Читать книгу Der Schutzgeist des Kaisers von Birma - Ugo Mioni - Страница 3
Drittes Kapitel.
Die heiligen Fische
ОглавлениеDie Stadt lag hinter uns und wir steuerten dem östlichen Ufer zu, an dem mein scharfer Blick nur lang ausgedehnte Wälder entdeckte.
»Sind diese Wälder bewohnt?« fragte ich meinen Begleiter, nachdem ich mich auf eine Bank im Hinterteil des Hnau niedergelassen und ihm einen Wink gegeben hatte, das gleiche zu tun.
»Wenig. Diese Wälder ziehen sich hin bis zum Flusse Myit-nge. Scharen von wilden Elefanten leben in ihnen. Dörfer findet man nur selten und in diesen lebt ein tapferer, aber wilder Stamm, der sich nicht unter die Oberhoheit des Kaisers beugen will.«
Ich hatte diese Auskunft erwartet; wußte ich doch, daß Birma überhaupt mit dichten, aber wenig bevölkerten Waldungen gesegnet ist.
»Das paßt uns vortrefflich,« jubelte ich. »Dort wirst du sicher sein.«
»Herr, du meinst doch nicht, daß ich mich in jenen Wäldern verbergen soll, um mein Leben zu retten?«
»Gewiß, das meine ich.«
»Nein, dazu werde ich mich nie und nimmer verstehen,« schrie der junge Mann und sprang auf.
»Ich folgte dir nur, weil ich meine Freiheit zu Gunsten meines Vaters bewahren wollte.«
»Schreie nicht so sehr. Es ist doch nicht notwendig, daß die Schiffer erfahren, wer du bist,« entgegnete ich ruhig und zog den Widerstrebenden auf seinen Platz zurück.
»Verzeih! Ich bin so aufgeregt, daß ich kaum weiß, was ich sage und tue.«
»Ich begreife es wohl nach dem, was deinem Vater widerfahren ist. Doch sei nur ruhig, wir werden ihm bald die Freiheit zurückgegeben haben.«
»Indem wir uns in der Einöde verbergen?« fragte der junge Mann spöttisch.
»Nur du sollst im Walde bleiben, während ich in die Stadt zurückkehren werde, um Erkundigungen über deinen Vater einzuziehen. Je nach dem Ergebnis derselben werde ich mein Vorgehen einrichten.«
»Du, der Fremde, willst für meinen Vater arbeiten und ich, sein einziger Sohn, soll tatlos zusehen? Nein, Herr, das ertrage ich nicht. Ich begleite dich.«
»Um alles zu verderben.«
»Herr, ich habe Mut und kann vorsichtig sein, wo es die Notwendigkeit erheischt. Ich werde mich in allem deinen Anordnungen fügen. Laß mich mit dir gehen.«
»Ich zweifle nicht daran, daß du klug und mutig bist. Aber bedenke, daß du in Amarapura bekannt bist, was, ganz abgesehen von der Gefahr, daß wir beide gefangen genommen werden, meine Pläne bedenklich durchkreuzen würde.«
Der junge Mann, der auf den wenig wohlklingenden Namen Meharamen hörte, dachte eine Weile nach, dann sagte er: »Ich muß dir recht geben. Magst du also diese Sache allein betreiben, obwohl es mir schwer fällt, untätig bleiben zu sollen. Aber weißt du auch, in welche Gefahren du dich begibst?«
»Ich weiß es.«
»Du weißt, daß du dein Leben aufs Spiel setzest?«
»Auch das.«
»Und du fürchtest dich nicht?«
»Nein!«
»Dann bist du ein Held und ich bewundere dich. Aber wie kommt es, daß du solchen Anteil an dem Geschicke meines Vaters nimmst?«
»Weil ich ihn liebe und verehre.«
»Du kennst ihn also schon lange? Ich glaubte, er sei dir fremd,« rief Meharamen erstaunt.
»Ich sah ihn heute zum ersten Male. Aber er war gut gegen mich und wäre nicht unglücklicherweise die Erkrankung des Elefanten dazwischen gekommen, hätte er mich während meines Aufenthaltes hier gewiß in jeder Weise unterstützt. Dafür bin ich ihm Dankbarkeit schuldig.«
»Du bist gut, ich danke dir.«
»Ich tue nur meine Pflicht, weiter nichts. Ich bin nicht in diesem Lande geboren.«
»Daß du hier fremd bist, sehe ich wohl. Das sagen mir nicht nur deine Waffen, sondern auch deine seltsame Fußbekleidung. Woher kommst du?«
»Aus Europa.«
»Ah so, du bist ein Engländer. Mein Vater besitzt einen englischen Freund, der ihm sehr teuer ist und darum liebt er auch dich. Aber wie gedenkst du es anzufangen, meinen Vater zu befreien?«
»Das weiß ich jetzt noch nicht. Vielleicht gelingt es mir, seine Kerkermeister zu bestechen, oder, wenn dies nicht gehen sollte, so werde ich versuchen, eine Audienz beim Kaiser zu erhalten und ihn dem Wongy günstig zu stimmen.«
»Auf welche Art wirst du es mich wissen lassen, wenn dir dein Vorhaben gelingt?«
»Bestimme einen sicheren Platz in jenem Walde. Nach Ablauf einer Woche werde ich dir Botschaft senden, oder wenn es möglich ist, selbst kommen, um dir zu berichten, wie weit ich mit meinen Bemühungen gelangt bin.«
»Und wenn weder Botschaft, noch du selbst kommst?«
»Dann magst du dich versichert halten, daß ich entweder tot oder gefangen bin.«
»Und in diesem Falle werde ich alles daran setzen, dich und meinen Vater zu retten oder zu rächen,« rief der Mann feurig aus.
»Handle nach deinem Gutdünken, nur bedenke das eine, daß einer Leiche die Rache nichts mehr nützt,« entgegnete ich und erhob mich.
Die Hand auf den Rand des Schiffes gestützt, ließ ich meine Blicke nachdenklich auf dem schönen Panorama ruhen.
»Tet! Tet! Tet!«
Erstaunt wandte ich mich nach unseren Bootsleuten um. Was bedeutete dieser Lärm?
»Warum schreit ihr so?« erkundigte ich mich und erhielt als Antwort die erstaunte Gegenfrage: »Bist du denn nicht hier geboren?«
»Nein! Es ist das erstemal, daß ich auf diesem See fahre.«
»Dann ist deine Unwissenheit begreiflich. Doch gedulde dich noch einen Augenblick und deine Frage wird beantwortet werden.«
Die Antwort ließ in der Tat nicht lange auf sich warten. Kaum hatten die Schiffer eine Pause in ihrem Geschrei eintreten lassen, als sich das Wasser zu beiden Seiten des Bootes gurgelnd teilte und eine Menge großer Fische auf seiner Oberfläche erschienen. Sie waren kleinen Haifischen nicht unähnlich und folgten uns mit weitaufgesperrten Mäulern und aufgeblähten, weißen Nasenflügeln.
Die Bootsleute nahmen aus einem Säckchen eine Handvoll Reis und fütterten damit die Bewohner des flüssigen Elements. Diese tauchten unter das Wasser, um ihre Portion in Ruhe verzehren zu können, kamen wieder hervor, erhielten eine neue Auflage, tauchten abermals unter und kamen so nahe an das Hnau heran, daß sie die Männer streicheln und liebkosen konnten.
Das Spiel unterhielt mich, und ich versuchte es nachzuahmen. Mich über den Bootsrand beugend, lockte ich die Fische mit »Tet! Tet! Tet!« – und in der Tat, sie kamen heran und ließen sich auch von mir liebkosen.
»Gefällt dir dieses Schauspiel?« fragte Meharamen.
»Sehr.«
»Und doch ist dies noch nichts gegen die Masse Fische, die hier im Frühjahre durchziehen; dann wird an einem von dem Kaiser festgesetzten Tage ein Volksfest auf dem Myit-nge gefeiert. Der See wimmelt von Barken und fast die ganze Stadt ist auf dem Wasser. Alles lacht, singt, scherzt und plaudert, ißt und trinkt und sucht die Fische zu haschen, die dir so sehr gefallen.«
»Um sie daheim zu braten und zu verzehren natürlich?«
»Was fällt dir ein? Du beleidigst Gautama schwer mit einer solchen Annahme. Nein, man spielt mit ihnen, füttert und liebkost sie, vergoldet ihnen auch wohl die Rückenflossen und gibt ihnen dann die Freiheit wieder. Betrachte nur einmal die Fische genauer, du wirst gewiß noch einige Spuren der ehemaligen Vergoldung finden.«
Ich folgte dieser Aufforderung und fand die Worte meines Begleiters bestätigt.
»Könnte ich wohl einen von diesen Fischen fangen und mit in mein Vaterland nehmen?« fragte ich.
»Bei den Zähnen des großen Buddha! Laß diesen Wunsch nicht vor den Fährleuten laut werden, Herr, sie würden dich sofort töten, wenn du dich räuberisch an den heiligen Fischen vergreifen würdest.«
»Wie heißen diese Tiere?«
»Du hörtest es ja und riefst sie auch vorhin selbst. Tet werden sie genannt.«
»Aus welchem Grunde verehrt ihr sie?« forschte ich neugierig.
»Kennst du die Satzungen unserer Religion nicht?«
»Doch! Aber —«
»Nun, dann wirst du auch wissen, daß Wischnu bereits neunmal sichtbar auf Erden erschien. Sobald es das zehntemal geschieht, ist das Ende der Welt da. Das erstemal nun, da Wischnu auf die Erde herabstieg, nahm er die Gestalt eines Fisches an und wohnte in diesem See. Die Fische, die du hier siehst, stammen von ihm ab und sind also der Ausfluß seiner Gottheit.«
Ich mußte mich abwenden, um das Lachen zu verbergen.
Die ›heiligen‹ Tiere folgten uns lange und die Schiffer wurden gar nicht müde, ihr Tet! Tet! zu rufen.
Anderthalb Stunden mochten wir gefahren sein, da kam endlich das Ziel in Sicht. Wir legten bei einem kleinen Dörfchen an. Nachdem ich den Fährleuten befohlen hatte, auf meine Rückkehr zu warten, stieg ich mit dem Sohne des Wongy ans Land.
Einige Birmanen traten aus ihren Häuschen und betrachteten uns neugierig. Einer von ihnen, ein alter, ärmlich gekleideter Mann, stieß einen Ausruf des Entzückens aus: »Meharamen!« Und eilig kam er uns entgegen.
»Wer ist dieser Mann?« fragte ich meinen Begleiter.
Aber ich erhielt keine Antwort. Meharamen beschleunigte seine Schritte und drückte dem Alten warm die Hand: »Ach, mein lieber Tsengo!«
»Wie freue ich mich, dich zu sehen, junger Herr!«
»Nicht doch, lieber Meister, die Freude ist auf meiner Seite. Es ist so lange her, daß wir uns gesehen haben.«
»Welches günstige Schicksal führt dich hierher?«
Ich mischte mich jetzt rasch in das Gespräch, Meharamen die Antwort abschneidend. »Du warst Meharamens Lehrer?« wandte ich mich also an ihn.
»Ja.«
»Du liebst deinen einstigen Schüler wohl sehr?«
»Mehr als mein Leben. Er war stets gut gegen mich, er und sein Vater, der mir ein Häuschen mit einem hübschen Garten schenkte, wo ich jetzt meinen Lebensabend in Ruhe verbringe in Gesellschaft meiner Frau und meiner einzigen Tochter.«
»Ist das Häuschen weit entfernt?«
»Nein, ganz in der Nähe. Willst du es sehen?«
»Führe uns dorthin!«
Der Alte gehorchte und bog in eine romantische Seitenallee ein.
Die Neugierigen blickten uns nach, und tauschten untereinander ihre Mutmaßungen darüber aus, in welchen Beziehungen wir wohl zu dem ehemaligen Hofmeister stehen mochten.
Die Allee führte zu einer Wiese, in deren Mitte sich ein reizendes, von Feigenbäumen beschattetes Häuschen zeigte. Ganz aus Bambus erbaut, sehr rein gehalten und von einem kleinen, aber wohlgepflegten Garten umgeben, machte es einen sehr anheimelnden Eindruck.
»Nehmen wir hier Platz,« sagte ich, auf eine schöne Tamarinde zeigend, an deren Stamm sich eine ländliche Bank lehnte.
»Wollt ihr mir nicht die Ehre erweisen und in mein Haus eintreten?« fragte bittend der Alte.
»Meine Zeit ist gemessen, alter Vater, und was ich dir zu sagen habe, drängt.«
»Du bist der Herr und ich dein Diener. Sprich! Ich bin bereit, deine Befehle zu erfüllen.«
»Meharamen, erzähle deinem alten Lehrer alles, was sich heute zugetragen hat,« befahl ich meinem Schützling.
Dieser gehorchte. Das traurige Schicksal des Wongy betrübte den Alten sehr, aber noch mehr erschütterte ihn der nahe Tod des ›Herrn‹ Elefanten, den er als eine große Gefahr für den Bestand des Reiches bezeichnete.
»Was gedenkst du nun zu tun?« fragte er dann seinen ehemaligen Schüler.
»Du sagtest, daß du Meharamen liebst?« ergriff ich statt des jungen Mannes das Wort.
»Ja, das tue ich.«
»Wärest du wohl bereit, um seinetwillen eine kleine Gefahr auf dich zu nehmen?«
»Verlangst du mein Leben?«
»Nein! Ich wünsche nur, daß du ihm für einige Tage Gastfreundschaft gewährst.«
Der alte Lehrer stellte sich zu unserer Verfügung, nachdem ich ihm klar gemacht, daß er keine Ursache habe, den Zorn des Kaisers zu fürchten.
Ich versprach meinem Schützling noch einmal, ihm in acht Tagen sichere Botschaft senden zu wollen und empfahl ihm, innerhalb dieser Zeit nichts in der Sache seines Vaters zu unternehmen, sondern sich gut verborgen zu halten. Dann verabschiedete ich mich von ihm.