Читать книгу Fair Play - Туве Янссон, Amanda Li - Страница 6

ÜBER DIE IDEE DES JÄGERS

Оглавление

Die Schäre war wie ein Atoll geformt: Felsen, die eine seichte Lagune umfingen, einen Gumpen mit einer schmalen Passage hinaus zum Meer. Bei Ebbe wurde der Gumpen zu einem See, wo die Seehunde früher, bevor sie erschossen worden waren oder sich in ruhigere Gegenden verzogen hatten, ihren Spielplatz gehabt hatten. Inzwischen war er das Kinderzimmer der Eiderenten.

Auf der einen Seite des Gumpens lag das kleine Haus, auf der anderen hatten die Seevögel ihr Revier. Die Guanostreifen auf dem Felsen waren weiß wie Schnee, und weiß wie Schnee waren auch die brütenden Möwen und Seeschwalben und die langen üppigen Borten aus Margeriten in sämtlichen Felsspalten.

Auf dem höchsten Punkt des Felsens residierten zwei Mantelmöwen, gewaltige Vögel mit schwarzen Flügeln und Raubvogelschnäbeln. Ihre deutliche Abgeschiedenheit von der restlichen Siedlung wirkte überlegen, verächtlich. Hin und wieder begab sich einer von ihnen, wie aus Zerstreutheit, den Felshang hinunter, um ein Eiderjunges zu verschlingen, dann stieg jedes Mal eine Wolke aus Hunderten von schreienden Vögeln auf, die einer um den anderen im Sturzflug über den Räuber hinwegschossen – aber nie zu nah. Und der Herr der Insel schnappte zerstreut nach ihnen und kehrte zu seinem Revier zurück, wo er dann regungslos verharrte wie eine vornehme Skulptur auf dem höchsten Punkt des Atolls.

Jonna hatte Eiderjungen gern, vor allem seit eines sich zum Haus herauf verirrt und darauf bestanden hatte, hinter ihr herzulaufen. Schließlich war es ihr gelungen, das Junge in einen Korb zu setzen, danach ruderte sie eine Stunde damit umher, bevor eine geeignete Eiderfamilie in Sicht kam, weit genug entfernt vom Revier der Mantelmöwen. Sie sagte: »Eines schönen Tages werde ich diese Raubmöwen erschlagen. Vor lauter idiotischen Vogeljungen kann man hier ja nie in Ruhe arbeiten.«

Eines Morgens ölte Jonna draußen vor dem Haus ihre Pistole, und ohne lang zu überlegen, ließ sie einen Schuss quer über den Gumpen los, auf die statische Silhouette der Mantelmöwe. Ob in der Absicht, sie zu erschrecken oder sie zu treffen, ist ungewiss, auf jeden Fall sank der Vogel zusammen und flatterte von seinem Fels herunter.

Mari hatte nichts gesehen, sie war es gewohnt, dass Jonna immer mal wieder Schießübungen auf Blechdosen machte. Jonna ging hinüber, um dem Vogel den Garaus zu machen, sie war unangenehm berührt, aber gleichzeitig sehr stolz auf die eigene Treffsicherheit; immerhin waren es quer über den Gumpen mindestens hundert Meter. Aber die Mantelmöwe war nirgends zu sehen.

Zwei Tage später kam Mari heraufgerannt. »Jonna«, rief sie, »die Möwe kann nicht fliegen, und laufen kann sie auch nicht, und das Junge weiß nicht, wohin!«

Als sie ans äußere Ufer kamen, war es leer.

Und unvermeidlich kam der düstere Morgen, als Mari die Mantelmöwe tot auf dem Felsen fand, und da war der Vogel schon voller Würmer.

»Typisch«, sagte Jonna, »natürlich musstest du diejenige sein, die den Vogel findet. Nun, also – es tut mir leid. Ich hab ihn erschossen.« Und sie fügte hinzu: »Aus einer Entfernung von hundert Metern.«

»Das hätte ich mir denken können«, rief Mari aus, »das hätte ich wissen müssen! Du hast den königlichen Vogel getötet! Er war schrecklich, aber er gehörte zur Insel, zu uns! Du liebst das Schießen, du kannst es nicht lassen, jetzt kannst du dir ja die Federn nehmen, nimm sie, nimm sie, das sind doch genau die, die du für deine geheiligten grafischen Säurebäder brauchst, nicht wahr?«

»Das war nicht mit Absicht«, fing Jonna an, aber Mari unterbrach sie und vermutete mit unbedachter Grausamkeit, dass das Möwenjunge jetzt auch irgendwann an Land treiben würde. Dann ging sie zum Fischkasten hinunter und protestierte, indem sie Barsche schlachtete; eine Aufgabe, die sie verabscheute und immer Jonna zu überlassen pflegte.

Jonna entfernte die langen Schwungfedern, wusch und trocknete sie und legte sie ganz hinten in die Arbeitskiste. Den ganzen Tag wartete sie auf die unvermeidliche Fortsetzung, aber Mari fing erst nach dem Netzauslegen an, über die Idee des Jägers zu reden. Irgendwo hatte sie gelesen, man könne die Menschen in groben Zügen in Jäger, Gärtner und Fischer einteilen. Der Typ des Jägers, erklärte sie, werde natürlich am meisten bewundert, er gelte als kühn und ein wenig gefährlich. »Du weißt schon, jemand, der mit hohem Einsatz spielt, jemand, der rücksichtslos sein kann und das wagt, was die anderen nicht wagen. Hab ich nicht recht?«

Jonna schnitzte weiterhin an ihrer Netznadel. Nach einiger Zeit bemerkte sie, es müsse doch alle Sorten geben, aber die meisten seien wahrscheinlich eine Mischung aus allen dreien. Oder aus allen fünfundneunzig oder so.

»Jaja, aber es gibt trotzdem typische Fälle von dem, was wir als Jäger bezeichnen. Und die sind als solche geboren.«

»Apropos Möwen«, bemerkte Jonna, »kannst du dich an diese eine mit dem gebrochenen Flügel erinnern, die sich Tag für Tag bis an die Treppe schleppte? Ich vermute, du warst ein Gärtner, als du versucht hast, sie mit Futter zu trösten, das sie nicht einmal fressen konnte, weil sie zu schwach war? Und was weiter – ich hab dem Vieh den Hechtkescher über den Kopf geschlagen, als du anderweitig beschäftigt warst, und der Rest war mit einem Hammer schnell erledigt. Garantiert war der Vogel voller Würmer. Etwas, das schon ganz zerstört ist, lässt sich nicht zusammenflicken. Du warst übrigens erleichtert. Du hast mich bewundert. Das hast du gesagt.«

»Na ja«, gab Mari zu, »aber jedenfalls war das eine ganz andere Geschichte, das nenne ich Beweisführung mit gesuchten Beispielen …« »Es gibt Gelegenheiten«, sagte Jonna ohne zuzuhören, »es gibt Gelegenheiten, da ist ein gesunder Mangel an Rücksicht das einzig Wahre. Wie war es denn damals, als ein paar Typen mit einem erbärmlichen Plastikboot hier anlegten, zu allem hin war das Boot auch noch violett, und unsere Vögel erschießen wollten, bevor es überhaupt erlaubt war?! Besoffen waren sie außerdem, aber das ist keine Entschuldigung. Weißt du noch?«

»Ja, doch, daran erinnere ich mich.«

»Na bitte. Nun, ich bin runter zum Strand und hab ihnen die Meinung gesagt. Keine Wirkung. Sie haben über mich gegrinst und sind mitsamt ihren Gewehren über die Insel getorkelt.«

»Die waren schrecklich«, stimmte Mari zu.

»Das waren sie. Und da hab ich gedacht, im Augenblick wäre das einzig Richtige und Gerechte, ein Loch in ihr Boot zu schießen, das würde ihnen eine Lehre sein, nicht wahr? Ein paar Löcher in die Wasserlinie, päng.«

»Aber wie sind sie dann wieder nach Hause gekommen?!«, rief Mari aus.

»Sie mussten das Boot ausschöpfen. Oder vielleicht hatten sie was zum Stopfen dabei.«

Jonna und Mari schwiegen eine Zeit lang.

»Komisch«, sagte Mari. »Du sagst, das war letztes Jahr?«

»Ja. Oder im Jahr davor. Und das Boot war violett. Lila.«

»Aber bist du ganz sicher, dass du ein Loch reingeschossen hast, oder hast du dir das nur vorgestellt?«

Jonna stand auf und schob die Kiste mit dem gebrauchten Essgeschirr unters Bett. Dann sagte sie: »Vielleicht hab ich mir das nur vorgestellt. Aber die Idee müsste doch klar sein. Eins solltest du verstehen, es muss immer einen Angreifer geben. Einen, der angreift, wenn niemand sonst das wagt. Als Beschützer …«

»Haha!«, rief Mari aus. »Du schaffst es immer wieder, dass ich allem Möglichen zustimme, das nicht zur Sache gehört! Jedenfalls macht es dir Spaß zu schießen!

Gib zu, dass es Spaß macht! In der Mittsommernacht hast du den Schornstein der Sauna durchlöchert, und seither ist die Sauna voller Rauch. Hab ich da ein Wort verloren? Nein. Aber ich verabscheue diese Pistole, das lass dir ein für alle Mal gesagt sein!«

Mari nahm den Abfalleimer und ging nach draußen.

Nach einer Weile kam sie zurück.

»Jonna, die sind wieder da. Dieses violette Plastikboot. Kannst du mal runtergehen und mit ihnen reden?«

»So eine Frechheit«, sagte Jonna. »Aber vielleicht kommen sie ja, um sich zu entschuldigen. Womöglich bringen sie sogar Wasser mit. Oder Brennholz. Warte, ich geh mal runter und schau nach.«

Als Jonna die Strandwiese schon halbwegs überquert hatte, kam Mari hinter ihr hergerannt. »Nimm die hier«, sagte sie. »Man kann nie wissen.« Und damit reichte sie Jonna die Pistole.

Fair Play

Подняться наверх