Читать книгу Ein tiefes Geheimniss - Уилки Коллинз, Elizabeth Cleghorn - Страница 5
Erster Band
Fünftes Kapitel
Die Neuvermählten
ОглавлениеUnter dem Dach einer verwitweten Mutter lebte Miß Mowlem bescheiden in dem kleinen Seebadeorte St. Swithins-on-Sea. Im Frühling des Jahres 1844 ward das Herz der verwitweten Mutter noch in ihrem Alter durch ein kleines Erbteil erfreut. Die verschiedenen Zwecke, zu welchem das Geld verwendet werden konnte, reiflich überlegend, beschloß die umsichtige alte Dame endlich, es in Möbels anzulegen, damit das erste und zweite Stockwerk ihres Hauses möglichst geschmackvoll auszustatten und dann einen Zettel an das Wohnzimmerfenster zu hängen, um dem Publikum kundzutun, daß sie möblierte Zimmer zu vermieten habe.
Bis zum Sommer waren die Zimmer in Stand und der Zettel ward angehängt. Kaum war eine Woche vergangen, so erschien ein würdevoller schwarzgekleideter Mann, um die Zimmer in Augenschein zu nehmen, erklärte sich durch das Aussehen derselben zufriedengestellt und mietete sie auf einen Monat gewiß für eine neuvermählte junge Herrschaft, welche wahrscheinlich in einigen Tagen Besitz davon nehmen würde.
Der würdevolle schwarzgekleidete Mann war Kapitän Trevertons Diener und die junge Herrschaft, welche auch in der angegebenen Zeit sich einfand, um Besitz zu nehmen, war Mr. und Mistreß Frankland.
Das mütterliche Interesse, welches Mißtreß Mowlem an ihren jugendlichen ersten Mietsleuten nahm, war notwendig von sehr lebhafter Beschaffenheit, aber es war Apathie zu nennen im Vergleich mit dem sentimentalen Interesse, welches ihre Tochter daran fand, das Benehmen und Wesen der jungen Dame und des jungen Herrn in ihrer Eigenschaft als Neuvermählte zu beobachten.
Von dem Augenblick an, wo Mr. und Mistreß Frankland das Haus betraten, begann Miß Mowlem sie mit dem ganzen Eifer eines fleißigen Schülers zu studieren, der einen neuen Zweig des Wissens in Angriff nimmt. In jedem ihr während des Tages übrig bleibenden Augenblick beschäftigte diese betriebsame und wißbegierige junge Dame sich damit, daß sie sich die Treppe hinaufstahl, um Beobachtungen zu sammeln, und dann wieder herunterlief, um sie ihrer Mutter mitzuteilen.
Als das neuvermählte Paar eine Woche im Hause war, hatte Miß Mowlem schon so guten Gebrauch von ihren Augen, Ohren und Gelegenheiten gemacht, daß sie mit der Wahrhaftigkeit und Genauigkeit des berühmtesten Memoirenschreibers ein Buch über diese sieben Tage zu schreiben im Stande gewesen wäre.
Wir mögen jedoch lernen, soviel wir wollen, so sehen wir doch, daß je länger wir leben, es desto mehr zu lernen gibt. Sieben Tage geduldiger Ansammlung von Tatsachen in Bezug auf die Flitterwochen hatten Miß Mowlem noch bei weitem nicht über das Bereich weiterer Entdeckungen hinausversetzt.
Am Morgen des achten Tages, nachdem sie das Frühstücksgeschirr heruntergeholt, stahl sich die neugierige Beobachterin ihrer Gewohnheit gemäß wieder hinauf, um mittelst des Schlüsselloch-Kanals der Salontür an der Quelle der Erkenntnis zu trinken. Nach einer Abwesenheit von fünf Minuten kam sie atemlos vor Aufregung wieder in die Küche hinunter, um in Bezug auf Mr. und Mistreß Frankland ihrer ehrwürdigen Mutter eine neue Entdeckung mitzuteilen.
»Was glaubst du wohl, was sie jetzt macht?« rief Miß Mowlem mit weit geöffneten Augen und hoch emporgehobenen Händen.
»Nichts Nützliches wahrscheinlich,« antwortete Mistreß Mowlem mit sarkastischer Schnelligkeit.
»Sie sitzt ihm wirklich und wahrhaftig auf dem Knie! Mutter, saßest du jemals auf meines Vaters Knie, als ihr nicht längst erst vermählet wart?«
»O bewahre, liebes Kind! Als ich mit deinem armen seligen Vater verheiratet ward, waren wir keins von uns noch flatterhafte junge Leute, sondern hatten schon mehr Verstand.«
»Sie hat ihren Kopf auf seine Schulter gelegt,« fuhr Miß Mowlem immer aufgeregter fort, »und ihre Arme um seinen Hals geschlungen – beide Arme, Mutter, so fest als nur möglich.«
»Das glaube ich nicht!« rief Mistreß Mowlem entrüstet. »Eine solche Dame, welche Reichtum, Bildung und alles Mögliche besitzt, sollte sich betragen wie eine Hausmagd mit ihrem Schatz! Sage mir nicht so etwas – ich glaube es nicht.«
Trotzdem aber beruhete die Sache vollkommen in Wahrheit. Es gab eine Menge Stühle in Mistreß Mowlems Salon; es lagen drei wunderschön gebundene Bücher auf dem runden, blankpolierten Tische darin – die Altertümer von St. Swithin, Smallridges Predigten und Klopstocks Messias in englischer Prosa – Mistreß Frankland hätte auf purpurrotem Saffian mit dem besten Roßhaar gepolstert sitzen und ihren Geist durch archäologische Studien, durch orthodoxe inländische Theologie oder durch fromme Poesie ausländischen Ursprungs belehren und unterhalten können – aber dennoch – so frivol ist die Natur der Frauen – huldigte sie so verkehrten Ansichten, daß sie lieber nichts machte und sich unbequem auf die Knie ihres Gatten pflanzte!
Sie saß eine Zeitlang in der durchaus nicht würdevollen Stellung, welche Miß Mowlem ihrer Mutter mit so graphischer Genauigkeit geschildert hatte, lehnte sich dann ein wenig zurück, richtete den Kopf empor und schaute aufmerksam in das ruhige nachdenkliche Gesicht des Blinden.
»Lenny, du bist heute Morgen sehr schweigsam,« sagte sie. »Woran denkst du? Wenn du mir alle deine Gedanken erzählen willst, so will ich dir auch alle die meinigen mitteilen.«
»Würde dir wirklich etwas daran liegen, alle meine Gedanken zu hören?« fragte Leonard.
»Ja, alle. Ich werde eifersüchtig sein auf jeden Gedanken, den du für dich behältst. Sage mir, woran du jetzt eben dachtest. An mich?«
»Nein, an dich gerade nicht.«
»Das gereicht dir eben nicht zur Ehre. Bist du in acht Tagen schon meiner überdrüssig? Ich meinesteils habe seitdem wir hier sind noch an keinen Menschen weiter gedacht als an dich. Ah, du lachst! O Lenny, ich liebe dich so sehr – wie kann ich an jemand anders denken als an dich? Nein, ich werde dich nicht küssen. Erst muß ich wissen, woran du jetzt dachtest.«
»An einen Traum, Rosamunde, den ich vorige Nacht hatte. Seit den ersten Tagen meiner Blindheit – nun, ich dachte, du wolltest mich nicht eher wieder küssen, als bis ich dir gesagt hätte, woran ich gedacht?«
»Ich kann nicht umhin dich zu küssen, Lenny, wenn du von dem Verlust deines Augenlichts sprichst. Sage mir, mein armer Junge, helfe ich dir diesen Verlust ersetzen? Bist du glücklicher als du sonst zu sein pflegtest und habe ich einigen Anteil am Schaffen dieses Glückes, sei er auch noch so gering?«
Sie wendete, indem sie dies sagte, das Gesicht hinweg, aber Leonard war ihr zu rasch. Seine forschenden Finger berührten ihre Wange.
»Rosamunde, du weinst!« sagte er.
»Ich sollte weinen?« antwortete sie mit plötzlich erheuchelter Heiterkeit. »Nein,« fuhr sie nach einer augenblicklichen Pause fort, »ich will dich niemals täuschen, Geliebter, auch nicht in der unbedeutendsten Kleinigkeit. Meine Augen dienen jetzt uns beiden, nicht wahr? Du verlässest dich in Bezug auf alles, was dein Gefühlssinn dir nicht sagen kann, auf mich und ich darf mich des Vertrauens nicht unwürdig machen, nicht wahr nicht ? Ja, ich weinte wirklich, Lenny, aber nur ein ganz klein wenig. Ich weiß nicht, wie es kam, aber es war mir auf einmal, als hätte ich dich in meinem ganzen Leben noch nie so bemitleidet wie gerade in diesem Augenblick. Doch laß dies nur gut sein – ich bin nun fertig. Erzähle weiter – du wolltest mir etwas mitteilen.«
»Ich wollte sagen, Rosamunde, daß ich, seitdem ich das Augenlicht verloren, einen seltsamen Umstand an mir bemerkt habe. Ich träume sehr viel, aber ich träume niemals von mir als einem Blinden. Ich besuche in meinen Träumen oft Orte, die ich gesehen, und Leute, die ich kannte, als ich mein Gesicht noch hatte, und obschon ich während dieser Träume mich meiner ebenso selbst bewußt fühle, wie wenn ich vollkommen munter und wach bin, so fühle ich mich doch niemals blind. Ich wandere in meinem Schlafe an allen Orten, die ich sonst besucht, umher, ohne daß ich den Weg durch Tasten zu suchen brauche. Ich spreche im Schlafe mit einer Menge alter Freunde und sehe den Ausdruck ihres Gesichts, welchen ich als Wachender niemals wiedersehen werde. Es ist nun über ein Jahr her, daß ich das Gesicht verloren und dennoch war es mir wie der erschütternde Schlag einer neuen Entdeckung, als ich vergangene Nacht aus meinem Träume erwachte und mich plötzlich besann, daß ich blind war.«
»Was für ein Traum war es, Lenny?«
»Nur ein Traum von dem Orte, wo ich dich das erste Mal sah, als wir beide noch Kinder waren. Ich sah die Waldwiese wie sie vor Jahren war, mit ihren knorrigen Wurzeln und den sich um sie herumrankenden Heidelbeerbüschen, in einem noch schattigen Lichte, welches von dem regnerischen Himmel durch dichtes Laub fiel. Ich sah den Schlamm auf dem Wege in der Mitte der Waldwiese mit den Spuren von den Hufen der Kühe an manchen Stellen und den scharf eingedrückten Ringen an andern, wo die Bäuerinnen kurz zuvor in ihren Holzschuhen vorübergetratscht waren. Ich sah das schmutzige Wasser zu beiden Seiten des Fußweges nach dem Regen ablaufen und ich sah dich, Rosamunde, als wildes ungezogenes Mädchen, über und über mit Schmutz bedeckt – gerade wie du damals wirklich warst – während du dein schönes blaues Überröckchen und deine hübschen kleinen feisten Hände beschmutztest, indem du einen Damm machtest, um das laufende Wasser aufzuhalten und über die Entrüstung deiner Wärterin lachtest, als sie versuchte, dich hinwegzuziehen und nach Hause zu führen. Alles dies sah ich, gerade so wie es zu jener Zeit wirklich war, seltsamerweise aber sah ich mich selbst nicht als den Knaben, der ich damals war. Du warst ein kleines Mädchen und die Waldwiese befand sich in ihrem alten vernachlässigten Zustande, und dennoch, obschon ich ganz in der so fernen Vergangenheit war, befand ich mich doch, was mich selbst betraf, in der Gegenwart. Während des ganzen Traums war ich mir unbehaglich bewußt, ein erwachsener Mann, mit einem Worte genau das zu sein, was ich jetzt bin, nur mit der Ausnahme, daß ich nicht blind war.«
»Was für ein Gedächtnis mußt du haben, Geliebter, daß du dir alle diese kleinen Umstände nach den Jahren, welche seit jenem nassen Tage auf der Waldwiese vergangen sind, in die Erinnerung zurückrufen kannst! Wie gut weißt du, was ich als Kind war! Erinnerst du dich auch noch ebenso lebhaft, wie ich vor einem Jahr aussah, als du mich – o Lenny, es bricht mir fast das Herz, wenn ich daran denke – als du mich zum letzten Mal sahst?«
»Ob ich mich dessen entsinne, Rosamunde? Mein letzter Blick auf dein Antlitz hat dein Bildnis meiner Erinnerung in Farben gemalt, die nie erbleichen können. Ich habe viele Bilder in meinem Geiste, dein Bild aber ist das hellste und schönste von allen.«
»Und es ist auch das beste Bild, welches man von mir haben könnte – in meiner Jugend gemalt, Geliebter, als mein Gesicht fortwährend bekannte, daß ich dich liebte, obschon mein Mund nichts sagte? Es liegt einiger Trost in diesem Gedanken. Wenn Jahre über uns beiden dahingegangen sind, Lenny, und wenn die Zeit beginnt, mir ihre Spuren aufzudrücken, dann wirst du nicht zu dir selbst sagen: ‚Meine Rosamunde beginnt zu welken; sie wird immer weniger dem ähnlicher, was sie war, als ich sie heiratete.’ Für dich, Geliebter, werde ich niemals alt werden; das schöne jugendliche Bild in deiner Erinnerung wird immer noch mein Bild sein, auch wenn meine Wange gerunzelt und mein Haar grau ist.«
»Immer noch dein Bild – stets dasselbe, mag ich so alt werden als ich wolle.«
»Aber weißt du auch gewiß, daß es in allen Teilen klar ist ? Gibt es darin nirgends zweifelhafte Linien, unvollendete Winkel? Ich habe mich, seitdem du mich sahest, noch nicht verändert – ich bin gerade noch so wie ich vor einem Jahre war. Gesetzt nun, ich fragte dich, wie ich jetzt aussehe, könntest du mir es sagen, ohne einen Irrtum zu begehen?«
»Stelle mich auf die Probe.«
»Soll ich? Dann sollst du einen vollständigen Katechismus durchmachen. Ich ermüde dich doch nicht, wenn ich so auf deinem Knie sitze? – Also, erstens: wie groß bin ich, wenn wir beide nebeneinander stehen?«
»Du reichst mir gerade bis ans Ohr.«
»Richtig. Das wäre die erste Frage. Nun zur zweiten: Wie sieht mein Haar auf deinem Bild aus?«
»Es ist dunkelbraun. Es ist stark und voll und auf deiner Stirn für den Geschmack gewisser Leute ein wenig zu tief hereingewachsen.«
»Kümmern wir uns nicht um gewisse Leute. Steht es auch für deinen Geschmack zu tief?«
»Nein, durchaus nicht. Ich liebe es so; ich liebe die kleinen natürlichen Wellenlinien, die es gegen die Stirn bildet. Ich liebe es so zurückgestrichen, wie du es trägst, in einfachen Flechten, welche deine Wangen und dein Ohr sichtbar lassen, und vor allen Dingen liebe ich jenen großen glänzenden Knäuel, den es bildet, wenn es an deinem Hinterkopfe zusammengebunden ist.«
»O Lenny, wie gut erinnerst du dich meiner so weit! Gehe nun ein wenig tiefer herab.«
»Ein wenig tiefer heißt bis auf die Augenbrauen. Es sind auf meinem Bild sehr nett und sauber gezeichnete Augenbrauen.«
»Ja, – aber sie haben einen Fehler. Sage mir, was für ein Fehler ist dies.«
»Sie sind nicht so stark markiert als sie es sein könnten.«
»Abermals richtig – und meine Augen?«
»Sind braune Augen, große Augen, wachsame Augen, die sich fortwährend umschauen, Augen, die bald sehr sanft, bald wieder sehr lebendig sein können. Zärtliche und helle Augen, gerade wie in dem gegenwärtigen Augenblick, aber fähig, auf einen sehr leichten Anreiz hin, sich ein wenig zu weit zu öffnen und etwas allzufunkelnd entschlossen auszusehen.«
»Dann hüte dich, ihnen dieses Aussehen jetzt mitzuteilen! Was gibt es unter den Augen?«
»Eine Nase, die nicht ganz groß genug ist, um mit ihnen in richtigem Verhältnis zu stehen – eine Nase, die einen leichten Hang besitzt, das zu sein, was man eine –«
»O sprich dieses abscheuliche Wort nicht aus! Schone meine Empfindlichkeit wenigstens insoweit daß du es ins Französische übersetzest. Sage retroussé und gehe über meine Nase so schnell als möglich hinweg.«
»Nun, dann muß ich bei dem Munde stehen bleiben und gestehe, daß dieser der Vollkommenheit so nahe als möglich kommt. Die Lippen sind von lieblicher Form, von frischer Farbe und von unwiderstehlichem Ausdruck. Sie lächeln auf meinem Bilde und ich bin überzeugt, daß sie auch jetzt mich anlächeln.«
»Wie konnte sie auch anders, wenn sie so gelobt werden? Meine Eitelkeit flüstert mir übrigens zu, daß ich am besten tun werde, wenn ich meine Katechisation hier schließe. Wenn ich von meiner Gesichtsfarbe spreche, so werde ich bloß hören, daß sie von der dunkeln Gattung und daß niemals Rot genug darin ist, ausgenommen, wenn ich gehe oder reite, oder verlegen oder zornig bin. Wenn ich eine Frage über meinen Wuchs riskiere, so werde ich die furchtbare Antwort erhalten: Du bist auf gefährliche Weise zur Wohlbeleibtheit geneigt. Wenn ich sage: Wie kleide ich mich? So wird man mir sagen: Nicht bescheiden genug; du liebst die bunten Farben wie ein Kind. – Nein, ich will lieber keine Fragen mehr wagen. Doch, Eitelkeit beiseite, Lenny, ich bin so froh, so stolz, so glücklich, zu finden, daß du das Bild meines Ich so deutlich in der Erinnerung bewahren kannst. Ich werde nun alles Mögliche tun, um so auszusehen und mich so zu kleiden, daß ich mit deiner letzten Erinnerung an mich übereinstimme. Mein innigst Geliebter, ich will dir Ehre machen – ich will versuchen, ob ich nicht machen kann, daß man dich um dein Weib beneidet. Du verdienst hunderttausend Küsse dafür, daß du deinen Katechismus so gut gekonnt – und hier hast du sie.«
Während Mistreß Frankland ihrem Gatten den Lohn seines Verdienstes auszahlte, machte sich das Geräusch eines schwachen, höflich bedeutsamen Hustens in einem Winkel des Zimmers schüchtern hörbar.
Mit der Schnelligkeit, die alle ihre Handlungen kennzeichnete, sich augenblicklich herumdrehend, sah Mistreß Frankland zu ihrem Schrecken und ihrer Entrüstung sich Miß Mowlem gegenüber, welche dicht an der Schwelle stand – mit einem Brief in der Hand und einem Erröten sentimentaler Aufregung auf ihrem geziert lächelnden Gesicht.
»Unglückliche! Wie können Sie sich unterstehen, hereinzukommen, ohne erst anzupochen!« rief Rosamunde, indem sie mit dem Fuße stampfend aufsprang und in einem Augenblick von der Höhe der Zärtlichkeit auf die Höhe des Zornes übersprang.
Miß Mowlem zitterte schuldbewußt vor den funkelnden zornigen Augen, die sie durch und durch schaueten, ward sehr bleich, hielt entschuldigend den Brief hin und sagte in ihrem schüchternsten Tone, es täte ihr sehr leid.
»Leid!« rief Rosamunde, indem sie durch die Entschuldigung noch mehr erbittert ward, als sie durch die Überrumpelung gewesen und dies durch ein zweites Stampfen mit dem Fuße zu erkennen gab. »Wer fragt danach, ob es Ihnen leid tut oder nicht – ich mag nichts davon wissen. In meinem Leben bin ich nicht so beleidigt worden – niemals, Sie gemeines, neugieriges, spionierendes Geschöpf !«
»Rosamunde! Rosamunde! Ich bitte, vergiß dich nicht!« mischte sich Mr. Franklands ruhige Stimme ein.
»Lenny, mein Geliebter, ich kann nicht anders! Dieses Geschöpf könnte einen Engel wütend machen. Sie hat uns belauert solange wir hier sind – ja, das haben Sie getan, Sie ungebildetes, rohes Frauenzimmer! Ich argwohnte es schon längst – nun bin ich überzeugt. Sollen wir unsere Türen verschließen, um uns vor Ihnen zu sichern? – Wir werden unsere Türen nicht verschließen. Bringen Sie unsere Rechnung. Wir kündigen hiermit. Mr. Frankland kündigt Ihnen – nicht wahr, du kündigst, Lenny? – Ich werde alle deine Sachen selbst einpacken; sie soll nichts davon anrühren. Gehen Sie hinunter und machen Sie unsere Rechnung und sagen Sie Ihrer Mutter, daß wir kündigen. Mr. Frankland sagt, er wolle sich nicht ohne weiteres in seinem Zimmer überfallen und neugierige Frauenzimmer an seinen Türen horchen lassen. Und ich sage das auch. Legen Sie diesen Brief auf den Tisch – wenn Sie ihn nicht vielleicht auch öffnen und lesen wollen. Legen Sie ihn hin, Sie keckes Frauenzimmer, und bringen Sie die Rechnung und sagen Sie Ihrer Mutter, daß wir das Haus sofort verlassen werden.«
Bei dieser furchtbaren Drohung rang Miß Mowlem, welche von Natur nicht bloß neugierig, sondern auch sanft und schüchtern war, verzweiflungsvoll die Hände und brach in einen Tränenstrom aus.
»O gütiger, barmherziger Himmel!« rief Miß Mowlem, indem sie in ihrer Verzweiflung die Decke anredete, »was wird meine Mutter sagen! Was wird nun aus mir werden! O Madame, ich glaubte, ich hätte angepocht – ich habe auch wirklich angepocht. O Madame, ich bitte demütigst um Verzeihung – ich will sie nicht wieder stören. O, Madame, meine Mutter ist eine arme Witwe und dies ist das erste Mal, daß wir diese Zimmer vermietet haben und wir haben unser ganzes Geld in die Möbel gesteckt. O Madame, o Madame, wie wird es mir ergehen, wenn Sie unser Haus verlassen!«
Hier vermochte Miß Mowlem nicht weiter zu sprechen und krampfhaftes Schluchzen trat an die Stelle der Worte.
»Rosamunde!« sagte Mr. Frankland. Es lag diesmal ein Ausdruck von Kummer ebenso wie von Zurechtweisung in seiner Stimme.
Rosamundes leises Ohr bemerkte diese Veränderung in seinem Tone sofort. Als sie nach ihm herumschaute, wechselte sie die Farbe, ihr Köpfchen senkte sich ein wenig und ihr ganzer Ausdruck änderte sich augenblicklich. Sie stahl sich mit sanft wehmütig blickenden Augen an die Seite ihres Gatten und hielt ihre Lippen liebkosend dicht an sein Ohr.
»Lenny!« flüsterte sie, »habe ich dich gegen mich erzürnt ?«
»Ich kann dir niemals zürnen, Rosamunde,« antwortete er ruhig. »Ich wünsche bloß, Geliebte, daß du dich ein wenig eher beherrscht hättest.«
»Ach, das tut mir so leid – so leid, so leid!«
Die frischen, weichen Lippen näherten sich seinem Ohre noch mehr, während sie diese reuigen Worte flüsterten und die schlaue kleine Hand kroch zitternd um seinen Hals herum und begann mit seinem Haar zu spielen.
»Es tut mir so leid und wie schäme ich mich vor mir selbst. – Aber so etwas hätte gewiß auch jeden andern Menschen ärgerlich gemacht – meinst du nicht auch, Geliebter? Und du wirst mir verzeihen – nicht wahr, Lenny, wenn ich dir verspreche, mich nie wieder so schlecht zu benehmen. – Wegen der albernen flennenden Närrin an der Tür mach dir keine Sorge,« fuhr Rosamunde fort, indem sie einen leichten Rückfall erfuhr, während sie sich nach Miß Mowlem umschaute, welche unbeweglich reuig an der Wand stand und das Gesicht mit einem eben nicht sehr weißen Taschentuche bedeckt hielt.
»Ich will die Sache mit ihr schlichten; ich will ihrem Weinen ein Ende machen! Ich will sie hinausführen, ich will alles Mögliche in der Welt tun, was freundlich gegen sie ist, dafern du mir nur verzeihst.«
»Ein paar höfliche Worte, weiter ist nichts nötig – nichts weiter als ein paar höfliche Worte,« sagte Mr. Frankland etwas kalt und gezwungen.
»Na, weinen Sie nur nicht mehr,« sagte Rosamunde, indem sie stracks auf Miß Mowlem zuging und ihr ohne weitere Umstände das Tuch von dem Gesichte zog. »Hören Sie doch auf! Es tut mir leid, daß ich gleich so in die Hitze kam – obschon Sie durchaus kein Recht hatten, hereinzukommen, ohne angepocht zu haben. Es ist nicht meine Absicht, Sie zu betrüben, oder Ihnen wieder ein unfreundliches Wort zu sagen, dafern Sie nur künftig allemal anpochen und jetzt aufhören zu weinen. So hören Sie doch nur auf, Sie langweiliges Geschöpf! Wir gehen nicht fort, wir fragen weder nach Ihrer Mutter, noch nach der Rechnung, noch nach sonst etwas. Hier haben Sie auch etwas, wenn Sie aufhören wollen zu weinen. Hier ist mein Halsband – ich sah, wie Sie es gestern umprobierten, als ich in dem Schlafzimmer auf dem Sofa lag und Sie glaubten, ich schliefe. Lassen Sie es nur gut sein. Ich bin deswegen nicht böse. Nehmen Sie das Band – nehmen Sie es als ein Friedenszeichen, wenn Sie es nicht als ein Geschenk annehmen wollen. Sie sollen es nehmen! – Nein, so wollte ich nicht sagen – ich wollte sagen, seien Sie so gut, es zu nehmen. So habe ich es Ihnen angesteckt, und nun geben Sie mir die Hand und seien Sie wieder freundlich, und gehen Sie hinauf und sehen Sie, wie es sich im Spiegel ausnimmt.«
Mit diesen Worten öffnete Mistreß Frankland die Tür, gab unter dem Vorwand eines Klopfens auf die Schulter der verblüfften und verlegenen Miß Mowlem einen gutmütigen Schub, machte die Tür wieder zu und nahm einen Augenblick darauf wieder ihren Platz auf dem Knie ihres Gatten ein.
»Ich habe die Sache ausgeglichen, Geliebter,« sagte sie. »Ich habe die neugierige Närrin mit meinem hellgrünen Bande fortgeschickt – sie sieht in demselben so gelb aus wie eine Guinee und so häßlich wie –«
Rosamunde schwieg plötzlich und blickte Mr. Frankland unruhig ins Gesicht.
»Lenny!« sagte sie wehmütig, indem sie ihre Wange an die seine legte. »Bist du mir noch böse?«
»Meine Geliebte, ich bin dir nie böse gewesen. Ich kann das nie sein. Ich will mich in Zukunft stets zu mäßigen suchen, Lenny.«
»Ich bin überzeugt, daß du es tun wirst, Rosamunde. Doch lassen wir das. Ich dachte jetzt nicht an deine heftige Gemütsart.«
»Woran dachtest du denn?«
»An die Entschuldigung, welche du Miß Mowlem machtest.«
»Sagte ich nicht genug? Ich will sie zurückrufen, wenn du es wünschest – ich will noch eine reuige Rede halten – ich will alles tun, nur sie nicht küssen. Das kann ich wirklich nicht – ich kann jetzt niemand küssen als dich.«
»Meine geliebte Rosamunde, wie kindisch bist du doch in gewissen Dingen! Du sagtest zu Miß Mowlem mehr als genug – weit mehr. Und wenn du es nicht übel nimmst, so muß ich sagen, daß du dich bei deiner Großmut und Gutmütigkeit diesem Mädchen gegenüber ein wenig vergaßest. Ich meine nicht sowohl, daß du ihr das Band schenktest – obschon dies vielleicht mit etwas weniger Vertraulichkeit hätte geschehen können – wohl aber schließe ich aus dem, was du sagtest, daß du sogar so weit gingest, ihr die Hand zu drücken.«
»War das nicht recht? Ich glaubte, dies sei die freundlichste Art und Weise, die Sache zu schlichten.«
»Liebe Rosamunde, unter Personen gleichen Ranges ist dies eine ganz vortreffliche Weise, etwas beizulegen. Bedenke aber den Unterschied zwischen deiner Stellung in der Gesellschaft und Miß Mowlems.«
»Ich will es mir überlegen, wenn du es wünschest, Geliebter. Ich glaube aber, ich gerate nach meinem Vater, der sich – der gute alte Mann – niemals um Verschiedenheit des Ranges bekümmert. Ich kann nicht umhin, Leute gern zu haben, welche freundlich gegen mich sind, ohne daß ich daran denke, ob sie an Rang über oder unter mir stehen, und als ich mich wieder beruhigt hatte, fühlte ich, wie ich gestehen muß, mich darüber, daß ich diese unglückliche Miß Mowlem in Schrecken und Angst gejagt hatte, ebenso ärgerlich als wenn sie demselben Stande angehört hätte wie ich. Ich werde mich allerdings bemühen, so zu denken wie du, Lenny, aber ich fürchte sehr, daß ich, ohne recht zu wissen wie, das geworden bin, was die Zeitungen einen Radikalen nennen.«
»Meine liebe Rosamunde, sprich nicht auf diese Weise von dir selbst, auch im Scherz nicht. Du solltest von allen Menschen in der Welt der letzte sein, der diese Rangesunterschiede untereinander mengt, von welchen das ganze Wohl der Gesellschaft abhängt.«
»Ist das wirklich der Fall? Und dennoch, Geliebter, scheinen wir doch nicht mit so gewaltigen Unterschieden geschaffen zu sein. Wir haben alle dieselbe Anzahl von Händen und Füßen, wir sind alle hungrig und durstig – im Sommer wird es uns allen heiß und im Winter frieren wir alle. Wir lachen alle, wenn wir vergnügt sind, und weinen, wenn wir Kummer fühlen – mit einem Worte, wir haben alle dieselben Gefühle, mögen wir nun hoch oder tief in der Gesellschaft stehen. Ich hätte dich nicht inniger lieben können, Lenny, als ich jetzt tue, wenn ich eine Herzogin, und nach nicht weniger als ich jetzt tue, wenn ich eine Magd gewesen wäre.«
»Liebe Rosamunde, eine Magd bist du nicht und in Bezug auf das, was du von einer Herzogin sprichst, muß ich dich daran erinnern, daß du nicht so tief unter einer Herzogin stehst als du zu glauben scheinst. Manche Dame von hohem Titel kann nicht auf eine solche Reihe von Ahnen zurückschauen wie die Deinigen. Die Familie deines Vaters, Rosamunde, ist eine der ältesten in England – selbst die Familie meines Vaters reicht kaum so weit zurück und wir waren begüterte Landedelleute, als mancher Name, der jetzt die Pairswürde besitzt, noch gar nicht genannt ward. Es ist wirklich lächerlich ungereimt, dich von dir selbst als einer Radikalen sprechen zu hören.«
»Ich will nicht wieder so von mir sprechen, Lenny – nur mach’ kein so ernsthaftes Gesicht. Ich will ein Tory sein, Geliebter, wenn du mir einen Kuß geben und mich noch eine Weile auf deinem Knie sitzen lassen willst.«
Mr. Franklands Ernsthaftigkeit vermochte nicht gegen den Wechsel der politischen Grundsätze seiner Gattin und die Bedingungen Stand zu halten, welche sie daran knüpfte. Sein Gesicht heiterte sich auf und er lachte fast ebenso fröhlich wie Rosamunde selbst.
»Apropos,« sagte er, nachdem eine kleine Pause ihm Zeit gegeben, seine Gedanken zu sammeln, »hörte ich dich nicht zu Miß Mowlem sagen, sie solle einen Brief auf den Tisch legen? Ist der Brief an dich oder an mich?«
»Ach, das hab’ ich ganz vergessen,« sagte Rosamunde, an den Tisch eilend. »Der Brief ist an dich, Lenny – und ach mein Himmel! Er trägt das Postzeichen Porthgenna.«
»Dann muß er von dem Baumeister sein, den ich wegen der Reparaturen dorthin geschickt habe. Leihe mir deine Augen, Rosamunde, und laß uns hören, was er sagt.«
Rosamunde öffnete den Brief, zog einen Schemel zu den Füßen ihres Gatten, setzte sich nieder, legte ihre Arme auf seine Knie und las wie folgt:
>»An Leonard Frankland, Esq
»Sir! – In Gemäßheit der Instruktion, welche Sie die Güte hatten, mir zu erteilen, habe ich Porthgenna Tower in genauen Augenschein genommen, um zu ermitteln, welche Reparaturen das Haus im Allgemeinen und die nördliche Seite desselben besonders bedarf. Was die Außenseite betrifft, so braucht das Gebäude weiter nichts als ein wenig Abputzen und Anstreichen. Die Mauern und das Fundament sind wie für eine ewige Dauer bestimmt, und noch niemals habe ich so feste, massive Mauerarbeit gesehen.
»Was das Innere des Hauses betrifft, so kann ich jedoch hierüber keinen so günstigen Bericht erstatten. Die Zimmer im westlichen Teile, welche während der Zeit von Kapitän Trevertons Anwesenheit bewohnt und später von den mit der Aufsicht über das Haus beauftragten Personen gut in Ordnung gehalten worden, befinden sich in ganz leidlichem Zustande. Zweihundert Pfund würden, glaube ich, hinreichen, um die Kosten für alle in mein Fach schlagenden Reparaturen, deren diese Zimmer bedürfen, zu decken. Diese Summe würde jedoch nicht die Wiederherstellung der westlichen Treppe einschließen, die an mehreren Stellen zusammengebrochen und deren Geländer vom ersten bis zum zweiten Absatze sehr unsicher ist. Fünfundzwanzig bis dreißig Pfund würden jedoch genügen, um auch hier alles wieder in gehörige Ordnung zu bringen.
»In den Zimmern der Nordseite ist der Zustand von Verfall in jeder Beziehung so arg, als er nur sein kann. So viel ich habe ermitteln können, ist zu Kapitän Trevertons Zeit niemals jemand diesen Zimmern zu nahe gekommen und auch später sind sie von keinem Menschen betreten worden. Die Leute, welche jetzt das Haus bewohnen, haben eine abergläubische Furcht, irgend eine der nördlichen Türen zu öffnen, weil gar zu lange Zeit verstrichen ist, seitdem kein lebendes Wesen sie passiert hat. Niemand erbot sich, mich bei meiner Musterung zu begleiten und niemand konnte mir sagen, welche Schlüssel zu den Zimmertüren in irgend einem Teile des nördlichen Flügels gehörten. Ich fand auch keinen Plan, der die Namen oder Nummern dieser Zimmer enthalten hätte, und ebenso wenig waren zu meiner Überraschung Nummern oder Aufschriften an den einzelnen Schlüsseln befestigt. Man gab sie mir alle an einem großen Ringe hängend, mit einem Elfenbeintäfelchen daran, auf welchem bloß die Worte: ‚Schlüssel zu den nördlichen Zimmern’ zu lesen waren.
»Ich nehme mir die Freiheit, diese Einzelheiten zu erwähnen, um zu erklären, weshalb ich, wie Sie vielleicht glauben, meinen Aufenthalt in Porthgenna Tower länger ausgedehnt habe als es nötig war. Ich brachte beinahe einen ganzen Tag damit zu, die Schlüssel von dem Ringe abzunehmen und sie aufs Geratewohl in die Schlösser der Türen einzupassen. Ebenso war ich einige Stunden des nächstfolgenden Tages damit beschäftigt, jede Tür auswendig mit einer Nummer zu versehen und eine eben solche an jedem Schlüssel zu befestigen, ehe ich ihn wieder in den Ring brachte, um der Möglichkeit fernerer Irrtümer und Weitläufigkeiten vorzubeugen.
»Da ich hoffe, Ihnen in einigen Tagen einen speziellen Anschlag über die in dem nördlichen Teile des Schlosses vom Erdgeschoß an bis unter das Dach notwendigen Reparaturen vorzulegen, so brauche ich hier bloß noch zu sagen, daß diese Reparaturen einige Zeit in Anspruch nehmen und von sehr ausgedehnter Art sein werden. Die Balken des ersten Stockwerks sind von der Trockensäule angegriffen. Die Feuchtigkeit in einigen Zimmern und die Ratten in andern haben das Wandgetäfel fast ganz zerstört. Vier der Kaminsimse haben sich von der Wand gelöst und die Zimmerdecken sind entweder mit Moderflecken bedeckt, oder geborsten, oder in ausgedehntem Maße abgebröckelt. Der Fußboden ist im Allgemeinen in besserem Zustande als ich erwartet hatte, die Fensterläden und Rahmen aber haben sich so krumm gezogen, daß sie nicht mehr zu gebrauchen sind.
»Ich halte es für meine Pflicht zu erklären, daß die Kosten für Instandsetzung aller dieser Dinge – das heißt um diese Zimmer sicher und bewohnbar zu machen und sie in geeignetem Zustand für den Tapezierer zu setzen – sehr beträchtlich sein werden. Ich möchte mir daher für den Fall, daß Sie von der Summe meines Kostenanschlages überrascht oder unzufrieden damit sind, den Vorschlag erlauben, daß Sie mir einen Freund, in welchen Sie Vertrauen setzen, namhaft machen, damit derselbe mit meinem Anschlage in der Hand mich auf einem Gange durch die nördlichen Zimmer begleite. Ich mache mich anheischig, dann, dafern es gewünscht wird, die Notwendigkeit jeder einzelnen Reparatur und die Richtigkeit jedes besondern Ansatzes für dieselbe zur Zufriedenheit jedes unparteiischen Sachverständigen, den Sie deshalb zu beauftragen belieben, nachzuweisen.
»In der Hoffnung, Ihnen diesen Kostenanschlag binnen einigen Tagen übersenden zu können, bin ich Ihr gehorsamster Diener
»Thomas Horlock.«
»Das ist ein sehr ehrlicher, gerade mit der Sprache herausgehender Brief,« sagte Mr. Frankland.
»Ich wollte, der Baumeister hätte den Kostenanschlag gleich mitgeschickt,« sagte Rosamunde. »Warum konnte der fatale Mann uns nicht sogleich in runder Summe sagen, was die Reparaturen wirklich kosten werden?«
»Ich vermute, liebe Rosamunde, er hat gefürchtet, uns zu erschrecken, wenn er uns den Betrag in runder Summe nennt.«
»Das abscheuliche Geld! Es kommt einem immer in den Weg und vereitelt alle Pläne. Wenn wir nicht genug haben, so wollen wir welches von jemand borgen. Gedenkst du einen Freund nach Porthgenna zu schicken, damit derselbe das Haus mit Mr. Horlock besichtige? Wenn dies der Fall wäre, so wüßte ich, wen du schicken könntest.«
»Wen denn?«
»Mich, wenn du willst – natürlich unter deiner Eskorte. Lache nur nicht, Lenny; ich würde Mr. Horlock scharf ins Gebet nehmen, gegen jeden seiner Ansätze Einspruch erheben und ihn unerbittlich in die Enge treiben. Ich sah einmal einen Taxator ein Haus durchgehen und weiß ganz genau, was dabei zu tun ist. Man stampft mit dem Fuße auf die Diele und pocht an die Wände und kratzt an der Mauer und guckt alle Kamine hinauf und zu allen Fenstern hinaus – zuweilen macht man Notizen in ein kleines Buch, zuweilen mißt man mit einer Schmiege, zuweilen setzt man sich plötzlich nieder und versinkt in tiefes Nachdenken – und das Ende von allem ist, daß man sagt, das Haus werde sich sehr gut machen, wenn der Besitzer den Beutel ziehen und es in gehörigen Stand setzen lassen wolle.«
»Sehr gut, Rosamunde. Du besitzest noch ein Talent mehr als ich wußte und ich glaube, ich habe nun keine andere Wahl, als dir Gelegenheit zu geben, es zu entwickeln. Ich habe nichts dagegen, Rosamunde, daß du mit einem Manne vom Fache als Beistand die wichtige Aufgabe übernimmst, Mr. Horlocks Kostenanschlag soviel als möglich zu reduzieren; ich habe nichts dagegen, daß du sobald du Lust hast, einen kurzen Besuch in Porthgenna machst – besonders da ich jetzt weiß, daß die westlichen Zimmer noch bewohnbar sind.«
»O wie freundlich von dir! Welches Vergnügen wird mir dies machen! Ich werde mich freuen, das alte Haus noch einmal zu sehen, ehe Veränderungen damit vorgenommen werden! Ich war erst fünf Jahre alt, Lenny, als wir Porthgenna verließen, und ich bin höchst neugierig zu sehen, was ich mir davon nach einer so langen, langen Abwesenheit noch gemerkt habe. Weißt du wohl, daß ich von jenem verfallenen nördlichen Flügel des Hauses nie etwas gesehen? Und doch bin ich so ganz vernarrt in altertümliche Zimmer. Wir wollen sie alle durchwandern, Lenny. Du sollst dich an meine Hand halten und mit meinen Augen sehen und ebenso viele Entdeckungen machen wie ich. Ich prophezeie, daß wir Gespenster sehen und Schätze finden und geheimnisvolle Geräusche hören werden. Und, o Himmel! welche Staubwolken werden wir durchzumachen haben. – Uff! Schon der Gedanke daran droht mich zu ersticken.«
»Jetzt, da wir einmal auf Porthgenna zu sprechen gekommen sind, Rosamunde, laß uns einen Augenblick lang ernsthaft sein. Mir ist es klar, daß diese Reparatur der nördlichen Zimmer eine bedeutende Summe Geldes kosten wird. Nun aber, liebe Rosamunde, betrachte ich keine Summe, wie groß sie auch sein möge, als übel angewendet, dafern sie dir Vergnügen verschafft. Ich bin mit Herz und Seele bei dir –«
Er schwieg. Die liebkosenden Arme seines Weibes schlangen sich wieder um ihn und ihre Wange lehnte sich sanft an die seine.
»Sprich weiter, Lenny,« sagte sie mit einem solchen Ausdruck von Zärtlichkeit in diesen drei einfachen Worten, daß ihm für den Augenblick die Sprache versagte und sein ganzes Gefühl in den einen Luxusgenuß des Hörens versenkt zu sein schien.
»Rosamunde,« flüsterte er, »es gibt in der Welt keine Musik, die mich so berührte, wie deine Stimme mich jetzt berührt. Ich fühle sie durch mein ganzes Sein hindurch, wie ich zuweilen zu der Zeit, wo ich noch sehen konnte, des Nachts den Himmel zu fühlen pflegte.«
Während er sprach, schlossen die liebkosenden Arme sich fester um seinen Hals und die brennenden Lippen nahmen die Stelle ein, wo bis jetzt die Wange gelegen.
»Sprich weiter, Lenny,« wiederholten sie jetzt nicht bloß zärtlich, sondern glücklich; »Du sagtest, du wärest mit Herz und Seele bei mir – worin?«
»In deinem Plane, liebe Rosamunde, deinen Vater zu bewegen, sich nach seiner letzten Reise von seinem Beruf zurückzuziehen, und in deiner Hoffnung, ihn zu überreden, den Abend seiner Tage glücklich bei uns in Porthgenna zu verleben. Wenn das Geld, welches für die Instandsetzung der nördlichen Zimmer zu verwenden wäre, damit wir alle in Zukunft darin leben könnten, die Erscheinung dieses Hauses in seinen Augen wirklich so veränderte, daß dadurch die alten, kummervollen Erinnerungen, die sich für ihn daran knüpfen, zerstreut würden und das Wohnen dort ihn wieder zur Freude anstatt zur Qual gereichte, so würde ich das Geld als das gut angewendet betrachten. Aber, Rosamunde, bist du des Gelingens deines Planes, ehe wir denselben in Angriff nehmen, auch gewiß? Hast du gegen deinen Vater hinsichtlich unserer Pläne mit Porthgenna irgend eine Andeutung fallen lassen?«
»Ich sagte ihm, Lenny, daß ich mich nicht eher ganz zufrieden fühlen würde, als bis er die See verließe und seinen Wohnsitz bei uns nähme – und er sagte, er wolle es tun. Über Porthgenna erwähnte ich kein Wort – er auch nicht – aber er weiß, daß wir dort wohnen werden, wenn wir uns häuslich einrichten, und er stellte keine Bedingungen als er versprach, daß unsere Heimat auch seine Heimat sein solle.«
»Ist der Verlust deiner Mutter die einzige traurige Erinnerung, die er an diesen Platz hat?«
»Nicht ganz. Es gibt auch noch etwas, was niemals erwähnt worden ist, aber was ich dir erzählen kann, weil keine Geheimnisse zwischen uns bestehen dürfen. Meine Mutter hatte nämlich eine Lieblingsdienerin, welche von der Zeit ihrer Verheiratung an bei ihr gewesen und die zufällig die einzige im Zimmer anwesende Person war, als sie starb. Ich entsinne mich noch dieses Frauenzimmers in unklarer kindischer Weise. Sie war sonderbar in ihrer äußern Erscheinung und in ihrem Benehmen, und kein großer Günstling bei irgend jemand im Hause, ausgenommen bei ihrer Herrin. An dem Morgen des Todestages meiner Mutter verschwand diese Dienerin nun auf die seltsamste Weise aus dem Hause, indem sie einen höchst eigentümlichen und geheimnisvollen Brief an meinen Vater zurückließ, worin sie behauptete, es sei ihr in den letzten Augenblicken meiner sterbenden Mutter ein Geheimnis anvertraut worden, welches sie beauftragt sei, ihrem Herrn mitzuteilen, sobald ihre Herrin nicht mehr wäre. Sie fügte hinzu, sie scheue sich, von diesem Geheimnis zu sprechen, und um allem Ausfragen darnach auszuweichen, habe sie beschlossen, das Haus auf immer zu verlassen. Sie war auch wirklich schon einige Stunden fort, als der Brief gefunden und geöffnet ward, und man hat seit dieser Zeit nie wieder etwas von ihr gesehen oder gehört. Dieser Umstand schien auf das Gemüt meines Vaters einen fast ebenso starken Eindruck zu machen wie der Tod meiner Mutter. Unsere Nachbar- und Dienstleute glaubten alle – ebenso wie ich – daß diese Person nicht recht bei Verstande gewesen sei, mein Vater aber war dieser Ansicht nicht und ich weiß, daß er den Brief von jener Zeit an bis jetzt weder vernichtet noch vergessen hat.«
»Ein seltsamer Umstand, Rosamunde – ein sehr seltsamer Umstand und ich wundre mich nicht, daß derselbe einen dauernden Eindruck auf ihn gemacht hat.«
»Verlaß dich darauf, Lenny, die Diener und die Nachbarn hatten Recht – das Weib war nicht recht bei Sinnen. Auf jeden Fall war es aber ein eigentümliches Ereignis in unserer Familie. Alle alten Häuser haben ihre Romantik und dies ist die Romantik unseres Hauses. Es sind aber seitdem viele Jahre vergangen und teils in Folge der Zeit, teils in Folge der Veränderungen, die wir vorzunehmen in Begriff stehen, fürchte ich nicht, daß mein guter, lieber Vater unsere Pläne vereiteln werde. Gib ihm einen neuen nördlichen Garten in Porthgenna, wo er, wie er es nennt, auf dem Deck herumspazieren kann – gib ihm neue nördliche Zimmer, um darin zu wohnen – und ich stehe für das gute Ergebnis. Doch alles dies gehört der Zukunft an; laß uns jetzt zur Gegenwart zurückkehren. Wann werden wir unsern fliegenden Besuch in Porthgenna machen, Lenny, und uns in die wichtige Aufgabe stürzen, Mr. Horlocks Kostenanschlag über die Reparaturen in gehörige Schranken zu bannen?«
»Wir haben noch drei Wochen hier zu bleiben, Rosamunde.«
»Ja, und dann müssen wir nach Long Beckley zurückkehren. Ich versprach jenem besten und dicksten aller Männer, dem Vikar, daß wir unsern ersten Besuch bei ihm abstatten würden. Unter drei Wochen oder einem Monat läßt er uns ganz gewiß nicht fort.«
»In diesem Falle wird es am besten sein, wenn wir sagen, daß unser Besuch in Porthgenna in zwei Monaten, von jetzt an gerechnet, stattfinden solle. Ist deine Schreibmappe im Zimmer, Rosamunde?«
»Ja, sie liegt dicht neben uns auf dem Tische.«
»Nun dann schreib an Mr. Horlock und bestimme eine Zusammenkunft nach zwei Monaten in dem alten Hause. Sage ihm auch, da wir uns unsicheren Treppen nicht anvertrauen könnten – besonders in Erwägung, daß ich auf Geländer angewiesen bin – so solle er die westliche Treppe unverweilt in Stand setzen lassen. Und da du dann einmal die Feder in der Hand hast, so wird es dir vielleicht künftige Mühe sparen, wenn du gleich ein zweites Briefchen an die Haushälterin in Porthgenna schreibst und ihr meldest, wenn sie uns erwarten kann.«
Rosamunde setzte sich heiter an den Tisch und tauchte mit einer kleinen triumphierenden Bewegung die Feder in die Tinte.
»In zwei Monaten,« rief sie fröhlich, »in zwei Monaten soll ich den lieben alten Ort wiedersehen! In zwei Monaten, Lenny, werden unsere profanen Füße in den Einöden der nördlichen Zimmer den Staub aufwirbeln.«