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DREI

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Eine ganze Woche hast du in der Auszeit gebraucht, um rauszufinden, was für ein Programm die da abziehen. Ich hab es von Anfang an gewusst. Ich hab es dir auch schon gesagt, aber du willst ja nie hören. Da hast du dir von deinen neuen Lehrern ordentlich einen aufbinden lassen. Die sind ja auch ganz anders als die, mit denen du es sonst zu tun hast. Sie haben über die Auszeit gesprochen, so, als würden sie sich ihr Blabla selbst abkaufen. Als könntest du anders. Als könnten sie aus dir einen besseren Menschen machen. Eine neue Chance, ein neuer Start, den ganzen Scheiß hinter dir lassen … War dir alles richtig unheimlich.

Und du? Du hast dir wirklich Mühe gegeben in der ersten Woche. Ein bisschen auch noch in der zweiten. Meistens hast du dein Schulzeug dabeigehabt. Selbst in Mathe hast du was verstanden, sogar die Sache mit den Brüchen. Bei Plus muss man den gemeinsamen Nenner finden. Bei Minus auch. Und bei Mal da … was für ein Trottel du warst. Eine ganze Woche und noch ein bisschen mehr hast du gebraucht, um rauszufinden, dass die Auszeit nichts weiter ist als eine neue Art von Knast. Ein Knast, wo Schule gespielt wird. Ein Knast, wo die Wärter alle scheißnett sind und scheißnett bleiben, wenn man sie Alte Hure! nennt.

Das hat Addis zu Frau Schäfer gesagt, nicht du. Sie wollte, dass er Theater spielt. Er nicht. Nie hält er seine Fresse, aber vor der Klasse sprechen wollte er nicht. Er hätte keinen Bock, hat er gesagt. Er würde sich nicht trauen, hat sie gesagt.

»Alte Hure!«, hat er gebrüllt, hat eine Schulbank umgeschmissen und ist rausgelaufen. Frau Schäfer ist ganz ruhig geblieben. Addis musste die Schulbank wieder aufstellen und hat eine Strafe bekommen. Die restliche Stunde ist er still sitzen geblieben, hat geschmollt und sich mit dem Zirkel in den Arm geritzt. Richtig geblutet hat das. Er hat gewartet, bis Frau Schäfer etwas sagen würde, aber sie hat ihn nicht mal angeschaut. Am Ende der Stunde hat er sich entschuldigt. Es läge an den Tabletten, hat er gesagt. Morgens muss er nur seine Pillen nehmen und schon ist’s gut. Die Wirkung lässt aber mittags nach und dann kann er sich nicht mehr konzentrieren … Frau Schäfer hat zugehört und die Geschichte geglaubt oder zumindest so getan. So ein Scheiß! Ganz sicher! Glaub mir, Addis ist voll der Spacko, da helfen auch keine Pillen.

Und dann wär da noch … Shirley! Und? Hast du schon einen Ständer? Ich krieg einen, wenn ich nur ihren Namen sage. Shir-ley! Voll die heiße Braut! Und sie sitzt auch noch neben dir. Zwischen dir und Addis. In der Mitte. Wir sind nur zu viert in der Auszeit … verteilt an Einzeltischen, dazwischen immer so eine Trennwand. Eine Pinnwand mit euren Zeichnungen, dem Wochenplan, den Bewertungsbögen, den Punkten, die ihr bisher abhaken konntet. Der ganze Scheiß eben, der vermeiden soll, dass es dort wie im Knast aussieht …

Die Trennwände gehen nicht bis zum Boden, haha! Und du lässt verdammt viele Sachen runterfallen. Tintenkiller, Radiergummis, Geodreiecke … Verrückt, wie ungeschickt du plötzlich bist. Und jedes Mal, wenn du dich nach unten beugst, um deinen Kram wieder aufzuheben, kriegst du echt was geboten. Shirleys Beine. Ihre hammer Beine! Immer im Minirock oder in so engen Leggins. Das muss doch furchtbar wehtun, einen Ständer, den ganzen Tag lang …

Jetzt aber mal im Ernst: Shirley hat echt selten viel an und das bisschen, das sie trägt, zeigt sie gern. Rote Strings, schwarze BHs und so. Darum wurde sie auch von der Schule in Mamer geschmissen. Wie, du kennst die Geschichte nicht? Mir hat sie die gleich am ersten Tag erzählt! Du hast in der Zeit wohl nur geglotzt und gesabbert …

Also, Shirleys Klassenlehrerin hatte was gegen ihre Klamotten. Viel zu nuttig. Sie hat gesagt, dass sich das nicht gehört für ein dreizehnjähriges Kind. Shirley meinte bloß, sie wär kein Kind mehr. Und dass die Lehrerin sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern soll. Die Lehrerin wurde wütend und versuchte, Shirley was überzuziehen. So ein langes XXL-T-Shirt. Shirley hat sich gewehrt, wurde von der Lehrerin an den Haaren gezogen und hat sie dann zu Boden gestoßen. Shirley hat auf sie gespuckt, ist weggelaufen und drei Tage nicht nach Hause gekommen. Auch nicht in die Schule. Sie hat bei einem Freund gepennt. Der Freund ist 19, hat Shirley gesagt, gekichert und so dreckig geschaut, um mir klarzumachen, was sie mit gepennt meint: In der Kiste waren sie!

Dann ist Shirley in unsere Schule gekommen. Und schon nach drei Monaten musste sie in die Auszeit. Den Grund dafür hat sie mir noch nicht verraten. Warum sie uns die anderen Dinge erzählt, weiß ich auch nicht …

Zu dir ist sie sehr nett. Meistens. Das ist komisch … Vielleicht glaubt sie, dass du … anders bist, nur weil du sie nicht ganz so blöd anmachst. So blöd wie Addis. Dabei traust du dich einfach nur nicht. Aber du willst sie auch vögeln, genau wie Addis und jeder andere Kerl in diesem Gebäude … Vielleicht ist es einfach nur, weil sie ständig deine Kippen raucht. Sie fragt nie. Sie wartet immer nur, dass du ihr deine Schachtel hinhältst. Dann nimmt sie sich eine. Sie sagt auch nie Danke, schneidet nur so eine Grimasse … ähnlich wie ein Lächeln. Ab und zu nimmt sie sich auch eine Kippe von einem anderen. Von den Großen aus der Werkstatt, vor allem von Antonio. Viel öfter aber von dir. Komisch … aber gut.

Meistens rauchst du allein mit Shirley. Dabei war ich es, der diesen super Ort entdeckt hat. Hinter dem großen Müllcontainer bei den Parkplätzen der Schuldirektion. Dass man sich da traut zu rauchen … auf die Idee kommt kein Mensch. Ich bin einfach gut. Und den Rauch pustest du in eine Plastikflasche, so, wie ich es dir gesagt hab.

Shirley ist schon fünfmal erwischt worden, erzählt sie. Früher, als ihr alles scheißegal war. Einmal hat sie den Rauch dem Aufseher direkt ins Gesicht geblasen und behauptet, dass sie nicht raucht. Ein anderes Mal hat sie geschrien, dass er sie begrapscht, als er nach ihrem Schülerausweis gegriffen hat. Aber seit sie hier in der Auszeit ist, passt sie besser auf. Sie will nicht zurück nach Kirchberg.

»Auf Kirchberg ist die Jugendklapse«, sagt Shirley.

Da war bisher noch keiner von deinen Freunden. Dreiborn ja, Kirchberg nein.

»Voll krass ist es da!«, sagt sie. Richtig eingesperrt wird man. Einen Monat lang darf dich niemand besuchen kommen. Und Rauchen ist verboten. Wenn du dich nicht benimmst, fixieren sie dich mit Gurten und Fußfesseln am Bett. Eine Spritze gibt’s gleich dazu. Wie in den Serien!

»Dreiborn, Kirchberg … scheinbar ist es überall wie in den Serien«, sagst du … und grinst dabei blöd. Voll der Macker eben …

Shirley platzt fast vor Wut. Ob du ihr etwa nicht glaubst.

»Doch, doch!«, sagst du.

Dann sollst du ihr auch in die Augen schauen! Das hast du dann auch gemacht … und bist rot geworden, du Loser!

»Du lügst!«, sagt sie.

»Nein! Du lügst!«

Es ist nur … du schaust den Menschen nicht gern in die Augen. Shirley lacht. Sie bekommt einen Hustenanfall, weil sie beim Inhalieren den Rauch irgendwie falsch eingeatmet hat. Jetzt hustet und hustet sie.

Dann … ich glaub, du willst wirklich nur helfen … auf ihren Rücken klopfen oder so … klebt sie auf einmal fest an dir. Ganz plötzlich. Sehr eng. Nicht, dass du was dagegen hast … Die ganze Woche hast du von nichts anderem geträumt. Aber es ist Shirley, die damit anfängt. Ganz sicher.

Du hast ihre Haare in der Nase, ihre Titten drückt sie gegen deinen Brustkorb. Und ihre Hüfte, die dreht sie, reibt sie so an deinem Bein … Mann, das dauert richtig …

Dir wird ganz warm. Schrecklich warm. Du schreist. Vor Schmerz brüllst du. Ein Stich, direkt durch deine Schulter. Durchs Herz. Durch die Lungen. Durch …

Du willst aufspringen, aber Shirley hält dich fest. Ihr Husten ist weg. Sie lacht. Überdreht, grell und ein bisschen wie Sandra. Dann reißt du dich los. Du guckst sie mit deinen großen Kalbsaugen an. Ihre Kippe ist komplett zerquetscht. Da ist nur noch ein bisschen Glut vorne an der Spitze. Sie zieht noch mal an ihr, aber sie geht nicht mehr an.

Shirley lacht. Richtig gut gelaunt ist sie. Du hast Tränen in den Augen, vor Schmerzen. Vielleicht auch von was anderem. Du sagst nichts, weißt nicht, was. Ich, ich würde was wissen. Ich würde mehr als nur reden. Aber du? Du bist ein Lappen! Was machst du? Ihr die Schachtel hinhalten! Shirley schüttelt bloß den Kopf.

Ob sie noch einen Zug von deiner Kippe haben kann, fragt sie.

Du gibst sie ihr. Sie nimmt einen sehr langen Zug, aber nur einen. Danach schmeckt die Kippe nach Shirleys Lippenstift.

Leben. Nehmen.

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