Читать книгу Fair Play - Туве Янссон, Amanda Li - Страница 7
KATZENFISCH
ОглавлениеDer Sommer war schon im Juni angekommen. Immer noch ging Jonna langsam von Fenster zu Fenster und glaubte, das würde niemand merken, klopfte ans Barometer, trat vors Haus, ging auf die Landzunge hinaus und kam wieder herein, machte die eine oder andere Bemerkung über Dinge, die nicht ordentlich erledigt worden waren, schimpfte über die verdammten Möwen, die immer nur kreischten und kopulierten, und teilte ihre Ansicht über das Lokalradio mit, das so unglaublich idiotische Sendungen brachte, zum Beispiel über Amateure, die Ausstellungen machten und sich für Gott weiß was hielten. Und die ganze Zeit war gnadenlos schönes Wetter.
Mari sagte nichts, was sollte sie schon sagen.
Schließlich fing Jonna an, ihre große unantastbare Barrikade gegen den Beruf zu bauen, das ›Leiden am Beruf‹; mit kleinen, fein geschliffenen Werkzeugen begann sie kleine erlesene Gegenstände aus Holz zu formen, immer kleiner und kleiner, schöner und schöner. Sie fuhr zu den westlichen Inseln, um im Wald Wacholderholz zu suchen, sie wanderte an den Ufern entlang und sammelte Angeschwemmtes, ungewöhnliche Holzarten, ungewöhnliche Formen, die zu einer Idee führen könnten. Alles wurde in symmetrischen Stapeln auf der Hobelbank geordnet, die kleineren, die größeren, jedes von der See geschliffene Holzstück mit seinen ganz eigenen speziellen Möglichkeiten, einen daran zu hindern, Bilder zu machen.
An einem dieser Tage saß Jonna auf dem Felsen und verpasste einer ovalen Holzdose den letzten Feinschliff; sie behauptete, es sei afrikanisches Holz, hatte den Namen aber vergessen.
»Kriegt sie auch noch einen Deckel?«, fragte Mari.
»Natürlich.«
»Hast du schon immer mit Holz gearbeitet? Damit meine ich nicht Holzschnitt oder Holzstich, sondern richtig?«
Jonna legte die Dose weg. »Richtig«, wiederholte sie. »Na, das war ein glorioser Kommentar! Versuch jetzt bitte zu begreifen, dass ich spiele. Und ich habe vor, weiterzuspielen. Hast du vielleicht etwas dagegen?«
Die Katze kam heran, setzte sich vor Mari und Jonna hin und starrte sie unverwandt an.
»Fisch«, sagte Mari. »Wir sollten das Netz einholen.«
»Und was passiert, falls ich nur noch spiele? Nichts anderes mehr mache, bis ich sterbe? Was sagt ihr dann?«
Die Katze schrie, ziemlich ärgerlich.
»Und die Ambitionen«, sagte Mari, »was machst du damit?«
»Nichts. Überhaupt nichts.«
»Was ist, wenn du es nicht lassen kannst?«
»Das kann ich. Begreifst du denn nicht, dafür ist keine Zeit mehr. Unentwegt dranbleiben, beobachten, nichts als beobachten, bis zur Verzweiflung beobachten, Bilder, die keinen Fliegenschiss bedeuten, bevor man sie ausführt, sie ändert, das soll für ein Leben reichen, für das einzige Leben, das man hat? Übrigens sehe ich keine mehr. Hab ich nicht recht?«
»Doch«, sagte Mari. »Du hast recht.«
Der Himmel hatte sich zugezogen, es lag Regen in der Luft. Die Katze maunzte noch einmal.
»Fisch«, sagte Mari. »Das Katzenfutter ist alle.«
»Das Netz kann doch bis morgen liegen bleiben.«
»Nein. Was ist, wenn der Wind zunimmt? Dann bleibt es am Grund hängen, voller Seegras. Du weißt doch – Onkel Torstens letztes Netz.«
»Okay, okay«, sagte Jonna. »Das heilige Netz von deinem Onkel Torsten, das er mit neunzig geknüpft hat.«
»Mit über neunzig. Wir haben es nicht richtig ausgelegt. Ich weiß, dass wir es zu nah an Land ausgelegt haben, dort gibt es nichts als Steine.«
Die Katze begleitete sie bis ans Ufer. Jonna ruderte und Mari saß hinten im Boot, um einzuholen. Der Schwimmer war weit hinter die Landzunge hinausgetrieben. Wind war aufgekommen.
»Wir kommen nicht vom Fleck«, sagte Jonna, »siehst du das nicht? Wir stampfen auf der Stelle, dein Onkel und sein verflixtes Netz …«
»Red nicht so viel. Es war das Letzte, was er gemacht hat. Ein bisschen mehr nach rechts, nein, nein, anders herum! Bremsen, leicht bremsen … Jetzt hab ich es.« Mari holte die Leine ein und erwischte die Netznadel. »Genau wie ich gesagt hab, es hat sich am Grund festgehakt. Halte gegen den Wind … im Kreis rudern. Nicht rudern! Bremsen! Das ist ja hoffnungslos. Und dabei ist es sein letztes Netz.«
»Jaja«, sagte Jonna, »schön, großartig, es kommt nicht rauf, und wenn es nicht raufkommt, dann kommt es eben nicht rauf. Ich ruder ja im Kreis, ich ruder im Kreis! Was willst du!«
Mari hielt das Netz mit beiden Händen und spürte, wie es riss und dort unten zwischen den Steinen auf dem Grund zerfetzt wurde. Alles, was sie eingeholt hatte, glitt von der Netznadel und landete in einem einzigen wirren Haufen auf dem Bootsboden, und Jonna rief: »Lass es los, gib’s auf!« Dann rutschte alles über die Reling zurück, bis die Netznadel den Schwanz hochstreckte und verschwand.
Jonna ruderte gegen den Wind zurück und krachte mit dem Bug an den Felsen; dort saß die Katze und schrie. Sie vertäuten nichts, blieben nur auf den Ruderbänken sitzen. Im Süden war das Meer schwärzer geworden, inzwischen ging ein ziemlich heftiger Wind.
»Na und? Na und?«, sagte Jonna. »Hör auf, um ein Netz zu trauern, traure lieber um alles andere, das kaputt geht und nie mehr geflickt werden kann. Deinem Onkel hat es Spaß gemacht, Netze zu knüpfen, das war etwas, worüber er Bescheid wusste und das er konnte, für ihn war das friedlich und vertraut, ich bin mir sicher, wenn er in diesen Schuppen ging, von dem du erzählt hast, schloss das alles andere für ihn aus, und auch alle anderen … Er dachte nicht an Fisch, daran am allerwenigsten, und nicht an dich, der er die Netze schenken würde, er hatte einfach seine Ruhe und arbeitete an etwas, das ihm gehörte und sonst keinem. Hab ich nicht recht? Um Ambitionen kümmerte er sich nicht mehr.«
»Scheiß auf Ambitionen«, sagte Mari, »das, worüber ich rede, hat mit Lust zu tun, Lust auf etwas, das man nicht bleiben lassen kann.«
»Was denn bleiben lassen?«
»Das weißt du genau.«
»Na und, was weiter? Diese Bilder. Sie ertrinken. Sie ertrinken und verlieren sich in Millionen von anderen Bildern. Und die meisten von ihnen sind total unnötig und außerdem viel zu anspruchsvoll.« Etwas ruhiger fügte Jonna hinzu: »Ich meine die der anderen. Meistens.«
Das Gewitter kam näher. Eine große fremde Szenerie zog übers Meer, bisher noch nie in solcher Pracht geschaut und vielleicht auch so nie mehr wiederholt. Der Himmel kam als ein fein gezeichneter Vorhang aus örtlichen Gewitterschauern auf sie zu, jeder Einzelne mit seiner eigenen leichten Gardine. Die Beleuchtung ging in unterirdisches Gelb über, die Unterwasserriffs waren bengalisch grün geworden. Recht bald würde alles nur grauer fallender Regen sein.
»Versorg das Boot«, rief Jonna. Sie sprang an Land und rannte zum Haus hinauf.
Mari vertäute die Victoria, zwei Sicherheitsleinen an der nördlichen Seite und zwei an der südlichen. Sie ging hinauf und sah von oben, dass der Regenvorhang näher gekommen war, aber langsam. Jonna hatte reichlich Zeit, die erste entscheidende Skizze zu machen.