Читать книгу Die ersten 100 Jahre des Christentums 30-130 n. Chr. - Udo Schnelle - Страница 11

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5. Die Jerusalemer Gemeinde

WILHELM SCHNEEMELCHER, Das Urchristentum, 74–122. – KARL MARTIN FISCHER, Das Urchristentum, 64–73. – CARSTEN COLPE, Die erste urchristliche Generation, in: Jürgen Becker, Die Anfänge des Christentums, 59–79. – LUDGER SCHENKE, Die Urgemeinde, passim. – JOACHIM GNILKA, Die frühen Christen, 248–257. – ECKHARD-J. SCHNABEL, Urchristliche Mission, 381–423. – JOHN DOMINIC CROSSAN, Birth of Christianity, New York 1998. – JAMES D. G. DUNN, Beginning from Jerusalem, 133–278. − GERD LÜDEMANN, Die ersten drei Jahre Christentum, 16–90. − RAINER RIESNER, Zwischen Tempel und Obergemach − Jerusalem als erste messianische Stadtgemeinde, in: Reinhard von Bendemann/Markus Tiwald (Hg.), Das frühe Evangelium und die Stadt, 69–91.

Die Jerusalemer Gemeinde wird zumeist als ‚Urgemeinde‘ bezeichnet, um so ihre besondere Bedeutung für die Geschichte des frühen Christentums zum Ausdruck zu bringen. Für die Sonderstellung der Jerusalemer Gemeinde gibt es vier Hauptgründe: 1) Jerusalem war das religiöse Zentrum des Judentums, als dessen Teil sich auch die ersten Christusgläubigen empfanden; 2) Jerusalem war der Ort der Kreuzigung und Auferstehung Jesu Christi; 3) in Jerusalem ereigneten sich Erscheinungen des Auferstandenen (vgl. Lk 24,34; Joh 20,11–18) und 4) Jerusalem mit seinen religiösen Traditionen war der überlieferte Ort, wo die ersten Christusgläubigen die Parusie des Messias Jesus von Nazareth erwarteten (s.u. 5.1). Die Sonderstellung der Gemeinde zeigt sich auch im (hinausgezögerten) ‚Antrittsbesuch‘ des Paulus (vgl. Gal 1,18), als Ort des Apostelkonvents (Gal 2,1; Apg 15,4) sowie in der paulinischen Begründung für die Kollekte: Sie ist ein Dienst für die ‚Heiligen‘ in Jerusalem (2Kor 8,4f; 9,1.12; Röm 15,25–27), die so einen materiellen Ausgleich für ihre geistlichen Gaben erhalten42.

Mehrere Zentren

Auch wenn Jerusalem das Zentrum der nachösterlichen Bewegung der Christusgläubigen bildete, war es nicht das einzige43 und vor allem nicht der Ursprung des Christentums als eigenständiger Bewegung. Vermutlich gab es auch in Galiläa von Anfang an Gemeinden der Christusgläubigen (s.u. 6.3/6.4). Bei der Ausbreitung der neuen Bewegung und der Formung ihres Denkens spielten Damaskus und vor allem Antiochia eine weitaus gewichtigere Rolle als Jerusalem (s.u. 6.4). Vieles spricht sogar dafür, dass man in Jerusalem der beschneidungsfreien Mission (vor allem des Paulus) sehr kritisch gegenüberstand und sie zu verhindern bzw. nachträglich zu korrigieren suchte (s.u. 7.6/8.5). Außerdem gründete sich eine so bedeutende Gemeinde wie Rom völlig unabhängig von Jerusalem, was auch von Damaskus, Antiochia und Alexandria vermutet werden darf. Deshalb ist es sachgemäßer, von der Jerusalemer Gemeinde und nicht von der Ur-Gemeinde als der Mutter aller Dinge zu sprechen, wodurch die Sonderstellung der Jerusalemer keineswegs geschmälert wird.

5.1 Die Anfänge

Die Entstehung der Jerusalemer Gemeinde lässt sich in Grundzügen nachzeichnen44. Der Wirbel um das Auftreten, den Prozess und die Kreuzigung des galiläischen Heilers und Predigers Jesus von Nazareth scheint in Jerusalem nur kurze Zeit angehalten zu haben. Wahrscheinlich gingen Römer und Juden ziemlich schnell wieder zur Tagesordnung über; sie hielten mit dem Tod Jesu auch dessen Botschaft für erledigt. Da die Jünger Jesu geflohen waren (s.o. 4.1), galt offenbar auch die gesamte Bewegung für aufgelöst, so dass die Behörden keinerlei Anlass sahen, den Anhängern Jesu weiter nachzustellen. Mit der Hinrichtung Johannes des Täufers und der Kreuzigung Jesu schienen zwei messianisch-prophetische Gestalten und Bewegungen niedergeschlagen worden zu sein, die ihre Kraft nicht aus Waffen, sondern aus ihrer subversiven religiösen und ethischen Botschaft erhielten. Insgesamt war die Zeit kurz nach 30 zunächst relativ ruhig; weder für das Römische Reich insgesamt noch für Judäa werden gravierende Ereignisse berichtet. Auch die führenden jüdischen Gruppen der Pharisäer und Sadduzäer sahen wahrscheinlich den kurzen Auftritt des galiläischen Predigers Jesus von Nazareth und seiner galiläischen Anhänger als gescheitert und damit beendet an.

Die ersten Ereignisse

Jerusalem und Galiläa

Jerusalem als Stadt des Messias

Dann setzte eine mehrschichtige Bewegung ein: 1) Die aus Jerusalem geflohenen galiläischen Jünger und Jüngerinnen Jesu (vgl. Mk 15,47; 16,1) dürften zunächst einige Zeit in Galiläa geblieben sein. Dort führten die vorösterlichen Impulse Jesu in Verbindung mit Erscheinungen (Mk 16,7; 1Kor 15,5: ‚Kephas und die Zwölf‘; 15,6: ‚fünfhundert Brüder‘) und Beauftragungen des Erhöhten (Petrus: Mt 16,16–18) sowie neuartigen Geisterfahrungen (Reflexe in Apg 1,11; 2,7) zu einer Restitution des vorösterlichen Anhängerkreises von in Galiläa Verbliebenen und aus Jerusalem Zurückgekehrten. 2) Gleichzeitig blieben Sympathisanten Jesu in Jerusalem, so Josef von Arimathäa (und Josef Barsabbas, Matthias?)45, ohne allerdings erkennbar Aktivitäten zu entwickeln. Zugleich gab es auch in Jerusalem Erscheinungen (Lk 24,34; Joh 20,11–18) und Geisterfahrungen (vgl. Apg 1,16; 2,1–36; 4,31). 3) Teile der galiläischen Christusgläubigen kehrten allmählich – von Juden und Römern zunächst unbemerkt – unter der Führung des Petrus nach Jerusalem zurück (vgl. Apg 1,12.13a) und bildeten dort mit den in Jerusalem verbliebenen Jesusverehrern etwas völlig Neues: die erste Gemeinde der Christusgläubigen. Zudem schlossen sich weitere Mitglieder der neuen innerjüdischen Bewegung an; aus Galiläa vor allem Teile der Familie Jesu (Maria, Jakobus; vgl. Apg 1,14b), aber auch unbekannte Menschen, die vom Auftreten Jesu in Jerusalem beeindruckt waren und nun als seine Sympathisanten wirkten. Jerusalem ist die heilige Stadt (Jes 48,2; 52,1), die Wohnung des Höchsten (Ps 46,5), wo Gott seine Königsherrschaft aufrichten wird (vgl. Jes 33,20–22; 54,10–14; 60,1ff). Jerusalem war innerhalb der jüdischen Eschatologie traditionell der Ort des Kommens bzw. Wiederkommens des Messias, so dass es für die Christusgläubigen naheliegend war, in Jerusalem die Ankunft des Messias Jesus von Nazareth zu erwarten46. In den um 50 v.Chr. abgefassten Psalmen Salomos 17,21.22.26 heißt es: „Sieh zu, Herr, und richte ihnen ihren König, den Sohn Davids, zu der Zeit, die du ausersehen hast, o Gott, über Israel, deinen Knecht zu herrschen, und umgürte ihn mit Stärke, zu zermalmen ungerechte Fürsten, zu reinigen Jerusalem von Heidenvölkern. ... Und er wird versammeln ein heiliges Volk, das er führen wird in Gerechtigkeit …“ (vgl. ferner Bar 40,1; Hen 90; Sib 5, 414ff). Dort, wo Jesus gekreuzigt wurde, starb, auferstand und erschien, erhofften nun seine Anhänger die Wiederkunft.

Eine Schlüsselstellung kam innerhalb dieser Ereignisse wahrscheinlich Petrus zu (s.u. 5.2). Als Erstberufener und erster Zeuge des Auferstandenen hatte er trotz seines Versagens in der Passion eine besondere Autorität; er führte offenbar die sich konstituierende Gemeinschaft. Petrus wird in der Jüngerliste Apg 1,13 an erster Stelle genannt, er bestimmt das Handeln (vgl. Apg 1,15ff), hält die richtungsweisenden Reden (vgl. Apg 2,14–36) und vollbringt die ersten Wundertaten (vgl. Apg 3). Wiederum ist es Petrus, der in Apg 2,38 die früheste Verkündigung summarisch zusammenfasst: „Kehrt um, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.“

Erste Strukturen

Erste Mitglieder der Gemeinde

Über die anfänglichen Organisationsformen und Leitungsstrukturen der Jerusalemer Gemeinde wissen wir wenig. Im ältesten nachösterlichen Jüngerkreis spielten Organisations- und Leitungsfragen wahrscheinlich noch keine große Rolle. Die soziologischen Bedingungen der Stadt Jerusalem dürften allerdings nun auch auf die erste Gemeinde eingewirkt haben. Nach Apg 1,13 traf sich die Gemeinde in Jerusalem zunächst im Obergeschoss eines Hauses. Neben den Aposteln und galiläischen Jesusjüngern (vgl. Apg 1,11.13; 2,7) gehörten auch Frauen (Mk 15,40.47; 16,1: Maria Magdalena; Maria, die Mutter des Jose; Maria, die Mutter des Jakobus; Salome) sowie Maria, die Mutter Jesu, und seine Brüder dazu. Hinzu kommen Sympathisanten Jesu wie Josef von Arimathäa (Mk 15,43), Matthias (Apg 1,23.26) und Josef Barsabbas, genannt Justus (Apg 1,23); Maria, die Mutter des Johannes Markus mit der Dienerin Rhode (Apg 12,12–15) sowie Alexander und Rufus, die Söhne des Simon von Kyrene (Mk 15,21); die Emmaus-Jünger (Lk 24,18: Kleopas und ein unbekannter Jünger), Barnabas (Apg 4,36f), Mnason aus Zypern (Apg 21,16) und vielleicht auch Silvanus/Silas (1Thess 1,1; Apg 15,22.27) und Judas Barsabbas (Apg 15,22.27). Auch Andronikus und Junia (s.u. 5.2), die bereits vor Paulus zum Glauben fanden (Röm 16,7), dürften schon sehr früh zur Gemeinde gehört haben. Vielleicht zählten sie zu Einwanderern aus Rom, die über Geisterfahrungen zur Gemeinde fanden (vgl. Apg 2,10)47. In einer etwas späteren Phase der Gemeindeentwicklung könnten Hananias und Saphira (Apg 5,1–11), hellenistische Juden aus der Diaspora (vgl. die Witwen der Hellenisten in Apg 6,1), der Prophet Agabus (Apg 11,28; 21,10) sowie jüdische Priester (Apg 6,7) zur Gemeinde gestoßen sein48.

Erste Strukturen

In Apg 2,46 wird berichtet, dass die Gemeinde zum Brotbrechen täglich in den Häusern zusammenkam. Diese Mahlgemeinschaften werden in der Regel mehr Personen umfasst haben, als zu den jeweiligen Hausgemeinschaften gehörten. Der Größe der Häuser in Jerusalem entsprechend, nahmen wohl ca. 20–30 Personen an diesen Mahlgemeinschaften teil. Häuser in und um Jerusalem werden auch in Mk 14,3 (Simon von Betanien); Lk 24,13.29 (Emmaus-Jünger), Apg 1,13 (ein Obergeschoss); 12,12f (Maria, die Mutter des Johannes Markus), 21,16 (Mnason aus Zypern) und Gal 1,18 (Petrus kann Paulus für 2 Wochen aufnehmen) vorausgesetzt. Es muss in der Gesamtgemeinde in Jerusalem sehr bald Untergliederungen, d.h. Hauskirchen gegeben haben. Darauf weist der sprachliche Unterschied zwischen den griechisch sprechenden hellenistischen Juden und den aramäisch sprechenden palästinischen Juden hin (s.u. 5.5). Solche Treffen erforderten naturgemäß eine gewisse Organisation und auch Leitungspersonen. Dies könnte gewählten Leitern oder den jeweiligen Hausvorständen übertragen worden sein.

Größe der Gemeinde

Über die Größe der Gemeinde lassen sich nur Vermutungen anstellen; die Zahlenangaben in Apg 1,15 (120 Brüder) und Apg 2,41 (3000 Menschen schlossen sich an einem Tag der Gemeinde an) dürften die idealen Vorstellungen von der Anfangszeit wiedergeben. Man kann jedoch davon ausgehen, dass die Gemeinde schnell wuchs und sich ihr ‚eine Menge von Männern und Frauen‘ (Apg 5,14) anschlossen. Werden mehrere Hausgemeinden in Jerusalem angenommen, dann wird man bald von ca. 100 und mehr Gemeindemitgliedern sprechen können. Nachdem sie eine bestimmte Gesamtgröße erreicht hatte, kam als Versammlungsort für die Gemeinde auch das Tempelareal mit seinen Höfen und Hallen infrage. Ebenso könnten Synagogen als Versammlungsorte für Gottesdienste gedient haben. Insgesamt scheint die Entwicklung schnell und stürmisch verlaufen zu sein.

Religiöse Erfahrungen

Geist-Erfahrungen

Was für die paulinischen Gemeinden unzweifelhaft ist (vgl. nur 1Thess 5,19; 1Kor 12), dürfte auch für die Jerusalemer Gemeinde zutreffen: Intensive Geist-Erfahrungen prägten die religiöse Welt der ersten Christusgläubigen. Die Pfingsterzählung Apg 2,1–36 geht in ihrer vorliegenden Form auf Lukas zurück und lässt sich vollständig in die lukanische Theologie integrieren. Nach Apg 1,6–8 erscheint die Gabe des Heiligen Geistes als die entscheidende Zurüstung der Zeugen Christi in der Zeit der Abwesenheit des Herrn. In den Wirkungen des Geistes erweist sich nach Apg 2,33 Jesus als der zum Himmel Erhöhte: „Nachdem er zur Rechten Gottes erhöht worden ist und die Verheißung des Heiligen Geistes vom Vater empfangen hat, hat er dies ausgegossen, was ihr seht und hört.“ Die Gabe des Geistes des Auferstandenen und Erhöhten ist somit die Grundlage für die weltweite Mission und die Sammlung der Heilsgemeinde49. Pfingsten ist für Lukas die Erfüllung der bereits vom Täufer angekündigten Geisttaufe Jesu (vgl. Lk 3,16; Apg 1,5; 2,4). Die Jünger und alle Hörer in Jerusalem werden vom Geist zur Verkündigung befähigt (Apg 2,1–13), so dass Pfingsten eine Vorabbildung dessen wird, was sich später ereignet: Die Verkündigung des auferstandenen Jesus Christus wird unter dem Wirken des Geistes von Menschen ganz verschiedener Kulturkreise verstanden und angenommen. Trotz dieser Einbettung in die lukanische Theologie steht hinter dem Pfingstgeschehen ein historischer Kern50: neuartige und intensive Geisterfahrungen der Christusgläubigen in Jerusalem51. Sowohl im Alten Testament (vgl. Ez 36; Joel 3) als auch im antiken Judentum (vgl. äthHen 61; Jub 1,20ff; 1OS IV 18–23; 1QH 7,6f; 16,11f; 17,26) gilt die Gabe des Geistes als ein Zeichen des Anbruchs der Endzeit52. Die Geistbegabung des Messias (Jes 11,2; 28,6; 42,1; 61,1; äthHen 49,3; 62,2; PsSal 17,37; 18,7) und die Geistbegabung des ganzen Volkes (vgl. Ez 36,26f; 37,5.14; 39,29; Jes 32,15; 44,3; Sach 12,10; Hag 2,5; Joel 3,1–4; äthHen 1,23) zeugen gleichermaßen von der Gegenwart Gottes und seinem nun einsetzenden heilschaffenden Endhandeln. Auch wenn die Geist-Erfahrungen der ersten Christusgläubigen in Jerusalem sicher nicht so spektakulär und umfassend waren, wie es der Pfingstbericht darstellt, dürften sie zu einer ähnlichen Gewissheit gekommen sein, wie später z.B. die Christen in Korinth: Gott und der Auferstandene sind im Geist gegenwärtig. Die Erscheinungen des Auferstandenen und das Wirken des Geistes machten die Gemeinde gewiss, dass Gott an und durch Jesus Christus gehandelt hat und auch zukünftig handeln wird. Mit dem Geistwirken verbanden sich wahrscheinlich wunderhafte Machttaten. Zwar sind die Wundererzählung Apg 3,1–9 und die sich anschließenden Ereignisse (vgl. Apg 4,7, wo die Hohepriester Petrus und Johannes fragen: „aus welcher Kraft oder in welchem Namen habt ihr das getan?“) vollständig von Lukas gestaltet, aber wiederum sind dahinter im Kern historische Ereignisse zu vermuten. In 2Kor 11–12 setzt sich Paulus mit streng judenchristlichen ‚Überaposteln‘ (2Kor 12,11) auseinander und betont gegenüber den Korinthern, dass „die Zeichen des Apostels“ (2Kor 12,12: ) unter ihnen geschehen seien. Es gehört zum Wesen des Apostelamtes, Machttaten zu vollbringen, dadurch weist sich ein Apostel aus und daran erkennt man ihn (s.u. 5.2). Dieses pneumatische Verständnis des Apostelamtes dürfte kaum außerhalb Jerusalems bzw. unabhängig von Jerusalem entwickelt worden sein. Vielmehr spiegelt es die Anfangsereignisse in Jerusalem wider, wo unter dem Wirken des Geistes die Apostel auch Machttaten vollbrachten.

5.2 Gruppen und Personen

FERDINAND HAHN, Das Apostolat im Urchristentum, KuD 20 (1974), 54–77. – JÜRGEN ROLOFF, Art. Amt IV, TRE 2, Berlin 1978, 509–533. – DERS., Art. Apostel I, TRE 3, Berlin 1979, 430–445. – MARTIN HENGEL, Jakobus der Herrenbruder – der erste „Papst“?, in: Glaube und Eschatologie (FS W.G. Kümmel), hg. v. Erich Grässer/Otto Merk, Tübingen 1985, 71–104. – WILHELM PRATSCHER, Der Herrenbruder Jakobus und die Jakobustradition, FRLANT 139, Göttingen 1987. – JÜRGEN ROLOFF, Die Kirche im Neuen Testament, 86–143. – MONIKA LOHMEYER, Der Apostelbegriff im Neuen Testament, Stuttgart 1995. – WOLFGANG REINBOLD, Propaganda und Mission im ältesten Christentum, 32–116. – CHRISTFRIED BÖTTRICH, Petrus, BG 2, Leipzig 2001, 132–183. – JÖRG FREY, Apostelbegriff, Apostelamt und Apostolizität, in: Theodor Schneider/Gunther Wenz (Hg.), Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge I: Grundlagen und Grundfragen, Freiburg/Göttingen 2004, 91–188. – MARTIN HENGEL, Der unterschätzte Petrus, Tübingen 2006. − THOMAS SCHMELLER/MARTIN EBNER/RUDOLF HOPPE (Hg.), Neutestamentliche Ämtermodelle im Kontext.

Institutionalisierungen

Die erste Phase innerhalb der Jerusalemer Gemeinde war eine Art eschatologischer Sammlung; es schließt sich eine Phase der ersten Institutionalisierungen an: Gruppen und Personen treten in den Vordergrund und festere Strukturen bilden sich heraus53. Zwei Personenkreise bzw. Gruppen spielen in der Anfangsgeschichte der Jerusalemer Gemeinde nach lukanischer Darstellung eine bedeutende Rolle, denn der Erhöhte erscheint den Aposteln (vgl. Apg 1,2), die nach lukanischer Darstellung mit den Zwölfen identisch sind (vgl. Apg 1,15–26).

Der Zwölferkreis

Die ‚Zwölf‘ vor Ostern

Der Zwölferkreis54 dürfte bereits durch Jesus von Nazareth eingesetzt worden sein55. Für seine Historizität sprechen vor allem vier Argumente: 1) Die nachösterliche Gemeinde wäre kaum zu der Aussage gekommen, Judas als ein Mitglied des engsten Jüngerkreises habe Jesus verraten (vgl. Mk 14,10.43par), wenn dies nicht geschichtliche Tatsache wäre56. 2) Der Zwölferkreis wird in der vorpaulinischen Tradition 1Kor 15,5 genannt, wonach Christus „dem Kephas erschien, dann den Zwölfen.“ Die ‚Zwölf‘ sind hier eine feste Institution, obwohl Judas nicht mehr dazugehört und Petrus eigens erwähnt wird. 3) Paulus unterscheidet in 1Kor 15,5.7 deutlich zwischen dem Zwölferkreis und den Aposteln; er weiß somit um seinen frühen Ursprung und seine besondere Funktion. 4) Der Zwölferkreis spielte nachösterlich keine erkennbare geschichtliche Rolle mehr; viel wichtiger werden die durch eine Erscheinung des Auferstandenen berufenen Apostel. Erst in späterer Zeit, bei Markus, Matthäus und Lukas und in der Johannesoffenbarung (Offb 21,14) findet sich die Identifizierung der Zwölf mit den Aposteln. Der Zwölferkreis dürfte in die vorösterliche Zeit zurückreichen und seine Bedeutung erschließt sich vor allem aus Lk 22,28.30Q: „Ihr, die ihr mir gefolgt seid, werdet auf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten.“ Der Zwölferkreis hatte offenbar die Funktion, das Zwölfstämmevolk Israel zu repräsentieren; als Vorwegnahme der eschatologischen Ganzheit Israels, gleichsam in Analogie zum Gottesreich, das in Jesus jetzt schon verborgen anfängt. Der Zwölferkreis entspricht somit dem Gegenwartsaspekt des Gottesreichs, indem er bereits den Anfang der von Gott zu schaffenden Ganzheit Israels signalisiert.

Die ‚Zwölf‘ nach Ostern

Eine (begrenzte) nachösterliche Bedeutung des Zwölferkreises wird durch den Erscheinungsbericht 1Kor 15,5 nahegelegt: „dass er erschienen ist dem Kephas, danach den Zwölfen“. Zwar ist der Ort des Geschehens unsicher, da aber die Erscheinungen vor Kephas und vor den Zwölfen eng zusammengehören und Kephas seine Erscheinung in Galiläa erhielt (vgl. Mk 16,7), spricht viel für Galiläa als Ort der Erscheinung Jesu Christi vor den Zwölfen57. Petrus hätte dann nach der ihm zuteilgewordenen Erscheinung den Zwölferkreis in Galiläa neu konstituiert, der seinerseits mit einer Erscheinung gewürdigt wurde. Danach verlieren sich die Spuren des Zwölferkreises, denn es ist sehr zweifelhaft, ob die gesamte Gruppe nach Jerusalem zurückgekehrt ist. Gegen eine führende Rolle des Zwölferkreises in der Jerusalemer Gemeinde spricht vor allem, dass er nur zweimal in Erscheinung tritt: 1) in der Liste Apg 1,13 und der Nachwahl des Matthias (Apg 1,15–26); und 2) bei der Einsetzung des Siebenerkreises (Apg 6,2–7). Beide Texte spiegeln den Grundgedanken der lukanischen Ekklesiologie wider, wonach die zwölf Apostel das Bindeglied zwischen der Jesus-Zeit und der Zeit der Kirche darstellen. Deshalb ‚muss‘ der Zwölferkreis vollständig sein und nur die ‚Zwölf‘ können ein neues Gremium wie den Siebener-Kreis legitimieren (s.u. 5.5). 1Kor 15,5.7 zeigen hingegen sehr deutlich, dass die Zwölf entgegen der lukanischen Darstellung nicht identisch mit den Aposteln waren, denn hier wird zwischen den ‚Zwölf‘ und den Aposteln differenziert. Faktisch spielten nur Einzelpersonen aus dem Zwölferkreis (vor allem Petrus und der Zebedaide Johannes) in der Jerusalemer Gemeinde eine Rolle. Dieses Bild wird durch Paulus bestätigt, der bei seinem ersten Jerusalembesuch ca. 35 n.Chr. nach Gal 1,18f nur mit Kephas intensiven Kontakt hatte, „von den anderen Aposteln sah ich keinen außer Jakobus, den Bruder des Herrn.“ Wahrscheinlich kam dem Zwölferkreis nach Ostern nur kurz eine Bedeutung zu; Petrus sammelte ihn in Galiläa, dann verlieren sich die Spuren. Einige Mitglieder blieben in Galiläa, andere gingen nach Jerusalem. Die Apostelgeschichte unterstreicht dies indirekt, denn auch in ihrer Darstellung haben Einzelpersonen die Führung in der Jerusalemer Gemeinde inne. Nicht die Zwölf, sondern die Apostel sind nun von entscheidender Bedeutung.

Die Apostel

Der Apostelbegriff

Das Substantiv wird in der Profangräzität vor allem im Sinn von ‚Aussendung‘ im Kontext kriegerischer Handlungen gebraucht58. Es ist weder eine Amtsbezeichnung noch kommt es in festgelegten religiösen Kontexten vor. Wird es auf Personen bezogen, dann bedeutet es ebenso wie die Passivpartizipien von („senden“) und („senden/schicken“) ‚von jemandem zu jemandem gesandt zu sein‘ und hat auch hier keine geprägte Bedeutung59; das Spektrum reicht von bevollmächtigten Gesandten/Verhandlungsführern‘ bis hin zu ‚Boten/Übermittlern‘. In der Septuaginta kann die Berufung und Sendung von Propheten mit verbunden werden (vgl. Jes 6,8 u. ö.); zudem verkündet der gesandte Prophet nach Jes 61,1f den Armen ‚gute Botschaft‘ (). Aber auch Epiktet verwendet das Verb mehrfach in einem philosophisch-religiösen Zusammenhang: Der Kyniker ist als Botschafter des Guten und Wahren von Zeus gesandt60. Das früheste Christentum nahm den freien Begriff auf und prägte ihn (wahrscheinlich vom Verb her) inhaltlich neu61. Die Vorstellung eines ‚Gesandten‘ wird nun ausschließlich auf Personen bezogen und es entwickelten sich verschiedene Konzepte62, von denen zwei besonders profiliert sind: die eine Konzeption wird von Lukas überliefert, die andere repräsentiert vor allem Paulus.

Das lukanische Konzept

Die zwölf Apostel

Lukas verbindet die ‚Zwölf‘ exklusiv mit ‚den Aposteln‘; für ihn sind die zwölf Apostel das Urbild der Kirche, denn sie bezeugen den Weg des Irdischen (Lk 6,13: „Und als es Tag wurde, rief er seine Jünger herbei und wählte zwölf von ihnen aus, die er auch Apostel nannte“), sie sind die Repräsentanten Israels (Lk 22,30), an sie ergeht der Sendungsauftrag (Lk 24,47), sie werden zu Augenzeugen von Himmelfahrt und Erhöhung (Lk 24,48; Apg 1,21f) und ihnen gilt die Geistsendung (Lk 24,49; Apg 1,8)63. Die zwölf Apostel sind somit die hervorgehobenen Zeugen des Christusgeschehens und die entscheidenden Traditionsträger. Sie repräsentieren für Lukas gewissermaßen das vollendete Israel, indem sie die Kontinuität zwischen der Zeit Jesu und der sich bildenden Kirche darstellen. In diesen Funktionen können sie keine Nachfolger haben, weil sie historisch und theologisch einmalige Garanten der Jesusüberlieferung und Prototypen kirchlicher Amtsträger sind. Deshalb kann nach Apg 1,21f nur in diesen Kreis aufgenommen werden, „einer von den Männern, die mit uns zusammen waren während der ganzen Zeit, da der Herr bei uns ein- und ausging, angefangen von der Taufe des Johannes bis zu dem Tage, da er von uns hinweggenommen ward.“ Matthias erfüllt die beiden Kriterien der durchgängigen vor- und nachösterlichen Augenzeugenschaft und wird deshalb (vom Geist) für dieses Amt bestimmt. Offenkundig dient die lk. Konzeption der zwölf Apostel dazu, das in Lukas 1,1–4 entworfene Bild der sicheren Unterweisung der Jesusüberlieferung zu sichern. Um dies zu erreichen, setzt Lukas den vorösterlichen Jüngerkreis faktisch mit den ‚Zwölfen‘ gleich und identifiziert die ‚Zwölf‘ mit dem nachösterlichen Kreis der Apostel. Die zwölf Apostel bringen nachösterlich die Jesusüberlieferung in die missionarische Verkündigung ein (Apg 2,22f; 4,10ff; 6,4) und machen sie zur Grundlage der Jerusalemer Gemeinde, von der es in Apg 2,42 heißt: „sie blieben bei der Lehre der Apostel“. Im Rahmen dieser Konzeption kann Paulus für Lukas kein Apostel sein, weil er als nachösterlich Berufener (Apg 9,1–19) kein Ursprungsträger der Jesusüberlieferung ist64. Paulus wird so einerseits den zwölf Aposteln heilsgeschichtlich nachgeordnet, andererseits ist er aber wie die Apostel ‚Zeuge‘ des Christusgeschehens (vgl. Apg 20,24; 22,15; 23,11; 26,16; 28,23) und übertrifft sie in seiner Wirkung bei weitem, wie vor allem der zweite Teil der Apostelgeschichte zeigt.

Das paulinische Konzept

Die Apostel als Beauftragte des Auferstandenen

Während Lukas den Apostelbegriff gleichermaßen an das Wirken des irdischen und auferstandenen Jesus Christus bindet, findet sich vor allem in den paulinischen Briefen eine andere Konzeption65: Hier ist deutlich eine Erscheinung des Auferstandenen und die damit verbundene Berufung/Sendung die entscheidende, wenn auch nicht alleinige Legitimation für das Apostelamt. Besonders 1Kor 9,1; 15,8–11; Gal 1,16 legen eine solche Interpretation nahe, wobei das „zuletzt aber von allen“ in 1Kor 15,8 darauf hinweist, dass Paulus sich als letzter, wirklich legitimierter Apostel verstand. Speziell in den Gemeinden, in denen sein Apostelamt bestritten wurde (Korinth, Galatien), verweist Paulus auf seine Autorität als von Gott bzw. Christus berufener Apostel (vgl. 1Kor 1,1; 2Kor 1,1; Gal 1,1)66. Eine kaum zu überbietende heilsgeschichtliche Dimension bekommt das paulinische Apostolat in Gal 1,15f; Röm 1,1, wo er von seiner (vorzeitlichen) Aussonderung durch Gott für den Evangeliumsdienst spricht (vgl. auch Röm 11,13: „ich bin Apostel der Völker“). Das paulinische Apostolat hat göttliche Autorität und kann deshalb gegenüber den Gemeinden diese Autorität auch einfordern (vgl. 1Thess 2,7), es geht aber darin nicht auf. Nicht nur Berufung und Sendung legitimieren bei Paulus auf Dauer das Apostelamt, sondern auch die Fähigkeit des Apostels, Gemeinden zu gründen und das Evangelium als Norm der Gnade in den Gemeinden überzeugend zu repräsentieren (vgl. 2Kor 10,13–18), wodurch der Apostel selbst zur Norm wird (vgl. 1Thess 1,6; 1Kor 4,16; 11,1; Phil 3,17). Er verkörpert in seinem Auftreten und mit seiner Arbeit die Knechtsgestalt des Evangeliums (vgl. 2Kor 4,7–18), in der sich die Freiheit des Apostels realisiert (1Kor 9,19), denn der Verzicht auf den ihm eigentlich zustehenden Unterhalt (vgl. 1Kor 9,14) dient allein der ungehinderten Verbreitung des Evangeliums. Allerdings erkennt Paulus ausdrücklich an, dass einem Apostel die Unterstützung durch die Gemeinde zusteht und führt dieses Recht auf ein Wort des Herrn zurück (vgl. 1Kor 9,14 mit Lk 10,7Q)67. Sein Verzicht auf materielle Unterstützung durch die Korinther (vgl. 1Kor 9,12.15.18) sichert seine eigene theologische Unabhängigkeit (vgl. 1Kor 9,19–23) und demonstriert seine theologischen Maßstäbe: Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig (vgl. 2Kor 13,3.4). Auch Machttaten gehören für Paulus zum Apostolat Jesu Christi dazu; in Korinth geschahen „Zeichen und Wunder“ (2Kor 12,12: )68, „in erster Linie Krankenheilungen, daneben Bekehrungen mit besonderen Begleitumständen, eindrucksvolles Auftreten gegenüber Ungläubigen, Glossolalie und andere pneumatische Zustände, Strafwunder in und außerhalb der Gemeinde.“69

Bei Paulus gründen Berufung und Sendung exklusiv im Ostergeschehen; daneben treten als Kennzeichen des Apostolats die Gründungs-, Leitungs- und Begleitungskompetenz. Die besondere Befähigung des Paulus liegt darin, nach der Gründungspredigt und dem Gründungsaufenthalt durch Mitarbeiter und Briefe bleibend präsent zu sein70. Das Unterhaltsrecht und die Legitimation durch Wunder erkennt Paulus als Zeichen des Apostels ebenfalls an, praktiziert sie aber sehr zurückhaltend. Für ihn ist vor allem die Existenz seiner Gemeinden das Siegel seines Apostolats und sein Ruhm im Gericht (vgl. 1Thess 2,19f; 1Kor 9,2; 2Kor 3,2).

Weitere Apostelkonzeptionen

Weder das lukanische noch das paulinische Apostelkonzept haben sich vollständig durchgesetzt71, sondern vor, neben und nach diesen Konzeptionen gab es eigenständige und/oder rivalisierende Modelle. Das Apostelamt konzentrierte sich in der Frühzeit der neuen Bewegung auf Jerusalem (vgl. 1Kor 15,7; Gal 1,17.19), lässt sich aber keineswegs darauf beschränken. Paulus selbst gibt mehrfach zu erkennen, dass es vor und neben ihm (über Kephas, die ‚Zwölf‘ und den durch eine Erscheinung [vgl. 1Kor 15,7; ferner Gal 1,19] und seine familiäre Verbindung zu Jesus besonders legitimierten Jakobus hinaus) weitere Apostel gab (vgl. 1Kor 9,5: „wie die anderen Apostel“; 1Kor 12,28: „denn erstens hat Gott eingesetzt Apostel“; 15,7: Christus erschien „danach allen Aposteln“; Gal 1,17: „die vor mir Apostel waren“; 1,19: „von den anderen Aposteln“).

Andronikus und Junia

Hervorzuheben ist das in Röm 16,7 erwähnte Paar Andronikus und Junia72: „Grüßt Andronikus und Junia, meine Stammverwandten und Mitgefangenen, die unter den Aposteln berühmt sind und schon vor mir in Christus waren.“ Bei Junia handelt es sich um eine Frau, wahrscheinlich um eine freigelassene Sklavin; ebenso dürfte Andronikus ein Freigelassener gewesen sein73. Da sie schon vor Paulus Apostel waren, müssen sie sich um 31/32 n.Chr. der neuen Bewegung der Christusgläubigen angeschlossen haben. Als Ort dafür kommt nur Jerusalem infrage, d.h. sie waren als geborene Juden Mitglieder der Jerusalemer Gemeinde. Sie könnten aus Rom eingewandert sein (vgl. Apg 2,10), gehörten vielleicht den Hellenisten an und arbeiteten dann eine Zeitlang mit Paulus zusammen, bevor sie schließlich wieder nach Rom zurückkehrten. Paulus spricht in 2Kor 11,23 von mehreren Gefangenschaften, so dass der Ort ihrer Zusammenarbeit und auch ihrer gemeinsamen Gefangenschaft nicht näher bestimmt werden können. Ebensowenig lässt sich die Frage sicher beantworten, wodurch Andronikus und Junia zu Aposteln wurden. Sie könnten Zeugen einer Ostererscheinung gewesen sein (vgl. 1Kor 15,6–7) oder aber als Gemeindegesandte gearbeitet haben (vgl. in 2Kor 8,23; Phil 2,25; Apg 14,4.14). Allerdings spricht der frühe Zeitpunkt ihres Apostolats für eine Erscheinung des Auferstandenen. Festzuhalten bleibt: Bereits vor Paulus war eine Frau Apostel; ein historisches Faktum, das sich bestens in die hervorgehobene Stellung von Frauen in der Anfangsphase des frühen Christentums insgesamt und der paulinischen Mission im Speziellen einfügt (s.u. 8.3).

Gesandte/Apostel des erhöhten Irdischen

Ein weder in das lukanische Bild noch in die paulinische Konstruktion einfach integrierbares Apostelkonzept findet sich in der Aussendungsrede der Logienquelle (Lk 10,2–16Q)74 und im 2Korintherbrief. Die Gesandtenvorstellung der Logienquelle und die von Paulus vor allem in 2Kor 10–13 bekämpften ‚Überapostel‘ (vgl. 2Kor 11,5; 12,11) zeigen eine ganze Reihe von auffälligen Übereinstimmungen: 1) Sie sind geborene (palästinische) Juden und legen Wert auf ihre Herkunft (die Q-Gesandten erheben den Anspruch, ihren jüdischen Landsleuten Heil und Gericht anzukünden; vgl. Lk 10,5–12Q/Paulus sagt in 2Kor 11,22 über die Gegner: „Hebräer sind sie? Ich auch! Israeliten sind sie? Ich auch! Nachkommen Abrahams sind sie? Ich auch!“). 2) Sie sind Wandermissionare, die von Gemeinde zu Gemeinde ziehen (vgl. Lk 10,5–8Q/vgl. 2Kor 11,4: „wenn einer kommt und …“). 3) Sie verstehen sich offenbar als „Arbeiter“ () und nehmen damit eine Ehrenbezeichnung frühchristlicher Missionare auf (vgl. Lk 10,2.7Q/2Kor 11,13; vgl. Phil 3,2). 4) Sie erheben Anspruch auf materielle Unterstützung durch die Gemeinden, in denen sie wirken; es gibt für sie ein Gesandten-/Apostelrecht (vgl. Lk 10,4.7.8Q/1Kor 9,4.14; 2Kor 11,7–9.20–21; 12,13.16–18). 5) Sie vollbringen Zeichen und Wunder (vgl. Lk 10,9aQ/2Kor 12,12). 6) Sie propagieren Jesus als endzeitlichen Menschensohnrichter (vgl. Lk 10,9b.11.12.13–15Q/2Kor 11,4: „wenn einer kommt und einen anderen Jesus verkündigt, den wir nicht verkündigt haben“), wobei die Gegner im 2Kor vermutlich nicht den gekreuzigten Jesus Christus verkündigen, sondern sich vornehmlich am irdischen orientieren, was Paulus strikt ablehnt (vgl. 2Kor 5,16).

Diesen Gemeinsamkeiten steht als auffälligster Unterschied entgegen, dass die Q-Missionare wahrscheinlich nicht den Apostel-Titel beanspruchten75. Allerdings war ihr Selbstverständnis als ‚Gesandte‘ nicht minder anspruchsvoll als der Apostelbegriff. Die Q-Missionare und die Gegner des Paulus im 2Kor (und Phil) repräsentierten offenbar – mit Unterschieden – einen eigenständigen und in die Frühzeit der Mission zurückreichenden Gesandten-/Aposteltyp: Sie orientierten sich vornehmlich am irdischen Jesus, den sie mit dem endzeitlich Kommenden identifizierten und als dessen ‚Arbeiter‘ im endzeitlichen Gerichtsgeschehen sie sich verstanden. Sie wussten sich im Geistbesitz (vgl. Lk 12,10Q/2Kor 11,4), vollbrachten Zeichen und Wunder und beanspruchten von den Gemeinden ihr Unterhaltsrecht. Dieser Apostel-Begriff ist noch zu Beginn des 2. Jh. anzutreffen, denn in Did 11, 3–6 werden strenge Regeln für umherziehende Apostel und Propheten aufgestellt (s.u. 10.5.2).

Vier grundlegende Gemeinsamkeiten lassen sich innerhalb der verschiedenen Apostel-/Gesandtenkonzepte feststellen, wobei Apostelfunktion, Apostelautorität und Apostelrecht eine Einheit bilden: Der Apostel ist 1) ein Berufener Gottes und 2) ein Gesandter des erhöhten Irdischen und/oder des gekreuzigten Auferstandenen. 3) Der Apostel weist sich durch Zeichen und Wunder aus und hat 4) ein Unterhaltsrecht gegenüber den Gemeinden.

Petrus

Die Sonderstellung des Petrus

Petrus ist die Gestalt des Anfangs, auf die das paulinische und lukanische Apostelkonzept in herausragender Weise zutrifft: a) Er ist der erstberufene Jünger (vgl. Mk 1,16f) und führt bereits den Jüngerkreis des Jesus von Nazareth (vgl. Mk 8,29; 9,2). b) Die Petrus zuteilgewordene Ersterscheinung des Auferstandenen legitimiert ihn auch nachösterlich als ersten Jünger, als Apostel und als ersten Leiter der Jerusalemer Gemeinde (vgl. Apg 1,13). Auf seine Sonderstellung weisen fünf voneinander unabhängige Überlieferungen hin: 1) In 1Kor 15,5 wird Petrus als Erstzeuge (vgl. Lk 24,34) ausdrücklich von den ‚Zwölfen‘ unterschieden und ihnen vorgeordnet. 2) Die hervorgehobene Rolle des Petrus bei den Anfängen der Jerusalemer Gemeinde verdeutlicht das alte Wort Lk 22,31f: „Simon, Simon, siehe, der Satan hat sich euch ausgebeten, um euch zu sieben, wie man den Weizen siebt. Ich aber habe für euch gebetet, damit dein Glaube nicht aufhört. Du aber, wenn du dich bekehrt hast, stärke deine Brüder.“ Dieses Wort bedenkt zurückblickend die Situation der Jünger angesichts der Passion Jesu und schreibt Petrus vor und nach Ostern eine Sonderstellung zu. 3) Mk 16,7 geht von einer Ersterscheinung vor Petrus in Galiläa aus („Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat“). Petrus vereinigt in seiner Person die beiden obengenannten Apostelkonzeptionen in idealer Weise: Er war ein hervorgehobener Begleiter des irdischen Jesus und zugleich der Erstzeuge der Auferstehung. 4) Auf die Führungsrolle des Petrus in Jerusalem weist auch Gal 1,18 hin. Bei seinem ersten Jerusalembesuch nach seiner Berufung zum Völkermissionar besucht Paulus nur Kephas, um sich zwei Wochen mit ihm auszutauschen, außerdem ‚sah er noch den Herrenbruder Jakobus‘ (Gal 1,19). 5) Auch das Petruswort Mt 16,17– 19 unterstreicht die Position des Petrus76. Es weist eine komplexe Struktur auf: a) Der Makarismus in V. 17 („Selig bist du, Simon Barjona, denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater in den Himmeln“) bezieht sich direkt auf das vorangehende Bekenntnis. b) An die Einführungsformel V. 18a fügen sich drei ähnlich aufgebaute Logien an, die vom Bau der Ekklesia (V. 18b: „Du bist Petrus, und auf diesem Fels werde ich meine Kirche bauen, und die Tore der Unterwelt werden sie nicht überwältigen“), von der Übergabe der Schlüssel des Himmelreiches (V. 19a: „Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben“) und von der Vollmacht des Bindens und Lösens handeln (V. 19b: „und was du auf Erden bindest, wird im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösest, wird im Himmel gelöst sein“). Sehr alte Tradition dürfte V. 18b aufbewahrt haben, denn ihm liegt ein Wortspiel mit („Petrus“) und („Fels“) zugrunde77: Es verbinden sich Namensverleihung und Namensdeutung, wobei der Name zugleich die Funktion ausdrückt. Das Wort dürfte in früher Zeit entstanden sein, jedoch nicht auf Jesus zurückgehen, denn die Wendung („meine Gemeinde/Kirche“) setzt eine nachösterliche Situation voraus. Dennoch lässt der Text Petrus als den Garanten der Überlieferung und als Prototyp des bekennenden Jüngers und christlichen Lehrers erscheinen.

Petrus als erster Leiter der Jerusalemer Gemeinde

Auch die Darstellung der Apostelgeschichte unterstreicht die führende Stellung des Petrus in der Anfangszeit der Jerusalemer Gemeinde. In Apg 1–5 dominiert Petrus auf allen Ebenen78: a) Petrus beruft die Nachwahl des ‚zwölften‘ Apostels ein (Apg 1,15–26) und formuliert die Kriterien der Wahl (Apg 1,21f). b) Die Verkündigungsinitiative in der Anfangszeit der Jerusalemer Gemeinde geht von Petrus aus (vgl. Apg 2,14–36: Pfingsten; 3,12–26: Tempelpredigt; 4,8–12: Vor dem Hohen Rat). c) Petrus formuliert die entscheidenden theologischen Einsichten der Anfangszeit (vgl. Apg 2,38; 4,12; 5,29) d) Petrus beglaubigt die Macht des Auferstandenen durch Wundertaten (vgl. Apg 3,1–11; 5,9–10), er ist neben Paulus der Wundertäter der Apostelgeschichte. e) In Apg 2,37; 5,29 erscheint die Wendung ‚Petrus und die Apostel‘, wodurch die Sonderstellung des Petrus besonders hervorgehoben wird. Auch wenn die Texte in Apg 1–5 durchgängig lukanisch stilisiert sind, besteht an dem historischen Kern der Darstellung kein Zweifel: Petrus war von ca. 31–43 n.Chr. der erste Leiter der Jerusalemer Gemeinde und die überragende Gestalt der Anfangszeit.

Jakobus

Jakobus ab 43/44 als Leiter der Jerusalemer Gemeinde

Neben Petrus tritt bereits in der Anfangszeit der Jerusalemer Gemeinde der Herrenbruder Jakobus hervor (vgl. Mk 6,3par; 1Kor 15,7; Gal 1,19; 2,9.12; Apg 12,17; 15,13; 21,18; Jud 1)79. Er war kein Begleiter seines Bruders (vgl. Mk 3,21.31; Joh 7,3ff), sondern schloss sich der Gemeinde erst nach dem Tod und der Auferstehung Jesu Christi an. Seine Autorität ruhte auf drei Säulen: 1) Der Herrenbruder Jakobus war neben Petrus, Maria Magdalena und Paulus eine der Personen, von denen eine anerkannte Sonderoffenbarung des Auferstandenen berichtet wird (vgl. 1Kor 15,7: „erschien er Jakobus, dann allen Aposteln“). In Verbindung mit Gal 1,19 („einen andern der Apostel habe ich nicht gesehen, mit Ausnahme des Jakobus, des Bruders des Herrn“) weist 1Kor 15,7 darauf hin, dass Jakobus als Apostel galt80. 2) Er war ein leiblicher Bruder des Herrn und setzte die Blutsverwandtschaft offenbar immer mehr zur Absicherung seiner Stellung ein. 3) Jakobus galt als gesetzestreu, d.h. er vertrat einen strengen judenchristlichen Standpunkt. Darauf weisen seine Haltung im antiochenischen Konflikt (s.u. 7.6) und die Überlieferung zu seinem Tod bei Josephus hin (s.u. 9.1). Alle drei Faktoren dürften dazu beigetragen haben, dass Jakobus an die Spitze der Jerusalemer Gemeinde rückte. Beim ersten Jerusalembesuch des Apostels Paulus im Jahr 35 n.Chr. ist offenbar Petrus der Leiter der Gemeinde. Paulus sagt in Gal 1,18 ausdrücklich, er sei nach Jerusalem hinaufgezogen um Kephas zu treffen, um dann in V. 19 anzufügen, von den anderen Aposteln habe er lediglich Jakobus gesehen. Der Apostelkonvent im Jahr 48 n.Chr. zeigt eine veränderte Situation; nun zählen Jakobus, Kephas und Johannes nach Gal 2,9 zu den Säulen in Jerusalem. Entscheidend ist die Reihenfolge, denn jetzt steht Jakobus an erster Stelle. War bis zum ersten Jerusalembesuch des Paulus Kephas die maßgebliche Autorität, so scheint in der Zeit bis zum Apostelkonvent der Herrenbruder Jakobus zur maßgeblichen Persönlichkeit geworden zu sein81. Diese einschneidende Veränderung wird auch durch den Weggang des Petrus aus Jerusalem veranlasst worden sein. Nach Apg 12,17f floh Petrus ca. 43/44 n.Chr. vor den Nachstellungen des Herodes Agrippa aus Jerusalem (s.u. 6.5) und er lässt kaum zufällig Jakobus als Ersten darüber informieren (Apg 12,17c: „sagt dies Jakobus und den Brüdern“). Zudem vertraten Jakobus und Petrus wahrscheinlich unterschiedliche theologische Positionen. Während sich Petrus immer mehr der Völkermission öffnete (vgl. Apg 10; Gal 2,12; 1Kor 9,5), war es offensichtlich das Ziel des Jakobus, die Bewegung der Christusgläubigen innerhalb des Judentums zu verankern.

Die Familie Jesu

Ein reserviertes Verhältnis

Nicht nur Jakobus, sondern auch andere Mitglieder der Familie Jesu schlossen sich nach Ostern der Bewegung der Christusgläubigen an82. Über die Angehörigen Jesu findet sich nur die Notiz Mk 6,3: „Ist das nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria und der Bruder des Jakobus, des Joses, des Judas und des Simon? Und leben nicht auch seine Schwestern bei uns“? Zu Lebzeiten Jesu war das Verhältnis zu seiner Familie offenbar sehr gespannt, denn nach seinem ersten öffentlichen Wirken heißt es in Mk 3,21: „Als seine Angehörigen davon Kunde erhielten, machten sie sich auf den Weg, um sich seiner zu bemächtigen; denn sie waren der Meinung: Er ist von Sinnen!“ Das reservierte Verhältnis von Jesus zu seiner Familie spiegelt sich auch in Mk 3,31–35 wider, wo er auf die Nachricht, seine Mutter und Geschwister seien gekommen antwortet: „Jeder, der den Willen Gottes tut, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter“ (Mk 3,35). Schließlich heißt es in Joh 7,5: „Denn seine Brüder glaubten nicht an ihn.“ Nach Ostern scheint sich die Situation geändert zu haben. Nicht nur Jakobus wurde ein nachösterlicher Nachfolger seines Bruders, sondern Paulus spricht in 1Kor 9,5 von ‚den Brüdern des Herrn‘, die auf ihren Missionsreisen ihre Frauen mitnehmen. Während Josef im Dunkel der Geschichte verschwindet, wird Maria, die Mutter Jesu, wird in Lk 1–2, Mt 2 und Joh 2,4; 19,25 in das Leben Jesu eingezeichnet; nach Apg 1,14 gehören Maria und die Brüder Jesu von Anfang an zur Jerusalemer Gemeinde. Vor allem Jakobus und vielleicht auch Maria83 verbanden vermutlich ihren Verwandtenstatus mit Machtansprüchen innerhalb der ersten Gemeinden.

Die Zebedaiden

Brüderpaare

Neben Petrus und Andreas waren Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, das zweite Bruderpaar, das von Anfang an Jesus nachfolgte (vgl. Mk 1,19; 3,17; Lk 5,10) und zum engeren Jüngerkreis gehörte (vgl. Mk 1,29; 9,2; 13,3; 14,33). Sie waren Fischer wie Simon Petrus (vgl. Lk 5,9–11) und spielten später wie dieser auch in der Jerusalemer Gemeinde eine besondere Rolle. Nach Mk 3,17 trugen sie den Beinamen ‚Boanerges‘ (), d.h. ‚Donnersöhne‘. Da Donner ein Element atl. Epiphanien ist, wird damit gemeint sein, dass Gott sich in den Aktivitäten der beiden Brüder offenbart84. Mk 10,35–41 setzt zwar den gleichzeitigen Märtyrertod der beiden Zebedaiden voraus, dürfte aber ein vaticinium ex eventu sein: Der Zebedaide Jakobus wurde nach Apg 12,2 um 42/43 n.Chr. unter Agrippa I hingerichtet (s.u. 6.5), sein Bruder Johannes ist aber nach Gal 2,9 im Jahr 48 n.Chr. eine der ‚drei Säulen‘ der Jerusalemer Gemeinde, so dass er nicht gemeinsam mit seinem Bruder Jakobus gestorben sein kann. Innerhalb der Jerusalemer Gemeinde scheint die Bedeutung des Johannes größer gewesen zu sein, denn außer in der Jüngerliste Apg 1,13 und der Todesnotiz in 12,2 wird Jakobus nicht erwähnt. Demgegenüber erscheint der Zebedaide Johannes neben Petrus in Apg 3,1.3.4.11; 4,13.19 als eine führende Gestalt der Anfangszeit; er ist Verkündiger wie Petrus und stellt sich wie dieser furchtlos dem Hohen Rat. Auch Apg 8,14 und vor allem Gal 2,9 zeugen vom Einfluss des Zebedaiden Johannes in der Frühgeschichte des Christentums. Johannes zählt neben dem Herrenbruder Jakobus und Petrus zu den drei ‚Säulen‘ der Jerusalemer Gemeinde. Das Wort („Säule“) erscheint noch in 1Tim 3,15; Offb 3,12; 10,1, wo es sich offenbar auf die Säulen des Jerusalemer Tempels bezieht. Dies könnte auch beim metaphorischen Gebrauch in Gal 2,9 im Hintergrund mitschwingen; ein breiteres Verständnis liegt in 1Klem 5,2 vor, wo Petrus und Paulus als „die größten und gerechtesten Säulen“ bezeichnet werden85. In jedem Fall ist es ein Ehrentitel, der die tragende Bedeutung einer Person oder Personengruppe unterstreicht. Eine solche ‚tragende‘ Person war der Zebedaide Johannes, ohne dass wir irgendetwas über seine Theologie wissen.

Barnabas

Ein Vermittler

Eine weitere herausragende Persönlichkeit der Jerusalemer Gemeinde war Barnabas (s.u. 6.2), nach Apg 4,36 ein Levit aus Zypern und griechisch sprechender Jude, der wahrscheinlich dem Kreis der Hellenisten nahestand. Von ihm wird berichtet, er habe ein Grundstück bei Jerusalem verkauft und den Erlös der Gemeinde zur Verfügung gestellt (Apg 4,36f). Diese Notiz ist wegen ihrer Nüchternheit als historisch zuverlässig anzusehen, zumal sie mit der in Apg 2,45 erwähnten allgemeinen Gütergemeinschaft in Spannung steht, denn in Apg 4,37 wird die Tat des Barnabas eigens hervorgehoben. Die besondere Leistung des Barnabas lag aber auf einem anderen Feld: Er war offenbar der Kontaktmann zwischen den beiden wichtigsten Gemeinden der ersten Zeit: Jerusalem und Antiochia. Nach Apg 11,22ff besuchte er die durch die Hellenisten gegründete Gemeinde in Antiochia im Auftrag der Jerusalemer; er holte Paulus nach Antiochia (Apg 11,25f) und führte ihn dort in die Gemeinde ein. Als führende Persönlichkeit (vgl. Apg 13,1) unternahm er mit Paulus zusammen von Antiochien aus die erste Missionsreise und er vertrat im Jahr 48 n.Chr. maßgeblich die antiochenische Gemeinde auf dem Apostelkonvent in Jerusalem. Da er an der Lösung schwieriger Grundsatzfragen wie der beschneidungsfreien Völkermission entscheidend beteiligt war, darf man annehmen, dass er sowohl in Jerusalem als auch später in Antiochien als bedeutender Missionar und Theologe (und Apostel?) geschätzt wurde.

Von einer Ämterstruktur wird man in der frühen Jerusalemer Gemeinde noch nicht sprechen können, wohl aber gab es einflussreiche Einzelpersonen (vor allem: Petrus, der Herrenbruder Jakobus) und Gruppen (vor allem: die ‚Zwölf‘, die Apostel, die Familie Jesu). Langfristig setzte sich in Jerusalem die persönliche Stellung zum irdischen Jesus durch, was zunächst für Petrus und den Zebedaiden Johannes galt, dann aber in zunehmendem Maß vor allem für den Herrenbruder Jakobus.

5.3 Orte: Der Tempel

Der unter Salomo (ca. 965–926/25 v.Chr.) vermutlich erstmals erbaute Jerusalemer Tempel wurde 587/86 v.Chr. von den Babyloniern zerstört (vgl. 2Kön 25,9)86. Nach dem Exil erfolgte der Wiederaufbau des Tempels (ca. 520–515 v.Chr.), ab dem 4. Jh. v.Chr. rückte er immer mehr in das Zentrum des religiösen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens von Judäa. Unter Herodes wurde der Tempel ab 20/19 v.Chr. umfangreich zu einem antiken Prachtbau um- und ausgebaut und seine Fläche auf fast 144 000m2 ausgedehnt.

Theologisch verbinden sich mit dem Tempelkult vor allem die Vorstellungen des Thronens Gottes bzw. seines Namens im Allerheiligsten (vgl. 1Kön 8,12ff); im Tempel erscheint Gott (vgl. Lev 16,2) und lässt sich begegnen (vgl. Ex 29,43–45). Der Tempel ist der Ort der Lade (vgl. 2Sam 6; 1Kön 8,1–6) und des Königtum Gottes (vgl. Ps 24; 68). In nachexilischer Zeit gewinnt das Motiv der Heiligkeit immer mehr an Bedeutung, nur der Hohepriester darf am Versöhnungstag das Allerheiligste betreten (vgl. Lev 16). Die Heiligkeit des Tempels untersagte es Nichtjuden bei Androhung der Todesstrafe, den eigentlichen Tempelbezirk zu betreten (vgl. Philo, Legatio ad Gaium 212; Apg 21,27–29; Josephus, Bellum 6,126).

Tempelsteuer

Weil es in der Antike keinen Kapitalverkehr nach heutigen Maßstäben gab, dienten die Tempel immer auch als Wirtschafts- und Verwaltungszentrum und verfügten in der Regel über einen Tempelschatz. Dieser Schatz bestand in Jerusalem zum einen aus den zum Kult notwendigen Geräten und Opfermaterialien (vgl. 1Chr 26,20; 28,12) zum anderen aus Kriegsbeute und Geschenken der Jerusalemer Könige (vgl. 2Sam 8,11; 1Kön 7,51). Als regelmäßige Einnahmen kommen die Tempelsteuer und die Zehntabgaben dazu. Die Tempelsteuer musste von jedem männlichen Israeliten ab dem 20. Lebensjahr erbracht werden, sie galt einschließlich der Diaspora87 und betrug einen Dritt- bzw. Halbschekel (vgl. Ex 30,11–16; Neh 10,33–34; 2Chr 24,9). Die Jerusalemer Zehntabgaben dienten vor allem der Alimentierung (vgl. Neh 10,38) der am und im Tempel jeweils amtierenden Priester, Leviten, Torhüter, Sänger und Tempeldiener88. Außerdem wurden private und staatliche Gelder im Tempel eingelagert, hinzu kamen weitere Einnahmen, z.B. aus Grundstücken (vgl. Philo, De Specialibus Legibus I 76). Als kultisches Zentrum war der Tempel Ziel von zahlreichen Pilgern zu den drei jüdischen Hauptfesten, denn jeder Jude war verpflichtet, am Passa-, Wochen- und Laubhüttenfest nach Jerusalem zum Tempel zu kommen und dort zu opfern (vgl. Dtn 16,1–17). Zu den Festen schwoll die Einwohnerzahl von Jerusalem erheblich an89, wobei die notwendige Infrastruktur zur Beherbergung und Versorgung der Menschen, aber auch die erhebliche Zahl der vorzuhaltenden Opfertiere für Jerusalem eine wirtschaftliche Größe darstellte90.

Auf diesem Hintergrund wird es verständlich, warum die Tempelreinigung Jesu (Mk 11,15–18par)91 vor allem von den Sadduzäern, aber auch den Römern als eine Aktion gegen die kultische, politische und wirtschaftliche Ordnung verstanden wurde. Das Ausmaß der Tempelreinigung lässt sich in ihren Einzelheiten nicht mehr genau rekonstruieren, aber Jesus scheint mit Gewalt gegen (einige) Tierverkäufer und Geldwechsler vorgegangen zu sein. Damit verbindet sich ein Drohwort gegen den Tempel, das den Kern von Mk 13,2 bildet: „Hier wird nicht ein Stein auf dem anderen bleiben, der nicht herausgebrochen wird.“92 Tempelreinigung und Tempelwort zielten nicht auf eine Wiederherstellung eines gottgefälligen Tempelkultes, wie sie in der Geschichte des Judentums immer wieder gefordert wurde93. Vielmehr war Jesus der Meinung, dass mit der Gegenwart und dem Kommen des Reiches Gottes der Jerusalemer Tempel seine Funktion als Ort der Sühne für die Sünden verloren hat. Weil die Herrschaft des Bösen zu Ende geht, bedarf es keiner Opfer mehr.

Wenn sich nun Mitglieder der Jerusalemer Gemeinde nach dem Bericht der Apostelgeschichte in und um den Tempel herum versammelten (vgl. Apg 2,46: „Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel“) und auf dem Tempelareal lehrten (vgl. Apg 5,20f), dann verwundert es nicht, dass die Sadduzäer auch gegen sie als Anhänger Jesu vorgingen.

5.4 Konflikte

Der gewaltsame Tod Jesu bedeutete nicht das Ende seiner Botschaft und nicht das Ende seiner Bewegung. Im Gegenteil, schon sehr früh und offenbar sehr erfolgreich wurde in Jerusalem der gekreuzigte Jesus von Nazareth als Messias Israels und Sohn Gottes verkündigt. Dies rief alte und neue Gegner auf den Plan. Zweimal wird erzählt, dass Apostel vor dem Hohen Rat erscheinen mussten (Apg 4,1–22; 5,17–42), sie wurden geschlagen und ihnen wurde verboten, weiterhin im Namen Jesu zu reden (Apg 5,40). Von Anfang an galten die Christusgläubigen in Jerusalem als eine religiös illegitime und politisch destabilisierende Bewegung.

Die Sadduzäer als Gegner der neuen Bewegung

Die Passionsgeschichte lässt deutlich erkennen, dass die Sadduzäer die hartnäckigsten Gegner Jesu waren. In den Berichten über den Todesbeschluss gegen Jesus stehen jeweils die sadduzäischen („Oberpriester/Hohepriester“) an erster Stelle (vgl. Mk 11,18.27; 14,1; 15,31; Mt 26,3; Lk 22,2); es folgen zumeist die Schriftgelehrten (vgl. Mk 11,18; 14,1; 15,31; Mt 21,15; Lk 22,2) und/oder Ältesten (Mt 26,3 u. ö.; Apg 4,23; 23,14; 25,15). Diese Feindschaft setzt sich fort, denn nach Apg 4,1 sind es neben den Priestern und dem Tempelhauptmann die Sadduzäer94, die gegen die neue Bewegung der Christusgläubigen vorgehen; nach Apg 5,17 ist es der Hohepriester „und alle, die mit ihm waren, nämlich die Partei der Sadduzäer“.

Geschichte der Sadduzäer

Die Ursprünge der Sadduzäer () liegen im Dunkeln. Nach den Textzeugnissen führten sich die Sadduzäer auf Sadok zurück, einen führenden Priester aus der Umgebung Davids, der in 2Sam 15,24.27.29.35; 17,15; 19,12 erwähnt wird. In den Auseinandersetzungen um die Nachfolge Davids steht der Priester Sadok auf der Seite Salomos, salbt diesen zum König (1Kön 1,32ff) und wird Oberpriester in Jerusalem (1Kön 2,35). Nach dem babylonischen Exil ist es ein Sadokide, der um 520 herum das sich nun herausbildende Amt eines Hohepriesters übernimmt (vgl. Hagai 1,1 mit 1Chr 5,40, wo Josua ben Jehosadak als Sadokide ausgewiesen wird; vgl. ferner Ez 40,46). Die Sadokiden hatten vermutlich das Hohepriesteramt bis zu den Auseinandersetzungen unter Antiochius IV. inne (s.o. 3.3). Mit der Usurpation des Hohepriesteramtes durch die Makkabäer setzte eine zweifache Entwicklung ein: Auf der einen Seite flohen Sadokiden aus Jerusalem und gingen in die Opposition zum Jerusalemer Tempel, so u.a. der Lehrer der Gerechtigkeit, der wahrscheinlich ein ehemaliger Hohepriester war und somit auch ein Nachfolger Sadoks95. In den Qumran-Schriften finden sich gewichtige sadokidische Traditionen (vgl. CD IV 2–4: „Die Priester sind die Umkehrenden Israels, die aus dem Lande Juda ausgezogen sind; und die Leviten sind die, welche sich ihnen angeschlossen haben. Und die Söhne Zadoks sind die Erwählten Israels, die beim Namen Gerufenen, die am Ende der Tage auftreten werden“; vgl. ferner 1QS V 2,2 1QSa 1,2.24; 2,3). Auf der anderen Seite stand die große Mehrheit der in Jerusalem gebliebenen sadokidischen Familien. Sie waren die religiös, wirtschaftlich und politisch führende priesterliche Aristokratie, die nun die einflussreiche Religionspartei der Sadduzäer bildeten und im Synedrium über die größte Macht verfügten. Josephus bestätigt dies, wenn er über die Sadduzäer sagt: „Sie gewinnen nur die Wohlhabenden für sich, das Volk haben sie nicht auf ihrer Seite“96; „zu wenigen Männern ist diese Lehre gelangt, jedoch zu den Ersten an Ansehen.“97

Die Feindschaft der Sadduzäer gegen die Christusgläubigen dürfte in Apg 4,2 zutreffend beschrieben sein: „sie verkündigten in Jesus die Auferstehung von den Toten“. Dies war für die Sadduzäer in zweifacher Weise eine Provokation: 1) Im Gegensatz zu den Pharisäern lehnten die Sadduzäer die Lehre von der Auferstehung der Toten ab (vgl. Josephus, Bellum 2,164: „Die Fortdauer der Seele und die Strafen und Belohnungen im Hades lehnen sie ab“; vgl. Mk 12,18–27)98. Es ist kein Zufall, dass in der Apostelgeschichte das Auftreten der Sadduzäer immer mit der Auferstehungsfrage verbunden ist (vgl. Apg 4,1–22; 5,17–42; 23,6–9). 2) Indem die Christusgläubigen die Auferstehung eines von den Römern Gekreuzigten verkündigten, gefährdeten sie auch das labile Verhältnis zwischen Juden und Römern. Den Sadduzäern als politisch führender Gruppe war hingegen daran gelegen, sich mit der römischen Besatzung zu arrangieren (vgl. Apg 5,28). Die anhaltende Feindschaft der Sadduzäer gegen die neue Bewegung bestätigt schließlich die Steinigung des jüdisch-konservativen Herrenbruders Jakobus im Jahr 62 n.Chr., die von einem sadduzäischen Hohepriester initiiert wurde (s.u. 9.1).

Paulus als Verfolger

Aber auch Pharisäer standen den Christusgläubigen feindlich gegenüber. Wiederum zeigt sich eine Kontinuität zum Wirken Jesu, denn neben sehr positiven Begegnungen zwischen Jesus und Pharisäern stehen sehr viele Texte, die von Konflikten zwischen Jesus und Pharisäern berichten (vgl. Mk 2,13–17.23–28; 3,1–6). So verwundert es nicht, dass auch nach Ostern radikale Pharisäer gegen die neue Bewegung der Christusgläubigen vorgingen, vor allem Paulus.

Die alten Traditionen

Zu den ältesten Traditionen über Paulus gehören die Berichte über seine Verfolgertätigkeit. Schon früh hören die Gemeinden in Judäa von einer anderen Gemeinde: „Der uns einst verfolgte, verkündet nun den Glauben, welchen er einst zu zerstören trachtete“ (Gal 1,23). Ähnlich stereotyp berichtet der Apostel in 1Kor 15,9; Gal 1,13 und Phil 3,6 davon, er habe die Gemeinde bzw. die Gemeinde Gottes verfolgt. Paulus rekurriert offenbar nur dort auf seine Verfolgertätigkeit, wo sein Apostolat bestritten wurde. In der Auseinandersetzung mit den Gegnern besagt der Hinweis auf die Verfolgertätigkeit dann, dass nur Gott jene Wende vom erbarmungslosen Verfolger der Christen hin zum weltweiten Evangeliumsverkünder bewirken konnte99. Während Paulus keinerlei Einzelheiten über Ort und Art seiner Verfolgertätigkeit mitteilt, schildert die Apostelgeschichte anschaulich das Vorgehen des Pharisäers Paulus gegen die Jerusalemer Gemeinde. Paulus geht in Jerusalem von Haus zu Haus und lässt Männer und Frauen ins Gefängnis werfen (Apg 8,3), er strebt Todesurteile gegen Christen an (vgl. Apg 22,4; 26,10) und zwingt sie zum Widerruf ihres Glaubens (vgl. Apg 26,11). Er veranlasst Auspeitschungen von Christen (Apg 22,19) und lässt sich zur Verfolgung der Christen auch in Damaskus legitimieren (vgl. Apg 9,2). Die dunkle Folie des gnadenlosen Verfolgers Paulus geht sicherlich auf Lukas zurück, der dann umso heller die großen Taten des Völkerapostels Paulus erstrahlen lassen kann100.

Der Ort der Verfolgung

Wo verfolgte Paulus die ersten Gemeinden von Christusgläubigen? Sowohl Lukas als auch seine Traditionen (vgl. Apg 8,3; 9,1c.2; 22,19) setzen Jerusalem als Ort der Verfolgung voraus. Paulus hingegen betont in Gal 1,22 ausdrücklich: „Ich war aber unbekannt von Angesicht den Gemeinden in Judäa.“ Lediglich von anderen Gemeinden hörten die Christusgläubigen in Judäa, dass der einstige Verfolger nun den Glauben verkündige (Gal 1,23). Bei Paulus schließt Judäa immer Jerusalem mit ein (vgl. 2Kor 1,16; Röm 15,31), so dass die jüdische Metropole als Ort der paulinischen Verfolgung ausfällt101. Anderenfalls wäre zu erklären, wie der unerbittliche Verfolger der ersten Gemeinden den Verfolgten unbekannt geblieben sein soll! Dieses Problem lässt sich nicht durch die Vermutung lösen, Paulus habe nur die ‚Hellenisten‘ in Jerusalem verfolgt, nicht aber die aramäisch sprechenden Mitglieder der Gemeinde102. Zwar dürfte es eine relativ eigenständige Gemeinde der christusgläubigen Diasporajuden in Jerusalem gegeben haben, deren Führer Apg 6,5 erwähnt werden und die nach dem Tod des Stephanus eine eigenständige Mission entwickelten (vgl. Apg 8,4ff; 11,19ff). Wäre die Verfolgung durch Paulus eine rein interne Angelegenheit der griechisch sprechenden Synagogen Jerusalems gewesen, so bliebe jedoch unerklärt, warum die aramäisch sprechenden christusgläubigen Juden davon nichts erfahren haben sollten. Dagegen sprechen die sicherlich noch sehr überschaubare Anzahl von Christusgläubigen in Jerusalem und die engen Kontakte zwischen beiden Seiten103. Zudem dürften die theologischen Profile beider Gruppen nicht so different gewesen sein, dass die eine systematischen Verfolgungen ausgesetzt war, die andere jedoch völlig unbehelligt blieb! Einen Hinweis auf den Verfolgungsort liefert Gal 1,17. Hier erwähnt der Apostel, dass er nach seiner Berufung nicht sofort nach Jerusalem hinaufzog, sondern in die Arabia ging und dann wieder nach Damaskus zurückkehrte. Er war also vor bzw. bei seiner Bekehrung in Damaskus, wo er wahrscheinlich gegen die dortige christusgläubige Gemeinde agierte und synagogale Strafen durchzusetzen versuchte104. „Dort, wo er gegen die Jesusbotschaft vorgeht, wird er für sie gewonnen.“105

Paulus begründet seine Verfolgertätigkeit in Gal 1,13f; Phil 3,5f mit seinem einstmaligen Wandel im Judentum und seinem Eifer für die väterlichen Überlieferungen106. Paulus steht damit in der Tradition jüdischer Eiferer für die Tora, die in der Nachfolge von Elia (vgl. 1Kön 18,40; 19,10.14) und Pinehas (vgl. Num 25,7–11) die Tora als die alles bestimmende Norm jüdischen Lebens verteidigten (vgl. Sir 48,2; 1Makk 2,54.58). Der Eifer für die Tora als das hervorstechende Kennzeichen jüdischer Lebensweise war nicht nur militanten Zeloten zu eigen, sondern bestimmte auch die Essener (vgl. 1QS 4,5f.17f) und radikale Pharisäer wie Paulus. Die Art und Weise seines Vorgehens gegen die Christusgläubigen kennzeichnet Paulus mit dem Verb (‚zerstören‘ Gal 1,13.23; Apg 9,21), das gewaltsame Aktionen vermuten lässt (vgl. Josephus, Bellum 4,405)107.

Gründe für die Verfolgung

Was veranlasste Paulus zu seiner Verfolgertätigkeit? Wahrscheinlich erschien dem für die Tora eifernden Pharisäer die Verkündigung der Christusgläubigen, ein Gekreuzigter sei der verheißene Messias Israels, als Skandalon108. Die Bedeutung des Kreuzes Jesu Christi innerhalb der paulinischen Theologie (vgl. z.B. 1Kor 1,17.18.23; 2,2.8; Gal 3,1; 5,11.14; 6,14; Röm 6,6; Phil 2,8; 3,18) lässt vermuten, dass Paulus den einstigen Anstoß zu einem Zentrum seiner Verkündigung machte. Nach Dtn 21,23 steht der ‚am Holz Aufgehängte‘ unter dem Fluch Gottes. In 11QTa 64,15–20 wird dieser Fluch auch auf die durch eine Kreuzigung Hingerichteten übertragen109. Die Proklamation des gekreuzigten vermeintlichen Gotteslästerers Jesus von Nazareth zum Messias Israels durch die Christusgläubigen war für Paulus unerträglich, stellte sie doch die Fundamente seines bisherigen Glaubens infrage. Gal 3,13 bestätigt diese Interpretation, denn hier verarbeitet der Christ Paulus Dtn 21,23LXX und gelangt zu der Einsicht: Christus hat den Fluch des Gesetzes/der Tora auf sich genommen und uns somit von diesem Fluch losgekauft. Nicht Gott verfluchte Christus, als Unschuldiger nahm Christus den Fluch des Gesetzes/der Tora für uns auf sich110. Die Vorstellung eines gekreuzigten Messias musste Paulus nicht nur absurd vorkommen, sondern stellte in seinen Augen auch eine Lästerung der Heiligkeit Gottes und damit eine Infragestellung des jüdischen Glaubens dar. Vor allem deshalb verneinte er die Existenzberechtigung der Jesus-Christus-Anhänger innerhalb des Synagogenverbandes. Hinzu kam wahrscheinlich eine organisatorische Eigendynamik, d.h. die Christusgläubigen wurden immer mehr zu einer identifizierbaren Gruppe, die durch ihre Rituale (Taufe, Abendmahl) und einen anhaltenden Zulauf die Grenzen des Judentums aus Sicht der Synagoge überschritt111.

Die frühe Feindschaft der Sadduzäer und die Verfolgertätigkeit des Pharisäers Paulus zeigen, dass die von der Jerusalemer Gemeinde gelebte offene Variante des Judentums von Anfang an kritisch gesehen und bekämpft wurde. Das spätere Heraustreten der Christusgläubigen/der Christen aus dem Judentum war keineswegs ein einseitiger Prozess, sondern wurde immer auch von jüdischer Seite betrieben!

5.5 Theologische Institutionen und Diskurse

Zu den ersten grundlegenden Institutionalisierungen der Christusgläubigen in Jerusalem (und Galiläa) gehörten Taufe und Herrenmahl. Weil Rituale Verdichtungen religiöser Weltansichten sind112, wurden Taufe und Herrenmahl zu Katalysatoren einer neuen Identität: Im Ritual vollzieht sich die theologische und soziale Konstruktion des neuen Menschen ‚in Christus‘113.

Taufe

GERHARD DELLING, Die Taufe im Neuen Testament, Berlin 1963. – NIKLAUS GÄUMANN, Taufe und Ethik, BEvTh 47, München 1967. – UDO SCHNELLE, Gerechtigkeit und Christusgegenwart. Vorpaulinische und paulinische Tauftheologie, GTA 24, Göttingen 21986. − GERHARD BARTH, Die Taufe in frühchristlicher Zeit, BThSt, 4, Neukirchen 1991. – LARS HARTMAN, Auf den Namen des Herrn Jesus. Die Taufe in den neutestamentlichen Schriften, SBS 148, Stuttgart 1992. – UDO SCHNELLE, Art. Taufe im NT, TRE 32, Berlin 2001, 663–674. – DAVID HELLHOLM/TOR VEGGE/CHRISTER HELLHOLM (Hg.), Ablution, Initiation and Baptism I–III, BZNW 176, Berlin 2011.

Die Taufe Jesu am Jordan durch Johannes den Täufer (vgl. Mk 1,9–11par) dürfte erklären, warum von Anfang an in den frühchristlichen Gemeinden die Taufe als normativer Initiationsritus galt. Die rituellen Waschungen in Qumran (vgl. 1QS 2,25–3,12; 1QS 6,16f; 5,13), die Proselytentaufe (vgl. SifBam 108; bKer 9a) und die Waschungen in einzelnen Mysterienkulten (vgl. Apuleius, Metamorphosen XI 23) weisen einige Analogien auf, können aber nicht als geschichtliche Voraussetzung und Quelle für die frühchristliche Taufe angesehen werden.

Nach Ostern setzte sich offenbar die Anschauung durch, dass die Ankündigungen des Täufers mit dem Geschehen um Jesus von Nazareth in unerwarteter Weise in Erfüllung gegangen sind. In dieser Kontinuität des eschatologischen Neuen ist der tiefste Grund für die Übernahme der Taufpraxis des Täufers in den frühen christlichen Gemeinden zu sehen. Die Kontinuität zur Johannestaufe zeigt sich in den charakteristischen Merkmalen frühchristlicher Taufpraxis: 1) Die frühchristliche Taufe ist keine Selbsttaufe, sondern wurde von einem Täufer vollzogen (vgl. 1 Kor 1,14.16; Apg 8,38; 10,48). 2) Wie die Johannestaufe war auch die Taufe der Christen ein einmaliger Akt und unterschied sich dadurch von rituellen Waschungen im antiken Judentum und im Hellenismus. 3) Wahrscheinlich wurde die frühchristliche Taufe wie die Johannestaufe durch Untertauchen im fließenden Wasser vollzogen (vgl. Apg 8,38; Did 7,1fl). 4) Die Taufe war wie die Johannestaufe eine Vergebung der Sünden (vgl. 1Kor 6,11; Apg 2,38) und hatte somit eine eschatologische und soteriologische Dimension.

Taufe ‚auf den Namen‘

Zugleich hob sich die Taufpraxis der Christusgläubigen in dreifacher Weise von der Johannestaufe ab: a) Sie versteht das Christusgeschehen als das eschatologische Heilsereignis, welches in der Taufe „auf den Namen des Herrn Jesus/im Namen Jesu Christi“ gegenwärtig ist. Mehrere alte formelhafte Wendungen belegen eine Taufpraxis, die dem ‚Namen Jesu‘ eine zentrale Bedeutung beimaß: („auf den Namen des Herrn Jesus“ = Apg 8,16; 19,5; vgl. 1Kor 1,13.15; Gal 3,27; Röm 6,3; Mt 28,19); („im Namen Jesu Christi“ = Apg 10,48; vgl. 1Kor 6,11); („auf den Namen Jesu Christi“ = Apg 2,38). Eine exakte sprachliche Ableitung dieser formelhaften Wendungen gelingt weder aus dem paganen Hellenismus noch aus der LXX114. Vielmehr weisen ihre Variabilität und inhaltliche Breite darauf hin, dass sie als spezifisch frühchristliche Bildungen zu gelten haben, die in der Auferstehung Jesu Christi von den Toten ihre sachliche Begründung und im jeweiligen literarischen Kontext ihren Sinn finden. Als tragender Gedanke dürfte hinter allen Wendungen eine grundlegende Erfahrung liegen: Durch die Taufe auf den Namen Jesu wurde der Täufling dem Messias Jesus übereignet, in die messianische Heilsgemeinde aufgenommen und sakramental versiegelt im Blick auf das kommende Weltgericht. Im Aussprechen des Namens des („Herrn Jesus Christus“) ist in der Taufe sein Heilswerk gegenwärtig und bestimmt von nun an das Leben des Getauften. b) Die frühchristliche Taufe ist mit der Gabe des Geistes verbunden. Die Erfahrung der Gegenwart des Geistes im Taufgeschehen markiert nicht nur eine Abgrenzung zur Johannestaufe, sondern das Zentrum christlicher Tauftheologie (vgl. Mk 1,8; Apg 1,5; 8,14–25; 9,17.18; 11,16; 1Kor 6,11; 12,13; 2Kor 1,21f; Gal 5,24.25; Röm 5,5; Joh 3,5). Der Geist trennt von der Macht der Sünde, gewährt Gerechtigkeit (vgl. 1Kor 1,30; 6,11; Röm 3,25) und bestimmt das neue Leben als wirkmächtige Kraft Gottes (vgl. Röm 8,1–11). c) In der Taufe vollzieht sich die Aufnahme in die eschatologische Heilsgemeinde. Die Getauften leben von nun an in der Einheit des Leibes Christi (1Kor 12,13) und haben bereits Anteil an den Kräften der kommenden Welt (vgl. 2Kor 1,22; 5,5; Röm 8,23).

Die Unterscheidung einer (Johannes-) Taufe mit Wasser und einer Geisttaufe (vgl. Apg 1,5; 11,16; 18,25; 19,3–6) dient Lukas zum Aufweis der heilsgeschichtlichen Überlegenheit der christlichen Taufe. Ihm kommt es darauf an, im Rahmen der Missionserfolge der jungen Kirche den festen Zusammenhang zwischen der Taufe ‚auf den Namen Jesu‘, Geistempfang, Sündenvergebung (Apg 2,38; 22,16) und Einheit der apostolischen Kirche darzustellen. Es ist für ihn selbstverständlich, dass die zum Glauben Gekommenen sich sofort taufen lassen (vgl. Apg 2,41; 8,12.13.26–40; 9,18; 10,47f; 16,33; 18,8; 22,16). Offenbar wurde schon früh innerhalb der Tauffeier der Geistempfang dem Akt der Handauflegung zugeordnet. Dies bot Lukas die Möglichkeit, die vorangegangene Taufe durch die Handauflegung der Apostel richtig zu vollziehen und die bleibende Verbundenheit mit Jerusalem herauszustellen. Für Lukas gehören Handauflegung, Geistverleihung und Taufe eng zusammen, auch wenn die Handauflegung der Taufe vorangehen (Act 9,17–19; 10,44–48) oder folgen kann (Act 8,4–25; 19,1–7) 115.

Die frühchristliche Taufe war sowohl religionsgeschichtlich (einmaliges Untertauchen in fließendem Wasser) als auch theologisch (Sündenvergebung, Partizipation am Heilsgeschehen) ein neues Ritual. Sie konnte vor oder während der normalen Gottesdienste vollzogen werden. Der Taufe kam für die Identitätsbildung der neuen Bewegung zweifellos eine zentrale Stellung zu, denn nun trat neben die Beschneidung ein zweites Initiationsritual, an dem auch Frauen (und Kinder?)116 teilhatten und mit dem sich grundlegende theologische Aussagen verbanden. Als Statustransformationsritual bewirkt die Taufe nicht nur eine neue Wahrnehmung der Wirklichkeit, sondern der Getaufte und die Wirklichkeit selbst sind verändert117.

Herrenmahl

HANS LIETZMANN, Messe und Herrenmahl. AKG 8, Berlin 1926. – JOACHIM JEREMIAS, Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 41967. – HERMANN PATSCH, Abendmahl und historischer Jesus, München 1972. − HELMUT MERKLEIN, Erwägungen zur Überlieferungsgeschichte der neutestamentlichen Abendmahlstraditionen, in: ders., Studien zu Jesus und Paulus, WUNT 43, Tübingen 1987, 157–180. – BERND KOLLMANN, Urspung und Gestalten der frühchristlichen Mahlfeier, GTA 43, Göttingen 1990. – JENS SCHRÖTER, Das Abendmahl, SBS 210, Stuttgart 2006.

Wie bei der Taufe war auch beim Herrenmahl/Abendmahl118 ein Impuls aus dem Leben Jesu von entscheidender Bedeutung für die Herausbildung des Sakramentes. Historisch sehr wahrscheinlich ist ein letztes Mahl Jesu mit seinen Jüngern in Jerusalem unmittelbar vor seiner Verhaftung (vgl. 1Kor 11,23c). Dieses Mahl erhielt seinen besonderen Charakter durch das Bewusstsein Jesu, dass er sterben wird. Jesus verband seinen bevorstehenden Tod offenbar mit der Erwartung, das Reich Gottes werde nun umfassend anbrechen (Mk 14,25: „Amen, ich sage euch: ich werde sicherlich von dem Gewächs des Weinstocks nicht mehr trinken bis zu jenem Tage, wo ich es von neuem trinken werde im Gottesreich“)119. Dieses Sterben konnte von Jesus nicht losgelöst gedacht werden von seiner einzigartigen Gottesbeziehung und seiner ausgeprägten Gottesgewissheit, die sich vor allem in seiner Reich-Gottes-Verkündigung und seinen Wundern zeigten. Jesu Hoheitsbewusstsein forderte geradezu eine Deutung des bevorstehenden Geschehens! Diese Deutung konnte nicht in einfacher Kontinuität zu den Mahlfeiern des Irdischen stehen, denn mit dem bevorstehenden Tod stellte sich für Jesus umfassend die Frage nach dem Sinn seiner Sendung. Seiner Person kam dabei eine zentrale Bedeutung zu, da bereits die Gegenwart des Reiches Gottes und die Wunder ursächlich von ihr abhingen (vgl. Lk 11,20). Entsprechend forderte das bevorstehende Geschehen eine Deutung im Hinblick auf die Person Jesu, die nur er selbst geben konnte120. Wahrscheinlich verstand Jesus seinen Tod in Aufnahme von Jes 53 als Selbsthingabe für die ‚Vielen‘ (vgl. Mk 10,45b)121; der Tod steht damit in Kontinuität zum Leben des irdischen Jesus, der ‚für andere‘ eintrat und lebte. Diese Selbsthingabe formuliert Jesus im Verlauf des letzten Mahles gleichnishaft mit Deuteworten („dies ist mein Leib“) und … („dies ist mein Blut … für die Vielen“).

Deuteworte

Diese Deuteworte orientieren sich nicht an dem, was eigentlich im Passamahl im Vordergrund stand, und sie gewinnen durch die Gesten eine weitere Dimension: Das gemeinsame Trinken aus dem einen Becher könnte darauf hinweisen, dass Jesus angesichts seines Todes die von ihm gestiftete Gemeinschaft über seinen Tod hinaus fortgesetzt wissen wollte. Jesus feierte somit das letzte Mahl in dem Bewusstsein, mit seinem Tod werde Gottes Reich und damit auch das Gericht hereinbrechen. Er gibt sein Leben, damit die ‚Vielen‘ in diesem Endgeschehen Rettung erlangen werden. Die Erwartung des mit seinem Sterben sich umfassend enthüllenden Reiches Gottes erfüllte sich für Jesus nicht (vgl. Mk 15,34). Gott handelte an ihm durch die Auferweckung von den Toten in unerwarteter Weise, zugleich aber auch in Kontinuität: Jesu Tod ist und bleibt rettendes Geschehen für die ‚Vielen‘.

Lobpreis, Erinnerung und Anrufung

Nachösterlich wurde das letzte Mahl zum Dank- und Lobpreis (1Kor 11,11–24/Mk 14,22.23) sowie zum Erfüllungs- und Erinnerungszeichen (1Kor 11,24.25/Lk 22,19: „zu meinem Gedächtnis“) des stellvertretend Leidenden (Mk 14,24: „vergossen für die Vielen“/Lk 22,20: „vergossen für euch“). In der Kraft des Heiligen Geistes ist der Auferstandene selbst das lebendige und gegenwartsmächtige Subjekt seines Gedächtnisses; er ist der Stifter eines neuen Bundes (1Kor 11,25/Lk 22,20), dessen heilvolle Wirkung („mein Leib/mein Blut“) die glaubende Gemeinde empfangen darf. Schließlich erweist sich der (1Kor 11,23: „Jesus, der Herr“) als kommender Herr von Menschheit und Welt (1Kor 11,26: „verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt“; vgl. Mk 14,25). Diese Grundgedanken prägen trotz unterschiedlicher Ausformungen alle Abendmahlsüberlieferungen. Über die konkreten Formen der Herrenmahlsfeiern in der Jerusalemer Gemeinde gibt die Erwähnung des ‚Brotbrechens‘ in Apg 2,42.46 keine direkte Auskunft. Lukas lässt aber erkennen, was er für Jerusalem voraussetzt: Gemeinsame Gottesdienstfeiern in Hausgemeinden mit liturgischen Elementen wie ‚Brotbrechen‘ und Gebet (V. 42.46), verbunden mit Mahlzeiten (V. 46b) und einer eschatologischen Perspektive (V. 46b: „mit Jubel“).

Überindividuelle Kräfte

Einen genaueren Einblick in die frühchristliche Herrenmahlspraxis gewährt die alte vorpaulinische Tradition 1Kor 11,23–26: „Ich habe nämlich von dem Herrn empfangen, was ich euch überliefert habe: Der Herr Jesus nahm in der Nacht, in der er verraten wurde, Brot, sagte Dank, brachs und sprach: Das ist mein Leib, der für euch (gegeben wurde). Tut dies zu meinem Gedächtnis! In gleicher Weise nahm er nach dem Mahl auch den Kelch, indem er sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; tut dies, sooft ihr immer trinkt, zu meinem Gedächtnis. Denn sooft ihr dieses Brot esst und den Kelch trinkt, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“ In Korinth wurde die sakramentale Handlung mit einer gemeinsamen Mahlzeit verbunden, wobei ursprünglich die Brot- und Kelchhandlung die Mahlzeit umrahmte ( („nach dem Mahl/Essen“) in 1Kor 11,25; vgl. auch Lk 22,20). Brotgestus und Brotwort leiteten das Gemeinschaftsmahl ein, Bechergestus und Becherwort schlossen es ab; zwischen beiden Handlungen fand das Gemeinschaftsmahl als Sättigungsmahl statt. Diese anfängliche Praxis war inzwischen Mahlzeiten schon vor der eigentlichen sakramentalen Handlung gewichen. Hierbei traten die Unterschiede zwischen armen und reichen Gemeindegliedern in Korinth offen zutage, die einen schlemmten, die anderen hungerten (vgl. V. 21f.33f). Wie bei paganen Opfermahlen bildeten sich Tischgemeinschaften unter den Wohlhabenden, von denen die Armen ausgeschlossen waren. Diese Entwicklung wird von Paulus scharf kritisiert (1Kor 11,17–22); er plädiert für eine Trennung von Mahlzeiten und Herrenmahlsfeier (1Kor 11,22: „Habt ihr nicht Häuser, wo ihr essen und trinken könnt“?). Bemerkenswert für die Realistik des paulinischen Sakramentsverständnisses und den Gedanken der Reinheit der Gemeinde ist 1Kor 11,30: Weil in Korinth das Abendmahl unwürdig genossen wurde, gibt es so viele Schwache und Kranke in der Gemeinde und sind sogar manche gestorben. Hier wird ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Genuss des Sakramentes und dem Schicksal von Menschen hergestellt. Zweifellos liegt dieser Aussage die Vorstellung zugrunde, bei einem unwürdigen Genuss bewirke das Sakrament selbst die tödlichen Folgen122. Wie bei der Vikariatstaufe 1Kor 15,29 wohnt auch dem Herrenmahl eine Kraft inne, die unabhängig vom Menschen wirkt, sei es zum Guten oder zum Bösen.

Die Bedeutung von Taufe und Herrenmahl für die Bewegung der Christusgläubigen sind auf theologischer, institutioneller und identitätstheoretischer Ebene kaum zu überschätzen. Theologisch zeugen beide Sakramente vom Anbruch der Endzeit; in ihnen wird der erhöhte Jesus Christus als anwesend gedacht, wodurch sie zur Antizipation des Zukünftigen werden. Institutionell tragen Taufe und Herrenmahl entscheidend zur Ausbildung einer eigenen Identität bei. Zwar dürfte die Jerusalemer Gemeinde ihre Tauf- und Herrenmahlspraxis im Kontext des Judentums verstanden haben; zugleich unterscheiden sich aber beide Sakramente durch ihre Christuszentriertheit und ihren soteriologischen Anspruch erheblich von jüdischen Reinigungs- und Mahlpraktiken. Zudem wurden Taufe und Herrenmahl schon sehr früh außerhalb Palästinas und losgelöst von jüdischen Kontexten in den Gemeinden Syriens, Kleinasiens und Griechenlands gefeiert, d.h. sie waren auf identitätstheoretischer Ebene die Katalysatoren eines trans-ethnischen Bewusstseins und förderten so entscheidend den Prozess einer eigenständigen Bewegung der Christusgläubigen.

Neue Sozialformen?

LUKE TIMOTHY JOHNSON, The Literary Function of Possessions in Luke-Acts, SBLDS 39, Missoula 1977. – HANS-JOSEF KLAUCK, Gütergemeinschaft in der klassischen Antike, in Qumran und im Neuen Testament, in: ders., Gemeinde – Amt – Sakrament, Würzburg 1989, 69–100. – GERD THEISSEN, Urchristlicher Liebeskommunismus, in: Texts and Contexts (FS L. Hartman), hg. v. Tornd Fornberg/David Hellholm, Oslo 1995, 689–712. – FRIEDRICH WILHELM HORN, Die Gütergemeinschaft der Urgemeinde, EvTh 58 (1998), 370–383.

Lukas schildert die Anfangszeit der Jerusalemer Gemeinde als Epoche der Einheit: Einheit im Gebet und in der Lehre (vgl. Apg 2,42), in der Eucharistie und im Handeln. Auch die Darstellungen der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse innerhalb der Gemeinde stehen unter dem Motiv der Einheit, was vor allem durch die Summarien Apg 2,42–46; 4,32–35 nachdrücklich unterstrichen wird. Die Christusgläubigen in Jerusalem bildeten eine freiwillige Liebesgemeinschaft, indem sie auf den Besitz zugunsten Notleidender verzichteten (Apg 2,45; 4,34) und das Privateigentum gemeinschaftlich nutzten (Apg 4,32: „Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele, und keiner nannte etwas von dem, was er besaß, sein eigen, sondern sie hatten alles gemeinsam“). In Apg 2,45 heißt es über die Rolle der Apostel beim Verkauf und der Verteilung der Güter: „Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie unter alle aus, je nachdem wie es einer nötig hatte.“ Weitere Differenzierungen erfolgen im zweiten Summarium; wie zuvor in Apg 2,44 wird das antike Freundschaftsmotiv des („alles gemeinsam haben“) aufgenommen (vgl. Apg 4,32), aber erst jetzt wird erwähnt, dass Mitglieder der Jerusalemer Gemeinde Äcker und Häuser besaßen (vgl. Apg 4,34). Der Erlös der verkauften Güter wurde zu den Füßen der Apostel niedergelegt, die damit die Verfügungsgewalt hatten und den Erlös nach Bedürftigkeit verteilten. Apg 4,36.37 erwähnt den Verkauf eines Ackers durch Barnabas, dessen Erlös er ebenfalls den Aposteln übergab.

Aporien

Die gedanklichen Aporien dieser Form von – vom antiken Freundschaftsideal geprägten – Summarien sind offenkundig123: 1) Wirtschaftlich ist das Verhalten der Jerusalemer Gemeinde unsinnig, denn durch den Verkauf ihres Besitzes verlieren sie ihre wirtschaftliche und soziale Existenzgrundlage. 2) Wenn Lukas betont, dass sich die Gemeinde täglich zum Brotbrechen in den Häusern traf (Apg 2,46), so setzt dies voraus, dass nach wie vor Christusgläubige Hausbesitzer waren. Sie stellten ihre Wohnhäuser zur gemeinsamen Nutzung zur Verfügung (vgl. Apg. 12,12f). 3) Wenn die begüterten Mitglieder der Gemeinde ihren Besitz verkaufen und den Erlös den Aposteln zu Füßen legen, könnte man erwarten, dass alle Mitglieder der Gemeinde aus diesem Kapital gleichmäßig versorgt werden. Wir hören aber, dass der Erlös nach Bedürftigkeit zur Verteilung kam (vgl. Apg 2,45; 4,35). Es gab also auch nach diesen Verkaufs- und Schenkungsaktionen weiterhin Bedürftige, andere waren offenbar nicht auf Unterstützung angewiesen. Zudem bestätigen der Konflikt um die Witwenversorgung (Apg 6,1) und die Kollekte für „die Armen unter den Heiligen“ (Röm 15,26) anhaltende soziale bzw. wirtschaftliche Probleme in der Gemeinde. 4) Nach Apg 4,32 gab es in der Gemeinde nach wie vor Besitzende, die aber die Nutzung ihres Eigentums allen ermöglichten. Sie pochten nicht auf Eigentum, sondern stellten es zur Verfügung, aber nicht so, dass sie es verkauften, sondern sie ließen andere daran partizipieren. 5) Das von Lukas geschilderte Bild der Jerusalemer Gemeinde ist in einem weiteren Punkt widersprüchlich: Die Geschichte von Ananias und Saphira in Apg 5,1–11 setzt voraus, dass nicht alle ‚alles gemeinsam‘ hatten und dies auch nicht erwartet wurde. 6) In den paulinischen Gemeinden wird ganz selbstverständlich Privatbesitz vorausgesetzt; sollte es die Gütergemeinschaft in Jerusalem in der beschriebenen Weise je gegeben haben, so hätte sie keine Nachfolger gefunden.

Aus diesen Beobachtungen lässt sich nun der Schluss ziehen, dass Lukas Einzelfälle von Besitzverkauf zugunsten der Jerusalemer Gemeinde verallgemeinert hat. Darauf weist insbesondere die Erwähnung des Barnabas in Apg 4,36f hin, denn sie wäre nicht sinnvoll, wenn Barnabas nur das getan hätte, was ohnehin alle taten. Wahrscheinlich wurden die Erlöse vereinzelter Haus- oder Grundstücksverkäufe von den Aposteln in der Gemeinde je nach Bedürftigkeit verteilt.

Antike Gesellschaftsutopien

Lukas nimmt mit der Gütergemeinschaft einen zentralen Topos antiker Staats- und Gesellschaftsutopien auf124. Er könnte auf Pythagoras zurückgehen, vom dem Iamblichus, De Vita Pythagorica 167f, überliefert: „Ursprung der Gerechtigkeit ist nun Gemeinschaft, gleiches Recht und eine Verbundenheit, in der alle ganz wie ein einziger Leib und eine einzige Seele dasselbe empfinden und mein und dein gleich bezeichnen … Gemeinsam gehörte allen alles ohne Unterschied, privat besaß keiner etwas. Fand einer an der Gemeinschaft Gefallen, so gebrauchte er die gemeinsamen Güter aufs Gerechteste; andernfalls nahm er seine eigene Habe und noch mehr als er zum gemeinsamen Besitz beigesteuert hatte und ging von dannen“ (vgl. ferner Diog L 8,23: „…von Privateigentum halte man gar nichts!“). Bereits für den Idealstaat Platons gilt, dass ‚Freunden alles gemeinsam sein soll‘ (Politeia 424A, 449C) und Privatbesitz zu vermeiden ist (Politeia 416D, 464D, 543B). Aristoteles, Ethica Nicomachia VIII 11 (1159b), sagt über die Freundschaft: „Und soweit Gemeinschaft ist, soweit ist Freundschaft, denn soweit ist auch Recht. Und das Sprichwort: ‚Freundesgut, gemeinsam Gut‘ ist richtig. Denn Freundschaft setzt Gemeinschaft voraus.“ Auch Cicero, De officiis I 51, sieht in der gemeinsamen Nutzung des Besitzes ein Merkmal des idealen Staates: „Und es ist dies die am weitesten ausgreifende Gesellschaft der Menschen untereinander; die aller mit allen. In ihr ist die gemeinschaftliche Verfügung über alle Erzeugnisse, die die Natur zu gemeinschaftlicher Nutznießung durch die Menschen hervorgebracht hat, zu wahren …, wie es in einem Sprichwort der Griechen heißt: Es sei Freunden alles gemeinsam.“ Eine eindrucksvolle Parallele zu dem von Lukas geschilderten Gemeinschaftsleben der Jerusalemer Gemeinde findet sich bei den Essenern125. Die verheirateten Mitglieder der über ganz Israel verstreuten Essenersiedlungen verfügten über privaten Besitz und privates Vermögen (CD IX 14ff.22). Sie besaßen Häuser (CD XI 7–11) und Äcker und beschäftigten Sklaven und Tagelöhner (CD XI 12, XII 10). Wer in die Gemeinde aufgenommen wurde, musste Angaben über seine Vermögensverhältnisse machen, falsche Angaben wurden bestraft (CD XIV 20f). Die Mitglieder leisteten monatliche Zahlungen in eine Gemeinschaftskasse, die von einem Aufseher verwaltet wurde (CD XIV 12–16). Aus dieser Gemeinschaftskasse sollten Bedürftige unterstützt werden: „Davon soll man den Waisen geben, und davon soll man den Elenden und Armen unterstützen; und weiterhin für den Greis, der im Sterben liegt, und für den Mann, der heimatlos ist, und für denjenigen, der in ein fremdes Volk gefangen weggeführt wird, und für die Jungfrau, die keinen Löser hat.“ (CD XIV 14fl). Für Qumran als einem Zentrum der Essener galten radikalere Regeln. Wer dieser Gemeinschaft beitrat, musste seinen Besitz oder sein Vermögen in den Gemeinschaftsbesitz einbringen (IQS VI 19f). Die Verfügungsgewalt darüber lag dann bei den Priestern: „Nur die Söhne Aarons sollen in Bezug auf Rechtssprechung und Besitz herrschen, nach ihrer Weisung soll das Los fallen für jede Anordnung der Männer der Gemeinschaft und (für) den Besitz der Männer und der Heiligkeit, die in Vollkommenheit wandeln. Ihr Besitz soll nicht vereint werden mit dem Besitz der Männer des Trugs, die ihren Wandel nicht geläutert haben, um sich (so) zu scheiden vom Frevel und auf dem Wege der Vollkommenheit zu wandeln“ (1QS IX 7–9).

Eine neue Kultur des Teilens

Lukas nahm einzelne Fälle von freiwilligem Besitzverzicht bzw. einer gemeinsamen Besitznutzung in der Jerusalemer Gemeinde zum Ausgangspunkt seiner Darstellung und verband sie mit dem gemeinantiken Ideal des . So erschuf er Ur-Szenen und gab den Ereignissen eine paradigmatische Aura. Zudem dürften ihn der radikale Lebensstil des irdischen Jesus und seines Jüngerkreises, aber auch des Paulus und seiner engsten Mitarbeiter dazu inspiriert haben. Darüber hinaus sieht er in der Gemeinde die Verwirklichung der in der antiken Philosophie häufig anzutreffenden Sozialutopie des idealen Gemeinwesens. Mit seinem Bild der Gemeinde verdeutlicht Lukas schließlich, dass mit der neuen Gemeinschaft der Christusgläubigen auch eine neue Kultur des Teilens verbunden war, was in Einzelfällen wahrscheinlich auch zutraf. Zugleich schuf Lukas mit dieser sozialen Utopie einen durch die Zeiten hindurch wirkenden Anstoß, der unmissverständlich fordert, wie die Jerusalemer zu geben, zu teilen und alles gemeinsam zu haben126.

Hebräer und Hellenisten

MARTIN HENGEL, Zwischen Jesus und Paulus, ZThK 72 (1975), 151–206. − NIKOLAUS WALTER, Apostelgeschichte 6,1 und die Anfänge der Urgemeinde in Jerusalem, in: ders., Praeparatio Evangelica, WUNT 98, Tübingen 1997, 187–211 (= 1983). – HEIKKI RÄISÄNEN, The „Hellenists“ – A Bridge between Jesus and Paul?, in: ders., The Torah and Christ, SESJ 45, Helsinki 1986, 242–301. – CRAIG C. HILL, Hellenists and Hebrews: Reappraising Division within the Earliest Church, Minneapolis 1992. − GERD THEISSEN, Hellenisten und Hebräer (Apg 6,1–6). Gab es eine Spaltung in der Urgemeinde?, in: Hermann Lichtenberger (Hg.), Geschichte – Tradition – Reflexion (FS M. Hengel), Bd. III, Tübingen 1996, 323–343. – MICHAEL ZUGMANN, „Hellenisten“ in der Apostelgeschichte, WUNT 2.264, Tübingen 2009. − JAMES D.G. DUNN, Beginning from Jerusalem, 241–278.

Mit Kap. 6 ändert sich die Erzählperspektive der Apostelgeschichte; das in Apg 1–5 vorherrschende Bild vom harmonischen Leben der Jerusalemer Gemeinde bekommt Risse. Bisher wuchs die Gemeinde in außerordentlicher Weise (vgl. Apg 2,41; 4,4, 5,14); sie genießt Hochachtung beim Volk (Apg 5,13b), alle sind ein ‚Herz‘ und eine ‚Seele‘ (Apg 2,44; 2,34) und haben alles gemeinsam (Apg 2,44ff; 4,32), so dass niemand Not leiden muss (Apg 4,34). Nun dominiert eine andere Wirklichkeit; die Hochachtung des Volkes gegenüber der Gemeinde ist heftigen Auseinandersetzungen und Verfolgungen gewichen, die im Martyrium des Stephanus ihren Höhepunkt finden (vgl. Apg 6,11–14; 7,57–58). Es kommt zu Ausschreitungen gegen die neue Bewegung, die viele zur Flucht aus Jerusalem veranlassen (Apg 8,1) und sogar unter den Christusgläubigen entsteht ein Streit zwischen den Gruppen der ‚Hellenisten‘ und ‚Hebräer‘. Von der in Apg 2,44– 47 und 4,32–37 erwähnten Gütergemeinschaft ist in Kapitel 6 nicht mehr die Rede. Auch wenn die große erzählerische Linienführung auf Lukas zurückgeht, sind hinter Apg 6,1–8,3 deutlich historische Konflikte innerhalb der Jerusalemer Gemeinde und zwischen Teilen der Gemeinde und dem Jerusalemer Judentum zu erkennen127.

Die ‚Zwölf‘ und die ‚Sieben‘

In Apg 6,1–7 lässt Lukas zwei Leitungsgremien auftreten: den Zwölfer- und Siebenerkreis. Die ‚Zwölf‘ erscheinen nur in Apg 6,2 (vgl. Lk 6,13; 9,1; 18,31; 22,3.30), in Apg 6,6 ist schon wieder von ‚den Aposteln‘ die Rede. Beim Zwölferkreis handelt es sich wahrscheinlich um eine von Jesus selbst eingesetzte Gruppe, die symbolisch die Gesamtheit der Zwölf Stämme Israels repräsentierte und die nach Ostern nur noch eine kurze Zeit von Bedeutung war (s.o. 5.2). Auch der Siebenerkreis war im frühen Christentum ein fester Begriff, denn Philippus wird in Apg 21,8 als „einer von den Sieben“ genannt. Die Herkunft der Zahl Sieben könnte mit der Auslegung von Dtn 16,18 zusammenhängen, denn Josephus erwähnt dazu, dass in jeder jüdischen Stadt sieben Männer regieren sollen128. Die Bildung des Siebenerkreises verbindet Lukas mit einem Konflikt innerhalb der Jerusalemer Gemeinde: „In diesen Tagen aber, da die Zahl der Jünger stark zunahm, gab es ein Murren der Hellenisten gegen die Hebräer, ihre Witwen würden bei der täglichen Almosenverteilung übersehen“ (Apg 6,1). Die Witwen der Hellenisten fühlten sich beim innergemeindlichen Bedarfsausgleich übersehen bzw. benachteiligt, was zu einem Konflikt zwischen den Hellenisten und Hebräern führte. Als Erkärung dient der Hinweis, dass die ‚Zwölf‘ mit der Doppelaufgabe von Diakonie und Verkündigung überlastet waren. Deshalb erfolgt eine erste Erweiterung der Gemeindeorganisation, indem für die Armenvorsorge sieben Männer ausgewählt und durch die Apostel eingesetzt werden. Die Darstellung des Lukas in Apg 6,1–7 enthält eine Reihe von Ungereimtheiten: 1) Es bleibt unklar, ob die Witwen der Hellenisten innerhalb eines – wegen des Wachstums der Gemeinde – neu eingerichteten Systems von Anfang an nicht berücksichtigt wurden oder in einem bestehenden System von einem bestimmten Zeitpunkt an keine Unterstützung mehr erhielten. 2) Warum wurden nur die hellenistischen Witwen übersehen? Lebten sie bereits abseits in einer eigenen Gemeinde? 3) Alle sieben ‚Diakone‘ trugen hellenistische Namen129, einer ist sogar Proselyt aus Antiochia. 4) Warum wählte man nur Hellenisten und nicht einen gemischten Kreis zur Durchführung der Armenfürsorge? 5) Besonders auffällig ist, dass im weiteren Verlauf der Apostelgeschichte Stephanus und Philippus in keiner Weise als Armenpfleger auftreten. Vielmehr handelt es sich bei beiden um geistbegabte frühchristliche Missionare. 6) Ebenso kommen die ‚Zwölf‘ ihrer angekündigten Aufgabe (Apg 6,4: „wir aber wollen beim Gebet und beim Dienst am Wort bleiben“) innerhalb der Erzählung nicht nach; sie entschwinden vielmehr und werden von den Aposteln ersetzt (vgl. Apg 6,6)130. 7) Ein Zusammenhang mit der zuvor geschilderten Gütergemeinschaft (Apg 4,32–37) wird von Lukas nicht hergestellt, obwohl er auf der Hand liegt: Wenn das Ziel dieses Programms darin lag, dass „keiner unter ihnen Mangel hatte“ (vgl. Apg 4,34), zeigt der Streit über die Witwenversorgung, dass es zumindest in der Realität so nicht funktionierte (oder gänzlich Fiktion war).

Als historisches Faktum kann der lukanischen Darstellung zunächst entnommen werden, dass es in der Jerusalemer Gemeinde schon sehr früh zwei Gruppen gab: Die ‚Hellenisten‘ und die ‚Hebräer‘. Die Begriffe und weisen darauf hin, dass der Konflikt zu einem erheblichen Teil sprachliche Ursachen hatte. Die sind aramäisch sprechende jüdische Jesusanhänger, die hingegen aus der Diaspora stammende und nach Jerusalem zurückgekehrte griechisch sprechende Juden, die zu Jesusanhängern wurden (vgl. Apg 2,5)131. Deshalb beherrschten sie das Aramäische nicht oder nur eingeschränkt; umgekehrt gab es bei den ‚Hebräern‘ sicherlich einige, die Griechisch als Fremdsprache beherrschten, zugleich sprach aber die Mehrzahl ausschließlich aramäisch. Weil Sprache ein herausragendes Merkmal von Identität ist, verwundert es nicht, dass es hier zu Konflikten kam. Auch soziale Unterschiede dürften bestanden haben, denn die hellenistischen Juden aus der Diaspora waren in ihrer Mehrheit sicherlich begütert132, während zumindest die galiläischen Jesusanhänger in Jerusalem auf Unterstützung angewiesen waren. Hinzu kommt, dass die aus der Diaspora zurückgekehrten Juden eine gewisse sprachlich-kulturelle Identität durch landsmannschaftliche Synagogen in Jerusalem beibehielten, worauf neben Apg 6,9 („Synagoge der Libertiner und der Kyrenäer und der Alexandriner“) vor allem die sogenannte Theodotus-Inschrift hinweist133.

Sprache und Identität

Die Sprachunterschiede, die verschiedenen Herkunftsgebiete, die sozialen Unterschiede und eine gewisse jeweilige Eigenständigkeit innerhalb des Jerusalemer Judentums bereits vor dem Eintritt in die neue Bewegung der Christusgläubigen führten dazu, das sich schon relativ früh nach und nach zwei selbständige Gruppierungen entwickelten134. Wahrscheinlich war eine Konsequenz der sprachlichen Unterschiede die Ausbildung jeweils eigenständiger Gottesdienste. Nach Apg 2,46 versammelten sich die Gläubigen zu täglichen Gottesdiensten ‚in den Häusern‘; ein Hinweis darauf, dass sich die Jerusalemer Gemeinde aus praktischen Gründen in Hausgemeinden gliederte. Wahrscheinlich haben auch die ‚Hellenisten‘ von Anfang an eigene Hausversammlungen organisiert, in denen Gottesdienste in griechischer Sprache abgehalten wurden. Die liturgisch-kultische Trennung zog dann auch eine Trennung in der Diakonie nach sich, wie sie in Apg 6,1–7 geschildert wird. Von hieraus lassen sich auch die Schwierigkeiten bei der Armenversorgung erklären. Vermutlich wurde die Armenfürsorge ursprünglich durch die Hebräer organisiert, die dann von einem bestimmten Zeitpunkt an die hellenistischen Witwen nicht mehr mitversorgten, weil jene nicht mehr als Bestandteil der eigenen Gemeinde angesehen wurden135.

Mit dem ‚Übersehen‘ der Witwen der Hellenisten waren offenbar auch theologische Differenzen zwischen beiden Gruppen verbunden. Der Siebenerkreis übte die ihm zugedachten sozialen Aufgaben überhaupt nicht aus und Stephanus als herausragende Gestalt dieser Gruppe war alles andere als ein Versorgungsorganisator.

Stephanus und die Folgen

HEINZ-WERNER NEUENDORFER, Der Stephanuskreis in der Forschungsgeschichte seit F. Chr. Baur, Gießen/Basel 1983. – ALFONS WEISER, Zur Gesetzes- und Tempelkritik der ‚Hellenisten‘, in: Karl Kertelge (Hg.), Das Gesetz im Neuen Testament, QD 108, Freiburg 1986, 146–168. – KARL LÖNING, Der Stephanuskreis und seine Mission, in: Jürgen Becker (Hg.), Die Anfänge des Christentums, 80-101. – EDVIN LARSSON, Die Hellenisten und die Urgemeinde, NTS 33 (1987), 205–225. – ECKHARD RAU, Von Jesus zu Paulus, 15–35. – KLAUS HAACKER, Die Stellung des Stephanus in der Geschichte des Urchristentums, ANRW 26.2, Berlin 1995, 1515–1553. – HEIKKI RÄISÄNEN, Die ‚Hellenisten‘ der Urgemeinde, ANRW 26.2, Berlin/New York 1995, 1468–1514. – WOLFGANG KRAUS, Zwischen Jerusalem und Antiochia, 26–81. – MICHAEL ZUGMANN, „Hellenisten“, 312–357. – HEIKE BRAUN, Geschichte des Gottesvolkes und christliche Identität, WUNT 2.279, Tübingen 2010. − KLAUS HAACKER, Stephanus, BG 28, Leipzig 2014.

Stephanus tritt in Apg 6,8–15 relativ unvermittelt auf und ist offenbar so etwas wie der theologische Wortführer innerhalb der hellenistischen Richtung in der Jerusalemer Gemeinde. Sein theologisches Profil lässt sich in Umrissen so bestimmen: Er ist Charismatiker, vollbringt Wunder und agiert als Weisheitslehrer und als Pneumatiker (V. 8: „voll Gnade und Kraft, er tat Zeichen und große Wunder unter dem Volk“; V. 10: „sie vermochten nicht zu widerstehen der Weisheit und dem Geist, in dem er redete“). Gegen Stephanus treten daraufhin hellenistische Juden auf, die ihm jedoch nicht zu widerstehen vermögen (V. 9f). Hinzu kommen eine vor-gerichtliche Polemik (V. 11: „Wir haben ihn Lästerworte reden gehört gegen Mose und Gott“) und als formelle Anklage eine kritische Einstellung zum Tempel und zum Gesetz; ein Vorwurf, der allerdings von falschen Zeugen vorgebracht wird (V. 13: „Dieser Mensch hört nicht auf, gegen diesen heiligen Ort und das Gesetz zu reden“). Inwieweit diese theologischen Positionen für den historischen Stephanus (und alle Hellenisten) in Anspruch genommen werden können, lässt sich nur schwer sagen, weil Apg 6,8–15 sehr stark von lukanischer Redaktion durchzogen ist.

Relativierung des Tempels

Zunächst legt es die von Lukas intendierte Parallelität von Stephanus und Paulus nahe (vgl. Apg 6,13 mit 21,28)136, das Motiv der Gesetzeskritik als einen lukanischen Eintrag anzusehen, der das Wissen um die beschneidungsfreie Mission des Paulus voraussetzt137. In der Anfangszeit der Jerusalemer Gemeinde dürfte sich kaum eine torakritische Haltung herausgebildet haben, die das im Judentum um die Zeitenwende Mögliche erheblich überschritten und eine Verfolgung gerechtfertigt hätte138. Anzunehmen ist vielmehr, dass die erfolgreiche Verkündigung des gekreuzigten Jesus von Nazareth als Messias Israels in Verbindung mit einer tempelkritischen Haltung139 und der sich entwickelnden organisatorischen Selbständigkeit und Missionspraxis zu der Verfolgung führten. Dafür lassen sich zwei Argumente nennen: 1) Stephanus und die anderen judenchristlichen Hellenisten sahen mit Kreuz und Auferstehung Jesu Christi das universale endzeitliche Heilshandeln Gottes angebrochen, wodurch der Tempel als Ort des Sühnehandelns Gottes relativiert wurde (vgl. Röm 3,25)140. Gerade die tempelliebenden hellenistischen Juden dürften dies als Provokation empfunden haben, die den Blasphemievorwurf hellenistischer Juden (Apg 6,11)141 und die folgende Lynchjustiz (Todesstrafe durch Steinigung nach Lev 24,10–16; Num 15,30f) rechtfertigten. Hinzu kommt, dass damit den Jesusanhängern tendenziell derselbe Vorwurf gemacht wurde, der schon bei Jesus selbst eine wichtige Rolle spielte, was sich in der ansatzweisen Übertragung des Tempellogions (vgl. Mk 14,58b.c) auf Stephanus in Apg 6,14b zeigt („Dieser Jesus von Nazareth wird diese Stätte zerstören“). Möglicherweise klassifizierten die Hellenisten den bestehenden Tempel als ‚mit Händen gemacht‘ und damit als vorläufig, um ihm den ‚nicht mit Händen gemachten‘ Jesus Christus als bleibende Stätte der Gegenwart Gottes gegenüberzustellen (vgl. Apg 7,48–50)142. 2) Die Tempelkritik der Hellenisten könnte (vielleicht) die merkwürdige Notiz Apg 8,1 erklären, wonach bei der im Anschluss an die Steinigung des Stephanus einsetzenden Verfolgung nur die hellenistischen jüdischen Jesusanhänger, nicht aber die Apostel verfolgt wurden. Während die aramäisch sprechenden Mitglieder der Jerusalemer Gemeinde in Apg 1–5 als besonders tempelverbunden dargestellt wird, vertraten Stephanus und seine Gruppe offenbar eine kritischere Haltung, so dass nur sie, nicht aber die übrigen Christusgläubigen vertrieben wurden. Damit wäre eine gegenüber Apg 1–5 veränderte Situation anzunehmen143: Schauplatz des Konfliktes sind nun die Synagogen der hellenistischen Juden, d.h. neue Personen treten an neuen Orten auf. Während sich die vorwiegend aus Galiläa stammenden Christusgläubigen vor allem im Umfeld des Tempels aufhielten, agierten Stephanus und seine Mitstreiter mit intellektueller Brillanz in den hellenistischen Synagogen. Die Stephanus-Gruppe konnte offenbar mehr als andere Christusgläubige wahrgenommen werden; sie warb offensiv und erfolgreich für den Messias Jesus Christus unter den hellenistischen Juden in Jerusalem und war somit auch identifizierbar. Das Auftreten der Hellenisten führte wahrscheinlich auch dazu, dass die Pharisäer ihre bisher zurückhaltende Position aufgaben (vgl. Apg 5,34– 39) und ebenso wie bereits die Sadduzäer zu Gegnern der neuen Bewegung wurden (vor allem in der Person des Paulus).

Die erfolgreiche Missionstätigkeit der Stephanus-Gruppe innerhalb der hellenistischen Synagogen Jerusalems, ihre Verkündigung eines Gekreuzigten als Messias Israels und vor allem ihre Relativierung des Tempelkultes durch die Behauptung, Jesus Christus sei der endzeitliche Sühneort Gottes, wurden als Provokation empfunden, die in einem Akt der Lynchjustiz mit der Steinigung des Stephanus endete (vgl. Apg 7,54–60). Die genauere zeitliche Einordnung dieses Geschehens ist schwierig, infrage kommen das Jahr 33 oder 36 n.Chr. Für 36 kann angeführt werden, dass nach der Ablösung des Pilatus und der Einsetzung des Marcellus durch den syrischen Legaten Vitellius144 ein Machtvakuum entstanden sein könnte, welches der neue Hohepriester Jonathan ausnutzte, um mit gewaltsamen Mitteln gegen die judenchristlichen Hellenisten vorzugehen145. Dagegen spricht allerdings, dass die in Apg 7,60c; 8,3 hergestellte Verbindung zwischen dem Stephanusmartyrium und Paulus einen früheren zeitlichen Ansatz fordert, denn Paulus wurde spätestens 33 n.Chr. zum Völkerapostel berufen146. Deshalb sind das Wirken der Hellenisten und der Tod des Stephanus in die Jahre 32/33 n.Chr. zu datieren.

Die Hellenisten als Bindeglied zwischen Jerusalem und der weiteren Entwicklung

Die Bedeutung der Hellenisten für die weitere Entwicklung des frühen Christentums kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Bereits die Rückkehr aus der Diaspora nach Jerusalem zeigt, dass die Hellenisten sehr religiöse Menschen waren, die sich nun dem Christusglauben anschlossen und ihn dann wieder über Jerusalem hinaus (in die Diaspora) trugen. Obwohl auch die Hellenisten nicht einfach als eine geschlossene Gruppe anzusehen sind147, entwickelten sie bereits in Jerusalem und dann später in Damaskus (vgl. Apg 9,2) und in Antiochia (vgl. Apg 11,19) eigene theologische und christologische Ansätze und Vorstellungen mit einer universalen Tendenz, die dann die Bewegung der Christusgläubigen für eine Mission über die Grenzen Palästinas hinweg öffneten (s.u. 6.2). Sie waren wahrscheinlich die Ersten, die spontane Gaben des Heiligen Geistes auch an Nichtjuden (vgl. Apg 2,9–11; 8,17.39) theologisch bedachten. Das gesamte paulinische Missionswerk ist ohne das Wirken dieser Gruppe nicht denkbar. Die Hellenisten waren es vermutlich auch, die schon früh die Jesusüberlieferung ins Griechische übertrugen und damit die Jesusbotschaft für die griechische Welt öffneten.

5.6 Texte: Die Passionsgeschichte

MEINRAD LIMBECK (Hg.), Redaktion und Theologie des Passionsberichtes nach den Synoptikern, WdF 481, Darmstadt 1981. – KARL KERTELGE (Hg.), Der Prozeß gegen Jesus. Historische Rückfrage und theologische Deutung, QD 112, Freiburg 1988. – WILLIBALD BÖSEN, Der letzte Tag des Jesus von Nazaret. Was wirklich geschah, Freiburg 1994. – CHRISTOPH NIEMAND, Jesus und sein Weg zum Kreuz. Ein historisch-rekonstruktives und theologisches Modellbild, Stuttgart 2007. – MARLIS GIELEN, Die Passionserzählung in den vier Evangelien. Literarische Gestaltung – theologische Schwerpunkte, Stuttgart 2008.

Die erfolgreiche Verkündigung der Jerusalemer Gemeinde ist nur denkbar, wenn überzeugende Verkündigungsinhalte existierten. Hier ist zuallererst an die mündliche Predigt zu denken, die in besonderer Weise Jesu Geschick im Lichte der alttestamentlichen Verheißungen zum Inhalt gehabt haben dürfte. Eine ausschließlich mündlich vor- und weitergetragene Überlieferung ist für eine kurze Zeit nach Jesu Tod denkbar, aber schon ein oder zwei Jahre später erforderten die Gottesdienste in den Hausgemeinden sowie die Tauf- und Herrenmahlsfeiern eine gewisse Fixierung der Überlieferung und d.h. ihre sukzessive Verschriftlichung. Für die Jerusalemer Gemeinde dürfte dabei das im Vordergrund gestanden haben, was sich auch in Jerusalem ereignete: die Passion.

Die Passion als Grunderzählung

Zu den Grunderzählungen der neuen Bewegung der Christusgläubigen in Jerusalem gehörte deshalb sicherlich von Anfang an ein Passionsbericht. Paulus bestätigt dies indirekt, wenn er seine Herrenmahlsüberlieferung mit der Bemerkung einleitet: „Ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch weitergegeben habe: Der Herr Jesus, in der Nacht, als er verraten wurde …“ (1Kor 11,23). Der von Markus überlieferte Bericht stellt nicht nur literarisch, sondern wahrscheinlich auch traditionsgeschichtlich die älteste Version dar. Sie existierte bereits lange vor dem Markusevangelium, worauf vor allem die unterschiedliche Chronologie zwischen dem vormk. Bericht (Jesus stirbt am Rüsttag zum Passa) und dem vorliegenden Evangelium (Jesus stirbt am Passa) hinweist148.

Alle vier Evangelien stimmen darin überein, dass Jesus an einem Freitag gekreuzigt wurde (Mk 15,42; Mt 27,62; Lk 23,54; Joh 19,14.31.42). Nach den Synoptikern ist dieser Freitag der erste Tag des Passafestes, der 15. Nisan (vgl. Mk 14,12par). Bei Johannes stirbt Jesus am Rüsttag des Passa, dem 14. Nisan am Nachmittag (vgl. Joh 18,28; 19,14.31)149, genau zu dem Zeitpunkt, als die Passalämmer auf dem Tempelplatz geschlachtet wurden150. Auch die mk. Tradition stützt die joh. Überlieferung, denn nach Mk 14,1f sollte Jesus vor dem Fest (V. 2: „nicht am Fest“) inhaftiert und getötet werden und Judas sollte Jesus „rechtzeitig“ () übergeben, d.h. die Gefangennahme Jesu erfolgte in der Nacht vom 13. zum 14. Nisan151. Alle Textsignale, die die Schnelligkeit des Geschehens betonen (Mk 14,30: „heute, in dieser Nacht“; 15,1: „und sofort, in der Frühe“; 15,34: für einen Gekreuzigten stirbt Jesus sehr schnell, bereits in der „neunten Stunde“, d.h. nach 6 Stunden; 15,44: Pilatus ist erstaunt, dass Jesus schon gestorben ist), verweisen ebenfalls auf den Rüsttag. Für diese Datierung spricht ferner die Notiz in Mk 15,20f, Simon von Kyrene sei vom Acker gekommen und habe das Kreuz Jesu tragen müssen. Am Passa ruhte alle Arbeit, so dass auch hier an den Rüsttag zum Passa zu denken ist, was bei Streichung des Zusatzes („der ist vor dem Sabbat“) auch in Mk 15,42 vorausgesetzt wird. Die Gerichtsverhandlungen vor dem Synedrium und Pilatus sind ebenfalls nicht an einem Sabbat denkbar.

Die Passionsgeschichte als Jerusalemer Kultätiologie

Zur ältesten Passionsüberlieferung dürften folgende Texteinheiten gehört haben: Mk 14,1– 2 (Todesbeschluss); 14,10–11 (Judas); 14,22–25 (letztes Mahl); 14,43–46 (Festnahme); 14,53–65 (Verhör vor dem Hohen Rat); 14,66–72 (Verleugnung des Petrus); 15,1– 5 (Jesus vor Pilatus); 15,16–20a (Verspottung); 15,20b–27 (Kreuzigung); 15,42– 47 (Grablegung). Als spätere Ergänzungen können angesehen werden: Mk 14,3–9 (Salbung in Betanien); 14,12–17 (Vorbereitung zum Mahl); 14,18–21 (der Verräter); 14,26–31 (Ankündigung der Verleugnung des Petrus);14,32–42 (Gethsemane); 14,47– 52 (Ereignisse bei der Festnahme); 15,6–15 (Jesus vor Pilatus II); 15,29–41 (Geschehnisse um die Kreuzigung). Vermutlich wurden die ältesten Einzeltraditionen schon relativ früh mit den etwas späteren Überlieferungen zu einem vormk. Passionsbericht zusammengeführt und dann noch einmal von Markus überarbeitet und in sein Evangelium integriert. Der älteste Grundbestand des Passionsberichtes wird am Ort seines Geschehens, in Jerusalem, entstanden und zwischen 35 und 40 n.Chr. verschriftlicht und auch ins Griechische übersetzt worden sein152. Dies ergibt sich einmal aus den Erfordernissen in der Jerusalemer Gemeinde, denn mit fortschreitender Zeit mussten die Überlieferungen gesichert und fixiert werden sowie in den beiden Hauptsprachen Aramäisch und Griechisch zugänglich sein. Ferner existierten um 40 n.Chr. andere große Gemeinden (Damaskus, Antiochia) bzw. bildeten sich neue (Rom), in denen mit Sicherheit auch von Jesu Geschick in Jerusalem erzählt wurde, d.h. sie waren auf eine verschriftete (griechische) Form des Passionsberichtes angewiesen. Es ist anzunehmen, dass im Gottesdienst und speziell bei Herrenmahlsfeiern üblicherweise die Passionsgeschichte oder Teile aus ihr verlesen wurden. Mit der Passiongeschichte gab sich die Jerusalemer Gemeinde eine Kultätiologie, d.h. eine erzählende Begründung für ihre Existenz und ihre kultische Praxis.

5.7 Die theologische Entwicklung der frühen Jerusalemer Gemeinde

In der Jerusalemer Gemeinde wurden sicherlich über die Passionsgeschichte hinaus weitere Texte der Jesusüberlieferung mündlich oder schriftlich fixiert, ohne dass dieser Prozess im Einzelnen nachzuzeichnen wäre. Wohl aber lässt sich zeigen, welche theologischen Grundanschauungen in der Jerusalemer Gemeinde entstanden, die dann für die spätere Entwicklung von großer Bedeutung waren.

Christologische Hoheitstitel

Die Verehrung Jesu neben Gott bildete sich aus den überwältigenden religiösen Erfahrungen der Christengläubigen in Jerusalem, wobei insbesondere die Erscheinungen des Auferstandenen, das gegenwärtige Wirken des Geistes und intensive Gottesdiensterfahrungen zu nennen sind (s.o. 4.1/4.2). Neben die gottesdienstliche Anrufung und rituelle Verehrung Jesu traten die christologischen Hoheitstitel, die zu den frühesten Elementen der theologischen Reflexion zählten. Sie sind Abbreviaturen des gesamten Heilsgeschehens; sie sagen aus, wer und was Jesus von Nazareth für die glaubende Gemeinde ist153.

Jesus Christus

Die zentrale Hoheitsbezeichnung bzw. haftet bereits an den ältesten vorpaulinischen Bekenntnistraditionen (vgl. 1Kor 15,3b–5; 2Kor 5,14f) und thematisiert das gesamte Heilsgeschehen154. Bei Paulus (und wahrscheinlich schon vor ihm) verbinden sich Aussagen über die Kreuzigung (1Kor 1,23; 2,2; Gal 3,1.13), den Tod (Röm 5,6.8; 14,15; 15,3; 1Kor 8,11; Gal 2,19.21), die Auferweckung (Röm 6,9; 8,11; 10,7; 1Kor 15,12–17.20.23), die Präexistenz (1Kor 10,4; 11,3a.b) und die irdische Existenz Jesu (Röm 9,5; 2Kor 5,16) mit . Von der auf das gesamte Heilsgeschehen bezogenen Grundaussage verzweigen sich die -Aussagen dann in vielfältige Bereiche. Auch in den Evangelien nimmt der Titelname eine zentrale Stellung ein, wie z.B. Mk 1,1; 8,29; 14,61; Mt 16,16 deutlich zeigen. Der selbstverständliche Gebrauch von auch bei griechisch-römisch geprägten Gemeinden ist kein Zufall, denn die Adressaten konnten vor ihrem kulturgeschichtlichen Hintergrund im Kontext antiker Salbungsriten rezipieren. Die im gesamten Mittelmeerraum verbreiteten Salbungsriten zeugen von einem gemeinantiken Sprachgebrauch, wonach gilt: „wer/was gesalbt ist, ist heilig, Gott nah, Gott übergeben“155. Sowohl Judenchristen als auch Christen aus griechischrömischer Tradition konnten als Prädikat für die einzigartige Gottnähe und Heiligkeit Jesu verstehen, so dass (bzw. ) als Titelname zum idealen Missionsbegriff wurde.

Kyrios/Herr

Eine veränderte Perspektive verbindet sich mit dem -Titel156 (vgl. Ps 110,1LXX), der bereits in der Jerusalemer Gemeinde eine zentrale Bedeutung hatte, wie 1Kor 16,22 zeigt (Maranatha/ = „unser Herr, komm!“). Indem die Glaubenden Jesus als ‚Herrn‘ bezeichnen, unterstellen sie sich der Autorität des in der Gemeinde gegenwärtig Erhöhten. bringt Jesu einzigartige Würde und Funktion zum Ausdruck: Er wurde zur Rechten Gottes erhöht, hat Anteil an der Macht und Herrlichkeit Gottes und übt von dort seine Herrschaft aus. Der mit dem Kyrios-Titel verbundene Aspekt der Gegenwart des Erhöhten in der Gemeinde zeigt sich deutlich in der Akklamation und in der Abendmahlstradition als Haftpunkten der Überlieferung. Indem die Gemeinde akklamiert, erkennt sie Jesus als Kyrios an und bekennt sich zu ihm (vgl. 1Kor 12,3; Phil 2,6–11). Der Gott der Christen wirkt durch seinen Geist, so dass sie laut im Gottesdienst rufen (1Kor 12,3): („Herr ist Jesus“), und nicht: („Verflucht sei Jesus“). Gehäuft erscheint in der Abendmahlsüberlieferung (vgl. 1Kor 11,20–23.26ff.32; 16,22). Die Gemeinde versammelt sich in der machtvollen Gegenwart des Erhöhten, dessen heilvolle, aber auch strafende Kräfte (vgl. 1Kor 11,30) in der Abendmahlsfeier wirken. Neben die liturgische Dimension des Kyrios-Titels tritt besonders bei Paulus eine ethische Komponente. Der Kyrios ist die entscheidende Instanz, von der aus alle Bereiche des täglichen Lebens bedacht werden (Röm 14,8: „Wenn wir leben, so leben wir dem Herrn, wenn wir sterben, so sterben wir dem Herrn. Wenn wir nun leben oder sterben, so sind wir des Herrn“).

Sohn Gottes

Der Titel steht vor allem in traditionsgeschichtlicher Kontinuität zu Ps 2,7 (vgl. ferner 2Sam 7,11f.14) und verbindet sich mit verschiedenen christologischen Konzeptionen157. Paulus übernahm ihn bereits aus der Tradition (vgl. 1Thess 1,9f; Röm 1,3b–4a), wobei die besondere Platzierung von erkennen lässt, dass er diesem Titel eine hohe theologische Bedeutung zumaß. Der Sohnes-Titel bringt sowohl die enge Verbindung Jesu Christi mit dem Vater als auch seine Funktion als Heilsmittler zwischen Gott und den Menschen zum Ausdruck (vgl. 2Kor 1,19; Gal 1,16; 4,4.6; Röm 8,3). Bei Markus wird zum zentralen christologischen Titel, der gleichermaßen Jesu himmlische und irdische Würde umfasst (vgl. Mk 1,1.9–11; 9,2–8; 12,6; 14,61; 15,39). Auch Matthäus entfaltet eine ausgeprägte Sohn-Gottes-Christologie (vgl. Mt 1,22f.25; 3,17; 4,8–10), während bei Lukas der Titel keine zentrale Stellung einnimmt.

Sohn Davids

In der Jerusalemer Gemeinde spielte wahrscheinlich der Titel ‚Sohn Davids‘ () eine besondere Rolle, denn der Messias galt als Nachkomme Davids (vgl. PsSal 17,21). Zentraler Text ist die alte Tradition Röm 1,3b–4a, wonach der irdische Jesus Sohn Davids war; Gott setzte ihn durch seinen schöpferischen Geist kraft der Auferstehung als Gottessohn ein und machte ihn so zur maßgeblichen Gestalt der Endzeit (vgl. 2Tim 2,8). In der Evangelienüberlieferung dominiert der Titel speziell bei Blindenheilungen (vgl. Mk 10,46–52; Mt 9,27; 12,23). Matthäus verleiht diesem Titel ein besonderes Gepräge. Zunächst wird Jesus als durch einen göttlichen Eingriff legitimierter Abkömmling der David-Dynastie und damit als Messias entsprechend den jüdischen Traditionen vorgestellt (Mt 1,1–17). Dann wirkt er als heilender Davidssohn in Israel, wird aber dennoch von den blinden Führern Israels nicht erkannt (vgl. Mt 9,27; 12,23; 21,14–16).

Menschensohn

Eine zentrale Rolle in der Christologie der Jerusalemer Gemeinde spielte die Menschensohnvorstellung158. Jüdische Grundtexte für die Menschensohnvorstellung sind Dan 7,9–14 und äthHen 46,1–48,7. Nach dieser Überlieferung wird der Menschensohn als ein präexistentes (äthHen 48,6), himmlisches Wesen beschrieben, „dessen Gestalt wie das Aussehen eines Menschen“ ist (äthHen 46,1). Er ist der Träger der Gerechtigkeit und der Erwählte Gottes (äthHen 46,3), auf ihm ruht die Weisheit Gottes und er erscheint als der endzeitliche Richter (äthHen 48,7; vgl. 47,1–3). Der Menschensohn ist nach äthHen 48,4f „eine Stütze und ein Stab für die Gerechten, ein Licht der Völker und die Hoffnung der Betrübten“. Seine himmlische Hoheit zeigt sich darin, dass alle Menschen, die das Festland bewohnen, „vor ihm niederfallen und ihn anbeten werden“ (äthHen 48,5). Wahrscheinlich bezog schon Jesus den Menschensohntitel auf sich159, so dass es nicht verwundert, wenn die Jerusalemer Gemeinde diesen Titel aufnahm, um die besondere Bedeutung Jesu zu kennzeichnen. Sie dürfte Menschensohnlogien tradiert haben (vgl. Lk 7,31–34; 9,58; 12,8f.40; 17,24.26.30; Mk 2,10.28) und darüber hinaus die hinter Mk 8,31 stehende Urform des Logions vom leidenden Menschensohn entwickelt haben160.

Weisheit und Präexistenz

Auch Weisheits- und Präexistenzspekulationen werden in der Jerusalemer Gemeinde bedeutsam gewesen sein. Mit der Menschensohnvorstellung waren sowohl der Präexistenzgedanke als auch die Weisheit verbunden und speziell Stephanus und die Hellenisten prägte offenbar weisheitliches Denken (vgl. Apg 6, 3.10). Neben dem Logos gehört die Weisheit zu den himmlischen Mittlergestalten (vgl. Prov 2,1–6; 8,22–31; Sap 6,12–11,1), die ihre Heimat in unmittelbarer Nähe zu Gott haben161. Die Weisheit ist präexistent, Schöpfungsmittlerin und Gesandte Gottes; die Frommen bitten darum, dass Gott sie ihnen sende (vgl. Sap 9,9–11). In äthHen 42,1–2 findet sich die alte Anschauung, wonach die Weisheit auf Erden keinen Platz fand, wo sie wohnen konnte, und darum in den Himmel zurückkehrte. Dieses Motiv der abgelehnten Weisheit wurde schon sehr früh auf Jesus übertragen. Die Weisheit bezeugt, dass der Menschensohn kam und keine Heimat bei den Menschen fand (vgl. Lk 7,34f). Diesem Geschlecht bleibt nur das Gericht. Die Kinder der Weisheit hingegen, die dem Ruf des Täufers und des Menschensohnes gefolgt sind, bleiben vom Gericht verschont.

Nimmt man die ersten Jahre der Jerusalemer Gemeinde insgesamt in den Blick, zeigt sich eine überraschende Vielfalt und Kreativität. So ist die Zusammensetzung der Gemeinde sehr heterogen; neben die unmittelbaren Jünger Jesu und den weiteren Nachfolgekreis (mit vielen Frauen) aus Galiläa tritt die Familie Jesu, insbesondere seine Mutter Maria und sein Bruder Jakobus. Hinzu kommen die Jerusalemer Sympathisanten, die im Umfeld von Kreuzigung und Begräbnis für Jesus eintraten. Schließlich schlossen sich Juden aus Jerusalem und ganz Palästina, aber auch aus der hellenistischen Diaspora in einem erheblichen Maße der Gemeinde an. Es gab erste Ansätze zu einer neuen Kultur des Teilens und eine rasante theologische Entwicklung: Mit geistgewirkten Gottesdiensten, in denen Gebet und Akklamation im Mittelpunkt standen; mit der Ausprägung von Taufe und Herrenmahl als neuen Identitätsritualen; mit der Schaffung erster Texteinheiten; mit der Übertragung von zahlreichen Hoheitstiteln auf Jesus, der von Gott nicht verworfen, sondern erhöht wurde und nun sein endzeitliches Amt als Gesalbter, Herr, Sohn Gottes und Menschensohn wahrnimmt und bei der Parusie in Erscheinung treten wird.

42Dieser Befund spricht gegen die Behauptung von DENNIS E. SMITH, What do we really know about the Jerusalem Church?, in: Ron Cameron/Merrill P. Miller (Hg.), Redescribing Christian origins, (237–252) 243, „that the Jerusalem ‚church‘ as a power broker in Christian origins was a mythological construct from the outset … The actual ekklesia in Jerusalem, such as it was, most likely played a minor role in Christian origins.“

43Anders JAMES D. G. DUNN, Beginning from Jerusalem, 133–137; DIETRICH-ALEX KOCH, Geschichte des Urchristentums, 164–168, die sich ausschließlich auf Jerusalem konzentrieren und Galiläa außer acht lassen.

44Vgl. CARSTEN COLPE, Die erste urchristliche Generation, 62; anders GERD LÜDEMANN, Die ersten drei Jahre Christentum, 11, wonach „die Geschichte der Urgemeinde fast unbekannt bleibt“.

45Die Bemerkung in Apg 1,23 („und sie stellten zwei auf: Josef, genannt Barsabbas mit dem Beinamen Justus, und Matthias“) dürfte sich historisch auf zwei tatsächliche Mitglieder der Jerusalemer Gemeinde beziehen (zu beachten ist besonders der erste, dreigliedrige Name!), auch wenn sich die notwendige Nachwahl lukanischer Ekklesiologie verdankt; vgl. dazu JÜRGEN ROLOFF, Apostelgeschichte, 34–36.

46Vgl. LUDGER SCHENKE, Die Urgemeinde, 22.

47Vgl. ROBERT JEWETT, Romans, 964. Auflistungen mit möglichen Mitgliedern der Jerusalemer Gemeinde finden sich bei RICHARD BAUCKHAM, Jesus and the Jerusalem Community, in: Oskar Skarsaune/Reidar Hvalvik (Hg.), Jewish Believers in Jesus: The Early Centuries (s.u. 10.5), 55–95; JAMES D. G. DUNN, Beginning from Jerusalem, 178–180.

48RAINER RIESNER, Zwischen Tempel und Obergemach (s.o. 5), 78f, zählt zu den ‚Hinzugefügten‘ (vgl. Apg 2,41.47) auch Essener, die sich aus dem nahen Essener-Viertel der Gemeinde anschlossen.

49Vgl. JACOB KREMER, Weltweites Zeugnis für Christus in der Kraft des Geistes, in: Mission im Neuen Testament, hg. v. Karl Kertelge, QD 93, Freiburg 1982, 145–163.

50Vgl. JÜRGEN ROLOFF, Apostelgeschichte, 38.

51Vgl. CARSTEN COLPE, Die erste urchristliche Generation, 59: „Das ‚Judenchristentum‘ beginnt historisch zweifelsfrei mit den pneumatischen Erfahrungen nach Jesu Tod.“

52Vgl. dazu HEINZ-WOLFGANG KUHN, Enderwartung und gegenwärtiges Heil, SUNT 4, Göttingen 1966, 117–120; FRIEDRICH WILHELM HORN, Das Angeld des Geistes, 26–60.

53Vgl. JAMES D. G. DUNN, Beginning from Jerusalem, 206–212.

54Zum Zwölferkreis gehören die Brüderpaare Petrus (Mk 1,16; 3,16; Apg 1,13) und Andreas (Mk 1,16; 3,18; Apg 1,13); Jakobus (Mk 1,19; 3,17; Apg 1,13) und Johannes (Mk 1,19; 3,17; Apg 1,13), die Söhne des Zebedäus; ferner Philippus, Bartholomäus, Matthäus, Thomas (Zwilling), Jakobus, der Sohn des Alphäus, Simon, der Kananäer/Zelot; Judas Iskariot (Mk 3,18; Apg 1,13.16). Einzelgestalten sind: Thaddäus (Mk 3,18); Judas, der Sohn des Jakobus (Apg 1,13)/Bruder des Jakobus (Lk 6,16).

55Vgl. zur Begründung auch DIETRICH-ALEX KOCH, Geschichte des Urchristentums, 149–151.

56Vgl. dazu BÉDA RIGAUX, Die „Zwölf“ in Geschichte und Kerygma, in: Helmut Ristow/Karl Matthiae (Hg.), Der historische Jesus und der kerygmatische Christus, Berlin 1960, 468–486.

57Vgl. GERD LÜDEMANN, Die ersten drei Jahre Christentum, 112.

58Vgl. MONIKA LOHMEYER, Der Apostelbegriff, 133–141; zur Forschungsgeschichte vgl. a.a.O., 18–122 (dort auch Kritik an einer Ableitung aus dem ‚jüdischen Botenrecht‘).

59Vgl. zur Analyse der Verben MONIKA LOHMEYER, Der Apostelbegriff, 141–154.

60Vgl. Epiktet, Dissertationes I 24,6: Diogenes wurde als Kundschafter ausgesandt (); III 22,46: Epiktet antwortet auf die Frage, wie jemand ohne Haus, Heimat oder Sklaven ein glückliches Leben führen könne: „Siehe, Gott hat euch einen Mann gesandt, der euch in der Tat zeigen soll, dass es möglich ist“ (); IV 8,31: „ich bin euch von Gott als Vorbild gesandt worden“ (); vgl. ferner: 22,23.56.69.

61Vgl. zur Begründung MONIKA LOHMEYER, Der Apostelbegriff, 121ff (sowohl für den außerntl. als auch für den ntl. Bereich kann gezeigt werden, dass Verb und Substantiv aufs engste miteinander verbunden sind).

62Die Bedeutungsbreite reicht von einer möglichen Aussendung von Jüngern durch den irdischen Jesus (Lk 10,1.3.16Q; Mk 6,7.30), über die Interpretation Jesu als endzeitlicher Gesandter (Lk 13,34Q) bzw. Gesandter der Weisheit (Lk 11,49fQ), der Täufer als von Gott gesandter Zeuge (Lk 7,27Q; Joh 1,6); das Selbstverständnis der Q-Missionare als ‚Gesandte‘ (Lk 10,1.3.16Q) bis hin zum ‚Gemeindegesandten‘ im neutralen Sinn (vgl. Apg 14,4.14; Joh 13,16); zur Analyse aller relevanten Texte, Vorstellungen und Modelle vgl. MONIKA LOHMEYER, Der Apostelbegriff, 160–343.

63Zum lukanischen Apostelbegriff vgl. einerseits GÜNTER KLEIN, Die zwölf Apostel, FRLANT 77, Göttingen 1961, 114ff; andererseits JÜRGEN ROLOFF, Apostolat − Verkündigung – Kirche, Gütersloh 1965, 169–235. Mk 6,30 könnte eine Vorlage für Lukas gewesen sein, denn dort werden ‚die Apostel‘ mit den ‚Zwölf‘ der Aussendung identifiziert (vgl. Mk 6,7–13).

64Die Ausnahmen Apg 14,4.14 werden oft vorlk. Tradition zugewiesen; vgl. JÜRGEN ROLOFF, Apostelgeschichte, 211. Lukas hätte dann – bewusst? – die Spannungen zu seiner eigenen Konzeption bestehen gelassen. Überzeugender ist die Vermutung, dass Lukas hier Barnabas und Paulus schlicht als Gemeindegesandte versteht.

65Zum paulinischen Apostel-Verständnis vgl. zuletzt JÖRG FREY, Apostelbegriff, 126–133.

66Paulus hat zweifellos in den Auseinandersetzungen in Korinth und Galatien sein Apostolatsverständnis profiliert; vgl. JÖRG FREY, Apostelbegriff, 132f. Im 1Thess als ältestem Brief fehlt die –Begrifflichkeit im Präskript ebenso wie im Phil/Phlm, in allen drei Fällen ist das Verhältnis zur Gemeinde ungetrübt. Zudem belegt 1Thess 2,7, dass Paulus das weitere Verständnis von Apostel als Sendbote/Abgesandter einer Gemeinde von Anfang an kannte und gebrauchte.

67Paulus dürfte die Traditionen der Aussendungsrede Lk 10Q gekannt haben, worauf 1Kor 4,11–13, der Verweis auf das Herrenwort in 1Kor 9,14 und die Metaphorik in 1Kor 9,10.11 hindeuten; zur Analyse vgl. MONIKA LOHMEYER, Der Apostelbegriff, 409–435.

68Vgl. hierzu BERND KOLLMANN, Paulus als Wundertäter, in: Udo Schnelle/Thomas Söding/Michael Labahn (Hg.), Paulinische Christologie, 76–96.

69HANS WINDISCH, Der zweite Korintherbrief, KEK 6, Göttingen 1924, 397.

70In 2Kor 8,23; Phil 2,25 bezeichnet als Funktionsbegriff Gemeindeabgesandte.

71Vgl. MONIKA LOHMEYER, Der Apostelbegriff, 120f.

72Vgl. dazu ROBERT JEWETT, Romans, 961–964. Er weist überzeugend nach, dass die Phrase nicht ‚bei den Aposteln‘, sondern ‚unter den Aposteln‘ heißt, weil das Adjektiv immer einen Vergleich auf gleicher Ebene ausdrückt.

73Zu allen text- und sozialgeschichtlichen Fragen vgl. die ausführliche Studie von ELDON JAY EPP, Junia: The First Woman Apostle, Minneapolis 2005.

74Rekonstruktion nach PAUL HOFFMANN/CHRISTOPH HEIL, Die Spruchquelle Q, 52–57.

75Weitere Unterschiede bei MONIKA LOHMEYER, Der Apostelbegriff, 428f.

76Neben den Kommentaren vgl. zur Analyse FERDINAND HAHN, Die Petrusverheißung Mt 16,18f, in: ders., Exegetische Beiträge zum ökumenischen Gespräch, Göttingen 1986, 185–200; PAUL HOFFMANN, Der Petrus-Primat im Matthäusevangelium, in: Neues Testament und Kirche (FS R. Schnackenburg), hg. v. Helmut Merklein u.a., Freiburg 1974, 94–114.

77Vgl. hierzu PETER LAMPE, Das Spiel mit dem Petrusnamen – Matt. XVI.18, NTS 25 (1979), 227–245; MARTIN HENGEL, Der unterschätzte Petrus, 21–44.

78Vgl. dazu CHRISTFRIED BÖTTRICH, Petrus, 143–157.

79Zur Analyse der Texte vgl. WILHELM PRATSCHER, Der Herrenbruder Jakobus, 13–102.

80WILHELM PRATSCHER, Der Herrenbruder Jakobus, 35–46, sieht in 1Kor 15,7 eine alte Rivalitäts- und Legitimationsformel, durch die Jakobus gegenüber Petrus und den anderen Aposteln legitimiert wird. Die verwandtschaftlichen Beziehungen zu Jesus reichten offenbar nicht aus, eine besondere Stellung des Jakobus zu rechtfertigen.

81Vgl. dazu GERD LÜDEMANN, Paulus, der Heidenapostel II, 67–84.

82Zur Familie Jesu vgl. zuletzt TORSTEN REIPRICH, Das Mariageheimnis, FRLANT 223, Göttingen 2008, 119–149.

83Vgl. hierzu JÜRGEN BECKER, Maria. Mutter Jesu und erwählte Jungfrau, BG 4, Leipzig 2001.

84Vgl. ADELA YARBRO COLLINS, Mark, Minneapolis 2007, 220.

85Vgl. Euripides, Iphigenia Taurica 57, wo die Söhne als „ des Hauses“ erscheinen.

86Vgl. dazu WOLFGANG ZWICKEL, Art. Tempel, NBL III, Düsseldorf/Zürich 2001, 799–810.

87Vgl. Philo, De Specialibus Legibus I 76–78.

88Nach JOACHIM JEREMIAS, Jerusalem zur Zeit Jesu, 224–251, gab es z.Zt. Jesu in Israel ca. 7200 Priester und ca. 9600 Leviten. So dienten am Tempel alle 24 Wochen und an den drei großen Wallfahrtsfesten jeweils ca. 300 Priester und ca. 400 Leviten. Deren kultische Aufgaben in Jerusalem beschränkten sich somit auf zwei Wochen und die drei großen Feste; ansonsten nahmen sie ihre Aufgaben in ihren Heimatorten wahr und gingen ihrem Beruf (zumeist ein Handwerk) nach.

89Vgl. JOACHIM JEREMIAS, Jerusalem zur Zeit Jesu, 90–98, wonach sich ein Mehrfaches der normalen Bevölkerung (ca. 25–30 000) zu den Festen in Jerusalem aufhielt. In neueren Untersuchungen wird die Einwohnerzahl Jerusalems im 1. Jh. n.Chr. höher geschätzt (vgl. RAINER RIESNER, Zwischen Tempel und Obergemach [s.o. 5], 69f); als wahrscheinlich kann eine Einwohnerzahl von ca. 60 000 gelten, zu denen an den Festtagen einige Zehntausende hinzukamen. Für die Zahl von ca. 40 000 Einwohner votiert PETER SÖLLNER, Jerusalem, in: Kurt Erlemann u.a. (Hg.), Neues Testament und antike Kultur II, 155.

90Vgl. Philo, De Specialibus Legibus I 69: „… denn viele Tausend strömen aus tausenden von Städten, zu Wasser und zu Land, von Ost und West, von Nord und Süd, zu jedem Feste zum Heiligtum …“

91Vgl. dazu THOMAS SÖDING, Die Tempelaktion Jesu, TThZ 101 (1992), 36–64; KURT PAESLER, Das Tempelwort Jesu, FRLANT 184, Göttingen 1999, 233–249; JOSTEIN ÅDNA, Jesu Stellung zum Tempel, WUNT 2.119, Tübingen 2000, 300–333.

92Vgl. zur Begründung KURT PAESLER, Das Tempelwort Jesu, 76–92 (Mk 14,58 ist eine nachösterliche Variante des Urbestandes von Mk 13,2).

93Vgl. KURT PAESLER, Das Tempelwort Jesu, 244: „zeichenhafte Verunmöglichung und Aufhebung des Jerusalemer Kultbetriebes“.

94Zu den Sadduzäern vgl. EMIL SCHÜRER, Geschichte des jüdischen Volkes II, 475–489; RUDOLF MEYER, Art. , ThWNT 7, Stuttgart 1964, 35–54.

95Vgl. HARTMUT STEGEMANN, Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus, 205f.

96Josephus, Antiquitates 13,298.

97Josephus, Antiquitates 18,17.

98Hinzu kommen zwei weitere gewichtige Lehrunterschiede zu den Pharisäern, von denen Josephus berichtet; 1) Im Traditionsverständnis: „Jetzt möchte ich nur deutlich machen, dass die Pharisäer dem Volk Bestimmungen aus der Nachfolge der Väter weitergegeben haben, die nicht in den Gesetzen des Mose aufgeschrieben sind, und deswegen verwirft sie die Gruppe der Sadduzäer, die sagt, dass man sich nur an jene Bestimmungen halten soll, die geschrieben sind, die aus der Überlieferung der Väter aber nicht beachten soll“ (Antiquitates 13,297); 2) In der Frage der Willensfreiheit: „Die Sadduzäer, der zweite Verband, streichen das Schicksal vollständig; von Gott aber nehmen sie an, er stehe jenseits davon, etwas Böses zu tun oder auch nur mit anzusehen. Sie behaupten vielmehr, der Wahl der Menschen sei das Gute und Schlechte anheimgegeben, und nur aufgrund einer von jedem Einzelnen zu treffenden Entscheidung trete der Mensch dem einen wie dem anderen bei“ (Bellum 2,164).

99Vgl. CHRISTIAN DIETZFELBINGER, Die Berufung des Paulus als Ursprung seiner Theologie, WMANT 58, Neukirchen 1985, 6.

100Vgl. zur Analyse der Texte KARL LÖNING, Die Saulustradition in der Apostelgeschichte, NTA 9, Münster 1973, 12–25.93–95; CHRISTOPH BURCHARD, Der dreizehnte Zeuge, 40–51 (vgl. a.a.O., 50f: „Die von Paulus allein unternommene und durchgeführte Verfolgung, die gegen alle Christen in Jerusalem gerichtet war und zu Hinrichtung oder Widerruf führen sollte, ist also im wesentlichen rein lukanische Konstruktion“).

101Anders z.B. MARTIN HENGEL/ANNA MARIA SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien, 60–63, die für Jerusalem als Ort der Verfolgung eintreten und in den verfolgten ‚Hellenisten‘ die Urheber der Tradition Gal 1,23 sehen.

102Gegen MARTIN HENGEL, Der vorchristliche Paulus, 276–283; KARL-WILHELM NIEBUHR, Heidenapostel aus Israel, 58f; WOLFGANG KRAUS, Zwischen Jerusalem und Antiochia, 40.

103Vgl. CHRISTIAN DIETZFELBINGER, Die Berufung des Paulus, 21f. Gegen eine paulinische Verfolgertätigkeit in Jerusalem votieren unter anderen HANS CONZELMANN, Geschichte des Urchristentums, 65; WILHELM SCHNEEMELCHER, Das Urchristentum, 107; LUDGER SCHENKE, Urgemeinde, 186; JÜRGEN BECKER, Paulus, 40; GERD THEISSEN, Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien, 166.

104Die Darstellung in Apg 9,1–2, wonach Paulus im Auftrag des Hohepriesters die Anhänger der neuen Bewegung gefesselt nach Jerusalem bringen sollte, ist allerdings historisch unwahrscheinlich, weil es dafür überhaupt keine rechtliche Grundlage – über mehrere Herrschaftsgebiete hinweg – gab; vgl. MARTIN HENGEL/ANNA MARIA SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien, 80f. Da die Gemeinde von Damaskus um 32/33 n.Chr. sich noch innerhalb des dortigen jüdischen Synagogenverbandes (vgl. Apg 9,2) verstand, ist es gut denkbar, dass Paulus Synagogalstrafen durchzusetzen versuchte (Verweis, Bann, Geißelung, Ausschluss).

105CHRISTIAN DIETZFELBINGER, Die Berufung des Paulus, 22. Für Damaskus als Ort der Verfolgung plädieren auch: ERNST HAENCHEN, Apg, 289; ALFRED SUHL, Paulus und seine Briefe, StNT 11, Gütersloh 1975, 26f.30; WILHELM SCHNEEMELCHER, Das Urchristentum, 136; GEORG STRECKER, Der vorchristliche Paulus, in: Tornd Fornberg/David Hellholm (Hg.), Texts and Contexts (FS L. Hartman), Oslo 1995, (713–741) 730; JÜRGEN BECKER, Paulus, 63; HANS DIETER BETZ, Art. Paul, ABD 5, New Haven 1992,(186–201) 187; GERD LÜDEMANN, Die ersten drei Jahre Christentum, 11f; DIETRICH-ALEX KOCH, Geschichte des Urchristentums, 207–210.

106Vgl. dazu BERND SCHRÖDER, Die ‚väterlichen Gesetze‘, TSAJ 53, Tübingen 1996.

107Über die Art der Zwangsmaßnahmen kann man nur mutmaßen; zu den Strafen der Synagoge vgl. BILLERBECK IV/1, 292ff.

108Zweifellos waren aus jüdischer Perspektive nicht alle Gekreuzigten zugleich von Gott Verfluchte (so mit Recht GERHARD FRIEDRICH, Die Verkündigung des Todes Jesu im Neuen Testament [s.o. 4.2], 122– 130), denn auch jüdische Märtyrer wurden gekreuzigt (vgl. z.B. Philo, In Flaccum 72.83–85). Allerdings dürfte die Vorstellung eines gekreuzigten Messias außerhalb der Perspektiven des Judentums gelegen haben, wie noch der Dialog Justins mit Tryphon belegt (vgl. Dialog 90,1, wo Tryphon sagt: „Beweisen musst du uns jedoch, ob er gekreuzigt werden und eines so schmachvollen und ehrlosen, im Gesetz verfluchten Todes sterben musste; denn so etwas können wir uns nicht einmal denken“).

109Vgl. 11QTa 64,17f.19f: Wenn ein Mann „… verflucht sein Volk, die Israeliten, dann sollt ihr auch ihn auf das Holz hängen, so dass er stirbt … Verfluchte(r) Gottes und der Menschen ist einer, der auf dem Holze hängt; und du sollst nicht den Erdboden verunreinigen, den ich dir als Erbbesitz gebe“ (Übersetzung nach ANNETTE STEUDEL, Die Texte aus Qumran II, 147).

110Paulus zitiert Dtn 21,23LXX mit zwei gewichtigen Änderungen: er lässt aus und verwandelt das Perf. pass. in das pass. Adj. (vgl. Dtn 27,26LXX).

111Nach DIETRICH-ALEX KOCH, Geschichte des Urchristentums, 211, ist bereits in Damaskus mit ‚Grenzüberschreitungen‘ zu rechnen, indem „durch die Taufe einzelner Sympathisanten des Judentums die Grenze des Gottesvolkes verschoben wurde, eine Eigenmächtigkeit, die durch keine ‚väterliche Überlieferung‘ gedeckt war, vielmehr allen pharisäischen Grundüberzeugungen (und nicht nur diesen) direkt zuwiderlief“.

112Zur Ritual-Theorie vgl. VICTOR TURNER, Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur, Frankfurt 2000 (= 1969).

113Vgl. GERD THEISSEN, Die urchristliche Taufe und die soziale Konstruktion des neuen Menschen, in: Jan Assmann/Guy G. Stroumsa (Hg.), Transformation of the Inner Self in Ancient Religions, SHR 83, Leiden 1999, (87–114) 107ff.

114Vgl. dazu die unterschiedlichen Positionen von WILHELM HEITMÜLLER, ‚Im Namen Jesu‘. Eine sprach- und religionsgeschichtliche Untersuchung zum Neuen Testament, speziell zur altchristlichen Taufe, FRLANT 2, Göttingen 1903; GERHARD DELLING, Die Zueignung des Heils in der Taufe, Berlin 1961. Zur neueren Diskussion vgl. UDO SCHNELLE, Gerechtigkeit und Christusgegenwart, 37–46.178–183; LARS HARTMAN, Auf den Namen des Herrn Jesus, 39–52.

115Zu den Taufaussagen der Apostelgeschichte vgl. FRIEDRICH AVEMARIE, Die Tauferzählungen der Apostelgeschichte, WUNT 139, Tübingen 2002.

116Zur Zeit des Neuen Testaments wurde die Erwachsenentaufe praktiziert, weil Kinder in der Antike rechts- und religionsunmündig waren; anders ANDREAS LINDEMANN, … (Eph 6.4): Kinder in der Welt des frühen Christentums, NTS 56 (2010), 169–190, der mit Hinweis auf Mk 10,13–16; 1Kor 1,16 (‚Haus des Stephanas‘); Eph 6,4 die Taufe von Kindern (nicht Säuglingen!) für möglich hält.

117Vgl. aus kulturanthropologischer Perspektive CLIFFORD GEERTZ, Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt 1987, 90: „Jemand, der beim Ritual in das von religiösen Vorstellungen bestimmte Bedeutungssystem ‚gesprungen‘ ist, ... und nach Beendigung desselben wieder in die Welt des Common sense zurückkehrt, ist – mit Ausnahme der wenigen Fälle, wo die Erfahrung folgenlos bleibt – verändert. Und so wie der Betreffende verändert ist, ist auch die Welt des Common sense verändert, denn sie wird jetzt nur noch als Teil einer umfassenderen Wirklichkeit gesehen, die sie zurechtrückt und ergänzt.“

118Zur Begrifflichkeit: Paulus bezeichnet in 1Kor 11,20 die Mahlfeier als („Herrenmahl“); Lukas spricht wiederholt vom ‚Brotbrechen‘ (vgl. Apg 2,42.46; 20,7–12).

119Für den vorösterlichen Ursprung von Mk 14,25 spricht vor allem, dass nicht Jesus und sein Geschick, sondern das Reich Gottes im Mittelpunkt steht; vgl. HELMUT MERKLEIN, Erwägungen zur Überlieferungsgeschichte der neutestamentlichen Abendmahlstraditionen, 170–174, der zu Recht Mk 14,25 zum hermeneutischen Schlüssel für die Abendmahlsfrage erklärt.

120Vgl. dazu HEINZ SCHÜRMANN, Jesu Tod im Licht seines Basileia-Verständnisses, in: ders., Gottes Reich – Jesu Geschick, Freiburg 1983, 185–245.

121Zu Mk 10,45b vgl. JÜRGEN ROLOFF, Anfänge der soteriologischen Deutung des Todes Jesu (Mk. X. 45 und Lk. XXII. 27), in: ders., Exegetische Verantwortung in der Kirche, (117–143) 129–141.

122Anders PETER LAMPE, Das korinthische Herrenmahl im Schnittpunkt hellenistisch-römischer Mahlpraxis und paulinischer Theologia Crucis, ZNW 82 (1991), (183–213) 211 Anm. 79: „ schließt einen magischen Automatismus bei den Elementen aus: Die Elemente wirken nicht wie krankmachendes Gift, wenn sie unwürdig genossen werden. Vielmehr läßt der Kyrios krank werden.“ Dies dürfte kaum eine Alternative sein, wie der unmittelbare Zusammenhang zwischen Genuss der Elemente und dem Gericht in 1Kor 11,29 verdeutlicht: „Denn wer ißt und trinkt, der ißt und trinkt sich selbst das Urteil.“

123Anders GERD THEISSEN, Urchristlicher Liebeskommunismus, 707, der einen historischen Kern annimmt: „Der ‚urchristliche Liebeskommunismus‘ könnte eine Reformidee der Jerusalemer Urgemeinde selbst gewesen sein. Die Idee wäre in diesem Falle nicht der immer hinter ihr zurückbleibenden Realität erst gefolgt (so die übliche Sicht), sondern sie könnte ihr vorausgegangen sein“; zur Kritik vgl. FRIEDRICH WILHELM HORN, Gütergemeinschaft, 378ff.

124Als antike Parallelen vgl. ferner Diogenes Laertius 6,72 (der Kyniker Diogenes); Philo, Quod Omnis Probus Liber sit 75–91; Josephus, Bellum II 119–161; ausführliche Materialsammlung bei MANFRED WACHT, Art. Gütergemeinschaft, RAC 13, Stuttgart 1986, 1–59.

125RAINER RIESNER, Essener und Urgemeinde in Jerusalem, Gießen 21998, 100–104, sieht Verbindungen zwischen den Essenern und den Christusgläubigen in Jerusalem.

126Bemerkenswert ist, dass der hellenistische Satiriker und Philosoph Lukian von Samosata (ca. 120–180 n.Chr.) für seine Zeit über die Christen berichtet: „So verachten sie alle weltlichen Dinge in gleicher Weise und halten alles für gemeinsamen Besitz und nehmen solches ohne einen vertrauenswürdigen Beweis hin“ (De Peregrini Morte 13).

127Vgl. MICHAEL ZUGMANN, „Hellenisten“, 300–309.

128Vgl. Josephus, Antiquitates 4,214.287.

129Apg 6,5: „So wählten sie den Stephanus, einen Mann voll Glaubens und heiligen Geistes, ferner Philippus, Prochorus, Nikanor, Timon, Parmenas und Nikolaus, einen Proselyten aus Antiochien.“

130Die Beobachtung, dass weder der ‚Siebenerkreis‘ noch die ‚Zwölf‘ ihren in der Erzählung zugewiesenen Aufgaben nachkommen und faktisch als Gruppe nach ihrer Erwähnung wieder verschwinden, spricht gegen die These von G. THEISSEN, Hellenisten und Hebräer, 328, wonach die ‚Sieben‘ als Ortsautoritäten in Jerusalem, die ‚Zwölf‘ hingegen als überregionale Autoritäten anzusehen sind.

131Zum Nachweis vgl. MARTIN HENGEL, Zwischen Jesus und Paulus, 161ff; MICHAEL ZUGMANN, „Hellenisten“, 11–88.

132Wer aus der Diaspora nach Jerusalem zurückzog, wollte ein der Tora entsprechendes Leben führen und in Jeursalem sterben, dem Ort der endzeitlichen Sammlung Israels, des Erscheinens des Messias und der Auferstehung; vgl. dazu MICHAEL ZUGMANN, „Hellenisten“, 271–294.

133Text und Interpretation bei MICHAEL ZUGMANN, „Hellenisten“, 278–282 (ein aus der Diaspora zurückgekehrter Theodotos erbaute eine Synagoge und eine Pilgerunterkunft in Jerusalem).

134Anders GERD THEISSEN, Hellenisten und Hebräer, 340, der nicht von einer ‚Spaltung‘ sprechen will.

135Eine andere Erklärungsmöglichkeit: Die hellenistischen Witwen waren am Anfang kein Bestandteil dieses Systems, weil sie als begütert galten. Ab einem bestimmten Zeitpunkt forderten dann aber auch sie, berücksichtigt zu werden. Dies könnte damit zusammenhängen, dass immer mehr hellenistische Witwen ohne Verwandte in Jerusalem bedürftig wurden, vgl. z.B. JÜRGEN ROLOFF, Apostelgeschichte, 109.

136ALFONS WEISER, Apg I, 173: „Nach Lukas vertritt Stephanus bereits die gleiche Grundposition wie später Paulus (vgl. 6,13f und 7,48 mit 21,21.28; 7,58 mit 9,29)“; vgl. auch KARL LÖNING, Stephanuskreis, 86; MICHAEL ZUGMANN, „Hellenisten“, 325–333.

137Vgl. MICHAEL ZUGMANN, „Hellenisten“, 331.

138Allerdings dürfte schon der Vorwurf einer Lästerung des Mose Aggressionen ausgelöst haben; zum zeitgenössischen Torarigorismus vgl. Josephus, Bellum 2,145 (bei den Essenern wird jeder mit dem Tod bestraft, der den Gesetzgeber Mose lästert); Bellum 2,228–231 (ein römischer Soldat hatte eine Torarolle zerrissen und wurde daraufhin vom Prokurator Cumanus hingerichtet, um die aufgebrachten Juden zu beruhigen).

139Dies betont ECKHARD RAU, Von Jesus zu Paulus, 15–77; vgl. ferner KLAUS HAACKER, Stephanus, 31–40.

140Vgl. KARL LÖNING, Stephanuskreis, 86f, der weder Apg 6,8–15 noch die folgende Stephanusrede für gesetzeskritisch hält und vermutet: „Vorlukanischer Kern der Anklage gegen Stephanus ist der Streit um den Tempel als Ort der Gegenwart Gottes und eschatologischer Sühne“ (a.a.O., 86); ähnlich WOLFGANG KRAUS, Zwischen Jerusalem und Antiochia, 55: „Im Blick auf die hier verhandelte Frage nach der Verfolgung der ‚Hellenisten‘ hat die These, daß die Kult- und Tempelkritik den entscheidenden Anlaß zu ihrer Vertreibung aus Jerusalem darstellte, die größte Plausibilität.“ Auch MICHAEL ZUGMANN, „Hellenisten“, 333, betont, dass „bei Stephanus und den Jerusalemer judenchristlichen Hellenisten die Tempelkritik sachlich und zeitlich Priorität hatte.“

141Zum Blasphemievorwurf vgl. KLAUS HAACKER, Die Stellung des Stephanus, 1522, der darauf hinweist, dass („lästern“) in vielen jüdischen und ntl. Texten die Distanzierung von einer religiösen Gemeinschaft signalisiert.

142MICHAEL ZUGMANN, „Hellenisten“, 333–357, vermutet, das Tempelwort Jesu sei bereits von den Hellenisten ins Griechische übertragen und propagiert worden; dann habe Lukas in Apg 6,14 „den zweiten positiven Teil des Wortes, der von der Erbauung eines anderen, ‚nicht mit Händen gemachten‘ Tempels durch Jesus spricht, mit der Aussage von der Veränderung der ‚Mose-Gebräuche‘ durch Jesus“ (a.a.O., 355) ersetzt. Darüber hinaus wertet Zugmann auch die Stephanusrede als tendenziellen Beleg für die Tempelkritik der Hellenisten (vgl. a.a.O., 357–371).

143Vgl. KLAUS HAACKER, Die Stellung des Stephanus, 1519–1521.

144Vgl. Josephus, Antiquitates 18,90–95.

145Für 36 n.Chr. plädiert KARL LÖNING, Stephanuskreis, 89.

146Vgl. UDO SCHNELLE, Einleitung, 32–46.

147Nach Apg 11,20 gingen „einige von ihnen“ in Antiochia dazu über, auch Griechen das Evangelium zu predigen.

148Vgl. GERD THEISSEN, Lokalkolorit, 177–179.

149Nach wie vor grundlegend für alle Probleme ist die überzeugende Argumentation bei BILLERBECK II, 812–853.

150Vgl. Josephus, Antiquitates 17,213; Bellum 6,423.

151Vgl. AUGUST STROBEL, Termin (s.o. 2.2), 73.

152Auch GERD THEISSEN, Lokalkolorit, 201.210f, rechnet mit Verschriftungsprozessen ab 40 n.Chr.; RUDOLF PESCH, Das Markusevangelium, HThK II/1, Freiburg 31984, 21, datiert den vormk. Passionsbericht spätestens in das Jahr 37 n.Chr., entstanden „in der aramäisch sprechenden Urgemeinde in Jerusalem.“

153Zusammenfassende Darstellung bei LARRY W. HURTADO, Lord Jesus Christ (s.o. 4.2), 98–118.

154Vgl. hierzu FERDINAND HAHN, Christologische Hoheitstitel (s.o. 4.2), 133–225.466–472; GEZA VERMES, Jesus der Jude, Neukirchen 1993, 115–143; FERDINAND HAHN, Art. , EWNT 3, Stuttgart 1983, 1148–1153; MARTIN KARRER, Der Gesalbte. Die Grundlagen des Christustitels, FRLANT 151, Göttingen 1990; DIETER ZELLER, Art. Messias/Christus, NBL III, Zürich/Düsseldorf 1995, 782–786; MARTIN HENGEL, Jesus der Messias Israels, in: ders./Anna Maria Schwemer, Der messianische Anspruch Jesu und die Anfänge der Christologie, WUNT 138, Tübingen 2001, 1–80; JÖRG FREY, Der historische Jesus und der Christus der Evangelien, in: Jens Schröter/Ralph Brucker (Hg.), Der historische Jesus, BZNW 114, Berlin 2002, 273–336.

155MARTIN KARRER, Der Gesalbte, 211.

156Vgl. dazu WOLFGANG KRAMER, Christos Kyrios Gottessohn (s.o. 4.2), 61–103.149–181; FERDINAND HAHN, Christologische Hoheitstitel (s. o. 4.2), 67–132.461–466; JOSEPH A. FITZMYER, Art. , EWNT 2, Stuttgart 1981, 811–820; GEZA VERMES, Jesus der Jude, 89–114.

157Das relevante Material wird besprochen bei MARTIN HENGEL, Der Sohn Gottes (s.o. 4.2), 35–39.67–89; ADELA YARBRO COLLINS/JOHN J. COLLINS, King and Messiah as Son of God, Grand Rapids 2008; vgl. ferner LARRY W. HURTADO, Art. „Son of God“, in: Gerald F. Hawthorne u. a. (Hg.), Dictionary of Paul and his Letters, Downers Grove (Ill) 1993, 900–906; ANTJE LABAHN/MICHAEL LABAHN, Jesus als Sohn Gottes bei Paulus, in: Udo Schnelle/Thomas Söding/Michael Labahn (Hg.), Paulinische Christologie, 97–120. Zu Qumran (siehe neben 4QFlor I 11–13; 1QSa II 11 bes. 4Q 246) vgl. JOSEPH A. FITZMYER, The „Son of God“ Document from Qumran, Bib 74 (1993), 153–174; JOHANNES ZIMMERMANN, Messianische Texte aus Qumran, 128–170.

158Vgl. hierzu HEINZ EDUARD TÖDT, Der Menschensohn in der synoptischen Überlieferung, Gütersloh 51984; FERDINAND HAHN, Christologische Hoheitstitel (s.o. 4.2), 13–53; CARSTEN COLPE, Art. , ThWNT 7, Stuttgart 1969, 403–481; MOGENS MÜLLER, Der Ausdruck Menschensohn in den Evangelien, AThD 17, Leiden 1984; VOLKER HAMPEL, Menschensohn und historischer Jesus, Neukirchen 1990; JOHN J. COLLINS, The Son of Man in First-Century Judaism, NTS 38 (1992) 448–466; ANTON VÖGTLE, Die ‚Gretchenfrage‘ des Menschensohnproblems, Freiburg 1994; MATTHIAS KREPLIN, Das Selbstverständnis Jesu, WUNT 2.141, Tübingen 2001, 88–133.

159Vgl. dazu UDO SCHNELLE, Theologie, 136–141.

160Vgl. hier PAUL HOFFMANN, Markus 8,31. Zur Herkunft und markinischen Rezeption einer alten Überlieferung, in: ders., Tradition und Situation, NTA 28, Münster 1995, 281–312.

161Zur Analyse der frühen Weisheitstraditionen im Neuen Testament vgl. HERMANN VON LIPS, Weisheitliche Traditionen im Neuen Testament, WMANT 64, Neukirchen 1990, 267–280.

Die ersten 100 Jahre des Christentums 30-130 n. Chr.

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