Читать книгу Die wiederholte Liebe - U. Sybille Schwer-Rode - Страница 4
Оглавление2. Kapitel 1939 - 1945
Berlin, Polen
Peter plante ihre Zukunft. Als Auslandsdeutscher war er beeindruckt von den neuen nationalsozialistischen Ideen und trat der Waffen SS bei, womit er sich bessere Chancen in Deutschland versprach. Cordula aber lehnte jegliche politische Stellungnahme ab. Sie hatte eine halbjüdische Schul-Freundin und litt mit ihr unter den Repressalien und Demütigungen, die den Juden seit 1933 durch die Nazis in immer stärkerem Maße zugefügt wurden. Es dauerte dann auch nicht mehr lange und Hitler und seine Gefolgsleute propagierten ganz öffentlich den Hass gegen die jüdische Bevölkerung. Und das nicht nur in Deutschland. Es gab Ausschreitungen und Krawalle, Bücherverbrennungen und Terrorakte und es gab die furchtbare sogenannte Kristallnacht mit dem Zerstören und Zerschlagen jüdischer Geschäfte und Synagogen. Jüdische Bürger wurden auf den Straßen misshandelt und geschlagen und es gab die ersten Toten. Das alles geschah unter den Augen und der Mitwirkung von den Braunhemden, die sich SA oder SS nannte.
Auch in der Schule zeigten sich befremdliche Änderungen. Es wurden politische Meinungsverschiedenheiten handgreiflich und lautstark auf dem Schulhof ausgetragen, aber die Kinder merkten auch bald, dass man mit einer eigenen Meinung besser zurückhielt, wie es die Eltern ihnen ständig empfahlen. Morgens holte Cordula immer ihre Freundin zur Schule ab, so konnten die beiden Oberschülerinnen stets unterwegs Schaufenster ansehen, die Leute beobachten und ausreichend schwätzen. Nach Schulschluss ging Cordula oft mit in die Wohnung und sie machten die Schularbeiten zusammen. Dabei lernte sie die Eltern von Ingrid kennen, die sich sehr über die Freundschaft der beiden Mädchen freuten.
Diese Freundin Ingrid, deren Vater eine große Schneiderei besaß, hatte eine jüdische Mutter und der Vater tat alles, um seine einzige Tochter vor eventuellen Repressalien zu schützen. So wurde sie z.B. Mitglied in dem exklusiven Berliner Schlittschuh-Club in dem viel Prominenz verkehrte und es dauerte dann auch nicht lange und Ingrid war mit dem Sohn eines bekannten Bühnenbildners verlobt, der aber später, unter den gegebenen Verhältnissen, die Verlobung wieder löste, worüber die empörte Cordula die weinende Schulfreundin trösten musste.
In der Schulklasse waren noch zwei jüdische Mädchen, die sich eines Tages verabschiedeten, weil die Eltern nach Israel gingen, was die Schulkinder alle nicht so recht verstanden.
Der Unterricht wurde jetzt sehr politisch. Die Lehrer wurden morgens bei Eintritt in die Klasse von den Schülerinnen und Schülern mit erhobenem rechten Arm und „Heil Hitler“ begrüßt. Die Jugendlichen fingen bald an vorsichtig zu werden in ihren Meinungsäußerungen, denn zu Hause wurde meist anders gesprochen als in der Schule und die Eltern ermahnten sie dringend zur Vorsicht.
In den Straßen sah man jetzt immer öfter Leute, deren Kleidung mit einem großen J gekennzeichnet waren und Peter versuchte seiner jungen Braut neu erworbene national-sozialistische Parolen zu vermitteln. Niemals aber versuchte er Cordula zu beeinflussen dem BDM (Bund Deutscher Mädchen) beizutreten, denn er wusste nur zu gut, wie man in der Holtei Familie über die „ neue Bewegung“ dachte. Der Vater war und blieb ein glühender Verehrer der Ullsteiner, denn er verdankte schließlich dem Dr. Franz Ullstein seine berufliche Karriere. Hatte dieser doch dem patenten 19jährigen die Laufbahn zum Filialleiter einer der Ullstein Filialen ermöglicht, indem er für ihn die erforderliche Kaution von 700 Reichsmark bezahlte, die der junge mittellose Mann niemals hätte aufbringen können. Viele Mitglieder der Holtei- Familie, auch Tochter und Enkelsohn, arbeiteten später in diesem großen Verlag, der Weltbedeutung erlangte. Da der Begründer jüdischer Herkunft war, wurde der Ullstein Verlag dann von den Nazis enteignet und in „Deutscher Verlag“ umbenannt. Um der Verfolgung zu entgehen, verließ die Familie Ullstein das Großdeutsche Reich, wie es nun hieß, und floh in alle Welt.
Herr Holtei hatte in seiner langjährigen Laufbahn dann Ullstein-Filialen in Berlin, Brandenburg, Stettin, Potsdam und wieder Berlin zu leiten und seine vier Kinder waren alle in verschiedenen Städten geboren. Sein 25igstes Dienstjubiläum wurde in Potsdam gefeiert, wozu die Honoratioren des Verlages zur Gratulation mit noblen Geschenken kamen. So schenkte man ihm eine Standuhr mit Westminster Gong und eine goldene Taschenuhr mit Widmung, die ihm und seiner Frau später in den furchtbaren Kriegsjahren das Leben retten sollte.
Gerhard, der jüngste Sohn war zwar auch dem Jungvolk der Hitlerjugend auf Drängen der Schule beigetreten, hatte aber wenig Freude und Interesse an den Geländemärschen und –Spielen und versäumte oft die geforderten Kameradschaftsabende und Zusammenkünfte. Auch die dazu gehörige „Uniform“ mit dem Halstuch zog er äußerst ungern an.
Peter hatte eine gute Stellung in der Berliner Niederlassung der DEGUSSA (Deutsche Gold-und Silberscheide-Anstalt) mit einem großzügigen Gehalt, die er in Hinblick auf seine geplante Zukunft nicht gefährden durfte. Man musste sich anpassen. Als Auslanddeutscher musste er besonders vorsichtig sein.
Vorerst plante er eine Urlaubsreise mit Cordula. Er liebte den Wintersport und wollte seiner kleinen Braut das Skilaufen beibringen .Die Eltern waren einverstanden, die Mutter bestand aber darauf, dass es getrennte Zimmer sein müssten. Peter telefonierte deswegen mit der Wirtin in dem Urlaubsort Frauenwalde am Rennsteig, die ihm aber sagte, dass sie nur noch ein Zimmer frei hätte, sie würde aber den Nachttisch zwischen die Betten stellen. Der junge Mann lächelte bei dem Gedanken an das „arge Hindernis“, war er doch sowieso gebunden an das Versprechen, das er seinen zukünftigen Schwiegereltern hatte geben müssen.
Es gab aber noch eine andere Schwierigkeit, man bekam keine passenden Skischuhe für Cordulas kleine Füße und so mussten sie sich mit den geborgten Stiefeln von Peters Schwester Dodo behelfen, die mindestens zwei Nummern zu groß waren. Mit großer Geduld und viel Lachen und Neckereien waren sie nun jeden Morgen damit beschäftigt, Cordulas Füße mit dicken Socken und militärischen „Fußlappen“ passend zu machen für die zu großen Schuhe.
Sie hatten eine wunderschöne Zeit zusammen. Die Welt lag im glitzernden Schnee und die Zukunft malten sie sich in rosaroten Farben. Peter war ein williger und geduldiger Bräutigam und Cordula fühlte sich verwöhnt und war verliebt in diesen viel älteren Mann, den sie sich ganz untertan gemacht hatte und der ihrer süßen Jugend und ihrem Eigenwillen nicht widerstehen konnte. Sie stand schon bald geschickt auf den Skibrettern und war begeistert von all dem Neuen was sich ihr bot. Sie merkte bald, welche Macht eine junge und hübsche Frau über ihren verliebten zukünftigen Ehemann hat und nutzte diese unschuldig und arglos aus.
Einmal kamen sie auf dem Spazierweg durch das Dorf und die umliegende Bergwelt an einem Kirchlein vorbei, in dem Peter eine alte Orgel entdeckte. Er zeigte ihr, wie sie die Bälge zu treten hätte und setzte sich davor um zu spielen. Die Klänge rauschten durch die kleine Dorfkirche und das Mädchen blickte bewundernd auf diesen wunderbaren Mann, der sie mit so vielen schönen Erlebnissen verwöhnte.
Wieder in Berlin lernte sie die vier unverheirateten Schwestern von Peter kennen. Da diese als Auslanddeutsche für Deutschland optiert hatten mussten sie nun das jetzt zu Polen gehörende Oberschlesien verlassen, kamen „heim ins Reich“ und suchten sich in Berlin eine große Wohnung, in die auch der Bruder mit einziehen sollte. Cordula und Peter sollten nach der Hochzeit das große Zimmer beziehen. So gingen sie daran, sich passende Möbel dafür zu besorgen, was zu der Zeit gar nicht so einfach war und Cordula nur schwer ihre Vorstellungen und Wünsche für eine gemeinsame, moderne Wohnungseinrichtung realisieren konnte. Es gab z.B. recht schöne, große und schwere Sessel, die ihnen gefielen, aber es waren z.Zt. nur Bezüge aus Papierstoff lieferbar, die nicht allzu strapazierfähig wirkten. Es erwies sich aber später, dass gerade diese Sessel mit dem Papierstoff als einzige den Krieg und die Nachkriegszeiten überdauerten und viele Jahre danach noch immer hübsch und ordentlich aussahen.
Zu der Zeit war Berlin ein großes Einzugsgebiet und viele der umliegenden Dörfer wurden eingemeindet, behielten ihren ursprünglichen Namen, wie Zehlendorf, Schmargendorf, Wilmersdorf bei, verloren aber ihren dörflichen Charakter, denn in Berlin wurde gebaut und wuchs nach allen Richtungen.
Cordula hatte ihr letztes Schuljahr vor sich und begann sich Gedanken über einen Beruf zu machen. Peter war gar nicht dafür, denn er wollte so bald wie möglich heiraten und dann sollte seine kleine Frau nur für ihn da sein. Da er von zu Hause durch viele dienstbare Geister im Elternhaus in Oberschlesien verwöhnt war, schien es für ihn selbstverständlich, dass seine Frau für den Haushalt genügend Personal haben würde und sich nur um ihn und die Kinder kümmern müsste.
Aber es kam alles ganz anders.
Im Herbst 1939 brach der Krieg aus. Peter wurde mit seinen 32 Jahren sofort eingezogen und in einer Kaserne im Norden Berlins stationiert.
Die Familie Holtei war gerade dabei ihre Urlaubsreise vorzubereiten. Man wollte nach Ostpreußen fahren und die Koffer waren schon gepackt. Cordula hatte sich rechtzeitig ein paar hübsche Sommerkleider für den Urlaub genäht. Sie war durch den Schulunterricht auf diesen Teil Deutschlands an der Bernsteinküste aufmerksam geworden und hatte sich Kartenmaterial und Bücher ostpreußischer Dichter und Schriftsteller besorgt.
Da telefonierte Peter mit seiner kleinen Braut an und bat sie zu kommen, denn es hieß, dass sie bald an die Front ausrücken müssten. Cordula ging sofort auf die Straße und rief ein Taxi. Sie war noch immer ein kleines Mädchen und sah auch so aus, so dass der Taxifahrer fragte: „ na, Kleine, hast Du denn auch genug Geld“? Cordula war empört, schließlich war sie inzwischen fast 18 Jahre geworden und machte ihr Abitur. Als sie Peter ihr Taxi-Erlebnis erzählte, lachte er nur, nahm sie tröstend in die Arme und bedeckte ihr Gesicht mit verzweifelten Küssen. „Ich komme bald wieder und dann werden wir heiraten“, sagte er. Aber als er Ende des Jahres auf Hochzeits-Urlaub kam, gaben die Eltern nicht ihre Einwilligung für die minderjährige Tochter und Peter musste schweren Herzens wieder zurück nach Norwegen an die Front, wo er dann sogar bestraft wurde, weil er unberechtigten Urlaub genommen hatte.
Er hatte ihr von dort ein gepresstes Veilchen mitgebracht, das sie sich später einrahmen ließ und ihr ganzes Leben hing dieses Bildchen stets im Schlafzimmer neben ihrem Bett. Alle Tage saß Cordula und schrieb Briefe an den Liebsten, sang und trällerte dabei und die Mutter konnte gar nicht verstehen, was es da nur alles zu schreiben gab.
Völlig unvorbereitet traf Cordula eines Tages der Anruf von Frau Philipp, der Mutter ihres Jugendfreundes Heinz. Der sportliche junge Mann hatte sich sofort bei den Fallschirmjägern gemeldet und war nach der schnellen Ausbildung zum Einsatz über Rotterdam in Holland gekommen. Der einzige Sohn und Erbe eines kriegswichtigen Unternehmens fand seinen Tod gleich in den ersten Kriegswochen. Die Mutter war gebrochen. Sie hatte ihren Sohn immer „mein Sonnenscheinchen“ genannt. Er war gerade 24 Jahre alt. Cordula hörte auch aus dem Leid der Mutter einen Vorwurf heraus als diese sagte: „mein Sohn hat Dich sehr lieb gehabt und wollte Dich heiraten, wenn Du erwachsen bist, aber Du hattest Dich ja anders entschieden.“
Cordula war sehr traurig, aber sie wusste, dass es eine Bestimmung gab, nach der einzige Söhne und Erben nicht zu den Fallschirmjägern genommen werden sollten. So weinten sie beide zusammen am Telefon, die Mutter um den verlorenen Sohn, die unerfüllbaren Wünsche nach Familie und Enkelkindern und das junge Mädchen um den Freund aus vergangenen Ferientagen schöner Sommermonate in den unwiederbringlichen Jugendjahren.
Im zweiten Kriegsjahr gab es dann eine Hochzeit, nur im kleinen Familienkreis und es war gar nicht so einfach, mit den wenigen Lebensmittelmarken ein kleines Hochzeitsmenü zusammen zu stellen. Das Hochzeitsfoto zeigt ihn in Uniform und sie mit einem flotten Hütchen, vor dem Berliner Standesamt. Cordulas Vater und Peters Schwester Lieselotte waren die Zeugen an ihrer Seite. Die Mutter schaffte es nicht zum Standesamt zu kommen, da sie mit den Vorbereitungen für einen kleinen Sektempfang zu tun hatte. Als jungvermähltes Ehepaar zogen sie nun in die Wohnung zu Peters Schwestern, wo die eine das Ehe-Bett mit Rosenblättern bestreut hatte.
Zu einer Hochzeitsreise in seine Heimat nach Oberschlesien waren sie von Peters Schwester Lieselotte nach Kattowitz eingeladen worden. Und so gingen sie, verliebt als Mann und Frau, auf diese Reise im zweiten Kriegsjahr, zu dem Peter als Soldat Hochzeits-Urlaub bekommen hatte.
Cordula war glücklich und sie schrieb den Eltern wie wundervoll es wäre mit ihrem süßen, geliebten Mann. Die zahlreiche Rohland Familie nahm diese junge kleine Preußin mit aller Herzlichkeit auf und es gab die in Oberschlesien üblichen Hand- und Wangenküsse die Menge für die nun verheiratete junge Frau.
Der erste Abend in Oberschlesien im Haus der Schwester verlief feuchtfröhlich. Man trank gerne „vor dem Schnaps ein Schnaps und nach dem Schnaps ein Schnaps“, wie es dort hieß. Auch Cordula musste ein wenig mithalten, aber als sie dann abends ihr Bad nahm, das ihr die Wirtschafterin bereitet hatte, fühlte sie, wie die Badewanne mit ihr Karussell fuhr. Sie rief um Hilfe und die Wirtschafterin beruhigte sie und wollte Cordulas Mann rufen. “Aber nein, um Gotteswillen“, wehrte die junge Frau erschrocken ab, „dann sieht er mich ja nackt“.
In Kattowitz stellte ihnen ein alter Freund Peters seine Pferde zur Verfügung, Nun konnte Cordula ihre Reitkünste gebrauchen. So ritten sie aus zu Dritt und Cordula lernte die Heimat ihres Ehemannes vom Pferderücken aus kennen. Sie durchstreiften Wald und Wiesen und kleine Ortschaften in der Umgebung von Kattowitz und Peter war stolz auf seine kleine Frau, die auf ihrem Pferd, namens Wildfang, eine so gute Figur machte. Er hatte ihr Reitstiefel aus feinem, weichem Leder machen lassen und, eingedenk der zu großen Skistiefel, saßen diese wie Handschuhe an ihren schmalen Füßen.
Cordula liebte diese Ausflüge über alles. Sie war allem Neuen stets aufgeschlossen gegenüber und bemüht, alles zu lernen was sie noch nicht kannte. Einmal gab es eine Einladung in das Haus des Freundes, das in Idaweiche, dem noblen Vorort von Kattowitz lag. Es sollte ein Klavierabend werden, zu dem der Freund einen bekannten Musiker vorstellen wollte. Sie saßen in einem Zimmer, das ganz mit blauem Samt ausgeschlagen war, der Boden, das Sofa, die Sessel. Cordula staunte, so etwas hatte sie noch nie gesehen.
Peters Freund, ein reicher Industrieller, der stets viel auf Reisen war und dann seinen Namen in die jeweilige Landessprache übersetzte, hatte vorgesorgt um seinen Gästen etwas zu bieten. Er hatte aus Frankreich eine Kiste Champagner mitgebracht. Diese zog er unter dem blauen Sitzmöbel hervor und die Gäste klatschten begeistert. Man war schließlich schon im 2.Kriegsjahr und die Lebensmittel wurden bereits knapp. Ganz zu schweigen von solch außergewöhnlichen Genüssen. Sogar Cordula schmeckte das prickelnde Getränk und Peter saß in seinem blauen Sessel und freute sich über sein fröhliches Frauchen. Sie wurde nun erwachsen und im Bett sagte sie ihm auch nicht mehr, dass sie „anders“ wäre.
Als sie nach Berlin zurückkamen, waren hier schon die ersten Bomben gefallen und Peter musste wieder an die Front, diesmal nach Polen.
Cordula arbeitete jetzt in einem Verlag, was ihr sehr gut gefiel, aber nachts saß man schlaftrunken im Luftschutzkeller und wartete auf die „Entwarnung“. Die Stadt war verdunkelt, die ersten Lebensmittel- und Kleider-Karten wurden ausgegeben. Das Leben wurde „rationiert“. Cordula schrieb ihrem Peter täglich seitenlange zärtliche Briefe und bekam von ihm fast täglich Post. Aus Polen kamen dann noch Geschenke, Dinge die in Deutschland längst rationiert waren oder überhaupt nicht mehr gab, wie Seidenstrümpfe, Nähgarn oder Strickwolle, Seife und Parfüm und einmal schickte er seinem Frauchen sogar eine Pelzkrawatte.
Cordulas Schwester Elisa nahm jetzt Schauspielunterricht und kam mit rot lackierten Fingernägeln in den Luftschutzkeller, was ihr die missbilligenden Blicke der Nachbarn einbrachten. Sie gebrauchte Ausdrücke am Mittagstisch, die in der Familie nicht üblich waren, und die sich die Mutter verbat. Aber Elisa beharrte darauf und meinte, es wäre in der Schauspielschule so üblich und es sei modern. Der Vater nahm es gelassen und fragte seine Töchter spöttisch, ob denn die roten Fingernägel zu der übrigen Kleidung passen würden. Cordula hätte selbst zu gerne ihre Fingernägel rotlackiert, aber Peter meinte, eine deutsche Frau täte das nicht, ein Bemerkung, die Cordula etwas verblüffte, aber es hing wohl mit dem neuen nationalsozialistischen Gedankengut zusammen.
Sie war bisher allen Verpflichtungen entgangen, war weder im BDM noch in der NS Frauenschaft, nur im Betrieb konnte man sich nicht der Gewerkschaft und der deutsch-sowjetischen Freundschaft entziehen und musste seinen monatlichen Beitrag zahlen, obwohl weder jetzt noch später etwas von einer Freundschaft mit der Sowjetunion zu spüren war.
Die ersten Bomben waren vor der Ullstein Filiale ihres Vaters gefallen und Cordula sah sich mit vielen Berlinern den riesigen Bombentrichter an, der abgegrenzt war und von dem der Reichsmarschall Göring sagte, „er will Meyer heißen, wenn jetzt nochmal die Engländer ihre Bomben auf Berlin fallen lassen würden“. Aber die Bomben fielen und legten bis 1945 nicht nur Berlin in Schutt und Asche. Cordula schrieb ihrem Peter darüber lange zärtliche Briefe und genauso viele sandte er ihr. Ihr Verliebt sein und die Sehnsucht zueinander ließ sie beide in ihren Briefen die grausame Trennung leichter ertragen.
Als im Juni 1943 der Arzt Cordulas Schwangerschaft bestätigte war Peter überglücklich und brachte sein Frauchen schleunigst in einem speziellen Luftschutzkeller unter, welcher am Alexanderplatz in einem Hochhaus, für Schwangere eingerichtet war. Da es nichts Vernünftiges zu kaufen gab und die Punkte auf der Kleiderkarte nicht ausreichten, nähte sich Cordula selber ein Umstandskleid. Geschickt setzte sie einem hellblauen Kleid ein schmales dunkles Vorderteil ein, das man ausknöpfen und dem jeweiligen Umfang anpassen konnte.
So fuhr Cordula nun jeden Abend, bevor es dunkel wurde, mit der U-Bahn zum Alex. Dort saßen die jungen Frauen, hatten ihre Handarbeiten mit und strickten und häkelten für den zu erwartenden Nachwuchs. Sie bekamen dort ihr Abendbrot und wurden betreut von einer Hebamme und einer Krankenschwester.
Es ging nicht immer ganz glatt und eines Abends hatte Cordula Pech und stürzte auf der Treppe, die zum Luftschutzkeller führte. Es hatte schon Bombenalarm gegeben und das Licht ging aus als sie sich auf der Treppe befand. Sie stürzte in den Schacht und als sie aufstand und sich an den Wänden entlang tastete, fand sie in der völligen Dunkelheit nicht den Ausgang, der zu dem Keller führte. Cordula glaubte lebendig eingemauert zu sein. Sie geriet in Panik und schrie um Hilfe, aber niemand schien sie zu hören und draußen fielen schon die ersten Bomben. Dann endlich ging weit hinten im Gang eine Tür auf, Licht fiel heraus und eine Stimme fragte „hallo, wer ist dort?“ Gott lob, Cordula war gerettet.
Aber ein andermal ging es nicht so glimpflich ab. Eine Bombe fiel in den Innenhof des Hochhauses. Der Lärm war unbeschreiblich. Die jungen, schwangeren Frauen saßen gerade gemeinsam um den Tisch und hatten ihr Abendbrot. Der Luftdruck fegte sie alle weg vom Tisch und sie fanden sich auf der Erde an den Wänden wieder. Bei einer der Schwangeren setzten plötzlich die Wehen ein und die Betreuerinnen hatten alle Hände voll zu tun, um all das Schreien und Weinen der Frauen zu beruhigen.
Cordula war, nach dem ersten Schrecken sicher, dass Peter sie alle rausholen würde, schließlich saß er hier in Berlin in der Kommando-Zentrale, und würde kommen, um sie zu retten. Und so kam es auch. Als die Sirene Entwarnung heulte, die verriegelten Türen wieder zu öffnen waren, fanden die Frauen draußen ganze Mannschaften vor, die schwer schippten und gruben, um das eingestürzte Mauerwerk zu beseitigen und die Frauen ans Tageslicht zu holen.
Der Reichspropagandaminister Goebbels hatte die Evakuierung Berlins angeordnet. Er hatte den Berliner Frauen empfohlen, die Stadt wegen der ständig wachsenden Fliegergefahr zu verlassen. Panischer Schrecken ergriff Berlins Mütter und Frauen. Eisenbahnzüge wurden zusammengestellt, Kindertransporte gingen nach Norden, Evakuierungen in umliegende Dörfer wurden organisiert. Nur raus aus Berlin. Die Familien wurden auseinander gerissen und wie viele fanden auch nach Kriegsende nie mehr zusammen.
Peters Einsatz war inzwischen in der Polizei Kommando- Zentrale in Berlin und er hatte damit die Möglichkeit, sich besser um seine Frau kümmern zu können. Er brachte sie zuerst bei einer seiner verheirateten Schwestern in Hoimgrube/Oberschlesien unter, wo sie gut und liebevoll versorgt wurde. Aber Cordula fühlte sich nicht wohl dort, man behandelte sie wie ein kleines Kind, las ihre Post und nahm ihre jede Selbstständigkeit. Eines Tages ging sie zum Bahnhof und kaufte sich eine Fahrkarte nach Berlin.
Die Eisenbahnfahrt in den überfüllten Zügen, zwischen all den Soldaten, die zur Front fuhren oder von dort kamen, war abenteuerlich, aber man war höflich und zuvorkommend zu der jungen schwangeren Frau, sie bekam einen Sitzplatz und lernte eine nette Berlinerin kennen. Diese musste in Berlin schon früher austeigen und bot Cordula an, den Ehemann anzurufen und ihm seine Frau anzukündigen. Peter kam völlig überrascht und etwas irritiert auf den Bahnsteig und nahm seine Frau mit einigen Vorwürfen in Empfang. „Wie kannst Du nur so leichtsinnig sein“, sagte er, „in Deinem Zustand ist eine solche Reise viel zu anstrengend, ich hätte Dich doch holen können.“ Aber Cordula war zu glücklich wieder in Berlin und bei ihrem Peter zu sein. Erst viel später fiel ihr auf, dass er sie mit dem Namen „Inge“ angesprochen hatte.
Als es in Berlin immer gefährlicher wurde, brachte er seine hochschwangere Frau nach Thüringen. In Berlin mussten sie in dem bereits zerstören Anhalter Bahnhof warten, wo sie, an eine kaputte Mauer gekauert die Bombennacht in der Januarkälte zubrachten, ehe ein unplanmäßiger Zug sie mitnehmen konnte.
Dieses Entbindungs-Heim, in landschaftlich schöner Lage, war ein ehemaliges Erholungsheim für jüdische Kaufleute und war von den Nazis enteignet und zum Entbindungsheim umfunktioniert worden.
Cordula war unglücklich, als Peter sie dort zurück ließ, weil er wieder nach Berlin auf seinen Posten zurück musste. Die junge Frau hatte in der letzten Zeit viele kritische Gedanken und recht sorgenvolle Überlegungen. In dem schwangeren Zustand fühlte sie sich dick und unattraktiv. Sie war immer sein Rehlein, sein großer behüteter Schatz gewesen, würde es denn so bleiben, wenn er den Sohn bekam, den er sich so sehnlich wünschte? Würde dann nicht seine ganze Liebe und sein Stolz eben diesem Sohn gelten? Und sie käme dann erst an zweiter Stelle in seinem Herzen und seinen Gedanken? Die zeitweilige Trennung von ihm und seine Überraschung als sie jetzt unangemeldet nach Berlin zurückkam, gaben ihr zu denken.
Einmal schrieb sie ihm, dass es dort nichts zu essen gab und sie Hunger hatte, Peter war sehr besorgt, wusste aber im Moment so schnell keine Hilfe. Cordula war mit vielen Frauen zusammen, die alle auf die Geburt ihres Kindes warteten und alle standen täglich vor der Speisekarte, die an der Tür des Speisesaals angeschlagen war. Es las sich verlockend, was da täglich angeboten wurde, aber es waren schließlich dann doch nur Gerichte aus Kartoffeln, oft sogar die übrig gebliebenen des Vortages, deren wohlklingende Bezeichnungen darüber hinweg täuschen sollten, wie schlecht die Versorgung im 5.Kriegsjahr war.
Die Wehen überraschten Cordula als sie mit den anderen Frauen noch beim Frühstück saß, auch die herbeigerufene Hebamme wollte es nicht glauben und meinte, es wäre wohl nur „Bauchgrimmen“. Aber es ging dann rasch und nachdem die Hebamme noch Cordulas rote Fußnägel beanstandet hatte, war der Sohn schon geboren, allerdings mit viel Blutverlust, wofür man der jungen Mutter dann ein Glas Rotwein und einige Stückchen Zucker zugestand, eine Sonderzuteilung in dieser Kriegs- Zeit Februar 1944.
Jetzt kam Peter schnellstens, um seinen Sohn zu besichtigen. Er konnte sogleich feststellen, dass es wirklich sein Sohn, und nicht etwa aus Versehen vertauscht war, wie es viele Menschen in dieser unruhigen Zeit befürchteten. Das Baby hatte nämlich vom Vater ein untrügliches Zeichen geerbt und das war ein kleines rundes Loch in einer Ohrmuschel. Aber der Sohn war gesund und nur die junge Mutter war etwas mitgenommen durch den starken Blutverlust. Peter brachte aus Heeresbeständen eine große harte ungarische Salami mit, die Cordula dann mit ihren Zimmergenossinnen gemeinsam als großen Leckerbissen verspeiste. Nachdem er versprochen hatte, sein Frauchen und Sohn baldmöglichst abzuholen, fuhr der junge Vater stolzgeschwellt wieder nach Berlin zurück.
Ihre Schwester Elisa hatte inzwischen ihren Professor geheiratet und bekam zwei Monate später als Cordula, ihren ersten Sohn. Die stille Hochzeit hatte im Erzgebirge in der Holzstabkirche Wang stattgefunden und danach zogen sie in eine Wohnung in Hamburg. Er war Frontberichterstatter und viel an den verschiedensten Kriegsschauplätzen unterwegs.
Die älteste Schwester Agnes war schon länger verheiratet und hatte bereits ein kleines 2jähriges Mädchen mit dem schönen Namen Katharina. Sie war evakuiert worden und lebte in einem kleinen Dorf in der Nähe von Küstrin an der Oder.
Das Entbindungsheim aus dem Peter dann seine Frau und Kind im winterlichen Februar abholte, lag in Thüringen in der Nähe von Suhl auf einem Berg und die ersten Schwierigkeiten hatten sie schon auf der vereisten Straße bergab. Peter hatte von Freunden deren Wohnung in der Nähe von Breslau zur Verfügung gestellt bekommen, Berlin litt zu sehr unter dem nächtlichen Bombardement der Engländer und Russen und ihre Wohnung in der Mitte Berlins, die sie zusammen mit Peters Schwestern bewohnten war bereits stark beschädigt. So wurde Cordula vorerst in Trebnitz bei Breslau untergebracht. Sie hatte große Mühe sich in der fremden Umgebung zurecht zu finden und wurde krank und brauchte Hilfe. Die fremde Nachbarin fand sie eines Morgens weinend vor dem Kachelofen, in dem sie es nicht schaffte, ein Feuer anzuzünden. Die Streichholzschachtel war leer, das zusammengeknüllte Papier und die dünnen Holzstäbchen, so wie sie es vom Vater gesehen hatte, waren verkohlt, aber es war kein Feuer im Ofen. Die Hilfe kam dann von Peters Schwester Hilde aus Berlin, die froh war aus dem bombardierten Berlin herauszukommen. Sie nahm sich des Babys an und Cordula konnte aufatmen. Aber es dauerte dann doch noch fast 4 Wochen, ehe Peter für seine kleine Familie eine passende Unterkunft auf dem Lande besorgen konnte.
Es war eine lange und beschwerliche Eisenbahnfahrt bis hin zu dem Dorf im Fläming, wo Peter für sie eine kleine Wohnung im Hause des Bürgermeisters gefunden hatte. Cordula mit dem Baby hatte Mühe es unterwegs zu stillen und zu wickeln, aber das Glück und der Stolz einen Sohn zu haben, überwog doch alles. Die neue Umgebung und das Dorfleben gefielen ihr, doch vorerst gab es für sie noch viel zu entdecken und im Umgang mit dem Baby sicherer zu werden. Die junge Berliner Mutter war aber auch ängstlich auf dem Dorf und fühlte sich allein, da ihr Ehemann sie nur alle drei Wochen besuchen konnte. Darum war sie froh, als sie eine andere Berlinerin kennenlernte, die mit ihren zwei kleinen Töchtern hier her evakuiert war.
Frau Marianne war in diesem Dorf aufgewachsen und war erst kurz vor dem Krieg mit ihrem Mann nach Berlin gezogen. Sie wohnte nun im Haus ihrer Großmutter und hatte Verwandte und Freunde im Dorf. Durch sie hatte Peter hier die kleine Wohnung im Haus des Bürgermeisters gefunden. Ihr Mann arbeitete schon seit längerem mit Peter zusammen und sie hatten sich angefreundet. Die beiden jungen Frauen fanden Gefallen an einander und halfen sich gegenseitig in dieser schwierigen Zeit. Marianne brachte Cordula bei, wie man aus den rationierten Zutaten einen leckeren Blechkuchen backen konnte. Der wurde dann in den großen steinernen Backofen geschoben, den der Bauer lange vorher mit trockenen Reisigbündeln geheizt hatte. Wenn die Glut beiseite gekehrt war, wurden erst die vielen Bauernbrote abgebacken und dann durften alle Frauen, die sich schon vor dem Ofen versammelt hatten, ihre Kuchen bringen, die der Bauer mit einem großen hölzernen Schieber in den glühenden Ofen schob. Hier auf dem Dorf, lernte Cordula auch kochen und sah sich vieles von den Bäuerinnen ab, was sie später immer wieder kochte und gerne aß. In der Zuckerrüben-Erntezeit sammelten die Flüchtlingsfrauen die Rüben, die von den vielen Erntewagen, die durch die Dörfer fuhren, herunter gekollert waren und machten sich dann selber daran, den köstlichen Rübensaft zu kochen, so wie sie es den Bauersfrauen abgesehen hatten.
Die ganze Nacht stand Cordula in der bäuerlichen Waschküche und rührte in dem großen Kupferkessel mit einem langen hölzernen Schieber die Rübenschnitzel bis sie weich gekocht waren. Unten im Kessel mussten ein paar Steine liegen, um das Anbrennen zu verhindern .Dann wurden Schnitzel und Saft getrennt, die weichen Schnitzel wurden Viehfutter und der süße Saft wurde stundenlang weiter gekocht, bis er eingedickt war. Zum Schluss gab man noch die letzten Herbstfrüchte, die grünen Tomaten, Kürbis, Fallobst und dergleichen dazu, was einen leckeren Brotaufstrich ergab.
Cordula standen die Haare zu Berge und waren von dem Dunst steif und klebrig. Sie musste lachen, wenn sie in den Nachtstunden ab und zu rauf in ihre Wohnung ging, um nach dem Kind zu sehen und dabei in den Spiegel schaute. Doch sie war stolz auf ihre neue hausfrauliche Leistung und hatte nun ein wenig Sirup vorrätig.
Aber die Lebensmittelverknappung war auch auf dem Dorf zu spüren und Cordula lernte sparsam zu wirtschaften.
Da sie ihr Kind stillen konnte, kam sie mit den Zuteilungen an Milch, Nährmitteln und Butter - für die sie eine Stillbescheinig von der Hebamme des Dorfes brauchte - gut zurecht und konnte manchmal einen Kuchen backen zu den Feiertagen oder wenn ihr Mann übers Wochenende zu Besuch kam. Inzwischen hatte sie sich gut eingelebt auf dem Dorf und mit den Dorfbewohnern angefreundet. Für die bereitwillig ausgestellten Stillbescheinigungen, konnte Cordula sich später mit ihrer Schneiderei revanchieren. Wie man überhaupt in dieser Zeit nur durch „Beziehungen“ überleben konnte. Der gewitzte Volksmund nannte das Vitamin „B“.
Ihre Schwester Agnes hatte ihr ihre kleine elektrische Nähmaschine zur Verfügung gestellt, die es ihr dann später ermöglichte durch das Anfertigen oder Ändern von Kleidungsstücken etwas zu verdienen und sich und das Kind über Wasser zu halten. Die Eltern, die sie einmal besuchen kamen, waren froh, dass ihre Tochter mit dem Kind so gut untergebracht war und nicht die Nächte in dem gefährdeten Berlin unter dem ständigen Bombenalarm leiden musste. Der neugebackene Großvater verstand es ausgezeichnet, das Bübchen, das die Zusatznahrung nicht annehmen wollte, doch zum Runterschlucken zu bewegen. Und wie so üblich, war die ganze Familie stets mit dem Wohlergehen des neuen Erdenbürgers beschäftigt.
Das Leben war schwierig geworden und da es keine Windeln für das Kind zu kaufen gab, musste Cordula sich zwischendurch mit Zeitungspapier behelfen, wenn die ausgekochten und gewaschenen Windeln nicht so schnell trockneten, wie sie wieder gebraucht wurden.
Als Ende April 1945 der Krieg aus war und die russischen Soldaten in das Dorf einfielen, spielten sich schreckliche Szenen ab.
Durch die Nazipropaganda verschreckt und verstört, nahmen sich viele der jungen Mädchen und Frauen im Dorf mit ihren Kindern das Leben aus Angst vor Vergewaltigungen. Man fand ganze Familien erhängt im Wald. Vor ihnen lagen die Kinder, die man mit Schaftabletten beruhigt und dann im Dorfteich ertränkt hatte. Zwei Schwestern aus dem Nachbarhaus erhängten sich am Fensterkreuz in ihrem Zimmer. Es waren junge, hübsche Mädchen in ihrem Alter und Cordula weinte fassungslos, hatte sie doch noch am Tag zuvor mit ihnen gesprochen.
Auch die Bürgermeistersfrau erhängte sich im Kuhstall. Sie war allein. Ihr Mann war von den russischen Soldaten abgeholt worden. Sie hatte wohl schon einige Vergewaltigungen über sich ergehen lassen müssen und nun keine Kraft mehr auszuharren und unter dieser Angst auf die ungewisse Rückkehr ihres Mannes zu warten.
Einmal, es war noch Winter, wurde eine lange Kolonne jüdischer Frauen durch das Dorf getrieben. Die Frauen waren nur unzureichend bekleidet und viele von ihnen sogar barfuß. Die Bauersfrauen versuchten zu helfen und schoben den Gefangenen ihre eigenen Holzpantinen und Schuhe hin. Das musste vorsichtig geschehen, denn die Wachmannschaft hielt das Gewehr im Anschlag. Man trieb die weinenden Frauen in eine Scheune. Dort bekamen sie Viehfutter als Verpflegung. Die ganze Nacht hörte man ihr verzweifeltes Weinen und Klagen durch das Dorf und viele Frauen im Dorf weinten insgeheim mit ihnen.
Cordula hatte alles mit angesehen, als sie mit dem Kind auf dem Arm auf der Straße stand und sollte dieses Erlebnis ihr ganzes Leben nicht vergessen.
Sie saß in ihrer kleinen Wohnung an der Nähmaschine als eine Nachbarin herein gestürzt kam und schrie „ die Russen kommen.“ Was sollte man tun? Viele der Dorfbewohner strebten dem Wald zu, um sich dort zu verstecken. Cordula packte ihr Söhnchen in den Kinderwagen und versuchte dorthin mitzugehen, aber plötzlich löste sich ein Rad vom Wagen und sie stand starr vor Schreck. Was um Gottes willen sollte sie tun? Sie nahm ihr Kind auf den Arm und lief zurück zum Haus.
Als die russischen Soldaten auch in das Bürgermeisterhaus eindrangen, hatte sich Cordula mit ihrem Baby auf dem Heuboden versteckt, immer in der Angst, dass das Kind weinen und sie damit verraten könnte. Dabei wurde sie Zeuge, wie die russischen Soldaten über die Kühe herfielen, um dort ihre angestauten Bedürfnisse zu befriedigen.
Es war eine Zeit voller Angst und Schrecken. Die jungen Frauen und Mädchen verkleideten sich mit Kopftuch und langen Röcken, um dem russischen „Frau komm“ zu entgehen, aber meistens half das gar nichts. Cordula hatte sich ebenso „verkleidet“ und lief mit dem Kind auf dem Arm und einem Kissenbesuch mit Windeln in der anderen Hand durch das Dorf, weil sie nicht wusste, wo sie bleiben sollte, denn in ihrer kleinen Wohnung hatten sich randalierende Soldaten einquartiert.
Später wurden die verbliebenen Einwohner des Dorfes zu Arbeiten gezwungen, die sie ohne warme Kleidung, ohne ausreichende Nahrung, mit bloßen Händen leisten mussten. Es wurden die Kabeln aus dem gefrorenen Boden geholt und auf große Holztrommeln gerollt, die die verängstigten Frauen kaum bewältigen konnten. Aber die russischen Soldaten standen mit schussbereiten Gewehren dabei und nicht selten legten sie diese auf die Frauen an. Cordula war in einem dieser Arbeitstrupps und in großer Unruhe, denn ihr Kind lag zu Haus im Bettchen, es war allein, und niemand konnte sich darum kümmern. Sie versuchte ihren russischen Bewachern zu erklären, dass sie nach Hause müsste zum Kind. Aber man verstand sie nicht und legte das Gewehr auf sie an. Unter großem Geschrei bildeten all die Frauen einen Ring um sie und erzwangen so die Erlaubnis für die junge Mutter zu ihrem Kind zu gehen.
In das Haus des Bürgermeisters in dem Cordula wohnte, zog dann der russische Generalstab ein. Der General hatte auf dem Hof seinen Campingwagen stehen, während die anderen Offiziere sich in dem großen Bauernhaus die Zimmer aussuchten. Es waren gut aussehende Männer, manierlich und ordentlich, auch ein blonder Balte war darunter, wie sie später feststellen konnte.
Da ihr kleiner Sohn noch nicht sprechen konnte, gab sie sich als Französin aus und stand fortan unter dem Schutz eines französisch sprechenden Majors, der sie um die Gefälligkeit gebeten hatte, etwas an seiner Uniform auszubessern. Die russischen Offiziersuniformen hatten halbhohe Stehkragen und scheuerten am Hals. Deswegen wurde da ein weißer Leinenstreifen eingenäht. Als Cordula den Major bat, sein Jackett auszuziehen, damit sie das einnähen konnte, war ihm das sehr peinlich und es dauerte eine Weile, bis er sich dazu entschloss.
Für ihre Näharbeit durfte sie dann an der Mittagstafel der Offiziere teilnehmen, wo sie allerdings den Wodka nicht ablehnen durfte. Denn das nehmen die Russen übel. Man versuchte vergeblich es ihr mit viel Zucker schmackhafter zu machen, doch sie war und blieb gegen jeglichen Alkohol.
Cordula, die im Preußischen Potsdam aufgewachsen war und sogar mit ihren Eltern gegenüber dem Offizierskasino gewohnt hatte, kannte sich aus in dem Umgangston, der dort herrschte. Umso erstaunter war sie, wenn sie hier die lockeren Manieren zwischen den Offizieren beobachtete. Wenn von den Herren der eine oder andere noch nach einer Zigarette oder Zigarre fragte, so zog die Ordonnanz aus der Brusttasche einen etwas zerdrückten Glimmstängel und bot ihn dem Fragenden an.
Cordula war nur zu froh, dass der Professor, der an der Moskauer Universität lehrte wie er ihr sagte, die schützende Hand über sie hielt, so dass sie keine Vergewaltigung zu fürchten brauchte. Es kamen dann oft einige junge Mädchen und Mägde aus dem Dorf in ihre Wohnung zur Übernachtung, in der Hoffnung dort vor den Vergewaltigungen sicher zu sein.
Man hatte Cordula eine Kuh für die Versorgung ihres Babys zugeteilt, aber da sie nicht melken konnte, musste sie sich dafür jemand suchen. Sie fand eine unter den Bauernmädchen, die sich auch um die Beschaffung des Futters kümmerte und später die Kuh behalten konnte.
Die Russen schlachteten eine Menge Vieh ab und warfen die Innereien achtlos auf den Hof. Deutsche Frauen standen in ängstlicher Entfernung m Rande des Hofes und schauten hungrig auf die weggeworfenen kostbaren tierischen Teile. Aber niemand traute sich vor um vielleicht noch etwas zu retten. Da nahm sich Cordula ein Herz und im Bewusstsein unter dem Schutz ihres freundlichen Russen zu stehen, bat sie, die Teile nehmen zu dürfen, was man ihr auch mit „karrascho“ erlaubte. Schnell klaubte sie alles in einen großen Eimer und gab es den erfreuten und kreischenden Frauen.
Cordula war in großer Sorge, denn sie hatte lange nichts von ihrem geliebten Peter gehört. Er war in der letzten Zeit gar nicht mehr so oft über das Wochenende gekommen, und bekam, wie er sagte, weniger Wochenend-Urlaub von seinem Dienst. Cordula glaubte, auch in seinen Umarmungen eine Änderung zu spüren, aber als sie ihn einmal danach fragte, schien er sehr gekränkt über ihren Zweifel. Cordula war zu jung und zu unerfahren und nur zu gerne glaubte sie seinen erneuten Liebesschwüren und zärtlichen Küssen, mit denen er sie zu beruhigen suchte.
Eines Tages stand ihr Schwager Werner, der Mann ihrer ältesten Schwester Agnes mit noch zwei verwundeten Kameraden vor ihrer Tür. Es waren zerlumpte, verhungerte Gestalten, der eine hatte um einen Streifschuss am Kopf einen blutigen und schmutzigen Verband, während der andere den Arm in der Schlinge trug. Sie wankten, vor Hunger, vor Müdigkeit und Schmerzen und Cordula lief schnell und fragte um die Genehmigung die Soldaten bei sich aufnehmen zu dürfen. Dann stellte sie einen großen Topf mit Kartoffeln auf, den die hungrigen Heimkehrer nicht aus den Augen ließen. Die drei Männer blieben für 2 Tage, hatten aber keine Ruhe und wollten versuchen nach Hause zu gelangen. Wie Cordula später erfuhr, wurde ihr Schwager Werner unterwegs von einer russischen Streife aufgegriffen und deportiert. Erst Jahre später kam er heim zu Frau und Kind, aber da war es dann schon zu spät.
Und dann endlich, eines Tages kam Peter mit dem Fahrrad und einer Baskenmütze auf dem Kopf ins Dorf. Da er neben seinem Polnisch auch Französisch sprach, hatte er die Idee sich als Franzose auszugeben, waren diese doch „Verbündete der sowjetischen Armee“.
Sie fielen sich selig in die Arme und wollten sich nie wieder loslassen. Endlich konnte Cordula eine richtige Ehe haben mit Mann und Kind, so wie sie sich das immer vorgestellt hatte. Peter war mager und hohlwangig und hatte sich nur unter enormen Mühen aus den Kämpfen um das zerbombte und zerstörte Berlin retten können. Aber er war unverletzt geblieben an Leib, wenn wohl auch nicht an Seele, denn die letzten Tage in der gequälten Hauptstadt waren grauenhaft gewesen, und er konnte vorerst gar nicht davon sprechen.
Auch der Mann der anderen Berlinerin, Marianne, kam unversehrt zu ihr und den beiden Töchtern zurück. Aber das Glück sollte nicht lange dauern, denn die Russen stellten einen Transport mit deutschen Männern zusammen, die zu irgendeiner Aktion irgendwohin kommandiert wurden. Die beiden Frauen konnten es nicht fassen und mussten nun weiterhin alleine zurechtkommen, unter den unerträglichen Verhältnissen. Der kleine Sohn von Cordula weinte und schrie viel. Cordulas Vorrat an Windeln war verbraucht und da es nichts zu kaufen gab, musste sie manchmal Zeitungspapier nehmen, was das Kind wund machte. So vergingen wieder einige Wochen und plötzlich war Peter wieder da. Mit seinen polnischen Sprachkenntnissen hatte er sich nützlich machen können und sich dann „abgesetzt“, wie er sagte. Aber am besten man fragte gar nicht genau danach.
Inzwischen waren die russischen Soldaten abgezogen aus dem Dorf und nur ein „Kommandant“ blieb im Bürgermeister-Haus, um die Deutschen unter Kontrolle zu behalten. Von ihm holte sich Peter die Erlaubnis hier im Dorf bei Frau und Kind bleiben zu dürfen. Er hatte den Krieg und auch diese letzten Schwierigkeiten unversehrt überstanden, und war nun überglücklich bei seiner kleinen Familie zu sein. Aber lange hielt er es nicht aus. Er besprach mit Cordula ob sie nicht nach Berlin gehen können, um sich da wieder eine Existenz aufzubauen. Aber wie sollte man nach dem 90 Kilometer entfernten Berlin kommen? Es gab keine Bus-oder Bahnverbindung, Berlin lag in Schutt und Asche, wie mag es den Eltern und Geschwistern ergangen sein?
Man hörte immer wieder schlimme Nachrichten aus dem zerstörten Berlin, es gab nichts zu essen, nach dem Wenigen, das es auf die Lebensmittelkarten gab, musste endlos angestanden werden, frisches Wasser wurde mit Eimern von der Pumpe in der Straße geholt. Es gab kein Gas zum Kochen und selten genug ein paar Stunden Strom. Das Verbrauchen von Strom oder Gas zum Kochen stand unter Todesstrafe. Die Menschen lebten in notdürftigen Unterkünften, es gab kaum Heizungsmaterial, deswegen wurden überall die Bäume gefällt und zu Brennholz zersägt. Die Berliner hungerten und froren und viele Menschen, besonders ältere kamen dabei zu Tode.
Cordula weinte viel, sie hatte Angst um die Eltern und war ratlos. Da machte Peter ihr nach vielen schlaflosen Nächten den Vorschlag, dass man doch vielleicht mit Hilfe des Fahrrads den Weg nach Berlin schaffen könnte. Aber sie war entsetzt, mit dem einjährigen Baby konnte sie doch nicht aufs Rad, es gab nichts zu essen, keine Unterkunft unterwegs, keine Milch für das Kind, nein, unmöglich.
So verblieben sie dann, dass Peter alleine mit dem Rad nach Berlin fahren und Frau und Kind später nachholen würde. Als Peter am nächsten Morgen mit dem Rad losfuhr, stand sie da mit dem Baby auf dem Arm, alleine, entsetzt und verzweifelt.
Sie sollte ihn niemals wiedersehen.