Читать книгу Der Schutzgeist des Kaisers von Birma - Ugo Mioni - Страница 2

Zweites Kapitel.
Die Flucht

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Der weiße Elefant steht in ganz Hinterindien in hohem Ansehen; wahrhaft göttliche Ehren aber erweist man ihm doch nur in den beiden Reichen Siam und Birma.

Vor alten Zeiten waren die weißen Elefanten besonderes Eigentum der Krone. Die früheren Herrscher von Birma ritten nur auf diesen Tieren. Der weiße Elefant war, sozusagen, die Verkörperung des kaiserlichen Glückes. Befand er sich wohl, dann stand es gut um das Land, erkrankte er, so war das ein offenkundiges Zeichen, daß Buddha zürnte und schweres Unglück über den Staat hereinbrechen würde, starb er gar, so war der Bestand desselben in höchster Gefahr. Dann mußte so schleunig als möglich ein neuer Schutzgeist für den Kaiser gesucht werden und die Zeit, die während dieses Suchens verging, war eine Zeit der Angst und Trauer für das Volk. Oft dauert dieses Suchen sehr lange, denn die weißen Elefanten sind selten.

Der nun im Sterben liegende Elefant residierte seit fünfzig Jahren in seinem Tempel und während dieses langen Zeitraumes hatte sich in dem großen Kaiserreich noch nicht ein würdiger Nachfolger für ihn gefunden, eine einzige Ausnahme abgerechnet, von der ich später sprechen werde.

Der Tempel, in den wir eintraten, war in der Form einer hohlen Pyramide erbaut. Den Grund bildete ein 10 Meter langes und ebenso breites Viereck, von dem die Mauern in der Weise emporstiegen, daß sie einen Winkel von 60 Grad darstellten und in der Höhe von 12 Meter zusammenstießen.

Der Fußboden war von einem kostbaren Teppich von ausgesucht feiner Arbeit bedeckt; in den fast ganz vergoldeten Wänden waren in der Höhe von 3 Meter mehrere schmale, schießschartenähnliche Fenster eingelassen, durch welche das Licht in den eigenartigen Raum eindrang.

Senmeng, ein riesiges Tier von mehr als 3 Meter Höhe, mit einem gewaltigen Kopfe und tadellos schönen langen Stoßzähnen, lag auf dem Teppich. Die Farbe seiner Haut war ein mattes Weiß, die Ohren und der Rüssel wiesen leichte Flecken auf, wie wir sie fast bei allen Tieren dieser Art finden.

Er war ohne Zügel, doch lag sein Zaumwerk in geringer Entfernung von ihm auf dem Teppich. Der mit einem Häkchen versehene Stachel war von massivem Golde mit kristallenem Griff und seiner ganzen Länge nach mit Perlen und Rubinen besetzt. Daneben lagen auch die Abzeichen seiner Würde: eine dreifache Krone aus rotem Tuche, reich mit großen Rubinen und Diamanten von reinstem Wasser besetzt, sowie ein Diadem, das sonst gewöhnlich die Stirne des heiligen Tieres umschloß und an welchem der Talisman befestigt war, ein Ring von neun kostbaren Edelsteinen, die vor dem bösen Blick schützen sollten. Ein Halbmond, ebenfalls aus wertvollem Gestein, hing von dem Diadem herab, sowie ein goldenes Schild, auf welchem die Titel des Elefanten eingraviert waren. Die Ohrringe, die ›Seine Hoheit‹ trug, waren von lauterstem Golde.

Der Elefant lag da, schweratmend und mit halb geschlossenen Augen. Vier bloßfüßige Birmanen knieten um ihn und hielten vier Sonnenschirme aus Goldbrokat über sein Haupt ausgebreitet.

›Seine Hoheit‹ ist auch der Eigentümer eines großen Lehengutes, dessen Einkünfte zur Bestreitung seines Unterhaltes verwendet werden. Er wird gehegt und gepflegt wie ein wirklicher Prinz; dreißig Lakaien sind allein für seinen Dienst bestimmt.

»Wie geht es dem ›Herrn‹?« erkundigte sich der Wongy sofort nach seinem Eintritte in den Tempel.

»Der Herr leidet sehr,« erwiderten die Diener.

Der Wongy wandte sich zu mir. »Willst du so freundlich sein, Seine Hoheit zu untersuchen?« bat er.

Ein einziger Blick auf die Bestie überzeugte mich, daß es mit ihr zu Ende ging. Sie war alt und unterlag nun der Last der Jahre. Doch um dem Wongy zu genügen, beugte ich mich zu dem Tiere nieder und untersuchte es auf das eingehendste.

»Nun?« fragte Mangvé, als ich mich wieder aufrichtete, in banger Spannung.

»Mangvé, du bist ein Mann —,« sagte ich ernst.

»Der Herr —?« stieß er angstvoll hervor.

»Er wird den Tag nicht überleben.«

»Es ist keine Hilfe mehr für ihn?«

»Leider keine.«

Der Wongy ließ meine Hand fahren, die er krampfhaft zwischen den seinen gepreßt hatte und brach in ein schmerzliches Stöhnen aus. Auch die vier Diener zeigten sich durch meine Worte niedergeschmettert. Sie ließen die Schirme fallen und ergingen sich in langen Jammerrufen. Der Tod des Elefanten bedeutet ja auch den ihren.

Es tat mir weh, die Schmerzensausbrüche dieser Männer mit anhören zu müssen.

Ich näherte mich dem Wongy und legte meine Hand auf seine Schulter. »Fasse dich, Mangvé! Deine Lage ist noch nicht so verzweifelt, als es dir scheint. Noch hast du Zeit zum Handeln,« sagte ich.

»Nicht so verzweifelt? Mit mir ist es vorbei,« entgegnete er mit dumpfer Ergebung. »Der Elefant stirbt. Mein Leben, meine Familie, meine Güter – alles, alles ist verloren!«

»Der Kaiser weiß noch nichts von dem bedenklichen Zustand des Herrn. Noch hast du Zeit – benütze sie, um zu fliehen.«

»Fliehen? Wohin denn? Die Macht des Kaisers reicht weit, und wenn er erzürnt ist, läßt er keine Milde walten. Er würde mich überall zu finden wissen.«

»Auch jenseits der Grenzen von Birma? Fliehe in ein fernes Land, wohin die Macht des Kaisers nicht reicht, und du hast nichts mehr zu fürchten.«

»Dein Rat ist der eines Freundes,« entgegnete der Wongy und wiegte nachdenklich den Kopf. »Aber ich kann ihn nicht ausführen.«

»Warum nicht? Bedenke, daß es sich um dein Leben handelt.«

»Ich weiß es wohl. Aber ich bin nicht nur ein Edelmann, sondern auch ein Krieger. Alle Krieger ziehen den Tod der Schande vor. Wenn ich nun fliehe, wird man mich feige schelten, ja vielleicht sogar mutmaßen, daß ich den Tod des Herrn böswilligerweise herbeigeführt habe, während mein Tod alle Flecken tilgt, die jetzt noch auf meinem Namen sind, so daß derselbe für ewige Zeiten ehrenvoll in dem Gedächtnis meiner Mitbürger haften wird.«

Ich konnte nun zwar diese Ansichten des Wongy nicht teilen, mußte ihn aber dessenungeachtet um derselben willen bewundern.

Ich wollte eben nochmals in ihn dringen, doch meinem Rate zu folgen, als von der Straße her wirres Geräusch an mein Ohr schlug. Eine Menge Stimmen riefen durcheinander und dann ertönte ein Kommandoruf: »Grüßt den Kaiser!«

Waffen klirrten aneinander und Hunderte von Menschen schrien: »Es lebe der Kaiser! Gautama schütze den Kaiser!«

»Zur Erde!« erklang wieder der Kommandoruf, der all diese Stimmen übertönte.

Wieder vernahm ich ein Geräusch, als ob sich eine große Menge mit Gewalt zur Erde würfe.

Als der Wongy dieses Geräusch hörte, erbleichte er tief.

»Der Kaiser kommt!« stieß er bebend hervor.

»Flieh, flieh! Noch hast du Zeit!« rief ich.

»Niemals!« entgegnete er fest. »Aber du mußt dich verbergen. Wehe dir, wenn dich der Kaiser bewaffnet in dem Tempel des Herrn fände.«

»Ich fürchte euren Kaiser nicht. Ich bin ein Europäer und er darf es nicht wagen, mir ein Leid zuzufügen.«

»Der Kaiser ist furchtbar in seinem Zorne. Aber wenn du auch nichts für dich fürchtest, so flieh um meinetwillen. Ich bin verloren, wenn du hier bleibst.«

Diese Worte bewogen mich, zu gehen. Ich tat es zwar sehr ungern, aber ich durfte doch den ohnedies schon so schwer heimgesuchten armen Alten nicht noch tiefer ins Unglück stürzen.

»Wir sehen uns wieder,« sagte ich also zu dem Wongy, und eilte hinaus.

Kaum hatte mich der Garten aufgenommen, da wurde die Haupttüre des Tempels geöffnet und Hunderte von Stimmen riefen: »Der Kaiser! Der Kaiser tritt in den Tempel!«

Ich blieb an der Seitenpforte stehen. Der eine von deren beiden Flügel war nur leicht angelehnt, was mir nicht nur gestattete, alles zu hören, sondern auch die Vorgänge in demselben zu beobachten.

Was ich zuerst hörte, waren die regelmäßigen Schritte einer großen Anzahl Leute; dann wurde die große Pforte mit Ungestüm geschlossen.

»Stille!« befahl eine tiefe Baßstimme, deren Kommando ich schon früher vernommen hatte.

Eine Totenstille entstand, nur unterbrochen von den regelmäßigen Atemzügen der Menschen.

Vorsichtig bog ich mich zur Seite und lugte durch die Spalte der Türe in den Tempel.

Ich sah einen vornehm gekleideten Mann auf einem Thronsessel sitzend, leider mit dem Rücken gegen mich gewandt, so daß ich ihm nicht in das Gesicht blicken konnte. Es war offenbar der Kaiser selbst. Zwei Diener hielten große goldbrokatene Schirme über ihn ausgespannt, das Zeichen seiner Würde.

Was sich sonst noch in dem Tempel befand, lag auf dem Fußboden, das Gesicht in den Staub gedrückt; eine Ausnahme machten nur die vier Diener des Elefanten, die in ihrer knienden Stellung verblieben waren und ihre Schirme wieder aufgenommen halten, aber das Haupt tief gesenkt hielten.

Die tiefe Stille wurde lange nicht unterbrochen. Endlich ließ sich die Baßstimme wieder hören: »Im Auftrage Seiner erhabenen und glorreichen Majestät, des Kaisers von Birma, verlange ich von dir, Wongy Mangvé-Mengyi, Bericht über das teuere Befinden Seiner Hoheit des Herrn Senmeng.«

Die Stimme des Kaisers bekommt mit Ausnahme der kaiserlichen Prinzen und fremden Gesandten niemand zu hören.

»Der Herr befindet sich leider nicht wohl,« entgegnete der alte Wongy.

»Im Auftrage Seiner erhabenen und glorreichen Majestät frage ich dich, ob die Krankheit Seiner Hoheit schwer ist?« fragte der Baß weiter.

»Seine Majestät wird sich mit seinen eigenen Augen überzeugt haben —«

»Seine Majestät kann sich diese Mühe nicht nehmen. Wozu hätte er sonst seine Minister? Sie sind seine Augen, seine Ohren, sein Mund, seine Hände und Füße, was doch wohl auch dir bekannt ist. Die Krankheit ist also schwer?«

»Sehr schwer.«

»Der Herr —?«

»Es scheint, daß Gautama ihn bei sich in Nirwana haben will,« sagte der alte Wongy, die bittere Pille mit seiner Diplomatie überzuckernd.

Eine kurze Pause entstand. Die Eröffnung des Wongy schien alle erschreckt zu haben, dann aber brach ein dumpfes Gemurmel los, das mehr und mehr zu lautem Weinen und Klagen anschwoll. Zuletzt artete das Weinen in wildes, echt morgenländisches Geschrei aus . . .

Der Kaiser überließ seine Untergebenen ruhig ihren Herzensergießungen.

Nach einigen Minuten befahl die tiefe Stimme von neuem: »Stille!« und wieder herrschte Totenstille in dem weiten Raume.

»Du bist schuld an Senmengs Tode,« wandte sich der Sprecher an den Wongy.

»Nein, o nein! Ich tat alles, um ihn wieder herzustellen,« stammelte der Arme.

»Du lügst! Du hast ihn vernachlässigt, das ist die wahre Ursache seiner Krankheit.«

»Ich habe ihn mit aller möglichen Sorgfalt gepflegt.«

»Wie könnte er dann im Sterben liegen?«

»Er ist sehr alt —«

»Du faselst, Wongy, oder kennst du nicht die Lehren des Gottes Gautama? Lies das heilige Buch Maharadzaweng und du wirst darin finden, daß die weißen Elefanten nimmer altern.«

»Gautama ruft ihn zu sich. Er liebt den weißen Elefanten als den Ausfluß seiner göttlichen Macht und als den Schutzgeist unseres Kaisers, darum will er ihn zu sich nach Nirwana führen. Vielleicht will er auch gerade dadurch seine Liebe zu unserem erhabenen Monarchen zeigen, dem Sohne des Himmels, der über uns arme Sterbliche mit göttlicher Kraft und Weisheit herrscht,« verteidigte sich Mangvé.

Diese stark aufgetragene Schmeichelei, die so recht den morgenländischen Hofmann kennzeichnen, schien jedoch dem Monarchen wenig zu behagen.

»Du lügst abermals, Wongy! Gautama ruft niemals die weißen Elefanten zu sich, eben weil sie der Schutzgeist des Kaisers sind. Wenn einer von ihnen stirbt, so geschieht es stets auf eine gewaltsame Art. Du hast ihn also getötet und solltest eigentlich eines tausendfachen Todes sterben. Soldaten, bemächtigt euch seiner!«

Das Weitere wartete ich nicht mehr ab. Konnte ich mir doch so ungefähr denken, was nun folgen würde. Die Soldaten würden in das Haus des Wongy dringen, niedermachen, was ihnen dort in den Weg trat und es plündern. Die Frau des Bedauernswerten mußte ihr Heim mit Schmach und Schande verlassen, und ihren Sohn würde man vielleicht töten. —

Doch jetzt durfte ich mich nicht länger hier aufhalten. Jeden Augenblick konnten die Soldaten in den Garten eindringen. Würden sie, wenn sie mich bewaffnet hier fanden, nicht glauben, daß ich mich an dem ›Hochverrate‹ des Wongy beteiligt hatte?

Dann hing mein Leben an einem Haar. Ich rannte die Gartenwege entlang und erreichte die Halle in demselben Augenblicke,

in dem ein junger Mann eilig die Treppe zum Erdgeschoß herabstieg.

»Wo ist mein Vater?« wandte er sich erregt an mich.

»Du bist wohl der Sohn des Wongy?«

»Allerdings!«

»Dann komme mit mir! Rasch, rasch!«

»Wohin?«

»Das ist gleichgültig. Folge mir nur. Es ist Gefahr im Verzuge.«

»Wo ist mein Vater?«

»Die Soldaten haben ihn gefangen genommen, weil der weiße Elefant stirbt; sie können jeden Augenblick hier sein, um euer Haus zu plündern.«

Die Augen des jungen Mannes funkelten vor Zorn.

»Mögen sie kommen! Ich werde mich zu wehren wissen.«

»Du würdest bald überwältigt sein.«

»So sterbe ich als ein Held.«

»Suche lieber dein Leben und deine Freiheit zu retten, um deinem Vater zu Hilfe eilen zu können.«

»Aber meine Mutter?«

»Niemand wird es wagen, ihr ein Leid zuzufügen.«

»Ist es nicht feige, wenn ich fliehe?« fragte der junge Mann schwankend.

»Du handelst im Gegenteil als ein kluger Mann und wirst mir später für meinen Rat danken.«

Daraufhin folgte er mir. Auf dem Platze drängte sich eine tausendköpfige Menschenmenge schimpfend und lärmend vor der Hauptpforte des Tempels. Die Rufe: »Es lebe der Kaiser!« wechselten ab mit der unheilverkündenden Drohung: »Tod dem Wongy!«

Wehe uns, wenn wir einen Augenblick zu spät gekommen wären! Schon schickte sich die Menge an, sich gegen den Palast heranzuwälzen. Ein Seitengäßchen schien mir leer und dorthin flüchtete ich mich mit dem Sohne des Unglücklichen.

»Wohin gehen wir, Herr?« fragte mich dieser.

»Ist der See weit entfernt?« fragte ich zurück.

»O nein, die Entfernung ist nicht groß.«

»So führe mich an sein Ufer.«

Die Straßen, die wir zurückzulegen hatten, lagen verödet; wir begegneten nur etwa fünf oder sechs Personen, von denen mich ein Mann fragte: »Wie geht es dem Herrn?«

»Er liegt im Sterben,« gab ich zur Antwort.

»Verflucht sei der Wongy, dessen Hut er anvertraut war,« schrie jener und stürmte hierauf in der Richtung nach dem Tempel von dannen.

An dem Ufer des Sees schaukelten mehrere Barken, die von den Birmanen ›Hnau‹ genannt werden.

Ich rief die Männer einer Barke an: »Seid ihr frei, Leute?«

»Ja!« lautete die Antwort.

»So führt uns rasch an das jenseitige Ufer. Aber gebt euch Mühe, wir zahlen doppelten Fährlohn.«

»Wir werden unser möglichstes tun, Herr, obwohl der Wind nicht günstig ist,« entgegnete der Steuermann.

Wir sprangen in das Boot, die Schiffer legten die Ruder ein und pfeilschnell tanzte das Hnau über die Wellen.

Der Schutzgeist des Kaisers von Birma

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