Читать книгу Die besten Reiterfreunde - Torbjörg Hagström - Страница 5
Zehn kleine Negerlein
Оглавление„Was ist passiert?“ rief Petra aufgeregt.
„Saga ist sich auf den Kronenrand getreten“, sagte Mick. „Schaust du mal, ob sie lahmt, während ich sie herumführe?“ Er ging mit dem nervösen Pferd auf und ab.
„Na ja, vielleicht ab und zu ein bißchen“, war Petras zögernde Auskunft.
„Das reicht“, sagte Mick niedergeschlagen. „Ich kann mit einem verletzten Pferd nicht am Lucia-Zug teilnehmen und dabei womöglich in der ganzen Stadt eine Blutspur hinterlassen!“
Nun kam auch Karin näher und sah sich Sagas Verletzung an.
„Am besten behandelst du die Wunde mit Jod und bandagierst Saga sofort den Huf“, schlug sie vor.
„Es kommt mir vor wie der Vers von den zehn kleinen Negerlein“, sagte Rosemarie. „Jetzt scheiden schon zwei aus: Anna-Lena und Mick!“
„Ich habe eine Idee!“ stieß Petra hervor. „Karin, wenn du deinen alten Mannschaftssattel nimmst und mit mir zu den Jonassons fährst, dann hole ich Fuchsa für Mick. Er und Riegel warten hier auf uns, während die anderen inzwischen losreiten. Wir holen euch dann auf der Straße ein!“
„Ja, das ist eine gute Lösung“, rief Mick.
„Na gut, aber beeilt euch“, sagte Karin. „Komm, Petra!“
Karin fuhr Petra geradewegs zum Nachbarhof der Granbergs, dem früheren Jobiassonhof von Anna und Petrus. Karin ließ Petra aussteigen und kehrte wieder zum Reitstall zurück. Mit dem Sattel über dem Arm ging Petra ins Haus und klopfte an die Küchentür.
„Herein!“ hörte sie Anna Jonasson rufen.
Petra öffnete die Küchentür einen Spalt, doch da sie schmutzige Stiefel anhatte, blieb sie auf der Schwelle. Anna stand am Herd. Sie war klein und verrunzelt, ihr kurzgeschnittenes graues Haar lockte sich ein wenig. Auf dem Küchentisch standen zwei Kaffeetassen mit blauem Blumenmuster, Sahnekanne und Zuckerschale; am Fenster hing ein roter Adventsstern.
„Hallo, Anna! Ist Petrus da?“
„Nein, aber er muß gleich kommen. Wolltest du reiten?“
„Meinst du, daß ich Fuchsa für den Lucia-Zug ausleihen könnte?“ fragte Petra atemlos. „Micks Pferd hat sich verletzt und kann nicht mitreiten.“
„Sicher, das kannst du bestimmt“, meinte Anna. „Nimm sie nur.“
„Danke! Ich muß mich beeilen. Wiedersehen, bis später!“
Petra flitzte in den Stall. Dort entdeckte sie, daß Fuchsa nicht gestriegelt war. Sie warf den Sattel über die Boxwand, riß die Bürste vom Regal und begann Fuchsas struppiges Fell energisch zu bearbeiten. Die nordschwedische Stute wandte verwundert den Kopf nach ihr um; ihre Blesse wurde fast von der langen, blonden Stirnlocke verdeckt. Doch sie war gutmütig genug, um sich gegen die rauhe Behandlung nicht zur Wehr zu setzen.
„Eigentlich hätte ich dich ja bürsten müssen, bis du richtig schön glänzt“, murmelte Petra. „Aber das schaffen wir nicht mehr. So wird’s jetzt schon gehen.“
Wenige Minuten später trabten sie los, zwischen den Koppeln dahin, am Granberghof vorbei und in den Wald hinein. Fuchsa war ein liebes und munteres Pferd, und da der alte Petrus und seine Frau sie nicht mehr so oft wie früher zur Arbeit brauchten, konnte Petra sie manchmal reiten. Als sie die Reitschule erreichten, stand Mick auf dem Stallhügel und wartete mit Riegel.
„Hier hast du dein edles Rennpferd“, rief Petra und schwang sich aus dem Sattel.
Sie tauschten die Pferde. Fuchsa kümmerte sich weder um den seltsamen Stern noch um die Sternsingermütze. Sie hatte in ihrem langen Leben schon vieles gesehen und erlebt. Seite an Seite ritten Mick und Petra los und holten den Lucia-Zug ein, als dieser die Stadt fast erreicht hatte.
Es war wirklich ein eindrucksvoller Zug, fand Petra. Sie ritten eine Runde um das Altersheim. Dann stellten sie sich vor dem großen Speisesaal auf, dessen Terrassentüren geöffnet waren. Dort sangen sie das Lucia-Lied und schließlich auch noch die Stefans-Weise mit Mick als Vorsänger. Die Leiterin des Altenheimes, Anna-Lenas Mutter, kam mit einem Teller voller Lebkuchen heraus.
„Euch allen vielen Dank! Es war schön, daß ihr gekommen seid. Und ich soll euch von Anna-Lena grüßen!“
Sie ging den Zug entlang und reichte jedem Reiter einen Lebkuchen. Die Pferde sahen begehrlich auf die Süßigkeiten. Plötzlich fiel Petras Blick auf einen kleinen, weißhaarigen, alten Mann, der gerade aus dem Haus trat. Er hielt eine vollgefüllte Zuckerschale in der Hand und hinkte zielbewußt hinter der Direktorin her: denn nun waren es die Pferde, die ihre Belohnung bekamen. Sie drängten und pufften so, daß Petra fürchtete, sie würden den alten Mann umstoßen, doch der wußte offenbar, was er tat. Er ging zügig zu Riegel, der eifrig zwei Zuckerstücke aus der Hand des Mannes nahm. Dann ging er unter Riegels Hals durch, ohne sich bücken zu müssen, und erreichte Fuchsa, das letzte Pferd des Lucia-Zuges. Petra sah, daß der alte Mann nur Pantoffeln trug, mit denen er durch den Schnee schlurfte.
Erst jetzt bemerkte ihn die Leiterin und starrte ihn verdutzt an. Petra kam der Gedanke, daß die Zuckerstücke vermutlich für die Kaffeetafel der Pensionäre gedacht waren und durchaus nicht für die Pferde. Doch der alte Mann ließ sich nicht beirren. Fuchsa bekam allen Zucker, der noch übrig war, während der Mann mit seinen alten Händen wieder und wieder über das struppige Winterfell des Arbeitspferdes strich.
„Das ist aber mal eine feine Stute“, sagte er. „Ich habe viele von der Sorte gehabt.“
Er nickte Mick zu und hinkte dann wieder mit der leeren Zuckerschale ins Haus zurück.
Auf dem Heimweg erkundigte sich Petra bei Mick, was eigentlich mit Saga los sei.
„Ich glaube, es ist nichts Schlimmes“, meinte er. „Wenn sie ein paar Tage lang Stallruhe hat, wird die Wunde wohl gut verheilen!“
Die übrigen Reiter machten bei der Reitschule halt; Mick und Petra ritten weiter den Hügel hinauf und in den Wald hinein. Ein schwacher Windstoß wehte den Neuschnee von den Tannenzweigen.
„Fährst du Weihnachten nach Hause?“ fragte Petra.
„Ich habe Karin gesagt, daß sie mehr Recht auf Urlaub hat als ich, aber sie fand, daß ich auch ein paar Tage wegfahren könnte, wenn die Clubmitglieder so lange bereit sind, die Pferde selbst zu versorgen.“
„Ist ja wohl klar, daß wir das machen!“ erwiderte Petra. „Du willst doch Weihnachten sicher zu Hause feiern, nicht?“
„Ich bin hier zu Hause!“ erwiderte Mick. „Aber das wollte ich Karin nicht sagen, weil es komisch klingt. Alle erwarten ja von einem, daß man sich zu Weihnachten nach Hause sehnt.“
„Tust du das nicht?“ fragte Petra. Sie duckte sich. Ein Zweig, der schwer mit Schnee beladen war, versperrte ihr den Weg.
„Einesteils schon, aber dann auch wieder nicht.“
Petra grübelte darüber nach, während sie im Schrittempo weiterritten. Ob Mick ihretwegen hierbleiben wollte? Oder war es deshalb, weil er fürchtete, wieder Streit mit seinem Vater zu bekommen? Vielleicht war es beides?
Der Pfad führte jetzt aus dem Wald hinaus und an großen Wiesen vorbei zum Granberghof hinauf.
„Ich möchte lernen, damit ich im Frühjahr wieder aufs Gymnasium gehen kann“, sagte Mick plötzlich.
Petra wandte den Kopf und sah ihn an.
„Wirklich? Davon hast du aber nie etwas gesagt!“ Und sie dachte: Da wird sich sein Vater aber freuen! Er hat sich schließlich Sorgen um Micks Zukunft gemacht.
„Wir haben darüber gesprochen, als ich neulich zu Hause war“, fuhr Mick fort. „Meine Eltern hätten es am liebsten, wenn ich wieder nach Hause käme. Aber ich möchte hier aufs Gymnasium in Bjurbäck gehen. Bloß nicht auf meine alte Schule, das kannst du mir glauben!“
„Wie willst du das mit deinem Job in der Reitschule machen?“
„Ach, den kann ich behalten. Ich hab’ gestern mit Karin darüber geredet. Bestimmt werde ich beides schaffen – die Arbeit im Reitstall und die Schule!“
„Das wäre prima, wenn wir in dieselbe Klasse kämen!“ sagte Petra schnell.
Sie war jetzt siebzehn und Mick achtzehn, er hatte ein Jahr durch die Unterbrechung seiner Schulzeit verloren.
„Das klappt bestimmt“, meinte Mick. „Ich hab’ den gleichen Zweig wie du gewählt. Den naturwissenschaftlichen Zweig kann ich mir diesmal verkneifen. Den hatte ich damals nur gewählt, weil mein Vater es wollte. Aber jetzt lerne ich das, was mich interessiert.“
Sie bogen auf den Hofplatz ein, und Petra schwang sich aus dem Sattel.
„Wartest du, während ich Riegel in den Stall bringe?“ sagte sie zu Mick. „Dann kümmere ich mich anschließend um Fuchsa.“
„Ist nicht nötig“, erwiderte er. „Ich kann sie gleich zu euren Nachbarn bringen.“
„Prima. Aber du …, meinst du, daß du auch ihre Box ausmisten könntest? Ich mache das immer, wenn ich gerade Zeit habe. Weißt du, Petrus ist schon fünfundsiebzig, und ich glaube, für ihn wird es langsam ein bißchen anstrengend.“
„Klar, mache ich“, versprach Mick mit einem raschen Lächeln.
„Und hinterher, wenn du Lust hast … Ich glaube, wir haben noch eine Menge Lucia-Plätzchen“, rief Petra Mick zu, ehe sie mit ihrem braunen Wallach in den Stall ging.