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1. Kapitel 1936 - 1938

Berlin – Neukölln, Müggelheim, Potsdam, Kattowitz O.S.

Als das 14jährige Schulmädchen Cordula in Begleitung ihrer älteren Schwester Agnes die Treppe zur elterlichen Wohnung hochstieg, fühlte sie sich sehr erwachsen und wichtig. Sie kam gerade von ihrer Einsegnung und hatte noch ihre Tante Grete besuchen sollen, die leider nicht zu diesem Fest kommen konnte, da sie krank lag. Die Tante hatte ihr ein großzügiges Geschenk gemacht: einen neuen Petticoat und noch 10 RM, worüber sich das Mädchen sehr gefreut hat. Die anderen Gäste, die mit in der Kirche waren, sind schon mit den Eltern voraus gegangen und halfen den festlichen Tisch zu decken und nach dem Braten zu sehen, den die Mutter den Tag zuvor mit ihren drei Töchtern vorbereitet hatte. Alle waren festlich gekleidet und festlich gestimmt. Ein Familientag auf den sich alle gefreut hatten, zu dem auch Gäste kamen, die nicht in Berlin wohnen und die man selten sah. Es wurden Tische und Stühle gerückt, die Platzkärtchen umgetauscht und alle waren in guter Stimmung. Es war ein wunderbarer Vorfrühlingstag, aber doch noch recht frisch, darum hatte das Einsegnungsmädel sich den Wintermantel mitbringen lassen und ihn über das schwarze Taftkleid gezogen. Das Kleid hatte einen großen Ausschnitt und eine weiße Seidenschleife vorne. Sie sah reizend darin aus und plötzlich viel erwachsener. Die schwarzen, neuen Schuhe hatten einen kleinen Absatz, den sie dem Vater abgeschmeichelt hatte, der auf praktische und solide Schuhe von Salamander bestand und Schuhe mit höheren Absätzen Trittchen zu nennen pflegte. Ihren hübschen Blumenstrauß hatte sie in Zeitungspapier eingeschlagen es musste ja nicht gleich jeder auf der Straße sehen, dass sie von der Kommunion kam. Cordula fühlte sich jetzt den Erwachsenen zugehörig, worauf sie sehr stolz und glücklich war. Sie legte schon immer auf gute Kleidung und gutes Aussehen großen Wert. Im elterlichen Haus begegnete ihnen auf der Treppe ein Herr, der es eilig hatte runterzukommen, sich aber die Zeit nahm, die beiden hübschen jungen Mädchen zu betrachten und freundlich zu grüßen. „Kennst Du den“? fragte Agnes ihre kleine Schwester, aber Cordula war viel zu sehr mit ihrer eigenen wichtigen Person beschäftigt und hatte gar nicht darauf geachtet. Wie konnte sie auch nur ahnen, dass sie gerade ihrem späteren Ehemann begegnet war.

In der Wohnung der Eltern waren die Gäste dabei, um den großen, ausgezogenen Tisch ihre Plätze einzunehmen. Die Unterhaltung war lebhaft und im vollen Gange, zumal noch inzwischen Cousins und Cousinen dazu gekommen sind, welche die gerade eintretenden jungen Damen mit großem Hallo begrüßten. Man hatte sich lange nicht gesehen und so gab es viel zu erzählen und man tauschte die letzten Ereignisse im Familien- und Freundeskreis aus. Da gab es Geburten, Hochzeiten, Scheidungen, der eine war dicker geworden, die andere dünner, man sprach über eine neue Arbeitsstelle oder auch über das Rentner Dasein. Von den letzten Urlaubsreisen wurde berichtet und Reiseerfahrungen ausgetauscht. Die Hausfrauen klagten über die ansteigenden Lebensmittelpreise auch über neue Back- und Kochrezepte wurde debattiert. Die Erwachsenen hatten Probleme mit den lieben Kinderchen und diese ebensolche mit den Eltern.

Der älteste der Cousins war ein angehender Student der Medizin, der mit einer vollendeten Verbeugung dem eingesegneten Cousinchen sein Geschenk überreichte. Als Cordula völlig überrascht aus dem Umschlag einen 50 RM Schein zog und sich bei ihm bedanken wollte, benutzte der junge Mann die Gelegenheit, das hübsche junge Mädchen gegen die Wand zu pressen und ihr einen Kuss zu stehlen. „Aber Kurt Heinrich“ sagte sie verlegen, „lass das, es gehört sich doch nicht.“ Aber der junge Mann hatte nun mal ein Auge auf sie geworfen und nahm sich vor, sie künftig im Auge zu behalten. Der andere Cousin, ein aufgeschossener pickliger Jüngling, der schon eine Lehre angefangen hatte, versuchte auch einen Kuss zu bekommen, so dass Cordula zu der Überzeugung kam, dass das wohl zu einer Einsegnung und dem Erwachsensein gehörte.

Die Freunde der beiden älteren Schwestern waren gekommen und Agnes stellte jetzt ihren festen Freund vor, den sie bei einem Tanzvergnügen kennengelernt hatte in einem Dorf bei Potsdam, wo er aufgewachsen war. Er lernte dort Automechaniker in der Werkstatt seines Vaters. Er war das erste Mal in der Familie Holtei eingeladen, obwohl sie schon eine ganze Weile mit einander gingen, wie es hieß. Aber Herr Holtei konnte sich wohl noch nicht an den Gedanken gewöhnen, dass schon eine von seinen drei Töchtern einen festen Freund hatte. Die beiden jüngeren Mädchen, die danach kamen, hatten es dann nicht mehr ganz so schwer. So sagte Agnes später dann immer, dass sie den Weg für ihre Schwestern freigekämpft hätte.

Agnes erzählte lachend zu Haus wie es ihr erging, als sie vom Tanzvergnügen kamen und dieser gut aussehende junge Mann sie bat, einen Augenblick zu warten, er wolle seinen Wagen holen, um sie nach Hause zu fahren. Sie stand nun und wartete auf einen Bauernwagen mit einem Pferd davor, wie verblüfft sie aber war, als ein schnittiges Auto um die Ecke bog und vor ihr hielt. Agnes war total überrascht. Das hätte sie nie erwartet. Sie hoffte nun, dass der Vater mit ihrer Wahl einverstanden sein würde. Sie war schließlich schon 21 und damit volljährig. Sogar ein Motorrad hatte der Freund, mit dem sie später viele Fahrten unternahmen und in den Urlaub fuhren. Sie war begeistert. Damit kamen sie sogar einmal Cordula besuchen, die in einem Landschulheim war und Heimweh hatte nach Hause. Werner, der Freund von Agnes, drehte dann mal eine Runde mit Cordula auf dem Sozius, was sie richtig toll fand.

Elisa, die zweite Tochter, war ein schmales, zierliches Mädchen und ein bisschen schüchtern. Sie hatte sich noch nicht entschieden und so waren denn ein paar Jünglinge aus ihrer Malklasse da und ebenso der junge Professor, der den Unterricht gab. Den verfolgte sie mit ihren Augen und wurde rot, wenn er sie ansprach. Er war aber sehr angetan von seiner hübschen Schülerin und verstand es so einrichten, dass er neben ihr saß an der Kaffeetafel und mit ihr sprechen konnte.

Es war eine bunte und lustige Gesellschaft, nur die Mutter hatte Sorge, dass ihr Essen und der Kuchen nicht ausreichen würden. Aber es war von allem genügend da. Der Braten schmeckte vorzüglich, es gab Klöße und verschiedenes Gemüsesorten und zum Nachtisch einen leckeren Vanillepudding mit Kirschen. Es gab Eiscreme, was das junge Mädchen, das gefeiert wurde, ganz besonders liebte. Alles war reichlich da und von den selbstgebackenen Mohn- Käse- und Streuselkuchen bekam, wer mochte, noch ein Stückchen zum Mitnehmen eingepackt. Da einige der Gäste von außerhalb kamen, begann der Aufbruch schon bald nach dem Kaffee und es wurde zum Abschied geherzt, umarmt und geküsst und Verabredungen zum Wiedersehen getroffen.

In der Schule wurden die jungen Damen nun gesiezt und hatten jetzt neue Themen worüber sie kichern und schwatzen konnten. Natürlich wurden die Einsegnungsfeiern in den Familien besprochen, die Geschenke beschrieben und was man sich für das erhaltene Geld vielleicht kaufen würde.

Die eine oder andere hatte schon einen Freund, worüber ausgiebig diskutiert wurde. Cordula versuchte hier mitzuhalten, was ihr nicht immer gelang, und um einen Freund hatte sie sich nun schon überhaupt keine Gedanken gemacht. Aber wenn sie ehrlich war, musste sie sich eingestehen, dass sie doch schon öfter einen Blick auf den Schulfreund ihres Cousins geworfen hatte, die sie beide manchmal auf dem Schulweg getroffen hatte. Leider hatte dieser sie gar nicht beachtet und sie war zu schüchtern, um sich bemerkbar zu machen.

Als Cordula einmal an einem späten Nachmittag aus der Schule kam und den Kindern in der Straße beim Völkerballspiel zusah, lehnte sie an der Haustür, die einen ungewöhnlich schönen gläsernen Einsatz besaß und hatte die Schultasche neben sich gestellt. Plötzlich ging die Tür hinter ihr auf und fast wäre sie dem Herrn in die Arme gefallen, der heraus trat. Er war sehr bestürzt und erkundigte sich verlegen: „haben Sie sich auch nicht weh getan, gnädiges Fräulein? Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse, wegen meiner Ungeschicklichkeit.“

Cordula war entzückt über diese Anrede und konnte ihm nun wirklich nicht böse sei, zumal sie in ihm den Herrn erkannte, den sie neulich auf der Treppe getroffen hatten. Diesmal sah sie ihn sich etwas genauer an und fand ihn eigentlich doch schon ein bisschen alt. Aber er sah gut aus, war gut gekleidet und wie sie eben feststellen konnte, war er sehr höflich.

Peter Rohland hatte sich bereits bei seiner Wirtin über die beiden jungen Damen erkundigt, die er auf der Treppe neulich getroffen hatte und die, wie er glaubte, zu Besuch kamen, mit einem Blumenstrauß in der Hand. Wie er nun erfuhr, gehörten sie zu der Nachbarsfamilie, die ebenfalls im 2. Stock wohnte, wo er das möblierte Zimmer gemietet hatte. Er musste sich gestehen, dass er sich in das zierliche, blonde Schulmädchen verliebt hatte, obwohl die ältere Schwester altersmäßig wohl besser zu ihm gepasst hätte, wie seine Wirtin ihm riet. Er hatte gerade seinen 29.Geburtstag hinter sich und diskutierte lange mit seiner Wirtin, einer Offizierswitwe aus dem 1.Weltkrieg, über die eigenen Möglichkeiten, die sich einem heiratsfähigen jungen Mann hier in Berlin boten.

Er kam aus Oberschlesien, wo seine Eltern und Geschwister lebten, und war der jüngste Sohn von zehn Kindern. Seine älteren Brüder hatten, wie er studiert, und waren, wie der Vater, im Bergbau in sehr unterschiedlichen Positionen tätig. Die Schwestern waren zum Teil noch zu Hause oder bestens verheiratet und sogar schon mit Kindern. Die Familie lebte in guten Verhältnissen, die Töchter und Söhne hatten neben Ausbildung oder Beruf alle ihre besonderen Freizeitbeschäftigungen, wozu man heute Hobbies sagt, fuhren zum Skilaufen, spielten Tennis, gingen zu Tanzfesten und Bällen, die meistens in den Häusern abgehalten wurden, und es gab jede Menge Einladungen. In Oberschlesien war es noch leicht und billig gutes Personal für den Haushalt zu bekommen, so dass Feiern und Veranstaltungen privat in den eigenen Häusern stattfanden. Da gab es das Zimmermädchen, die Köchin, den Gärtner, die Amme und das Kindermädchen. Später dann auch einen Fahrer, als man sich in den 30iger Jahren ein Auto anschaffte.

Peters Mutter, eine kleine, zierliche Person, fuhr nach jeder ihrer zehn Geburten in ein Bad, um sich wieder zu erholen. Sie wusste zu Hause die Kinder mit dem Kindermädchen gut versorgt und das Baby von einer Amme gestillt. Der Haushalt lief weiter geordnet mit der Köchin und den übrigen Angestellten. Peters Vater war ein großer stattlicher Mann, der seine Familie sehr liebte und auf Strenge und Ordnung achtete. Durch die vielen jungen Leute und ihre Freunde, gab es ständig Feste, Geburtstagsfeiern und Tanzvergnügen in dem großen Haushalt. So war es, verständlich, dass sich Peter jetzt in Berlin ein wenig einsam und allein fühlte.

Nach seinem Studium hatte er eine Weile im oberschlesischen Schloss des Fürsten Pless die fürstlichen Kinder beaufsichtigt, mit ihnen Schularbeiten gemacht, Gedichte und Vokabeln gelernt und im Schlossgarten Tennis und Rasenkrokett gespielt. Es war eine frohe und unbekümmerte Zeit, aber als die beiden ältesten Töchter anfingen, sich in den gut aussehenden jungen Mann zu verlieben, war für ihn der Zeitpunkt gekommen, sich nach einer ernsthafteren Beschäftigung umzusehen.

Er meldete sich dann zum Arbeitsdienst, den es jetzt im Nazideutschland gab, wo es ihm zwar nicht besonders gefiel, aber er fand dort einen neuen Freund, der ihm, durch die Beziehungen des Vaters, in Berlin eine gute Position in der Niederlassung der Deutschen Gold- und Silberscheide-Anstalt besorgt hatte. Könnte er nicht hier in dem großen Berlin auch eine passende Frau finden?

Der junge Oberschlesier fand die Berliner sehr aufgeschlossen und großstädtisch freundlich. Nach einigen durchgrübelten Nächten fasste er den Entschluss etwas zu tun, um das junge Mädchen näher kennenzulernen.

Am nächsten Wochenende klingelte er an der Wohnungstür der Nachbarsfamilie und fragte die Hausfrau, ob er als neuer Nachbar seinen Antrittsbesuch machen dürfte. Obwohl das in Berlin unüblich war, bat man ihn herein und bot ihm einen Sitzplatz an. Das Ehepaar Holtei war nicht wenig erstaunt, als sie merkten, dass es dem jungen Mann um ihre jüngste Tochter ging, die ja noch ein Schulkind war. Er hatte ihnen aber seine Herkunft erklärt, von seinen Eltern und Geschwistern erzählt, sein gutes Gehalt erwähnt und die Absicht, das große Berlin kennenzulernen, wozu er gerne die Tochter eingeladen hätte, denn er selber kannte Berlin auch noch wenig.

Die Holtei-Familie war erst kürzlich aus Potsdam nach Berlin zugezogen, wo der Vater eine der Ullstein Filialen übernommen hatte. Diese lag in der Nähe der Wohnung, von wo Herr Holtei sie leicht zu Fuß erreichen konnte. Die beiden erwachsenen Töchter machten eine Lehre in einem Verlag, wobei die zweite Tochter Elisa doch mehr zur Kunst und Malerei tendierte, nun bereits privaten Malunterricht bekam und deswegen mit der Lehre nicht recht zufrieden war. Die dritte Tochter war sehr musikalisch und liebte es, mit den Eltern jeden Monat in die Oper zu gehen. Aber erst sollte sie das Abitur machen und dann würde man weiter sehen. Nach längerem Zögern waren die Eltern in dem Gespräch mit dem jungen Oberschlesier dann soweit einverstanden, dass der junge Mann die jüngste Tochter Cordula sonnabends um 16 Uhr abholen durfte, sie dann aber pünktlich um 19 Uhr wieder zu Hause abliefern sollte. Womit er sich hier jetzt zufrieden gab.

Peter R. war selig und konnte den nächsten Sonnabend kaum erwarten. Er hatte bisher seine freie Zeit alleine verbracht, nun machte er Pläne, was man in Berlin alles unternehmen könnte. Da er noch nicht wusste, woran das junge Mädchen interessiert war, informierte er sich über die vielen Möglichkeiten, die sich in dieser Großstadt boten und zu erleben gab. Er war aufgeregt vor der ersten Verabredung, kleidete sich sorgfältig, ging zum Friseur und achtete auf seine Hände.

Die Stadt Kattowitz O.S. in der er aufgewachsen war, mit dem Gepräge einer ausgesprochenen Industriestadt, mit überwiegend deutschen Einwohnern, gehörte erst seit 1921 zu Polen, obwohl es bei der Volkabstimmung für das Deutsche Reich gestimmt hatte. Aus diesem Grund mussten viele gebürtige Deutsche jetzt Polen verlassen, weil sie für Deutschland optiert hatten. Das traf auch auf seine Familie zu, wovon einige seiner Geschwister bereits ihre Heimat verlassen hatten, um in Deutschland zu arbeiten und zu leben.

Cordula war etwas verlegen, als sie dann von Peter abgeholt wurde und er ihr vorschlug, zum Tempelhofer Flughafen zu fahren, wo man vor einem Café am Rollfeld sitzen und bei Kaffee und Kuchen die startenden und ankommenden Flugzeuge beobachten konnte. Das hatte sie noch nie gesehen und es gefiel ihr. Bald schon verlor sie bei ihrer Unterhaltung ihre Schüchternheit und fand es schön, mit diesem aufmerksamen, älteren Herrn über ihre Gedanken und Probleme sprechen zu können. Sie hatte sich ganz besonders nett angezogen und achtete auf die Ermahnungen, die die Mutter ihr mitgegeben hatte. Gern hätte sie auch Lippenstift und Nagellack benutzt, so wie ihre beiden älteren Schwestern, aber das hätte nur wieder zu Aufregung und Ärger mit den Eltern geführt, also ließ sie es lieber.

Er war groß und schlank und trug an der linken Hand einen goldenen Ring mit einem schwarzen Stein, was ihr nicht entgangen war. Er fragte sie, welche Musik sie am liebsten hatte und welche Gedichte sie mochte und nahm teil an allem was sie interessierte. Sie erzählte ihm von ihren Freundinnen und über die Schule und ihre Teilnahme an der Olympiade, die 1936 in Berlin stattfinden sollte.

Die drei erlaubten Stunden vergingen sehr schnell. Peter brachte das Mädchen pünktlich nach Hause. Sie freuten sich beide auf den nächsten Sonnabend und waren vergnügt und zufrieden mit ihrem ersten Rendezvous. Cordula überlegte schon, was sie das nächste Mal anziehen würde und was sie ihm alles noch erzählen könnte.

Es war das Jahr 1936, das Olympiajahr und im August sollte die Eröffnung sein. Cordula gehörte zu den ausgewählten Schülerinnen, die bei der Eröffnungsfeier mitwirken sollten. Eine Kommission hatte in den Berliner Schulen schon seit längerem sportliche Mädchen und Jungen heraus gesucht, die gut im Turnen waren. Die Schulkinder mussten der Kommission vorturnen und wurden danach ausgewählt. Es wurden Hunderte gebraucht und ausgesucht und dann legte die Kommission die Proben auf dem Maifeld und im Olympiastadion fest. Die ausgewählten Schüler und Schülerinnen kamen nun aus ganz Berlin täglich zum Üben. Die Jungen sollten zur Eröffnungsfeier beim Einzug in das Stadion die Fahnen schwingen und hinter dem Schweizer Fahnenschwinger marschieren, der eine große Fahne in die Luft warf, wo sie sich kunstvoll entfaltete und dann wieder geschickt aufgefangen wurde. Das war sehr effektvoll, so etwas hatte man noch nie gesehen.

Die Mädchen bildeten drei Kreise in denen die weltberühmten Tänzerinnen Mary Wigman und Gret Palucca und der großartige Tänzer Harald Kreuzberg tanzten. Dazu sollten die jungen Mädchen beige orangefarbige Kleider tragen, die sie zugeschnitten bekamen und sich zu Hause selber nähen sollten. Der Leiter der bekannten Medau Tanzschule dirigierte, außer den Tanzvorführungen der hübschen jungen Mädchen seiner Tanzschule, ebenfalls die Proben im Olympiastadion zu der Eröffnungsfeier und die gymnastischen Darbietungen auf dem Maifeld. Das ging alles über das Mikrophon und zum Abschluss lief jedes Kind auf dem Maifeld zu dem Metallplättchen mit seiner Nummer, woraus sich dann die Hakenkreuzfahne auf dem Rasen bildete.

Das Publikum staunte und es gab viel Applaus. Die Jugend war begeistert und stolz, dass sie dabei sein durften und hier jede Menge der heißbegehrten Autogramme der vielen deutschen und ausländischen Sportler sammeln konnten.

Während der Aufführung fuhr die bekannte Schauspielerin und Regisseurin Leni Riefenstahl, der man gute Verbindung zu der neuen Nationalsozialistischen Regierung nachsagte, mit dem Jeep herum und machte Aufnahmen für den Film über die Olympiade.

Zum Abschluss der Eröffnungsfeier wurde die von Beethoven vertonte Schiller’sche Ode „An die Freude“, von einem großen Orchester gespielt und all die jungen Mädchen und Jungens standen im Halbrund des Olympiastadions mit hoch erhobenen Armen, um damit die: „Freude, Freude, Freude schöner Götterfunke, Tochter aus Elysium, wir betreten freudetrunken Himmlische Dein Heiligtum“ aus der Ode auszudrücken. Es war für alle ein unvergessliches Ereignis.

Die Autogramme der prominenten Sportler standen hoch im Kurs und die Jugendlichen jagten ständig besonders den ausländischen Sportlern hinterher und sammelten Autogramme, die dann später unter einander ausgetauscht wurden.

Davon erzählte sie viel dem Peter, der sie jetzt pünktlich jeden Sonnabend um 16 Uhr abholte. Er vergaß nie eine kleine Überraschung für sie mitzubringen, mal waren es Süßigkeiten oder eine kleine Figur, die sie sammelte. Als die Mutter das bemerkte, sagte sie: „Peter, verwöhnen Sie das Kind nicht so, sie ist es jetzt schon zu sehr.“ Worüber Cordula sich ärgerte.

Aber Peter war bereit seine zukünftige Ehefrau und Mutter seiner Kinder nach Kräften zu verwöhnen und ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Er war glücklich, als er merkte, dass sie allmählich Zutrauen zu ihm fasste und ihm sogar ihre kleinen Geheimnisse anvertraute. So hörte er einmal von ihr, dass sie ein Tagebuch führte und darin alles aufschrieb, wenn sie sich wieder einmal ungerecht von ihrer Mutter behandelt fühlte. Sie wollte es ihm sogar zeigen, aber er beruhigte sie. „Schau, Kleines“, sagte er, „schreib‘ alles auf, was Dir auf dem Herzen liegt, und später einmal, wenn Du andere Dinge erlebst, die Dir wichtig sind, dann wirst Du das alles nochmal durchlesen und vielleicht anders darüber denken“.

Weil sie, wie sie sagte, furchtbar gerne Eiscreme aß, gingen sie oft in die kleine italienische Eiskonditorei, in der Nähe der Wohnung, wo sie ungestört sitzen und sich unterhalten konnten. Er hörte ihr gerne zu und freute sich, wenn er merkte, dass sie allmählich die Scheu vor dem älteren Mann verlor und begann sich für ihn zu interessieren und Fragen zu stellen. Er erzählte ihr von seinen Geschwistern, die alle älter als er, und schon verheiratet waren und Kinder hatten. Von seiner ersten Arbeitsstelle in Oberschlesien erzählte er Cordula, wo er als Hauslehrer in dem Schloss die Kinder des Fürsten von Pless beaufsichtigt und unterrichtet hatte. Cordula hörte immer gespannt zu, erschien ihr doch alles sehr fremdartig und interessant. Sie staunte, wenn er ihr von dem Leben im Schloss erzählte, von den großen teppichbedeckten Räumen mit den riesigen Kronleuchtern, den alten schönen Möbeln, den großartigen Gemälden und kostbaren Spiegeln, den vielen Angestellten und dem Schlossgarten in dem er mit den fürstlichen Kindern oftmals Rasenkrokett oder Tennis gespielt hatte. Cordula wollte alles wissen von dem Fürsten und seiner Gemahlin, wie sie angezogen waren, wie man mit ihnen sprach und er beantwortete geduldig alle ihre Fragen. In Potsdam aufgewachsen verglich Cordula nun in Gedanken den Park Sanssouci, das Neue Palais, Schloss Cäcilienhof und die vielen barocken Gebäude, die sie in Potsdam wusste, mit Peters Erzählungen.

Peter gefiel alles an diesem lebhaften jungen Mädchen, das hübsche Gesicht, die strahlenden Augen und die flinken Hände, mit denen sie ihre Worte begleitete. Er machte insgeheim so seine Pläne für die Zukunft. Dieses süße kleine Mädchen war noch zu formen, denn sie war aufgeschlossen für alles Neue und begierig zu lernen. Sie hatte Geschmack und sah immer nett und appetitlich aus. Sie erzählte ihm, dass sie immer die von der Mutter bestellten Kleider für sich und die Töchter bei der Schneiderin abholte, und dann die ihrigen zum Teil auftrennte und änderte. Sie nähte und schneiderte gerne und hatte viel Geschick und gute Ideen, die sie sich aus den Modebüchern holte, die der Vater mitbrachte aus der Ullstein Filiale.

Der junge Mann war sich bewusst, dass es nicht einfach sein würde, das Vertrauen dieses jungen Mädchens zu gewinnen. Gewiss, sie war noch ein Kind, aber man merkte ihren starken Willen, ihre klugen Gedanken und Ansichten. Sie war feinfühlig und gefühlsstark und sie ließ sich nichts vormachen. Er musste vorsichtig und geduldig sein. Peter hatte immer gewünscht, eine Frau zu finden, die wirklich zu ihm passte, der er Freund, Berater und Beschützer sein würde, die empfänglich war für das Gute im Leben, aber auch stark genug für trübe Tage. Er wollte eine Frau haben, die sich für Kunst und Kultur interessierte, wofür er sich selber begeistern konnte. Und er hoffte, dass sie ihn eines Tages lieben würde, so wie er jetzt schon eine große Liebe für sie empfand.

Im Juli fuhr Cordula dann mit den Eltern und dem jüngeren Bruder in die großen Ferien. Die Eltern hatten an der Großen Krampe in einer sogenannten Zeltstadt ein festes Wohn-und Schlafzelt zu stehen. Das wurde im Frühsommer aufgebaut, stand immer unter der Aufsicht eines bezahlten Wächters, und wurde im Herbst von den Eigentümern wieder abgebaut. Das Vorzelt war mit imprägniertem Nessel bespannt und damit regendicht, dahinter gab es ein großes Schlafzelt für mindestens 4 Personen. Darin standen vier Pritschen mit strohgefüllten Matratzen, wofür man sich, falls notwendig, frisches Stroh vom nahen Bauern holen konnte. Das geräumige Vorzelt diente gewissermaßen als Wohnraum mit einem Tisch und Sitzbänken, einer Kochnische und einem Vorratsschrank.

Zu diesem Zeltplatz an der“ Großen Krampe“ fuhr man von Berlin mit der Straßenbahn und Bus bis zu dem Dorf Müggelheim und von dort war es dann noch ½ Stunde Fußweg durch den Wald bis an das Wasser. Sie hatten immer viel Gepäck zu schleppen, das Badezeug, die schweren Bademäntel, Bücher und Spiele und vieles für die Verpflegung.

Täglich kam aber auch ein Versorgungs- Boot zur Großen Krampe und es gab immer viel Spaß und Geschrei. Die Kunden standen halb im Wasser um das Motorboot herum und trugen dann ihre Einkäufe vorsichtig zu ihren Unterkünften. Man konnte Bestellungen aufgeben, was dann tags darauf geliefert wurde. Der Bedarf war groß, denn viele Familien verbrachten hier mit ihren Kindern lange Wochenenden und die Ferien. Es wurde geschwatzt und gelacht und man lernte sich kennen. Besonders in den Ferien war es natürlich voller Schulkinder, die hier ausgelassen herumtoben und baden konnten. Vom Strand ragte ein schmaler Steg ins Wasser für die anlegenden Paddelboote und seit kurzem gab es sogar eine Art Sprungbrett, wovon Mutige sich in das tiefere Wasser stürzen konnten.

Cordulas Vater brachte eines Tages ein großes, rotes Gummiboot aus Berlin mit. Es wurde ausgebreitet und mit einer Fuß betriebenen Luftpumpe aufgeblasen. Sämtliche Urlauber standen bewundernd drum herum. Dann wurde es im Triumphgeschrei und hoch erhoben über den Köpfen zum Ufer getragen und zu Wasser gelassen. Herr und Frau Holtei nahmen darin Platz und begannen mit den kurzen Paddeln sich vom Ufer fort zu bewegen. Cordula und ihr jüngerer Bruder Gerhard stürzten sich ins Wasser und beeilten sich hinterher zu schwimmen. Sie konnten sich dann an das Seil hängen, das draußen rund um das Gummiboot hing, aber die Mutter hatte Angst und wollte bald wieder zurück ans rettende Ufer.

Es war ein besonderes Ereignis am Strand an dem alle Urlauber große Anteilname und einen Riesenspaß hatten.

Manches Mal gab es dann abends auf dem mit bunten Lampions geschmückten Festplatz Tanz, Musik und kleine Vorführungen und einmal führte Cordula mit ihrem Bruder Gerhard das kleine Singspiel auf: „und der Hans schleicht umher, trübe Augen, blasse Wangen und der Kopf ihm befangen und das Herz ihm so schwer . . . . .“ worauf zu aller Überraschung ein Sänger danach ein Ständchen für Cordulas Schwester Elisa brachte und ihr ein Liebeslied sang. Aber Elisa wollte davon gar nichts hören und verkroch sich lieber im Zelt der Eltern.

Es gab sogar einmal eine Hochzeit von einem Paar, das sich dort am Strand kennengelernt hatte. Man briet ein Schwein am Spieß und alle waren eingeladen. Auf dem Festplatz wurde nach dem Schifferklavier getanzt und über das Hochzeitsfoto mit den über Hundert beteiligten Gästen wurde später viel gestaunt und gerätselt, denn es waren alle Ferien- und Urlaubs- Besucher vom Strand mit darauf.

Cordula hatte dort eine Freundin, ein langbeiniges, hübsches Ding, namens Karin, die von ihrem Vater auf Hindernisrennen trainiert wurde, für die nächste Olympiade. Die beiden Mädchen saßen oft stundenlang am Strand und hatten sich endlos zu erzählen. Cordula sah zu, wenn die Freundin mit ihren langen Beinen über die Hindernisse setzte, die ihr der Vater aufgebaut hatte. Karin war 2 Jahre älter als Cordula, die sie sehr bewunderte.

Der Freund Heinz Philipp war dabei und machte mit den beiden Mädchen öfter eine Fahrt mit seinem Motorboot über die Große Krampe. Er konnte nur an den Wochenenden kommen, da er schon in der Ausbildung war und Feinmechaniker lernte. Er sollte einmal die große Wäscherei-Fabrik seiner Eltern übernehmen, die in Köpenick an der Spree lag.

Peter war besorgt, dass er das Mädchen nun eine Weile nicht sehen würde und fragte sie, ob sie sich Briefe schreiben könnten. Sie war Feuer und Flamme dafür, fand es romantisch und wollte es ganz geheim machen und so verabredeten sie, er sollte ihr postlagernd einen Brief schicken in das dortige Postamt. Das klappte ganz gut, aber schon beim zweiten Brief merkten die Eltern etwas und wunderten sich, warum das Mädchen dauernd mit dem neu erworbenen Fahrrad in das Dorf Müggelheim fuhr. Sie stellten die T Tochter zur Rede. Es kam zu Tränen und Aufregung, das Mädchen rannte aus dem Wohnzelt und zu ihrem Spielfreund, dem sie schluchzend alles erzählte.

Heinz, der verwöhnte einzige Sohn des Fabrikbesitzers hatte mit seinen 21 Jahren bereits ein Auto und ein Motorboot und lud öfter die Jungen und Mädchen vom Campingplatz dazu ein, mit ihm auf die andere Seite des Sees zum Schwimmen zu fahren oder abends im Schein der Taschenlampen Krebse zu fangen, worin er Meister war und sie immer viel Spaß hatten. Er konnte vier Krebse im flachen Wasser auf einmal fangen, zwei mit seinen Füßen und zwei mit den Händen. Am nächsten Tag wurden dann die Krebse gekocht, wobei die Kinder um den großen Topf standen und zusahen, wie die Krebse allmählich rot und dann gemeinsam verzehrt wurden. Als Nachtisch gab es Kirschen, die aus den Nachbargärten stammten.

Heinz war ein ziemlicher Draufgänger und spielte begeistert Eishockey in einem Club. Cordula hatte in ihm einen Beschützer und Freund. Manchmal nahm er sie mit auf seinem Fahrrad zu einem anderen Freund und sie spielten dort Krocket auf dem Rasen.

Der junge Mann lernte Feinmechaniker und an einem Wochenende kam er einmal mit einer verbundenen Hand. Als Cordula ihn fragte, zeigte er ihr, dass er sich einen Metallsplitter in den Daumen gezogen hatte und der jetzt rot und entzündet war. Cordula wusste Rat. Sie holte ihre kleine Pinzette aus ihrer Handtasche und zog damit schnell und geschickt den Splitter aus der Wunde, die sie gleich desinfizierte und verband. Heinz war ganz begeistert.

Er war selbst in das Mädchen verliebt und hatte ihr schon gesagt, dass er sie heiraten wollte, wenn sie erwachsen wäre. „Ula“, sagte er immer zu ihr, „Du bist so anders als die anderen Mädchen“, sie wusste jedoch nicht genau, was er meinte. Jetzt versprach er ihr aber Hilfe, verabschiedete sich und fuhr nach Berlin rein. Am nächsten Nachmittag als Cordula vor dem Zelt im Liegestuhl lag und las, sah sie mit Schrecken ihn zusammen mit Peter durch den Wald kommen und zu ihren Eltern gehen. Sie glaubte sich verraten, aber Heinz beruhigte sie und sagte, dass sie zu ihren Eltern reingehen sollte.

Dort fand sie Peter mit strahlendem Gesicht und ihr Vater sagte: „ Mein kleines Mädchen, Herr Peter Rohland hat soeben um Deine Hand angehalten, was sagst Du dazu?“ Cordula konnte überhaupt nichts sagen, am liebsten wäre sie weit fortgelaufen. Sie stand schon fluchtbereit mit dem Rücken zur Tür, dabei hätte Peter, wie er ihr später sagte, es so gerne gehabt, dass sie ihm jubeln um den Hals gefallen wäre. Sie war aber völlig verwirrt und von der Situation überfordert. Später gingen die Beiden schweigend in der lauen Sommernacht am Wasser spazieren, wo er sie einfach nur an der Hand hielt.

Nun wurde alles ein bisschen anders. Sie waren gewissermaßen verlobt und an ihrem Geburtstag im November wurde sie 15 Jahre. Peter wollte, dass sie Reit- und Tennis-Unterricht bekam, denn er selber war von zu Hause gewohnt zu reiten und spielte gut Tennis. Sie durfte aber dabei die Schule nicht vernachlässigen und dafür versprach er den Eltern gerne, ihr beim Lernen der Englischen und Französischen Vokabeln zu helfen. Sie war aber eine gute Schülerin. Ihr Vater war stolz auf seine jüngste Tochter und nannte sie stets seine Sprachbegabte. Sie schrieb gute Aufsätze, die oft vor der Klasse vorgelesen wurden. Allerdings hatte sie einmal eine schlechte Note in Mathematik, worüber der Vater sehr ärgerlich war.

Cordula wollte zu gerne Stepptanz lernen, denn sie schwärmte für die ungarische Filmschauspielerin Marika Rökk und sah sich stets die Filme an, in denen sie tanzte. So ging Peter mit ihr an einem ihrer Sonnabende zum Kurfürstendamm, um schwarze Lackschuhe zu kaufen und ließ vom Schuhmacher die klappernden Metallplättchen darunter befestigen. Nach jedem Unterricht zeigte sie ihm dann die gelernten Schritte und er applaudierte ihr begeistert.

Der Reitunterricht, den sie bei einem Major in Berlin-Pankow bekam, der in seinem großen Garten eine Reitbahn in Form einer Acht eingerichtet hatte, gefiel ihr sehr. Sie hatte sich dafür eine gelbe Jacke mit Lederbesatz angeschafft und dazu moderne Reithosen. Sie begeisterte sich sehr für ihr Pferd und der Reitlehrer lobte sie stets und meinte, dass sie die geborene Reiterin sei. Das Tennisspielen gefiel ihr dagegen weniger. Sie hatte sich ein schickes Kleid mit einem Faltenrock genäht, aber das Rumrennen in der Hitze gefiel ihr gar nicht. Peter, der ein ausgezeichneter Spieler war, hatte ihr einen Lehrer bestellt, aber Cordula war jedes Mal froh, wenn Peter sie endlich abholte und mit ihr in ein Lokal ging, wo sie ein Malzbier für ihren großen Durst bekam.

Das Pferd, welches sie auf dem Gelände des Majors ritt, hieß Rastill. Es war ein hellbrauner, gutmütiger Wallach und da Cordula ihm stets einen Apfel oder eine Mohrrübe mitbrachte, wurden sie bald gute Freunde und sie fühlte sich sicher auf seinem breiten Rücken. Manchmal kam ein gemeinsamer Freund mit auf die Reitbahn und verfolgte Cordula mit bewundernden Blicken.

Peter war sehr verliebt in seine süße, kleine Braut und so passierte es einmal, als sie wieder in der Eiskonditorei saßen, dass er ihre Hand nahm und sie während ihres Gesprächs auf seinen Oberschenkel legte. Cordula sah ihn mit offenem Mund und aufgerissenen Augen an, so dass er ihre Hand schleunigst wieder zurücklegen musste. Am anderen Tag saß sie dann in der Schulbank und wunderte sich über das merkwürdige Gefühl, das sie in der Hand hatte.

Ein andermal, als er sie zu dem Abschiedsball seines Tennisvereins mitnehmen durfte, beklagte sie sich, dass sie beim Tanzen etwas Hartes verspürte, ob er denn seinen Schlüsselbund bei sich trüge. Peter fühlte, wie er puterrot wurde, entschuldigte sich und ging auf die Toilette um die Störung zu beseitigen.

Cordula ging gerne mit ihm in die Berliner Museen und als die nationalsozialistische Gemälde-Ausstellung „Entartete Kunst“ eröffnet wurde, konnte sie es gar nicht erwarten die Ausstellung zu sehen. Durch ihre Eltern und durch ihre Schwester Elisa, die Malerei studierte, war das junge Mädchen an den großartigen Werken der europäischen und außereuropäischen Malerei namhafter Künstler außerordentlich interessiert, selbst wenn sie die Ausstellung nicht so verstand, wie die Nazis es meinten. Peter geriet darüber mit seiner klugen, kleinen Braut in ernsthafte Diskussionen, was sie beide sehr genossen. Sie schwärme für die Impressionisten wie Monet, Macke, Manet und er bevorzugte Paul Klee und Feininger.

Cordula liebte die Musik und war begeistert, als er mit ihr in die Oper ging, wie sie es von den Eltern her kannte. Sie hatte bereits mit 11 Jahren Verdi’s „Aida“, gesehen, wovon sie sehr beeindruckt war. Sie wurden beide begeisterte Opernbesucher und hatten bald eine stattliche Sammlung von Schellackplatten mit Opernmusik, die sie sich immer wieder gerne anhörten. Sie saß dann entrückt unter den Klängen der klassischen Musik und manchmal war sie so beeindruckt, dass ihr die Tränen kamen.

Die Eltern gingen oft in die Oper und die Mutter trug dazu stets ein Aprikosen farbiges Seidenkleid mit einem üppigen Dekolletee, worin die Töchter sie bewunderten, wenn die Eltern sich für ihren monatlichen Opernbesuch verabschiedeten. Auch zum Tanztee führte Peter sie aus und in Teddy Stauffer‘s Bar tanzten sie zu der modernen Swing Music und staunten über die schicken jungen Damen mit ihren grün lackierten Fingernägeln, wie es gerade Mode war.

Später nach Schulabschluss als Cordula in einem Verlag ihre erste Stellung hatte, gesellten sich zu ihnen ein Kollege, der aus Afrika kam und in dem gleichen Verlag als Dolmetscher arbeitete und ebenso eine junge, schwarzhaarige Schauspielerin, die sich ihr Studium hier verdiente. Das wuchs sich zu einer echten Freundschaft zu viert aus und sollte für viele Jahre halten. Mit weiblichem Scharfsinn hatte Annegret, die Schauspielerin, den ernsten, verschlossenen jungen Kollegen „Eiserner Heinrich“ getauft, nach dem Märchen von der Prinzessin und dem Froschkönig. „Ich bin begierig“, spöttelte sie, „zu sehen, wann die eisernen Ringe von Ihrem Herzen fallen. Es müssen sehr viele sein, sonst könnten Sie nicht so völlig kalt und unbeteiligt bleiben, selbst im Kreis der reizendsten Frauen.“ Aber er ließ sich nicht aus seiner Reserve locken.

Doch mit Peter verstand er sich gut. Obwohl die beiden jungen Männer sehr unterschiedlicher politischer Meinung waren, hatten sie viele gemeinsame Interessen und besonders Peter wollte so manches wissen, wenn der jüngere Rudolph Wedekind von seinen Erlebnissen als Fremdenlegionär in Französisch Marokko erzählte. Dieser große breitschultrige Mann war nicht leicht dazu zu bringen über sich selbst zu sprechen und konnte sehr schroff und abweisend sein Vielleicht waren da Ereignisse in seinem Leben, die er nicht preisgeben wollte. Nur Cordula gegenüber war er sanft und einfühlsam. Peter ahnte, dass er vielleicht an einer unglücklichen Liebe litt und sollte es sogar die zu seinem Mädchen sein, so fand er es selbstverständlich, dass man sich in sie verliebte.

Es waren politisch unruhige Zeiten. Der greise Reichspräsident von Hindenburg hatte Adolf Hitler zum Reichskanzler anerkannt, ein Ereignis, welches in Potsdam in der Garnisonkirche stattfand. Als sich die Tür der Kirche öffnete und die beiden Herren heraustraten, reichte der neu ernannte Reichskanzler dem Reichspräsidenten, der in seiner Generalsuniform erschienen war, mit einer tiefen Verbeugung die Hand.

Cordula konnte das alles vom Fenster aus beobachten, denn zu dieser Zeit wohnten ihre Eltern mit ihren 4 Kindern noch in Potsdam, gerade in der Nähe der Garnison Kirche, von der später im Krieg nur noch Trümmer übrig blieben. Es gab jetzt Aufmärsche der Braunhemden, die sich SA nannten, es gab die „ HJ“ Hitlerjugend für die Jungs und den“ BDM“ Bund Deutscher Mädchen für die jugendlichen Mädchen.

In der Schule herrschte plötzlich ein anderer Ton, Mädchen und Jungen kamen in den Uniformen der neuen Bewegung. Auf den Straßen klapperten die Sammelbüchsen für immer neue Anlässe und an bestimmen Sonntagen dufte nur noch „Eintopf“ gekocht und gegessen werden. Die daraus rekrutierenden „Einsparungen“ ließ die nationalsozialistische Partei für die neue Größe Deutschlands von bekannten und beliebten Prominenten sammeln. So sah man dann prominente Schauspieler und Schauspielerinnen, die sich diesem Dienst nicht entziehen konnten, an diesen Sonntagen mit den blechernen Büchsen auf den Straßen oder sie kamen sogar an die Wohnungstüren, um die nicht ganz freiwilligen „Spenden“ einzusammeln.

Bald wurden erste Hassreden gegen jüdische Bürger bekannt und man hörte von Verfolgungen und Ausschreitungen.

Peter wurde aufmerksam; als Auslandsdeutscher erlag er nur zu leicht den großsprecherischen Propagandareden der neuen Machthaber, die den Heimatvertriebenen das Wiedererlangen der verlorenen Heimat versprach. Er musste vorsichtig handeln und überlegen. Einerseits plante er die Zukunft, andererseits war er zu beschäftigt und engagiert mit seinem Mädchen, die zu jung war, um männliche Gefühle zu verstehen und die er sehr vorsichtig darüber aufklären musste.

Sie machten einmal einen kleinen Ausflug nach Potsdam, wo Peter heimlich im Palasthotel Barberini ein Zimmer bestellt hatte. In diesem eleganten Rahmen wollte der liebeskranke junge Man seine kleine Braut verführen. Sie speisten Hasenbraten und tranken ein Glas Wein in dem eleganten Hotel. Cordula, ungewohnt des Alkohols, kicherte übermütig als sie in dem breiten Hotelbett Mann und Frau spielen wollten. Aber es halfen keine Zärtlichkeiten, kein Küssen und Kosen. „Nein, Peter“, flüsterte sie, „das geht bei mir nicht, ich bin anders.“ Sie wusste zwar selbst nicht, was darunter zu verstehen war, aber jedenfalls hatte sie von den Schulfreundinnen ziemlich unverständliche und unklare Andeutungen gehört, die sie nicht begriffen und sogar erschreckt hatten. Also musste er es für diesmal aufgeben, diesem ahnungslosen Mädchen seine Liebe zu beweisen und brachte sie unbeschadet wieder nach Hause.

Die wiederholte Liebe

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