Читать книгу Nicht aus noch ein - Уилки Коллинз, Elizabeth Cleghorn - Страница 5

Erster Act
Neue Charactere auf der Scene

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Die Worte die »Schweizer Postmarke« folgten so unmittelbar auf Mrs. Goldstraw’s Erwähnung der Schweiz und steigerten Mr. Wildings Aufregung zu einer solchen Höhe, daß sein Compagnon sich nicht das Ansehen gehen konnte, als ob er sie nicht bemerke.

»Wilding,« fragte er schnell und hielt dann ein, sich umsehend, ob er im Zimmer eine Ursache zu seines Gefährten Aufregung entdecken könne. »Was haben Sie?«

»Mein lieber George Vendale,« erwiderte der Weinhändler dem Angeredeten seine Hand mit einem flehenden Blick entgegenstreckend, als ob er dessen Hilfe begehre, um etwas Schreckliches zu überwinden und nicht, als ob er sie ihm zum Bewillkommungs-Gruß reiche. »Mein lieber George Vendale, so viel habe ich erfahren, daß ich nie wieder ich selbst sein werde. Unmöglich kann ich je wieder ich selbst sein. Denn im vollen Sinne des Wortes, ich bin nicht ich.«

Der neue Compagnon, ein braunwangiger hübscher Junge, beinah in Wildings Alter, mit einem schnellen sichern Auge und entschlossener Bewegung, erwiderte mit unendlichem Erstaunen: »Nicht Sie?«

»Nicht was ich zu sein glaubte,« sagte Wilding.

»Wer, im Namen alles Wunderbaren, glaubten Sie zu sein, der Sie nun nicht sind?« lautete die Entgegnung, die mit einer so herzgewinnenden Freundlichkeit ausgesprochen wurde, daß sie das Vertrauen eines zurückhaltenderen Mannes als Wilding war, herausgelockt haben würde. »Ich kann Sie jetzt, wo wir Compagnons sind, wohl ohne unbescheiden zu sein fragen.«

»Schon wieder!« rief Wilding indem er sich in seinen Sessel zurücklehnte und dem andern einen trostlosen Blick zuwarf. »Compagnon! und ich habe nicht das Recht in unser Geschäft einzutreten. Es ist mir nicht bestimmt gewesen und meine Mutter hat es nicht für mich erworben. Ich will damit sagen, seine Mutter hat es für ihn erworben – wenn ich überhaupt eine Meinung haben kann – oder überhaupt jemand bin.«

»Gehen Sie, gehen Sie!« äußerte der Compagnon nach einer augenblicklichen Pause mit jener ruhigen Zuversicht, wie sie eine kräftige Natur durchdringt, die den aufrichtigen Willen hat, einer schwachen beizustehen. »Wenn ein Unrecht geschehen ist, so ist es ohne Ihre Schuld geschehen, davon bin ich überzeugt. Ich war nicht drei Jahre mit Ihnen zusammen in diesem Comptoir unter dem alten Regime, um Ihnen zu mißtrauen, Wilding. Wir waren, was Redlichkeit anbelangt beide damals schon ebenso reif wie jetzt. Lassen Sie mich meine Compagnonschaft damit beginnen, Ihnen ein thätiger Theilnehmer zu sein und alles, was unrecht ist, in’s Gleiche zu bringen. Hat der Brief irgend etwas damit zu schaffen?«

»Ach!« rief Wilding mit der Hand an seine Schläfe fassend. »Schon wieder! Mein Kopf! Ich hatte den Zwischenfall vergessen! Die Schweizer Postmarke.«

»Bei einem zweiten Blick, den ich darauf werfe, werde ich gewahr, daß der Brief uneröffnet ist, also nichts mit den angedeuteten Verhältnissen zu thun haben kann. Ist er an Sie oder an uns?«

»An uns,« sagte Wilding.

»Ich denke, ich öffne ihn und lese ihn vor, um ihn uns aus dem Weg zu schaffen.«

»Ich bin Ihnen sehr dankbar.«

»Der Brief kommt von unsern Champagnerlieferanten, dem Neuschateller Hause. Geehrter Herr. Durch Ihr gütiges Schreiben vom 28. d. M. sind wir in Kenntnis gesetzt worden, daß Sie Herrn Vendale als Compagnon in das Geschäft aufgenommen haben. Erlauben Sie, daß wir Ihnen unsre Glückwünsche zu diesem Ereigniß aussprechen. Zu gleicher Zeit ergreifen wir die Gelegenheit, Ihnen ausdrücklich Herrn Jüles Obenreizer zu empfehlen.« »Nicht möglich! Wilding sah von einem schnellen Argwohn erfaßt auf und rief: »Wie?«

»Nicht möglich den Namen auszusprechen!« erwiderte sein Compagnon leichthin – »Obenreizer. – Ihnen ausdrücklich Herrn Jüles Obenreizer zu empfehlen, Sohos-quare, London (north Side), welcher als unser Agent accreditirt ist. Er hat die Ehre, bereits die Bekanntschaft des Herrn Vendale in seinem Vaterlande (d. h. in Herrn Obenreizers Vaterlande) der Schweiz gemacht zu haben – Richtig! – o, o, woran hatte ich schon gedacht. – Jetzt erinnere ich mich – als er es mit seiner Nichte bereiste.«

»Mit seiner —?« Vendale hatte das letzte Wort so verschluckt, das Wilding es nicht verstehen konnte.

»Als er es mit seiner Nichte bereiste Obenreizers Nichte,« sagte Vendale übertrieben deutlich. »Die Nichte Obenreizers. (Ich bin ihnen während meiner ersten Schweizer Tour begegnet, reiste eine Weile mit ihnen, Verlor sie während zweier Jahre aus den Augen, begegnete ihnen, als ich das vorletzte Mal in der Schweiz war, wieder und habe seitdem nichts mehr von ihnen gehört.) Obenreizer. Obenreizers Nichte. Richtig! Er ist schließlich doch möglich auszusprechen, der Name! – Herr Obenreizer besitzt unser ausgedehntestes Vertrauen und wir hoffen, daß auch Sie seine Verdienste zu schätzen wissen werden. Richtig unterzeichnet von dem Hause Defresnier und Comp. Schön. Ich werde Mr. Obenreizer sogleich aufsuchen und den Gang uns aus dem Wege räumen. Das räumt zugleich die Schweizer Postmarke aus dem Wege. Und, mein lieber Wilding, theilen Sie mir mit, was ich weiter aus Ihrem Weg räumen kann und ich werde Mittel finden, die mir das Aufräumen ermöglichen.«

Bereit dazu und im höchsten Grade dankbar, daß ihm die Mühe erleichtert wurde, drückte der ehrliche Weinhändler dem Andern die Hand und begann seine Erzählung damit, sich reuevoll selbst als einen Usurpator anzuklagen.

»Ohne Zweifel haben Sie darum nach Bintrey geschickt, als ich eintrat?« fragte der Compagnon nach kurzem Bedenken.

»Darum.«

»Er hat Erfahrung und einen verschlagenen Kopf; ich bin begierig seine Meinung zu hören. Es ist kühn und gewagt, Ihnen die meinige zu sagen, ehe ich weiß, wie er denkt, aber ich verstehe nicht zurückzuhalten. Offen denn, ich sehe die Verhältnisse anders an, als Sie sie sehen. Ich finde Ihre Lage nicht so, wie Sie sie finden. Was das Usurpieren fremden Besitzes anbelangt, mein lieber Wilding, das ist reine Thorheit, da niemand ein Usurpator sein kann, der nicht beabsichtigt hat, jemand zu beeinträchtigen. Und das haben Sie nie gethan. Was die Erbschaft den jener Dame anbelangt, die geglaubt hat, Sie wären ihr Sohn und den der Sie, nach deren eigener Aussage, glauben mußten, sie sei Ihre Mutter, so bedenken Sie, ob das Erben nicht die Folge Ihrer persönlichen Beziehungen zu einander war? Sie faßten nach und nach immer innigere Zuneigung zu ihr. Sie faßte nach und nach immer innigere Zuneigung zu Ihnen. Ihnen, Ihrer Person, wie ich die Sache ansehe, hat sie die irdischen Vortheile bestimmt, und nur von ihr, von ihrer Person haben Sie sie angenommen.«

»Sie setzte voraus,« wendete Wilding kopfschüttelnd ein, daß ich ein natürliches Recht darauf hätte, was mir fehlte.«

»Das muß ich zugeben, gewiß« erwiderte der Compagnon. »Aber gesetzt, sie hätte die Entdeckung, die Sie jetzt gemacht haben, ein halbes Jahr vor ihrem Tode auch gemacht, glauben Sie, daß das die Jahre, die Sie mit ihr zusammen gewesen sind, ausgestrichen und die Zärtlichkeit verlöscht haben würde, welche einer für den andern in immer höherem Grade empfand, je länger das mit einander Verkehren dauerte?«

»Was ich darüber denke,« sagte Wilding sich einfach und fest an der nackten Thatsache haltend, »kann die Wahrheit eben sowenig ändern, als ich den Himmel herunter zu reißen vermag. Die Wahrheit ist, daß ich der Besitzer von irdischen Gütern bin, die einem Andern zugehören.«

»Er kann schon todt sein,« sagte Vendale.

»Er kann auch leben,« sagte Wilding. »Und wenn er lebt, habe ich ihn nicht unschuldiger weise – das gebe ich Ihnen zu, unschuldiger weise – um Vieles gebracht? Habe ich ihn nicht um die ganze glückliche Zeit, die ich an seiner Stelle verlebt habe, gebracht? Habe ich ihn nicht um die namenlose Freude gebracht, die meine Seele erfüllte, als die theure Frau« – er streckte seine Hand nach dem Bilde aus – »mir vertraute, daß sie meine Mutter sei? Habe ich ihn nicht um alle die Sorgfalt gebracht, die sie über mich ausgoß? Habe ich ihn nicht um alle Verehrung und alle Pflichten gebracht, die ich ihr mit Stolz weihte? Darum frage ich mich selbst und frage auch Sie, George Vendale, wo ist er? Was ist aus ihm geworden?«

»Wer kann es wissen!«

»Ich muß es versuchen, ihn ausfindig zu machen. Ich muß Nachforschungen anstellen. Ich darf nie ermüden und von solchen Nachforschungen abstehen. Ich will von den Interessen meines Antheils am Geschäft leben – ich sollte sagen von den seinigen – und alles Andere für ihn zurücklegen. Wenn ich ihn finde, kann ich mich seiner Großmuth unterwerfen; aber hingeben will ich ihm Alles. Ich will es, das schwöre ich, so wahr ich sie geliebt und geehrt habe,« sagte Wilding achtungsvoll die Hand, die er küßte, nach dem Bilde hinstreckend und dann sich mit derselben die Augen bedeckend. »So wahr ich sie geliebt und geehrt und eine Welt von Beweggründen habe, ihr dankbar zu sein.« Und damit brach er ab.

Der Compagnon erhob sich von dem Stuhl, auf dem er gesessen hatte und stellte sich neben Wilding indem er seine Hand sanft auf dessen Schulter legte. »Walter, ich habe Sie schon früher als einen rechtlichen Mann mit reinem Gewissen und feinfühlendem Herzen gekannt. Ich schätze es für ein großes Glück, daß mir der Vorzug geworden ist, meine Arbeit mit seinem des Vertrauens so würdigen Mann gemeinsam zu verrichten. Ich bin dankbar dafür. Schalten Sie über mich, wie über Ihre rechte Hand und verlassen Sie sich auf mich bis in den Tod. Denken Sie nicht schlechter von mir, wenn ich Ihnen eingestehe, daß ich von einem unklaren Gefühl beherrscht werde, Sie mögen es vielleicht ein unvernünftiges nennen. Ich habe viel mehr Theilnahme für die Dame und für Sie, der Sie nicht zu derselben in vorausgesetzter verwandtschaftlicher Beziehung stehen, als ich für den unbekannten Mann empfinde (wenn er überhaupt zum Mann herangewachsen ist), der ohne es zu wissen, seiner Stelle entsetzt wurde. Sie haben recht gethan, nach Mr. Bintrey zu schicken. Meine Meinung wird theilweise, ja ich bin davon überzeugt, vollständig die seinige sein. Thun Sie in diesem ernsten Geschäft keinen übereilten Schritt. Das Geheimniß muß ängstlich von uns bewahrt werden, denn es leichtsinnig verbreiten hieße soviel, als betrügerische Ansprüche aufmuntern, einem Schwarm Von Schelmen das Thor öffnen und die Losung zu falschen Eiden und Complotten geben. Ich habe für jetzt nichts weiter zu sagen, Walten als Sie zu erinnern, das sich darum hauptsächlich Antheil an dem Geschäft genommen habe, um Sie von einer Last der Arbeit zu befreien, der ihr jetziger Gesundheitszustand nicht gewachsen ist, daß ich Ihr Compagnon geworden bin, um zu arbeiten und daß ich Letzteres gesonnen bin zu thun«

Mit diesen Worten klopfte er seinem Gefährten in einer Weise auf die Schulter, die seiner Rede den besten Nachdruck gab und verließ ihn. George Vendale begab sich in das Comptoir und suchte später M. Jüles Obenreizer auf.

Als er in Sohosquare einbog und seine Schritte nach der Nordseite hinrichtete, schoß eine dunkle Röthe in sein sonnengebräuntes Antlitz, welche Wilding wenn er ein besserer Beobachter, oder weniger mit seinen eignen Sorgen beschäftigt gewesen wäre, auch bemerkt haben müßte, als sein Compagnon eine gewisse Stelle in dem Brief ihres Schweizer Correspondenten las, die ihm gefiel, nicht so deutlich als das Uebrige auszusprechen.

Eine Colonie von Bergbewohnern hat sich lange in dem schmalen kleinen Stadttheil Londons Soho eingeschlossen. Schweizer Uhrmacher, Schweizer Schmelzarbeiter, Schweizer Juweliere, Schweizer Verkäufer von Instrumentenkasten und von Schweizer Spielsachen der verschiedensten Art wohnten hier dicht neben einander. Schweizer Professoren der Musik, der Malerei und fremder Sprachen, Schweizer Stickereien, Schweizer Botengänger und andere Schweizer Dienstboten, die nie zu Hause waren; betriebsame Schweizer Wäscherinnen und Stärkerinnen, geheimnißvolle Schweizer Einwohner beiderlei Geschlechts; Schweizer von gutem Ruf und Schweizer von schlechtem Ruf; Schweizer, die das höchste Vertrauen verdienen und Schweizer, die bei Leibe kein Vertrauen verdienen; alle diese verschiedenen Schweizer Bestandtheile vereinigen sich zu einem Mittelpunkt in dem Stadttheil Soho. Schäbige Schweizer Speisehäuser, Kaffeehäuser und Wirthshäuser, Schweizer Getränke und Speisen, Schweizer Gottesdienst für den Sonntag und Schweizer Schulen für die Wochentage sind alles hier zu haben. Selbst die einheimischen Englischen Wirthshäuser kehren eine Art von Wesen nach außen, das wie geradebrechtes Englisch aussieht: Sie kündigen an ihren Fenstern Schweizer Liqueur und Branntwein an und dulden hinter ihrem Schenktisch manchen Abend im Jahr Schweizer Liebeleien und Schweizer Schlägereien.

Als der neue Theilhaber von Wilding und Co. an einer Thür, welche auf messingnem Schild die kurze Inschrift Obenreizer aufwies, die Glocke zog, – es war die Thür eines soliden Hauses, in dessen unterem Stockwerk sich eine Schweizer Uhren-Niederlage befand, – sah er sich auf einmal von einer vollständig Schweizerisch eingerichteten Häuslichkeit umgeben. Ein großer für den Winter errichteter Ofen aus weißen Kacheln nahm die Feuerstelle in dem Zimmer ein, in welches man ihn zu treten bat. Der unbedeckte Fußboden war mit einem niedlichen Muster ausgelegt, zu dem verschiedene Holzarten angewendet worden. Der Raum trug vorherrschend das Gepräge des Kahlen, viel gescheuerten und das kleine geblümte Teppichviereck vor dem Sopha, wie das mit Sammet überkleidete Kaminbrett mit seiner gewaltigen Uhr und seinen Vasen voller künstlicher Blumen, stimmten mit dem herrschenden Geschmack überein. Es machte den Eindruck, als ob – schildern wir kurz die Wirkung, die das Ganze ausübte – als ob ein Pariser eine Milchkammer zur Wohnstube umgestaltet hätte. Unter dem Zifferblatt der Uhr floß künstlich nachgemachtes Wasser über ein Mühlrad. Der Eingetretene hatte noch nicht eine volle Minute davorgestanden, um den Fall desselben mit seinen Augen zu folgen, als Mr. Obenreizer ihn an den Ellenbogen anstieß und in sehr gutem, sehr geschickt gekürztem Englisch sagte: »Wie geht es »Ihnen? Sehr erfreut!«

Nicht aus noch ein

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