Читать книгу Die Tochter des Bildhauers - Туве Янссон - Страница 7

FESTE

Оглавление

Manchmal wachte ich nachts von der schönsten Musik der Welt auf, nämlich von Balalaika- und Gitarrenklängen. Papa spielte Balalaika und Cawan Gitarre, sie spielten sehr behutsam, beinahe flüsternd, beide wie in weiter Ferne, dann kamen sie näher und machten sich gegenseitig Platz, sodass mal die Gitarre an die Reihe kam und mal die Balalaika.

Es waren milde, wehmütige Weisen von Dingen, die immer nur weitergehen und weitergehen und an denen man nichts ändern kann. Dann wurden sie wild und übermütig, und Marcus zerschmetterte sein Glas. Aber mehr als eines zerschmetterte er nie, und Papa sorgte dafür, dass er immer ein Glas von der billigsten Sorte bekam. Ein grauer Nebel aus Tabaksrauch hing oben auf meinem Schlafregal unterm Dach und machte das Unwirkliche nur noch unwirklicher. Wir befanden uns draußen auf dem Meer oder vielleicht inmitten hoher Berge, und ich hörte, wie sie sich durch den Nebel zuschrien, einzelne Sachen fielen herunter, und hinter den heftigeren Geräuschen die Balalaika und die Gitarre in schwächeren oder stärkeren Wellen.

Ich liebe Papas Feste. Die Feste können viele Nächte lang andauern, man wacht auf und schläft wieder ein, wird vom Rauch und von der Musik geschaukelt, und dann ein plötzliches Gebrüll, das durch die Wärme hindurch mit Eiseskälte bis an die Zehen dringt.

Es lohnt sich nicht, hinunterzugucken, denn dann verschwindet all das, was man sich vorgestellt hat. Jedes Mal ist es dasselbe. Von oben gesehen sitzen sie im Sofa oder auf den Stühlen, oder sie gehen langsam im Salon auf und ab. Cawan kauert über der Gitarre, als wolle er sich in ihr verstecken, seine Glatze schwimmt wie ein blasser Fleck im Nebel, und er sinkt immer tiefer und tiefer. Papa ist sehr aufrecht und blickt geradeaus. Die anderen nicken ab und zu ein, feiern macht nämlich sehr müde. Aber nach Hause gehen sie nicht, es ist sehr wichtig, dass man versucht, der Letzte zu sein. Papa gewinnt meistens, er bleibt bis zuletzt. Wenn alle anderen schlafen, bleibt er sitzen und schaut und denkt, bis der Morgen anbricht.

Mama feiert nicht, sie muss aufpassen, dass die Petroleumlampe im Schlafzimmer nicht rußt. Das Schlafzimmer ist unser einziges richtiges Zimmer außer der Küche, das heißt, es hat eine Tür. Aber keinen Kachelofen. Daher muss die Petroleumlampe die ganze Nacht brennen, damit das Zimmer warm bleibt. Wenn man die Tür öffnet, kommt Tabakrauch ins Schlafzimmer, dann bekommt Per Olov Asthma. Das mit dem Festefeiern ist viel schwieriger geworden, seit ich einen Bruder bekommen habe, aber meine Eltern tun trotzdem ihr Bestes.

Am schönsten ist der Tisch. Manchmal stehe ich auf und schaue über die Balustrade auf den Tisch hinunter und kneife dabei die Augen zu, und da entsteht aus Glas und Licht und all den Sachen, die auf dem Tisch herumliegen, ein Schimmer, der eine Einheit erzeugt wie auf einem Gemälde. Die Einheit ist sehr wichtig. Manche bilden die Sachen nur ab und vergessen die Einheit. Ich weiß Bescheid. Ich weiß viel, sage es aber nicht.

Alle Männer feiern und sind Kumpane, die sich nie im Stich lassen. Ein Kumpan kann fürchterliche Sachen sagen, aber am nächsten Tag sind sie vergessen. Ein Kumpan verzeiht nicht, er vergisst ganz einfach, und eine Frau verzeiht alles, aber vergisst nie. So ist das. Das ist auch der Grund, warum Frauen nicht feiern dürfen. Es ist sehr unangenehm, wenn einem verziehen wird.

Ein Kumpan äußert nie etwas, das klug wäre oder sich lohnen würde, es am nächsten Tag zu wiederholen. Er spürt ganz einfach, dass jetzt gerade nichts besonders wichtig ist.

Einmal spielten Papa und Cawan mit dem Flugzeug, das man mit einem Katapult abschießen kann. Ich glaube nicht, dass Cawan begriff, wie es konstruiert war, er schoss nämlich in die verkehrte Richtung, und das Flugzeug flog in seine Hand, mit dem Haken mitten durch. Es war fürchterlich, und das Blut floss über den ganzen Tisch, und dann konnte er nicht einmal seinen Mantel anziehen, weil das Flugzeug nicht durch den Ärmel ging. Papa tröstete Cawan und brachte ihn ins Krankenhaus, wo sie den Haken mit einer Beißzange abzwickten und das Flugzeug in ihrem Museum ausstellten.

Auf einem Fest kann einfach alles passieren, wenn man sich nicht vorsieht:

Wir feiern nie im Atelier, nur im Salon. Im Salon gibt es zwei hohe Fenster, die oben in ernsten Bögen enden, und das ganze, mit vielen Schnörkeln verzierte Mobiliar meiner Großeltern aus gemasertem Holz. Die Möbel erinnern Mama immer ans Land; auf dem Land ist alles so, wie es sein soll.

Anfangs passte sie sehr gut auf die Möbel auf und wurde traurig, wenn Zigarettenlöcher und Ringe von Gläsern entstanden, aber inzwischen ist ihr klar, dass es gerade auf die Patina ankommt.

Mama weiß genau, wie man Feste feiern muss. Sie deckt keine Tische, und sie lädt auch keine Leute ein. Sie weiß, dass nur die Improvisation die richtige Stimmung erzeugen kann. Das ist ein schönes Wort. Papa begibt sich auf die Suche nach Bekannten. Bekannte können jederzeit und überall auftauchen. Manchmal ist keiner zu finden. Aber oft sind sie da. Und dann kriegt man plötzlich Lust, irgendwo hinzugehen. Und man landet auch irgendwo. Das ist wichtig.

Dann sagt man, so, jetzt wollen wir mal schauen, was es so in der Speisekammer gibt. Und man begibt sich leise hin und schaut nach – und da gibt es einfach alles! Man findet die teure Wurst, Flaschen, Brotlaibe, Butter, Käse und sogar Mineralwasser und trägt alles in den Salon und improvisiert. Mama hat alles bestens vorbereitet.

Mineralwasser ist übrigens gefährlich. Davon bekommt man Blasen im Bauch, und das kann einen sehr melancholisch stimmen. Mischen darf man nie.

Mit der Zeit erlöschen alle Kerzen auf der Balustrade, und das Wachs träufelt aufs Salonsofa hinunter. Auf die Musik folgen die Kriegserinnerungen. Da warte ich erst ein Weilchen unter der Bettdecke, aber jedes Mal wenn sie den Korbstuhl angreifen, muss ich doch wieder gucken. Papa holt sein Bajonett, das im Atelier über den Gipssäcken hängt, und alle springen auf und schreien, und dann greift Papa den Korbstuhl an. Tagsüber ist der Korbstuhl mit einem handgeknüpften Teppich bedeckt, damit man nicht sieht, was aus ihm geworden ist. Nach dem Angriff auf den Korbstuhl will Papa nicht mehr Balalaika spielen. Dann schlafe ich ein.

Am nächsten Tag sind alle noch da und versuchen mir schöne Sachen zu sagen. Guten Morgen, holde Maid, Liebliche im Blütenkleid … Mama bekommt Geschenke. Ruokokoski schenkte ihr ein halbes Pfund Butter, und einmal bekam sie sogar zwanzig Eier von Sallinen.

Morgens ist es sehr wichtig, nicht allzu spürbar mit dem Aufräumen anzufangen. Und wenn man traurige frische Luft hereinlässt, ist es kein Wunder, wenn sich die Leute erkälten oder niedergeschlagen werden. Es ist wichtig, den Übergang zu einem neuen Tag sehr langsam und freundlich zu gestalten. Bei Tageslicht wird manches anders, und wenn der Unterschied zu krass ausfällt, kann das alles kaputt machen. Man muss ungestört auf und ab gehen und sich nachdenklich fragen können, wonach man sich eigentlich sehnt.

Am nächsten Tag sehnt man sich immer nach etwas, aber man weiß nicht genau wonach. Schließlich kommt man zu dem Ergebnis, dass es vielleicht Hering sein könnte. Und dann geht man in die Speisekammer und findet tatsächlich Hering.

Dann geht der Tag ganz still weiter und wird zu einem neuen Abend, vielleicht mit neuen Kerzen. Alle gehen sehr behutsam miteinander um, sie wissen, wie wenig nötig ist, um das Gleichgewicht zu stören.

Ich gehe ins Bett und höre, wie Papa die Balalaika stimmt. Mama zündet die Petroleumlampe an. Im Schlafzimmer haben wir ein ganz rundes Fenster. Außer uns hat niemand ein rundes Fenster. Man kann über alle Dächer und über den Hafen hinausblicken, und alle Fenster werden allmählich schwarz, nur eines bleibt hell, das Fenster unterhalb von Viktor Eks großer leerer Brandmauer. Dort brennt die ganze Nacht Licht. Vielleicht feiern sie dort auch. Oder vielleicht illustrieren sie.

Die Tochter des Bildhauers

Подняться наверх