Читать книгу Ein Traumpferd für Petra - Torbjörg Hagström - Страница 5
Astrid belauscht ein Gespräch
ОглавлениеDie Mädchen saßen auf ihren Pferden, bereit, auf die Bahn zu reiten. Polly tänzelte ungeduldig hin und her, und Petra hatte Mühe, sie zurückzuhalten. Die dunkelbraune Stute Puppe, fast schwarz in ihrem dichten Winterfell, stand ruhig und unbeweglich neben ihr. Es war ein klarer, kalter Wintertag, und der Atem der Pferde stieg wie Rauchwolken aus ihren Nüstern.
Die Reiter sahen aufmerksam auf Karin, die Reitlehrerin. Nun hob sie leicht die Hand. Das war das verabredete Startzeichen, und während Karin das Tonband anstellte, setzten sich die Pferde in Bewegung. Die Vorführung hatte begonnen.
Im Stall saß ein Mädchen, das sich nicht im geringsten für die Vorführung interessierte. Es war ja das gleiche Programm wie vor einem halben Jahr, als die Reitschule eingeweiht wurde. Damals hatte Astrid alles „gesehen“ – wenn auch durch Petras Augen –, doch nun zog sie es vor, bei ihrem Pony in der Box zu sitzen.
Daß Svala wirklich ihr gehörte, erschien Astrid jedesmal wieder unvorstellbar, so oft sie daran dachte. Nie würde sie ihren dreizehnten Geburtstag vergessen, als sie das Pony bekam. Es war der glücklichste Tag ihres Lebens!
Nun saß sie zusammengekauert in einer Ecke der Box, mit dem Rücken zur geschlossenen Halbtür. Alle Leute waren draußen und sahen sich die Vorführung an, und im Stall war es still und friedlich. Svala fraß so behaglich von ihrem Heu, und vom Hofplatz klang gedämpfte Musik herein.
Es war kaum ein Jahr her, seit Astrid angefangen hatte zu reiten, doch jetzt fragte sie sich bereits, wie sie früher ohne Pferde leben konnte. Sie hatte Tiere immer gern gehabt, und in der Blindenschule waren ein paar ihrer Mitschüler geritten. Doch Astrid hatte nicht gewagt, es selbst zu versuchen. Erst als ihre kleine Schwester Lena zu reiten begann, faßte sie Mut. Das war zu Beginn der Sommerferien, als sie von der Blindenschule nach Hause kam. Doch Karin war nicht bereit gewesen, die blinde Astrid in eine gewöhnliche Anfängergruppe aufzunehmen.
Da war Petra gekommen und hatte ihr Privatunterricht auf Svala gegeben. Svala war Petras eigenes Pony, und bald war Astrid überzeugt, daß es kein besseres und lieberes Pferd geben konnte. Doch nicht einmal auf dem besten Pferd lernt man im Handumdrehen Reiten. Astrid hatte den ganzen Sommer lang hart gearbeitet, und Petra war eine gute Lehrerin. Trotzdem hatte das blinde Mädchen manchmal das Gefühl, es nie zu schaffen. Sie kämpfte jedoch weiter, statt aufzugeben, und machte mit der Zeit deutliche Fortschritte.
Dann hatten ihre Eltern ihr ein eigenes Pony versprochen. Natürlich war Astrid anfangs voller Begeisterung; sie merkte jedoch bald, wie unsicher sie sich auf den Pferden fühlte, die zum Verkauf standen. Zwar konnte sie auf Svala einigermaßen gut reiten, doch ein unbekanntes Pferd flößte ihr soviel Angst ein, daß sie sich ganz hilflos fühlte.
Astrid vertraute Svala, und Svala liebte sie, doch sie hatte nie zu träumen gewagt, daß dieses wunderbare Pony einmal ihr gehören könnte. Es war die Idee ihres Vaters gewesen, Petra zu bitten, ihm Svala zu verkaufen. Astrid hatte es erst erfahren, als Svala bereits ihr gehörte.
Dann folgten unzählige Stunden harter Arbeit. Astrid hatte noch immer viel zu lernen, und sie trainierte jeden Tag auf Svala. Petra setzte den Unterricht regelmäßig fort, obwohl er nun in der Reitschule stattfand und nicht mehr auf dem Granberghof. Auch die Reitlehrerin Karin half, wenn sie Zeit hatte.
Ja, alle halfen Astrid. Und natürlich war sie dankbar dafür, doch es war nicht gerade schön, immer nur zu nehmen und anderen Dank zu schulden.
Mehr und mehr begann Astrid zu begreifen, was es Petra für Überwindung gekostet haben mußte, Svala herzugeben.
Eigentlich sollte sich Petra ja von dem Geld, das sie für Svala bekommen hatte, ein neues Pony kaufen. Daß sie es noch nicht getan hatte, machte die Sache für Astrid nicht gerade besser. Irgendwie fühlte sie sich schuldig, weil Petra nun kein Pferd hatte.
Und noch immer gab Petra ihr Reitunterricht. Ja, ständig war sie es, die nahm, und nie konnte sie etwas geben! Astrid hätte so gern etwas für Petra getan, etwas wirklich Großes. Aber was konnte sie tun?
Mehrmals hatte sie Petra angeboten, auf Svala zu reiten. Aber nicht einmal das hatte Petra angenommen!
Astrids Grübeleien wurden plötzlich von Beifallsklatschen unterbrochen. Das bedeutete also, daß die Quadrille beendet war. Wenige Minuten später erklangen Stimmen und Hufgetrappel vor der Stalltür. Die Pferde wurden hereingeführt. Mädchen riefen einander Scherzworte zu, Boxtüren wurden geöffnet, jemand drehte am Wasserhahn vor dem Stallbüro und das Wasser plätscherte auf den Boden. Die Mädchen säuberten die Pferdegebisse und unterhielten sich dabei eifrig, doch Astrid konnte nur einige Wortfetzen verstehen. Plötzlich lachte jemand. Astrid fühlte sich mit einem Male sehr ausgeschlossen.
„Beeil dich mit Tuff-Tuff!“ rief eine Stimme.
Das kleine Fjordpferd sollte gleich wieder auftreten. Lena war eine von den Glücklichen, die gelernt hatten, auf Tuff-Tuffs Rücken zu springen, während das Pony über die Bahn trabte, und dann Kunststücke auf dem Pferderücken vorzuführen.
Astrid stand auf, ging zu Svala und streichelte das weiche, gepflegte Winterfell ihres Ponys. Dann setzte sie sich wieder in die Ecke und sagte: „Sieh mal, Svala! Eine Karotte!“
Wie immer hatte sie ein paar gelbe Rüben in ihrer Tasche. Nun nahm sie eine davon und legte sie sich auf den Kopf. Das war ein Spiel, das Svala kannte. Im nächsten Augenblick spürte Astrid die warmen Atemzüge ihres Ponys in den Haaren. Das Pferdemaul schnappte zu, und schon war die Karotte verschwunden.
Wenn ich Petra nur ein neues Pferd verschaffen könnte! dachte Astrid. Eines, das genauso wunderbar ist wie Svala.
Plötzlich hörte sie wieder Schritte an der Stalltür. Jetzt wurde wohl Tuff-Tuff hereingeführt, und nun waren Agneta und Charlotte Verelius mit ihrem Spiegelritt an der Reihe. Ihr Vater leitete die Reitschule zusammen mit Karin, und die Zwillingsschwestern waren wirklich vorzügliche Reiterinnen.
Die Mädchen, die Tuff-Tuff zurückgebracht hatten, verschwanden rasch, und im Stall wurde es wieder so still und friedlich wie vorher.
Astrid war wirklich froh, daß sie in diesem Jahr auf eine ganz gewöhnliche Schule hatte überwechseln dürfen. So konnte sie zu Hause wohnen und jeden Tag in den Stall zu Svala kommen. Ein wenig nervös war sie schon gewesen, als sie in diese neue Schule kam, in der alle ihre Mitschüler sehen konnten …
„Ob die hier wohl abends abschließen?“ hörte sie plötzlich eine fremde Männerstimme sagen.
Astrid fuhr zusammen und lauschte mit angehaltenem Atem. Sie hatte geglaubt, allein im Stall zu sein.
„Der Fuchs sieht gut aus, wie?“
„Ja, aber seine Augen gefallen mir nicht“, antwortete eine zweite Stimme ängstlich.
„Feigling!“ sagte der Mann, der zuerst gesprochen hatte, lachend.
Astrid merkte nun, daß die Fremden vor Ballades Box standen. Was redeten sie da nur? Sie hörte, wie die beiden näher kamen, während sie sich über jedes einzelne Pferd unterhielten. Es klang beinahe, als wollten sie sie kaufen. Plötzlich kam Astrid ein schrecklicher Gedanke. War es möglich, daß Herr Verelius und Karin sich entschlossen hatten, die Reitschule zu schließen und die Pferde zu verkaufen? Sie verdienten ja nicht allzuviel damit, doch Karin behauptete immer, das läge nur daran, daß die Reitschule noch so neu sei.
Astrid wünschte, die Männer wären in die entgegengesetzte Richtung der Stallgasse gegangen. Es war ein unbehagliches Gefühl, sich vorzustellen, daß die beiden sie vielleicht sahen. Doch sie wußte aus Erfahrung, daß man sie von der Stallgasse aus kaum bemerkte, wenn sie wie jetzt direkt neben der Boxtür saß. Nur wenn die Männer auf die Idee kamen, in die Box zu gehen, konnte es passieren, daß sie über sie stolperten.
„Fjordpferde sind gut. Die sehen alle gleich aus“, murmelte einer von den beiden.
Nun waren sie vor Tuff-Tuffs Box angelangt. Daneben stand Svala, und Astrids Herz klopfte angstvoll. Sie kroch noch mehr in sich zusammen und machte sich so klein wie möglich.
Dann hörte sie eine Stimme über ihrem Kopf sagen: „Hübsches Pony. Solche wird man leicht los, ob sie jetzt Papiere haben oder nicht.“
Ein Brummen war die Antwort.
Astrid begann vor Angst zu zittern. Diese Männer sprachen nicht so, als wollten sie Pferde kaufen!
Sie fürchtete sich so, daß sie kaum zu atmen wagte.
„Komm jetzt, wir gehen wieder hinaus und mischen uns unters Publikum“, sagte die Stimme, die vorher so ängstlich geklungen hatte.
„In Ordnung. Jetzt haben wir uns wenigstens mal umgesehen und wissen Bescheid.“
Zu Astrids grenzenloser Erleichterung verließen die Männer den Stall. Während die Tür hinter ihnen zufiel, erinnerte sie sich plötzlich daran, daß einer von beiden gefragt hatte, ob der Stall abends verschlossen würde. Waren diese Männer vielleicht Pferdediebe? Womöglich wollten sie Svala stehlen?
Zitternd saß Astrid in ihrer Ecke. Was konnte sie tun, um die beiden daran zu hindern? Was sollte sie nur machen?