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Willkommen auf Strandängen!

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Der Zug fuhr an und ratterte weiter. Petra Granberg stand mit ihrem Gepäck auf dem Bahnsteig und sah sich um.

Hinter dem Bahnsteig und dem staubigen Stationsgebäude erstreckte sich ein großer, kiesbestreuter Platz. Ein paar Autos parkten dort in der Sonnenglut, und ein Foxterrier streunte über den Platz. Plötzlich sah Petra einen rothaarigen Mann mit Reithosen und abgeschabten Stiefeln, der direkt auf sie zukam.

„Hallo, du mußt Petra sein!“ sagte er und reichte ihr seine braungebrannte Hand. „Ich bin Rolf Lövdahl. Willkommen auf Strandängen!“

Er war fast einen halben Kopf kleiner als Petra, die selbst gerade mittelgroß war. Mit unerwarteter Kraft hob er ihren Koffer auf, und sie gingen auf einen staubigen Kombiwagen zu.

Bald werde ich Saphir wiedersehen! dachte Petra, als der Wagen auf der landstraße dahinfuhr. Zwei lange Monate waren seit der Trennung von dem schönen Schimmelhengst vergangen. Durch das Wagenfenster sah sie die sommerlich grünen Wiesen vorübergleiten. Ach, es mußte herrlich sein, hier mit Saphir zu galoppieren!

„Ist es weit bis Strandängen?“ fragte sie.

„Nein, nur ein kurzes Stück. Wir sind bald da.“

Da war Petra nun auf dem Weg zu einem Gestüt, in dem es viele Fohlen und Jungpferde gab, die zum Verkauf standen. Warum mußte sie sich ausgerechnet das einzige Pferd wünschen, das sie nicht bekommen konnte? Im vergangenen Winter hatte sie ihn eingefangen, nachdem er von Pferdedieben gestohlen wurde und ausgerissen war. Damals hatte sie Saphir schon als ihr Eigentum betrachtet.

Es hatte lange gedauert, bis der Eigentümer des Hengstes gefunden wurde; und inzwischen hatte ihn Petra versorgt und war mit ihm geritten.

Nun hatte sie von Saphirs Eigentümer einen Sommerjob als Pferdepflegerin und Hilfsreitlehrerin angeboten bekommen. Petra freute sich sehr darauf; doch sie wußte auch, daß es ihr nicht zufallen würde, das Jungpferd Saphir zu trainieren, auf das Rolf Lövdahl so große Hoffnungen setzte.

„Wann fängt das Reitlager an?“ fragte sie schließlich.

„In drei Tagen. Du hast also vorher noch Zeit, dich bei uns einzugewöhnen.“

Sie bogen auf eine schmalere, nicht asphaltierte Straße ab, und die Räder des Wagens wirbelten Staubwolken auf.

„Das erste Reitlager ist für junge Leute mit mindestens einjähriger Reiterfahrung“, berichtete Rolf, „und es dauert zwölf Tage. Dann kommt eine Gruppe von Jugendlichen, die bereits seit zwei Jahren oder länger reiten. Sie bleiben über zwei Wochen bei uns, und dieses Reitlager endet mit der Prüfung für das Bronzeabzeichen.“

Eine schmale Brücke führte über einen Bach, der in die Bucht des Mälarsees mündete. Auf der anderen Seite der Brücke setzte sich der Weg durch den Wald fort, und der Blick auf den See wurde von Bäumen verdeckt.

Der Mälarsee war groß, doch er war von so vielen Inselchen und Buchten durchsetzt, daß man immer nur ein kleines Stück von ihm sah.

„Haben Sie eigentlich auch Ponys auf dem Gestüt?“ fragte Petra nach einer Weile.

„Nein, Ponys nicht, nur große Pferde. Der Althengst ist ein Vollblut, und alle anderen sind Halbblutpferde.“

„Der Althengst?“ wiederholte Petra.

„Ja. Wir haben zwei Hengste. Saphir, den du ja schon kennst, und Fox, unser ältestes Pferd. Er ist dreiundzwanzig Jahre alt und hat früher viel an Hindernisrennen teilgenommen. Dann haben wir noch eine ganze Menge Fohlen und Jungpferde, die noch richtig zugeritten werden müssen. Glücklicherweise haben alle Stuten in diesem Jahr so früh gefohlt, daß wir sie beim Reitlager einsetzen können. In diesem Sommer wird es bei uns besonders viel Arbeit geben. Wir sind froh, daß du gekommen bist.“

„Ach, es gibt bestimmt viele Mädchen, die eine Menge dafür geben würden, einen solchen Ferienjob zu bekommen!“ erwiderte Petra.

„Das mag stimmen, aber wir können nicht jede brauchen. Im letzten Jahr zum Beispiel, als der Pferdepfleger in Urlaub war, hatten wir ein Mädchen hier, das ich nie wieder anstellen würde. Sie saß zwar wie festgewachsen im Sattel, aber sie kümmerte sich nicht richtig um die Pferde und ging auch viel zu hart mit ihnen um. Natürlich müssen die Pferde einen festen Willen spüren, aber hart darf man nicht zu ihnen sein. Du bist wohl eher etwas zu nachsichtig, Petra, aber das ist das kleinere Übel.“

„Woher wollen Sie das wissen?“ fragte Petra. „Daß ich zu nachsichtig bin, meine ich.“

„Es war Saphir anzumerken, als wir ihn zurückbekamen. Ein bißchen eigenwillig war er schon, aber das läßt sich ja leicht in Ordnung bringen. Da kann es schon schlimmer sein, ein verängstigtes Pferd wieder zu beruhigen. Mick, der Junge, der seit einem halben Monat die Arbeit des früheren Stallknechts übernommen hat, kümmert sich gerade um so ein Tier. Es ist eine Stute, die wir im letzten Herbst verkauft haben. Der neue Besitzer kam nicht mit ihr zurecht, und deshalb haben wir sie zurückgekauft. Sie ist durch die falsche Behandlung unglaublich nervös und mißtrauisch geworden.“

Die Straße führte nun aus einem dichten Waldstück auf offenes Gelände, und Petra sah das Gestüt Strandängen zum ersten Mal.

Grüne Wiesen, auf denen Pferde grasten, erstreckten sich zu beiden Seiten der Straße bis zum Gutshof, der aus mehreren roten Gebäuden bestand. Der Wind trug Petra den Duft der Heckenrosen zu. Das große, zweistöckige Wohnhaus war mit der Vorderfront zu dem blauen, glitzernden See gebaut. Ein großes Stallgebäude schloß sich an das Wohnhaus an, und daneben befand sich eine Reitbahn mit weißem Zaun. In der Nähe des Stalles lagen mehrere Hindernisse aufgestapelt.

„Du wirst sicher gleich auspacken wollen“, sagte Rolf, als sie aus dem Wagen stiegen. „Komm mit, ich zeige dir dein Zimmer.“

Petra folgte ihm ins Haus. Durch eine halboffene Tür erhaschte sie einen Blick auf ein Bild mit galoppierenden Pferden. Im gleichen Augenblick öffnete sich eine andere Tür, und Frau Lövdahl tauchte auf. Sie trug eine Brille und hatte ein humorvolles, sympathisches Lächeln.

„Herzlich willkommen, Petra!“ sagte sie.

„Ist Mick zurückgekommen, Gerda?“ fragte ihr Mann.

„Nein, noch nicht“, erwiderte Frau Lövdahl mit leichter Sorge. „Ob er drüben in seinem Zimmer ist?“

„Drüben?“ wiederholte Petra. „Wohnt er nicht hier im Haus?“

„Nein, er hat ein Zimmer im Anbau“, erklärte Rolf. „Na, ich hoffe, er wird bald kommen. Bisher konnte er immer ganz gut auf sich selbst aufpassen. Der Junge liebt lange Ausritte.“

„Wir essen in einer knappen halben Stunde“, sagte seine Frau. „Und jetzt entschuldigt mich, ich muß mich wieder ums Abendessen kümmern.“

Sie verschwand in der Küche, und Petra folgte Rolf über die Treppe nach oben. Im ersten Stock deutete er auf eine Tür und sagte: „Dieses Zimmer bewohnen meine Frau und ich. Dort drüben ist das Badezimmer, und die übrigen Räume in dieser Etage sind für die Teilnehmer am Reitlager vorgesehen.“

Sie stiegen eine weitere Treppe hinauf, die zur Mansarde führte. „Hier haben wir zwei Dachzimmer“, fuhr Rolf fort. „Eines ist für dich bestimmt und das andere für Reitschüler.“

Petra öffnete die Tür zur Linken, und Rolf trug ihren Koffer über die Schwelle. Es war ein kleiner, heller Raum mit schrägen Wänden, geblümter Tapete und einem abgetretenen, aber sauberen Flickenteppich auf dem Boden.

„Ich muß vor dem Essen noch die Jungpferde tränken“, sagte Rolf. „Du bist sicher froh, wenn du dich ein bißchen ausruhen kannst.“ Er nickte ihr freundlich zu und ging aus dem Zimmer.

Petra trat ans Fenster und sah hinaus. Vor dem Haus war ein Obstgarten, und daran grenzte eine große Wiese mit einer Gruppe mächtiger Eichen in der Mitte. Die meisten Pferde waren von den Bäumen verdeckt, doch plötzlich lief ein dunkles Fohlen im Galopp über die Wiese. Als es sich dem Haus zuwandte, sah Petra, daß es die gleiche Blesse wie Saphir hatte. Doch wo war Saphir selbst? Petra konnte es kaum erwarten, ihren einstigen Schützling wiederzusehen.

Sie öffnete den Koffer und nahm ihre neue Reitjacke heraus, die obenauf lag. Die Jacke war ein Geschenk ihrer Eltern zum siebzehnten Geburtstag, und sie hatte sie noch nie getragen. „Wenn du in einem Gestüt arbeitest, mußt du doch eine Reitjacke haben“, hatte ihre Mutter gesagt. Petra glaubte zwar nicht, daß das unbedingt notwendig war, aber sie hatte sich trotzdem sehr über das schöne Geschenk gefreut. Nun hängte sie die Jacke sorgsam auf einen Bügel und packte weiter aus.

Als ihr Koffer leer war, zog sie ihr ärmelloses weißes Sommerkleid an. Sie kämmte ihr schulterlanges, honigfarbenes Haar und ging dann die Treppe hinunter.

Die Tür zum Wohnzimmer stand noch immer angelehnt, und Petra schlüpfte hinein, um sich das Pferdebild näher anzusehen, das ihr vorher aufgefallen war. Auf den ersten Blick war es ihr vorgekommen, als hätte ein Schimmel auf dem Bild Ähnlichkeit mit Saphir. Nun sah sie, daß die Ähnlichkeit nicht nur ein Zufall war. Der Künstler hatte wirklich Saphir dargestellt.

An der gegenüberliegenden Wand des Wohnzimmers hing ein weiteres Bild, das fünf grasende Stuten mit einem Fohlen zeigte. Petra nahm an, daß das die Zuchtstuten von Strandängen waren. Doch wer hatte die Bilder gemalt?

In der rechten Ecke des größeren Bildes war ein kleines Eichenblatt eingezeichnet, auf dem „Mick“ stand. Mick? So hieß doch der junge Pferdepfleger. Hatte er diese Bilder gemalt?

Petra trat wieder auf den Flur. Jetzt wollte sie sich die Pferde ansehen.

Unter den Apfelbäumen wuchs das Gras hoch. Hier und dort blühten Butterblumen und Glockenblumen. Plötzlich entdeckte Petra einen Baum, der gerade in voller Blüte stand. Es war eine Eberesche. Sie blieb stehen und bog den untersten Zweig zu sich herab, um an den Blüten zu riechen.

Eigentlich dufteten sie gar nicht besonders gut. Es war ein wilder, herber Geruch, ganz anders als der Duft von Obstbaumblüten.

Als Petra den Zweig losließ, entdeckte sie, daß sie beobachtet wurde, und zwar von einem Jungen, der ungefähr in ihrem Alter sein mußte. Er trug Jeans und ein ausgebleichtes Hemd. In der rechten Hand hielt er eine Reitkappe und eine Trense.

Offenbar war er von der Koppel gekommen, doch jetzt stand er unbeweglich da. Seine Haare waren dunkel, seine Augen nußbraun. Quer über seinen schmalen Nasenrücken zog sich eine Schramme.

Petra brach das Schweigen. „Hallo“, sagte sie. „Du mußt Mick sein.“

„Ja. Und du Petra.“

„Stimmt. Ich bin eben erst angekommen und wollte mir die Pferde ansehen.“

Mick nickte. „Die Stuten sind mit ihren Fohlen dort auf der großen Koppel. Wie ich von Rolf gehört habe, willst du ein Fohlen kaufen?“

„Ja. Ein Fohlen oder ein Jungpferd.“

„Die Jungpferde sind auf der anderen Seite des Stalles“, erklärte Mick. „Ich muß jetzt in die Sattelkammer. Wir sehen uns dann beim Abendessen.“

Petra ging durch das hohe Gras weiter zum Zaun. Das dunkle Fohlen, das sie vom Fenster aus gesehen hatte, trank gerade bei seiner Mutter, einer schönen schwarzbraunen Stute. Noch drei weitere Stuten mit Fohlen waren auf der Koppel; also insgesamt vier Stuten und nicht fünf wie auf dem Bild im Wohnzimmer.

Etwas weiter entfernt, näher dem See zu, war noch eine kleinere Wiese. Als Petra sich umwandte, um zum Haus zurückzugehen, fiel ihr Blick auf ein rötliches Pferd, das dort unbeweglich mit hoch erhobenem Kopf stand und sie ansah.

Was für ein schönes Tier! dachte Petra bewundernd. Rasch ging sie zum Koppelzaun und lockte die Fuchsstute. Die spitzte ihre wohlgeformten Ohren, kam jedoch nicht näher. Ihre glänzenden Augen waren furchtsam geweitet, ihre Nüstern gebläht.

„Willst du nicht herkommen?“ fragte Petra sanft. „Na, wir werden schon noch miteinander bekannt werden, ehe der Sommer vorüber ist.“

Mick hatte es offenbar geschafft, sich vor dem Essen noch zu waschen, doch die Schramme auf seiner Nase war nun um so deutlicher zu sehen.

„Was hast du denn mit deinem Gesicht gemacht?“ fragte Gerda Lövdahl.

„Ach, daran bin ich selbst schuld“, erklärte Mick. „Ein Fasan flog vor uns auf, und Saga scheute. Sie galoppierte direkt in ein Dickicht, und ich duckte mich nicht schnell genug.“

„Saga?“ wiederholte Petra fragend, und im gleichen Augenblick sagte Gerda: „Du solltest auf der Reitbahn bleiben, bis sie sicherer ist! Wie ging es heute mit ihr?“

„Einigermaßen. Ich bin ohne Sattel geritten, und das scheint sie an alte Zeiten zu erinnern.“

„Saga ist das Jungpferd, von dem ich dir im Auto erzählt habe“, sagte Rolf in Petras Richtung.

Bei Rolfs Worten erschien eine kleine Falte zwischen Micks Augenbrauen. Sein Blick ging von Rolf zu Petra, die rasch auf ihren Teller niedersah. Rolf merkte nichts davon.

„Hast du sie in den Stall gebracht?“ fragte er.

Mick schüttelte den Kopf. „Nein, ich habe sie auf der kleinen Koppel freigelassen. Die ist ja jetzt leer.“

„Ach, dann habe ich Saga wohl vorher schon gesehen“, sagte Petra. „Ist sie ein schöner Fuchs mit Streifenblesse?“

„Zum Reiten ist sie nicht so besonders schön“, erwiderte Mick verdrießlich. „Das Pferd ist richtig verrückt.“

Rolf blickte ihn erstaunt an. „Das sagst ausgerechnet du, der Saga sonst immer so glühend verteidigt? Aber es stimmt schon, sie ist sehr nervös. Das hat sie von ihrer Mutter Donna. Diese Mädchen, an die wir sie damals verkauft haben, konnten natürlich noch nicht richtig mit Pferden umgehen; aber ihr Vater konnte schließlich reiten und wollte ihnen helfen.“

„Ja, er hat’s wohl versucht“, meinte Gerda, „aber er hielt Saga für bösartig und wollte ihr ,die Mucken austreiben‘, wie er es nannte.“

„Und davon wurde es nur noch schlimmer mir ihr“, warf Mick ein. „Schließlich wagte es keiner mehr, Saga zu reiten, und da durfte sie nach Strandängen zurückkommen.“

„Ach, wir kriegen Saga schon wieder hin“, erwiderte Rolf. „Mick, willst du Petra nach dem Essen ein bißchen herumführen?“

„Klar, das mach ich gern!“

Petra konnte es kaum erwarten, bis die Teller leergegessen waren. Natürlich war der große Stall das erste Ziel ihres Rundganges. Die Boxen waren fast alle leer, doch im Hintergrund schaute ein dunkeläugiger Schimmel über die Tür einer Box. Petra eilte auf ihn zu. Endlich sah sie Saphir wieder!

Der Junghengst sah ein wenig fremd aus, und einen Augenblick lang fiel es Petra schwer, in diesem Pferd ihren Saphir wiederzuerkennen, der mit seinem dicken Winterfell im heimatlichen Stall auf dem Granberghof gestanden hatte. Natürlich war er jetzt im Frühling heller geworden, aber es lag nicht nur an der veränderten Farbe des Fells. Petra erinnerte sich, daß Saphirs Mähne im letzten Winter gestutzt gewesen war. Nun war sie gewachsen und fiel wie Seide über seinen Hals.

Petra konnte sich kaum von Saphir trennen, doch es gab noch ein zweites Pferd im Stall, eine elegante Fuchsstute.

„Sie heißt Scarlet und ist Saphirs Mutter“, erklärte Mick. „In diesem Frühling war sie nicht trächtig. Deshalb hat Rolf mit ihr an einigen Turnieren teilgenommen. Er will übrigens auch übermorgen mit ihr und Saphir zu einem Turnier fahren. Das ist der Grund, weshalb die beiden jetzt im Stall stehen.“

„Dann nimmt Saphir also auch schon an Turnieren teil?“

„Eigentlich nicht. Übermorgen ist sein erstes Springturnier, und Rolf hat ihn hauptsächlich deshalb angemeldet, damit er sich an die Turnieratmosphäre gewöhnt, Einer von uns wird wohl als Pferdeknecht mitfahren müssen.“

Saphirs erstes Springturnier! Ach, Petra wünschte sich so sehr, mit dabeisein zu können.

Überraschung auf dem Reiterhof

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