücklich werden konnten. Es gab doch viel zu viele Unabwägbarkeiten.

»Ich dank’ dir jedenfalls, dass du mich benachrichtigt hast«, sagte der Bergpfarrer. »Ich hoff’, dass ich in der Angelegenheit etwas für die beiden tun kann.

Aber sag’ mal, wir haben lang’ net voneinander gehört, wie geht’s dir? Und im Pfarrhaus alles in Ordnung?«

Florian bestätigte, dass es ihm gut gehe, und dass auch im Pfarrhaus alle wohlauf seien.

Sebastian verabschiedete sich und ging nachdenklich ins Wohnzimmer zurück. Er hoffte, dass sein Amtsbruder ihm nicht in die Quere kam, wenn er in dieser Sache mit dem Birknerbauern sprach. Immerhin stand der Hof in Engelsbach und gehörte zur dortigen Pfarrgemeinde.

Im Wohnzimmer saß Gaby Westmeier und schaute die Abendnachrichten im Fernsehen an. Der Geistliche nahm wieder im Sessel Platz.

Nachdem die Nachrichtensendung beendet war, wandte er sich an die Kindergärtnerin.

»Eben hat mich der Vikar aus Engelsbach angerufen«, erzählte er. »Thomas war bei ihm und hat ihn um eine Unterkunft für die Nacht gebeten …«

Gaby war erschrocken zusammengezuckt.

»Was ist denn passiert?«, fragte sie.

Ihr Schrecken wurde noch größer, als sie erfuhr, dass Thomas sich ihretwegen mit dem Vater entzweit hatte.

»Aber, was soll denn jetzt gescheh’n?«, rief sie ratlos aus.

»Noch ist net aller Tage Abend«, beruhigte Sebastian sie. »Ich fahr’ morgen nach Engelsbach und red’ mit dem Birknerbauern. Und sollte er net einlenken, kann der Thomas für einige Zeit hier im Pfarrhaus unterkommen. Schließlich haben wir ja zwei Gästezimmer.«

Die junge Frau sah ihn voller Dankbarkeit an.

»Das wollen Sie wirklich tun?«

»Selbstverständlich«, nickte Pfarrer Trenker. »Dazu bin ich ja schließlich da.«

*

Toni Wiesinger begrüßte das junge Ehepaar und bat die beiden, im Sprechzimmer Platz zu nehmen.

»Hier haben wir alles aufgeschrieben, was wir in den letzten Tagen alles gegessen und getrunken haben«, sagte Frank Brandner.

»Ah ja, sehr schön«, nickte der Arzt und nahm die Liste entgegen.

Er setzte sich hinter seinen Schreibtisch und las die Liste durch. Es war auf den ersten Blick nichts Außergewöhnliches zu entdecken, doch dann stutzte Toni und blickte das Paar an.

»Dieser Tee, der in der letzten Zeit immer getrunken wurde«, sagte er, »was ist das für eine Mischung?«

Ines Brandner zuckte die Schultern und sah ihren Mann fragend an.

»Also, so genau weiß ich das auch net«, antwortete der Malermeister. »Wir haben ihn von jemandem gekauft, der uns erzählt hat, wie gesund der Tee sei. Wir achten nämlich sehr auf unsre Gesundheit, müssen Sie wissen.«

Frank Brandner hatte den Satz noch nicht ganz beendet, als bei dem Arzt sämtliche Alarmglocken anschlugen.

»Wissen Sie seinen Namen?«, fragte er. »Hat der Mann Ihnen gesagt, wie er heißt?«

Die Eheleute schüttelten die Köpfe.

»Können Sie ihn mir wenigstens beschreiben?«

»Freilich, alt war er, mindestens über siebzig Jahre alt, mit grauem Haar und Zauselbart und irgendwie hatte er ein bissel heruntergekommen ausgesehen …«

Die beiden brauchten nicht weiterzureden, die Beschreibung traf auf einen Mann zu, den es nur einmal im ganzen Wachnertal gab – Alois Brandhuber, den selbsternannten Wunderheiler von St. Johann!

»Was ist denn mit dem Mann?«, wollte Ines Brandner wissen. »Hat er uns vielleicht vergiftet?«

Dr. Wiesinger wollte das Ehepaar nicht unnötig beunruhigen.

»Vergiftet?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nein, keine Sorge. Dann säßen Sie jetzt net hier. Aber ich muss Ihnen dringend davon abraten, weiter den Tee zu trinken. Ich bin zwar net hundertprozentig sicher, aber ich vermute doch sehr stark, dass er an dem allergischen Schock schuld ist.«

»Aber wir haben doch beide davon getrunken«, erwiderte Frank Brandner. »Und ich hatte keine Probleme.«

»Das muss nichts bedeuten«, erklärte Dr. Wiesinger. »Welcher Inhaltsstoff auch immer dafür verantwortlich ist, er kann auf jeden Menschen unterschiedlich wirken. Deshalb ist es notwendig, dass Sie mir den restlichen Tee aushändigen, damit ich ihn analysieren lassen kann.«

Ines und Frank Brandner machten lange Gesichter.

»Das geht leider net«, sagte die junge Frau schließlich. »Den letzten Tee haben wir gestern Morgen getrunken, er ist alle. Wir hatten gehofft, den Mann noch einmal wiederzutreffen, um neuen zu kaufen. Auch wenn er sehr teuer ist. Aber bisher ist uns dieser Mann leider net wieder begegnet.«

Der Arzt konnte seine Enttäuschung nur schwer verbergen.

»Seien S’ froh«, sagte er. »Und sollte der Kerl Ihnen tatsächlich noch mal über den Weg laufen, dann machen S’ bloß einen großen Bogen um ihn!«

Toni Wiesinger brachte bei Ines Brandner die Testflüssigkeiten auf und erklärte, worauf sie achten müsse. Als das Ehepaar gegangen war, setzte sich der Arzt an seinen Computer und öffnete die Datei über den Fall »Bergmann«. Ein wenig irritiert stellte er fest, dass auf dieser Liste, die ebenfalls eingespeichert war, kein Tee verzeichnet war.

Hatte er sich geirrt? War es nur ein Zufall, dass die Brandners Tee von dem alten »Wunderheiler« gekauft hatten? Und war dieser Tee gar nicht der Auslöser für den al­lergischen Schock?

Seufzend schloss Toni Wiesinger die Datei wieder. Eine Antwort würde er wohl erst erhalten, wenn Hans Bergmann morgen wieder in die Sprechstunde kam.

Aber sollte sich herausstellen, dass der Brandhuber seine Finger im Spiel hatte, dann würde er dem Alten mächtig einheizen! Das stand fest!

*

Als Gaby am nächsten Morgen zum Frühstück herunterkam, sah man ihr an, dass sie kaum ein Auge zugetan hatte.

»Ich frag’ besser net, ob du gut geschlafen hast«, meinte Sebastian Trenker.

Die Kindergärtnerin setzte sich und nickte dankbar, als Sophie Tappert ihr Kaffee einschenkte.

»Ich hab’ die ganze Nacht darüber gegrübelt, was ich machen soll«, gestand sie. »Ich kann net versteh’n, was Thomas’ Vater gegen mich hat. Er kennt mich doch überhaupt net.«

»Ich kann versteh’n, dass dir das keine Ruhe lässt. Aber die Hauptsache ist doch, dass Thomas zu dir steht. Und das tut er, sonst wäre er net von zu Hause fort gegangen. Was seinen Vater betrifft, so bin ich selbst darauf gespannt, mit ihm zu sprechen.«

Sebastian Trenker machte sich gleich nach dem Frühstück auf den Weg nach Engelsbach. Aus der Zeit, als er den Ort und die umliegenden Höfe betreut hatte, kannte er die Leute und wusste, wo der Birknerhof lag. Als er dort ankam, sah er eine junge Frau über den Hof gehen. Er vermutete, dass es sich bei ihr um die eifersüchtige Magd handelte, von der Florian Decker ihm erzählt hatte.

»Grüß Gott«, rief er ihr zu. »Ist der Bauer daheim?«

»Drinnen im Haus«, lautete die Antwort.

Der Geistliche bedankte sich und klopfte an die Tür. Es dauerte nicht lange, und Franziska Birkner öffnete ihm.

»Grüß dich, Franzi«, sagte Sebas­tian zu ihr. »Ich möcht’ mit deinem Mann sprechen.«

Die Bäuerin hatte verweinte Augen. Nervös fuhr sie sich über das Gesicht.

»Bitt’ schön, kommen S’ doch herein, Hochwürden«, sagte sie leise.

Der Geistliche trat ein und ließ sich von ihr in die Küche führen. Dort saß der Bauer am Tisch und starrte dumpf brütend vor sich hin. Als Sebastian eintrat, blickte er kurz auf, senkte aber gleich wieder den Kopf.

»Ich muss mit dir sprechen, Franz«, sagte der gute Hirte von St. Johann und setzte sich auf einen freien Stuhl. »Mir ist zu Ohren gekommen, was sich zwischen dir und dem Thomas abgespielt hat.«

Endlich sah der Bauer ihn an, ohne gleich wieder den Blick abzuwenden.

»Ist es so falsch, wenn ein Vater für seinen Sohn nur das Beste will?«, fragte er.

»Sicher net«, pflichtete Sebastian ihm bei. »Nur, wissen wir immer, was das Beste für einen andren ist? Die Kinder müssen es selbst herausfinden, und manchmal kommt’s vor, dass sie dabei Fehler machen. Aber grad dann ist’s die Aufgabe von Vater und Mutter für sie da zu sein und sie aufzufangen, ihnen einen Halt zu geben.«

»Thomas will diesen Halt net«, entgegnete der Bauer düster. »Er hat es vorgezogen zu geh’n.«

»Aber ich bin sicher, dass er net glücklich ist dabei. Sicher wartet er nur darauf, dass du ihm die Hand zur Versöhnung reichst.«

»Net, solang’ er sich net dieses Madel aus dem Kopf geschlagen hat«, beharrte Franz Birkner stur.

Seine Frau saß die ganze Zeit stumm daneben. Jetzt schluchzte sie auf.

»Franz, er ist doch unser einziges Kind!«

Der Bauer starrte stumm vor sich hin.

»Es ist alles gesagt, was gesagt werden muss«, sagte er endlich in die entstandene Stille hinein.

Sebastian stand auf. Er war zu dem Schluss gekommen, dass Thomas’ Vater nicht über seinen Schatten springen konnte.

Zumindest jetzt noch nicht.

»Schade, Franz«, meinte er, bevor er hinausging, »ich hätt’ mir gewünscht, dass du die Frau, die dein Sohn liebt, kennen gelernt hättest. Sicher würdest du deine Meinung über sie ändern. Falls du doch noch den Wunsch haben solltest, Gaby Westmeier wohnt bei mir im Pfarrhaus. Ihr zwei, die Franzi und du, ihr seid jederzeit herzlich willkommen.«

Draußen in der Diele stand Andrea hinter der Tür und lauschte. Zu gerne hätte sie erfahren, ob Pfarrer Trenker etwas über Thomas’ Aufenthaltsort wusste. Doch er hatte sich dahingehend nicht geäußert. Bevor der Geistliche die Küche verließ, huschte die Magd nach draußen und lief über den Hof. Keine fünf Minuten, nachdem Pfarrer Trenker den Birknerhof verlassen hatte, fuhr sie im Wagen der Bäuerin nach St. Johann.

Der gute Hirte kehrte indes noch nicht nach Hause zurück. Sein Ziel war die alte Jagdhütte, die inzwischen als Jugendhaus diente. Dort traf er nicht nur Thomas Birkner an, sondern auch Florian Decker, der den Bauernsohn mit einem kleinen Frühstück versorgt hatte. Der Geistliche berichtete von seinem Besuch auf dem Birknerhof und dem Gespräch mit Thomas’ Vater, der leider kein Einsehen gezeigt hatte.

»Das hätt’ ich auch net erwartet«, sagte der junge Bursche. »Ich kenn’ meinen Vater und weiß, wie stur er ist. Für ihn zählt nur seine Meinung, und was er sagt, ist für andre Gesetz.«

»Aber wie soll es denn jetzt weitergehen?«, fragte der Vikar.

Thomas zeigte sich entschlossen.

»Ich muss zuerst mit Gaby reden«, sagte er. »Wir müssen zusammen überlegen, was wir machen wollen.«

»Eine gute Idee!«, nickte Sebas­tian. »Ich hab’ mir gedacht, dass es das Beste ist, wenn du erst einmal zu uns ins Pfarrhaus ziehst. Platz genug ist da, und hier ist es nix auf Dauer. Wer weiß, wie lang’ sich der Streit mit deinem Vater noch hinzieht.«

»Wenn er jemals beendet wird«, sagte Thomas Birkner düster.

So schwarz wollte der gute Hirte von St. Johann nicht sehen, aber er behielt seine Gedanken erst einmal für sich.

*

Gaby freute sich, als Thomas mit Pfarrer Trenker ins Pfarrhaus kam. Sie umarmten sich und gaben sich einen liebvollen Kuss. Als sie im Pfarrgarten saßen, sprach die Kindergärtnerin an, was ihr auf dem Herzen lag.

»Es tut mir furchtbar leid, dass du dich meinetwegen mit deinem Vater erzürnt hast«, sagte sie.

»Du kannst nix dafür«, entgegnete er. »Jedes Madel, das er net selbst aussucht, wär’ ihm net recht gewesen.«

»Trotzdem fühl’ ich mich an der Sache mitschuldig.«

»Unsinn«, schüttelte Thomas den Kopf. »Mein Vater hat bisher über mein Leben bestimmt, aber einmal muss damit Schluss sein!«

»Jetzt bist’ erst einmal da«, mischte sich Sebastian ein, »und nun wollen wir erst einmal ein paar Tage abwarten.«

Freilich blieb es den Leuten nicht verborgen, dass nun auch ein junger Bursche im Pfarrhaus lebte. Auch wenn er aus Engelsbach stammte, war Thomas Birkner in St. Johann kein Unbekannter. Ganz im Gegenteil, gerade hier im Teil des Tales hatte er viele Freunde und Bekannte, und da er und Gaby sich nicht versteckten, gab es bald Anlass für Gerede und Vermutungen.

Doch noch ließ sich der Bergpfarrer davon nicht beeindrucken. In der Angelegenheit mit Vater und Sohn stand im Moment alles still, aber da war auch noch die Geschichte mit den unerklärlichen Allergienanfällen, von denen ausnahmslos Urlauber betroffen waren.

»Das kann einfach kein Zufall sein!«, erklärte Toni Wiesinger, als er sich mit Sebastian darüber unterhielt.

»Und was vermutest du?«

»Dass tatsächlich der Brandhuber-Loisl dahintersteckt«, antwortete der Arzt. »Von den Dörflern ist inzwischen niemand mehr so dumm, auf diesen Betrüger hereinzufallen.«

»Beweisen kannst’ es aber net, oder?«

Dr. Wiesinger schüttelte bedauernd den Kopf.

»Leider net, weil mir das ›Corpus Delicti‹, der Tee nämlich fehlt«, sagte er. »Dabei hatte ich meine ganze Hoffnung auf die Bergmanns gesetzt …«

Nachdem er auf der von Hans und Brigitte Bergmann aufgesetzten Liste den Tee nicht gefunden hatte, wartete der junge Arzt voller Ungeduld auf den nächsten Tag. Als das Ehepaar dann in die Sprechstunde kam, wurde der Bankier erst einmal von den Pflastern befreit, und Dr. Wiesinger wertete das Ergebnis des Tests aus.

Es lag eindeutig keine Allergie gegen die getesteten Stoffe vor!

»Ich hab’ mir gestern noch einmal Ihre Liste angesehen«, sagte der Arzt dann. »Sind Sie ganz sicher, dass Sie wirklich alles aufgeschrieben haben, oder wäre es vielleicht möglich, dass etwa darauf fehlt? Ein Teemischung vielleicht?«

Für einen Moment war es ihm, als tausche das Ehepaar einen raschen Blick, aber vielleicht täuschte er sich ja auch. Jedenfalls schüttelten beide die Köpfe.

»Ich bevorzuge Kaffee«, erklärte Hans Bergmann.

Was nicht einmal gelogen war, den Tee hatte er nur seiner Frau zuliebe getrunken …

Dr. Wiesinger war ratlos. Er war fast sicher gewesen, dass der Brandhuber hinter der ganzen Sache steckte, aber es fehlte der letzte Beweis.

»Und diese Frau Senker, mit der alles angefangen hat?«, fragte Pfarrer Trenker.

»Die hab’ ich leider noch net erreicht«, zuckte der Arzt bedauernd die Schultern. »Indes frag’ ich mich, ob es überhaupt noch Sinn hat, weiter zu ermitteln. Es ist zwar durchaus möglich, dass irgendeine Substanz für alles verantwortlich ist. Die Welt der pflanzlichen Wirkstoffe ist noch lang’ net erforscht. Aber weitere Fälle von Allergien sind bisher ausgeblieben, und was den alten Zausel angeht – er wird ohnehin alles abstreiten, wenn ich ihn danach frag’.«

Selbstverständlich war dieses Ergebnis für die beiden Männer unbefriedigend, aber auch Pfarrer Trenker sah ein, dass es unmöglich war, dem Brandhuber-Loisl auf die Spur zu kommen. Eher fand man die berühmte Nadel im Heuhaufen.

*

Als der Geistliche ins Pfarrhaus zurückkam, teilte seine Haushälterin ihm mit, dass der Bischof ihn zu sprechen wünsche.

»Ist gut«, nickte Sebastian, »ich ruf’ ihn gleich an.«

»Nein, nein!« Sophie Tappert schüttelte den Kopf. »Sie sollen persönlich ins bischöfliche Ordinariat kommen. Unverzüglich, hat Pater Antonius gesagt!«

Der gute Hirte von St. Johann hatte an diesem Vormittag eigentlich noch einen anderen Termin.

»Muss das wirklich sein?«, murmelte er. »Der gute Pater übertreibt’s doch ohnehin immer mit der Dringlichkeit.«

Pater Antonius war der Sekretär von Bischof Meerbauer und kam sich manchmal wichtiger vor, als es seiner Stellung im Ordinariat entsprach …

Indes konnte sich Pfarrer Trenker der Anordnung seines Vorgesetzten schlecht widersetzen. Also sagte er den anderen Termin ab und fuhr ins Ordinariat.

Pater Antonius empfing ihn mit ausdrucksloser Miene.

»Seine Exzellenz erwarten Sie schon dringend«, sagte er mit deutlichem Missfallen in der Stimme.

Einen Bischof lässt man nicht warten!, hieß das.

Sebastian nickte, sagte aber nichts weiter darauf. Der Sekretär klopfte an die Tür zum Besuchszimmer und öffnete sie.

»Pfarrer Trenker ist jetzt da«, kündigte er Sebastian an.

Hätte nur noch gefehlt, dass er »endlich« gesagt hätte!

Bischof Meerbauer erhob sich von seinem Schreibtisch, eine sehr schöne Rokoko-Arbeit und kam ihnen entgegen.

»Danke, Pater«, sagte er zu seinem Sekretär. »ich brauche Sie dann nicht mehr.«

Leicht amüsiert registrierte der Bergpfarrer den Anflug von Enttäuschung auf dem Gesicht des Paters.

Bestimmt wäre er zu gerne dabei gewesen, wenn der Besucher eine Standpauke erhielt.

Denn um nichts anderes ging es hier, davon war der Geistliche überzeugt. Auf der Fahrt hierher, hatte er überlegt, warum es der Bischof so eilig hatte, ihn auch noch persönlich zu sprechen, und es fiel ihm nur ein triftiger Grund ein …

Kurze Zeit später sah er, dass er sich nicht getäuscht hatte.

»Was ist das denn wieder für eine Geschichte bei dir da im Pfarrhaus?«, fragte der Bischof ungehalten nach der Begrüßung.

Er deutete auf die Besucherecke am Fenster.

»Nimm Platz.«

Sebastian setzte sich.

»Von was für einer Geschichte sprichst du?«, fragte er zurück.

Es war nicht immer selbstverständlich, dass ein einfacher Landpfarrer seinen vorgesetzten Bischof duzte. Aber zwischen dem guten Hirten von St. Johann und Ottfried Meerbauer war es etwas anderes. Nicht nur, dass der Bischof den Bergpfarrer wegen dessen unermüdlichen Einsatzes in der Gemeinde schätzen gelernt hatte, seit Pfarrer Trenker ihn einmal mit auf eine Bergtour genommen hatte, verband die beiden Männer eine aufrichtige Freundschaft.

Erst recht, nachdem Bischof Meerbauer auch noch die exzellente Küche Sophie Tapperts gekostet hatte …

»Du weißt ganz genau, wovon ich rede«, erwiderte Ottfried. »Und du weißt auch, dass die Ehe ein heiliges Sakrament unserer Mutter Kirche ist. Ich kann deshalb überhaupt nicht verstehen, dass du es wagen kannst, unter deinem Dach ein junges Paar in wilder Ehe zusammenleben zu lassen!«

Sebastian schluckte einen Moment, aber er wich dem Blick seines Bischofs nicht aus.

»Darf ich erfahren, woher du das überhaupt weißt?«, fragte er. »Mein Engelsbacher Amtskollege wird’s kaum gewesen sein.«

»Nun, eigentlich bin ich nicht verpflichtet, dir meine Informanten zu nennen«, entgegnete Ottfried Meerbauer, »aber da du so fragst – eine besorgte Frau rief hier im Ordinariat an und beschwerte sich über dich.«

»Und hat die Frau auch einen Namen?«

»Äh … den hat sie leider nicht genannt …, sagt Pater Antonius. Aber jetzt möchte ich doch von dir erfahren, was an der Geschichte dran ist.«

»Sie stimmt«, bekannte der Bergpfarrer freimütig und amüsierte sich insgeheim über das Gesicht, das der Bischof machte.

»Sie … sie stimmt?«, ächzte Ottfried.

»Ja, bis auf ein kleines Detail«, nickte Sebastian. »Die beiden, Gaby Westmeier und Thomas Birk­ner, sind ein Paar, das ist richtig. Allerdings leben sie net in wilder Ehe unter meinem Dach, wie du es ausdrückst, sondern sie sind Gäste im Pfarrhaus. Gerne erzähle ich dir die Zusammenhänge.«

Der Bischof richtete sich auf.

»Na, da bin ja mal gespannt.«

*

Eine Viertelstunde später fuhr der Bergpfarrer schmunzelnd nach St. Johann zurück. Was er seinem Vorgesetzten erzählt hatte, hatte Ottfried Meerbauer keinen Grund gegeben, Sebastian für sein Verhalten zu rügen. Ganz im Gegenteil.

»Ich wusste ja im Grunde, dass an der Sache nix dran ist«, hatte er zum Abschied gesagt, als er den Geistlichen persönlich zu dessen Wagen gebracht hatte – unter den neugierigen Blicken Pater Antonius’, der oben aus dem Fenster schaute …

»Komm doch bald mal wieder zum Essen vorbei«, lud Sebastian ihn ein. »Und bring’ ruhig deinen Sekretär mit.«

»Herzlich gern’«, nahm Ottfried die Einladung an und winkte dem Davonfahrenden hinterher.

Im Pfarrhaus erzählte Sebastian die Geschichte beim Mittagessen. Während Gaby eher schuldbe­wusst dreinschaute, war Thomas entrüstet.

»Wer mag diese Frau wohl sein?«, überlegte er laut.

»Da sind wir wohl auf Spekulationen angewiesen«, meinte Sebas­tian. »Doch damit sollten wir uns gar nicht erst beschäftigen, sondern überlegen, wie wir deinen Vater und dich wieder versöhnen können. Ich glaub’, ich hab’ da auch schon eine Idee …«

Die anderen schauten ihn interessiert an. Doch der Bergpfarrer schüttelte den Kopf.

»Ich will noch net darüber reden«, sagte er. »Aber ich fahr’ nachher zum Birknerhof. Wenn ich zurück bin, wissen wir vielleicht mehr.«

Thomas lehnte sich zurück.

»Wenn Sie mit Vater reden wollen, verschwenden S’ nur Ihre Zeit«, bemerkte er.

»Ich weiß, dass er eine harte Nuss ist, die es zu knacken gilt«, antwortete Sebastian. »Aber auch dafür gibt’s eine Methode.«

Als er später dann auf dem Weg nach Engelsbach war, hatte er allerdings noch gar keinen rechten Plan, wie er den Bauern umstimmen sollte. Dennoch fuhr er zum Birknerhof, mit der festen Absicht, mit Franz zu reden. Als er aus dem Auto stieg, sah er wieder die junge Magd.

»Grüß dich, Andrea«, rief er hinüber. »Hast’ einen Moment Zeit?«

Sie zögerte eine Sekunde, bevor sie herüberkam. Etwas unsicher schaute sie ihn an. Das schlechte Gewissen stand ihr ins Gesicht geschrieben.

»Was ist denn?«, fragte sie, ohne dass der unwillige Gesichtsausdruck wich.

Sebastian lächelte freundlich. Eben erst war ihm der Gedanke gekommen, als er die Magd gesehen hatte. Jetzt überzeugte ihn ihre schuldbewusste Art von der Richtigkeit seiner Vermutung.

»Du warst es, net wahr?«, sagte er ohne anklagenden Tonfall. »Du hast im bischöflichen Ordinariat angerufen und erzählt, in meinem Pfarrhaus lebe ein Paar in wilder Ehe zusammen.«

Andrea Hoffer schluckte, und dann rannen ihr Tränen über das hübsche Gesicht.

»Es … es tut mir leid«, stammelte sie. »Ich weiß, dass ich’s net hätt’ tun sollen. Aber ich war so verzweifelt!«

Der Geistliche legte ihr tröstend eine Hand auf die Schulter.

»Liebe lässt sich nun mal net erzwingen«, sagte er sanft. »Ich kann deine Verzweiflung verstehen, aber du musst einsehen, dass Thomas dich nun einmal net liebt.«

Andrea wischte sich über das Gesicht.

»Entschuldigen Sie bitte«, flüs­terte sie.

»Ich bin dir net bös’«, entgegnete der gute Hirte von St. Johann. »Ich wünsch’ dir vielmehr, dass du eines Tages den Mann findest, mit dem du glücklich wirst.«

Die Haustür wurde geöffnet, und Franziska Birkner schaute heraus. Der Geistliche begrüßte sie.

»Wie geht’s euch?«, erkundigte er sich.

Thomas’ Mutter schluchzte auf.

»Der Bub fehlt mir«, weinte sie.

»Um den brauchst’ dir keine Gedanken machen. Thomas geht es gut.«

»Ich bin ja so froh, dass Sie sich um ihn kümmern, Hochwürden. Vielen Dank!«

»Keine Ursache. Aber erzähl’ doch mal, wie der Franz mit der Situation umgeht. Ist er überhaupt daheim?«

Die Bäuerin schüttelte den Kopf.

»Er ist unterwegs. Seit der Thomas net mehr da ist, bleibt die ganze Arbeit ja an ihm hängen. Ich mag gar net dran denken, wie’s werden soll, wenn erst die Ernte beginnt!«

»Bis dahin wird das Problem hoffentlich gelöst sein«, sagte Sebastian. »Schad’, dass dein Mann net da ist … Kommt ihr denn am Samstag zum Tanzabend?«

»Ich weiß net, der Franz wird wohl gar keine Lust haben …«

»Dann solltest du ihn überreden.«

Die Bäuerin sah ihn fragend an.

»Wieso denn?«

Sebastian erklärte es ihr, und plötzlich leuchteten Franziskas Augen auf.

»Ja, nickte sie begeistert, »so könnt’ es gehen.«

*

Die Tische im Saal des Hotels »Zum Löwen« waren bis auf den letzten Platz besetzt. Auf der Empore spielten die »Wachnertaler Bu’am« schon seit einer halben Stunde, als Sebastian Trenker und seine Begleitung eintrafen.

Thomas Birkner schaute sich nervös um.

War es seiner Mutter tatsächlich gelungen, den Vater zum Herkommen zu überreden?

Noch war von ihnen nichts zu sehen, und Thomas setzte sich eher unbehaglich an den Tisch. Seine Unbehaglichkeit rührte allerdings auch daher, dass es sich um den Tisch der Honoratioren des Dorfes handelte, während er sonst immer bei den anderen jungen Leuten saß.

Gaby hatte sich besonders

hübsch zurechtgemacht. Sie trug ein helles geblümtes Kleid, mit einem passenden Jäckchen dazu. Ihr Haar war kunstvoll frisiert und hochgesteckt. Das aparte Gesicht brauchte keine Schminke, um anziehend zu wirken.

Es war schon geraume Zeit vergangen, als der Bauernsohn sie das erste Mal aufforderte. Die hübsche Kindergärtnerin tanzte für ihr Leben gern und natürlich am liebsten am Arm des Mannes, den sie liebte. Glücklich schwebten sie über das Parkett und blieben auch noch zum nächsten Tanz.

Als sie dann an den Tisch zurück kamen, nahm Pfarrer Trenker die junge Frau an die Hand.

»Dort hinten sitzt er«, sagte er und zog Gaby mit sich.

Unauffällig zeigte er ihr den Tisch, an dem der Birknerbauer saß.

»Gleich«, raunte der Geistliche ihr zu und verschwand.

Gaby blieb an einer Säule des Saales stehen. Als der Kapellmeis­ter dann »Damenwahl« verkündetet, eilte sie an den Tisch und forderte Thomas’ Vater zum Tanzen auf.

Der Bauer hatte eigentlich gar keine rechte Lust gehabt, auf den Tanzabend zu gehen. Seine Frau musste ihn regelrecht überreden. Als ihn aber jetzt dieses zauberhafte Wesen aufforderte, bereute er seinen Entschluss, herzukommen nicht.

Endlich mal ein Lichtblick, nach all dem, was an Ärger hinter ihm lag!

Als der Tanz zu Ende war, verbeugte sich Franz vor der jungen Frau, die ihn aufgefordert hatte.

»Darf ich Sie jetzt bitten?«, fragte er.

Gaby lächelte.

»Sehr gerne.«

Es folgte noch ein dritter Tanz, und ihr fiel auf, dass Franz Birkner immer wieder zu seinem Tisch schielte, ob seine Frau vielleicht eifersüchtig herüberschaute.

Doch Franziska Birkner war weit davon entfernt, eifersüchtig zu sein – Pfarrer Trenker hatte sie schon beim ersten Tanz ihres Mannes eingeweiht …

Der Bauer war in seinem Element. Charmant und freundlich unterhielt er sich mit seiner Tanzpartnerin, soweit das bei der Musik möglich war.

Das war ein Madel!

Blitzsauber und gescheit, so wie’s sich mit ihm unterhielt. Schad’ nur, dass es bloß auf Urlaub hier war und bald schon wieder abreisen würd’. Aber so eine hätt’ er sich für den Thomas gewünscht. Wenn der Bub doch bloß net so ein Sturkopf wär’, die schönste Braut hätt’ ich ihm doch ausgesucht.

»Wollen wir was trinken?«, fragte Franz Birkner höflich und deutete zur Sektbar.

»Ach ja, ich bin ganz durstig geworden«, nickte Gaby und ließ sich an die Bar führen.

Der Bauer orderte zwei Gläser und prostete ihr zu.

»Wird wohl Zeit, dass ich mich endlich mal vorstelle«, sagte er und nannte seinen Namen.

Den der jungen Frau verstand er nicht, weil die Kapelle im selben Moment einen Tusch spielte.

»So, liebe Leute«, sagte der Kapellmeister, »es ist ja net das erste Mal, dass der Tanzabend der richtige Hintergrund für Familienfeiern ist. Und auch heut’ Abend gibt’s einen Grund, die Gläser zu heben und auf das Glück eines jungen Paares anzustoßen, das hier und heut’ seine Verlobung mit euch feiern will.«

Beifallsstürme wurden laut.

»Ja, so sind wir«, lachte Franz Birkner, »wenn’s was zu feiern gibt, dann sind alle dabei. Ich bin mal gespannt, wer die beiden sind.«

»Ich darf also zu mir auf die Bühne bitten«, fuhr der Mann am Mikrophon fort, »Thomas Birkner und Gaby Westmeier!«

Wieder klatschten die Leute, und der Kopf des Bauern ruckte herum.

Deshalb also wollte Franziska unbedingt hierher! Sie steckte mit denen unter einer Decke!

Er drehte sich zu dem jungen Madel um, doch das stand gar nicht mehr neben ihm. Verwundert sah der Bauer es die Empore hinaufklettern, wo schon sein Sohn stand.

»Ich möcht’ euch meine Braut vorstellen«, verkündete Thomas. »Allerdings wird erst gefeiert, wenn mein Vater, der alte Sturkopf dahinten – an der Sektbar steht er – endlich seinen Segen dazu gegeben hat. Mit seiner zukünftigen Schwiegertochter hat er ja schon getanzt, jetzt will ich mit ihr den Verlobungstanz tanzen!«

Franz spürte, wie ihn jemand anstieß. Pfarrer Trenker lächelte ihn an.

»Na los. Gefallen tut sie dir doch ganz gut, die Gaby, oder etwa net?«

Der Bauer nickte. Unter den Jubelrufen der Gäste stieg er die Empore hinauf und nahm die Hand, die Thomas ihm hinstreckte.

»Lass uns vergessen, was war«, sagte der Bauernsohn.

Franz schloss ihn in seine Arme, dann griff er nach Gaby.

»Da habt ihr mich ja ganz schön vorgeführt, ihr zwei!«

»Es war Hochwürdens Idee«, sagte sein Sohn lachend.

Unten stand der gute Hirte von St. Johann und schaute schmunzelnd zu, wie sich das junge Paar küsste. Er war sicher gewesen, dass der Bauer, hatte er Gaby erst einmal kennen gelernt, gar nicht anders konnte, als ihr seinen Segen zu geben …

Der Bergpfarrer Staffel 21 – Heimatroman

Подняться наверх