Читать книгу Rette die Reitschule Petra! - Torbjörg Hagström - Страница 6
Ein Brief von Mick
ОглавлениеPetra beugte sich vor und streckte die Hand aus, doch sie erreichte den Briefkasten nicht. Riegel ist zu groß, dachte sie. Oder nein, der Briefkasten hängt zu tief, verbesserte sie sich sofort.
Als sie die kleinere Svala noch gehabt hatte, war es ganz einfach gewesen, den Briefkasten vom Pferderücken aus zu leeren. Nun mußte sie absteigen. Sie steckte die Hand in den Briefkastenschlitz und zog eine Rechnung und einen Brief heraus.
Sobald sie die Post in ihre Jackentasche gesteckt hatte, schwang sie sich wieder in den Sattel und ritt im Schrittempo weiter den Weg entlang. Dabei summte sie fröhlich vor sich hin. Der Brief war an sie gerichtet. Eigentlich seltsam, daß Mick, der so gut zeichnen und malen konnte, eine solche Krakelschrift hatte!
Dies war der dritte Brief, den Mick ihr geschrieben hatte, seit sie nach Hause gekommen war. Er schilderte immer alles so lebendig, was sich im Gestüt ereignete, und erwähnte besonders, wie es den Pferden ging, die Petra ins Herz geschlossen hatte. Außerdem versah er seine Briefe oft mit hübschen kleinen Skizzen.
Nun war Petra auf dem Weg zur Reitschule. Als sie dort ankam, wurde gerade ein Anfängerkurs abgehalten; deshalb ritt sie nicht auf die Bahn. Es hätte die ungeübten Reiter nur gestört. Statt dessen gesellte sie sich zu Rose-Marie, die am Zaun stand und zusah.
Die Abteilung wurde von Rose-Maries Vetter Arne angeführt, der erst seit einem halben Jahr ritt. Ihm folgten ein paar kleine Mädchen, und den Schluß bildete ein jüngerer Mann, der darum kämpfte, den richtigen Takt im Leichttraben zu finden.
„Wer ist das dort drüben? Der Mann, der Polly reitet, meine ich. Ich glaube, ich habe ihn schon mal gesehen“, sagte Petra.
„Ja, ich überlege auch schon dauernd, wer er ist“, erwiderte Rose-Marie. „Erwachsene Anfänger sieht man hier bei uns ja nicht alle Tage.“
Einen Augenblick schwiegen sie. Dann fügte Rose-Marie hinzu: „Ich werde nach der Reitstunde Dressur üben.“
„Prima! Da bleibe ich hier und sehe dir zu.“
Es war noch eine gute Woche bis zum Dressurwettkampf, und Karin, die Reitlehrerin, hatte Petra noch immer nicht vorgeschlagen, daran teilzunehmen. Petra wollte auch nicht gern selbst darum bitten. Es wäre ihr unverschämt vorgekommen, einfach zu fragen: „Hören Sie mal, kann ich mit Ihrem Pferd beim Wettkampf mitmachen?“ Außerdem wollte sie sich nicht vordrängen, wenn Karin fand, daß sie noch nicht gut genug war. Am liebsten wäre es ihr gewesen, wenn die Reitlehrerin so von ihrem Können überzeugt gewesen wäre, daß sie sie gebeten hätte, mitzumachen. Aber vielleicht glaubte sie, daß Petra keine Lust hatte oder nicht genug Mut, um teilzunehmen?
Wenn Karin heute nichts sagt, schlage ich es ihr vielleicht doch selbst vor, dachte Petra und sah wieder über die Reitbahn.
„Du, jetzt weiß ich, wer der Mann auf Polly ist!“ stieß sie plötzlich hervor. „Das ist doch der neue Pastor!“
„Wirklich?“ Rose-Marie blieb der Mund offen stehen.
Petra war ein wenig verblüfft über ihr eigenes Erstaunen. Weshalb sollte schließlich ein Pastor nicht auch reiten lernen wollen, genau wie andere Leute?
In diesem Augenblick war die Reitstunde zu Ende. Die Reitschüler führten ihre Pferde in den Stall, und Rose-Marie verschwand, um Ballade zu satteln. Statt dessen kam Karin zum Zaun.
„So ein Pferd müßten wir auch in der Reitschule haben!“ sagte sie und streichelte Riegels Nasenrücken. „Aber daraus wird vorläufig nichts. Seit wir Lona bekommen haben, ist ein großes Loch in unserer Kasse. Aber sie war ein guter Kauf, und wir brauchen sie wirklich.“
„Sie haben ja einen neuen Schüler“, bemerkte Petra.
„Ja, der Pastor. Er will wohl herausfinden, weshalb so viele seiner Konfirmanden fürs Reiten schwärmen“, sagte Karin und lachte. „Mal sehen, ob er aufhört oder weitermacht. Wir könnten wirklich mehr Erwachsene in der Reitschule brauchen. Bisher haben wir noch sehr wenige.“
Die Stalltür öffnete sich, und Rose-Marie führte Ballade über die Wiese.
„Hast du übrigens am Wochenende etwas Besonderes vor?“ fragte die Reitlehrerin.
Petra hob den Kopf. „Nein, gar nicht!“ erwiderte sie rasch und dachte: Endlich! Durfte sie nun doch am Turnier teilnehmen?
Karin wandte sich an Rose-Marie, die gerade auf dem Weg zur Reitbahn an ihnen vorüberkam. „Du kannst damit anfangen, Ballade im Schritt und Trab aufzuwärmen“, sagte sie. Dann drehte sie sich wieder zu Petra um.
„Oh, das ist gut. Wenn ich während des Wochenendes auf dem Turnier bin, brauche ich eine zuverlässige Vertretung für die Reitschule. Könntest du das übernehmen, Petra?“
Petra schluckte enttäuscht. „Ja, das kann ich schon.“
„Prima. Eigentlich ist es verrückt, daß ich mich darauf verlassen muß, daß du und andere freiwillig aushelfen. Wir müßten unbedingt einen fest angestellten Pferdepfleger haben, aber natürlich fehlt es uns dazu wieder mal am Geld.“
Weil Karin so sorgenvoll aussah, versuchte Petra, sie etwas aufzumuntern.
„Wird das jetzt nicht besser, nachdem die Preise für die Reitstunden erhöht worden sind?“ fragte sie.
„Nein, durchaus nicht! Die kleine Erhöhung wird schon von den gestiegenen Unkosten verschlungen. Wenn wir mehr Pferde hätten – Platz genug wäre ja im Stall –, würde es wohl besser werden, aber wir haben ja kein Geld, um sie zu kaufen.“
„Wie ist es denn mit Herrn und Frau Verelius?“ fragte Petra. „Sie könnten doch die Kaufsumme für ein oder zwei neue Pferde vorschießen, bis sich die Sache bezahlt macht.“
Olle und Margareta Verelius, deren Töchter sich auch zum Turnier angemeldet hatten, waren zusammen mit Karin die Besitzer der Reitschule.
Die Reitlehrerin sah sich um und senkte die Stimme.
„Sag es bitte nicht weiter, Petra, denn es ist noch nicht sicher, aber Olle Verelius überlegt, ob er sich nicht zum Jahresende aus dem Reitschulgeschäft zurückziehen soll.“
„Sich zurückziehen?“
„Ja. Er hat offenbar geglaubt, daß die Reitschule ein gutes Geschäft wäre, und statt dessen haben wir bisher eigentlich nur Geld zugelegt. Ich habe ihm zu erklären versucht, daß es ein paar Jahre dauert, bis so eine Reitschule sich lohnt, aber er hat offenbar nicht genug Geld, um so lange zu warten.“
„Aber … aber können Sie es denn allein schaffen?“
„Wohl kaum! Falls die Reitschule von der Gemeinde einen Zuschuß bekommt, hätten wir eine Chance, aber sonst muß ich die Sache wohl aufgeben. Wir werden es jedenfalls einmal versuchen und bei der Gemeinde einen Zuschuß beantragen.“
Petra wurde ganz kalt. Die Enttäuschung darüber, daß sie nicht am Turnier teilnehmen durfte, wurde von der Sorge um die Reitschule verdrängt. Petra versuchte sich den Reitstall leer vorzustellen, die Pferde verkauft, Karin weit fort, ihr kleines Haus unbewohnt. Nein, das durfte einfach nicht geschehen!
„Wissen Agneta und Charlotte davon?“ fragte Petra schließlich.
„Ja, das nehme ich an“, erwiderte Karin.
„Können sie ihren Vater nicht zur Vernunft bringen?“
Karin seufzte.
„Wir werden wohl abwarten müssen. Laß uns das Beste hoffen. Aber wenn wir den Zuschuß bekommen, können wir uns sogar einen Pferdepfleger leisten!“
Nun kam Arne aus dem Stall und schlenderte zum Zaun. Er hatte blaugraue Augen und war so blond, wie seine Cousine Rose-Marie dunkel war.
Karin begann mit Rose-Maries Reitunterricht, und Petra sagte „tschüs“ und ritt heimwärts. Im Augenblick hatte sie nicht die geringste Lust zu bleiben und sich das Dressurtraining anzusehen.
Wenn ich schon unglücklich bin – da ich doch ein eigenes Pferd habe –, wie müssen sich erst die anderen fühlen, falls die Reitschule schließt! dachte sie plötzlich. Rose-Marie, Arne, Astrid, Lena, Anki, Anna-Lena und all die anderen ahnten natürlich noch nichts von der Gefahr. Petra selbst hatte ja auch noch vor einer Stunde geglaubt, daß die Reitschule ewig bestehen würde.
Sie war zwar früher einmal zufrieden gewesen, allein herumzureiten. Doch seit der Gründung der Reitschule hatte sie entdeckt, wie schön es war, manchmal mit Freunden ausreiten zu können, eine Reitlehrerin zu haben, die man um Rat fragen konnte, und einen Reitclub, der Wettkämpfe und Zusammenkünfte veranstaltete.
Die Turniere waren natürlich nicht übermäßig wichtig, aber Petra fand sie gut, um ein Ziel zu haben, für das sie täglich mit ihrem Pferd arbeiten konnte. Das machte alles viel spannender. Was hatte es denn zum Beispiel für einen Sinn, zu lernen, seinem Pferd perfekten Halt beizubringen, wenn man nie die Gelegenheit hatte, es jemandem vorzuführen?
Erst als Petra zu Hause auf dem Granberghof war, fiel ihr die Post wieder ein. Sie gab ihrer Mutter die Rechnung, ging dann in ihr Zimmer und öffnete Micks Brief.
„Hallo Petra“, schrieb er. „Hier ist wie immer eine Menge los. Firlefanz ist vor kurzem an ein Mädchen in Västeras verkauft worden. Sie schien schon allerhand zu können, und ich glaube, daß er es gut bei ihr haben wird. Hoffentlich kommst du gut mit Riegel zurecht!
Gestern bin ich mit Saga ausgeritten und über ein paar Hindernisse auf der Geländebahn gesprungen, die fürs Bronzeabzeichen benutzt wurde. Saga war ein bißchen feige, hat das Tempo verlangsamt und sich die Hindernisse angesehen, aber gesprungen ist sie trotzdem. Ein wunderbares Pferd! Es war so schön im Wald, ganz still, tiefgrüne Spätsommerstimmung. Du kennst ja die Pfade, auf denen man wie in einem langen, grünen Tunnel galoppiert! Ich werde das alles sehr vermissen, wenn ich von hier fortgehe …“
Petra ließ den Brief sinken. Was sollte das heißen – fortgehen? Was meinte er damit? Rasch las sie weiter.
„Aber das muß ich wohl. Wie du weißt, hat mein Vater sehr viel dagegen einzuwenden, daß ich als Pferdepfleger arbeite, auch wenn es nur vorübergehend ist. Er würde mich am liebsten hinter einen Schreibtisch in seiner Firma setzen, aber das ist wirklich nicht mein Fall! Das Schlimmste ist, daß er meint, Rolf und Gerda würden mich schlecht bezahlen, und diese Ansicht behält er auch keineswegs für sich. Du kannst dir vorstellen, wie peinlich mir das ist! Ich habe versucht, ihm zu erklären, daß die beiden nicht genug Geld haben, um mir einen höheren Lohn zu bezahlen, aber das will er einfach nicht begreifen!
Für meinen Vater sind Pferde ein Luxus; etwas, das mit Schlössern und Herrenhäusern und viel Geld zusammenhängt. Er glaubt, wer Pferde hat, müßte auch vermögend sein. Daß die Pferdezucht ein hartes Geschäft ist und viel Geld verschlingt, versteht er nicht.
Er begreift auch nicht, wie unglaublich viel Arbeit damit verbunden ist. Seiner Meinung nach bringt es nur einfach eine Menge Geld, wenn die Jungpferde verkauft werden. Und dann hat er wohl etwas von den großen Preisen auf Trab- und Galopprennbahnen gehört und glaubt, daß das auch für Reitpferde zutrifft. Oder, besser gesagt, er kann nicht zwischen Reitsport-, Trab- und Galoppsport unterscheiden.
Weißt du, ich kann einfach nicht zulassen, daß er Rolf und Gerda vorwirft, sie würden mich ausnützen. Deshalb muß ich versuchen, irgendwo weiter von zu Hause fort eine Arbeit zu finden.
Ich lasse die beiden auch nicht im Stich, wenn ich von hier weggehe, weil sie ein Mädchen kennen, das meine Arbeit jederzeit übernehmen kann. Sie will Reitlehrerin werden und braucht noch etwas Praxis in Pferdepflege.
Mein Vater meint es natürlich gut, aber zur Zeit wäre es wohl wirklich am besten, wenn ich irgendwo arbeiten könnte, wo er mich nicht so oft wie hier besuchen kann. Und es wäre sicher auch schön, mal etwas Neues zu sehen!
Für heute ganz herzliche Pferdegrüße von
Mick“
Petra verspürte einen Moment lang Gewissensbisse, als sie an Rolfs und Gerdas wirtschaftliche Lage dachte. Die beiden hatten ihr Riegel doch so unglaublich billig überlassen!
Dann kam ihr ein anderer Gedanke: Mick brauchte eine neue Stellung, und Karin brauchte einen Pferdepfleger. Konnte Mick nicht vielleicht hierher in die Reitschule kommen?