Читать книгу Rette die Reitschule Petra! - Torbjörg Hagström - Страница 5
Riegel wird vorgeführt
Оглавление„Da kommen sie ja!“ stieß Lena aufgeregt hervor. „Mit dem Anhänger!“
Die Schwestern waren in die Reitschule zurückgekehrt und hatten eben abgesattelt. Nun beeilten sie sich, auf den Stallhügel zu kommen.
„Hallo, Astrid! Hallo, Lena!“ rief Petra, als sie aus dem Auto stieg.
„Hallo!“ schrien beide, und Lena fragte: „Hast du dein Pferd dabei?“
„Nein, wir wollten gleich Karins Anhänger zurückbringen“, erklärte Petra. „Riegel ist schon bei Fuchsa auf der Weide.“
„Wie ist es denn?“ fragte Astrid. „Dein neues Pferd, meine ich!“
„Ach, wunderbar!“ erwiderte Petra aus tiefstem Herzen.
„Du hast kaum mehr geschrieben, als daß es Riegel heißt und vier Jahre alt ist“, sagte Astrid.
In ihrer Stimme schwang eine Mahnung: Erzähle genau, schildere dein Pferd so, daß ich es mir richtig vorstellen kann!
„Riegel ist ein hellbrauner Wallach mit dunklen Beinen und gestutzter Mähne“, erklärte Petra. „Zwischen den Nüstern hat er ein winziges weißes Fleckchen und am rechten Hinterbein eine weiße Fessel. Er ist sehr groß und macht wunderbar lange Schritte. Wenn er wiehert, klingt es wie bei einem Fohlen. Er ist gerade erst eingeritten worden, aber ich glaube, daß er eine Menge leisten kann.“
„Und ist er auch lieb?“
„O ja, im tiefsten Innern ist er sehr lieb, ganz sicher!“
„Nur im tiefsten Innern?“ fragte Astrid zweifelnd. Sie bevorzugte Pferde, die durch und durch lieb waren.
Nun kam Karin, die Reitlehrerin, aus dem Stall, und Petra mußte ihr Pferd noch einmal beschreiben, während sie Karins Anhänger vom Auto ihres Vaters losmachten.
„Ja, da kann er jetzt bis zum Dressurwettkampf stehen bleiben“, sagte Karin, als sie den Anhänger zur Seite gerollt hatten und sich vergewisserten, daß er fest stand.
„Zum Dressurwettkampf? Wollen Sie daran teilnehmen?“ fragte Petra.
„Ja, und die Zwillinge Verelius und Rose-Marie auch. Sie sind für die Juniorklasse angemeldet. Rose-Marie hat den ganzen Sommer über mit Ballade trainiert.“
„Auch, als die Reitschule geschlossen war?“
Die Reitlehrerin nickte. „Ja, da hatte sie Ballade auf einer Koppel bei ihrem Onkel stehen.“
Petra bekam richtig Lust, sich selbst zum Wettbewerb in der Distriktsmeisterschaft zu stellen. Und als sie mit ihrem Vater wieder auf dem Heimweg war, spürte sie etwas wie Neid in sich aufsteigen. Natürlich war Riegel noch zu jung und ungeschult, um für die Reitschule antreten zu können. Petra hatte zwar mit ihm im Gestüt von Strandängen an einem Dressurwettkampf teilgenommen, doch das war nicht allzu gut gegangen. Außerdem würde in keinem der Anhänger Platz für Riegel sein. Die beiden Vollblüter der Zwillinge würden natürlich in Herrn Verelius’ Anhänger zum Turnierplatz gefahren werden, und Ballade und Rex in dem von Karin. Allerdings hätte Rex, der mit Karin für die Seniorklasse angemeldet war, ja auch noch mit Petra in der Juniorklasse antreten können. Petra hoffte, daß die Reitlehrerin ihr diesen Vorschlag machen würde. Es blieb ja noch immer genug Zeit für das Training, und Petra war schon sehr oft auf Rex geritten.
Ihre Überlegungen wurden unterbrochen, als sie auf den heimatlichen Zufahrtsweg einbogen. Der Granberghof lag auf einer kleinen Anhöhe. Sie fuhren am Obstgarten vorbei, in dem sich die Apfelbäume unter der Last der unreifen Früchte bogen, und erreichten den Hofplatz. Das rote Wohnhaus leuchtete im Sonnenschein, und Ringelblumen und Dahlien blühten in den Rabatten rechts und links von der Eingangstür.
Endlich wieder daheim! dachte Petra glücklich. Den ganzen Sommer lang hatte sie als Stallhelferin im Gestüt von Strandängen gearbeitet. Es war eine schöne Zeit gewesen, und Petra hatte eine Menge gelernt. Trotzdem wußte sie, daß sie zum Granberghof gehörte. Hierher würde sie stets zurückkehren, wohin sie auch immer reisen mochte.
Ihre Mutter hatte schon das Abendessen vorbereitet, und bald saßen alle drei am Tisch. Die Küche auf dem Granberghof war ein großer, gemütlicher Raum mit langen Flickenteppichen, grünkarierten Vorhängen und blühenden Pelargonien an den Fenstern.
„So, jetzt mußt du uns aber erzählen, wie es dir in Strandängen ergangen ist!“ sagte Frau Granberg.
Wie war es ihr in diesem Sommer ergangen? Petra dachte an das Gestüt, das sie am Morgen verlassen hatte. Die Augustsonne hatte von einem wolkenlosen Himmel gebrannt, und die Pferde hatten sich in den Schatten der Bäume zurückgezogen. Petra hatte sich von Rolf und Gerda, den Besitzern des Gestüts, verabschiedet – und auch von Mick, dem Pferdepfleger, der nur ein Jahr älter als sie selbst war. In diesem Augenblick wäre sie am liebsten geblieben. Sie hatte weder die drei Freunde noch die Pferde verlassen wollen. Doch das schönste Pferd durfte sie ja mitnehmen, und Mick hatte versprochen, ihr zu schreiben und zu berichten, wie es auf Strandängen stand.
Petra wußte kaum, wie sie alles erzählen sollte, doch mit der Zeit kam sie so richtig in Fahrt.
Nach dem Essen half sie beim Geschirrtrocknen und sah dabei immer wieder aus dem Fenster. Dort unten auf der Weide des Nachbarhofs stand Fuchsa mit hoch erhobenem Kopf und lauschte zum Wald hinüber. Ihre lange, blonde Mähne leuchtete in der Abendsonne wie gesponnenes Gold. Riegel gesellte sich mit langen Schritten zu ihr und zupfte an einem Grasbüschel.
Petra ließ den Blick über seinen anmutigen Hals gleiten, die langen Beine, den tiefen Brustkorb und die straffe Rückenlinie. Sie konnte es kaum erwarten, das Pferd ihrer Freundin Karin und allen anderen Freunden im Reitclub zu zeigen.
Es war schön, am nächsten Morgen wieder im eigenen Bett aufzuwachen. Petra fand es nur schade, daß die Sommerferien schon in ein paar Tagen zu Ende waren. Sie hatte sich doch noch so vieles vorgenommen.
Rasch stieg sie aus dem Bett und merkte, daß ihr Fuß nicht mehr ganz so weh tat. Gleich nach dem Frühstück sattelte sie Riegel und machte sich auf den Weg zur Reitschule. Auf den Feldern stand das Getreide hoch, und die Lämmer und Kälber des Hofes waren so gewachsen, daß Petra sie kaum wiedererkannte. Da wurde ihr erst richtig klar, wie lange sie fort gewesen war.
Den Wald kannte sie genau, doch ihr Pferd wußte ja nicht, was sich hinter der nächsten Wegbiegung verbarg. Petra spürte, daß Riegel sich ganz auf sie verließ und dem geringsten Wink gehorchte.
Sie kam in der Reitschule an, noch ehe die erste Reitstunde dieses Tages begonnen hatte. Astrid trabte gerade mit Svala über die Bahn, und Lena saß auf dem Zaun und sah ihr zu. Plötzlich fiel Petra ein, daß sie gestern nicht in den Stall gegangen war, um Svala zu begrüßen. Wie hatte sie Svala, ihr erstes, geliebtes Pferd, nur vergessen können? Sie schämte sich fast ein wenig deshalb.
„Hallo, Petra!“ rief Lena ihr zu. In diesem Augenblick kamen auch Karin und Rose-Marie, ein dunkelhaariges, untersetztes Mädchen, aus dem Stall. Petra ritt zum Zaun. Sie kannte Rose-Marie schon seit Jahren, doch nun kam es ihr plötzlich vor, als sähe sie verändert aus.
„Oh“, sagte Karin nachdenklich. „Ein kleines Pferd hast du dir da ja nicht gerade ausgesucht!“
„Wie finden Sie Riegel? Meinen Sie, daß er gute Anlagen hat?“
Obwohl Petra überzeugt war, daß sie ein großartiges Pferd hatte, wollte sie doch Karins Meinung hören.
„Reite ein bißchen mit ihm, damit ich ihn mir ansehen kann“, bat die Reitlehrerin.
Petra lenkte Riegel auf die Bahn und führte ihr Pferd im Schritt, Trab und Galopp vor, während Astrid mit Svala am Zaun wartete.
„Ja, Petra, der ist es bestimmt wert, daß man mit ihm arbeitet!“ sagte Karin nach einer Weile. „Ich glaube, er hat sehr gute Anlagen.“
„Goldig ist er!“ schwärmte Lena, und auch Rose-Marie stimmte ihr zu.
„Goldig“ war nun wohl nicht gerade eine Beschreibung, die auf ein so großes, kraftvolles Halbblut paßte, doch Petra freute sich, daß Riegel allen gefiel. Nun kam auch Astrid näher. Svala wollte das neue Pferd beschnuppern, doch Astrid zügelte ihr Pony und schwang sich aus dem Sattel.
„Rose-Marie, würdest du Svala einen Augenblick für mich halten, damit ich zu Riegel gehen kann?“ bat sie.
Doch Rose-Marie kam selbst auf Riegel zu, strich ihm über den Hals und ließ ihre Hand sachkundig über sein Vorderbein gleiten.
„Keine Uberbeine oder Stollbeulen“, sagte sie anerkennend.
Lena kletterte hastig vom Zaun und übernahm Svalas Zügel. Petra warf Rose-Marie einen verwunderten Blick zu. Warum reagierte sie nicht, wenn Astrid sie um Hilfe bat? Im gleichen Augenblick entdeckte sie, was die Veränderung in Rose-Maries Äußerem bewirkte: Sie hatte während des Sommers angefangen, Lidschatten und Wimperntusche zu benutzen.
„Beißt er?“ fragte Astrid.
„O nein!“ versicherte Petra.
Astrid trat einen Schritt näher, und im nächsten Moment spürte sie Riegels warmen Atem an ihrem Gesicht. Sie hob vorsichtig die Hand, streichelte seinen Hals, glitt mit den Fingern weiter zu seinem Nacken und kraulte ihn in der kurzen Mähne. Riegel zupfte spielerisch und vorsichtig an ihren langen, dunklen Haaren.
„Ach, ist der lieb!“
„Genauso lieb wie Svala?“ fragte Petra scherzhaft. „Wie geht’s dir übrigens jetzt mit ihr – sollen wir wieder mit den Reitstunden anfangen?“
Astrid strahlte. „O ja, gern! Darauf habe ich den ganzen Sommer gewartet!“
Als Petra sich an diesem Abend die Zähne putzte, dachte sie: Jetzt sind die Sommerferien bald vorüber. Sie betrachtete ihr sonnengebräuntes, ovales Gesicht im Badezimmerspiegel. Es war von dichten, mittelblonden Haaren umrahmt, die ihr bis zu den Schultern reichten und sich nur schwer bändigen ließen. Ihre Augen waren graugrün und die Wimpern dunkel, doch nicht besonders lang. Ob sie wohl mit Lidschatten und Wimperntusche besser aussehen würde? Vielleicht, dachte Petra. Falsche Wimpern vielleicht? Sie kicherte bei der Vorstellung, wie sie damit aussehen würde. Mick jedenfalls legte auf solche Äußerlichkeiten sicher wenig Wert …
Wieder dachte sie an den Sommer zurück. Er ging nun zu Ende, doch Riegel war ihr geblieben. Und sie hatte die Erinnerung an all die Ausritte, an schaukelnden Trab in knietiefem Wasser, an friedlichen Hufschlag auf staubiger Landstraße, fliegenden Galopp über Felder und Wiesen, Gegenwind, der einem die Tränen in die Augen trieb, den Geruch der Pferde auf der Sommerweide …
Doch hinter all diesen schönen Bildern steckte auch nagende Unruhe: Würde sie mit ihrem Jungpferd allein und ohne Hilfe zurechtkommen?